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Vereinte Dienstleistungs- gewerkschaft Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe Tarifvertrag Gesundheitsschutz im Sozial- und Erziehungsdienst Handlungshilfe für Personal- bzw. Betriebsräte sowie Betriebliche Kommissionen Die Umsetzung der Tarifvorschriften zum betrieblichen Gesundheitsschutz für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst

Handlungshilfe für Personal- bzw. Betriebsräte sowie ... · Arbeits- und Gesundheitsschutz der gesetzliche Rahmen ... Blick geht dabei über den Tarifvertrag hinaus und umfasst

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Vereinte

Dienstleistungs-

gewerkschaft

Sozial-, Kinder-

und Jugendhilfe

Tarifvertrag Gesundheitsschutz im Sozial- und Erziehungsdienst

Handlungshilfe für Personal- bzw. Betriebsräte sowie

Betriebliche KommissionenDie Umsetzung der Tarifvorschriften zum

betrieblichen Gesundheitsschutz für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst

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Vereinte

Dienstleistungs-

gewerkschaft

Sozial-, Kinder-

und Jugendhilfe

Tarifvertrag Gesundheitsschutz im Sozial- und Erziehungsdienst

Handlungshilfe für Personal- bzw. Betriebsräte sowie

Betriebliche KommissionenDie Umsetzung der Tarifvorschriften zum

betrieblichen Gesundheitsschutz für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst

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Herausgeber: ver.di-Bundesverwaltung, Fachbereich GemeindenPaula-Thiede-Ufer 10, 10179 BerlinPresserechtlich verantwortlich: Achim MeerkampBearbeitung: Alexander WegnerVeröffentlicht: Juli 2010; 1. AuflageGesamtherstellung: VH-7 Medienküche GmbH, 70372 StuttgartW-2356-08-0510

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Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort ............................................................................................................5

2 Betrieblicher Gesundheitsschutz – ein Fahrplan ............................................7

3. Gesundheitsschutz vor dem Tarifvertrag ..................................................... 12

4. Grundlagen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes .................................... 14

5. Was wurde mit dem Tarifvertrag erreicht? .................................................. 15

6. Betrieblicher Gesundheitsschutz mit dem Tarifvertrag für den Sozial- und Erziehungsdienst ........................................................... 17

6.1. Begriffsklärung Gesundheitsschutz .......................................................... 17 6.2. Geltungsbereich der tarifvertraglichen Regelungen .................................. 18 6.3. Individuelle Rechtsansprüche aus dem Tarifvertrag ................................... 19 6.4. Exkurs: Die Gefährdungsbeurteilung – Ausgangspunkt und

Voraussetzung für betrieblichen Gesundheitsschutz ................................. 23 6.5. Die Betriebliche Kommission .................................................................... 24

7. Empfehlungen für eine Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung ................................... 29

7.1. Präambel ................................................................................................. 29 7.2. Geltungsbereich ...................................................................................... 31 7.3. Bereitstellung von Informationen ............................................................. 31 7.4. Gefährdungsbeurteilung.......................................................................... 32 7.5. Betriebliche Kommission .......................................................................... 34 7.6. Gesundheitszirkel .................................................................................... 37 7.7. Beteiligung der Beschäftigten .................................................................. 37 7.8. Weiterbildung, Sachkunde ....................................................................... 39 7.9. Mitbestimmungsfragen ........................................................................... 40 7.10. Benachteiligungsverbot und Freistellung .................................................. 40 7.11. Weitere Regelungen ................................................................................ 41

8. Die Geschäftsordnung der betrieblichen Kommission ................................ 42

9. Anlage A Tarifvertragstext durchgeschriebene Fassung

für den Bereich Verwaltung (TVöD-V) ......................................................... 43

10. Anlage B Arbeits- und Gesundheitsschutz der gesetzliche Rahmen .......................... 45 10.1. Die europäische Ebene ............................................................................ 45 10.2. Der bundesrepublikanische Rahmen ........................................................ 46 10.3. Zentrales Instrument: Die Gefährdungsbeurteilung ................................... 50

11. Anlage C Grundlagen der Mitbestimmung .................................................................. 59

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Parallel zu dieser Veröffentlichung haben wir ein Modul zur Untersuchung psychischer Belastungen herausgegeben. Dieses Modul „PsyBel SuE“ beinhaltet ein Kernmodul zur allgemeinen Analyse psychischer Belastungen und zwei Ergänzugsmodule, die für Kinder-tageseinrichtungen und ASDs bzw. KSDs ausgearbeitet wurde. Damit legen wir ein, von erfahrenen Gesundheitsschutzexpert/-innen entwickeltes, handhabbares Untersuchungs-instrument (Screening) vor. Es bietet eine Untersuchungsintensität, die hinreichend ist, um erforderliche Maßnahmen erkennen und ableiten zu können. Damit legen wir auch ein Untersuchungsdesign vor, welches den Mindeststandard für die Untersuchung von psy-chischen Belastungen beschreibt.

weitere Informationen unter www.sozialearbeit.verdi.de

Zur Arbeit mit dieser Arbeitshilfe

Mit der vorliegenden Arbeitshilfe sollen Personal- und Betriebsräte mit ihren Handlungs-möglichkeiten zur Umsetzung des Tarifvertrages SuE vertraut gemacht werden. Die Kom-bination aus Mitbestimmungsgesetzen, Arbeitsschutzrecht und den Regelungen des Tarif-vertrages bietet eine Vielzahl denkbarer Gestaltungsmöglichkeiten. Wir haben versucht, die relevanten Aspekte sowohl grundsätzlich als auch in Bezug auf betriebliche Umset-zungsstrategien zu beleuchten. Betriebliche Interessenvertretungen, die bereits in Arbeits-schutzfragen aktiv sind, werden viel Bekanntes wiederfinden.

