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Gucky und die Blaue Garde

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Nr. 184Gucky und die Blaue GardeSie beginnen die große Suche - und nehmen Kurs auf das Zentrum der Milchstraßevon Clark Darlton

Seit dem 2. November 2328 kursiert die Nachricht vom Tode Perry Rhodans, Atlans und Reginald Bulls in derGalaxis. Die Unbekannten, die diese Meldung verbreiten, können auch mit Bildern von der völlig zerstörtenCREST, des ehemals stolzen Flaggschiffs der Solaren Flotte, aufwarten. In Terrania weiß man, daß sich diedrei wichtigsten Persönlichkeiten des Vereinten Imperiums zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich auf der CRESTaufhielten. Die Todesnachricht läßt sich nicht dementieren, denn die Verschollenen, die sich im Gewahrsamdes Obmannes von Plophos befinden, können kein Lebenszeichen übermitteln.Während die Galaktische Allianz sich langsam, aber unaufhaltsam aufzulösen beginnt und die Mitgliederdieses Bundes in zunehmendem Maße ihre eigenen Interessen verfolgen, gehen Allan D. Mercants Agentenjeder Spur nach. Selbst wenn der Weg sie in den sicheren Tod führt - sie erfüllen bis zur letzten Sekunde ihrePflicht!Nur dem Selbstmordeinsatz Arthur Konstantins war es zu verdanken, daß die terranischen Stellen erfuhren, daßdie Verschollenen noch leben, und wer für ihre Gefangennahme verantwortlich ist.Nun kann der Großeinsatz der Mutanten beginnen. Gucky, der berühmte Mausbiber, ist natürlich mit von derPartie. Gucky interessiert sich speziell für DIE BLAUE GARDE des Obmanns von Plophos...

Die Hautpersonen des Romans:Gucky - Der Mausbiber sieht sich im All nach Helfern um.Homunk - Er fürchtet sich nicht vor den Waffen der Menschen, denn er ist ein Roboter.Julian Tifflor - In seinen Händen liegt jetzt die Entscheidung über das künftige Schicksal der Menschheit.Iratio Hondro - Obmann von Plophos.Etehak Gouthy und Trat Teltak - Zwei Männer, die nur „auf Raten“ leben.Ras Tschubai, Tako Kakuta, John Marshall und Iwan Iwanowltsch Goratschin - Mutanten begegnen den Antis, ihrenalten Gegenspielern.

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Seit Tagen schon rasten die Funkwellen allerHyperkom-Stationen der Milchstraße durch das Allund verbreiteten mit millionenfacherLichtgeschwindigkeit die Nachricht:

Perry Rhodan, Atlan und Reginald Bull sind tot!Eine Nachricht, die die Galaxis erschütterte. DasVereinte Imperium der Arkoniden und Terraner fielauseinander. Die drei mächtigen Stützpfeiler desReiches fehlten, und die Galaktische Allianz, geradezweihundertdreizehn Jahre alt geworden,zersplitterte. Alle jene intelligenten Rassen, die mehrals zweihundert Jahre darauf gewartet hatten, von dengalaktischen Großmächten Arkon und Terraabzufallen, nutzten die Gelegenheit der allgemeinenVerwirrung.

Besonders die Akonen sahen ihre Chance, ihrvermeintliches Erbe anzutreten. Kaum hatteSolarmarschall Julian Tifflor die auf Arkon IIIstationierte Vermittlungszentrale der USO räumenlassen, waren sie es, die überraschend schnell in dieVerwaltungsund Militärpositionen desArkonidenreiches eindrangen. Von einem Tag aufden anderen hatten die Akonen die Arkoniden ineiner unblutigen Revolution überlistet und die Macht

fast unbemerkt an sich gerissen.Julian Tifflor mußte tatenlos zusehen. Er war jetzt

an Rhodans Stelle getreten und trug die ganzeVerantwortung, an erster Stelle für denMutterplaneten Terra und das ehemalige SolareImperium. Ihm zur Seite stand Allan D. Mercant,unsterblich und Aktivatorträger wie er.

Wie aber hätte Rhodan jetzt an ihrer Stellegehandelt?

Das größte Bio-Positronengehirn der Galaxis,„Nathan“, auf dem irdischen Mond stationiert, rietzum Rückzug. Nathan und die Berater Tifflorsschlugen vor, die weit verstreuten Machtpositionen inder Galaxis endlich aufzugeben und alle Streitkräftein den solaren Raum zurückzuziehen. Alle Völker,die nicht freiwillig dem großen Verband desImperiums angehören wollten, sollten aus demStaatsgefüge entlassen werden.

Diese inzwischen eingeleiteten Maßnahmenerwiesen sich nicht nur als taktisch klug, sondern alsungeahnter Vorteil. Bisher war Terras Macht in derganzen Galaxis verteilt gewesen, plötzlich aberkonzentrierte sie sich auf engstem Raum. DasSonnensystem wurde somit unangreifbar.

Die unzähligen Raumschiffe der terranischenFlotte, die, überall verstreut, ihren schweren Dienst

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versehen hatten und zusammen mit der arkonischenFlotte bemüht gewesen waren, die Stützpunkte zuhalten, kehrten zur Erde zurück. Sie bildeten einenundurchdringlichen Gürtel um das Sonnensystem,bereit, jeden Angreifer zurückzuschlagen, der eswagen sollte, in diesen Raum vorzustoßen.

Terra war stark genug geworden, um ohne Partnerund Verbündete auszukommen. Das Solare Imperiumwar nun so mächtig, daß es logischerweise keinenKrieg mehr geben konnte, denn es gab einfach keinenGegner, der es hätte wagen können, die Erdeanzugreifen.

Rhodans angeblicher Tod hatte jene Situationgeschaffen, die seit Jahrzehnten vergeblich angestrebtworden war. Terra war wieder frei vonBündnisverpflichtungen und konnte nach eigenemErmessen handeln. Und Terra war unangreifbargeworden.

*

Es war der sechzehnte November des Jahres 2328.An diesem Tag geschahen scheinbar unwichtige

Dinge, die sich jedoch später - insgesamt betrachtet -entscheidend auswirken sollten.

Seit einer Woche wußten Tifflor und Mercant, daßRhodan, Atlan und Bully noch lebten. DerGeheimagent Arthur Konstantin hatte sein Lebenlassen müssen, um das herauszufinden, aber ihm warGelegenheit geblieben, sein Wissen einem Schiff desGeheimdienstes mitzuteilen, dessen Kommandant fürdie Weiterleitung an Tifflor sorgte.

Rhodan lebte, aber niemand wußte, wo ergefangengehalten wurde. Es galt, diesen Ortherauszufinden. Julian Tifflor und Allan D. Mercanterließen die notwendigen Befehle. DasMutantenkorps wurde zurückgerufen. Die einzelnenMutanten waren an verschiedenen Orten im Einsatz,aber die Nachrichtenverbindungen funktionierteneinwandfrei. Wo immer die Spezialagenten Terrasauch sein mochten, der Befehl zur Rückkehr erreichtesie. Sie verließen ihre Posten. Posten, die nun nichtsmehr bedeuteten.

Es gab nur noch einen wichtigen Posten, und derhieß Terra!

Doch bevor sie gingen, erfüllten sie ihren letztenAuftrag.

*

Es war ein reiner Zufall, daß der Mausbiber Guckygerade auf dem Planeten Huwi weilte, der von denDrechselpfeifern bewohnt wurde. Hier,Vierzehntausendfünfhundert Lichtjahre von der Erdeentfernt, verbrachten die telepathischen Lebewesen,die sich aber meist in einer pfeifenden Lautsprache

verständigten, ihr friedliches Dasein.Ein unwichtiger Planet und unwichtige Verbündete

im kosmischen Schachspiel der Großmächte, wäredie Sonne M-317-XB nicht rein zufällig ein variablerStern am Rande der Hauptfluglinien zwischen Arkonund Terra gewesen. Trotz Computer undkomplizierter Bordgehirne war ein derartigesLeuchtfeuer eine große Hilfe bei linearem Sichtflug.

So war der Planet der Drechselpfeiferunentbehrlich geworden.

Um die Drechselpfeifer selbst kümmerte man sichkaum, man brauchte ja nur ihre Sonne.

Es war Gucky überlassen, die große Möglichkeitder harmlosen und friedfertigen Geschöpfe zuentdecken, als er eines Tages auf dem Rückflug zurErde die seltsamen Gedankenimpulse auffing, die ausRichtung der pulsierenden Sonne M-317-XB kamen.Da der Stern nur von einem Planeten umkreist wurde,war es klar, daß die Impulse - organisch-mental - nurvon Huwi stammen konnten.

Rein äußerlich erinnerten die Drechselpfeifer anüberdimensionale Eichhörnchen, und sie taten nichts,um diesen ersten Eindruck zu verwischen. Sie warenNager, aber von hervorragender Intelligenz. Siehatten sich eine eigene Zivilisation aufgebaut,besaßen eine vorbildliche Sozialstruktur und lebtenim übrigen von der Hand in den Mund - im wahrstenSinne des Wortes.

Mit ihren scharfen Nagezähnen, um die sie Guckyvom ersten Augenblick an fürchterlich beneidet hatte,bearbeiteten sie die zahlreichen Baumarten ihrerHeimat, stellten herrliche Schnitzereien her undbauten nach dem Kontakt mit dem Imperium eineentsprechende Industrie auf. In allen Teilen derGalaxis waren die „zahngeschnitzten“ Kunstwerkeder Drechselpfeifer bekannt und begehrt.

Es war die Artverwandtschaft, die Gucky immerwieder gern nach Huwi zurückkehren ließ. Einmalhatte er hier sogar einen Urlaub mit Iltu verbracht,und es war so ziemlich mit die schönste Zeit seinesbisherigen langen Lebens gewesen.

Auch diesmal ' weilte Gucky nicht dienstlich aufHuwi. Als er von Rhodans Tod hörte, war sein ersterImpuls gewesen, sich im ersten Schock zuverkriechen. Sein vorheriger Auftrag war erledigt,und er, Gucky, war frei. Ein kleines Schiff brachteihn nach Huwi und wartete außerhalb des Systemsauf seine Anweisungen.

Nach zwei Tagen begann Gucky zu fühlen, daßRhodan oder Bully unmöglich tot sein konnten. Zwarwar es ihm nicht gelungen, einen telepathischenKontakt herzustellen, aber er verließ sich ganz aufseine Intuition.

Wieder etwas später erhielt er von Mercant dieverschlüsselte Nachricht, daß die drei Vermißtenlebten, und nicht nur diese drei, sondern auch Melbar

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Kasom und Andre Noir.Gucky atmete auf.Wenn sie nur lebten, finden würde man sie immer!Vielleicht wußten die Drechselpfeifer Rat.Er verließ die einsame Blockhütte, die ihm seine

Gastgeber am Rande eines Waldsees erbaut hatten,und watschelte in die nahe Siedlung hinab. Dabeidachte er über die Ungerechtigkeit nach, mit der dieNatur manchmal ihre Gaben verteilte.

Die Drechselpfeifer waren flink und behende,konnten sich auf dem Boden genauso schnellbewegen wie von Baum zu Baum, und außerdemhatten sie mindestens vier Schneidezähne. Und er,Gucky?

Er sah an sich herab und betastete skeptisch seinBäuchlein. Auch die Oberschenkel setzten schon Fettan. Ja, wenn er wenigstens gescheit laufen könnte,denn von dauerndem Teleportieren wurde man auchnicht gerade schlanker.

Rhodan lebte, das war die Hauptsache!Er vergaß seine privaten Sorgen für einen

Augenblick. Die Hütten der Siedlung waren schon zusehen. Mühsam hoppelte er weiter, ohne auch nureinen Gedanken an Teleportation zu verschwenden.

Iltu, seine geliebte Gattin, hatte sich auch schonbeschwert. Er sei zu faul, hatte sie behauptet. Daskäme davon, behauptete sie weiter, weil er sich zuwenig bewege. Teleportieren könne fast jederMausbiber. Aber anständig laufen und sichBewegung verschaffen, das sei etwas ganz anderes. *Das mache schlank und beweglich! Und jünger!

Besonders der letzte Hinweis war schmerzlich undregte Gucky zum ernsthaften Nachdenken an.Ausgerechnet die unerfahrene Iltu mußte ihmvorwerfen, er sei zu alt.

Natürlich war er alt, relativ gesehen. Er war älterals alle Menschen, die es auf der Erde gab,eingeschlossen die Unsterblichen. Nur Atlan warälter. Aber was bedeuteten schon ein paar hundertJahre, wenn man sich erst wie achtzig oderhundertfunfzig fühlte?

„Bully hat recht“, knurrte Gucky vorsich hin undwatschelte umständlich um einen gefällten Baumherum. „Die Weiber sind alle gleich dumm - Von denpaar Ausnahmen abgesehen. Sie denken nichtlogisch! Von mir aus hätte Iltu ja einen jungenMarshüpfer heiraten können. Aber die laufen auchnicht besser als ich. Im Gegenteil.“ Er rutschte aufeinem glitschigen Ast aus und saß auf dem nassenStamm, ehe er sich abfangen konnte. „Zum Teufelmit den neumodischen Gehübungen! Ich teleportiere,ob Dickbauch oder nicht!“

Und eine Sekunde später war er in der Siedlung.Buschschwanz, der Nagemeister, begegnete ihm

als erster. Er kam über die Lichtung geflitzt undbaute vor Gucky ein possierliches Männchen. Als er

sprach, verstand der Mausbiber zwar nur dieTelepathieimpulse, aber er hörte das schrille und garnicht melodische Pfeifen der Lautsprache. Im Grundegenommen paßte diese Sprache nicht zu den sonst sosensiblen und zarten Geschöpfen, aber den Launender Natur sind keine Grenzen gesetzt.

„Wohin des Weges, Gucky? Wolltest du meinneues Kunstwerk betrachten, das ich gesternfertigstellte? Du könntest mir einen guten Rat geben.Sicher werden die Springer eine Menge dafürzahlen.“

„Buschschwanz, ich habe Sorgen“, gestand Guckyseufzend. „Sieh mich an! Bin ich zu dick?“

Der Drechselpfeifer setzte sich auf dieHinterpfoten und betrachtete den Frager mit derMiene eines Preisrichters. Dann sagte er: „Mir bist dunicht zu dick, Gucky.“ „Das ist leider nichtmaßgebend“, klärte ihn Gucky auf. „Meine Fraumeint...“

Gucky kam nicht mehr dazu, die Meinung seinerGattin Iltu dem interessiert zuhörendenBuschschwanz mitzuteilen.

Am Armgelenk des Mausbibers war eindurchdringendes Summen. Der Telekom hatte sichgemeldet.

Das Schiff!Mit einem Knopfdruck schaltete er das Gerät ein.„Gucky hier. Was ist, Captain?“„Nachricht von Mercant, Anweisungen ...“„Immer vermasseln sie mir den Urlaub!“

quietschte Gucky aufgeregt. Dann stutzte er, „Hatman Rhodan gefunden?“

„Noch nicht. Anweisung SGT ist erlassen worden.Gilt für alle Mutanten. Nach Erledigung istAnweisung HT sofort zu befolgen.“

„Was?“ Gucky glaubte seinen Ohren nicht zutrauen, aber die Worte waren unmißverständlich. ZurKontrolle peilte der Mausbiber schnell das Schiff anund kontrollierte die Gedanken desSchiffskommandanten. Das Ergebnis bestätigte seineWorte. „Ausgerechnet! Was ist da passiert?“

„Keine Ahnung. Wann darf ich Sie an Borderwarten? Geben Sie Landekoordinaten durch, wennes soweit ist.“

„Ich melde mich“, sagte Gucky und schaltete denTelekom ab. Er sah in die fragenden Augen desDrechselpfeifers. „Du siehst es selbst,Buschschwanz, nicht einmal hier ist man vor Arbeitsicher.“

„Was bedeuten die Anweisungen?“ DerDrechselpfeifer war Telepath. Er hatte die Worte desKommandanten in Guckys Gehirn lesen können.„Etwas Unangenehmes?“

Gucky ließ sich Zeit mit der Antwort, aberwährend er nachdachte, blockierte er den Ausgangseiner Gedanken. Nun konnte sein Freund

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Buschschwanz herumschnüffeln, soviel er wollte, erfand nichts mehr heraus.

Und das war gut so, denn die beiden Anweisungenwaren geheim.

Besonders die erste, SGT, die nichts anderesbesagte, als sämtliche Transformkanonen im Umkreisvon eintausend Lichtjahren unbrauchbar zu machen.

Das wäre normalerweise eine niemals zubewältigende Aufgabe gewesen, wenn die Technikerder Erde und die Posbis keine Vorsorge getroffenhätten. Für den Ernstfall! Und der schien eingetretenzu sein.

Die Transformkanonen waren die beste undmächtigste Waffe der Terraner. Sie verschossen ihreKernbomben ähnlich wie die einstigenFiktivtransmitter und durchdrangen alleEnergieschirme. Sobald sie am Ziel materialisierten,detonierten die Gigatonnen-Atombomben undvernichteten jeden Gegner.

Während der Galaktischen Allianz hatten dieVerbündeten Terras solche Transformkanonenerhalten. Nun fiel das Bündnis auseinander, aberniemand würde eine solche Waffe freiwillig aus derHand geben. Ihre Konstruktion war so kompliziert,daß niemand sie nachzubauen verstand. Sie warenvon der Erde geliefert worden. Und man hatte eineSicherheitsschaltung eingebaut.

SGT besagte, daß diese Sicherheitsschaltungauszulösen sei.

Gucky schien wie aus einem Traum zu erwachen.„Hör zu, Buschschwanz, du bist Telepath. Ihr alle

seid Telepathen. Könnt ihr einen telepathischenBlock bilden?“

Der Drechselpfeifer sah Gucky verwundert an.„Erkläre es mir, Gucky. Du meinst, es sollten sich

mehrere von uns zusammentun und gemeinsam einenGedankenimpuls ausstrahlen?“

„Genau das meine ich! Ich werde den Impuls aneuch weitergeben, und ihr versendet ihn mit einemeinzigen, gewaltigen Energiestoß. Wenn das möglichist, erspart ihr mir eine Menge Arbeit. Aber ich habenicht viel Zeit...“

Der Drechselpfeifer, sonst meist nur verspielt undfür seine Kunstwerke lebend, schien den Ernst derLage zu begreifen, in die Gucky durch den Befehlgeraten war. Er sprang auf die Beine und raste davon,als wären die Bohrkranzhüpfer von Saggitarius hinterihm her. Sein schrilles Pfeifen alarmierte dieBewohner der Siedlung.

Gucky war mit dem Erfolg seiner Bitte zufrieden.Wenn die Pfeifer ihm halfen, war er einer großenSorge enthoben. Statt mit dem Schiff Kreise zufliegen und immer wieder den entsprechendenBefehlsimpuls abzustrahlen, konnte er dieAngelegenheit auf einen Schlag erledigen.

Die Drechselpfeifer waren einseitige Telepathen.

Sie empfingen nur sehr schwach, erreichten abererstaunliche Reichweiten im Senden. Ein Blockwürde für die tausend Lichtjahre im Umkreis reichen.

Gucky verzichtete auf die Teleportation undhoppelte langsam zum Versammlungsplatz derHolzschnitzer. Mindestens zweihundert derpossierlichen Geschöpfe tummelten sich dort bereitsund bestürmten den armen und nichtswissendenBuschschwanz vergeblich mit Fragen. Als Guckyendlich den Platz erreichte, wurde er das Opfer ihrerNeugier.

Geduldig wartete er ab, bis sich die ersteAufregung gelegt hatte, dann erklärte er ihnen seinenPlan, ohne den eigentlichen Zweck dertelepathischenÜbung zu verraten. Er sagte einfach, eri habe jemand eine dringende Botschaft '. mitzuteilen.

Die Drechselpfeifer waren sofort bereit, seinerBitte zu entsprechen. Nicht nur aus Freundschaft undAnhänglichkeit, sondern in erster Linie derwillkommenen Abwechslung wegen. Immer Baumefällen und bearbeiten war auf die Dauer auchlangweilig.

Sie bildeten einen großen Kreis und faßten sich beiden Vorderpfoten, um den Körperkontaktherzustellen. Gucky hockte in ihrer Mitte und gab dieAnweisungen. Er selbst hielt Kontakt mitBuschschwanz und einem anderen Drechselpfeifer.Dann war es soweit. Gucky war überzeugt, daß dieGedankenimpulse, durch zweihundert telepathischeGehirne verstärkt, noch weiter als tausend Lichtjahrereichen würden. Rein und sauber mußten sie an denzusätzlichen Mentalschaltungen derTransforrnkanonen ankommen und denMechanismus auslösen. Eine Explosion würde diegeheimen Waffen bis zur Unkenntlichkeit zerstören.

Einen Augenblick lang dachte Gucky an die Opfer,die der Befehl kosten wüide.

Dann wischte Gucky alle Bedenken beiseite. DerBefehl lag vor, und er diente der Sicherheit desSolaren Imperiums. Er entsprang dem Willen zurSelbstverteidigung. Es war, so besehen, Notwehr.

Der Impuls wurde abgestrahlt. Gucky wartete, bisder Planet Huwi eine halbe Umdrehung ausgeführthatte, dann wiederholte er die Sitzung. Er wolltesichergehen, daß die Masse des Planeten die Impulsenicht aufhielt. Dann rief er das Schiff herbei. Eslandete auf dem großen Platz am Rande des Waldes,dicht bei der Siedlung. Alle Drechselpfeifer fandensich ein, um Gucky zu verabschieden. Einigebrachten Geschenke mit, die der Mausbiber gerührtin Empfang nahm. Er versprach seinen Freunden,bald mit Iltu wiederzukommen.

Sobald einige Schwierigkeiten beseitigt waren.Noch ahnte Gucky nicht, um welche

Schwierigkeiten es sich da handelte. Er stieg in dasSchiff, winkte dem munteren Völkchen noch einmal

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zu und verschloß die Luke.Bald versank Huwi, der friedfertigste Planet der

Galaxis, in der Tiefe des Alls.Das Schiff nahm Kurs auf das heimatliche

Sonnensystem Sol.

*

Auf ähnliche Art und Weise gelangten auch diemeisten anderen Mutanten an Bord des neuenterranischen Flaggschiffs THORA, das weitaußerhalb der Plutobahn die Sonne umkreiste.

Die THORA hatte die Funktion der vernichtetenCREST übernommen und galt als der modernste undstärkste Supergigant der Menschheit. Mit seinenanderthalb Kilometer Durchmesser stellte es eineWelt für sich dar, und seine Bewaffnung bestand fastausschließlich aus Transformstrahlern, die jedenGegner, der einen Angriff wagen sollte, zerstörenkonnten. Die Schutzschirme der THORA warenundurchdringlich. Selbst die Flammenhölle einerNova hätte dem Schiff für kurze Zeit nichts anhabenkönnen.

Kommandant des Schlachtraumers war HiteTarum, ein Epsalgeborener.

Julian Tifflor und Allan D. Mercant saßen amKopfende des langen Tisches in der Offiziersmesse,die als Versammlungsraum eingerichtet worden war.Der letzte Mutant war eingetroffen. Der Großeinsatzkonnte beginnen.

Neben Tifflor hockte Gucky, dessen Nagezahnschon seit Tagen nicht mehr zu sehen gewesen war.Trotz seines Ernstes wirkte der Mausbiber immernoch lustig und verschmitzt. Er wußte, was Tifflor zusagen hatte, und er wußte schon, welche Lösung ervorschlagen würde.

John Marshall, der Leiter des Mutantenkorps, hatteneben Mercant Platz genommen. Neben ihm saßTako Kakuta, der Teleporter. Ras Tschubai und BettyToufry flüsterten miteinander und schwiegenplötzlich, als Tama Yokida ihnen einen fragendenBlick zuwarf. Die auffälligste Figur war derDoppelkopfmutant Iwan Goratschin, in diesem Kreisjedoch eine gewohnte Erscheinung, die nichtsAbstoßendes mehr an sich hatte. Ralf Märten, derTeleoptiker, saß ihm mit seiner Tochter Laurygegenüber. Sie war eine fähige Telepathin und besaßaußerdem noch die Fähigkeit, molekulareZusammenballungen einfach aufzulösen. Sie konnte,wenn sie wollte, durch die Wand gehen. WuriuSengu, der Späher, unterhielt sich leise mit SonOkura, dem Frequenzseher. Fast alle Mutanten warengekommen. Iltu allerdings fehlte. Sie hielt sich aufdem Mars auf und war dem Ruf nicht gefolgt. AlsTifflor Gucky um Aufklärung bat, hatte derMausbiber nur scheu gegrinst und etwas von

Familienangelegenheiten“ gemurmelt.Julian Tifflor klopfte auf den Tisch. Das

Gemurmel verstummte jäh. Er besaß nun die gleicheAutorität, die auch Rhodan entgegengebracht wordenwäre. Er war Rhodans Stellvertreter.

„Sie werden sich wundern, daß ich Sie so schnellrufen ließ, und ganz besonders wird Ihnen dieAnweisung SGT Kopfzerbrechen bereitet haben. DieErklärung ist recht einfach: Seit dem VerschwindenPerry Rhodans ist der Verfall des Reiches nicht mehraufzuhalten. Terra muß seine Kräfte auf engstemRaum konzentrieren. Bisherige Bündnisse verlierenihre Gültigkeit. Freunde von heute können morgenunsere Gegner sein. Daher erschien es nicht ratsam,eine andere Rasse im Besitz von Transformkanonenzu lassen. Sie wurden vernichtet.“

Er schwieg und schien auf eine Entgegnung zuwarten. Als keine erfolgte, fuhr er fort:

„ Wir wissen nun mit Bestimmtheit, daß Rhodanund seine Begleiter, die mit ihm verschwanden, amLeben sind. Sie wurden lediglich entführt. DieNachricht vom Tode der fünf Männer wurdeabsichtlich verbreitet, um das Chaos herbeizuführen.Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß dieMachthaber vonPlophos die Anstifter und Entführersind. Rufen wir uns kurz die Daten über sie insGedächtnis zurück.

