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W ährend einiger Wochen bis in die Adventszeit des Jah- res 2001 wurden Besucher der Internetseite der DFG durch ein doppeltes Warnschild aufge- schreckt. Es zeigte an, dass die DFG vom Sommer 2002 an keine Mittel mehr an Universitäten und For- schungsinstitute bewilligen wird, die nicht über Regeln für gute wis- senschaftliche Praxis verfügen. Was bezweckt dieser Hinweis, und wie ist er entstanden? Wer die Verhältnisse an Univer- sitäten in den Vereinigten Staaten gut kennt, wird allenfalls überrascht sein, dass die DFG diese Bestim- mungen so spät einführt. Für die National Science Foundation und die National Institutes of Health ist die Existenz solcher Regeln seit lan- gem Voraussetzung für die Vergabe von Fördermitteln für Forschungs- vorhaben. Das Wissenschaftssystem der USA hat damit auf eine Serie von Fällen von Wissenschaftsbetrug reagiert, die man unter breiter öf- fentlicher Anteilnahme aufzuklä- ren versucht und in einigen Fällen auch tatsächlich aufgeklärt hat. In Deutschland erschien im Jahr 1994 eine juristische Doktorarbeit darü- ber, die auch beschrieb, dass in Deutschland fast keinerlei ver- gleichbaren Regeln existieren. Das Kenntnisstand herausgebildet hat, soweit man denn davon sprechen kann. Diese Einschränkung hat zum Teil mit den Grenzen des ehrenamtlichen Systems der Selbst- verwaltung der Wissenschaft zu tun. Alle Mitglieder der zahlreichen Kommissionen, die sich mit dem Fall beschäftigt haben, mussten die dafür notwendige Zeit ihrem ei- gentlichen Beruf als Wissenschaft- ler entnehmen. Aber auch die von der DFG und der Dr. Mildred Scheel-Stiftung eigens zur Analyse der Dokumente über mehrere Jahre finanzierten Mitarbeiter stießen oft an Grenzen: Wissenschaftliches Fehlverhalten interessiert weder an denen er maßgeblich beteiligt war, für insgesamt drei Jahre von seiner Tätigkeit als Gutachter und Gremienmitglied sowie von der An- tragsstellung ausgeschlossen hat, wirkt er weiterhin als Geschäftsfüh- render Direktor der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Freiburg. Ich halte dies für einen Affront gegenüber der wissen- schaftlichen Forschung, zumal wis- senschaftliche und ärztliche Tätig- keit an einer Universitätsklinik auf das engste verbunden sind. Dass die dienstrechtliche Folgenlosigkeit der Vorgänge um Professor Mer- telsmann nun von der Öffentlichkeit als Systemversagen verstanden hat sich seit 1997 grundlegend ge- ändert. Mit dem „Fall Herrmann/ Brach“ ereignete sich in Deutsch- land zwar nicht der erste, aber der am breitesten bekannt gewordene Fall wissenschaftlichen Fehlverhal- tens im 20. Jahrhundert. Es war auch in mindestens zweierlei Hin- sicht besonders folgenreich: Auf der negativen Seite hat es fast fünf Jahre gedauert, bis sich, bezo- gen auf die „Hauptpersonen“ und die vielen hundert Mitautorinnen und -autoren der unter Verdacht geratenen und zum Teil als fäl- schungsbehaftet erwiesenen Veröf- fentlichungen, ein konsolidierter die Polizei noch die Staatsanwalt- schaft. Schon die Aufklärung des Sachverhalts ist daher auf die Be- reitschaft angewiesen, an ihr mitzu- wirken. Das war aber in sehr unter- schiedlichem Maße der Fall. Vieles bleibt so hinter Mauern des Schwei- gens verborgen. Den Schaden davon hat die Wissenschaft, deren öffentliches Ansehen nachhaltig beschädigt ist. Am Gravierendsten in dieser Hinsicht ist für mich der Fall des Onkologen Professor Ro- land Mertelsmann. Obwohl die DFG ihn wegen schwerwiegender Mängel bei der Veröffentlichung von Ergebnissen klinischer Studien, 2 forschung 4/ 2001 Gute wissenschaftliche Praxis sichern Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker Nicht nur propagieren, sondern praktizieren und durchsetzen, so lautet der Appell der DFG. Im Sommer 2002 sollen die Regeln in allen Universitäten und Forschungsinstituten umgesetzt sein Der Kommentar

Gute wissenschaftliche Praxis sichern

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Page 1: Gute wissenschaftliche Praxis sichern

Während einiger Wochen bisin die Adventszeit des Jah-res 2001 wurden Besucher

der Internetseite der DFG durch ein doppeltes Warnschild aufge-schreckt. Es zeigte an, dass die DFGvom Sommer 2002 an keine Mittelmehr an Universitäten und For-schungsinstitute bewilligen wird,die nicht über Regeln für gute wis-senschaftliche Praxis verfügen.

Was bezweckt dieser Hinweis,und wie ist er entstanden?