In der jüngeren Vergangenheit begegnen uns die Arbeitgeber häufig mit bislang nicht gekannter Härte. Darum wurde für die Empfehlungen angenommen, dass im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes – der ja auch haushaltswirksame Entscheidungen bein-haltet – alle Beteiligten und alle Prozesse umfangreiche Absicherung brauchen, denn gute Arbeitsbedingungen müssen betrieblich durchgesetzt werden.

Der Komplexität des Themas ist es auch geschuldet, dass die Auslegungen und Empfeh-lungen für die Prozessgestaltung sich in verschiedenen Teilen dieser Arbeitshilfe wieder-finden.

Viele betriebliche Interessenvertretungen haben schon Vereinbarungen zum betrieblichen Gesundheitsschutz geschaffen. In diesen Fällen muss geprüft werden, welche Ergänzun-gen erforderlich sind.

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1 Vorwort

Liebe Kollegin, lieber Kollege,

mit der Tarifauseinandersetzung 2009 im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst hat ver.di zwei zentrale Ziele verfolgt. Erstens eine deutlich verbesserte Eingruppierung im Rah-men der Entgeltordnung und zweitens die Schaffung von tarifvertraglichen Rechten zum betrieblichen Gesundheitsschutz. Das Forderungspaket präsentierte sich plausibel, denn sowohl Gerechtigkeitslücken bei der Eingruppierung als auch Defizite beim betrieblichen Gesundheitsschutz konnten eindeutig nachgewiesen werden. Es fand zudem große öffent-liche Akzeptanz und Unterstützung, die selbst nach 10 Wochen Streik weitgehend unge-brochen anhielt.

Zigtausende Kolleginnen und Kollegen sind unseren Streikaufrufen gefolgt und haben mit beeindruckenden Aktionen und teilweise massiven Streiks unserer Forderung Nachdruck verliehen. Neben der berechtigten Kritik an der zu geringen Bewertung der Sozialen Arbeit war es gerade die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die die Kolleginnen und Kolle-gen mobilisiert hat.

Der Ausgang der Tarifrunde ist, bezogen auf die Eingruppierung, weitgehend bekannt. Eine Aufwertung, wie sie von uns beabsichtigt war, haben wir nicht erreicht. Aber wir konnten für junge Beschäftigte und für Beschäftigte mit geringer Berufserfahrung deut-liche Verbesserungen durchsetzen. Damit haben wir eine Verstetigung der „Überleitungs-gewinne“ für die Arbeitgeber, und damit ein Absinken der durchschnittlichen Einkom-mensniveaus, verhindert und so für die kommenden tarifpolitischen Auseinandersetzungen eine solide Grundlage geschaffen. Fakt ist: Unser Ziel, die Aufwertung der Tätigkeiten im Sozial- und Erziehungsdienst, ist nicht vom Tisch! Wir kommen wieder!

Beim betrieblichen Gesundheitsschutz konnten wir uns weitgehend durchsetzen. Wir haben erstmals im öffentlichen Dienst individuelle Rechtsansprüche zum Arbeitsschutz geschaffen und die Beschäftigtenbeteiligung durch diese Tarifvorschrift abgesichert. Dar-aus ergeben sich völlig neue Möglichkeiten zur Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen durch betrieblichen Gesundheitsschutz.

Dieses Thema ist für die künftige gewerkschaftspolitische Praxis von besonderer Bedeu-tung. Ein Blick auf die zentralen Entwicklungslinien der vergangenen Jahre belegt, dass durch Personalreduzierungen und durch die Anhebung fachlicher Standards eine Situa tion geschaffen wurde, die zumindest z.T. zu massiver Arbeitsverdichtung führte.

Die vereinbarten Regelungen sind Kompromissergebnisse, die am Ende der Verhandlungen standen. Gerade deshalb ist es erforderlich, die Regelungen im Einzelnen und in ihrem Zusammenwirken zu betrachten, damit darauf wirkungsvolle betriebliche Prozesse aufge-baut werden können.

Die Betriebliche Kommission wurde als Instrument der Mitwirkung und Beschäftigtenbe-teiligung geschaffen und kann, richtig eingesetzt, die Arbeit von Personalrat und Arbeits-schutzausschuss sinnvoll ergänzen.

Für die betrieblichen Umsetzungsschritte kommt es nun darauf an, die Möglichkeiten der Betrieblichen Kommission und die Rechtsansprüche der Beschäftigten mit Blick auf die

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Rechte des Personalrates und die Möglichkeiten aktiver Gewerkschaftsarbeit so zu nutzen, dass eine wirkungsvolle Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten im Sozi-al- und Erziehungsdienst erreicht wird.

In der vorliegenden Arbeitshilfe stellen wir Personal- und Betriebsräten Informationen zur Umsetzung betrieblichen Gesundheitsschutzes mit dem Tarifvertrag zur Verfügung. Der Blick geht dabei über den Tarifvertrag hinaus und umfasst auch deutsche und internatio-nale Rechtsgrundlagen.

