23
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA ge- gründet, wurde die Glaubensgemeinschaft der Internatio- nalen Bibelforscher seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland bekannt. Ab 1931 nannte sie sich „Jehovas Zeugen“. Ihre Glaubenslehre geht vom bevorstehenden Weltende und vom baldigen Anbruch des „Tausendjährigen Gottesreichs“ auf Erden aus. Möglichst viele Menschen sol- len vor dem drohenden Untergang gerettet werden, indem sie sich für Jehova-Gott erklären und sich den Zeugen Jeho- vas anschließen. In Hamburg und den seinerzeit noch selbstständigen Städ- ten Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg bekann- ten sich 1933 ungefähr 500 Frauen und Männer zu den Zeu- gen Jehovas. Für die Nationalsozialisten waren die Zeugen Jehovas eine pazifistische Sekte. Ihrer Ansicht nach unterlag die Glau- bensgemeinschaft unkontrollierbaren ausländischen Ein- flüssen, leistete dem „Judentum“ und dem „Weltbolsche- wismus“ Vorschub und war daher zu bekämpfen. Zeugen Jehovas ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 1

ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

  • Upload
    others

  • View
    8

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA ge-gründet, wurde die Glaubensgemeinschaft der Internatio-nalen Bibelforscher seit Anfang des 20. Jahrhunderts auchin Deutschland bekannt. Ab 1931 nannte sie sich „JehovasZeugen“. Ihre Glaubenslehre geht vom bevorstehendenWeltende und vom baldigen Anbruch des „TausendjährigenGottesreichs“ auf Erden aus. Möglichst viele Menschen sol-len vor dem drohenden Untergang gerettet werden, indemsie sich für Jehova-Gott erklären und sich den Zeugen Jeho-vas anschließen.

In Hamburg und den seinerzeit noch selbstständigen Städ-ten Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg bekann-ten sich 1933 ungefähr 500 Frauen und Männer zu den Zeu-gen Jehovas.

Für die Nationalsozialisten waren die Zeugen Jehovas einepazifistische Sekte. Ihrer Ansicht nach unterlag die Glau-bensgemeinschaft unkontrollierbaren ausländischen Ein-flüssen, leistete dem „Judentum“ und dem „Weltbolsche-wismus“ Vorschub und war daher zu bekämpfen.

Zeugen Jehovas

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 1

Page 2: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas2

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 2

Page 3: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 3

Die Delegierten der HamburgerGemeinde der Zeugen Jehovas am25. Juni 1933 auf dem Sonder-kongress in den WilmersdorferTennishallen in Berlin, auf demeine Petition an die Reichsregie-rung zur Wahrung der Gottes-dienstfreiheit verabschiedetwurde. Pfeil Mitte: Hero von Alften, Leiter der HamburgerGruppe, Pfeil rechts: Erwin Zim-mermann, Leiter der Jugend-gruppe.

Foto: unbekannt. (Privatbesitz)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 3

Page 4: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas4

Wenige Monate nach dem Machtantritt der Nationalsozia-listen wurden die Zeugen Jehovas in allen deutschen Län-dern verboten. In Hamburg erfolgte das Verbot am 15. Juli1933. Trotz des Verbots setzten die Zeugen Jehovas ihr Ge-meindeleben im Verborgenen fort. Ihre Schriften stellten siefortan im Untergrund her. Die sich konspirativer Technikenbedienende Tarnung war anfangs erfolgreich; die Staatspo-lizei erlangte von diesen Aktivitäten vorerst keine Kenntnis.Diejenigen Zeugen Jehovas, die sich weiterhin zu ihremGlauben bekannten, waren jedoch von Maßnahmen betrof-fen, die ihnen ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage entzo-gen. Zunächst wurden die bei der Stadtverwaltung, derReichspost, der Reichsbahn und anderen Reichsbetriebenbeschäftigten Zeugen Jehovas entlassen. Aber auch in derPrivatwirtschaft verloren viele ihren Arbeitsplatz, zumeistweil sie die Mitgliedschaft in der Deutschen Arbeitsfrontverweigerten oder das Entrichten des „Hitlergrußes“ grund-sätzlich ablehnten.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 4

Page 5: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 5

Verbotsverfügung der HamburgerPolizeibehörde vom 15. Juli 1933.

Aus: Amtlicher Anzeiger, 18.7.1933.