Wer die Verhältnisse an Univer-sitäten in den Vereinigten Staatengut kennt, wird allenfalls überraschtsein, dass die DFG diese Bestim-

mungen so spät einführt. Für dieNational Science Foundation unddie National Institutes of Health istdie Existenz solcher Regeln seit lan-gem Voraussetzung für die Vergabevon Fördermitteln für Forschungs-vorhaben. Das Wissenschaftssystemder USA hat damit auf eine Serievon Fällen von Wissenschaftsbetrugreagiert, die man unter breiter öf-fentlicher Anteilnahme aufzuklä-ren versucht und in einigen Fällenauch tatsächlich aufgeklärt hat. InDeutschland erschien im Jahr 1994eine juristische Doktorarbeit darü-ber, die auch beschrieb, dass inDeutschland fast keinerlei ver-gleichbaren Regeln existieren. Das

Kenntnisstand herausgebildet hat,soweit man denn davon sprechenkann. Diese Einschränkung hatzum Teil mit den Grenzen desehrenamtlichen Systems der Selbst-verwaltung der Wissenschaft zutun. Alle Mitglieder der zahlreichenKommissionen, die sich mit demFall beschäftigt haben, mussten diedafür notwendige Zeit ihrem ei-gentlichen Beruf als Wissenschaft-ler entnehmen. Aber auch die vonder DFG und der Dr. MildredScheel-Stiftung eigens zur Analyseder Dokumente über mehrere Jahrefinanzierten Mitarbeiter stießen oftan Grenzen: WissenschaftlichesFehlverhalten interessiert weder

an denen er maßgeblich beteiligtwar, für insgesamt drei Jahre vonseiner Tätigkeit als Gutachter undGremienmitglied sowie von der An-tragsstellung ausgeschlossen hat,wirkt er weiterhin als Geschäftsfüh-render Direktor der MedizinischenKlinik am UniversitätsklinikumFreiburg. Ich halte dies für einenAffront gegenüber der wissen-schaftlichen Forschung, zumal wis-senschaftliche und ärztliche Tätig-keit an einer Universitätsklinik aufdas engste verbunden sind. Dassdie dienstrechtliche Folgenlosigkeitder Vorgänge um Professor Mer-telsmann nun von der Öffentlichkeitals Systemversagen verstanden

hat sich seit 1997 grundlegend ge-ändert. Mit dem „Fall Herrmann/Brach“ ereignete sich in Deutsch-land zwar nicht der erste, aber deram breitesten bekannt gewordeneFall wissenschaftlichen Fehlverhal-tens im 20. Jahrhundert. Es warauch in mindestens zweierlei Hin-sicht besonders folgenreich:

Auf der negativen Seite hat es fastfünf Jahre gedauert, bis sich, bezo-gen auf die „Hauptpersonen“ unddie vielen hundert Mitautorinnenund -autoren der unter Verdachtgeratenen und zum Teil als fäl-schungsbehaftet erwiesenen Veröf-fentlichungen, ein konsolidierter

die Polizei noch die Staatsanwalt-schaft. Schon die Aufklärung desSachverhalts ist daher auf die Be-reitschaft angewiesen, an ihr mitzu-wirken. Das war aber in sehr unter-schiedlichem Maße der Fall. Vielesbleibt so hinter Mauern des Schwei-gens verborgen. Den Schadendavon hat die Wissenschaft, derenöffentliches Ansehen nachhaltigbeschädigt ist. Am Gravierendstenin dieser Hinsicht ist für mich derFall des Onkologen Professor Ro-land Mertelsmann. Obwohl dieDFG ihn wegen schwerwiegenderMängel bei der Veröffentlichungvon Ergebnissen klinischer Studien,

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forschung 4/2001

Gute wissenschaftliche Praxis sichern

Prof. Dr.Ernst-Ludwig Winnacker

Nicht nur propagieren, sondern praktizieren und durchsetzen, so lautet der Appell der DFG. Im Sommer 2002 sollen die Regeln in

allen Universitäten und Forschungsinstituten umgesetzt sein

Der Kommentar

forschung_heft_4_2001 21.02.2002 14:13 Uhr Seite 2

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wird, kann nicht verwundern. Aufder positiven Seite kann man ver-zeichnen, dass die Institutionen derWissenschaft in Deutschland jetztmit den Grundsätzen guter wissen-schaftlicher Praxis besser vertrautund auf Vorwürfe wissenschaft-lichen Fehlverhaltens gegen einzel-ne ihrer Mitglieder besser vorberei-tet sind oder bald sein werden.Schon 1997, während die Unter-suchungen zum „Fall Herrman/Brach“ noch im Gang waren, hattedie DFG eine international besetzteKommission unter Vorsitz ihres Prä-sidenten berufen, deren „Vorschlä-ge zur Sicherung guter wissen-

ligt werden können, die nicht überRegeln guter wissenschaftlicherPraxis verfügen. Was ist damit ge-wonnen? Ein Blick durch die in-zwischen vorliegenden Ordnungender Universitäten und Forschungs-institute zeigt, dass viele der Emp-fehlungen der DFG und die ergän-zenden „Handreichungen“ derHochschulrektorenkonferenz zumVerfahren bei Verdacht wissen-schaftlichen Fehlverhaltens über-nommen wurden.