Auch wenn es sich bei dem Tarifvertrag für den Sozial- und Erziehungsdienst um ein Regelwerk handelt, das auf die anderen Beschäftigten der Kommune nicht anzuwenden ist, sollten alle Beschäftigten in die bevorstehenden Prozesse einbezogen werden. Die tarifvertraglichen Rechte lassen sich in ein solches Gesamtkonzept einbauen.

Nun stehen uns Verfahren bevor, die nicht in wenigen Monaten abgeschlossen sein wer-den. Der Wissensstand über Gesundheitsschutz, insbesondere über psychische Belastun-gen, muss noch deutlich verbessert werden. Dieses Thema betrifft uns alle und besonders die Beschäftigten. Rechte auszuschöpfen setzt ihre Kenntnis voraus.

Die vorliegende Broschüre ist ein erster Beitrag zur Information. Weitere Materialien, Tagungen und Seminare für verschiedene Zielgruppen werden folgen.

Ein Recht entfaltet erst Wirkung, wenn es genutzt wird und es existiert nur, solange wir es verteidigen können.

Machen wir uns daran, den betrieblichen Gesundheitsschutz vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Mit solidarischen Grüßen

Angelika Spautz Achim MeerkampBundesfachgruppenvorsitzende Mitglied des ver.di-BundesvorstandesSozial-, Kinder- und Jugendhilfe

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2. Betrieblicher Gesundheitsschutz – ein Fahrplan

Bevor einzelne Aspekte gesetzlicher und tariflicher Regelungen genauer betrachtet wer-den, soll diese Übersicht über ein idealtypisches Verfahren verdeutlichen, welche Maß-nahmen wann erfolgen sollten und wie die Erläuterungen der folgenden Kapitel einzu-ordnen sind.

Auf den ersten Blick wird klar, dass es sich nicht um ein Verfahren handelt, das in wenigen Wochen oder Monaten abgeschlossen ist. Die neu geschaffenen tarifvertraglichen Rechte bieten weitreichende Chancen für die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten, bezogen auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Bedingung dafür ist, dass sowohl Personal- bzw. Betriebsrat als auch Beschäftigte dieses Thema zu ihrem Anliegen machen und aktiv an allen Prozessschritten teilnehmen.

Daraus ergibt sich sowohl für die Beschäftigten als auch für ihre Interessenvertretung ein Qualifikationsbedarf, denn wie sollten Rechte genutzt werden, wenn sie nicht bekannt sind? Diese Arbeitshilfe sowie die weiteren Veröffentlichungen sind dazu der erste Schritt. Darüber hinaus wird ver.di, u.a. durch Tagungen und Seminare, Angebote machen und steht auch zur Beratung und Begleitung an deiner bzw. eurer Seite.

Der „Fahrplan“

1. Vorbereitung

a. Qualifizierung der Mitglieder des Betriebs- bzw. Personalrates zu den tarifver-traglichen Regelungen, dem Arbeitsschutzrecht und den weiteren Vorschriften (Arbeits- und Gesundheitsschutz)

b. Qualifizierung der Beschäftigten zu Arbeits- und Gesundheitsschutz und ihren Rechten aus dem Tarifvertrag sowie dem Arbeitsschutzrecht; Diskussion der näch-sten Schritte; dazu sind ggfs. ver.di-Vertrauensleute- bzw. Mitgliederversamm-lungen hilfreich

c. Gesundheitsschutz bzw. -management wird von nun an zu einem Dauertages-ordnungspunkt auf der Tagesordnung des Personal- bzw. Betriebsrates sowie bei gewerkschaftlichen Sitzungen

2. Bestandsaufnahme

a. PR/BR verschafft sich einen Überblick zu den geltenden Rahmenbedingungen inklusive der anzuwendenden Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen (auch zu Integrations- und Wiedereingliederungsmaßnahmen);

b. Sichtung der betrieblichen Akteure und des Akteursumfeldes: Besteht ein Arbeits-schutzausschuss und welche Themen hat er mit welchem Erfolg bearbeitet? Haben weitere Akteure bislang eine Rolle gespielt bzw. können sie künftig ein-gebunden werden (z.B.: die Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die Betriebsärzte, die Berufs-, Unfall- oder Krankenkassen)?

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c. Die relevanten betrieblichen Daten werden angefordert, gesichtet 1 und ggfs. bereits durchgeführte Gefährdungsbeurteilungen werden hinzugezogen.

d. Anhand der Dienststellen- bzw. Betriebsstruktur werden Vorstellungen dazu ent-wickelt, wie der betriebliche Gesundheitsschutz gestaltet werden soll (Fragen dazu sind z.B.: Wie viele Gesundheitszirkel sollten wo angesiedelt werden? Wel-che Anforderungen ergeben sich aus den Strukturmerkmalen für die Größe und die Zusammensetzung der Betrieblichen Kommission2?)

e. Bereits an dieser Stelle sollte geprüft werden, ob die Beschäftigten einbezogen werden sollten.

