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Gusto auf Heimat E s ist nicht viel anders als in der Türkei. Saucen der Marke Öncü, Käse von Sütdiyari und Marmelade von Tunas finden sich in den Regalen des tür- kischen Supermarkts Aycan am Wiener Mexikoplatz. Auch Kebab wird verkauft. Im Geschäft tummeln sich Mütter mit Kin- dern, viele sind kopftuchtragende Musli- mas, meist Türkinnen. Sie sprechen alle türkisch, nur vereinzelt sind ein paar Brocken Deutsch zu hören. 15 Läden zählt Aycan landesweit; damit ist der Filialist gemeinsam mit Mitbewerber Etsan die größte türkische Handelskette Österreichs. „Das Potenzial für türkische Supermärkte ist noch längst nicht ausgeschöpft“, sagt Amin Reda, ein Experte für Ethno-Food. Auch Handelsketten wie Rewe (Billa, Merkur, Penny, Adeg) und Spar wol- len die Kaufkraft der Migranten nutzen, doch der Ausbau des Ge- schäfts läuft schleppend. Zu groß scheint die Angst, Schiffbruch zu erleiden. Ausgerechnet Ziel- punkt, lange Jahre das Sor- genkind im Lebensmittel- handel, zeigt nun, dass sich mit den Zuwanderern doch Geld verdienen lässt. In Österreich leben derzeit 1,54 Millionen Menschen mit Migrati- onshintergrund; das sind 18,6 Prozent der Gesamt- bevölkerung. Etwas mehr als eine Million sind im Ausland geboren, 404.600 gehören der „zweiten Generation“ an. Die größte Gruppe mit mehr als 410.000 Menschen stammt aus dem früheren Jugo- slawien, dahinter kommen die Deutschen (220.000) und die Türken (185.000). Nachholbedarf. Experten schätzen, dass die Kaufkraft von Migranten bei 20 Mil- liarden Euro im Jahr liegt. Gut 35 Prozent davon, also sieben Milliarden, werden für Lebensmittel ausgegeben. Wie Branchen- kenner Reda sagt, würden sich viele Zu- wanderer über ein größeres Angebot an Ethno-Food freuen. Derzeit werden wegen der geringen Auswahl nur rund 700 Mil- lionen Euro für Produkte aus der Heimat ausgegeben. Reda, selbst syrischen Backgrounds, ist seit 2002 im Geschäft. Über die Wiener Brajlovic GmbH vertreibt er vor allem Marken aus Ex-Jugoslawien, darunter dort bekannte Namen wie Don Café, Medela (Feigen-Strudel) und Jami- Burek (Tiefkühlteig mit Spinat oder Käse). Reda beliefert Ethno-Märkte ebenso wie große Handelsket- ten, darunter Rewe und Ziel- punkt. Auch die kroatische Firma Kreis, die Produkte wie Plasma (Kekse) und Vegeta (Gewürzmischung) führt, liefert Waren vom Balkan nach Österreich. Während das Geschäft mit Ethno-Food in Europas großen Handelsketten bestens läuft, beson- ders in Schweden und Frankreich, sind die heimischen Filialisten beim Einkauf noch zurückhaltend. Der Grund dafür liegt – wie offiziell allerdings niemand bestätigen will – im damit verbundenen Risiko: Vor allem Migranten türkischer Abstammung shop- pen lieber in eigenen Märkten, wie der täg- liche Andrang bei Aycan am Wiener Me- xikoplatz zeigt. Unternehmen wie Rewe und Spar fürchten, dass sie auf der Ethno- Ware sitzen bleiben oder gar den National- stolz der Österreicher verletzen könnten. Pionier. Zielpunkt hat nun dennoch ei- nen – erfolgreichen – Alleingang gewagt: Die Handelskette setzt auf die Kaufkraft der österreichweit über 410.000 Ex-Jugo- slawen und führt immer mehr Artikel, die auch Österreicher aus ihrem Kroatien-Ur- laub kennen. „Die Artikel kommen sehr gut an“, sagt Zielpunkt-Geschäftsführer Jan Satek, „sowohl bei Alteingesessenen als auch bei den Migranten.“ Satek setzt in allen 300 Filialen auf mehr Ethno-Sortiment. Einen ersten Test- lauf gab es im Vorjahr in knapp hundert Märkten. „Das Angebot reicht von Gewür- zen, Süßwaren, Kaffee-Sorten und Fertig- produkten wie Packerlsuppen bis zu Li- monaden und Energy-Drinks“, erzählt er, der an dieser Offensive festhalten will. Zum Vergleich: Während die mit Ethno- Food befüllten Regale bei Billa und Spar Österreichs Ethno-Märkte boomen „Hier leben 1,5 Millionen Migranten, aber leider nutzen die Handelsketten das Potenzial kaum.“ Amin Reda Verkaufsleiter Brajlovic GmbH Wien 38 FORMAT 32 I 11 FOTOS: AMER KAPETANOVIC (2), WALDHÄUSL, KREUZINGER/PICTUREDESK.COM, SILVIA JELINCIC (4) BUSINESS handel form1132_BU_Ethno.indd 38 10.08.2011 16:04:16 Uhr

GUSTO AUF HANDEL (Taste for Trade)

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In the austrian magazin FORMAT it is pointed out, how important the purchasing power of the focus group "migrants" is in Austria.