Als die Zeugen Jehovas auch ihren Missionsdienst im Ok -tober 1934 wieder aufnahmen und mit religiösen Schriftenvon Haustür zu Haustür gingen, erfolgten ab Ende 1934 ingroßer Zahl Verhaftungen. In so genannten Bibelforscher-verfahren verurteilten nationalsozialistische SondergerichteMitte der 1930er-Jahre Tausende Zeugen Jehovas zu Ge-fängnisstrafen. Als „Funktionäre“ und „Wiederholungstäter“geltende Zeugen Jehovas wies die Gestapo in Konzentra-tionslager ein. Viele Angehörige der Glaubensgemeinschaftließen sich jedoch nicht einschüchtern und setzten ihre Aktivitäten fort.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 5

Page 6: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas6

Mitte 1936 fasste ein internationaler Kongress der Bibelfor-scher-Vereinigung in der Schweiz den Beschluss, die deut-sche Öffentlichkeit in einer groß angelegten Flugblattaktionüber die Verfolgung ihrer Glaubensgemeinschaft und denantichristlichen Charakter des Hitlerregimes aufzuklären.An bestimmten Tagen wurden zu einer bestimmten Uhrzeitim gesamten Deutschen Reich Flugblätter in Hausbriefkäs-ten geworfen, unter Fußmatten geschoben, in Telefonzellenoder auf Parkbänke gelegt und an parkenden Autos ange-bracht. Ein am 20. Juni 1937 verteilter „Offener Brief“ warfür die Nationalsozialisten der Anlass, eine reichsweiteGroßfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas in Deutsch-land verhaftet. Nach der Festnahme von über 100 Personenwar auch die Hamburger Gruppe zerschlagen. Ihre Mitglie-der wurden zunächst in das Polizeigefängnis Fuhlsbütteleingewiesen, wo die Zeugen Jehovas zeitweilig die größteHäftlingsgruppe bildeten. Sie waren Misshandlungen beiden Verhören, Schikanen durch die Wachmannschaftenund der Verhöhnung als „Himmelskomiker“ ausgesetzt. ImFrühjahr 1938 fand vor dem Hanseatischen Sondergerichteine Serie von Prozessen gegen Zeugen Jehovas statt, in de-nen die Angeklagten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.Nach Verbüßung der Haftstrafen wurden viele von ihnen inKonzentrationslager eingewiesen.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 6

Page 7: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 7

Ausschnitt aus dem „OffenenBrief“, der als Flugblatt von denZeugen Jehovas im Juni 1937 inganz Deutschland verteilt wurde.

(ANg, Sammlung Garbe)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 7

Page 8: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas8

In den Konzentrationslagern bildeten die Zeugen Jehovaseine eigene Häftlingsgruppe, die an der Kleidung durch einen violetten Winkel als „Bibelforscher“ gekennzeichnetwurde. Vor allem nach den Massenverhaftungen 1936 und1937 bildeten die inhaftierten Zeugen Jehovas mit fünf biszehn Prozent der KZ-Häftlinge eine verhältnismäßig großeHäftlingsgruppe. Während des Krieges, als zunehmendausländische Häftlinge in die Konzentrationslager eingewie-sen wurden, nahm ihr prozentualer Anteil an der Lagerbele-gung jedoch stark ab.

Die Zeugen Jehovas zeigten in den Lagern einen ausgepräg-ten Selbstbehauptungswillen. Sie hielten ihren festen Grup-penzusammenhalt aufrecht, bestärkten sich gegenseitig inihrem Glauben, übten untereinander Solidarität, teilten Lebensmittel und setzten ihre Missionsbemühungen sogarinnerhalb des Lagers fort. Mit anderen Häftlingsgruppen arbeiteten sie hingegen nicht zusammen, insbesondereunterstützten sie keine Widerstandsaktionen.

Regelmäßig wurde den Zeugen Jehovas eine so genannteVerpflichtungserklärung zur Unterschrift vorgelegt. Wennsie diese unterzeichneten und ihrem Glauben abschwörten,würden sie entlassen, lautete das Versprechen der SS undder Gestapo. Es waren jedoch nur sehr wenige Zeugen Jehovas bereit, diese Erklärung zu unterschreiben. Sie stan-den zu ihrer Überzeugung, was bei Mithäftlingen teils Un-verständnis, teils Anerkennung hervorrief.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 8

Page 9: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 9

Vordruck der Verpflichtungser-klärung, deren UnterzeichnungBedingung für eine Entlassungaus der KZ-Haft war.

(Wachtturm-Gesellschaft, Geschichts -archiv der Zeugen Jehovas)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 9

Page 10: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Foto aus dem Verfolgtenausweis Gustav Auschners von 1946.