Die Plophoser sind Terraner, die vor dreihundertJahren von der Erde auswanderten und den drittenPlaneten des Sonnensystems Eugal besiedelten,achttausendzweihunderteinundzwanzig Lichtjahrevon uns entfernt. Äußerlich haben sich die Plophosernicht verändert, aber innerlich entfernten sie sichimmer mehr von ihrer Abstammungs-rasse. Wirkönnen sie heute nicht mehr als Freunde betrachten.Es ist auch bekannt, daß die Plophoser stetseifersüchtig über ihre Rechte als Mitglieder dergroßen Sternfamilie wachten. Doch alles Wissennützt uns nichts, wenn keine konkreten Beweisegegen sie vorliegen. Es ist undenkbar, auch in deraugenblicklichen Situation, einfach auf einenVerdacht hin Plophos anzugreifen. Wir wollen estrotz unserer Stärke nicht mit den selbständigenPlanetenreichen verderben. Vielleicht benötigen wirspäter einmal ihre Unterstützung. Trotzdem glaubenwir zu wissen, daß die Plophoser etwas planen, undzwar gegen uns planen. Sie haben Rhodan und seinevier Begleiter entführt und die Nachricht von seinemTod verbreitet. Sie sehen zu, wie das Imperiumzerfällt. Die Frage ist: was bezwecken sie wirklich?“

Wieder legte Tifflor eine Pause ein. Sein Blickging von einem Mutanten zum anderen. Jeder gabden Blick offen und frei zurück, aber niemand sagteetwas.

Nach einer Minute sagte Tifflor: „Folgende Lageist entstanden: Rhodan, Bully und die anderen drei

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wurden gefangengenommen und entführt. IhrAufenthaltsort ist unbekannt, aber auf dem PlanetenPlophos existieren mindestens zwei Menschen, dieihn kennen. Es wird unsere Aufgabe sein, diesebeiden herauszufinden und zu einer Aussage zuzwingen. Das muß geschehen, ohne dieplophosischen Gesetze zu brechen.“

Es war ausgerechnet Gucky, der sich zu Wortmeldete. Er hatte es schon lange geplant, aber erstjetzt schien ihm die Gelegenheit dazu besondersgünstig.

„Die Plophoser sind nicht dumm, das dürftefeststehen. Wäre es nicht besser, einen guten Freundum Hilfe zu bitten? Einen Freund, der auch helfenkann, ohne daß wir ein Risiko eingehen?“

„Einen Freund?“ Tifflor sah Gucky erstaunt an.„Würdest du uns verraten, wen du damit meinst?“

„Den Unsterblichen von .Wanderer', Julian.“Tifflor schüttelte den Kopf.„Warum machst du Vorschläge, die nicht zu

verwirklichen sind? Du weißt, daß Wanderer nichtmehr existiert. Und ob ES noch existiert, ist einezweite Frage.“

„ES kann niemals sterben, Julian. Wenn wir ESrufen, wird unser Ruf nicht ungehört bleiben.“

Tifflor sah die anderen Mutanten an. Er entdeckteauf einigen Gesichtern Zustimmung, auf anderenSkepsis. Aber niemand schien gegen GuckysVorschlag zu sein. Leise beriet er sich mit Mercant,dann sagte er:

„Ein Vorschlag ist besser als keiner. Und einVersuch kann auch nie schaden. Wir werden also denUnsterblichen von Wanderer bitten, uns Rhodansuchen zu helfen. Und wie, Gucky, hast du dir dasvorgestellt?“

Gucky dachte an die Drechselpfeifer und mußteflüchtig grinsen. Sein Freund Buschschwanz würdestaunen, wenn er sähe, welche Schule sein Beispielmachte. Im übrigen war es keineswegs so neu, einentelepathischen Block zu bilden.

„Wir sind in der Lage, einen starken Block zubilden, Julian. Wir Telepathen mit den anderenMutanten. Wir senden den Ruf gemeinsam aus undverstärken ihn noch durch einen Simultanblockmehrerer telepathischer Gehirne. Wenn ES nochexistiert, dann wird es den Ruf auffangen, und zwarohne Zeitverlust.“

Tifflor nickte.„Ich erkläre mich mit Guckys Vorschlag

einverstanden, bezweifle aber den Erfolg. Sollte ersich allerdings einstellen, sind alle weiterenErörterungen sinnlos geworden. Erscheint ES jedochnicht, bleibt kein anderer Weg, als die Aktion gegenPlophos anlaufen zu lassen.“

Das würde, wenn auch nicht gleich den Krieg, sodoch einige Unannehmlichkeiten bedeuten. Nicht nur

für die Mutanten, sondern auch für die Erde.Iwan Goratschin brummte gemächlich:„Falls das mit Guckys Hilferuf nicht klappt, gehe

ich nach Plophos und nehme ihnen den Planetenauseinander.“

Niemand lachte. Iwan war durchaus in der Lageeinen Planeten „auseinanderzunehmen“, wie er sichausdrückte. Er war ein Zünder, und wenn er wollte,konnte er nicht nur Planeten in atomaren Zündstoffverwandeln und explodieren lassen.

Der telepathische Block war schnell gebildet, unddann begann die anstrengende Sitzung. Die THORAeilte inzwischen weiter auf ihrer Bahn um die Sonne,ein Vorposten für Terra und eine Welt für sich.

Eine starke und mächtige Welt, in der mehr alszweitausend Menschen lebten.

Ohne jeden Zeitverlust ging der Ruf aus,durchdrang alle Mauern aus Raum und Zeit underreichte, rein theoretisch, das Ende des Universumsin derselben Sekunde, in der er von den Telepathengemeinsam formuliert wurde.

Tifflor und Mercant saßen abseits. Sie sprachennicht, um die Konzentration der Mutanten nicht zustören. Sie wußten, wie anstrengend es war, einentelepathischen Ruf abzustrahlen. Sie wußten aberauch, daß schon einmal ein solcher Ruf Erfolg gehabthatte.

Und dann, auf einmal, saß noch jemand in demRaum, der vorher nicht da gewesen war.

Er war alt, sehr alt, und ein Mensch wie sie. Ertrug einen farbigen Umhang, der von einem goldenenGürtel gehalten wurde. Ein wallender Bart reichte bishinab zur Brust, und seine Augen schienen in dieEwigkeit zu blicken. Elsaß plötzlich am anderenEnde des langen Tisches.

Die Mutanten sahen sich scheu um und lösten denBlock auf. Einer nach dem anderen kehrten sie anden Tisch zurück. Gucky sagte kein Wort, als er sichneben Tifflor setzte aber in seinen braunen Augenglomm es triumphierend auf.

„Ihr habt mich gerufen?“ fragte der alte Mann mitmelodischer Stimme. „Wahrscheinlich soll ich euchhelfen, die fünf verschwundenen Heldenwiederzufinden, weil ihr euch keinen Rat mehr wißt.Stimmt das?“

Tifflor nickte bedächtig. Er wußte, daß er jetztkeinen Fehler machen durfte. Der Unsterbliche warunberechenbar und liebte makabre Scherze. Niemandwußte genau, wie er wirklich zur Menschheit stand,aber sicherlichwar er das mächtigste Wesen desUniversums. Er war ein Wesen, das jenseits von Zeitund Raum lebte.

Heute hatte er die Gestalt eines Menschenangenommen. Er hätte genauso gut als flammendeKugel oder als Ratte erscheinen können.

„Wir erbitten deine Hilfe. Rhodan wurde entführt,

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und mit ihm vier andere Männer. Atlan, Reginald...“„Ich weiß“, unterbrach ihn der Unsterbliche grob.

„Verschwenden wir keine Zeit...“ Er lachte dröhnend.„Als ob Zeit für mich eine Rolle spielen würde!“ Erwar sofort wieder ernst und sah Tifflor an. „Aber füreuch spielt sie eine Rolle. Eine sehr große Rollesogar.“

„Nenne uns den Aufenthaltsort Rhodans“, batTifflor. „Mehr verlangen wir nicht von dir. Sage uns,wo Rhodan ist, damit wir ihn befreien können. Undverrate uns, wer ihn entführte.“

Der alte Mann schüttelte den Kopf.„Um es gleich zu sagen: Ich werde euch nicht

helfen. Nicht noch einmal! Schon damals war es einFehler, den Ablauf der Zeit korrigieren zu wollen.Ein zweitesmal darf es nie den gleichen Fehlergeben. Rhodan wurde entführt - gut. Er lebt - besser!Doch finden müßt ihr ihn selbst.“

„Du weißt also, wo er ist.“„Ja, ich weiß es.“„Ein Wort von dir, und wir...“„Halt!“ Der alte Mann hatte sich erhoben. Seine

hohe Gestalt flößte Respekt ein, unwillkürlich, auchwenn man sich dagegen sträubte. „Mein Entschlußsteht fest, daran kann nichts geändert werden. Ichhabe Rhodan, als er das Erbe der Arkonidenübernahm, Zwanzigtausend Jahre Zeit gegeben, dieGalaxis zu einigen. Knapp dreihundert Jahre sindvergangen, und was hat er erreicht? Einen Teil derGalaxis, einen verschwindend kleinen Teil, konnte erzusammenhalten. Dann wird er entführt, und allesfällt wieder auseinander. Unter Einigung verstand ichetwas anderes. Ein wahrhaft galaktisches Reich,einen Zusammenschluß aller bewohntenSonnensysteme dieser Milchstraße, das befähigt seinwürde, mit anderen Galaxien Kontakt aufzunehmen.Ein Imperium, das nicht nur den Raum, sondern auchdie Zeit beherrscht. Eine Macht, die selbst derEwigkeit Trotz zu bieten vermag. Das war es, wasich von Rhodan erhoffte. Und was finde ich vor? EinHäuflein verzagter Menschen, die mich um Hilfebitten, weil ihr Herr und Gebieter entführt wurde.“

Er setzte sich wieder hin.Tifflor sagte ruhig:„Es ist nicht unser Ehrgeiz, andere Völker und

Rassen bedingungslos zu beherrschen. Ein Imperiumauf der Grundlage freiwilligen Zusammenschlusses -dann ist es gut. Aber Macht und rohe Gewalt...? Ichkann mir nicht vorstellen, daß du damit einverstandenwärest. Oder bist du es?“

„Man kann auch ohne Gewalt herrschen.“„Rhodan versuchte es, aber es gelang ihm nicht. Er

ist in Not, und schon haben ihn seine bisherigenFreunde verlassen. Und, wie ich feststelle, verläßtauch du ihn.“

Gucky sprang auf seinen Stuhl und kletterte auf

den Tisch. Unerschrocken watschelte er auf denUnsterblichen zu und blieb dicht vor ihm stehen.

„Wir sind alte Freunde, wenn du dich erinnernkannst. Wenn ich dich bitte, uns zu helfen, würdedich das umstimmen können?“

„Nein, auf keinen Fall.“Die Stimme des Unsterblichen verriet Ungeduld.Gucky sagte patzig:„Weißt du was, alter Mann? Dann läßt du es eben

sein! Ich kenne jemand, der uns gern hilft, und er istmächtiger als du, der du damals vor einer Gefahrgeflohen bist, mit der wir spielend fertig wurden. Duhast vor einem Phantom Angst gehabt, mein Lieber.Und wahrscheinlich hast du heute wieder Angst, unszu helfen. Wolltest du nicht gehen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Gucky sichum und ging an seinen Platz zurück. Mit einemSeufzer der Erleichterung rutschte er auf seinen Stuhlherab.

Als er in Richtung des Tischendes sah, bemerkteer, daß der alte Mann verschwunden war.

Es war, als habe er sich in Luft aufgelöst.Tifflor sagte vorwurfsvoll:„Das hast du nun davon, Gucky! Vielleicht hätten

wir ihn doch noch umstimmen können und ...“„Den Unsterblichen und umstimmen?“ Gucky

lachte piepsend. „Niemals, Julian. Er hatte seineGründe, wenn auch andere, als ich ihm vorwarf. Erwollte uns nicht helfen, also war esZeitverschwendung, sich länger mit ihm zuunterhalten.“

„Also gut.“ Tifflor sah Mercant an, der sich erhobund sagte:

„Ich werde Ihnen jetzt unseren Plan erläutern,damit Sie...“

„Einen Augenblick!“ Gucky war abermals auf denTisch gesprungen und marschierte nun auf die beidenMänner am Kopfende zu. „Ich habe noch einenzweiten Vorschlag zu machen. Hast du etwasdagegen, Julian, wenn wir noch einmal einen Blockbilden?“

„Wen willst du denn jetzt um Hilfe bitten?“„Harno.“Tifflor starrte den Mausbiber an.Harno! Das Wort

weckte vage Erinnerungen in ihm, aber es dauertevolle drei Sekunden, ehe er sich besinnen konnte. \

„Die Fernsehkugel! Und wo ist sie jetzt?“„Irgendwo dort draußen.“ Gucky deutete gegen die

Decke. „Er wird uns bestimmt nicht enttäuschen.“Tifflor warf Mercant einen fragenden Blick zu.

Der Chef der Abwehr zuckte die Schultern und setztesich wieder. Seine Miene drückte soviel aus wie: Na,auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nunauch nicht mehr an.

Harno war eigentlich ein noch seltsameres Wesenals der Unsterbliche. Er war eine Kugel von einem

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halben Meter Durchmesser, wenn er es nicht geradevorgezogen hatte, in Rhodans Tasche zu verweilen.Er bestand aus purer Energie, die vongeheimnisvollen Kräften zusammengehalten wurde.Harno war ebenfalls unsterblich und zeitlos. Er besaßdie Fähigkeit, jeden Punkt des Universums optischauf seine Oberfläche zu bannen.

Die Mutanten stellten wieder eine geistige Einheither.

Wieder ging der telepathische Ruf hinaus in Raumund Ewigkeit.

Eine Stunde verging, aber Harno meldete sichnicht.

Tifflor und Mercant warteten. Sie sahen auf dieUhr, nickten sich zu.

„Geben wir ihnen noch fünf Minuten“, flüsterteMercant.

Tifflor schloß die Augen.Er spürte plötzlich die ungeheure Verantwortung,

die Rhodan seit mehr als dreihundert Jahren getragenhatte. Wie hatte er das überhaupt aushalten können,ohne den Verstand zu verlieren? Er, Tifflor, war erstseit Tagen an seiner Stelle, aber ihm schienen esbereits Jahrtausende zu sein.

„Harno hat sich gemeldet!“ rief Gucky plötzlichund unterbrach die Stille des Raumes und damit auchdie Sitzung de* telepathischen Blocks. „Er hat sichgemeldet und gesagt, wir sollten ein wenig Geduldhaben.“

„Gucky hat recht“, pflichtete John Marshall bei.„Ich habe die Botschaft ebenfalls empfangen.“

Die anderen Telepathen bestätigten es.Alle nahmen ihre Plätze wieder ein. Bald würde

die Entscheidung gefällt und die Ungewißheitvorüber sein.

Aber es vergingen noch endlos erscheinende zweiStunden, ehe Harno sein Versprechen wahrmachte.

Mitten im Raum schwebte plötzlich die schwarze,schimmernde Kugel, die alles Licht verschluckte.Das Schimmern kam von innen heraus. Seltsam war,daß sich die Decke der Messe verwandelte und zueinem dunklen Nichts wurde, unter dem Harnovibrierend stand.

Wie immer teilte sich das, was das Energiewesenzu sagen hatte, seinen Partnern telepathisch mit. ImGegensatz zu dem Unsterblichen nahm es niemalseine andere Gestalt an, und es war fraglich, ob esdazu überhaupt in der Lage war.

„Seid nicht enttäuscht, wenn es lange dauerte, aberich kann nicht selbst kommen. Was ihr seht, ist nichtsals eine Projektion. Ich sehe euch und kenne eureSorgen, aber ich werde euch nicht helfen können.“

Gucky starrte Harno an.„Du kannst uns nicht helfen...? Du willst nicht!“„Nein, ich kann nicht“, entgegnete Harno für alle

verständlich. „Ich weiß nicht einmal, wo Rhodan

jetzt ist, und wenn ich es wüßte, dürfte ich es euchnicht mitteilen. Ich bin zu weit von euch entfernt, umeingreifen zu können. Eine Rückkehr in eure Zeitwäre umständlich und gefährlich. Der Raum, in demich mich aufhalte, ist fremd und auf vielschichtigeWeise fern. Er existiert erst dann, wenn das Ende derZeit gekommen ist. Das aber ist erst dann der Fall,wenn aller Raum verbraucht ist. Ich kann euchzeigen, wie es hier aussieht. Wartet...“

Die schimmernde Oberfläche veränderte sich,dehnte sich aus, bis Harno eine Kugel von drei MeterDurchmesser war. Gucky konnte sich erinnern, aufihr schon ferne Milchstraßen und fremdeSonnensysteme gesehen zu haben, denn sie wirktewie ein Bildschirm. Heute aber blieb sie schwarz,genauso schwarz wie die Decke der Messe. DieKugel hob sich kaum dagegen ab.

„Wir sehen nichts“, sagte Gucky enttäuscht undfragte sich, wie es wohl möglich sei, daß Harno ihnverstand, wenn die Kugel gar nicht Harno, sondernnur eine Projektion war. Konnten die GedankenRaum und Zeit so schnell überwinden? Konnten siebis ans Ende der Zeit und darüber hinaus vordringen?Gab es keine Grenze für den Gedanken? „Wir sehennur deine dunkle Oberfläche, sonst nichts.“

„Du kannst auch nichts anderes sehen, weil es hierund jetzt nichts anderes mehr als Zeit gibt. Zeit aberist nicht sichtbar. Alle Materie, alle Galaxien undSterne, haben sich in Zeit umgewandelt. Der Raumist zu Zeit geworden. Zeit ist das letzte, was es gibt.Der neue Zyklus beginnt. Am Ende der Schöpfungsteht der neue Anfang.“

Niemand sagte etwas. Harnos Mitteilung ließ keineEntgegnung mehr zu.

Schließlich war es Gucky, der fragte:„Harno, du weißt, welches Problem wir haben.

Rhodan ist verschwunden, das Imperium zerfällt. Wirmüssen Rhodan, der auch dein Freund ist, finden.Ehe es zu spät ist! Warum kommst du nicht zu uns?Was bedeuten schon Umstände, wenn das Leben desMannes auf dem Spiel steht, der auch dich aus deinerewigen Einsamkeit befreite und zu dem machte, wasdu heute bist...?“

„Es sind nicht allein die Umstände“, gab Harno zu.„Es gibt Gesetze, die ich nicht mißachten darf.“

„Die Gesetze des Unsterblichen von Wandereretwa?“

„Nein, denn es gibt Mächtigeres als ihn. Ihr kenntsie nicht, aber eines Tages werden sie auch euchbegegnen. Sie verbieten jedes Eingreifen in dieGeschicke des Universums. Sie kennen die Folgen,denn sie leben am Ende der Zeit und haben denÜberblick über alle möglichen Existenzebenen. Siewissen auch, was in eurem Fall geschieht, und wennes etwas Furchtbares wäre, das unser Universumzerstört, würden sie eingreifen. Sie greifen aber nicht

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ein, also wird auch das Universum weiterbestehen.“„Und Rhodan ...?“„Rhodan ist nur ein Rädchen in der Maschinerie

des Universums und der Ewigkeit, Gucky. Notfallsein Rädchen, das zu ersetzen ist. Es tut mir leid, aberich kann und darf nicht helfen. Glaube mir, ich täte esgern, aber ich bin zu weit vorgestoßen. Ich weißzuviel. Wäre ich in deiner Zeit geblieben ...“

„Schon gut, Harno. Ich weiß, daß du nicht anderskannst. Wir müssen versuchen, uns selbst zu helfen.Wann kehrst du zu uns zurück? Wirst du überhauptwiederkommen können?“

„Vielleicht, Gucky. Doch noch einen Rat möchteich dir und den anderen geben: Eines Tages werdetihr den Sprung über den Sternenabgrund wagen undzu einer anderen Galaxis vorstoßen. Wahrscheinlichwird es Andromeda sein. Wenn das geschieht, werdetihr jemand begegnen, der mich kennt und der mit mirdas Ende der Zeit sah. Er erwartet euch. Er sah dieVergangenheit und erweiß, daß Rhodan kommenwird. Ich glaube, ihr habt verstanden ...?“

„Dann wird es Rhodan sein, der Andromedaerreicht?“ Gucky war aufgesprungen und sah zurDecke empor, die allmählich ihre ursprünglicheFarbe zurückerhielt. Langsam verblaßte diedreidimensionale Projektion der Kugel. DieGedankenimpulse waren nur noch schwach.

„Ja, es wird Rhodan sein“, sagte Harno, dann warer verschwunden.

Gucky ließ sich auf den Stuhl zurücksinken.„Jetzt wissen wir, daß Rhodan lebt und gerettet

werden wird.“ Er sah Tifflor an. „Wir werden ihnbefreien, welchen Plan auch immer du vorschlägst.Harno hat uns einen winzigen Blick in die Zukunfttun lassen. Mehr konnte er für uns nicht tun.“

Tifflor nickte Mercant zu. Mercant stand abermalsauf.

„Ich werde Ihnen jetzt meinen Plan erläutern...“

2.

Zwei Lichtjahre von der Sonne Eugaul entfernt,verankerte Hite Tarum die THORA unbeweglich imRaum. Die Kraftfelder zweier weit entfernterSysteme hielten sie fest, und ihre einzige Bewegungwar die Rotation der Milchstraße.

Das kleine Kurierschiff wurde startklar gemacht.Der Plan stammte nicht allein von Tifflor und

Mercant, sondern in erster Linie von „Nathan“, demriesigen Positronengehirn in den Kavernen desErdmondes. Es hatte alle verfügbaren Datenausgewertet und war zu der Erkenntnis gekommen,daß nur ein direkter Großeinsatz der Mutanten denAnfang einer Spur ergeben konnte, die schließlichund endlich zu Rhodan führen mußte. Die Spurbegann auf dem Planeten Plophos, auch das war klar.

Als Kurierschiff wurde eine „Gazelle“ verwendet,ein Diskus mit fünfunddreißig Metern Durchmesser.Sie hatte fünf Mann Besatzung und konnte notfallsbis zu fünfzig Passagiere aufnehmen.

Kommandant der Gazelle war Homunk, derhalborganische Roboter vom Planeten „Wanderer“,den der Unsterbliche Rhodan vor seinemVerschwinden geschenkt hatte. Homunk waräußerlich nicht von einem Menschen zuunterscheiden, reagierte auf jeden Befehl im SinneRhodans und behauptete, für ihn gäbe es keineUnmöglichkeiten. Es war für Tifflor ein gewissesRisiko, ihn zum Kommandanten eines Schiffes zumachen und zum Vorgesetzten von Menschenwerden zu lassen, aber der Robot hatte sich in denSchwierigkeiten der vergangenen Monate alszuverlässiger Freund erwiesen.

Vier ausgesuchte Offiziere der Flotte wurden ihmals Besatzung zugeteilt, Männer, auf die Verlaß warund von ihrer Verantwortung wußten. Die CaptainsTetmal und Thomas übernahmen die Funktionen vonNavigator und Funker, die Leutnants Berg und Raftteilten sich Waffenzentrale und Antrieb.

Die Passagiere waren die Mutanten. 'Tifflor und Mercant waren in die Ladeluke der

THORA gekommen, um dem Start beizuwohnen. DieSonne Eugaul war ein heller Stern auf denBildschirmen, zwei Lichtjahre entfernt. Für dieGazelle kein Problem, denn sie war mit Hyperantriebausgerüstet und würde die Strecke mit einemeinzigen Sprung zurücklegen.

Tifflor hielt John Marshall, der offiziell als Leiterdes Unternehmens galt, am Ärmel fest.

„Wichtig ist vor allen Dingen, daß die Plophoserkeinen Verdacht schöpfen. Äußerste Vorsicht waltenlassen, John! Niemand darf ahnen, daß hauptsächlichMutanten an Bord sind. Ich weiß nicht, wer deraugenblickliche Regierungschef auf Plophos ist. Dievorhandenen Unterlagen lassen vermuten, daß es sichum eine Diktatur handelt, also ist doppelte Vorsichtgeboten. Konstantins Tod beweist einwandfrei, daßwir es mit skrupellosen Gegnern zu tun haben. GebenSie vor, die Handelsniederlassungen der Erdebesuchen zu wollen. Ein Vorwand dafür wird sichschon finden lassen. Landen Sie auf dem Raumhafender Regierungsstadt. Capital-City, glaube ich. DieUnterlagen sind ungenau. Eine andere Möglichkeitwäre, daß die Plophoser ihre Hauptstadt alle paarJahre umbenennen, um Verwirrung zu stiften. Siewerden sie schon finden. Setzen Sie vor allen Dingendie Telepathen ein. Wenn Rhodans Entführung vomGeheimdienst der Plophoser vorbereitet unddurchgeführt wurde, weiß die Regierung Bescheid.Wenn es auf Plophos eine Spur gibt, beginnt sie imBegierungspalast.“

John Marshall gab Tifflor die Hand.

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„Machen Sie sich keine Sorgen, Julian. Wirkennen unsere Aufgabe und werden sie lösen. DerNotimpuls wird nur dann abgestrahlt werden, wennes unbedingt notwendig ist. Dann können Sie mit derTHORA eingreifen.“

Marshall lächelte, als er in die kleine Schleuse derGazelle stieg. Er winkte Tifflor noch einmal zu, dannverschwand er im Innern des kleinen Schiffes.Automatisch schloß sich hinter ihm die Luke.

Fünf Minuten später schoß die Gazelle aus demriesigen Leib der THORA und verschwand inRichtung der Sonne Eugaul im Raum.

Tifflor sah ihr auf den Bildschirmen nach, bis sienicht mehr zu sehen war.

Nur die Sterne funkelten noch im All, aber siegaben keine Antwort auf die tausend Fragen, dieTifflor ihnen stellte.

Die THORA und alle, die in ihr waren, warteten.Die nächsten Stunden und Tage würden

entscheiden, ob es auch in Zukunft einen PerryRhodan geben würde oder nicht.

*

Iratio Hondro war etwa zweiundfünfzig Jahre alt,von mittelgroßer Gestalt und breit und wuchtiggebaut. Das krause Haar war grau und bedeckte deneckigen Schädel. Seine Augen waren fast schwarzund strahlten eine eisige, unbarmherzige Kälte aus.Auf seiner Brust unter der engsitzendenUniformjacke preßte sich ein Zellaktivator gegen dienackte Haut - einer jener Zellaktivatoren, die Rhodanniemals gefunden hatte. Er machte seinen Trägerunsterblich.

Hondro war der Diktator von Plophos, der„Obmann“, wie er sich selbst nannte. Seine Machtwar unbegrenzt, aber er wollte mehr. Tief in seinemInnern brannte der grenzenlose Haß gegen dasImperium, und er war fest entschlossen, ihm denTodesstoß zu versetzen.