3. Einleitung der Gesundheitsschutzprozesse, Strategieentwicklung

a. Entwicklung eines Entwurfs für eine Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Gesundheitsschutz (Ggfs. bestehende Regelungsdefizite zu den Sachverhalten aus SGB IX und SGB VII sollten eingebaut oder besser zum Gegenstand von gesonderten Verhandlungen gemacht werden)

b. Entwicklung von Vorstellungen zur Bildung der Betrieblichen Kommission (Anzahl der Mitglieder und ggfs. Verständigung über die Beschäftigtenvertreter/-innen)

c. Die Punkte a) und b) sollten ggfs. im Rahmen von Vertrauensleute- oder Mitglie-derversammlungen vertieft werden. Die Einbindung aller Beschäftigten ist eine Erfolgsbedingung.

d. Auf einer Personal- bzw. Betriebsversammlung sollten diese Vorstellungen prä-sentiert und zur Diskussion gestellt werden. Dabei sollte die Gelegenheit zur Werbung für die Mitarbeit bei den weiteren Schritten genutzt werden. Ein Gewerk-schaftsvertreter kann Erläuterungen zum Tarifvertrag beisteuern und ggfs. können externe Arbeitsschutzexpert/-innen allgemeine Informationen geben.

e. Die Bildung der Betrieblichen Kommission ist beim Arbeitgeber bzw. beim Dienst-stellenleiter zu beantragen.

f. Mit den betrieblichen und außerbetrieblichen Akteuren sollte nach Wegen gesucht werden, zu einer stetigen und verbindlichen Zusammenarbeit zu finden.

g. Bereits entwickelte Vorstellungen seitens des Personalrates sind dahingehend zu prüfen, ob sie den Fraktionen im Kommunalparlament vorgestellt werden sollten, da die kommenden Prozesse u.U. haushaltsrelevante Fragen beinhalten.

4. Grundlagen für den betrieblichen Gesundheitsschutz schaffen bzw. anpassen

a. Verhandlung und Abschluss einer Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung: Wenn Uneinigkeit besteht, ist ggfs. die Klärung über eine Einigungsstelle herbeizufüh-ren. Da es sich um die Umsetzung von Rechten aus einem Tarifvertrag handelt, sollte dieser Schritt in enger Abstimmung mit ver.di erfolgen.

b. Einrichtung einer Betrieblichen Kommission (diese konstituiert sich und gibt sich eine Geschäftsordnung)

c. In einer Personal- bzw. Betriebsversammlung werden die getroffene Verein-barung und die Betriebliche Kommission vorgestellt.

1 Siehe dazu: Empfehlungen für eine Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung – Bereitstellung von Informationsquellen2 Vgl.dazu Kapitel Betriebliche Kommission – Errichtung und Zusammensetzung

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5. Betrieblichen Gesundheitsschutz einleiten

a. Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung3 i. Auswahl des Verfahrens und der Durchführenden ii. Dazu ist auf die Beratung der Betrieblichen Kommission zurückzugreifen.

Auch die Möglichkeiten von Gesundheitszirkeln sollen beachtet werden. iii. Externer Sachverstand muss ggfs. hinzugezogen werden. iv. Die Mitglieder der Betrieblichen Kommission sind zu qualifizieren. v. Insgesamt ist also eine geeignete Organisation zu schaffen, welche mit den

erforderlichen Mitteln auszustatten ist.4

b. Einleitung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung i. Information der Beschäftigten über die bevorstehende Untersuchung durch

die Betriebliche Kommission und im Rahmen von Personal- bzw. Betriebsver-sammlungen: Diese Informationen sind strategisch von großer Bedeutung. Die Beschäftigten können über Anlage und Methode der Untersuchung infor-miert werden, Ängste können ausgeräumt werden und eine Information über die individuellen Rechtsansprüche kann geleistet werden (dazu sollte ggfs. ein/e ver.di Vertreter/-in hinzugezogen werden).

6. Auswertung der Gefährdungsbeurteilung

a. Die Auswertung der Gefährdungsbeurteilung sollte gemeinsam mit der Durch-führung durch Expertinnen und Experten geleistet werden. Das sind i.d.R. exter-ne Fachleute.

b. Wenn diese ein Ergebnis erarbeitet haben, sollte dies zuerst dem Personal- bzw. Betriebsrat sowie der Betrieblichen Kommission vorgestellt werden. Dies bietet die Möglichkeit, die aus den Untersuchungsdaten abgeleiteten Interpretationen zu hinterfragen und ggfs. Nachbearbeitungsbedarfe aufzudecken.

c. Sowohl die Vorstellung als auch die Diskussion der Ergebnisse erfolgen in Perso-nal- bzw. Betriebsversammlungen, ggfs. auch in ver.di-Mitglieder- bzw. Vertrau-ensleuteversammlungen. (Dabei ist ein sensibler Umgang mit personenbezoge-nen und -beziehbaren Daten sicherzustellen.)

d. Anhand der vorliegenden Ergebnisse sollte in den Betrieblichen Kommissionen die Anzahl und das Aufgabengebiet der Gesundheitszirkel überprüft werden. Diese sind im Falle festgestellter Gefährdungen bzw. Fehlbelastungen damit zu beauftragen, Empfehlungen für Maßnahmen zu erarbeiten.

e. Die Ableitung von Maßnahmen soll nun von allen betrieblichen Akteuren in Angriff genommen werden, ggfs. kann externer Sachverstand hinzugezogen werden. Eine gegenseitige Einladung von Mitgliedern der Betrieblichen Kommis-sion, des Arbeitsschutzausschusses, der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, der Betriebsärzte sowie weiteren externen Sachverstandes ist empfehlenswert.

f. Ggfs. bietet sich auch an dieser Stelle an, die Fraktionen im Kommunalparlament über die Ergebnisse in Kenntnis zu setzen und die Notwendigkeit geeigneter Maßnahmen deutlich zu machen.