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Page 1: GUSTO AUF HANDEL (Taste for Trade)

Gusto auf HeimatE

s ist nicht viel anders als in der Türkei. Saucen der Marke Öncü, Käse von Sütdiyari und Marmelade von Tunas � nden sich in den Regalen des tür-

kischen Supermarkts Aycan am Wiener Mexikoplatz. Auch Kebab wird verkauft. Im Geschäft tummeln sich Mütter mit Kin-dern, viele sind kopftuchtragende Musli-mas, meist Türkinnen. Sie sprechen alle türkisch, nur vereinzelt sind ein paar Brocken Deutsch zu hören. 15 Läden zählt Aycan landesweit; damit ist der Filialist gemeinsam mit Mitbewerber Etsan die größte türkische Handelskette Österreichs. „Das Potenzial für türkische Supermärkte ist noch längst nicht ausgeschöpft“, sagt Amin Reda, ein Experte für Ethno-Food.

Auch Handelsketten wie Rewe (Billa, Merkur, Penny, Adeg) und Spar wol-len die Kaufkraft der Migranten nutzen, doch der Ausbau des Ge-schäfts läuft schleppend. Zu groß scheint die Angst, Schiffbruch zu erleiden. Ausgerechnet Ziel-punkt, lange Jahre das Sor-genkind im Lebensmittel-handel, zeigt nun, dass sich mit den Zuwanderern doch Geld verdienen lässt.

In Österreich leben derzeit 1,54 Millionen Menschen mit Migrati-onshintergrund; das sind 18,6 Prozent der Gesamt-bevölkerung. Etwas mehr als eine Million sind im Ausland geboren, 404.600 gehören der „zweiten Generation“ an.

Die größte Gruppe mit mehr als 410.000 Menschen stammt aus dem früheren Jugo-slawien, dahinter kommen die Deutschen (220.000) und die Türken (185.000).

Nachholbedarf. Experten schätzen, dass die Kaufkraft von Migranten bei 20 Mil-liarden Euro im Jahr liegt. Gut 35 Prozent davon, also sieben Milliarden, werden für Lebensmittel ausgegeben. Wie Branchen-kenner Reda sagt, würden sich viele Zu-wanderer über ein größeres Angebot an Ethno-Food freuen. Derzeit werden wegen der geringen Auswahl nur rund 700 Mil-lionen Euro für Produkte aus der Heimat ausgegeben.

Reda, selbst syrischen Backgrounds, ist seit 2002 im Geschäft. Über die Wiener Brajlovic GmbH vertreibt er vor allem

Marken aus Ex-Jugoslawien, darunter dort bekannte Namen wie Don Café, Medela (Feigen-Strudel) und Jami-Burek (Tiefkühlteig mit Spinat oder Käse). Reda beliefert Ethno-Märkte

ebenso wie große Handelsket-ten, darunter Rewe und Ziel-punkt. Auch die kroatische Firma Kreis, die Produkte wie Plasma (Kekse) und Vegeta (Gewürzmischung) führt, liefert Waren vom Balkan nach Österreich.

Während das Geschäft mit Ethno-Food in Europas

großen Handelsketten bestens läuft, beson-ders in Schweden und Frankreich, sind die heimischen Filialisten beim Einkauf noch zurückhaltend. Der Grund dafür liegt – wie of� ziell allerdings niemand bestätigen will – im damit verbundenen Risiko: Vor allem Migranten türkischer Abstammung shop-pen lieber in eigenen Märkten, wie der täg-liche Andrang bei Aycan am Wiener Me-xikoplatz zeigt. Unternehmen wie Rewe und Spar fürchten, dass sie auf der Ethno-Ware sitzen bleiben oder gar den National-stolz der Österreicher verletzen könnten.

Pionier. Zielpunkt hat nun dennoch ei-nen – erfolgreichen – Alleingang gewagt: Die Handelskette setzt auf die Kaufkraft der österreichweit über 410.000 Ex-Jugo-slawen und führt immer mehr Artikel, die auch Österreicher aus ihrem Kroatien-Ur-laub kennen. „Die Artikel kommen sehr gut an“, sagt Zielpunkt-Geschäftsführer Jan Satek, „sowohl bei Alteingesessenen als auch bei den Migranten.“

Satek setzt in allen 300 Filialen auf mehr Ethno-Sortiment. Einen ersten Test-lauf gab es im Vorjahr in knapp hundert Märk ten. „Das Angebot reicht von Gewür-zen, Süßwaren, Kaffee-Sorten und Fertig-produkten wie Packerlsuppen bis zu Li-monaden und Energy-Drinks“, erzählt er, der an dieser Offensive festhalten will. Zum Vergleich: Während die mit Ethno-Food befüllten Regale bei Billa und Spar

Brocken Deutsch zu hören. 15 Läden zählt Aycan landesweit; damit ist der Filialist gemeinsam mit Mitbewerber Etsan die größte türkische Handelskette Österreichs. „Das Potenzial für türkische Supermärkte ist noch längst nicht ausgeschöpft“, sagt Amin Reda, ein Experte für Ethno-Food.