Hondro war nicht nur grausam, sondern auch klug.Er war ein Mensch, und seine Vorfahren waren vordreihundert Jahren von der Erde zu diesem Planetengekommen. Als Mensch gehörte er zu dentatkräftigsten, entschlossensten und notfalls auchbrutalsten Lebewesen der Galaxis. Hinzu kam, daß erein ganz besonderes Exemplar dieser erstaunlichenRasse war. Er hatte es fertiggebracht, sich zumDiktator des autarken Planeten Plophos zu machen,zum uneingeschränkten Herrscher über Leben undTod von vielen Millionen Menschen.Von seinemVorgänger hatte er das Geheimnis der Machtübernommen. Seine engsten Mitarbeiter waren ihmergeben, ob sie wollten oder nicht. Sie erhielten,wenn sie in seinen Dienst gepreßt wurden, eineInjektion mit einem nach vier Wochen tödlich

wirkenden Gift, das von den Aras entwickelt wordenwar. Aber es gab ein Gegengift, das nur Hondrobesaß. Wenn er es dem Betreffenden nach Ablaufdieser verhängnisvollen vier Wochen nicht injizierte,starb er unter großen Qualen. So kam es, daßHondros Herrschaft über Leben und Tod keine bloßeRedensart, sondern grausame Wirklichkeit war, Auchseine Freunde erhielten das Gift.

Und Etehak Gouthy war sein Freund.Gouthy war der Oberbefehlshaber der

Geheimpolizei auf Plophos, die auch Konstantinaufgespürt und erledigt hatte. Sie war identisch mitder sogenannten „Blauen Garde“, die mitSpezialaufgaben betraut wurde. Die Männer der„Blauen Garde“ trugen blaue Uniformen imKombischnitt. Auf ihrer Brust, dicht unter demHerzen, war ein rotes V zu sehen.

Hondro und Gouthy saßen sich gegenüber. Siemaßen sich mit Blicken von Männern, die beidewußten, was sie gegenseitig von sich hielten.

„Wirklich großes Pech“, sagte Hondro, „daß dieGefangenen entflohen sind - aber in der HauptsachePech für sie selbst. Niemand außer mir kennt dasGegengift. Sie werden sterben, wenn sie die Injektionnicht rechtzeitig erhalten. Wir hätten uns übrigensfrüher um die Rebellen auf Greendoor kümmernsollen.“

„Neutralisten nennen sie sich.“„Na und?“ Hondro warf seinem Vertrauten einen

wütenden Blick zu. „Wo ist da der Unterschied? Wersich zu meiner Politik neutral verhält, ist automatischmein Gegner. Die Garde wird sie ausräuchern, sobaldZeit dazu ist.“

„Schon alle nach Greendoor unterwegs, Hondro.Keiner von den Halunken wird übrigbleiben.“

Hondro lächelte kalt. Sein Blick ging durchGouthy hindurch, als er fragte:

„Wann ist eigentlich deine nächste Injektion fällig,Etehak?“

Der Mann, der dem Diktator gegenübersaß, wurdebei der merkwürdigen Betonung der Frage blaß. Ergab den Blick aber ebenso kalt zurück.

„In zwei Wochen, Hondro. Was soll die Frage? Duweißt so gut wie ich, daß die Injektion bei mir einereine Formsache ist. Ich bin dir treu ergeben, unddein Schicksal ist auch mein Schicksal. Undumgekehrt.“

„Umgekehrt? Was soll das heißen?“„Sollte mir etwas geschehen, Hondro- angenommen, das Gift wirkte und ich stürbe.

Was glaubst du, was die Garde dazu sagen würde?Nicht alle haben die Giftinjektion erhalten. Es sindgenug da, die ohne deine rettende

Hand weiterleben werden. Ihnen wäre es nichtrecht, wenn ihr Chef plötzlich durch einen Fremdenersetzt würde. Sie haben sich an mich und meine

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Befehle gewöhnt.“Hondro lächelte noch immer.„Es war nur ein Scherz, Etehak. Seit wann hast du.

nichts mehr für Scherze übrig?“„Oh, ich liebe den Humor, Hondro. Aber ich liebe

keine Andeutungen und keine Zweifel an meinerAufrichtigkeit. Ich habe in den Jahren, in denen ichdie Geheimpolizei und die Garde befehlige, nochkeinen Fehler gemacht und ...“

„Die Flucht Rhodans war ein Fehler, EtehakGouthy! Ein Fehler, der auf das Versagen der BlauenGarde zurückzuführen ist, wenn man es genaueranalysiert. Für die Garde aber bist allein duverantwortlich.“

„Du willst doch damit nicht sagen ...?“„Nur ein Scherz, lieber Gouthy, das erwähnte ich

bereits. Vielleicht ein kleiner Hinweis, in Zukunftetwas vorsichtiger zu sein. Deine Leute sollten bessergeschult werden. Vielleicht wäre die Giftinjektion füralle angebracht, ohne Ausnahme.“

Gouthy wollte etwas erwidern, aber er wurdedurch das plötzliche Summen einesNachrichtengerätes daran gehindert, das auf demTisch stand.

Hondros Gesicht verzog sich zu einem Grinsen,während er auf den Knopf neben dem kleinenBildschirm drückte.

„Sicher eine der unzähligen Routinemeldungen,mit denen man mir das Leben schwer macht.“

Auf dem Schirm erschien das Gesicht einesMannes. Es wirkte neutral und nichtssagend.

„Obmann, eine wichtige Meldung.“Hondro nickte.„Dann raus damit!“„Ein Schiff von Terra, Obmann. Es hat um

Landeerlaubnis gebeten.“Hondro warf Gouthy einen schnellen Blick zu. Der

Chef der Geheimpolizei zuckte mit den Schultern,aber in seinen Augen war auf einmal ein wachsamesFunkeln getreten. Seine Züge wurden hart.

Terra! Das Wort bedeutete Ärger, wenn nichtmehr.

Hondro mochte ähnlich denken.„Was für ein Schiff? Ein Schlachtschiff oder gar

mehrere?“„Nur ein kleines Kurierschiff, Obmann. Der

Kommandant hat bei der Bitte um Landeerlaubnishinzugefügt, daß es sich um eine handelstechnischeMission handelt. Was soll ich dem Leiter desRaumhafens für Anweisungen geben?“

„Warten!“ Hondro sah Gouthy an. „Nun, wasmeinst du? Ein Schiff von der Erde... merkwürdig,nicht wahr? Ob sie einen Verdacht gegen uns haben?Eigentlich doch wohl kaum möglich.“

„Wir vermuten, daß dieser Agent vor seinem TodGelegenheit hatte, eine Nachricht abzustrahlen.

Vielleicht war es die Nachricht, daß wir Rhodanentführten.“

„Unsinn! Niemand wußte davon. Ich bin eher derMeinung, daß es sich bei dem Kurierschiff um einenzufälligen Besuch handelt. Trotzdem wollen wirvorsichtig sein und keinen Verdacht erregen.“ Erwandte sich wieder dem Bildschirm zu. „Das Schiffvon Terra kann landen.“

Als der Schirm dunkel war, fragte Gouthy:„Ist der Kerl in der Zentrale verläßlich?“„Er ist es“, lächelte Hondro eisig. „Oder glaubst

du, er könne auf das Gift verzichten?“„Oh, natürlich. Das hatte ich fast vergessen.“„Niemand sollte es jemals vergessen“, warnte

Hondro zweideutig. Er lehnte sich vor und stützte daseckige Kinn in die Hände. „Gouthy, du wirst dafürsorgen, daß die Terraner sich hier auf Plophosungehindert bewegen können. Lasse sie unauffälligbeschatten und achte darauf, daß du keinen einzigenaus den Augen verlierst. Du hast genug Agenten, diesich um sie kümmern können. Aber die Terranerdürfen keinen Verdacht schöpfen, das wiederhole ichhiermit! Das terranische Konsulat ist mir auch schonlange ein Dorn im Auge. Meiner Meinung nachnichts als eine getarnte Spionagezentrale für dasImperium. War es dir immer noch nicht möglich,wenigstens in den wichtigsten Räumen Abhöranlagenunterzubringen?“ Sie wurden immer gleich entdeckt.„Natürlich, dumm sind die Terraner ja nicht. Ichnehme an, die sogenannte Handelsmission, oder wiesie sich nennt, wird auch das Konsulat aufsuchen.Immer beschatten, Gouthy. Ich muß wissen, ob dieLeute etwas mit den Nachforschungen nach Rhodanzu tun haben. Sollte das der Fall sein; wird es an unsliegen, ihren Verdacht zu zerstreuen.“

„Du kannst dich auf mich verlassen“, versprachGouthy und erhob sich.

Hondro blickte ihm kaltlächelnd nach und sagte:„Das, beruht ganz auf Gegenseitigkeit, mein lieber

Etehak.“ Dann war er allein.Finster starrte er auf die geschlossene Tür.Er saß inmitten des Regierungspalastes, von

dicken Mauern, elektronischen Abschirmungen undtreu ergebenen Leibwächtern umgeben, aber er fühltesich auf einmal nicht mehr sicher.

Rhodan war ein Gegner, der nicht zu unterschätzenwar.

Auch dann nicht, wenn er in Gefangenschaftgeriet.

Und auch dann noch nicht, wenn er schon so gutwie tot war.

Der geringste Fehler würde ihm, Iratio Hondro,den sicheren Tod bringen.

Auch wenn er unsterblich war.

*

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Die Landeerlaubnis ließ auf sich warten.In geringer Höhe stand die Gazelle über dem

Raumhafen von Capital-City Homunk saß hinter denKontrollen steif und ohne sich zu rühren. In seinenmenschlichen Augen funkelte es abwartend. Seinbiopositronisches Gehirn wurde im Notfall schnellerals jedes terranische Gehirn reagieren. Es würdeblitzartig Entscheidungen treffen können. AufHomunk war Verlaß.

John Marshall, Gucky und Ras Tschubai saßenhinter Homunk auf der Liege m der Zentrale. TakoKakuta lehnte an der Wand.

„Du würdest auffallen wie ein bunter Hund“, sagteMarshall und versuchte zu grinsen. „Oder glaubst du,die Plophoser hätten noch nie etwas von Guckygehört?“

Der Mausbiber sah sich in die Enge getrieben.„Ich habe nichts gegen Hunde, aber du solltest

mich nicht mit einem vergleichen, John. Außerdemprotestiere ich energisch dagegen, untätig in derGazelle zu hocken, wenn es um Rhodans Befreiunggeht. Ras kann mich ja als zahmen Maulaffen odersowas mitnehmen. Das fiele nicht auf.“

„Dann schon lieber als eine Art Hund“, schlugTako Kakuta vor.

Gucky warf ihm einen wütenden Blick zu.„Laß die Mätzchen, Tako! Ich bin weder - noch!“Marshall schüttelte den Kopf. „So kommen wir

nicht weiter! Wenn wir eine Landeerlaubnis erhalten,müssen wir ganz legal vorgehen. Die Plophoserdürfen auf keinen Fall bemerken, daß wir Mutantensind. Gucky, du bleibst hier! Du wirst nur im Notfalleinspringen. Ras und Tako werden mich begleiten.Und zwar aus gutem Grund, Kleiner. Ich binTelepath und kann mich umhören. Tako und Raskönnen mich und sich jederzeit in Sicherheit bringen,wenn etwas schief gehen sollte. Wir bleiben inständigem telepathischem Kontakt mit dir. Wenn wirin eine Falle geraten, mußt du die notwendigenSchritte unternehmen. Klar?“

Gucky überlegte eine Sekunde, dann nickte er.„Also gut - klar! Aber das sage ich dir: Wenn die

Plophosen auch ohne meine markante Erscheinungmerken, wo der Hase im Pfeffer liegt, wasche ichmeine Hände in Unschuld. Ist das auch . klar?“

„Erstens heißen sie Plophoser, und zweitens istauch das klar.“

„Mir egal, ob Hosen oder...“Er verstummte jäh, als der Telekom summte. Auf

einem Bildschirm erschien das Gesicht einesMannes. Es wirkte maskenhaft starr. Mit tonloserStimme sagte er:

„Die Regierung von Plophos erteilt hiermitLandeerlaubnis. Ihr Schiff hat nach denAnweisungen der Hafenkontrolle niederzugehen. DieBesatzung hat an Bord zu bleiben. Warten Sie

weitere Anweisungen ab.“„Danke“, sagte Homunk trocken.Der Schirm erlosch.Marshall räusperte sich.„Wir haben uns umsonst gestritten. Warten wir ab,

was weiter geschieht. Ich habe das Gefühl, dieBrüder riechen den Braten.“

Schweigend sahen sie zu, wie Homunk dieKontrollen bediente und nach den Funkanweisungenlandete. Sanft setzte die Gazelle am Rande desRaumfeldes auf. Das Summen des Antriebes erstarb.

Homunk ließ die Außenkameras für dieBildübermittlung langsam in den Drehkränzenrotieren. Sie gaben einen umfassenden Überblicküber das Gelände.

Auf der einen Seite lag das Raumfeld. Es warennicht viele Schiffe zu sehen, vor allen Dingen keineKriegsschiffe. Einige altmodische Frachter standenganz in der Nähe. Sie besaßen noch keinenLinearantrieb. Die flachen Bauten der Verwaltungwaren kaum zweihundert Meter entfernt, und vonihnen aus ließ sich leicht kontrollieren, ob jemand dieGazelle verließ.

Im Hintergrund zeichnete sich die Silhouette derStadt ab. Hinter dem Elektrozaun gleich neben demLandeplatz erstreckten sich weite Felder bis zumHorizont. Man sah Kolonnen vonBodenbearbeitungsmaschinen, die sich in langenReihen dort bewegten und ihrer Tätigkeitnachgingen.

„Friedliche Gegend“, murmelte Gucky und hatteganz kleine Augen. „Zu friedlich für meineBegriffe.“

„Du hast recht: Der Augenschein trügt.“ Marshallließ die Bildschirme keine Sekunde unbeobachtet.„Wir werden zweifellos scharf kontrolliert. Mitwelchen Mitteln das geschieht, vermag ich nicht zusagen. Ist der Regierungspalast übrigens von hier zusehen?“

Homunk wandte sich um.„Er wird durch andere Gebäude verdeckt, aber mit

einer Mikrosonde ließe sich etwas machen.“Die Mikrosonden waren von den Swoon

entwickelt worden. Nicht größer als ein Fingerhut,bargen sie eine empfindliche Fernsehkamera und einferngelenktes Triebwerk. Sie konnten von derGazelle aus gesteuert werden und übertrugen alles,was sie sahen, auf einen Spezialbildschirm.

„Eine Sonde?“ Marshall nickte langsam. „Wärevielleicht keine dumme Idee. Hoffentlich wird sienicht entdeckt.“

„Sie ist zu klein. Schon in hundert MeternEntfernung ist sie unsichtbar, und wenn man sieentdeckte, würde man sie für ein Insekt halten. DieTarnung würde schon dafür sorgen.“

Marshall mußte dem Robot zustimmen. Eine

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Sonde war die einzige Möglichkeit, die langeWartezeit zu nutzen und schon jetzt etwas über dieStadt zu erfahren, die sie bald betreten wollten.„Alsogut, Homunk. Schicke eine Sonde los.“

Das winzige Gerät glitt aus derSpezialabschußvorrichtung und stieg sofort aufzweihundert Meter. Der Bildschirm glühte auf undzeigte einen Ausschnitt des Raumfeldes. Die Gazellewar deutlich zu erkennen. Dann veränderte sich dasBild, als die Sonde Richtung auf die Stadt nahm.

„Etwas weiter rechts liegt der Palast“, sagteHomunk und korrigierte den Kurs. „Es war gut, daßich mir alles gut gemerkt habe, bevor wir landeten.“

Homunk hatte gut reden. Er besaß einenunfehlbaren Speichersektor, und wahrscheinlich hatteer den ganzen Stadtplan von Capital-City imGedächtnis.

Mitten über dem Palast blieb die Sonde stehen undsank ein wenig tiefer.

Der Palast war ein Gebäude mit Dicken Mauernund umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen.Radartürme sorgten für eine ständige Überwachung,und es war zu hoffen, daß sie die Sonde nichtbemerkten. Rings um den Bau war ein freier Platz,auf dem Wachen patrouillierten. Innerhalb derUmfriedungsmauer gab es einen Ringplatz, auf demEnergiegeschütze mit ihren Bedienungen standen. Inder Mitte erst stand der eigentliche Palast.

Er reichte mit seinen Kellern wahrscheinlich tief indie Kruste von Plophos hinein. Wenn das stimmte,dann gab es auch unterirdische Verbindungswegevon und zur Stadt. Kleine Türme erinnerten anVerzierungen, aber sicherlich waren sie alles andereals das. Eine hohe Kuppel mit einem Sendemast ließeine Funkstation vermuten. Mit ihrer Hilfe konnte derObmann Verbindung zu allen Orten des Planetenerhalten, ohne auf eine Vermittlung untergeordneterStellen angewiesen zu sein.

War es allerdings ein Hypersender, reichte dieVerbindung auch zu anderen Planeten oder garSonnensystemen.

„Ein. Fuchsbau“, knurrte Gucky, der Vergleicheaus der Tierwelt besonders liebte. „Wer weiß, wievielEin- und Ausgänge er hat. Da ist aber schwerhineinzukommen - es sei denn, man teleportierteinfach.“

„Gerade das dürfen wir aber nicht“, erinnerte ihnRas bedauernd.

„Vorläufig wenigstens nicht“, schwächte Marshallab. „Solange wie möglich müssen der Obmann unddie Plophoser über unsere wirkliche Mission undAbsichten im unklaren gelassen werden. Wennjemand erfährt, daß Terra sein Mutantenkorpseinsetzt, ist die Maske gefallen. Es könnte dann sogarsein, daß sie ihre Gefangenen töten.“

„Möchte ich ihnen nicht raten!“ Goratschins

knurrige Stimme kam von der Tür her. Niemandwußte, ob der rechte oder linke Kopf gesprochenhatte, aber es spielte auch keine besondere Rolle. Inmanchen Dingen waren sie sich erstaunlich einig.

Marshall wollte etwas entgegnen, aber dannschwieg er. Er deutete auf den Bildschirm.

Aus dem Hauptportal des Palastes . war ein Manngetreten. Die Wachen salutierten und gaben den Wegfrei. An seinen Bewegungen war leicht zu erkennen,daß der Plophoser in der blauen . Uniform einenhohen Rang inne hatte. Im Gürtel trug er eineschwere Handwaffe, einen Energiestrahler. Mit einerlässigen Bewegung dankte der Mann den Wachenund sagte etwas. Die Sonde war jedoch zu weitentfernt um die Worte auffangen zu können.

Sekunden später kam ein Wagen vorgefahren, derentfernt an einen Jeep erinnerte. Am Steuer saß einuniformierter Plophoser, der weder nach rechts oderlinks schaute. Der Mann stieg ein, dann fuhr derWagen quer über den Ringplatz und verließ dasInnere des Regierungspalastes durch ein schmalesTor, das sich sofort wieder hinter ihm schloß.

„Verfolgen“, sagte Marshall zu Homunk, der dieSonde steuerte.

Der Wagen glitt über den großen Platz und bog ineine der breiten Alleen ein, die wie tiefe Schluchtendie Gebäudekomplexe unterbrachen. In den Straßender Stadt war nicht viel Verkehr, und so kam der Jeepschnell voran. Homunk hatte Mühe, die Sonde folgenzu lassen, ohne das Fahrzeug aus dem Bildschirm zuverlieren.

„Was glaubst du, John, wer das ist? Der Obmann?“„Kaum, Ras. Aber bestimmt einer seiner engsten

Mitarbeiter, den er mit einem Befehl auf den Wegschickte. Es ist anzunehmen, daß dieser Befehl unsgilt. Wir werden ja sehen.“

Der Jeep nahm Richtung auf den Raumhafen.„Na, was habe ich gesagt?“ triumphierte Marshall.

„Er kommt hierher.“„Hat niemand abgestritten“, piepste Gucky.Der Mann in der blauen Uniform kletterte vor den

Verwaltungsgebäuden aus seinem Fahrzeug und ginghinein. Es dauerte keine fünf Minuten, als derTelekom summte. Jemand wünschte eineVerbindung.

Auf dem Bildschirm war das Gesicht des Mannesin der blauen Uniform.

„Drei von Ihnen haben die Erlaubnis, das Schiff zuverlassen“, sagte er ohne jede Einleitung inInterkosmo, der allgemeinen Sprache des Imperiums.„Die anderen bleiben an Bord. Jede Mißachtungdieses Befehls muß von uns als ein Bruch derbestehenden Abmachungen betrachtet werden.“

„Seit wann die Beschränkungen?“ fragte Marshallund versuchte, den Mann telepathisch anzupeilen. Esgelang ihm nicht. Zuviel Impulse drangen auf ihn ein,

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und es war unmöglich, sie auszusortieren. „Hat TerraKrieg mit Plophos?“

„Wir sind autark, wenn ich Sie daran erinnern darf.Und wie es aussieht, bricht das Imperium zusammen.Wir müssen vorsichtig sein.“

„Auch zuviel Vorsicht kann Schaden bringen.Aber gut, wir erklären uns einverstanden. DreiBeauftragte werden die Handelsmission und dasKonsulat aufsuchen, um Besprechungen zu führen.Sichern Sie ihnen für die Dauer unseres AufenthaltesBewegungsfreiheit zu, oder gibt es auch daBeschränkungen?“

„Nein, es gibt keine Beschränkungen. Die dreiTerraner können sich überall frei bewegen, aber ichmuß das Tragen von Waffen verbieten. Zu Ihrereigenen Sicherheit. Nicht alle Bewohner unsererStadt sind Ihnen freundlich gesinnt. Niemand greifteinen Wehrlosen an, aber eine Waffe reizt geradezuzum Angriff. Ich hoffe, Sie sehen das ein.“

„Einverstanden. Wir haben ohnehin nicht dieAbsicht, uns mit Ihren Leuten herumzuschießen.Unsere Mission ist friedlicher Natur.“

„Wie lange gedenken Sie zu bleiben?“„Das kommt darauf an. Wenn wir unsere Mission

schnell erledigen, starten wir noch heute odermorgen. Sollte es allerdings länger dauern, so werdenSie uns wohl keine Schwierigkeiten machen.“

Das war mehr eine Feststellung, keine Frage.Der Mann auf dem Bildschirm lächelte eiskalt. Es

war ein Lächeln ohne jede Freundlichkeit, undMarshall hätte einiges dafür gegeben, jetzt dieGedanken seines Gesprächspartners lesen zu können.Aber er konnte es nicht. Irgend etwas hinderte ihndaran, aber er hätte nicht zu sagen vermocht, was eswar. Ein Blick zu Gucky bestätigte ihm, daß es demMausbiber ähnlich erging.

Der Bildschirm wurde dunkel.„Knapp, aber deutlich“, sagte Ras.

„Unsympathischer Kerl!“„Immerhin können wir nun das Schiff verlassen,

ohne unmittelbare Komplikationen befürchten zumüssen. Homunk, setze eine zweite Sonde in Marsch,mit der du uns verfolgst. Lasse uns keine Sekundeaus den Augen, vergiß aber auch den Mann mit derblauen Uniform nicht. Wir müssen wissen, ob er zumPalast zurückkehrt und wer er ist. Vielleicht kenntder Konsul ihn.“

„Ich begreife nicht, warum ich keinen Kontakterhielt“, beschwerte sich Gucky. „Sollte ich wirklichschon alt werden?“

„Keine Sorge, mir erging es ähnlich. Es warentausend Impulse in meinem Gehirn, aber es war mirunmöglich, sie zu sortieren. Wie Wellensalat ineinem schlechten Empfänger.“

„Ich werde schon herausbekommen, woran daslag“, versprach der Mausbiber und rollte sich in einer

Ecke der Liege zusammen. Bevor er die Augenschloß, fügte er hinzu: „Wenn ihr in der Falle sitzt,sagt mir Bescheid.“

Marshall lächelte nachsichtig und gab Homunk dieletzten Anweisungen. Dann legten sie die Strahler abund versahen sich dafür mit winzigenTaschenpistolen, die sogar in den Schuhen Platzfanden. Im Notfall konnten diese kleinen Blaster ihreRettung bedeuten.

Schließlich verließen John Marshall, Ras Tschubaiund Tako Kakuta das Schiff und gingennebeneinander und in enger Tuchfühlung auf dasVerwaltungsgebäude zu. Über ihnen schwebte diezweite Mikrosonde.

Kurz vor dem Eingang flüsterte Marshall seinenBegleitern zu:

„Ob ihr's nun glaubt oder nicht, aber Gucky isteingeschlafen. Ich habe keinen Kontakt mehr.“

„Faulpelz!“ knurrte Ras belustigt.Tako schien weniger belustigt. Er sagte nichts.Die Plophoser im Kontrollgebäude waren sehr

zurückhaltend. Sie machten auf Marshall einenverschüchterten Eindruck, aber das konntegenausogut eine Täuschung sein. Sie erkundigtensich noch einmal formell nach den Wünschen derTerraner und gaben dann die Erlaubnis zum Betretender Stadt. Auf Zollerklärungen verzichteten sie.

Draußen auf der Straße wartete ein Fahrzeug. DerMann hinter dem Steuer winkte ihnen zu.

„Ich habe Befehl, Ihnen für die Dauer IhresAufenthaltes zur Verfügung zu stehen.“

„Wer gab Ihnen den Auftrag?“ fragte Marshallmißtrauisch.

„Die Regierung.“Der Mann in der blauen Uniform schien

vorgesorgt zu haben. Es war als sicher anzunehmen,daß der Fahrer ein Mann des plophosischenGeheimdienstes war.

Marshall gab dem Mann die Adresse einerHandelsniederlassung und stieg mit Ras und Takoein. Das Gefährt setzte sich in Bewegung und rolltelautlos auf der breiten Ausfallstraße der Stadtentgegen.

Auch hier gab es nur wenig Verkehr. EinigeLieferwagen kamen ihnen entgegen, und einmalwurden sie von einem schnellen Sportwagenüberholt, der von einer Frau gesteuert wurde.

In der Handelsniederlassung fanden sie einenTerraner vor, der sich schon halb in einen Plophoserverwandelt hatte. Er machte einen trägen undniedergeschlagenen Eindruck und zeigte wenigInitiative. Marshall erkannte auf den ersten Blick,daß von ihm keine Unterstützung zu erwarten war. Eswürde besser sein, sich ihm gegenüber vorsichtig zuverhalten und nichts von den ursprünglichenAbsichten zu verraten. Sie besprachen einige

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belanglose Dinge mit ihm und verabschiedeten sichdann bald, nicht ohne wenigstens die Adressen deranderen Missionen erfahren zu haben.

Auch hier schien es Marshall, als sei er in seinentelepathischen Fähigkeiten irgendwie gehemmt. Zwarempfing er die Gedankenimpulse des Terranerseinwandfrei, aber sie wurden von fremdenTelepathieströmen überlagert und verwischt. Er hättenicht zu sagen vermocht, woher sie stammten, abersie waren da.