3 Dazu finden sich verschiedene Hinweise in dem Kapitel zur Gefährdungsbeurteilung und in den Empfehlungen zu Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen in dieser Veröffentlichung4 Entsprechend § 3 Abs. 2 ArbSchG

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Die Gefährdungsbeurteilung kann, theoretisch betrachtet, drei Ergebnisse her-vorbringen:

1. Die Arbeitsbedingungen sind durchweg gut. Fehlbelastungen bestehen nicht. Dieser Fall ist angesichts der bereits vorliegenden Untersuchungsergebnisse aus verschiede-nen Einrichtungen leider sehr unwahrscheinlich. Sollte er eintreten, muss geprüft werden, ob es sich nicht doch um ein Ergebnis der folgenden Art handelt.

2. Es gibt Hinweise auf Fehlbelastungen und Gefährdungen aber Rückschlüsse auf die Ursachen sind nicht möglich. In diesem Fall muss mit Expertinnen und Experten geklärt werden, wie die entsprechenden Aspekte genauer untersucht werden können. In diesen Fällen ist eine weitere, präzisierte Gefährdungsbeurteilung erforderlich.

3. Fehlbelastungen bzw. Gefährdungsursachen konnten identifiziert werden. Nun ist die Ableitung geeigneter Maßnahmen erforderlich. Hierbei wiederum sind verschie-dene Fallkonstellationen denkbar, die sich jeweils am Arbeitgeberverhalten (bzw. am Verhalten der Dienststellenleitung) orientieren.

a. Betriebliche Kommission, Personal- bzw. Betriebsrat und Arbeitgeber kommen zu einer übereinstimmenden Problemwahrnehmung und verständigen sich ein-vernehmlich auf Maßnahmen. In diesem Falle muss die Wirksamkeit der Maß-nahmen überprüft werden, ggfs. ist eine Nachsteuerung erforderlich.

b. Betriebliche Kommission und Personal- bzw. Betriebsrat kommen zu einer über-einstimmenden Problemwahrnehmung und fassen Beschlüsse zu Maßnahmen. Der Arbeitergeber bzw. Dienststellenleiter widerspricht dieser Auffassung und behindert die Umsetzung der Maßnahmen. Bei dieser Annahme wird der Nutzen der Betrieblichen Kommission für die Beschäftigten besonders deutlich. Im Betrieb entsteht eine Situation, die den Arbeitgeber in Erklärungsnot bringt, denn alle Akteure, die dem Arbeitsschutzrecht entsprechend tätig sind, vertreten eine abweichende Auffassung. In diesem Fall kann betrieblich und ggfs. auch mit den Fraktionen im Kommunalparlament eine Auseinandersetzung über die weiteren Schritte gesucht werden. Weitere Eskalationsstufen können auch mit ver.di bera-ten werden.

c. Schon in der Betrieblichen Kommission kann keine gemeinsame Auffassung ver-treten werden. Entsprechende Empfehlungen an den Arbeitgeber bzw. Dienst-stellenleiter ergehen nicht. In diesem Falle wird deutlich, welche Bedeutung der Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung und dem parallelen Handeln des Personal- bzw. Betriebsrates sowie den individuellen Rechtsansprüchen aus dem Tarifver-trag zukommt. Der Personal- bzw. Betriebsrat kann nun entsprechende Maßnah-men einfordern und ggfs. durch die Einigungsstelle ihre Erforderlichkeit prüfen lassen. Die gesetzlichen Aufsichtsbehörden können hinzugezogen werden. Mit den Beschäftigten, die unter den Tarifvertrag fallen und unter Hinzuziehung von ver.di, kann die Möglichkeit individueller Klagen erörtert werden, um den Druck auf den Arbeitgeber weiter zu erhöhen.

Für die Checkliste wird die Fallgestaltung c) angenommen, da diese am komplexesten ist. Grundsätzliche, allgemeine Verfahrensempfehlungen sowie geeignete Schritte für die Fallgestaltung b) sind darin enthalten.

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7. Ableitung von erforderlichen Maßnahmen5

a. In der Betrieblichen Kommission, in Gesundheitszirkeln sowie im Personal- bzw. Betriebsrat werden die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung diskutiert und es werden Auffassungen zu geeigneten Maßnahmen entwickelt.

b. Diese Auffassungen werden in den Gesundheitszirkeln sowie auf Dienst- bzw. Betriebsversammlungen zur Diskussion gestellt. Den Beschäftigten ist zu vermit-teln, welche Ursachen für Gefährdungen identifiziert werden konnten und wie die Wirkung der beabsichtigten Maßnahmen eingeschätzt wird. Die Rückkopp-lung mit den Beschäftigten wird in die endgültige Beschlussfassung des Personal- bzw. Betriebsrates über die erforderlichen Maßnahmen einbezogen.