(VVN, Landesverband Hamburg)

Gustav Auschner war als Zeuge Jehovas von März 1940 bisApril 1945 im KZ Neuengamme inhaftiert. Er hatte die Häft-lingsnummer 131. In einem Brief berichtete er HansSchwarz, dem Generalsekretär der Amicale Internationalede Neuengamme, über seine Haftzeit:

Ich kam mit 40 Zeugen Jehovas am 1. März 1940 vom KL.Sachsenhausen nach Neuengamme. Mehr Zeugen Jehovaswaren damals nicht dort.

Zehn von uns wurden zum Bahnhofskommando eingeteiltund fuhren täglich nach Curslack oder Bergedorf, um dieangekommenen Güter für Neuengamme umzuladen.

Wir anderen arbeiteten beim Barackenbau und wurden spä-ter in die verschiedenen Kommandos – je nach Beruf – ver-teilt. Vier Brüder gingen täglich mit Bewachung nach Berge-dorf zum Eisenhändler Glunz (Bergedorf) und sortiertenSchrauben und sonstige Eisenteile, welche aus Polen odersonstwo herkamen. Durch diese Brüder wurden Briefe nachaußen geschmuggelt und über alle Vorgänge im Lager be-richtet. Nachrichten darüber gingen auch in die Schweizund wurden dort veröffentlicht.

Ein Kommando von 6–8 Brüdern war außerhalb des Lagersbeim Grabenschlemmen beschäftigt.

Zeugen Jehovas10

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 10

Page 11: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

In zwei Wintern waren je 20 Brüder an der Ostsee Rohrschneiden, einzelne waren im Klinkerwerk und am Kanal-bau beschäftigt. [...] In den letzten drei Jahren (1943–1945)waren ca. 10 in der Angorazucht beschäftigt.

Zu besonderen Mißhandlungen kam es, als man dahinterkam, woher die Berichte im Ausland kamen. Im Sommer1944 war es, als die Zeugen Jehovas morgens nicht ausrü-cken durften. Wir mußten antreten und wurden gründlichauf alles Geschriebene untersucht, und jeder beschriebeneZettel wurde uns abgenommen durch Gestapoleute, dieextra aus Berlin gekommen waren. Eine Anzahl wurde hef-tig geschlagen mit Stahlpeitschen. Bruder Ernst Wauer undJosef Unterbrunner waren im Bunker.

Die Paketkontrolle zu jener Zeit war nicht so streng wie vor-dem und wurde durch Blockälteste ausgeführt. So war auchein Buch der Zeugen Jehovas in unsere Hände gekommen.Als die Berliner Gestapo im Lager war, wurde es von irgendjemandem verraten. Josef Unterbrunner hatte das Buch be-kommen, da er im Kaninchenstall arbeitete, war das Buch

Zeugen Jehovas 11

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 11

Page 12: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

dort. Wir hörten, daß wir verraten sind, und Bruder WilliJohe steckte das Buch ins Feuerloch unter dem Kessel imStall. Dreimann und Kümmel kamen und frugen, wo dasBuch sei? Unsere Antwort: es sei verbrannt. Bruder Joheund ich wurden mitgenommen und ans Tor gestellt. Zuerstkam Johe in eine Baracke und wurde vom SS-ScharführerKümmel mit einer Stahlpeitsche bearbeitet. Man hörte nochsein Schreien auf dem Appellplatz. Dann kam ich dran. Immer wieder frug Kümmel, wo das Buch sei. Als ich sagte,es sei verbrannt, sagte er, so etwas gebe es nicht, denn dieBibelforscher verbrennen kein Buch, und er schlug weiter,bis er müde war. Es mögen 35–40 Schläge gewesen sein.Dann kam ein Berliner Gestapomann und wir wurden ihmvorgestellt mit der Bemerkung, was mit uns geschehen sei.Es wurde ihm gesagt, daß wir weiter geschlagen würden. Ersagte: „Lassen Sie die Leute gehen“, und so konnten wir andie Arbeit gehen.

Ich schlief mit einem belgischen Zeugen Jehovas, Alfons Michels, zusammen in dem 75 cm breiten Bett (Pritsche)und auch ihm hatte man den Hintern kaputtgeschlagen. Ihrkönnt Euch vorstellen, was das wochenlang für ein Schlafenwar.

Der Zeuge Jehovas Trausner schrieb an die Lagerleitungund wies darauf hin, welche unnötigen Schikanen im Lager

Zeugen Jehovas12

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 12

Page 13: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

passierten. Er kam in den Bunker und wurde auf Befehl desSS-Obergruppenführers Oswald Pohl gehenkt. Mißhand-lungen kamen öfters vor. Bruder August Kulka wurde unterdem Kommandanten Eisfeld mit Knüppeln geschlagen, bissein Urin blutig war.