Sie verzichteten darauf, auch die anderenHandelsstationen aufzusuchen, sondern gaben demFahrer den Auftrag, sie zum Konsulat zu bringen.

Gucky war inzwischen erwacht. Marshall empfingklar und deutlich seine Gedankenimpulse undtauschte einige Informationen mit ihm aus. DieSonde stand direkt über ihnen und übermittelte einsauberes Bild.

Das Konsulat war in einem düsteren Gebäudeuntergebracht, das in einem verwilderten Park stand.Ein verrosteter Zaun trennte es von der ruhigenSeitenstraße, in der das Fahrzeug nun anhielt. DerFahrer blieb sitzen und drehte sich zu seinen Gästenum.

„Das Konsulat. Ich warte hier. Bleiben Sie lange?“Marshall fand die Frage zwar unverschämt, aber er

entgegnete ruhig:„Das kommt auf die Umstände an. Wenn Sie in

zwei Stunden wieder hier sind, genügt das.“Er wartete keine Antwort ab, sondern ging mit Ras

und Tako auf das rostige Eisentor zu, das lose in denAngeln hing. Alles machte einen verwahrlosten undverlassenen Eindruck. Marshall hätte sich nichtgewundert, wenn man ihm jetzt mitgeteilt hätte, esgäbe auf Plophos überhaupt kein terranischesKonsulat.

Die Vertreter Terras, die zu anderen Planetengeschickt wurden, waren ausgesuchte und -tausendfach überprüfte Personen. Es war unmöglich,daß unter der Aufsicht eines solchen Menschen einederartige Schlamperei geschah. Entweder war derKonsul einer unwahrscheinlichen Lethargie verfallen,oder er wurde von irgendwoher entsprechendbeeinflußt oder unter Druck gesetzt.

Oder es gab keinen Konsul mehr. Die Gartenwegeverrieten wenig Benutzung. Unkraut wuchertezwischen dem Kies, und von der ordnenden Handeines Gärtners war nicht viel zu sehen. Das Hausselbst lag halb versteckt hinter einigen Bäumen. EinTeil der Metalläden war geschlossen, die anderenFenster zeigten blinde und verschmutzte Scheiben.

„Ein vorbildliches Konsulat der Erde“, murmelteMarshall und kniff die Lippen zusammen. „EinGlück, daß Rhodan das nicht sehen kann. Ein Glückübrigens auch für den Konsul, falls er noch hier ist.“

Ras schob die rechte Hand in die Tasche seiner

Kombination.„Ich weiß nicht - eigentlich habe ich mir den

Empfang in einem unserer Konsulate andersvorgestellt. Ist denn hier auf Plophos alles verrücktgeworden?“

„Vielleicht nicht verrückt...“, meinte Marshallvielsagend.

Keine zehn Meter vor den drei Männern schwangdie Tür auf.

Eine hagere Gestalt erschien auf der Schwelle undkam ihnen entgegengeschritten. Sie trug einenwallenden Umhang - wie das Zeremoniell es fürbesonders feierliche Anlässe vorschrieb.Das warzumindest erstaunlich, denn Marshall erinnerte sichnicht, seinen Besuch angekündigt zu haben. Woherwußte der Konsul, daß sie hier gelandet waren?Wenn es der Konsul war!

Marshall versuchte, in die Gedanken des Manneseinzudringen, der sich ihnen da näherte. Zu seinerÜberraschung gelang ihm das ohne besondereSchwierigkeit.

Der erste Eindruck war Angst. Vermischt mit demWillen, seine Pflicht zu erfüllen. Eine seltsameMischung, denn wovor hatte der Konsul Angst? Etwavor ihm, Marshall? Hatte er eine Inspektion zufürchten?

Wenige Schritte vor den drei Besuchern blieb derMann stehen.

„Ich darf Sie im terranischen Konsulat vonPlophos willkommen heißen, meine Herren.Entschuldigen Sie den schlechten Eindruck, dendieses Gebäude auf Sie machen muß, aber dieRenovierung steht kurz bevor. Bisher wurden mir dieMittel, die ja von dem gastgebenden Planeten zurVerfügung gestellt werden, verweigert. Ein korrupterBeamter im Vorzimmer der Regierung. Er wurdeinzwischen vom Obmann bestraft.“

Marshall forschte in den Gedanken. Der Mannsprach die Wahrheit.

„Woher wußten Sie von meiner Ankunft?“„Ich wurde durch die Raumhafenleitung

informiert.“„Es handelt sich um einen inoffiziellen Besuch. Ich

bin Frederic Marsh. Meine Begleiter sind zweiBeamte des terranischen Außendienstes, GernotBergen und Tako Kakuta.“

„Ich heiße Sie nochmals willkommen. Wenn Siedie Unordnung nicht stört, darf ich Sie wohl insKonsulat bitten. Nachmittags wird es auf Plophosschnell kühl.“

Drinnen war es auch nicht warm. Wahrscheinlichfunktionierte die Klimaanlage nicht mehr.Wenigstens das Licht brannte.

Der Konsul bot seinen Besuchern einen Platz anund setzte sich dann.

„Darf ich fragen, welchem Umstand ich die Ehre

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Ihres Besuches zu verdanken habe? Schade, wärenSie doch um einige Wochen später gekommen.“

„Oder früher“, sagte Marshall ernst. Der Konsulstarrte ihn verwundert an.

„Wie meinen Sie das?“Marshall beschloß, einen Versuch zu wagen.

Bisher war in den Gedanken des Konsuls keinVerdachtspunkt aufgetaucht, von der unerklärlichenund vagen Furcht abgesehen.

„Was wissen Sie von Rhodans Entführung,Konsul?“

Die Augen des Konsuls verengten sich plötzlich.Er beugte sich ein wenig vor und sah Marshalldurchdringend an, dann lehnte er sich wieder zurück.In seinen Gedanken waren keine Hinweise.

„Rhodans Entführung...? Ja, er wurde entführt, undmit ihm einige Männer seiner näheren Umgebung.Bedauerlich, sehr bedauerlich.“

Marshall las ehrliches Bedauern in den Gedankenseines Gegenübers.

„Allerdings. Sie können sich vorstellen, daß einigeVeränderungen in der Administration die Folgewaren. Solarmarschall Tifflor leitet nun dasImperium. Ich bin beauftragt, Sie davon in Kenntniszu setzen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, daßalle Konsulate in der bisherigen Form weitergeführtwerden. Außerdem nehme ich Beschwerdenentgegen.“ Er sah den Konsul an. „Haben Siewelche?“

„Sie meinen.... nein, Mr. Marsh. Die plophosischeRegierung ist äußerst zuvorkommend und hat bisherkeinen Anlaß zu Klagen gegeben. Wir genießenGastfreundschaft auf dieser Welt und können uns freibewegen. Der Obmann ist ein guter und weiserHerrscher, wenn auch gewisse Gerüchte - nun, Sieverstehen wohl, was ich meine ...“

Marshall verstand. Was er allerdings nichtverstand, war, warum der Konsul so sprach. Er mußtedoch wissen, was hier auf Plophos gespielt wurde.Jeder wußte, daß die Regierungsform auf Plophoseine Personaldiktatur war. Und was nochmerkwürdiger war: Der Konsul dachte es auch.

Mit dem stimmt was nicht!Klar und deutlich war Guckys Gedanke in

Marshalls Gehirn. Der Mausbiber hatte dieUnterhaltung also telepathisch verfolgt und Verdachtgeschöpft. Es kam selten vor, daß Gucky sich irrte.Warum sollte das diesmal ausgerechnet der Fall sein?

War der Konsul konditioniert? Nur so war zuerklären, daß er genauso widersprüchlich dachte wieer sprach. Er war in einem solchen Fall nicht für dasverantwortlich zu machen, was er in seinem Zustandtat. Und nur ein Schock konnte ihn von demerhaltenen Hypnoblock befreien.

Ein Schock?Jetzt fehlt Andre Noir, dachte Marshall

verzweifelt. Der Hypno hatte Erfahrung in solchenDingen und würde mit der Situation fertig werden.Für ihn, Marshall, war das nicht so einfach. Er warTelepath, aber kein Hypno oder Suggestor. Aber erwürde immerhin die Wirkung seines Versuchskontrollieren können.

Er stand auf.„Ich habe Ihnen eine offizielle Mitteilung zu

machen, Konsul. Der jetzige Administrator hat Ihresofortige Ablösung angeordnet. Ich nehme Sie aufmeinem Schiff mit. Machen Sie sich fertig. Sie habenzehn Minuten Zeit. Ihr Nachfolger wird sein Amt ineiner Woche antreten und Ihre Arbeit übernehmen.“

Der Konsul wurde bleich. In seinen Augen begannes zu flackern. Seine Hände zitterten, als er dieFingerspitzen gegeneinanderlegte.

„So schnell?“ Noch immer keine Reaktion inseinem Gehirn, dachte Marshall verblüfft. Gab eseine derartige Gedankenblockierung überhaupt? „Ichbenötige mehr Zeit, um meine Angelegenheiten zuregeln.“

„Tut mir aufrichtig leid. Mehr als zehn Minutenkann ich Ihnen nicht bewilligen. Würden Sie dieGüte haben, die Regierung dieser Welt von IhremAbschied zu unterrichten?“

Der Konsul erhob sich und starrte verloren auf dieNachrichtenanlage, die auf dem Schreibtisch stand.Dann nickte er, ging hin und drückte auf einenKnopf. Der Bildschirm leuchtete sofort auf undzeigte das Gesicht eines Plophosers.

„Sie wünschen?“„Eine direkte Verbindung zum Obmann. Wichtige

Regierungsgeschäfte.“Der Schirm erlosch für einige Sekunden, dann kam

ein neues Gesicht.„Der Obmann will jetzt nicht gestört ...“ Der Mann

verstummte. Er mußte jetzt Marshall und seineBegleiter gesehen haben. „Gut, ich verbinde.“

Es dauerte fast eine Minute, dann flammte derSchirm erneut auf.

Ein ungemein hartes und eckiges Gesicht blickte inden Raum. Die kalten Augen suchten Marshalls Blickund begegneten ihm mit einer Ruhe undEntschlossenheit, die dem Telepathen einen Schauderden Rücken hinabjagte. Marshall wußte in dieserSekunde, daß aller Verdacht gerechtfertigt war.Wenn es einen Mann im Universum gab, derRhodans Entführung geplant und durchgeführt hatte,dann jener dort auf dem Bildschirm! Dieser Mannwar ein Gegner, der alle bisherigen übertraf.Vielleicht hatte es erst einmal in der langenGeschichte des Imperitims einen ähnlichen Manngegeben, der einen gleichwertigen Gegner abgab: denOverhead.

„Was wollen Sie?“Die Stimme war eisig und gefühllos. Sie verriet

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einen eisernen Willen, Grausamkeit und festeEntschlossenheit. Mit diesem Mann war nicht zuverhandeln.

Vergeblich versuchte Marshall, Gedankenimpulseaufzufangen. Auch Guckys Bemühungen bliebenerfolglos. Entweder hatte der Obmann die Fähigkeit,sich jederzeit abzuschirmen, oder ...

Es war Zeit zu antworten.„Der Konsul wollte Ihnen mitteilen, daß er sein

Amt im Auftrag der solaren Administrationniederlegt. Er wird mit uns Plophos verlassen. Wirwerden Ihnen innerhalb einer Woche den Nachfolgersenden.“

„Warum?“Nur dieses eine Wort, mehr nicht. Es klang

herrisch und fordernd.„Routinesache.“ Marshall versuchte, genauso

knapp zu sein. „In regelmäßigen Abständen tauschenwir unsere Beamten aus. Das hat nichts mit denZuständen zu tun, die wir hier leider vorfindenmußten.“

Die Augen des Obmanns wurden enger, sein Blickeisiger.

„Wie Sie wünschen. Sind Sie der direkteBeauftragte des Administrators?“

„Der seines Stellvertreters.“„Auch gut. Ich erwarte Sie im Palast, bevor Sie

starten. Auch den Konsul.“Marshall spürte das Mißtrauen förmlich, das ihn

plötzlich überfiel.Der Obmann gab sich kühl und gelassen, aber das

konnte nur Fassade sein. Ihm war die Ablösung desKonsuls nicht recht. Verständlich, falls man ihnkonditioniert hatte. Darum also wollte er ihn nocheinmal sprechen. Wahrscheinlich, um ihn von seinemBlock zu befreien und ihm gleichzeitig dieErinnerung zu nehmen. Mit den entsprechendenMitteln war das eine Angelegenheit wenigerMinuten.

Marshall überlegte blitzschnell. Eine Absagewürde Verdacht erregen. Ging er aber auf dieForderung des Obmanns ein, bot sich ihm vielleichteine Möglichkeit, etwas zu erfahren. Im Notfallkonnten Gucky und die anderen Mutanten eingreifen.Außerdem war bei direkter Gegenüberstellungvielleicht ein telepathischer Kontakt eher möglich.

„Wann wünschen Sie die Besprechung?“„Ich lasse Sie abholen.“Der Schirm erlosch jäh.Marshall sah den Konsul an.„Beeilen Sie sich. Viel Zeit haben wir nicht.“Zehn Minuten später traten sie auf die Straße. Der

Wagen wartete, obwohl Marshall dem Fahrer gesagthatte, sie benötigten ihn erst in zwei Stunden.

Ohne Zwischenfall kehrten sie zum Raumhafenzurück.

3.

„Die erste Sonde behielt den Mann in der blauenUniform im Auge. Er kehrte zum Palast desObmanns zurück. Wir versuchten, die Sonde folgenund in das Innere eindringen zu lassen. Es wäreeinfach gewesen, denn sie wäre kaum aufgefallen.Aber es gelang nicht.“

Marshall sah Homunk fragend an.„Es gelang nicht? Ein offenes Fenster, eine Tür

...?“„Ein Energieschirm! Die Sonde stieß immer

wieder gegen ein unsichtbares Hindernis. Es ist somitwahrscheinlich, daß der Obmann sich gegen dieAußenwelt durch einen Energieschirm hermetischabriegelt.“

„Für Teleporter meist kein Hindernis“, warf Guckyoptimistisch ein. Für eine Sekunde kam sogar derNagezahn zum Vorschein.

Aber Marshall enttäuschte ihn:„Und wenn schon! Teleportieren gibt es nur im

Notfall. Wir sind eine Regierungsabordnung, dieteleportiert nicht bei jeder Gelegenheit. Der Obmannkennt das Mutantenkorps, davon bin ich überzeugt.Er weiß, daß Terra alles versuchen wird, denAufenthaltsort Rhodans herauszufinden. Und wennalle Stricke reißen, das weiß er auch, wird das Korpseingesetzt. Er muß damit rechnen, daß wir ihnverdächtigen.“

„Einmal erfährt er es doch.“„So spät wie möglich, das hat Tifflor ausdrücklich

verlangt.“Sie hatten gerade eine Mahlzeit zu sich

genommen, als der Telekom sich meldete. DerObmann persönlich forderte Marshall auf, in denbeim Kontrollgebäude wartenden Wagen zu steigenund zum Palast zu kommen.

Gucky hatte vergeblich versucht, etwas aus demKonsul herauszubekommen. Der Mann sprach stetsgenau das, was er dachte. Er verstellte sich nicht.Entweder war er wirklich ein Versager, oder derObmann besaß ausgezeichnete Suggestoren oder dieentsprechenden Geräte, einen Mann völlig unterseinen Einfluß zu bringen.

„Er hat nichts davon gesagt, daß ihr den Konsulmitnehmen sollt“, bemerkte Gucky. „Laßt ihn docheinfach hier.“

Marshall überlegte. Dann nickte er.„Kein schlechter Gedanke, Gucky. Es ist durchaus

möglich, daß er eine Unvorsichtigkeit begeht, wenner denken muß, wir hätten Verdacht geschöpft. Erkann glauben, an dem Benehmen des Konsuls wäreuns etwas verdächtig erschienen. Damit verraten wirkeineswegs unsere Absichten und Fähigkeiten, ,bringen ihn aber in Verlegenheit. Gut, gehen wir

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ohne den Konsul. Homunk, vergiß die Sonden nicht!Und dich, Gucky, möchte ich bitten, keine Sekundezu schlafen.“

„Ooch ...“, machte der Mausbiber und sahbeleidigt aus.

Der Wagen wartete, wie angekündigt. Er brachtedie drei Männer durch die immer noch , fastunbelebten Straßen direkt zum Palast. Das Toröffnete sich, und sie gelangten in den ringförmigenVorhof. Von einer Energiesperre war nichts zubemerken.

Sie stiegen aus. Aus dem Portal des Palastes kamihnen ein Mann entgegen.

Es war der Mann in der blauen Uniform.Er ging bis zu ihnen und blieb dann stehen.

Herablassend musterte er sie, dann deutete er eineleichte Verbeugung an.

„Ich bin Etehak Gouthy, Chef der ,Blauen Garde'.Folgen Sie mir.“

Die Blaue Garde, dachte Marshall, ist doch derGeheimdienst von Plophos, wenn Konstantin rechthatte. Man muß uns für sehr wichtig halten, wenn derObmann seinen besten Mann einsetzt...

Eine weite Halle mit hoher Decke und sparsamerEinrichtung nahm sie auf. Nach allen Seiten führtenKorridore in die verschiedensten Richtungen. Eswürde schwer sein, sich hier zurechtzufinden.

Gouthy ging voran. Vier schwer bewaffneteBlaugardisten traten von der Seite hinzu und bildetendie Rückendeckung. Marshall, Ras und Tako kamensich schon jetzt wie Gefangene vor. Nur der Gedankedaran, daß sie notfalls eine schnelle Teleportationretten konnte, ließ sie zuversichtlich bleiben.

Sie durchschritten mehrere elektronischabgesicherte Türen, und immer mehr wurde Marshallklar, daß es allesandere als einfach war, in diesenPalast einzudringen.

Hinter der letzten Tür, im Zentrum des Palastes,war das Zimmer des Obmanns.

Er stand nicht einmal auf, als seine Besucherhereingeführt wurden. Die vier Wachen postiertensich auf dem Korridor, die Tür schloß sich.

Der Obmann saß hinter einem schweren Tisch, dermit allerlei Geräten nahezu überladen war. Zu seinerRechten und Linken standen zwei Männer mitausdruckslosen Gesichtern. Sie trugen die blaueUniform und Strahlwaffen in den Händen.

Die Leibwache.Gouthy blieb neben der Tür stehen.„Treten Sie näher“, sagte der Obmann. Es sollte

höflich klingen, aber es hörte sich doch so an, alsklirre Eis in einem Becher. „Sie also sind dieRegierungskommission von Terra ...? Warum lösenSie den Konsul ab? Wo ist er übrigens?“

„Er wünschte nicht, sich von Ihnen zuverabschieden“, sagte Marshall.

Die Augen des Obmanns verrieten Erstaunen. '„So, er wünschte das nicht? War es nicht vielmehr

so, daß Sie ihn dazu überredeten?“„Ich muß doch sehr bitten ...“„Also war es so!“ Es war eine glatte Feststellung.

Verdammt, dachte Marshall, der Mann ist nochgefährlicher, als ich angenommen habe. Ich habe ihnunterschätzt. Abstreiten - eine andere Möglichkeitgab es hier nicht mehr.

„Sie irren. Es war der eigene Entschluß desKonsuls. Sie können ihn ja fragen, wenn Sie daswollen.“

„Wir werden das später tun. Doch ich habe einigeFragen an Sie. Was geschieht in der Galaxis? Hatsich Rhodans Tod und der seiner engsten Mitarbeiterschon ausgewirkt? Eine sehr bedauerlicheEntwicklung, nicht wahr?“

Die gleichen Worte fast, wie sie der Konsulbenutzte, dachte Marshall mit einer Spur vonBefriedigung. Ein Zusammenhang ...?

„Wir stehen vor einigen politischen Problemen“,gab er vorsichtig zu. „Aber es gibt Leute bei uns, dienicht so sehr von Rhodans Tod überzeugt sind.“

„Die Beweise liegen vor ...“„Sie sind nicht eindeutig.“Es entstand eine kurze Pause. Marshall fand erst

jetzt Gelegenheit, den Versuch eines telepathischenKontaktes mit dem Obmann zu unternehmen. Zuseiner grenzenlosen Verblüffung mißlang dasgründlich. Zwischen seinen tastenden Sinnen unddem Gehirn des Obmanns war eineundurchdringliche Sperre, deren Natur Marshall nichtsofort erkannte.

Gucky! dachte er verzweifelt. Ich. schaffe es nicht.Kannst du es versuchen?

Keine Antwort.Marshall versuchte es noch einmal. Steigende

Panik bemächtigte sich seiner. Er sah die dunkleHand von Ras Tschubai direkt neben der seinen. Siewirkte beruhigend. Er brauchte sie nur zu fassen...

Gucky.'Nichts!Auch mit Gucky und der Gazelle war kein Kontakt

mehr möglich. Der Abwehrschirm des Obmannswirkte hundertprozentig. Er hielt sogar telepathischeImpulse ab.

„Worüber denken Sie nach?“ fragte der Obmannplötzlich. „Gefällt Ihnen etwas nicht?“

Marshall wußte, daß er sich zusammenreißenmußte, wollte er keinen Verdacht erwecken. DerObmann durfte ruhig wissen, daß er nicht anRhodans Tod glaubte. Er konnte sogar annehmen,daß man die Plophoser verdächtigte, das Komplottgegen das Imperium. begonnen zu haben, aberniemals durfte er ahnen, daß sich fast das vollzähligeMutantenkorps hier aufhielt.

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„Der Konsul benahm sich sehr merkwürdig“, sagteer schließlich, um einen neuen Gesprächsstoff zufinden. „Er muß erkrankt sein. Haben Sie das nichtbemerkt? Wo sind übrigens seine Mitarbeiter?“

Der Obmann lächelte kalt.„Hat Ihnen das der Konsul denn nicht gesagt? Er

muß es vergessen haben. Vielleicht ist er wirklichkrank. Das Konsulat unternimmt eineBesichtigungsfahrt auf Einladung der Regierung.Landwirtschaftliche Betriebe und Werftanlagen inder Nähe des Meeres. Ich verstehe nicht, daß derKonsul selbst nicht an der Reise teilnahm.“

Auch ohne Telepathie erkannte Marshall die glatteLüge. Es hatte wenig Sinn, unter diesen Umständendas Versteckspiel weiter aufrechtzuerhalten. Wennman alles auf eine Karte setzte, erfuhr man vielleichtetwas. Allerdings würde es dann schwer sein, nochlänger auf Plophos zu bleiben.

In den Zwiespalt hinein kam plötzlich die Stimmedes Obmanns:

„Sie sind doch Telepath, nicht wahr?“Marshall war es, als erhielte er einen Schock. Die

Entscheidung wurde ihm abgenommen. Der Obmannhatte ihn erkannt.

Aber wie?Woher konnte er wissen, daß er ein Telepath war?

Er selbst war bestimmt keiner.Die beiden Wächter ...?Mit ausdruckslosen Gesichtern standen sie da und

sahen ins Leere. Etwas an ihnen fiel Marshall auf,aber er wußte nicht sofort, was es war. Sie warenhager und ziemlich groß. Terraner oder Plophoser,natürlich. Oder etwa nicht?

„Antworten Sie!“Marshall sah den Obmann an. In dessen Augen

war ein gnadenloses Funkeln, das sich mitGenugtuung paarte.

„Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?“Der Obmann lächelte. Er gab dem an der Tür

stehenden Gouthy einen Wink. Die Tür wurdegeöffnet, und die vier dort draußen auf dem Korridorwartenden Wachen kamen ins Zimmer. Sie postiertensich an der Tür. Die Waffen hielten sie schußbereit inden Händen. Die Mündungen waren auf Marshall,Ras und Tako gerichtet.

„Ich weiß es, das genügt. Glauben Sie nicht, daßich mit dem Erscheinen von Mutanten gerechnethabe? Rhodan ist wichtig genug, ihren Einsatz zurechtfertigen. Ein gewisser Verdacht mußte ja aufPlophos fallen, wenn ich auch nicht annahm, daß Sieso schnell reagieren würden. Sie sind leider nicht aufden Konsul hereingefallen. Warum haben Sie ihnnicht im Amt belassen und sind so schnell wiemöglich weitergeflogen? Das wäre gesünder für Siegewesen.“

Marshall wußte, daß nun die Masken gefallen

waren. Auch gut. Er hatte ohnehin nicht viel für dasVersteckspiel übrig.

„Wir sind eine offizielle Abordnung der Regierungvon Terra und warnen Sie...“

„Was ist schon Terra?“ Der Obmann gab sichkeine Mühe, seine Verachtung offen zuzugeben. „EinPlanet wie jeder andere.“

„Terra ist schließlich der Planet, von dem Sieabstammen.“

„Vielleicht war er es. Unter Rhodans Herrschafthat er sich zu einem Zentrum der Macht entwickelt,mit der ganze Systeme unterdrückt wurden. Wirwollen nichts von dieser Erde wissen. Und Furcht...?Nein, wir haben keine Furcht vor der Erde. AberdieErde hat, wie es scheint, Furcht vor Plophos.“

„Terra fürchtet niemanden.“ Marshall sah denObmann an. „Was haben Sie mit Rhodan gemacht?“

Iratio Hondro gab den Blick zurück, ohne mit derWimper zu zucken.

„Sie sind sich Ihrer Sache sehr sicher.“„Wir waren es nicht, als wir hierher kamen. Aber

nach dem, was inzwischen vorfiel, werden Sie denVerdacht kaum noch abstreiten können. Unser AgentKonstantin hat recht gehabt. Er bestätigte vor seinemTod, daß Rhodan, Atlan, Bull und zwei andereMänner von Ihrem Geheimdienst entführt wurden.“

„Und so eine Information nennen Sie einenVerdacht?“ Der Obmann lachte laut und amüsiert.„War es nicht Gewißheit?“

„Was haben Sie zu sagen?“ fragte Marshall.Sofort war der Obmann wieder ernst. Sein Gesicht

nahm wieder den kalten und gefährlichen Ausdruckan.