Darüber hinaus sind mancher-orts freilich auch ernsthafteDiskussionen geführt und da-

nach substanzielle eigene Stellung-nahmen und Regeln verabschiedetworden. Auf die beiden beispielge-benden Veröffentlichungen derMax-Planck-Gesellschaft „Ethosder Forschung“ (2000) und „Ver-antwortliches Handeln in der Wis-senschaft“ (2001) möchte ich hierbesonders hinweisen. Auch einigewissenschaftliche Fachgesellschaf-ten haben das Thema aufgegriffenund klar Stellung bezogen; hier istbesonders die Deutsche Gesell-schaft für Hämatologie und Onkolo-gie zu nennen. Ihr Engagement istdeshalb besonders wichtig, weil diemedizinische, speziell auch die kli-nische Forschung im Brennpunktder nachgewiesenen Beispiele wis-senschaftlichen Fehlverhaltens wieauch der Vorwürfe unterschied-lichsten Schweregrades stand undsteht. Es ist in vielen Studien belegt,dass hier die Effizienz im Sinne desVerhältnisses der nominell für dieFörderung eingesetzten Mittel zumöffentlichen Erkenntnisgewinn be-sonders ärmlich und die Qualitätdurch eine Vielzahl von Einflüssenbesonders gefährdet ist. Die DFG-Denkschrift erwähnt, „dass dieAusbildung der Studierenden imFall Humanmedizin für sich alleinkeine geeigneten Grundlagen füreine eigenständige wissenschaft-liche Tätigkeit vermittelt“ und dass„in den meisten Hochschulkliniken... eine produktive wissenschaft-liche Tätigkeit auf internationalemNiveau schwer zu erreichen ist“.Schon dies ist, gemessen an dersonst recht zurückhaltenden Dik-tion der Denkschrift, ein massiverVorwurf. Noch problematischer

wird die Lage, wenn immer wiederdie Rede auf sogenannte „PhaseI/II-Studien“ kommt, in denen eineexperimentelle Therapie an kleinenZahlen von Patienten erprobt wirdund bei denen sich die Beachtungder elementaren und verpflichtendvorgeschriebenen Regeln für solcheStudien auch mit großer Anstren-gung nicht belegen lässt.

Bei solchen Verhältnissen stößtdie DFG rasch an die Grenzen ihrerWirksamkeit. Sie gibt sich geradeum die klinische Forschung jede er-denkliche Mühe. Eine Denkschrift„Klinische Forschung“ wurde 1999veröffentlicht; die Ausschreibungfür ein Programm „Klinische For-schergruppen“, das exzellente kli-nische Forschung unterstützen, dieStrukturen dafür in den Universi-tätskliniken nachhaltig stärken unddie internen Finanzströme vor Ortkanalisieren helfen soll, folgte imFrühjahr 2000. Für zwölf solche Kli-nischen Forschergruppen hat dieDFG im Oktober 2001 Fördermittelbewilligt; die Ausschreibung istweiterhin offen. Über ein neues För-derprogramm „Klinische Studien“laufen Vorgespräche. Jedoch liegtdas Fördervolumen der DFG in derMedizin nur in der Größenordnungvon fünf Prozent der insgesamt ver-fügbaren Mittel. Deshalb ist es sowichtig, dass die Fakultäten und die wissenschaftlichen Fachgesell-schaften von sich aus und für alleihre Mitglieder gute wissenschaft-liche Praxis nicht nur propagieren,sondern praktizieren und durchset-zen.

Wenn im Sommer 2002 Re-geln guter wissenschaft-licher Praxis in allen Uni-

versitäten und Forschungsinstitutenumgesetzt sind, wird ein wesent-licher formaler Schritt abgeschlos-sen sein. Die eigentlich wichtigeAufgabe, nach diesen Grundsätzenzu lehren und zu forschen, bleibtjeden Tag aktuell.

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3

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schaftlicher Praxis“ 1998 als Denk-schrift der DFG veröffentlicht undmehrfach nachgedruckt wurden.Die Mitgliederversammlung derDFG beschloss im Jahr 1998, dassdie DFG die Empfehlungen derKommission für ihr eigenes Förder-handeln verbindlich machen undihre Mitglieder dazu verpflichtensolle, sich jeweils für ihren BereichRegeln guter wissenschaftlicherPraxis zu geben. Im Jahr 2001 hatdie Mitgliederversammlung für dieUmsetzung dieser Entscheidungeine Frist von einem weiteren Jahrbeschlossen. Das bedeutet, dassFördermittel der DFG ab Mitte 2002nicht mehr an Einrichtungen bewil-

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