c. Die Betriebliche Kommission leitet aus den Ergebnissen der Gefährdungsbeur-teilung erforderliche Maßnahmen ab und schlägt diese dem Arbeitgeber bzw. Dienststellenleiter vor. Wenn keine Mehrheit in der Betrieblichen Kommission erreicht werden kann, ergeht keine Empfehlung. In diesem Falle sollte der Per-sonal- bzw. Betriebsrat entsprechende Maßnahmen zeitgleich beim Arbeitgeber bzw. bei der Dienststellenleitung beantragen.

d. Für die weiteren Verhandlungen mit dem Arbeitgeber bzw. der Dienststellenlei-tung ist u.U. eine Prioritätensetzung im Rahmen des diskutierten Maßnahmen-paketes durch den Personal- bzw. Betriebsrat sinnvoll.

e. Der Arbeitgeber bzw. die Dienststellenleitung entscheidet über erforderliche Maßnahmen und legt diese dem Personal- bzw. Betriebsrat zur Mitbestimmung vor.

f. Im Falle abweichender Auffassungen sind die Beschäftigten einzubeziehen. Im Rahmen von Personal- bzw. Betriebsversammlungen sollte der Dissens zwischen den Betriebsparteien zur Diskussion gestellt werden.

g. Die Information der Beschäftigten bzw. die gemeinsame Auseinandersetzung mit den „erforderlichen Maßnahmen“ stellt eine wichtige Voraussetzung für die Entscheidungsfindung der Beschäftigten dar, die prüfen müssen, ob sie von ihrem Widerspruchs- bzw. Beschwerderecht Gebrauch machen6 wollen. Ein Wider-spruch im Sinne des Tarifvertrages ist gleichzeitig als Beschwerde im Sinne des § 17 Abs. 2 ArbSchG zu betrachten. Dieser Widerspruch bzw. diese Beschwerde ist eine notwendige Voraussetzung für den gesetzlichen Schutz vor Nachteilen bei Einschaltung der zuständigen (Aufsichts-) Behörde7.

h. Der Personal- bzw. Betriebsrat muss nun prüfen, ob eine Einigungsstelle ange-rufen werden soll.

i. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob weitere Schritte eingeleitet werden sollen (Frak-tionen im Kommunalparlament können von ver.di angesprochen werden, Auf-sichtsbehörden können eingeschaltet werden).

5 Maßnahmen gelten dann als erforderlich, wenn die sie sich aus den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung ergeben bzw. wenn sie der Verstetigung und Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb die-nen. Vgl. Pieper, Arbeitsschutzrecht – Kommentar für die Praxis, Bund-Verlag 2009, §3 RN 26 Abs. 3 der Tarifvorschrift und § 17 Abs. 2 ArbSchG; einen Vordruck für eine entsprechende Beschwerde findest du unter www.mitgliedernetz.verdi.de7 Nach § 17 ArbSchG haben alle Beschäftigten das Recht, sich an die zuständige (Aufsichts-) Behörde zu wenden, wenn ihre berechtigten Beschwerden vom Arbeitgeber nicht berücksichtigt wurden. Hierdurch dürfen den Be-schäftigten keine Nachteile entstehen. Wichtig: Das Benachteiligungsverbot ist an die erfolglose Beschwerde beim Arbeitgeber gebunden.

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3. Gesundheitsschutz vor dem Tarifvertrag

Aufgaben der betrieblichen Gesundheitsförderung und des betrieblichen Gesundheits-schutzes gehören seit dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 zu den Regelaufgaben von Arbeitgebern.

Aktuelle Untersuchungsergebnisse belegen jedoch, dass viele Arbeitgeber ihre gesetzliche Verpflichtung gar nicht oder unzureichend wahrnehmen. Demnach muss davon ausge-gangen werden, dass nur in etwa der Hälfte aller Betriebe und Verwaltungen bisher eine hinreichende Gefährdungsbeurteilung stattgefunden hat. Von hinreichendem betrieb-lichen Gesundheitsschutz kann also kaum gesprochen werden.

30%

17%

11%

41%

Frage1: Wurde an Ihrem Arbeitsplatz eine Gefährdungsanalyse durchgeführt?Also wurden Sie nach möglichen Gesundheitsbelastungen gefragt oder wurde Ihr Arbeitsplatz nach möglichen Gefährdungsquellen untersucht?

Frage 2: Wurden Sie im Rahmen dieser Gefährdungssanalyse nach möglichenBelastungen z. B. durch problematische Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten oderunzureichende Zusammenarbeit gefragt?

Beschäftigte in Betriebenmit Betriebs-/Personalrat

Quelle: DGB-Index-Erhebung 2008, Berechnung: T. Fuchs, INIFES

Weiß nicht

Mind. eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung

Mind. Gefährdungsbeurteilungohne psychische Belastung

Keine Gefährdungsbeurteilung

33%

29% 23%

15%

Erläuterung:

Im Jahr 2008 wurden 6.835 Beschäftigte im Rahmen der repräsentativen DGB-Index-Erhebung gefragt, ob an ihrem Arbeitsplatz eine Gefährdungsanalyse durchgeführt wur-de. Lediglich 28% bejahten diese Frage. Ein noch geringerer Anteil, nämlich nur 17%, gab an, dass im Rahmen dieser Gefährdungsanalyse auch der Arbeitsablauf, die Arbeitszeit oder die Zusammenarbeit – d. h. klassische Felder psychischer Belastungen – in den Blick genommen wurden. Beschäftigte, die in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat arbeiten, gaben immerhin zu 23% an, dass ihr Arbeitsplatz ganzheitlich nach möglichen Gesund-heitsgefährdungen untersucht wurde.