„Sie werden sich denken können, daß Sie mitdiesem Wissen nicht weiterleben dürfen. Doch bevorSie sterben oder in meine Dienste treten, wasübrigens besser als sterben ist, erwarte ich nocheinige Informationen von Ihnen. Ich finde es übrigenserstaunlich, daß Sie es wagten, hier mit einem sokleinen Schiff zu landen. Ein einziger Schuß könntees vernichten.“

„Da wir schon mit offenen Karten spielen,Obmann, beantworten Sie mir eine Frage. Gut, ichbin Mutant. Warum erhalte ich keinen Kontakt mitIhnen oder meinen Leuten im Schiff? Ein normalerEnergieschirm bietet kein ernstliches Hindernis.“

Hondros Lächeln wirkte in seiner grenzenlosenÜberlegenheit abstoßend und furchteinflößend,

„Zu dumm, daß nun auch Ihre Leute im Schiffnicht wissen, was hier vorgefallen ist. Sie habenkeine Ahnung davon, daß Sie in der Falle sitzen. Wieviele von den Mutanten sind dabei?“

„Sie erwarten doch wohl keine Beantwortung IhrerFrage, oder?“

„Doch, ich erwarte sie. Wenn nicht jetzt, dannspäter. Aber wenn Sie nicht reden, halte auch ich

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mich zurück. Sie dürfen dumm sterben, wenn Sie eswünschen.“

„Zuerst müssen Sie mich überzeugen, daß eskeinen Ausweg mehr für uns gibt. Unser Tod würdeIhnen nichts nützen, das wissen Sie so gut wie ich.Außerdem würde ich an Ihrer Stelle nicht den Fehlerbegehen, Terra zu unterschätzen.“

„Haben Sie herausgefunden, daß wir den Konsulmit einem Hypnoblock versahen?“ Der Obmannänderte das Thema ohne Übergang. „Was habenmeine Leute falsch gemacht?“

„Nichts. Sie haben nur vergessen, daß esTelepathen gibt.“

Der Obmann nickte. Er gab dem hinter Marshallstehenden Gouthy einen Wink.

„Aber man sollte einen Fehler nur einmal begehen.Diesmal vergesse ich nicht, daß es auch Teleportergibt.“

Ehe Marshall den Sinn der Worte begriff, tratenGouthy und die vier Leibwächter vor und ergriffenRas und Tako. Mit einem Ruck trennten sie diebeiden Männer von Marshall, der sich seinerRückzugsmöglichkeit beraubt sah. Die Teleporterzögerten, ohne Marshall zu springen.

„Verschwindet!“ rief Marshall ihnen zu.„Alarmiert die anderen!“

Zu seiner grenzenlosen Verblüffung sah er, wieRas und Tako vergeblich versuchten, sich derUmklammerung der Leibwächter zu entziehen. AlleKonzentration half nichts. Sie konnten nichtteleportieren. Ihre Fähigkeit, zu entmaterialisieren,versagte.

Das Lachen des Obmanns war höhnisch undüberlegen.

„Nun, meine Herren Mutanten? Ist nichts mitTelepathie oder Teleportation, nicht wahr? Ich sagteIhnen ja voraus, daß Sie die Lage falsch beurteilen.Haben Sie wirklich angenommen, ich wäreunvorbereitet, nachdem ein Mann wie Konstantinplauderte? Ich mußte damit rechnen, daß Terras besteTruppe eingesetzt wurde. Und wer ist besser als dieMutanten? Um aber gegen Mutanten zu kämpfen,muß man gleiche Mittel einsetzen. Und wer ist sogarden Mutanten überlegen?“

Marshall starrte den Obmann an. Sein Blick fielauf die beiden Männer, die hinter dem Tisch standen.Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen.

„Antis!“„Genau!“ Der Obmann lächelte kalt. „Antis! Die

Antwort ist so einfach, daß Sie sehr lange Zeitbenötigten, sie zu finden. Im ganzen Palast sind Antisverteilt. Ihre individuellen Schutzschirme sorgendafür, daß kein Gedankenimpuls nach außen dringt -und umgekehrt. Sie sorgen außerdem dafür, daß IhreTeleporter nicht mehr entmaterialisieren können. Undgegen Antis kommen Sie nicht an, es sei denn, es

gelänge Ihnen, sie auf Ihre Seite zu bringen. Aber dasist kaum möglich, denn auch Antis hängen am Leben.Besonders dann, wenn ich es in der Hand habe, esalle vier Wochen zu verlängern - oder nicht.“ „Waswollen Sie?“ fragte Marshall. „Wenn Sie uns töten,wird Terra früher oder später davon erfahren, dennglauben Sie nicht, wir wären ohne entsprechendeRückendeckung hierher gekommen. Auch wenn Siealle Spuren verwischen, nützt das nichts. Man weiß,wo wir sind.“

„Niemand denkt daran, Sie zu töten. Ich werde Sieeinfach festsetzen, das ist alles. Notfalls kann ich Sieaustauschen oder verkaufen. Man wird einen hohenPreis für Sie zahlen.“

„Für Rhodan auch!“Der Obmann schüttelte den Kopf.„Es gibt Dinge, die so wertvoll sind, daß sie um

keinen Preis verkauft würden. Rhodan gehört dazu.“Er gab Gouthy abermals einen Wink. „Bringe siefort, ich habe zu tun. Ich werde mich später mit ihnenunterhalten.“

Überall auf den Gängen, in regelmäßigenAbständen standen Antis. Marshall erkannte sie jetztsofort an dem fast unmerklichen Druck, den ihreSchutzschirme auf sein Gehirn ausübten. Warumhatte er nur vorher nicht darauf geachtet?

Sie wurden zu einem Lift gebracht. Gouthy achtetedarauf, daß zwei Antis stets bei ihnen blieben undstieß sie in den Gitterkäfig. Es ging abwärts. Marshallwußte nicht, wieviele Stockwerke der Palast in dieTiefe reichte, aber er schätzte, daß sie sich fünfzigMeter unter der Oberfläche befanden, als der Liftanhielt.

Hier unten waren die Gänge enger und massiver.Die gewölbte Decke bestand aus roh behauenenSteinen. Auch hier waren überall Antis. Der Palastwußte von ihnen wimmeln. Kein Wunder, daß wederSonden noch Gedankenimpulse eindringen konnten.

Gucky würde Verdacht schöpfen, das war klar.Hoffentlich beging er keinen Fehler und gerietebenfalls in eine Falle. Und was war mit Goratschin,dem „Zünder“? Konnten die Antis auch seineFähigkeiten neutralisieren?

Eine schwere Metalltür wurde geöffnet. Dahinterlag ein geräumige Zelle. Gouthy verzichtete darauf,seine Gefangenen anzuketten. Er sagte nur:

„Vor der Tür stehen Antiwachen. Auch über undunter diesem Raum sindwelche postiert. Es ist völligzwecklos, daß Sie Ihre Fähigkeiten ausprobieren. DerSchutzschirm der Antis hüllt Sie ein. Man wird Ihnenzu essen und trinken bringen, aber versuchen Siekeine Dummheit. Wenn der Obmann Zeit hat, wird erweiter mit Ihnen reden.“

Als sich die Tür geschlossen hatte, setzte sichMarshall in eine Ecke der kalten Zelle undkonzentrierte sich auf einen telepathischen Kontakt

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mit Gucky. Er spürte den harten Widerstand derSchutzschirme der Antis - und es gelang ihm nicht,sie zu durchdringen.

In diesem Augenblick war Marshall kein Telepathmehr.

Seine Kraft war gebrochen.Hilflos waren er und seine beiden Begleiter der

Willkür des Obmanns ausgeliefert.Nur noch ein Wunder konnte sie retten.

4.

Als der telepathische Kontakt plötzlich abbrach,richtete Gucky sich auf. Er hatte bisher auf der Couchin der Zentrale gelegen, um sich leichterkonzentrieren zu können.

„Homunk, ich habe keine Verbindung mehr!“„Sie sind im Palast verschwunden“, berichtete der

Robot, der den Bildschirm der Sonde nicht aus denAugen ließ. „Es muß etwas damit zu tun haben.“

„Noch mache ich mir keine Sorgen, Homunk. DieTeleporter können jederzeit hierher springen, wennGefahr droht. Trotzdem suche ich nach einerErklärung. Marshall hört doch nicht einfach auf zudenken. Etwas muß seine Gedanken blockieren. EinSchirm? Denke an die Sonde, die nicht in den Palasteindringen konnte.“

„Ich habe mir Gedanken darüber gemacht“, gabHomunk zu.

Einige der Mutanten . waren in die Zentralegekommen. Iwan Goratschin sagte:

„Vielleicht endlich eine Gelegenheit für mich. Sollich einen von den Palasttürmen explodieren lassen?Das ist leider das einzige, was von hier aus zu sehenist. Und ihr wißt, daß ich nur Ziele vernichten kann,die ich sehe.“

„Abwarten“, sagte Homunk, der nicht aus derRuhe zu bringen war.

Gucky hatte weniger Geduld.„Abwarten - du hast gut reden, Homunk! Ich

werde zum Palast teleportieren und nachsehen.“„Marshall hat verboten, Eigenmächtigkeiten zu

begehen.“„Er hat aber auch nicht damit gerechnet, daß wir

den Kontakt verlieren würden. Wir sind jetztautomatisch auf uns selbst angewiesen. Im übrigensorge ich schon dafür, daß mich niemand sieht.“

„Warte wenigstens, bis es dunkel geworden ist. Inzwei Stunden wird es Nacht.“

Gucky nickte.„Einverstanden, aber dann hält mich niemand

mehr zurück. Ich gehe allein.“Ralf Märten, der Teleoptiker, meinte:„Wir sind acht Mutanten mit den verschiedensten

Fähigkeiten. Es sollte uns möglich sein, selbst dieunmöglichste Lage zu meistern. Wir müssen nur

wissen, mit welchem Gegner wir es zu tun haben;dann werden wir auch mit ihm fertig. Es wird alsodeine wichtigste Aufgabe sein, die Natur desplötzlichen Kontaktabbruchs herauszufinden. Ichvermute, es handelt sich um mehr als nur eineneinfachen Energieschirm, sonst wäre es möglichgewesen, durch Marshalls Augen seine Umgebung zuerkennen. Ich muß zugeben, Marshall nicht einmalgefunden zu haben.“

Gucky sah ihn nachdenklich an.„Nicht gefunden? Warum nicht? Wie war das

Hindernis, gegen das du gestoßen bist?“„Nun - wie ein Schirm. Eine gläserne Wand,

würde ich sagen.“„Genau wie bei mir.“ Gucky starrte vor sich hin.

„Was ist mit dir, Wuriu?“Wuriu Senger war ein „Späher“. Sein breites

Gesicht wirkte fast gutmütig, als er antwortete:„Ich habe versucht, die vor dem Palast stehenden

Gebäude mit meinen Blicken zu durchdringen. Esgelang mir auch, und ich kam bis zum Palast. Dannwar es aus. Wie Märten schon sagte: es ist wie einegläserne Wand, aber ihre Oberfläche istunregelmäßig, nicht glatt. Es ist wie eineAnsammlung vieler kleiner Schirme, die überallverteilt sind.“

„Merkwürdig!“ Homunk nahm den Blick nichtvom Bildschirm. Dämmerung begann sich über dieStadt zu senken.

Lichter flammten auf. „Einzelne Energieschirme?Aber Telepathie müßte sie doch durchdringen!“

Gucky sprang plötzlich auf. Er schlug sich mit derPfote gegen die Stirn, daß es nur so klatschte.

„Ich habs! Antis! Die verdammten Brüder habenaber auch überall ihre Finger im Geschäft. Natürlich -Antis! Daß ich nicht gleich daran gedacht habe. Siehaben die Fähigkeit, kleine Individualschirmeaufzubauen, die von nichts durchdrungen werdenkönnen. Auch nicht von Paraimpulsen. Darum alsoging die Verbindung mit John verloren. Sehrbeunruhigend, möchte ich sagen. , Homunk, soll ichnicht lieber gleich springen?“

„Ich rate davon ab, Gucky.“Genau in diesem Augenblick summte der

Telekom. Auf dem Bildschirm erschien das Gesichtdes Obmanns. Es wirkte triumphierend undüberlegen.

„Nun meine Herren? Würden Sie so freundlichsein, die Bildübertragung auch von Ihrer Seite auseinzuschalten. Ich möchte wissen, mit wem ichspreche, bevor ich Ihnen eine wichtige Mitteilungmache.“

Goratschin und Gucky stellten sich so, daß dieKamera sie nicht erfassen konnte, dann erst schalteteHomunk ein. Nun konnte der Obmann einen Teil derZentrale und ihre Insassen erkennen.

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„Was wollen Sie?“ fragte der Robot, den Hondrofür einen Menschen halten mußte. „Warum sindunsere drei Leute noch nicht zurückgekehrt?“

„Sie sind meine Gäste“, gab der Obmann kaltzurück. „Und zwar für einige Zeit.“ Seine Stimmewurde plötzlich scharf und drohend: „Sie halten michwirklich für einen Dummkopf. Glauben Sie, ichwüßte nicht, daß in Ihrem kleinem Schiff TerrasMutantenkorps versammelt ist? Ein Wort von mirwürdegenügen, Sie alle auf einen Schlag in die Luftzu jagen.“

Selbst Homunk, der praktisch ohne Reaktionszeitauskam, benötigte eine halbe Sekunde, ehe erantworten konnte.

„Ein Angriff wäre zwecklos, da keine Waffeunsere Schutzschirme durchdringt. Was also wollenSie?“

„Ich verlange, daß Sie sofort starten undverschwinden. Wenn das nicht geschieht oder einAngriff auf Plophos erfolgt, werden Sie Ihre dreiLeute nicht mehr lebendig wiedersehen. Und fünfandere dazu.“

Also doch! Das war das Eingeständnis der Schuld.Der Obmann Hondro steckte hinter Rhodans

Entführung. Er hatte es nun selbst offen zugegeben.Gucky, unsichtbar für den Obmann, fletschte wütendseinen Nagezahn und ballte die kleinen Fäuste. Erschämte sich seiner Hilflosigkeit. Goratschins vierAugen funkelten drohend.

„Wir starten morgen“, sagte Homunk kalt. „UnsereGazelle liegt unter einem starken Schirm, der jedeWaffeneinwirkung zurückweist. Und ich glaube auchnicht, daß Sie unsere drei Leute leichtfertig tötenwerden. Sie sind als Tauschobjekt viel zu wertvoll.Morgen, vielleicht, haben wir Ihnen dann einigeVorschläge zu machen.“

Der Obmann lächelte. Es war ein kaltes undgrausames Lächeln.

„Einverstanden. Aber eins merken Sie sich: FallsSie versuchen sollten, Ihr Schiff zu verlassen, werdeich einen der Gefangenen töten lassen. Nehmen Siemeine Drohung ernst. Ich habe nichts zu verlieren,aber so ziemlich alles zu gewinnen.“

„Keine Sorge“, sagte Homunk abschließend, „wirnehmen Sie sogar sehr ernst.“

Der Schirm wurde dunkel. Gucky sprang auf dieCouch zurück.

„Ich werde dem Kerl persönlich den Halsumdrehen. Telekinetisch, damit ich mir die Fingernicht dreckig mache!“

„Sein Tod wird erst nach Rhodans Befreiungsinnvoll“, belehrte Homunk ihn sachlich. Er drehtesich um und sah Ralf Märten an. „Haben Sie Erfolgmit dem Konsul gehabt, Ralf?“

Der Teleoptiker nickte zögernd. „Nichtvollständig. Es gelang mir, in sein Bewußtsein

vorzudringen, das stark gehemmt scheint. Ein Block,ganz klar. Ich versuche, ihn zu sprengen. Wenn dasgeschehen ist, erfahren wir alles, was auch er weiß.“

„Wir haben noch ein Stunde Zeit, bevor Guckygeht.“

Es war eine lange Stunde, aber dann endlich war esdraußen ganz dunkel, wenn auch starke Scheinwerfervom Rand des Raumfeldes her die Gazelleanstrahlten und in grelles Licht tauchten. Hinter demLicht war es dafür um so finsterer.

Märten hatte Erfolg gehabt. Der Konsul sah mitirren Blicken um sich, ehe die Erinnerung langsamwieder zurückkehrte. Er wußte nicht viel. SeineAussagen gaben Gucky keinen Hinweis auf das, wasihn beim Palast erwartete. Auch von den Antis wußteder Konsul nichts. Er war ein willenloses Werkzeugdes Obmanns gewesen, ohne in seine Mannschafteneingeweiht worden zu sein.

„Soll ich nicht lieber mitkommen?“ fragteGoratschin, als sich der Mausbiber zum Sprung bereitmachte. „Ich kann dir den Weg freisprengen, wenn esnotwendig sein sollte.“

„Dann hole ich dich schon, Iwan. Einer fällt jetztweniger auf. Außerdem habe ich schon mit Antis zutun gehabt und kenne sie. Die kannst nicht einmal duin die Luft gehen lassen, weil deineAnregungsimpulse ihren Schirm nicht durchdringen.“

Gucky trug seine Spezialuniform und verzichteteauch nicht darauf, die beiden kleinen Strahlermitzunehmen, die extra für ihn angefertigt wordenwaren. Sie waren rechts und links in besonderenTaschen untergebracht.

„Sei vorsichtig“, warnte Homunk. „Wenn du inzwei Stunden nicht zurück bist, schicke ich jemandennach.“

„Keine Sorge. In zwei Stunden bin ich zurück.“Gucky war innerlich nicht so sicher, wie er sich

gab. Er hatte einen unheimlichen Respekt vor denAntis, gegen die es noch keine endgültige Waffe gab.Man konnte sie nur durch Zufall oder Listausschalten. Und genau das hatte Gucky vor.

Er konzentrierte sich auf den Innenhof des Palastesund sprang.

Ohne gegen ein Hindernis zu stoßen,rematerialisierte er auf dem Bodenbelag. Hinter ihmwar die Außenmauer, vor ihm lag der Palast imHalbdunkel. Es brannte nur wenig Licht, aber dieSchatten einiger Posten patrouillierten vor dem Portalauf und ab.

Gucky stellte fest, daß es keine Antis waren. Diegab es wahrscheinlich nur innerhalb des Palastes, umdiesen gegen die Außenwelt abzuschirmen. Es galtlediglich, eine Lücke in diesem Schirm-System zufinden.

Er teleportierte auf das Dach des Palastes.Es war flach. An den Ecken waren die

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Geschütztürme. Sie schienen während der Nachtnicht besetzt zu sein. Keine Gedankenimpulse kamenvon dort. Dafür kamen welche aus einer anderenRichtung. Direkt von unten.

Es waren zwei Posten, die im obersten Stockwerkdes Palastes ihre Runde gingen. Sie unterhielten sichüber belanglose Dinge, und Gucky hatte schon nachwenigen Minuten die Gewißheit, daß sie unwichtigwaren und nichts wußten, was ihm weiterhelfenkonnte.

Die nächste Teleportation brachte ihn in direkteBerührung mit einem Anti.

Mitten in der Luft rematerialisierte er, rutschte aneinem unsichtbaren Hindernis schräg ab undplumpste auf den harten Steinboden. Er saßunmittelbar vor den Füßen eines Mannes, der sichnoch nicht von seiner Überraschung erholt hatte.

Ein Anti im Schutz seines Individualschirms!Gucky wußte, daß der Anti seine Waffe solange

nicht benutzen konnte, wie der Schirm aktiviert war.Umgekehrt nützte in diesem Fall auch Gucky dieeigene Waffe nichts. Wollte der Anti das Feuereröffnen, mußte er zuvor den Schirm abschalten.Wenn er klug war, tat er das nicht.

Gucky erhob sich und nahm den Strahler aus derrechten Tasche.

„Damit du nicht auf den dummen Gedankenkommst, mich hereinlegen zu wollen“, sagte er undtrat bis zur gegenüberliegenden Wand zurück. In demGang war es dämmrig. Nur ein Licht brannte in derEcke. „Du kannst mir nichts tun, ich dir auch nicht.Die Partie ist ausgeglichen.“

Der Anti verstand Interkosmo.„Du bist ein Mutant?“„Sieht man das?“ Guckys Stimme klang

verwundert. „Was machst du hier? Gehörst du zu derLeibwache des verdammten Obmanns?“

„Wozu sonst? Du kommst vom Schiff? EinTeleporter? Es ist sinnlos, wenn du die Gefangenenbefreien willst. Das Verlies ist hermetischabgeriegelt. Du kommst nicht durch.“

„Und warum hilfst du mir nicht?“„Warum sollte ich? Kannst du mir einen Grund

nennen?“„Viele. Du weißt, daß der ObmannRhodan

gefangengenommen hat. Wir werden Rhodan findenund befreien. Wir wären dir zum Dank verpflichtet,und wir vergessen niemals jene, die uns halfen.“

„Selbst wenn ich wollte, könnte und dürfte ich dirnicht helfen.“

„Warum nicht?“„Besitzt du vielleicht das Gegengift, um mir in drei

Wochen das Leben zu retten? Der Obmann gab mireine Injektion. Wenn ich nicht alle vier Wochen vonihm eine Gegeninjektion erhalte, muß ich sterben.“

„Verfluchte Methode!“ murmelte Gucky

erschrocken.„Mehr als das: todsicher! So und was nun? Es ist

meine Pflicht, Alarm zu schlagen. Willst du michdaran hindern?“

„Allerdings.“„Und wie? Mein Schirm ist undurchdringlich.

Meine Stimme gelangt durch eine winzigedurchlässige Stelle zu dir. Du würdest sie nieentdecken. Nichts kann mich daran hindern, zurnächsten Kontrollstelle zu gehen und den Alarmauszulösen. Würde ich es nicht tun, bekäme mir dasnicht. Die Injektion bindet mich für den Rest meinesLebens.“

Gucky sah ein, daß die Lage ziemlich auswegloswar. Es gab kein Mittel, den Anti an seinemVorhaben zu hindern. Auch ohneGedankenübertragung war jedoch klar zu erkennen,daß der Anti kein Freund des Obmanns war. Nur dieGiftinjektion band ihn an den Diktator.

„Ich will und kann dich nicht daran hindern, deinLeben zu bewahren“, sagte Gucky endlich. „Abervorher beantworte mir einige Fragen. Es kann dirnicht schaden, vielleicht aber später einmal sehrnützlich sein.“

„Frage.“„Wo sind die drei Gefangenen? Was weißt du von

Rhodans Aufenthaltsort? Ist er etwa hier im Palast?“Der Anti schüttelte den Kopf.„Zuviel Fragen. Von Rhodan weiß ich nichts. Die

drei Gefangenen sind im Keller, schwer bewacht undeingeschlossen. Du kannst sie nicht befreien. Nunmuß ich gehen. Bringe dich in Sicherheit.“

„Ich danke dir, Anti. Vielleicht kann ich dir einesTages meine Dankbarkeit beweisen.“

„Kaum“, erwiderte der Anti resignierend undschritt langsam davon.

Gucky sah ihm nach.Ganz klar, der Anti war zu dieser Aufgabe

gezwungen worden. Der Obmann mußte guteVerbindungen haben, wenn er Antis in den Diensthatte pressen können. Und wenn er das tat, dannwußte er auch um die Schwächen der Mutanten. Under hatte geahnt, daß die Erde ihr Mutantenkorpsgegen ihn einsetzen würde. Ein schlauer Gegner, undwahrscheinlich der gefährlichste, den es jemalsgegeben hatte.

Unten im Keller also.Gucky verzichtete auf eine Teleportation und

rannte, so schnell ihn seine kurzen Füße trugen, denKorridor in der entgegengesetzten Richtung davon.Er fand den Aufzug und sprang in die Kabine. Esdauerte fast eine Minute, bis er den richtigen Knopffand und die Kabine schnell nach unten sank.

Schrilles Läuten unterbrach die Stille.Der Anti erfüllte seine Pflicht, um sein Leben nicht

zu verlieren.

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Gucky fluchte, als der Lift plötzlich anhielt.Wenn er sich nicht verschätzte, mußte er bereits

unter der Oberfläche sein, vielleicht vierzig oderfünfzig Meter tief. Aber der Aufzugschacht war nochnicht zu Ende. Wo waren die Gefangenen?

Noch während er darüber nachdachte, spürteGucky plötzlich, wie der unsichtbare Druck dervielen Antischirme von seinem Gehirn wich. In dembisher undurchdringlichen Hindernis war auf einmaleine Lücke. Eine Falle vielleicht. Gucky ließ sichnicht verführen, durch die Lücke zu teleportieren.Hinter ihm konnte sie sich schließen, und er wargefangen. Aber es war ungefährlich, die Gedankenvorzuschicken.

Er tat es - und er fand Marshall.„Gucky!“„Bin in der Nähe. Wo steckt ihr?“„Im Keller, fünfzig Meter tief. Warum auf einmal

Verbindung?“„Keine Ahnung. Warte, ich peile dich an. Soll ich

springen?“„Die Antis...!“Gucky überlegte.Sollten die Antis beschlossen haben, sich heimlich

mit ihnen zu verbünden, oder war er wirklich dabei,in eine raffinierte Falle zu tappen? Gern dienten dieAntis nicht dem Obmann, das war klar. Aber nur erbesaß das Gegengift. Und jedes Geschöpf hing amLeben, auch die Antis. Auf der anderen Seite mußtensie den Obmann hassen. Und wenn Rhodan befreitwurde, erging es dem Obmann nicht gut.

Gucky verstand die Hintergründe für dasDoppelspiel der Antis wohl, und er nahm es ihnennicht übel. Sie gingen eben kein Risiko ein. Auf deranderen Seite konnte er sich irren. Es warunwahrscheinlich, daß alle Antis geschlossen in denVerrat eines einzelnen eingeweiht wurden.

Dann blieb Gucky keine Zeit mehr zum Überlegen.Der Lift setzte sich wieder in Bewegung. Nach oben.

„Achtung, John! Ich teleportiere! Denken! Nichtaufhören zu denken!“

Gucky benötigte Marshalls Denkimpulse, um dieLücke im Schirm der Antis - ob gewollt oderungewollt - nicht zu verlieren. Er konzentrierte sichund peilte gleichzeitig Marshalls Standort an. Als erwieder materialisierte, stand er in der düsterenSteinzelle vor den drei Gefangenen.

„Wahrscheinlich habe ich einen Fehler gemacht“,sagte er und bereute seine Voreiligkeit. Als er aberdann Ras Tschubais erleichtertes Gesicht sah, warenihm die Folgen seines Vorgehens ziemlichgleichgültig. Er hatte die Freunde gefunden, nur daszählte jetzt.

„Los, berichte.“Marshall faßte sich kurz und informierte Gucky

über die bisherigen Ereignisse. Es stand somit

einwandfrei fest, daß die Plophoser Rhodan entführthatten. Wer von seinem jetzigen Aufenthaltsortwußte, war unklar, aber wahrscheinlich hatte derObmann nur wenige seiner Vertrauten eingeweiht. Esgalt, einen dieser Vertrauten zu fassen undauszufragen.