Auch Handelsketten wie Rewe (Billa, Merkur, Penny, Adeg) und Spar wol-len die Kaufkraft der Migranten nutzen, doch der Ausbau des Ge-schäfts läuft schleppend. Zu groß scheint die Angst, Schiffbruch zu erleiden. Ausgerechnet Ziel-punkt, lange Jahre das Sor-genkind im Lebensmittel-handel, zeigt nun, dass sich mit den Zuwanderern doch Geld verdienen lässt.

In Österreich leben derzeit 1,54 Millionen Menschen mit Migrati-onshintergrund; das sind 18,6 Prozent der Gesamt-bevölkerung. Etwas mehr als eine Million sind im Ausland geboren, 404.600 gehören der „zweiten Generation“ an.

wanderer über ein größeres Angebot an wanderer über ein größeres Angebot an Ethno-Food freuen. Derzeit werden wegen Ethno-Food freuen. Derzeit werden wegen der geringen Auswahl nur rund 700 Mil-der geringen Auswahl nur rund 700 Mil-lionen Euro für Produkte aus der Heimat lionen Euro für Produkte aus der Heimat ausgegeben.

Reda, selbst syrischen Backgrounds, ist Reda, selbst syrischen Backgrounds, ist seit 2002 im Geschäft. Über die Wiener seit 2002 im Geschäft. Über die Wiener Brajlovic GmbH vertreibt er vor allem Brajlovic GmbH vertreibt er vor allem

Marken aus Ex-Jugoslawien, darunter Marken aus Ex-Jugoslawien, darunter dort bekannte Namen wie Don Café, dort bekannte Namen wie Don Café, Medela (Feigen-Strudel) und Jami-Medela (Feigen-Strudel) und Jami-Burek (Tiefkühlteig mit Spinat oder Burek (Tiefkühlteig mit Spinat oder Käse). Reda beliefert Ethno-Märkte Käse). Reda beliefert Ethno-Märkte

ebenso wie große Handelsket-ebenso wie große Handelsket-ten, darunter Rewe und Ziel-ten, darunter Rewe und Ziel-punkt. Auch die kroatische punkt. Auch die kroatische Firma Kreis, die Produkte Firma Kreis, die Produkte wie Plasma (Kekse) und wie Plasma (Kekse) und Vegeta (Gewürzmischung) Vegeta (Gewürzmischung) führt, liefert Waren vom führt, liefert Waren vom Balkan nach Österreich. Balkan nach Österreich.

Während das Geschäft Während das Geschäft mit Ethno-Food in Europas mit Ethno-Food in Europas

Ware sitzen bleiben oder gar den National-stolz der Österreicher verletzen könnten.

nen – erfolgreichen – Alleingang gewagt: Die Handelskette setzt auf die Kaufkraft der österreichweit über 410.000 Ex-Jugo-slawen und führt immer mehr Artikel, die auch Österreicher aus ihrem Kroatien-Ur-laub kennen. „Die Artikel kommen sehr gut an“, sagt Zielpunkt-Geschäftsführer Jan Satek, „sowohl bei Alteingesessenen als auch bei den Migranten.“

mehr Ethno-Sortiment. Einen ersten Test-lauf gab es im Vorjahr in knapp hundert Märk ten. „Das Angebot reicht von Gewür-zen, Süßwaren, Kaffee-Sorten und Fertig-produkten wie Packerlsuppen bis zu Li-monaden und Energy-Drinks“, erzählt er, der an dieser Offensive festhalten will. Zum Vergleich: Während die mit Ethno-Food befüllten Regale bei Billa und Spar

Merkur, Penny, Adeg) und Spar wol-len die Kaufkraft der Migranten nutzen, doch der Ausbau des Ge-schäfts läuft schleppend. Zu groß scheint die Angst, Schiffbruch zu erleiden. Ausgerechnet Ziel-punkt, lange Jahre das Sor-

bevölkerung. Etwas mehr als eine Million sind im Ausland geboren, 404.600 gehören der „zweiten Generation“ an.

Marken aus Ex-Jugoslawien, darunter dort bekannte Namen wie Don Café, Medela (Feigen-Strudel) und Jami-Burek (Tiefkühlteig mit Spinat oder Käse). Reda beliefert Ethno-Märkte

ebenso wie große Handelsket-ten, darunter Rewe und Ziel-punkt. Auch die kroatische Firma Kreis, die Produkte wie Plasma (Kekse) und Vegeta (Gewürzmischung) führt, liefert Waren vom Balkan nach Österreich.

mit Ethno-Food in Europas

Österreichs Ethno-Märkte boomen

„Hier leben 1,5 Millionen Migranten, aber leider nutzen die Handelsketten das Potenzial kaum.“

Amin Reda Verkaufsleiter Brajlovic GmbH Wien

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