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Es ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, auch die psychischen Belastungen systematisch zu erfassen. Meist unterbleibt dies aber aus ganz unterschiedlichen Gründen: Arbeitgeber fürchten oft die Nachfolgekosten, Sicherheitsfachkräfte fühlen sich dem neuen Thema nicht gewachsen und Beschäftigte haben häufig Angst vor Benachteiligung, Spott und Stigmatisierung, wenn sie psychische Belastungen anführen.

Die Durchsetzung wirkungsvoller Maßnahmen ist für die kollektive Interessenvertretung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst oftmals problematisch. Dies hat folgende Gründe:1. Alle Aufgaben des betrieblichen Gesundheitsschutzes sind in die Hand des Arbeit-

gebers gelegt. Zwar enthalten Gesetze und sonstige Vorschriften Regelungen, die methodische Standards skizzieren, aber z.B. für die Analyse psychischer Belastungen gibt es noch keine allgemein anerkannten Verfahren 8. Darüber hinaus ist das Rechts-gebiet des Arbeitsschutzes durch viele Rechtsquellen sehr komplex und macht Exper-tenwissen erforderlich. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Qualifizierung und zur Ladung Sachverständiger.

2. Die Verfahrensregelungen der Landespersonalvertretungsgesetze bei Uneinigkeit zwischen Personalrat und Arbeitgeber (z.B.: fehlender Unterlassungsanspruch, Ver-bindlichkeit von Einigungsstellensprüchen) stellen oft eine Hürde dar. Jenseits der Frage, ob das jeweilige Landespersonalvertretungsgesetz Mitbestimmungs- oder Mit-wirkungsrechte (siehe Tabelle im Anhang) vorsieht, besteht in der Konstruktion der Einigungsstelle, welche bei Unstimmigkeiten anzurufen ist, das entscheidende Durch-setzungsproblem. Selbst wenn eine Einigungsstelle zugunsten der Personalräte ent-schieden hat, fehlte es den Personalräten an Mitteln, diese Entscheidung auch durch-zusetzen.

Dies sieht in Betrieben, in denen das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gilt, anders aus. Die Betriebsräte haben umfangreiche Mitbestimmungsrechte.

Mit den durch unseren Tarifvertrag erweiterten Rechten kann nun neuer Wind in die betrieblichen Auseinandersetzungen kommen. Die Grundlagen für eine bessere Durch-setzungsfähigkeit der Arbeitnehmerinteressen sind geschaffen. Es liegt nun an uns, diese Rechte mit Leben zu füllen.

8 Das ver.di Modul „PsyBel SUE“ ist als Broschüre erhältlich und steht zum Download im Mitgliedernetz bereit. Die Kontaktadressen der ver.di-Verwaltungsstellen in den Bundesländern und auf Bundesebene sind auf der letzten Seite dieser Veröffentlichung angefügt.

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4. Grundlagen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes9

Die Arbeitgeber sind durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Hinblick auf Gefährdungen zu beurteilen. Die Gefährdungsbeurtei-lung soll Aufschluss darüber geben, ob insbesondere durch die Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätte, durch physikalische, chemische und biologische Einwirkungen, durch Arbeitsmittel, Verfahren und Abläufe sowie durch Qualifikationsdefizite Gefährdungen bestehen (vgl. §5 ArbSchG). Diese Aufzählung ist nicht abschließend, sondern muss um die immer stärker beachteten psychischen Belastungen ergänzt werden.

Wenn solche Belastungen festgestellt werden, ist nach dem ArbSchG sicherzustellen, dass sie keine Gesundheitsgefährdungen verursachen. Dazu sind ggfs. geeignete Maßnahmen zu treffen. Die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Untersuchung und zur Ableitung geeig-neter Maßnahmen besteht als Daueraufgabe. Nach mehr als 10 Jahren Praxis mit diesem Gesetz hat sich gezeigt, dass Verbesserungen notwendig sind.

Ergänzend dazu bildet das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) die rechtliche Grundlage für die Einrichtung von Arbeitsschutzausschüssen sowie für die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit und regelt deren Kompetenzen. Mit dem Arbeits-schutzausschuss besteht ein Beratungsgremium, welches den gesetzlichen Auftrag zur Beratung des Arbeitgebers und des Personalrats in Arbeitsschutzfragen hat.

Parallel zur betrieblichen Ebene werden durch das Arbeitsschutzgesetz die Aufsichtsbe-hörden bestimmt, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften überwachen und ggfs. an den betrieblichen Prozessen beteiligt werden können.

Aus der Sicht von ver.di sind die gesetzlichen Verpflichtungen der Arbeitgeber nicht hin-reichend. Darum haben wir in der Tarifrunde 2009 erweiterte Rechte zum Gesundheits-schutz für Beschäftigte gefordert und diese durchgesetzt. Mit diesem Tarifvertrag ist ein individueller tariflicher Rechtsanspruch auf eine Gefährdungsbeurteilung geschaffen wor-den. Auf einen eigenen Begriff zur Gefährdungsbeurteilung wurde verzichtet, weil das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) einen sinnvollen Begriff10 anbietet.