„Zuerst müssen wir hier heraus“, sagte Gucky nachkurzem Nachdenken. „Ich bin zu euch gelangt, alsomuß der Weg auch in umgekehrter Richtung möglichsein.“ Er berichtete von dem Anti, den er im oberstenStockwerk getroffen hatte. „Achtung! Jemand nähertsich. Es ist dieser Etehak Gouthy, der Chef desGeheimdienstes. Ausgezeichnet!“Marshall fand daszwar keineswegs ausgezeichnet, aber er schwieg.

Die Tür wurde aufgerissen. Gouthy kam in dieZelle. Zwei Antis begleiteten ihn. Er befand sichinnerhalb ihrer persönlichen Schutzschirme, und eswar Gucky unmöglich, an ihn heranzukommen.Weder telepathisch noch telekinetisch. Aber GouthysStimme war deutlich, wenn auch ein wenig dumpf,zu vernehmen.

„Ah! Besuch! Teleporter, nehme ich an. EinZwerg! Welche Überraschung!“

Gucky war bei der Bezeichnung „Zwerg“zusammengezuckt. Er saß auf den Hinterpfoten undstarrte Gouthy wütend an.

„Das mit dem Zwerg wird dir noch leid tun,abgebrochener Riese“, zischelte er. Vor Aufregunglispelte er dabei, als sei ihm der Nagezahn im Weg.„Sofort läßt du uns frei, sonst passiert etwas!“

„Und was soll passieren?“ fragte Gouthyselbstbewußt. „Gegen die Antis i kommen auchRhodans famose Mutanten nicht an. Ihr kennt dasUltimatum des Obmanns. Wenn ich ihn unterrichte,läßt er euer Schiff vernichten.“

„Auch wir haben Schutzschirme“, warnte Gucky.„Wo ist Rhodan?“

Die plötzliche Frage verwirrte den Chef desSicherheitsdienstes. Er zögerte eine Sekunde, dannsagte er:

„Woher soll ich das wissen? Fragt doch denObmann.“

„Wird gemacht, bei Gelegenheit. Aber ich wette,du weißt es auch.“

„Und wenn? Von mir erfahrt ihr nichts. Du Zwergschon gar nicht!“

In seiner Wut vergaß Gucky alle Schutzschirmeder Antis. Er setzte seine ganze Konzentration an undbaute einen telekinetischen Wall auf, den er gegenGouthy vorstieß. Er prallte gegen die Schirme derAntis - und bewegte sie.

Etehak Gouthy taumelte zurück und stieß mit demRücken gegen die Mauer neben der Tür. Er war blaßgeworden. Völlig unnötig, denn Gucky kam nichtnäher an ihn heran. Aber er hatte für Sekunden einegroße Lücke in die Schirme der Antis gerissen. Im

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Sekundenbruchteil erfaßte er die Chance.„John - springen! Zum Schiff!“Ras Tschubai ergriff Marshalls Arm - und

entmaterialisierte.Tako und Gucky kamen ein wenig zu spät. Als

auch sie entmaterialisierten, hatte sich die Lückebereits wieder geschlossen. Die beiden Teleporterwurden im fünfdimensionalen Raum gegen dasHindernis geschleudert, materialisierten und stürzenauf den Boden der Zelle herab.

Gouthys wutverzerrtes Gesicht war das erste, wassie sahen. Der Chef der Blauen Garde war bis an dieTür zurückgewichen.

„Ihr zwei bleibt hier - ihr entkommt mir nicht.“Die Tür knallte zu.Gucky seufzte und sah Tako an.„Pech, mein Lieber. Aber mach' dir weiter keine

Sorge, Tako. Jetzt weiß ich, wie man ihnenbeikommen kann. Telekinetisch kann ich die Schirmeder Antis zurückdrängen und eine Lücke schaffen.Da kommen wir immer durch, wenn wir nächstesMal schneller sind.“ Er sah sich um. „Gemütlich istes hier nicht.“

Tako setzte sich auf den nackten Felsboden.„Marshall und Ras sind entkommen. Sie werden

alles unternehmen, um uns zu befreien. Jetzt istwenigstens Homunk und der Rest des Korpsunterrichtet.“

„Eben“, sagte Gucky und setzte sich ebenfalls.„Warten wir ab, was unsere Freunde unternehmen.“Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Diesen Gouthykaufe ich mir noch! Er hat mich tödlich beleidigt.“

Tako nickte mitfühlend.„Ja, er hat dich einen Zwerg genannt.“Gucky grinste schon wieder.„Das ist es weniger. Aber er hat nicht gewußt, wer

ich bin!“Tako grinste zurück.Er wußte plötzlich, daß sie hier wieder

herauskommen würden.

*

Marshall berichtete zum zweitenmal von denErlebnissen im Palast und schlug vor, noch in dieserNacht den entscheidenden Schlag gegen den Obmannzu führen. Die Mutanten stimmten ihm zu. Lediglichdie vier Offiziere und der Robot Homunk bliebenskeptisch.

„Wir dürfen auf keinen Fall die Gazelle aufs Spielsetzen“, sagte Captain Tetmal. „Warum bitten wirnicht die THORA um Hilfe? Ohne die Einwilligungdes Solarmarschalls dürfen wir nicht offen gegenPlophos vorgehen.“

„Wir werden uns nicht mehr erlauben, als derObmann sich gegen uns erlaubte“, meinte Marshall.

„Ein solcher Angriff will überlegt sein“, gabHomunk zu bedenken. „Die Antis bereiten mir Sorge.Wie ist ihnen beizukommen? “

Marshall erklärte:„Sie sind in der Lage, mit ihren mentalen Kräften

einen Schutzschirm aufzubauen, der nur dannzusammenbricht, wenn die Antis sterben oderzumindest bewußtlos werden. Diese Schirmekompensieren alle bisher bekannten Psifähigkeiten.Das ist die Überlegenheit der Antis. Ihre einzigeSchwäche ist die Tatsache, daß die Schirme mitbloßer Materie zu durchdringen sind, wenn dieseMaterie antimagnetisch ist. Antimagnetisch, aberauch nicht organisch. Ein Pfeil aus Plastik würdezum Beispiel den Schirm durchdringen.“

Homunk deutete auf den schmalen Wandschrankim Hintergrund der Zentrale.

„Dort sind die Waffen. Unter ihnen sind schwereKombilader. Auch einige Magazine mitantimagnetischen Kunststoffnadeln sind vorhanden.Sie enthalten ein schnell wirkendes Betäubungsgift.Ist es das, was Sie meinten, Marshall?“

„Ja, Homunk. Die Frage ist nur, wen schicken wir?Einen Teleporter, das ist klar. Aber jemand muß ihnbegleiten. Die Wachen im Palast sind schwerbewaffnet, zum Teil mit Energiestrahlern, aber auchmit Projektilwaffen.“

Homunk nahm einen Kombilader aus demSchrank, den er inzwischen geöffnet hatte. Währender ein Magazin mit den Spezialgeschossen in denKolben einführte, sagte er:

„Die Frage ist unnötig, Marshall. Sie übernehmenhier das Kommando. Ras Tschubai wird mich zumPalast bringen.“

„Du, Homunk? Du willst gehen?“„Es ist die beste Lösung. Die Energiestrahler der

Plophoser können mir nicht viel anhaben, dieKugelgeschosse schon gar nicht. Hinzu kommt, daßkein Telepath meine Gedanken lesen kann. Ich binein Roboter, kein leicht verwundbarer Mensch. Ichgehe.“

Dagegen war kaum etwas zu sagen. Marshallerklärte sein Einverständnis. Ras Tschubai kannte dieÖrtlichkeit am besten. Er würde sie beide auf dasDach des Palastes bringen. Dort würde manweitersehen.

„Wenn Guckys Vermutung stimmt, dann kennenzwei Männer Rhodans Aufenthaltsort. Der Obmannund dieser Gouthy. Einen von beiden müssen wir inunsere Gewalt bringen.“ Homunk brachte seineUniform in Ordnung. Es gab rein äußerlich nichts,was ihn von einem Menschen unterschieden hätte.Sogar seine Haut bestand aus organischenGrundstoffen, wenn sie auch durch eine Schicht ausunbekanntem Metall verstärkt worden war. Jetztlächelte er sogar, als er hinzufügte: „Ich werde einen

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von ihnen zum Sprechen bringen, denn wenn einMann das Grauen kennenlernt, vergißt er alle gutenund schlechten Vorsätze.“

Ras Tschubai nahm seine Hand.„Wenn wir den Anti finden, der Gucky geholfen

hat...“„Wir werden ihn finden!“ sagte Homunk! Dann

nickte er. „Ich bin bereit.“Zwei Sekunden später waren sie verschwunden.Marshall starrte auf den Fleck, wo sie gestanden

hatten.Er nickte Captain Tetmal zu.„Bleiben Sie hinter den Kontrollen der Gazelle,

Captain. Sobald das geringste Anzeichen einesbevorstehenden Angriffs sichtbar wird, schalten Siedie Schutzschirme ein. Leutnant Raft, Sie besetzendie Waffensteuerzentrale. In zwei Stunden lasse ichSie beide ablösen. Diese Nacht wird lang werden.“

Sie wurde kürzer, als alle annahmen.

*

Gucky war nicht untätig geblieben.Der erste Erfolg ließ ihm keine Ruhe. Wenn er die

Schutzschirme der Antis telekinetisch zurückdrängenkonnte, dann mußte es eine Kleinigkeit für ihn sein,eine Tür aufzubrechen. Der Schirm der Antiwachenreichte zwar durch die Mauer und ein Stück in dieZelle hinein, aber das ließ sich nicht ändern.

„Du bleibst hübsch dort an der Mauer sitzen, Tako.Gesprungen wird erst dann, wenn ich das Zeichendazu gebe. Hinauf aufs Dach. Ich verlasse den Palastnur in Begleitung dieses blauen Heinis, der micheinen Zwerg nannte!“

Er stellte sich in einiger Entfernung vor der Türauf und begann, mit seinen telekinetischenGeistesströmen zu tasten. Bald stieß er auf dasunsichtbare Hindernis und drängte es zurück. Es gabnach und wich. Es wich bis hinter die Mauer und Tür.Nun konzentrierte sich Gucky auf die Tür und setzteseine ganze Konzentration ein.

Mit einem ohrenbetäubenden Bersten sprang dieTür aus den Angeln. Zwei Antis, die dicht hinter ihrgestanden hatten, wurden gegen die Korridorwandgeschleudert und verloren die Besinnung. IhreSchirme brachen sofort zusammen. Der Weg warfrei.

„Weg von hier!“ rief Gucky dem Japaner zu.„Aufs Dach!“

Als sie dort materialisierten, gellte bereits derAlarm durch den Palast.

„Die haben heute eine unruhige Nacht“, frohlockteder Mausbiber schadenfroh und sah sich schnell um.„Vielleicht finden wir unseren Freund wieder. Dermuß doch wissen, wo der Blaubart wohnt.“

Etehak Gouthy, von dem Gucky so respektlos

dachte, ahnte nichts von dem doppelseitigenInteresse, das man ihm widmete. Er war kaum in seinZimmer zurückgekehrt, als er von der Flucht derbeiden übrigen Gefangenen erfuhr. Wutentbrannt gaber den Befehl, die verantwortlichen Wächtereinzusperren, bis der Obmann über ihr Schicksalentschied. Wahrscheinlich würden sie auf dieInjektion mit dem rettenden Gegengift verzichtenmüssen.

Dann eilte er zu Iratio Hondro.Der Obmann war wegen der erneuten Störung

ungehalten, aber als er von der geglückten Flucht desMausbibers hörte, verwandelte sich sein Ärger inhemmungslose Wut.

„Du bist schuld, Gouthy! Ich habe dich gewarnt.Nun hast du versagt. Ich werde mir überlegenmüssen, ob ich dir die Injektion nochmals gebe.“

„Du wirst es nicht wagen, mich sterben zu lassen,Obmann. Außerdem hast du keinen Grund. DieFlucht erfolgte ohne mein Verschulden. Die Antishaben versagt. Warum hast du dir auch soviel vonihnen versprochen?“

Der Obmann gab keine Antwort. Er ging zumSchreibtisch seines neben dem Schlafgemachgelegenen Arbeitszimmers und nahm einen schwerenStrahler aus der Schublade. Er drückte ihn Gouthy indie Hand.

„Sorge dafür, daß du die Gefangenenzurückbringst, und wenn du sie aus dem Schiff holenmußt. Ich wollte sie verkaufen, nicht verschenken.“

Gouthy starrte die Waffe an, dann ging er. Erwußte, daß es für ihn keine andere Möglichkeit gab,wenn er in zwei oder drei Wochen noch leben wollte.

Draußen auf dem Gang erwarteten ihn seine dreiLeibwächter. Es waren drei Antis. Sofort und ohneeinen Befehl abzuwarten, hüllten sie ihn in ihreSchutzschirme ein. Nun war er sicher vor jedemAngriff.

Unten im Keller fragte er die Wächter derGefangenen aus. Eine unsichtbare Kraft hatte siezurückgedrängt, behaupteten sie. Ihre Schirme wärenplötzlich zusammengebrochen und die Gefangenenentflohen.

Gouthy zitterte vor Wut - und Angst. Wenn alleGefangenen entkommen waren, hatte er einenschweren Stand beim Obmann. Er mußte die Schuldauf die Antis abwälzen, anders war es nicht möglich.Ehe die beiden Antis ihren Schutzschirm wiederaufbauen konnten, schlug er ihnen mit der Faust indie schutzlosen Gesichter. Dann ließ er sie stehenund eilte weiter.

Die Alarmanlage auf dem Dach war in Tätigkeitgetreten.

Zusammen mit seinen Leibwächtern eilte er zumAufzug und fuhr nach oben. Vielleicht waren dieEntflohenen auf dem Dach gestellt worden.

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Page 28: Gucky und die Blaue Garde

Gucky und Tako hätten die Verwirrung ausnützenund sich in Sicherheit bringen können, aber derMausbiber dachte nicht daran, seinen Plan so schnellaufzugeben. Außerdem war er überzeugt, daß derChef der Blauen Garde den Aufenthaltsort Rhodanskannte. Wenn er ihn faßte, schlug er also gleich zweiFliegen mit einer Klappe.

Auf dem Dach war niemand zu sehen. DieAbsperrung der Antis begann ein Stockwerk tiefer, sodaß der Fluchtweg vom Dach selbst aus blieb. Es warnur unmöglich, erneut in den Palast einzudringen.Wenigstens nicht von hier aus.

Ein Scheinwerfer flammte auf und tauchte dasDach in grelles Licht. Vier Gestalten erschienen beimAufzug. Sie wurden angeleuchtet und waren gut zuerkennen.

„Gouthy mit seinen Antis!“ flüsterte Gucky, halberfreut, halb erschrocken. „Schwer ranzukommenjetzt. Immerhin besser, als müßte ich in den Palastzurück. Jetzt fehlte uns nur...“

Er sprach nicht weiter. Keine zehn Meter entferntentstanden zwei weitere Gestalten aus dem Nichts.

Ras Tschubai und Homunk!Gouthy und seine drei Antis konnten nichts

unternehmen, wollten sie sich nicht selbst gefährden.Trotzdem kamen sie langsam näher. Hinter denSchirmen wurden die Energiewaffen schußbereitgehalten. Gouthy hatte den schweren Strahler aufGucky gerichtet, den er wohl für den gefährlichstenseiner Gegner hielt.

Homunk ließ die Hand des Afrikaners los undbegann, langsam auf Gouthy zuzugehen. In derBeuge seines linken Arms lag der Lauf desKombiladers.Der Daumen der rechten Hand war aufdem Feuerknopf.

„Gouthy, ich fordere dich auf, freiwillig mit uns zukommen. Wirf deine Waffe fort und befiehl denAntis, den Schirm abzubauen. Du ersparst dir vielÄrger.“

Gouthy war stehengeblieben. Er starrte Homunkan.

„Soll das ein Trick sein? Ihr könnt mir nichtsanhaben. Zwar kann ich meiner Wache befehlen, denSchirm abzuschalten, aber ich täte es nur, um euch zuvernichten. Aber wartet noch ein paar Sekunden...“

Gucky konnte die Gedanken des Plophosers nichtlesen, denn wenn er schwieg, schloß sich die winzigeLücke, durch die das gesprochene Wort nach außendrang. Der Schirm hielt dicht.

Homunk war stehengeblieben. Er sah Guckywarnend an.

„Laß mich nur machen. Springe mit Tako zumSchiff zurück. Wir werden in wenigen Minuten beieuch sein.“

„Ich will aber...“„Tu, was ich dir sage. Keine Sorge, wir bringen

Gouthy mit.“Weitere Scheinwerfer flammten auf. Sie waren an

den Ecktürmen des Palastes angebracht undleuchteten die Gruppe an. Homunk hob seine Waffe.

„Fort, Gucky! In wenigen Sekunden ist die Höllelos! Die Geschützbedienungen der Impulskanonenauf den Türmen sind nicht auf die Antisangewiesen.“

Gucky und Tako erkannten die Gefahr. Sie ahntenauch, daß sie Homunk jetzt nur störten. Der Roboterhatte eine ganz bestimmte Absicht, die er ihnen nichterklären wollte.

Die beiden Teleporter entmaterialisierten.Nun zögerte Homunk nicht länger, denn er wollte

Ras Tschubai nicht einer Gefahr aussetzen, mit derer, ein Robot, vielleicht fertig geworden wäre.

Sein Daumen drückte den Feuerknopf ein.Die winzigen Plastikgeschosse pfiffen aus der

Mündung, durchdrangen die Schutzschirme der Antisund schlugen in ihre Körper ein. Gouthy spürte einenscharfen Schmerz im Bein, dann raste die Lähmungdurch sein Nervensystem. Die Waffe entfiel seinenkraftlosen Händen. Er sank zu Boden.

Auch die Antis verloren die Besinnung.Gleichzeitig brachen ihre Schirme zusammen.

Homunk rannte zu Gouthy.„Schnell, Ras! Keine Sekunde verlieren! Gleich

werden sie das Feuer auf uns eröffnen.“Es klappte, als hätten sie alles schon hundertmal

geprobt.Ras ergriff Gouthys rechten Arm, Homunk den

linken. Der körperliche Kontakt genügte, dieTeleportation zu ermöglichen.

Als Gouthy nach zehn Minuten wieder zu sichkam, starrte er in die Gesichter der Terraner. Er sahan ihnen vorbei und erkannte auf dem Bildschirm denPlaneten Plophos, der schnell kleiner wurde und inder Tiefe des Alls versank.

Und mit ihm versank auch die Hoffnung,rechtzeitig die Gegengiftinjektion zu erhalten.

„Dich hätten wir“, sagte Gucky mit Genugtuungund stellte sich breitbeinig vor den am Bodensitzenden Gouthy.

„Und nun wirst du es bald bereuen, mich einenZwerg genannt zu haben, du ... du ...Zwergenbeleidiger, du!“

Etehak Gouthy konnte nicht einmal grinsen.

5.

„Ich fürchte“, sagte Julian Tifflor zu seinemGefangenen, „Sie sind sich nicht ganz darüber imklaren, was Ihnen bevorsteht. Wenn wir Sie nichtrechtzeitig nach Plophos zurückbringen, werden Siedie Injektion nicht erhalten. Was dann geschieht,wissen Sie selbst.“

28

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Etehak Gouthy starrte den Mann, der RhodansStellvertreter geworden war, verbissen an. Seineganze Konzentration galt der Blockierung seinergeheimsten Gedanken. Hier an Bord des riesigenSchlachtraumers gab es genügend Telepathen. Essollte ihnen nicht gelingen, ihm das Wissen zuentreißen, mit dem er sich das Leben erkaufenkonnte. Und nicht nur das Leben, sondern auchMacht und Reichtum.

„Ich würde sprechen, wenn Sie das Gegengiftbesäßen. Eine Rückkehr nach Plophos stellt mich vorunangenehme Alternativen. Ich habe meineGefangenen entkommen lassen. Der Obmann siehtdas nicht gern.“

„Wir wollen Sie nicht belügen, Gouthy. Wir habenkein Gegengift, und wir können Sie nicht retten. AberSie werden auch so sprechen und uns verraten, woRhodan und seine vier Begleiter sich aufhalten. Wirwerden Sie dazu zwingen - und nicht nur durchDrohungen.“

„Von mir erfahren Sie nichts.“„Sie vergessen die Mutanten.“„Bisher haben sie versagt.“„Geben Sie sich keiner falschen Hoffnung hin.“

Julian Tifflor warf Mercant einen Blick zu. „Siekönnen Ihren Gehirnblock nur dann errichten, wennSiewach sind. Was aber geschieht, wenn Sieschlafen? Ihre Gedanken wären dann keinerKontrolle mehr unterworfen, und es würde leicht fürunsere Telepathen sein, Ihnen Ihr Wissen zuentreißen. Nur wären wir Ihnen dann nicht mehr zumDank verpflichtet.“

„Auch Ihre Telepathen müssen schlafen.“„Sicher, aber sie tun es abwechselnd. Es sind

mindestens vier Telepathen an Bord der THORA.Einer wird ständig in Ihrer Nähe sein, wach undfrisch. Wird er müde, löst ihn ein anderer ab.Glauben Sie wirklich, daß Sie das auf die Daueraushalten?“ Tifflor lächelte. „Begreifen Sie nicht,was ich will? Ich möchte, daß Sie unser Verbündetersind. Wenn wir Ihnen Ihr Wissen mit Gewaltnehmen, sind Sie nur Gefangener.“

„Mir ist der Unterschied gleichgültig.“„Seien Sie nicht so leichtsinnig. Wenn Rhodan

später über das Schicksal der Entführer zuentscheiden hat, wird es gut für die Betreffendensein, einige Pluspunkte gesammelt zu haben.“

„Sie werden Rhodan nie finden!“„Aber er lebt doch, nicht wahr?“„Er ist tot!“„Sie lügen! Wir wissen, daß er lebt. Sie haben

einen Mann dafür sterben lassen, weil er es wußte.Den Agenten Konstantin. Sie wissen, daß wir Sie füreinen Mord zur Rechenschaft ziehen können.“

„Auch Sie töten einen feindlichen Agenten, wenner...“

„Wir vergeuden unsere Zeit.“ Zum erstenmalverriet Tifflors Stimme Ungeduld. „Ich werde Siejetzt Ihrem Schicksal überlassen. Von mir aus könnenSie sich weigern. Auf ein paar Stunden mehr oderweniger kommt es nun auch nicht mehr an. Siewerden schon weich werden. Die erste Wacheübernimmt Gucky, der sich schon darauf freut, mitIhnen ein wenig plaudern zu können.“

„Lassen Sie mich mit dem Zwerg in Ruhe“.Tifflors Lippen zuckten ein wenig.„Sie und Ihr Volk haben die Erde vor dreihundert

Jahren verlassen, aber Sie haben nichts dazugelernt.Inzwischen hätten Sie nämlich wissen sollen, daßnicht das Aussehen eines Geschöpfes für seinen Wertentscheidend ist, sondern einzig und allein seinDenken und Handeln. Gucky ist kein Mensch,sondern ein Mausbiber. Vielleicht würden Sie ihn alsTier bezeichnen, was Ihnen Gucky selbst amwenigsten übelnehmen würde. Aber merken Sie sich,Gouthy: ein Mausbiber ist mehr wert als das ganzeVolk der Plophoser!“

Gouthy war zusammengezuckt. Schweigend ließ ersich von zwei Wachoffizieren in die gepanzerte Zellebringen, deren Stahltür sich hinter ihm schloß.

Er war allein, aber er wußte, daß er nicht wirklichallein war. Die Telepathen bewachten ihn und seineGedanken. Keine Sekunde durfte er den Blocklockern, den er um seinen Erinnerungsspeicher gelegthatte. Immer, jede Sekunde, mußte er daran denken,nichts zu denken. Auf keinen Fall durfte er an jenenOrt denken, an dem Rhodan gefangengehalten wurde.Nur nicht daran denken! Nicht denken!

Nicht denken!In der Zentrale fragte Mercant:„Glauben Sie wirklich, Julian, daß Ihre Methode

Erfolg hat? Angesichts unserer Lage befürworte ichsogar eine physische Beeinflussung. Ein bißchenGewalt, »und er wird den Mund aufmachen. Es gibtMittel, denen ist auch der stärkste Mann nichtgewachsen.“

Julian Tifflor lächelte.„Wir haben Zeit, Allan. Gouthy ist erschöpft. Er

wird es nicht lange aushalten. Hinzu kommt, daß ersich ständig stark konzentrieren muß. Ich schätze,daß er in zwei oder drei Stunden bereitszusammenbrechen und alles sagen wird, was wir vonihm wissen wollen. Die Telepathen kontrollierenseine Aussagen dann auf ihre Richtigkeit.“ Er wandtesich an Hite Tarum: „Wie ist die Position, Oberst?“

„Zwei Lichtwochen von Plophos entfernt. KeineVerfolger bisher festgestellt.“

„Verständigen Sie trotzdem die Flotte und fordernSie einige Schlachtschiffe und schnelle Kreuzer an.Wir müssen damit rechnen, angegriffen zu werden,und ich möchte nicht, daß wir in einen Kampfverwickelt werden, wenn Gouthy einmal gesprochen

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hat.“Der Kommandant gab die entsprechenden Befehle

an die Funkzentrale weiter.Die THORA war nicht weit vom Mittelpunkt der

Galaxis entfernt. Die Sterne standen hier besondersdicht. Sie erschwerten die Sichtnavigation beimdirekten Linearflug. In diesen Regionen wäre dieveraltete Methode des Hypersprungs sicherergewesen.

Gucky hockte inzwischen vor Gouthys Kabine undwartete auf das erste Anzeichen der Schwäche beiseinem Gegner. Der Mausbiber wollte den Postennicht eher aufgeben, bis Gouthy ihm den Ort verriet,an dem Rhodan jetzt war. Er knabberte lustlos aneiner vertrockneten Mohrrübe herum undbeschimpfte lautlos den Koch der THORA, der ihmmit der billigen Ausrede gekommen war, auf derTHORA sei man nicht auf Mausbiber eingerichtetgewesen.

Nicht denken!Der Impuls wiederholte sich immer wieder und

wirkte fast einschläfernd. Gouthy schien sich mitdem gedanklichen Befehl selbst hypnotisieren zuwollen. Lange hielt er das nicht aus.

Aber Gucky auch nicht. Er fand es ausgesprochenlangweilig, hier auf dem Gang zu hocken. Außerdemtrug die ganze Situation nicht dazu bei, sein Ansehenzu heben.

Mit einem unterdrückten Fluch schleuderte er denRest der Rübe in den Korridor, um dessen Eckegerade der Doppelkopfmutant Goratschin bog.Prompt rutschte er auf der glitschigen Masse aus. Alser sich hinsetzte, dröhnte es, als sei ein mittlererElefant aus dem zweiten Stock eines Hauses auf dieStraße gefallen.