Daß wir Kontakt nach außen hatten, seht Ihr ja aus dem Be-richt über das Kommando Glunz. Ob es noch weitere Ver-bindungen gab, weiß ich persönlich nicht. Es ist sicherlichbekannt, daß seit Juli 1944 kein einziger Bibelforscher mehrauf ein Außenkommando gehen durfte. Sie wurden auchnach der Bombardierung Hamburgs, wo sie bei der Lei-chenbestattung arbeiteten (Ohlsdorf), abgelöst und durftennicht draußen arbeiten. [...]

Verpflichtungserklärungen sind in Neuengamme nichtunterschrieben worden. In Sachsenhausen waren wir ca.450 Zeugen Jehovas, von diesen haben 16–18 unterschrie-ben. Einige von ihnen kamen mit nach Neuengamme undwie ich mich erinnern kann, sind sie auch dort gestorben. InSachsenhausen wurden wir alle drei Monate gefragt, ob wirunterschreiben. Da gab es Ohrfeigen und nichts zum Essen,wenn man nicht unterschrieb. Ich bin in Neuengamme alleein bis zwei Jahre gefragt worden. Bei manchen mag es an-ders gewesen sein.

Gustav Auschner. Brief an Hans Schwarz, 8.7.1969. (ANg)

Zeugen Jehovas 13

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 13

Page 14: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas14

Im KZ Neuengamme waren von 1940 bis 1945 insgesamtetwa 200 Zeugen Jehovas inhaftiert. Sie waren zunächst ab-gesondert von den übrigen Gefangenen mit den jüdischenHäftlingen in einer Baracke untergebracht. Erst im Septem-ber 1943 wurden die Zeugen Jehovas auf Anweisung desSS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes auf die anderenBaracken verteilt, um ihren Zusammenhalt zu zerstören undihre illegalen Aktivitäten zu unterbinden. Aber auch danachfanden sich die Zeugen Jehovas weiterhin regelmäßig inkleinen Studiengruppen zusammen, um heimlich ins Lagergeschmuggelte und vervielfältigte Texte zu lesen.

Bis 1942 waren viele der Zeugen Jehovas in Arbeitskom-mandos mit besonders schweren Bedingungen eingesetzt,ab 1943 verbesserten sich jedoch für mehr als die Hälftevon ihnen die Lebens- und Arbeitsbedingungen: Obwohlsie es in der Regel ablehnten, als Funktionshäftlinge einge-setzt zu werden, waren im KZ Neuengamme mehrere Zeu-gen Jehovas Vorarbeiter in Arbeitskommandos – zumeist insolchen, die überwiegend oder ausschließlich aus ZeugenJehovas bestanden. Weil Zeugen Jehovas auch ohnestrenge Bewachung fleißig und zuverlässig arbeiteten undvon ihnen kaum ein Fluchtversuch zu erwarten war, da sieihr Schicksal ganz in die Hand Gottes gelegt sahen, setztedie SS sie oft auch außerhalb des Lagers ein, beispielsweisein Bergedorfer Betrieben. Diese Zuverlässigkeit stieß beiden anderen Häftlingsgruppen, die den von der SS organi-sierten Ablauf im KZ möglichst zu behindern und zu verzö-gern suchten, nicht auf Zustimmung.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 14

Page 15: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 15

Die Zucht von Angorakaninchen wurde in vielen Konzentra-tionslagern betrieben. Die Angorawolle wurde zur Herstel-lung von Fallschirmen und zur Ausfütterung von Flieger -jacken verwendet. Im „Angora-Kommando“ des KZNeuengamme arbeiteten ca. 15 Zeugen Jehovas, späterauch andere Häftlinge. In diesem abgelegenen Arbeitskom-mando, das anfangs ausschließlich aus Zeugen Jehovas be-stand, waren die Bedingungen für heimliche Zusammen-künfte und das Verstecken von Schriften vergleichsweisegut, und so wurde es zu einem Zentrum des Bibelforscher-Widerstands im KZ Neuengamme. Die dort eingesetztenZeugen Jehovas konnten von den Abfällen der SS-Küche,die für die bis zu 3800 Kaninchen gedacht waren, Essbaresabzweigen. Dies ließen sie jenen Glaubensbrüdern zu -kommen, die dringend zusätzliches Essen zu ihren Hunger-rationen benötigten.

Der Kaninchenstall

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 15

Page 16: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas16

Ein Häftlingsvorarbeiter meldetdem SS-Kommandoführer den Be-stand, 1943. Das Bild mitSchwarzwaldmotiven über derTür zu dem Gebäude mit den Ka-ninchenställen wurde von demZeugen Jehovas Willi Johe gemalt.

Foto: SS. (ANg)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 16

Page 17: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 17

Berichten von Mithäftlingen zufolge hatte sich der aus Österreich stammende Johann Trausner im KZ Neuen-gamme strikt geweigert, SS-Männer vorschriftsmäßig durchAbnehmen der Mütze zu grüßen. Er hatte außerdem beider Lagerleitung eine schriftliche Beschwerde über dieSchikanen eingereicht, denen die Zeugen Jehovas ausge-setzt waren. Auch unter seinen Glaubensbrüdern galt Jo-hann Trausner als jemand, der sehr standhaft seine Glau-bensvorstellungen vertrat.

Der SS genügte Johann Trausners Verhalten, um ihn zumTode zu verurteilen.

„Auf Befehl des Führers und Reichskanzlers erschossen“

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 17

Page 18: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas18

Sterbeurkunde des als Zeuge Je-hovas im KZ Neuengamme inhaf-tierten Johann Trausner, der vonder SS am 24. Oktober 1941 hin-gerichtet wurde.

(ANg)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 18

Page 19: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 19

Den Zeugen Jehovas gelang es durch Kontakte nach außen,Briefe, Schriften und Informationen in die Konzentrations -lager zu schmuggeln, zu vervielfältigen und untereinanderzu diskutieren. Ebenso wurden Briefe und Berichte über die Situation in den Konzentrationslagern hinausgeschmuggelt.Über nicht inhaftierte Familienangehörige und Glaubens-brüder gelang es sogar, einen Schriftwechsel der ZeugenJehovas zwischen verschiedenen Konzentrationslagern zuorganisieren.

Nachdem sich Berichte über diese Aktivitäten der ZeugenJehovas häuften, ordnete das SS-Wirtschafts-Verwaltungs-hauptamt in einem Rundschreiben an alle KZ-Kommandan-ten an, dass die „Bibelforscher“ jeweils auf verschiedene Ba-racken zu verteilen und besser zu überwachen seien.

Rundschreiben des SS-Wirt-schafts-Verwaltungshauptamtesan die Kommandanten der Kon-zentrationslager vom 10. Septem-ber 1943 betreffend „Staatsfeind-liche Propaganda der Bibel -forscher in den Konzentrationsla-gern und auf den Arbeitsplätzen“.

(BA (Koblenz))

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 19

Page 20: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 20

Page 21: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 21

Page 22: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas22

Bei den Zeugen Jehovas handelte es sich um eine mehrheit-lich „reichsdeutsche“ Häftlingsgruppe. Im KZ Neuengammestammten fast 80 Prozent von ihnen aus Deutschland, Österreich und den Sudetengebieten. Doch trugen im KZNeuengamme auch mehr als 30 Niederländer sowie Polen,Tschechen, Franzosen, Belgier und Häftlinge aus dem Ge-biet des früheren Jugoslawien den violetten Winkel der „Bibelforscher“.

Nach bisherigem Kenntnisstand kamen von den 194 na-mentlich bekannten Häftlingen, die im KZ Neuengammeund den Außenlagern als Zeugen Jehovas inhaftiert waren,mehr als 65 ums Leben.

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 22

Page 23: ha2 1 7 1 thm 2354 x ha2 1 7 1 thm 2354 xmedia.offenes-archiv.de/zeugenjehovas.pdf · Großfahndung nach Zeugen Jehovas einzuleiten. Im Herbst 1937 wurden viele Tausende Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas 23

Postkarte des niederländischenZeugen Jehovas Gosse Wulderaus dem KZ Neuengamme, mitZensurvermerk.Gosse Wulder, Häftling im Außen-lager Alderney des KZ Neuen-gamme, starb laut Totenbuch am27. Juli 1944. Als Todesursacheist „auf der Flucht erschossen“eingetragen. Tatsächlich fielGosse Wulder an diesem Tag ge-meinsam mit 16 anderen Häftlin-gen einem SS-Massaker zum Op-fer, einer Vergeltungsaktion derSS bei der Rückverlegung desAußenlagers.

(Wachttoren Bijbel- en Traktaatgenoot-schap, Emmen/Niederlande)

ha2_1_7_1_thm_2354_x:ha2_1_7_1_thm_2354_x 14.02.2008 18:24 Uhr Seite 23