Gucky drückte sich gegen die Tür, um nichtentdeckt zu werden. Aufmerksam beobachtete er denriesigen Mutanten mit den zwei Köpfen, der geradedabei war, sich wieder aufzurappeln.

„Kannst du denn nicht aufpassen?“ sagte der linkeKopf.

„Als ob du keine Augen hättest!“ erwiderte derrechte wütend.

„Kehre nur nicht wieder dein Alter heraus, Iwan!“„Wegen der drei Sekunden, die du später zur Welt

kamst, wollen wir uns nicht streiten. Worauf sind wirüberhaupt ausgerutscht?“

„Da liegt es... nanu?“„Habe ich es mir doch fast gedacht! Die kleine

Ratte hat wieder Rüben gefressen und wirft mit denResten in der Gegend umher. Man kann sich ja dasGenick brechen. Wir werden ein ernstes Wort mitTifflor reden müssen ...“

„Meint ihr mich?“ Gucky hatte sich erhoben undspazierte auf Goratschin zu. Sein Gesicht hätte jedemZeichner eines Unschuldsengels als Modell dienen

können.„Da soll doch...!“ Iwan verschlug es die Sprache.

Sein Zwillingskopf Iwanowitsch ließ die linke Handdes Mutanten auf den zertretenen Mohrrübenrestdeuten. „Das stammt doch von dir, oder?“

„Na und?“ Gucky starrte auf den Gegenstand desAnstoßes.Das Rübenstückchen erhob sich plötzlich,als lebe es, und schwebte schwerelos bis zweieinhalbMeter Höhe. Wie von unsichtbarer Hand gehalten,kreiste es langsam um die beiden Köpfe des Riesen.Goratschin wußte natürlich, daß Gucky die Rübetelekinetisch bewegte, aber der Anblick plötzlichgewichtsloser Materie, die Gedankenbefehlengehorchte, war immer wieder aufs neue faszinierend.

Iwan öffnete den Mund, um etwas zu sagen.Er hätte das besser nicht tun sollen.Die Rübe verschwand darin,„Jetzt kann keiner mehr drauftreten!“ piepste

Gucky voller Freude. „Ihr mit eurenQuadratlatschen...“

Er sah im letzten Augenblick zwei riesige Fäusteauf sich zukommen und teleportierte blitzschnell inGouthys Zelle.

Auf dem Bauch des Gefangenen rematerialisierteer.

Etehak Gouthy spürte das plötzliche Gewicht undriß die Augen auf.

„Verdammtes Vieh... wo kommst du her?“ Er sahzur Tür. „Ah, teleportiert, du Zwerg...“

Gucky blieb auf dem warmen Bauch sitzen.„Nein, ich bin durch die Tür gegangen. Über die

Beleidigungen will ich hinwegsehen, wenn du jetztendlich den Mund aufmachst, um vernünftig mit mirzu reden. Wo ist Rhodan?“

Nur nicht denken! dachte Gouthy und sagte:„Frage dir nur die Seele aus dem Leib, wenn du

eine hast. Von mir erfährst du nichts.“Gucky blinzelte vertraulich.„Ich würde an deiner Stelle den Mund nicht so voll

nehmen. Wir sind jetzt allein. Die Zelle ist von außengeschlossen. Tifflor behandelt dich viel zu human.Wenn du jetzt schreist, hört dich keiner. Aber dukannst ja gar nicht schreien, wenn du keine Luft mehrbekommst. Ich bin Telekinet, wie du wohl erfahrenhast. Was meinst du zu einer Lungenmassage?“

„Massage ...? Ich verstehe nicht.“„Keine Sorge, du verstehst gleich. Ich werde deine

Lunge ein wenig zusammenpressen, vielleicht auchein wenig Druck auf dein Herzchen ausüben. Wennich will, kann ich dir auch einen Knoten in dieSpeiseröhre machen. Na, was gefällt dir besser?“

„Weißt du, was du mich kannst...?“„ ... ach, in Ruhe lassen? Das würde dir so

passen!“ Gucky griff telekinetisch zu und drückte dieLuftröhre des Plophosers ein wenig zu. Gerade so,daß Gouthy genügend Luft bekam, um nicht zu

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ersticken. „Nun, wie gefällt dir das?“Gouthy wurde rot im Gesicht. Er wälzte sich auf

die Seite. Gucky rutschte von dem Bauch und sprangauf den Boden. Er ließ seinen Gegner nicht los.

„Aufhören! Das ist Gefangenenmißhandlung!“Guckys sonst so gutmütige Augen waren plötzlich

eiskalt.„Willst du behaupten, daß ihr Rhodan besser

behandelt? Ich möchte nicht wissen, was ihr mit ihmangestellt habt. Wenn ich. das wüßte, wärst duwahrscheinlich in den nächsten drei Sekunden tot.Telekinetischer Totschlag im Effekt ...“

„Affekt, Gucky!“ Die Tür war aufgegangen.Tifflor stand in der Zelle. Sein Blick war strafend aufden Mausbiber gerichtet. „Was soll das?“

Gucky trat zurück.„Seelenmassage, Julian. Ich wollte etwas

nachhelfen, damit er es sich nicht mehr so langeüberlegt. Fast hätte er gesprochen.“

„Ich protestiere!“ brüllte Gouthy. Er richtete sichauf. „Befreien Sie mich von diesem kleinen Satan. Sowerden Sie nie etwas von mir erfahren - so nicht!“

Tifflor warf Gucky einen schnellen Blick zu. EinLächeln huschte über seine angespannten Züge.

„Warum sollte ich? Gucky hat noch zwei StundenWache bei Ihnen. Solange er Sie nicht anrührt, habeich keinen Grund, ihm zu verbieten ...“

„Er ist Telekinet!“Tifflor zuckte die Achseln und wandte sich ab, um

den Raum wieder zu verlassen. Gouthy sah ihmungläubig nach und fing Guckys erwartungsvollenBlick auf.

„Hören Sie! Bleiben Sie! Was wollen Sie wissen?“Tifflor ging weiter, als habe er nichts gehört.

Gucky kam langsam näher und starrte Gouthy an. Inseinen Augen funkelte es drohend.

„Ich sage alles was Sie wollen, aber gehen Sienicht! Ich will nicht mit dem Zw ... mit Gucky alleinbleiben. Warten Sie doch!“

Tifflor drehte sich um.„Wo ist Rhodan, Etehak Gouthy?“Der Plophoser war inzwischen wieder blaß

geworden. In seinen Augen flackerte die Angst. Erhatte sein Wissen so teuer wie möglich verkaufenwollen, und nun mußte er froh sein, wenn er esumsonst abgeben durfte. Er hatte ein schlechtesGeschäft gemacht.

„Auf dem Planeten Greendoor.“Gucky nickte bestätigend. Der Abschirmblock um

Gouthys Gehirn war nicht mehr vorhanden. Er sprachdie Wahrheit.

„Greendoor?“Gouthy nickte.„Ich kenne die Koordinaten genau. Führen Sie

mich in Ihre Steuerzentrale, dann gebe ich Ihnen dieDaten.“

„Kommen Sie mit.“Tifflor schritt davon, von Gouthy gefolgt.Den Abschluß bildete Gucky. Mit sich und der

Welt zufrieden watschelte er hinter den beidenMännern her. Es war einfacher gegangen, als er sichvorgestellt hatte.

Was so ein bißchen Angst um das liebe Lebendoch ausmachte!

Dabei hatte Etehak Gouthy nur einen Aufschubvon drei Wochen erhalten. Es gab Leute, die für dreiWochen Leben schon mehr bezahlt hatten.

„Ich hätte Chirurg werden sollen“, murmelteGucky und sprang hinter den beiden her in denAntigravschacht.

6.

Sie trieben im freien Fall durch den Raum, bis dieangeforderten Schiffe eintrafen. Von einem starkenVerband gesichert, stieß die THORA dann inRichtung des geheimnisvollen Planeten Greendoorvor, dessen Koordinaten nun bekannt waren.

Homunk, der neben Hite Taruni in der Zentrale derTHORA vor den Kontrollen saß, machte ein finsteresGesicht. Tifflor fragte ihn:

„Hast du Sorgen, Homunk?“Der Robot nickte.„Ich bin überzeugt, daß Gouthy die Wahrheit

gesagt hat; unsere Telepathen haben “das überprüft.Aber es ist doch seltsam, daß dieses System fastgenau im inneren Zentrumsring der Milchstraßesteht. Der Flug dorthin ist genauso gefährlich wieeine Segelpartie durch ein Meer voller Riffe. Dievorgelagerten Sonnensysteme schützen es. Wir habenes bisher immer vermieden, das Zentrumanzusteuern, sondern haben lieber einen Bogengemacht. Diesmal aber liegt unser Ziel fast genau iminneren Zentrumsring.

„Ich mache mir da weniger Sorgen“, gestand HiteTarum und verstellte die Schärfe des Hauptschirms.„Wir fliegen auf Sicht. Jede der Sonnen ist deutlichzu erkennen, und wenn sie noch so dicht stehen. Esist Raum und Zeit genug vorhanden, Hindernissenrechtzeitig auszuweichen.“

Tifflor gab keine Antwort. Er sah auf denPanoramaschirm. Der Anblick war zumindestungewöhnlich.

Überall im Weltraum gab es Sterne, tausende undZehntausende von ihnen. Sie standen wie eineKugelschale um das Schiff, in allen Farbenleuchtend. Die Sichtnavigation war in diesen Räumenund bei solchen Entfernungen nicht mehr nachKonstellationen möglich, weil eine Verschiebung zuschnell erfolgte. Aber es gab Sterne, die sicherheblich von den anderen unterschieden. Sie warendie festverankerten Leuchtfeuer der Galaxis.

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Über Tausende von Lichtjahren hinweg zeigten sieden Schiffen die Richtung. Sie waren von jederSternbildverschiebung unabhängig, denn man fandsie auch dann, wenn sich der ganze Himmelverändert hatte. Oft genügten fünf oder sechs solcherLeitsterne, ein Schiff durch die halbe Milchstraße zumanövrieren. Es waren besonders farbgetönte Sterneoder variable Sonnen, die ihre Leuchtkraft ständigänderten - eben wie Leuchtfeuer.

Im Zentrum der Galaxis gab es soviel Variable,daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte.Außerdem fehlten die genauen Karten für diesenbisher unerforschten Teil der Milchstraße.

Tifflor sah immer noch auf den Schirm. Sternstand neben Stern, und Tifflor hatte das Gefühl, alsstürzten sie in ein Meer flammender Fackeln. Erstnach gewisser Zeit merkte man, daß die dichtstehenden Sterne sich scheinbar auseinanderbewegten und Platz machten. Die THORA fandimmer wieder eine Lücke in den Riffen derMilchstraße.

Aber sie konnte nicht mit Höchstgeschwindigkeitfliegen.

Stunde um Stunde verging. Als sich derFlottenverband den Koordinaten desDoppelsonnensystems „Zwilling“ näherte, ließTifflor den Gefangenen in die Zentrale bringen.

Gouthy war seit seinem Geständnis zugänglichergeworden. Er schien damit gerechnet zu haben, daßTifflor sein Versprechen nicht hielt und ihn fallenließ, wenn er ihn nicht mehr benötigte, aber dasGegenteil war eingetreten. „Sie kennen Greendoor,Gouthy?“ „Ja, ich bin oft in Zentral-City gewesen.Allerdings benutzen wir eine andere Route. SehenSie dort auf dem Schirm die weiße Sonne und direktdaneben den grünen Stern? Das ist der Zwilling.Zwei Sonnen, die von vier Planeten umlaufenwerden, zum Teil auf komplizierten Bahnen.Greendoor ist der zweite Planet, er besitzt extremeTemperaturschwankungen und ist eineDschungelwelt - bis auf jene Teile, die kolonisiertwurden.“

„Berichten Sie alles, was für uns wichtig seinkönnte, Gouthy.“

„Schwerkraft etwa ein Gravo. Zusammensetzungder Atmosphäre erdgleich. Kontinente und großeMeere. Die Vegetation ist halbintelligent. Wären wirnicht nach Greendoor gekommen, so würden diePflanzen eines Tages die Herrschaft dortübernommen haben. Wir stehen im ständigen Kampfgegen sie, und sogar modernste Kampfmittelvermögen nicht, sie vollständig auszurotten.“

„Gab es nicht bessere Planeten für Ihre Zwecke?“„Kaum. Greendoor würde vor hundert Jahren von

uns entdeckt und zum Stützpunkt ausgebaut. Wennman die Koordinaten nicht kennt, ist es fast

unmöglich, das System zu finden. Wir bauten dortunsere Industriezentren auf, unsere Werften undFabriken.“

„Was ist mit den Plophosern dort. Gouthy? Sindsie dem Obmann treu ergeben?“

Gouthy lächelte bitter.„Haben sie eine andere Wahl? Alle auf Greendoor

angesiedelten Wissenschaftler, Techniker undSoldaten sind der Willkür des Obmanns ausgeliefert.Die wichtigsten Leute erhielten die Giftinjektion.Wenn auf Greendoor etwas nicht genau nachHondros Willen geschieht, erhält der Verantwortlichenicht das Gegengift.“

Hite Tarum hatte die Geschwindigkeit der THORAherabgesetzt. Der Verband hatte nur noch zehnfacheLichtgeschwindigkeit, als er nahe an denNachbarsonnen vorbei auf das weißgrüneDoppelsystem zueilte.

„Sicherungen, Gouthy?“„Nicht nötig, Sir. Im Umkreis von zwei oder drei

Dutzend Lichtjahren gibt es keine bewohntenWelten. In den vergangenen hundert Jahren erhieltGreendoor niemals ungebetenen Besuch.“

„Dann geschieht das heute zum erstenmal“, sagteTifflor grimmig.

Gouthy nickte.Der grüne Begleiter der Zwillingssonne wirkte wie

ein Leuchtfeuer. Die beiden Sterne standen dichtzusammen, und man konnte sich leicht vorstellen,wie es auf den von ihnen angestrahlten Weltenaussah. Einmal traf ihre Oberfläche nur der Scheineiner Sonne, wenn sie die andere verdeckte, dannwieder der von zwei. Die Temperatur würdeerheblich ansteigen. Die Farbenspiele mußtenphantastisch sein.

Die Geschwindigkeit der THORA sank weiter.„Wer ist Hondros Stellvertreter auf Greendoor,

Gouthy?“„Der Oberbefehlshaber ist Vormann Trat Teltak.

Giftinjektionen, klar. Er ist vom geheimenGegenmittel des Obmanns abhängig.“

„Und dieser Teltak weiß, wo Rhodan sichaufhält?“

„Wenn es sonst niemand weiß, er müßte eswissen.“

Wieder vergingen bange Minuten. Auf denSchirmen zeigten sich nun bereits die Planeten. DieOrtergeräte blieben in ständiger Tätigkeit, aber diesuchenden Strahlen fanden nichts. Außer ihnen hieltsich kein Schiff innerhalb des Systems auf.

Die Geschwindigkeit sank nun unter die desLichtes.

Der zweite Planet, Greendoor, erschien auf denBildschirmen.

Gouthy hatte nicht übertrieben. Es war eine grüneDschungelwelt, auf der sich ganze Völkerstämme

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verbergen konnten, ohne jemals gefunden zu werden.Der Vegetationsteppich fehlte nur dort, wo Felsenund Meer den Wurzeln keine Nahrung boten. Unddort, wo Zentral-City am Rande des Gebirges und inder Nähe des Ozeans dem Urwald Boden abgerungenhatte.

Noch während sie schweigend auf denPflanzenplaneten hinabblickten, zerrissen plötzlichdie Explosionen gigantischer Superbomben dasscheinbar friedliche Bild. Mitten in denunübersehbaren Wäldern entstanden von einerSekunde zur anderen feurige Blitze, die Breschen indie Vegetation rissen. Glühende Krater bliebenzurück. Pilzwolken kletterten langsam in dieStratosphäre empor.

„Was soll das bedeuten?“ fragte Tifflor. „Ist dasder übliche Routinekampf gegen die Pflanzen?“

„Keineswegs!“ Gouthy hatte Falten auf der Stirn.Er schüttelte verwundert den Kopf. „Zentral-City istvon sechstausend Flammen- und Säurewerfernumgeben, aber das ist auch alles. Der Wald wurdebisher in Ruhe gelassen.Ich weiß auch nicht, warumder Krieg nun in ihn hineingetragen wird.“ Er sah aufund starrte Tifflor an. „Vielleicht sind dieGefangenen abermals entflohen...“

„Abermals?“„Ja“, gab Gouthy zu. „Einmal gelang ihnen die

Flucht aus der Festung, aber man fing sie wiederein.“

Immer mehr Explosionen kündigten an, daß eineheftige Schlacht im Urwald entbrannte. Die THORAund ihre Begleitschiffe schwebten in den oberenSchichten der Atmosphäre über dem Schauplatz desGeschehens. Niemand beachtete sie. Zentral-City waretwa dreißig Kilometer entfernt.

Wenn dort unten ein Krieg stattfand, handelte essich also nicht um die Geflohenen allein. Die Art derExplosionen verriet, daß es sich um extrem schwereWaffen handelte. Fünf Männer konnten solcheWaffen niemals mit sich führen.

Tifflor ging zum Interkom der THORA und nahmVerbindung mit John Marshall auf.

„Die Telepathen, John! Ich muß wissen, was dortunten vor sich geht. Gorgen Sie dafür, daß ich inzehn Minuten einen entsprechenden Berichtvorliegen habe.“

„Geht klar, Julian.“Tifflor wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Er

konnte die zehn Minuten in aller Ruhe abwarten. DieTelepathen würden nun versuchen, klareGedankenimpulse von den Greendoors aufzufangen,um alles Notwendige zu erfahren.

Tifflors Hoffnungen wurden nicht enttäuscht.Marsball kam in die Zentrale und faßte die

einzelnen Berichte der Mutanten zusammen. Er ergabein ziemlich genaues Bild der Lage, wenn auch noch

Bruchstücke fehlten. Von Rhodan und den anderenGefangenen allerdings fehlte jede Spur. Über siehatten die Telepathen nichts erfahren können,wahrscheinlich deshalb, weil niemand etwas über siewußte.

Der Obmann hatte schnell gehandelt. Kaum hatteer von Gouthys Entführung erfahren, hatte er denBefehl an Greendoor gegeben, die Neutralisten sofortanzugreifen. und mit allen Mitteln zu vernichten. DieTerraner sollten auf der Pflanzenwelt keineVerbündeten mehr vorfinden. Es war demGeheimdienst der Plophoser endlich gelungen, dieLager der Rebellen ausfindig zu machen.

Der Rest war leicht zu erraten, wenn man auf denBildschirm sah.

Die Beherrscher von Greendoor waren geradedabei, diese Verstecke zu vernichten, und zwarradikal. Wenn Rhodan sich dort aufhielt, war erverloren. Aber auch die Gedankenströme derNeutralisten hatten nichts über Rhodan ausgesagt. Eswar, als sei er verschwunden oder niemals hiergewesen.

Aber Gouthy sprach die Wahrheit, daran war nichtzu zweifeln.

„Oberst Tarum, nehmen Sie Kurs auf dieHauptstadt. Wir müssen den Mann finden, der für dieGeschehnisse hier verantwortlich ist. Wie hieß erdoch noch, Gouthy?“

„Vormann Trat Teltak, Sir.“„Richtig. Teltak! Der persönliche Kontakt mit ihm

wird die Lage klären. Gibt es auf Greendor Antis?“„Nein.“„Ausgezeichnet. Oberst, geben Sie der

Waffenzentrale Anordnung, sofort das Feuer zueröffnen, wenn wir angegriffen werden. Aber wirfeuern nicht zuerst, klar?“

Die flammenden Atompilze blieben zurück. In denletzten Minuten waren weniger Explosionen erfolgt.Den Neutralisten war nicht mehr zu helfen, selbstwenn Tifflor die Absicht gehabt hätte, sich in dieAngelegenheiten der Plophoser zu mischen.

Zentral-City kam in Sicht.Aber nicht nur Zentral-City, sondern auch ein

ganzer Schwärm kleiner Wachschiffe, die auf demweiten Raumfeld aufstiegen und sich wie dieHornissen auf die THORA und ihre Begleiterstürzten.

In der Waffenzentrale hielt man den Atem an.Die Angreifer waren völlig ungefährlich, denn mit

ihren Geschützen konnten sie die Schutzschirme derterranischen Kriegsschiffe niemals durchdringen.Aber man hätte einen eventuellen Angriff abwehrenmüssen, und das wäre nicht ohne Verluste für denGegner abgegangen. Ein offener Konflikt aber solltemöglichst vermieden werden.

Alle Befürchtungen waren umsonst. Es erfolgte

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kein direkter Angriff.Die Wachschiffe hielten sich in respektvollem

Abstand von dem gigantischen Raumer undbegnügten sich damit, ihn zu umkreisen. DieTHORA war noch tiefer gegangen und schwebte nunin wenigen Kilometern Höhe mitten über der Stadt.

Marshall, Laury Märten und Gucky waren in dieZentrale gekommen. Sie versuchten immer noch,Verbindung zu Perry Rhodan oder einem seinerBegleiter zu erhalten. Aber es war vergeblich.Entweder waren sie tot, oder sie waren nicht mehrdort unten in der Stadt.

„Was sagen Sie dazu, Gouthy?“ fragte Tifflorstreng.

Der Chef der Blauen Garde zuckte die Schultern.„Ich kann es Ihnen nicht erklären. Wenn die

Neutralisten Rhodan in ihre Gewalt bekamen, wasdurchaus möglich ist, sind sie nicht mehr am Leben.Sie haben selbst gesehen, was mit den Verstecken derRebellen geschehen ist.“

„Wie ist dieser Vormann zu finden? Zumindestmuß er doch über die Lage orientiert sein.“

„In der Festung wahrscheinlich. Ich glaube kaum,daß er den Feldzug gegen die Rebellen persönlichmitgemacht hat. Seien Sie vorsichtig! Dieser Teltakist gefährlich. Sehr gefährlich sogar,“ Tifflor lächeltekalt

„Sie, Gouthy, waren auch gefährlich, nicht wahr?“Hite Tarum rief dazwischen:„Der Telekom, Sir! Jemand will eine Verbindung

mit uns.“„Herstellen, aber schnell!“Der Bildschirm blieb dunkel, also hatte der

unbekannte Teilnehmer darauf verzichtet, dieSichtanlage einzuschalten. Seine Stimme dagegenwar klar und deutlich.

Er sagte:„Sie werden hiermit aufgefordert, das

Hoheitsgebiet des plophosischen Imperiumsunverzüglich zu verlassen, ehe wir Gewalt anwendenmüssen. Das ist die erste Warnung.“

„Warten Sie noch“, sagte Tifflor und hoffte, daßder andere ihn hören konnte. „Wir wollenverhandeln.“

„Ich wüßte nicht, daß Sie Forderungen zu stellenhaben. Sitzt Ihr Konsul nicht auf Plophos?“

„Wer sind Sie? Vormann Trat Teltak?“Kurze Pause.„Sie kennen meinen Namen?“ Es klang

verwundert. „Was wollen Sie?“„Wir wollen, daß Sie uns Rhodan ausliefern und

die vier Männer, die in seiner Begleitung waren.Haben Sie verstanden?“

„Rhodan?“ Ein verzerrtes Lachen kam aus denLautsprechern. „Das könnte Ihnen so passen. WennSie ihn wollen, holen Sie ihn sich. Sie werden es

kaumwagen können, Gewalt anzuwenden. Wenn SieZentral-City zerstören, werden Sie Rhodan niefinden.“

Tifflor gab den Telepathen einen Wink, aber eswar unnötig. Marshall, Laury und Gucky hattenlängst versucht, den unbekannten Sprechertelepathisch zu orten. Es gelang ihnen nicht. DasGewirr tausender von Gedankenimpulse hinderte siedaran, den richtigen zu finden.

„Geben Sie uns Landeerlaubnis, Teltak.“„Warum sollte ich? Ich weiß, daß Sie eine

Landung erzwingen könnten, aber es fällt mir nichtim Traum ein, sie Ihnen zu erlauben.“

„Natürlich, der Obmann! Sie haben Angst vorihm?“

Gucky schlüpfte zwischen Marshall und Gouthyhindurch zu Tifflor. Er flüsterte:

„Ich habe ihn gefunden! Es ist schwer...“„Belausche ihn“, flüsterte Tifflor genauso leise

zurück, um dann laut fortzufahren: „Sie haben Angst,daß der Obmann mit Ihnen unzufrieden werdenkönnte. So ist es doch, nicht wahr?“

„Und wenn es so wäre! Von mir erfahren Sienichts.“

„Wo ist Rhodan?“Die Frage wurde von Tifflor mit Absicht gestellt.

Was immer der Vormann auch darauf antwortete, erdachte an Rhodan-und an seinen Aufenthaltsort.Wenn Gucky ihn angepeilt hatte, konnte er auchseine Gedanken lesen.

„Suchen Sie ihn selbst. Und nun verschwinden Sie,sonst muß ich Ihre Anwesenheit als eine Verletzungunserer Souveränität betrachten. Was das bedeutet,wissen Sie selbst.“

Ehe Tifflor antworten konnte, verriet ein Knackenin den Lautsprechern, daß Teltak sich ausgeschaltethatte.

„Nun, Gucky?“Guckys Gesicht verriet Überraschung.„Er hat an Rhodan gedacht, aber ganz anders, als

ich hoffte. Ein Mensch kann doch nicht in seinenGedanken lügen! Der Kerl weiß nicht, wo Rhodanjetzt steckt!“

„Unmöglich! Wenn es einer weiß, dann Teltak!“Gouthy schien Guckys Verblüffung zu teilen. „Erwar für die Gefangenen verantwortlich.“

„Irgend etwas stimmt da nicht.“ Tifflor sah auf dieBildschirme. Die Wachschiffe der Plophoser kreistenimmer noch um den Verband, aber sie kamen nichtmehr näher. „Gucky, glaubst du, zu dem Vormannteleportieren zu können? Antis scheint es hierwirklich nicht zu geben, also ist es relativungefährlich, und du kannst jederzeit wiederverschwinden. Nimm Iwan mit.“

„Ich kann mehrere Sprünge machen. Die Festungsehe ich, dort ist auch Teltak. Keine Sorge, ich finde

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ihn schon. Nur, Iwan würde mich stören. Es wäre mirlieber, er bliebe hier im Schiff. Marshall kann ihmeventuelle Anweisungen von mir weitergeben. So istes mir möglich, dort unten einige Zauberkunststückevorzuführen, falls das notwendig sein sollte.“

„Auch gut. Wir erwarten dich hier. Die THORAwird ihr Position auf keinen Fall eher verändern, bisdu an Bord zurück bist. Alles klar?“

Gucky überprüfte den Sitz seiner beidenEnergiestrahler, nickte Tifflor noch einmal zu - undentmaterialisierte.

*

Als Trat Teltak die Verbindung zu demterranischen Schlachtschiff abbrach, hatte er seineGründe dazu. Die Nachrichtengeräte in seinemArbeitszimmer summten wie wild. Neuigkeiten vonder Front.

Er schaltete sie ein.„Vormann, die Nester der Rebellen wurden

vernichtet. Keine Überlebenden auf der Gegenseite.Die Gefangenen nicht gefunden.“

„Sucht sie nicht. Ich habe erfahren, daß man siefortgebracht hat.“ „Wie lauten die weiteren Befehle?“„Vernichtet auch die anderen Widerstandsnester. DerObmann wünscht, daß ein für allemal mit denRebellen Schluß gemacht wird. Die Streitkräftehaben erst dann nach Zentral-City zurückzukehren,wenn es keinen lebenden Rebellen mehr gibt.“

Teltak sprach noch mit einigen anderen Offizieren,dann lehnte er sich befriedigt in seinem Sesselzurück. Was immer auch geschehen war, derObmann konnte ihm keinen Vorwurf machen. Erhatte seine Pflicht erfüllt, und wenn diesem Rhodanund seinen Leuten die Flucht gelungen war, so hattendie Verantwortlichen das bereits bitter büßen müssen.Von ihnen lebte keiner mehr. Höchstens jene noch,die ...

Seine Gedanken stockten.Bisher war er allein im Zimmer gewesen, doch nun

stand zwei Meter vor seinem Tisch eine fremde,kleine Gestalt. Ein Terraner war es nicht, sonderneher ein Tier, das auf den beiden Hinterfüßen stand.Die großen Ohren waren steil nach oben gerichtet, alslausche es. Es hatte gutmütige, braune Augen, mitdenen es ihn durchdringend ansah. In der rechtenVorderpfote war eine Waffe, dessen Lauf auf ihngerichtet war.

Doch das alles störte Teltak nicht so sehr wie dieerstaunliche Tatsache, daß das merkwürdigeLebewesen durch die geschlossene Tür eingedrungensein mußte. Denn die Tür war durch einelektronisches Schloß gesichert und ließ sich nurvom Schreibtisch aus öffnen.

„Da staunst du, was?“ Das Wesen sprach

einwandfrei Interkosmo, und Teltak verstand jedesWort. Es war seine Schuld, daß er sich zu wenig umdie Angelegenheiten Terras gekümmert hatte, sonstwäre ihm Gucky nicht so unbekannt gewesen. „Wohlnoch nie einen Mausbiber gesehen, was?“

„Was... wer bist du?“„Gucky.“„Wie bist du in mein Zimmer gekommen?“ Teltak

war aufgesprungen. Er hütete sich jedoch vor einerunbedachten Bewegung. „Was willst du?“

„Wo ist Rhodan?“In Teltaks Gehirn überschlugen sich die

Vermutungen. Gucky hatte Gelegenheit, einen halbenRoman aus ihnen herauszulesen, aber das, was erwissen wollte, war nicht dabei.

„Wo ist Rhodan?“ wiederholte er daher.„Ich weiß es nicht. Er wurde von den Rebellen

entführt.“Der Vormann sprach die Wahrheit, das erkannte

Gucky sofort.„Weiter!“Teltak schwieg.Aber er dachte weiter. Es war für Gucky eine

Kleinigkeit, alles in Erfahrung zu bringen, was derVormann wußte. Es war nicht viel.

Und es war äußerst beunruhigend.„Mit einem Schiff fortgebracht, von den

Neutralisten? Wann?“Der Vormann starrte den Mausbiber entsetzt an.„Woher weißt du ...? Kannst du Gedanken lesen?“„Genau! Ich bin Telepath. Also: wann?“„Weiß ich nicht“, sagte Teltak, aber er dachte: vor

einer Stunde.„Vor einer Stunde also? Womit und wohin?“Teltak sank in seinen Stuhl zurück. Er behielt die

Hände auf der Tischplatte, damit Gucky sie sehenkonnte.

„Ich weiß es wirklich nicht. Ich habevor eineStunde noch angenommen, die Gefangenen würdenbei unserem Angriff auf die Rebellen umkommen.Ich habe erst vor zwanzig Minuten erfahren, daß manRhodan und die anderen in einen Kugelraumerbrachte, der sofort danach startete. Das war wenigeMinuten vor unserem Angriff auf das Hauptquartierder Rebellen. Die Rebellen sind vernichtet, abereinige sind entkommen. Rhodan ist bei ihnen.“

Gucky spürte eine ungeheure Erleichterung. Dannlebte Rhodan! Und er war den Häschern desObmanns endgültig entkommen. Vielleicht war erjetzt schon auf dem Weg zur Erde.

Er nickte dem Vormann gönnerhaft zu.„Dein Glück, daß du so gute Nachrichten für mich

hattest. Wirklich dein Glück. Da hat der Obmann nundas Nachsehen.“

Teltak nickte nur, gab aber keine Antwort. Fasthätte Gucky nicht darauf geachtet, aber dann fischte

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er einen winzigen, kurzen Gedanken aus dem Gewirrder Impulse, und es war ein Bruchstück, das ihn jähaufmerksam werden ließ.

Er starrte den Vormann an. Er kam einen Schrittnäher. Die Waffe in seiner Hand zitterte plötzlich,aber der Lauf war noch immer auf Teltak gerichtet.

„Denk' das noch mal, Teltak! Los, denk' esnochmal, oder ich bringe dich auf der Stelle um! Hastdu verstanden?“

„Ich weiß nicht... was meinst du ...?“„Das mit Rhodan und den anderen Gefangenen,

Los, nun rede schon!“„Es war nicht meine Schuld, bestimmt nicht! Der

Obmann...“„Du sollst reden!“„Rhodan und die anderen erhielten die

Giftinjektion. Am ersten November Terrazeit.' Siehaben noch knapp zwei Wochen zu leben.“

Gucky wich langsam bis zur Tür zurück. Er sahTeltak forschend an. Der Vormann sprach dieWahrheit, er verschwieg auch nichts mehr.

„Die Injektion also. Und nur Hondro hat dasGegenmittel?“ Gucky fand die Antwort, ehe Teltaklügen konnte.

„Oh, du hast noch drei Ampullen mit demGegenmittel im Schreibtisch? Woher? Aha, es warursprünglich für Leute bestimmt, die inzwischen - hm- verstarben? Gib mir die drei Ampullen! Warenwohl für den Notfall gedacht, was?“

Teltak öffnete widerstrebend die Schublade seinesTisches und händigte Gucky die verlangtenAmpullen aus. Ampullen, die für Todgeweihte sowertvoll wie ein Zellaktivator werden konnten. Sieverschwanden in den Taschen des Mausbibers.

„Gib deinen Wachschiffen den Befehl, sich sofortzurückzuziehen. Wir haben hier erfahren, was wirwissen wollten. Über eure Bestrafung wird später einanderer entscheiden - Perry Rhodan.“

Vor den Augen des völlig erschütterten Teltakentmaterialisierte der Mausbiber und warverschwunden, ehe man bis drei zählen konnte.

Mit leeren Blicken starrte der einst so mächtigeVormann auf die Stelle, an der sein Gegnergestanden hatte.

Er hatte eine Galgenfrist von drei Monatenverloren.

*

Die THORA raste in den Raum hinaus, gefolgtvon ihren Begleitschiffen.

Eine Stunde Vorsprung ...?Eine Stunde war viel. Da ließen sich viele

Lichtjahre zurücklegen, wenn man im Linearflugflog. Aber Teltak hatte Gucky gegenüber einenkleinen Kugelraumer erwähnt, wahrscheinlich eine

Kaulquappe älterer Bauart. Es war durchauswahrscheinlich, daß sie noch mit einem veraltetenHypertriebwerk ausgestattet war. Dann war eineOrtung eine Stunde nach dem Start völligausgeschlossen. Rhodan konnte zehn, aber auchtausend Lichtjahre entfernt sein. Die Frage war nur:Was wollten die Neutralisten, die doch gegen denObmann waren, von Rhodan? Waren sie Gegner oderVerbündete?

„Es ist sinnlos“, sagte Hite Tarum nach einigerZeit. „Es stehen zuviel Sonnen in diesem Sektor. EinOrtung ist unmöglich.“

„Nehmen Sie Kurs auf Plophos, Oberst.“ Tifflorsah Etehak Gouthy an. „Wir haben da noch etwas zuerledigen.“

Gouthy war erschrocken.„Sie haben versprochen, mir zu helfen. Wenn Sie

mich an den Obmann ausliefern, bin ich verloren. Ermuß mich für einen Verräter halten. Wenn ich dieInjektion nicht erhalte...“

„Stimmt!“ sagte Gucky. „Das habe ich fastvergessen.“ Er kramte in seinen Taschen und brachtedie drei Ampullen daraus hervor. Auf der offenenHand bot er sie dem Chef der Blauen Garde an.„Teltak gab sie mir. Schwarzer Markt, sozusagen. Siesind für die nächsten dreieinhalb Monate von Hondrounabhängig. Bis dahin hat sich viel geändert, und ichglaube, die Aras werden inzwischen das Gegenmittelganz offiziell in den Handel bringen.“

Zögernd nahm Gouthy die gläsernen Ampullen. Erbetrachtete sie mit einer Ehrfurcht, die fast rührendwirkte, und fast hätte man vergessen können, daß erimmerhin der Chef einer erbarmungslosenGeheimpolizei gewesen war.

„Es ist gut, wenn Sie nach Plophos zurückkehren,Gouthy“, sagte nun auch Tifflor. „Hondro sollerfahren, wie es Ihnen bei uns erging. Er soll wissen,daß wir die Suche nach Rhodan niemals aufgebenwerden. Und wenn Rhodan gefunden ist, kann sichder Obmann auf einen unangenehmen Besuch gefaßtmachen. Sagen Sie ihm das.“

Die THORA fand den Weg zurück, und bald kamdie Sonne Eugal auf den Bildschirmen in Sicht.Tifflor fragte den Mausbiber:

„Eins verstehe ich nicht, Kleiner. Du weißt doch,daß Rhodan und die anderen eine Giftinjektionerhielten. Warum hast du dann diesem Gouthy dasGegenmittel gegeben? Wäre es nicht besser gewesen,es für den Notfall aufzubewahren? Wenn wir Rhodanfinden...“.

„Es gibt zwei Gründe, warum ich es tat“, sagteGucky und grinste flüchtig. „Der erste ist: dreiAmpullen sind zu wenig. Könntest du im Ernstfallentscheiden, wen wir zum Tode verurteilen sollen?Aber der zweite Grund wird dir eher einleuchten.Wenn wir Rhodan gefunden haben, werden wir auf

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Plophos von Hondro soviel Gegengift bekommen,wie wir nur haben wollen. Und die Aras werdenglücklich sein, wenn sie uns das Rezept verratendürfen. Ja, und dann gäbe es noch einen drittenGrund.“

„Und der wäre?“„Gouthy! Wir können ihn nicht mitnehmen. Er

muß nach Plophos zurück. Aber er hat uns geholfen,zuletzt sogar freiwillig. Ich hätte es nicht fertiggebracht, ihn dem Obmann auf Gnade oder Ungnadeauszuliefern. So hat er ein Trostpflaster undaußerdem die Gelegenheit, den Obmann im Notfallsehr zu verblüffen. In drei Monaten kann vielgeschehen. Vielleicht gehört die ganzeInjektionsgeschichte bis dahin der Vergangenheitan.“

„Hoffentlich. Im Augenblick mache ich mir nurSorgen um Rhodan. Wäre er nicht geflohen, hättenwir ihn jetzt befreien können.“

„Er konnte nicht annehmen, daß wir Greendoorfinden.“

Die Begleitschiffe gingen in großerHöhe auf eineKreisbahn um Plophos, während die THORA sichganz offiziell anmeldete und landete. Sie warteteallerdings die Landeerlaubnis nicht erst ata.

Kaum erstarb das tiefe Brummen der Antriebe, alsdie Nachrichtenzentrale schon eine Verbindungmeldete. Oberst Tarum ließ das Bildgespräch in dieZentrale legen.

Es war der Obmann.Sein Gesicht war hart und brutal wie immer, aber

in seinen Augen schimmerte Genugtuung.„Bringen Sie den neuen Konsul? Pech gehabt! Wir

verzichten auf einen terranischen Konsul.“„Eines Tages wären Sie sicher glücklich, einen zu

haben“, entgegnete Tifflor gelassen. „Gaben SieIhren Leuten auf Greendoor den Befehl, dieNeutralisten zu töten? Plophos würde jetzt nicht mehrexistieren, wenn Rhodan dabei umgekommen wäre.“

„So, ist er das nicht?“„Zu Ihrem Glück - nicht! Sie wissen so gut wie

ich, daß einige der Neutralisten fliehen konnten unddie Gefangenen mitnahmen. Es ist wohl zwecklos,Ihnen diesbezügliche Fragen zu stellen?“

„Ja, das ist zwecklos. Ich weiß nicht mehr als Sie.“Hondros Gesicht wurde ernst. „Und Ihre Drohungmöchte ich überhört haben - in Ihrem eigenenInteresse. Es ist nicht gut, wenn die selbständigenPlaneten erfahren, mit welchen Mitteln Terravorgeht. Es könnte dazu kommen, daß sie alle sichgegen Terra verbünden.“

„Die fürchten wir nicht. Wir wollen keinen Krieg,auch nicht mit Plophos, welche Pläne Sie auch immerim Schilde führten. Rhodan können Sie abschreiben.Die Neutralisten haben ihn Ihnen genommen. Vierandere dazu, unter ihnen Atlan und Bull. Ihr Spiel ist

aus, Hondro.“Die Augen des Obmanns sahen Tifflor kalt an. Es

waren die Augen einer Schlange, die erbarmungslosihr Opfer zu hypnotisieren versucht.

„Es beginnt erst, Terraner. Auch ohne Rhodanwerde ich gewinnen. Davon abgesehen, haben jaauch Sie nicht mehr lange etwas von ihremallmächtigen Administrator. Er hat noch knappvierzehn Tage zu leben, dann wirkt das Gift. Es ist.ein verdammt unangenehmer Tod.“

„Sie müßten ihn auch erleiden, wenn Rhodanstürbe, Hondro.“

„Ich habe das Gegenmittel. Außer mir und demEntdecker kennt es niemand. Die Verteilung liegt beimir. Rhodan bekäme es nur, wenn er freiwilligzurück in meine Gefangenschaft ginge. Ich fürchte,er kann das auch nicht mehr.“

„Dafür kommt ein anderer zu Ihnen zurück. EtehakGouthy.“

„Der Verräter? Ich verzichte, ihn wiederzusehen.“„Wollen Sie ihn bestrafen?“„Wenn er mir nie mehr begegnet, ist er bestraft

genug.“Tifflor lächelte.„Sie sind undiplomatisch. Gouthy hat keine

Schuld. Die Antis haben versagt, darum konnten wirihn gefangennehmen. Und versuchen Sie einmal,Hondro, vier Telepathen ein Geheimnis zuverschweigen. Gouthy hat Ihnen nicht, geschadet,eine Bestrafung wäre daher ungerecht. Wir verlangenvon Ihnen, daß Sie ihn genauso fair behandeln, wiewir es versuchten.“

„Meinetwegen. Aber glauben Sie nicht, michüberlisten zu können. Ich bemerke sofort, wenn ervon Ihnen konditioniert wurde.“

„Schicken Sie einen Wagen, um ihn abzuholen.“Hondro blickte noch einmal fest in Tifflors Augen.„Sie sind ein harter Gegner, ein würdiger

Nachfolger Rhodans. Aber das Imperium haben Sieauch nicht zusammenhalten können.“

„Ich wollte es auch gar nicht“, entgegnete Tifflorgleichmütig und bemerkte das verwunderteHochziehen der Augenbrauen seinesGesprächspartners. „Sie werden sehr bald feststellenmüssen, daß die Entführung Rhodans und seinangeblicher Tod alles andere als ein klugerSchachzug war. Sie haben der solaren Menschheiteinen größeren Dienst erwiesen, als Sie jemalsbegreifen werden. Darum, Hondro, und nur darumleben Sie noch.“

Der Obmann starrte in die Zentrale der THORA,ohne den Sinn in Tifflors Worten verstehen zukönnen. Dann, ohne jede Ankündigung, schaltete erab. Das Bild erlosch.

Inzwischen hatte Etehak Gouthy mit gemischtenGefühlen das Schiff verlassen.

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Langsam und mit schleppenden Schritten ging erquer über das Feld auf das Kontrollgebäude zu. Inseiner Tasche trug er drei kleine Kapseln, die für ihndrei Monate Leben bedeuteten.

Hinter sieh hörte er das Aufheulen der Triebwerke.Die THORA startete wieder. Er blieb stehen und sahihr nach. Die Terraner waren seine Feinde gewesen,aber sie hatten ihn gut behandelt. Und er hatte einwenig von der Luft gewittert, wie freie Männer sieatmeten.

Es war eine andere Luft als die auf Plophos.Er spürte das besonders, als er eine halbe Stunde

später Hondro in dessen Palastzimmer gegenübersaß.Mit keinem Wort erwähnte der Obmann den Verratseines Geheimdienstchefs. Das hatte noch Zeit.Knapp drei Wochen. Dann würde man weitersehen.

„Rhodan ist uns entwischt, aber wir haben nichtverloren, Gouthy. Der wichtigste Mann der Galaxisist so gut wie tot. In zwei Wochen läuft seine Fristab. Zellaktivator oder nicht. Wir werden von seinemTod erfahren, wo immer er sich auch gerade aufhält.Glaube nur nicht, daß die Neutralisten ihn zu unsbringen, um das Gegengift für Rhodan zu erbetteln.Sie wissen, daß wir kurzen Prozeß mit ihnen machen.Und wenn Rhodan abermals die Flucht gelingensollte, wird ihm das noch weniger nützen. Wohinsollte er sich wenden, um das Gegenmittel zubekommen? Wohin, wenn nicht an mich?“

„Und wenn er flieht und die Aras zwingt, für ihnzu arbeiten?“

„Den Ara, auf den es ankommt, kann er nichtzwingen. Nur ich weiß, wer es ist. Nein, mein lieberEtehak, es gibt keinen Ausweg für den Terraner.Keinen. So, und nun berichte, was du erlebt hast.Was geschah auf Greendoor? Und wegen derInjektion in drei Wochen - ich würde mir an deinerStelle deswegen noch keine Gedanken machen.“

Etehak Gouthy lächelte freundlich.„Das tue ich auch nicht, Hondro. Ganz gewiß

nicht.“

*

Die THORA raste in direktem Linearflug zumSolsystem zurück.

Schon unterwegs wurde klar, daß dieneutralistischen Plophoser ihre Gefangenen nichtfreigelassen oder zur Erde gebracht hatten. Rhodan,Atlan, Bully, Noir und Kasom waren und bliebenverschwunden. Es gab keine Spur von ihnen, aber eswar immer wahrscheinlicher geworden, daß sie nochlebten.

Bevor die THORA das Sonnensystemerreichte,machte sich der Unterschied zu früher bemerkbar.Während zur Zeit des Imperiums nur vereinzelteWachschiffe in großer Entfernung das System

umkreisten, standen nun die schwerenSchlachteinheiten tief gestaffelt im Raum undschützten die Erde vor jedem Angriff. Keine noch sogewaltige Flotte würde es wagen können, sich Sol zunähern. Selbst das kleinste Kurierschiff würde vonden ständig betriebenen Ortergeräten aufgespürt undvon schnellen Kreuzern gestoppt werden. Die Erdewar zu einer uneinnehmbaren Festung geworden -zur stärksten Festung der Galaxis.

Doch Tifflor war nicht wohl bei diesem Gedanken.Was würde Rhodan zu der Entwicklung sagen, die

so schnell erfolgt war, daß niemand sie hatteaufhalten können, oder wollen? Würde er den Vorteilder konzentrierten Macht einsehen und sich künftigjener Aufgabe widmen, die sich damit von selbstanbot? Die Terraner hatten in den vergangenen dreiJahrhunderten mehr gelernt, als andere Rassen inzehntausend Jahren. Das hatte zur Folge, daß sienicht verbraucht oder degeneriert waren. Sie warenim Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und aller ihrerFähigkeiten, ohne durch eine Jahrtausende dauerndeHerrscherrolle, wie die Arkoniden, geschwächtworden zu sein.

Auch ohne das Imperium zu leiten, konnten sie dasmächtigste Volk der Galaxis sein.

Noch waren große Teile der Milchstraßeunbekannt und unerforscht. Zwar hatten dieExplorerschiffe die fremden Sternenräumedurchstreift und waren immer wieder auf neueRassen gestoßen, aber es waren stets nur Variantender schon bekannten gewesen. Das wirklich Fremdeund Unbekannte hatten sie nicht gefunden.

Vielleicht gab es das in dieser Galaxis nicht.An diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt,

seufzte Tifflor. Homunk hörte es und drehte sich zuihm um.

„Sie haben wenig geschlafen, Sir. Legen Sie sichhin. Ich bleibe bei Oberst Tarum.“

„Ich bin nicht müde, Homunk. Ich dachte nur andie Aufgaben, die vor uns liegen, wenn Rhodanzurückkehrt. Wir können alle unsere Kräfte auf einZiel ansetzen, ohne uns zersplittern zu müssen. EinZiel, das Rhodan schon lange vorschwebt, aber erwagte es nie mehr, einen Gedanken daran zuverschwenden.“

„Sie meinen den großen Abgrund, Sir?“Tifflor sah den Robot erstaunt an.„Seit wann kannst du Gedanken lesen?“Homunk lächelte.„Ich kenne Rhodan wie mich selbst - und Sie

kennen ihn auch. Ist es da verwunderlich, wenn ichweiß, was Sie meinen, wenn Sie von Rhodansgroßem Ziel sprechen? Der Abgrund...! Die SchiffeTerras sind weit in das Nichts zwischen den Galaxienvorgestoßen, aber immer wieder mußten sie erfolglosumkehren. Es ist nicht allein die unvorstellbare

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Entfernung, die sich dem Wagnis entgegenstellte,sondern andere, manchmal unbegreiflicheHindernisse. Auch wissen wir, daß dort etwasexistiert, das allein bleiben möchte und unserenBesuch nicht wünscht. Es gibt viele unbeantworteteFragen. Julian Tifflor. Vielleicht wollen siebeantwortet sein, ehe das erste Schiff den Abgrundüberwindet.“„Fragen ...? Die Barkoniden, die Luxiden ... sie sindnoch unterwegs. Eines Tages werden sie denAbgrund überwunden haben - in umgekehrterRichtung.“„Vielleicht ist alles später einmal eineEnttäuschung“, sagte Homunk, „und eine fremdeGalaxis unterscheidet sich nicht von der unseren.“„Vor einigen hundert Jahren wußte der Mensch imgroßen und ganzen, was er auf dem Mond vorfindenwürde, trotzdem scheute er keine Kosten und keineOpfer, hinzugelangen.“Homunk nickte und schwieg.Hite Tarum gab die notwendigen Erkennungssignaleund schwenkte ins Sonnensystem ein. Die THORAschnitt die Bahn des Pluto und wurde langsamer.Jupiter glitt vorbei. Dann tauchte die Erde auf.Ein Planet unter vielen Millionen, aber doch einbesonderer Planet, auf dem eine bemerkenswerteRasse lebte. Ob sie auch dort entstanden war, bliebweiterhin ein Geheimnis.Die Zentrale in Terrania nahm Verbindung auf.Allan D. Mercant lächelte zurückhaltend, als er mitdem leitenden Offizier der Hyperfunkstelle sprach.Dann sagte er:„Lassen Sie in regelmäßigen Abständen einenRundspruch los. Höchste Sendeleistung. Inhalt: Fürden Hinweis, der zur Auffindung des Administrators

Perry Rhodan führt, ist als Belohnung einZellaktivator ausgesetzt. Dieser Aktivator, der seinenTräger für alle Zeiten unsterblich macht, wird jenerPerson ausgehändigt, die Rhodan zur Erde bringtoder einen Beauftragten Terras zu Rhodan führt.“Als der Bildschirm erlosch, sagte Julian Tifflor:„Ein guter Trick, Mercant. Aber was soll geschehen,wenn nun wirklich jeman auftaucht und Rhodanherbeischafft? Sie wissen, daß wir ein solchesVersprechen halten müssen. Unter allen Umständen.Haben Sie einen Zellaktivator übrig?“Allan D. Mercant nickte und sah zu, wie der PlanetErde größer wurde. Terrania wurde sichtbar, und dieTHORA sank dem riesigen Landefeld entgegen. „Ja,wir haben einen übrig, Julian. Sagte nicht Rhodaneinmal, nur dieWürdigsten sollten einen tragen? Wirhandeln also in seinem Sinne, wenn wir ihn denUnwürdigen abnehmen. Ich glaube, wir sind einerMeinung, wenn ich behaupte, daß Iratio Hondrounwürdig ist.“Über Tifflors Gesicht huschte ein Lächeln derErleichterung.„Den hatte ich fast vergessen“, gab er zu.Mercants Gesicht blieb ernst.„Leute wie Hondro vergesse ich nie“, sagte er.Mit kaum spürbarem Ruck landete die THORA, IhrEinsatz hatte Rhodan nicht zur Erde zurückbringenkönnen, aber er brachte die Gewißheit, daß er undseine vier Begleiter noch lebten.Das war mehr, als man insgeheim erhofft hatte.

E N D E

Unter großen Schwierigkeiten war es den Mutanten gelungen, den Gefangenenplaneten Greendoor ausfindig zumachen. Doch als die Retter eintrafen, kamen sie zu spät. Perry Rhodan, Atlan, Bully, Andre Noir und MelbarKasom befanden sich nicht mehr auf dem Planeten, sondern waren von den Neutralisten, den erbittertenGegnern des Obmanns, bereits verschleppt worden.Die Spur der Verschollenen verliert sich somit erneut in den Weiten der Milchstraße. Die Spione des Obmannsbleiben jedoch nicht untätig. Sie spüren die Verschollenen auf und weisen der Flotte des Obmanns den Wegzum Großangriff auf das Hauptquartier der Rebellen.Mehr darüber erzählt Kurt Brand im Perry-Rhodan-Roman der nächsten Woche: FLAMMEN ÜBER BADUN.

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