Mit dem Tarifvertrag entsteht ein teilweise sich überschneidender Aufgabenzuschnitt, von Betrieblicher Kommission und Arbeitsschutzausschuss, der in der betrieblichen Praxis zu berücksichtigen ist. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass nur die Betriebliche Kommission einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigtenbeteiligung und zur betrieblichen Öffentlichkeitsarbeit leisten kann.

Für die weitere Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und des Tarifvertrages empfehlen wir eine Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung abzuschließen. Sie sollte auch Regelungen darüber beinhalten, wie sich die Zusammenarbeit von Arbeitsschutzausschuss und Betrieb-licher Kommission gestalten soll.

9 Eine strukturierte und ausführliche Darstellung des gesetzlichen Rahmens findet sich in den Anlage C10 §5 ArbSchG, S. 132ff.; Arbeitsschutzrecht, Kommentar für die Praxis, Ralf Pieper, Frankfurt am Main 2009

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5. Was wurde mit dem Tarifvertrag11 erreicht?

Mit dem Tarifvertrag für den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst ist es gelungen, individuelle tarifvertragliche Rechtsansprüche für die Beschäftigten zu verankern und mit der Betrieblichen Kommission ein Instrument zur Verbesserung der betrieblichen Umset-zungsprozesse zu schaffen.

Die tarifvertraglichen Rechtsansprüche der Beschäftigten umfassen:• das Recht auf Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung nach Maßgabe des Arbeits-

schutzgesetzes,• das Recht zur Einbeziehung in deren Durchführung, • das Recht, über deren Ergebnisse unterrichtet zu werden, • das Recht auf gemeinsame Erörterung der vorgesehenen Maßnahmen und • das Recht, erneute Gefährdungsbeurteilungen verlangen zu können12.

Durch diese Rechtsansprüche, bei denen es sich um einklagbare Rechte aus einem Tarif-vertrag handelt, ist eine weitere Grundlage dafür geschaffen worden, wirkungsvolle Gesundheitsschutzmaßnahmen durchsetzen zu können bzw. Arbeitsgerichte mit der Klä-rung inhalt licher Fragestellungen des betrieblichen Gesundheitsschutzes zu betrauen.

Darüber hinaus sieht der Tarifvertrag Maßnahmen zur Beschäftigtenbeteiligung vor, die nun auch durch eine Betriebliche Kommission und durch Gesundheitszirkel befördert werden können. Somit rücken diese beiden Arbeitszusammenhänge unmittelbar in den Blick, wenn eine betriebliche Umsetzungsstrategie erarbeitet werden soll. Da es sich bei der Konstruktion der Betrieblichen Kommission um einen Kompromiss der Tarifvertrags-parteien handelt, muss geklärt werden, welche Handlungsspielräume sie haben kann und unter welchen Bedingungen ihre Mitglieder tätig werden.

Bei näherer Betrachtung der Konstruktion der Betrieblichen Kommission tauchen zwei zentrale Elemente auf, die bei der Verfahrensgestaltung berücksichtigt werden müssen.

1. Die Einrichtung der Betrieblichen Kommission stellt eine Ausweitung der Arbeitneh-merrechte im betrieblichen Gesundheitsschutz dar. Durch sie wird der betriebliche Gesundheitsschutz auf breitere Füße gestellt und vor allem kann sie zur Schaffung einer breiteren betrieblichen Öffentlichkeit genutzt werden.

2. Bezogen auf die Frage der Durchsetzungsfähigkeit, sind ihr jedoch Grenzen gesetzt. Die Betriebliche Kommission ist kein Mitbestimmungsgremium mit Erzwingungsrech-ten, sondern ein Mitwirkungsgremium mit Beratungsaufgaben und dem Auftrag, die Beschäftigtenbeteiligung und -information sicherzustellen.

11 Der Tarifvertragstext findet sich in Anlage A12 Zu beachten ist auch die Sonderstellung der Schwerbehinderten nach SGB IX (z.B. §124), welche besondere Schutzrechte begründet.

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Im Folgenden wird:• der Gesundheitsschutzbegriff des Tarifvertrages umrissen, • eine Übersicht zum Thema Gefährdungsbeurteilung gegeben,• der Geltungsbereich der tarifvertraglichen Regelungen beschrieben,• eine Darstellung der durch die Tarifvorschrift begründeten Rechte vorgenommen,• daran anschließend wird eine Auseinandersetzung mit den

Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten der Betrieblichen Kommission geführt, und abschließend

• über die Handlungsmöglichkeiten der Personalräte diskutiert.

Im Anhang finden sich Empfehlungen zu einer flankierenden Dienstvereinbarung, zur Geschäftsordnung der Betrieblichen Kommission und zu landespersonalvertretungsrecht-lichen Unterschieden bei der Ausgestaltung der diesbezüglichen Mitbestimmungsrechte sowie ausführlichere Darstellungen zu einzelnen Aspekten des betrieblichen Gesundheits-schutzes.

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6. Betrieblicher Gesundheitsschutz mit dem Tarifvertrag für den Sozial- und Erziehungsdienst13

Die Inhalte unseres Tarifvertrages werden in den folgenden Abschnitten genauer betrach-tet. Die Auslegung der einzelnen Regelungstatbestände soll die praktische Anwendung unterstützen.

6.1. Begriffsklärung Gesundheitsschutz

Tarifvertragstext:(2) Betriebliche Gesundheitsförderung zielt darauf ab, die Arbeit und die Arbeitsbe-dingungen so zu organisieren, dass diese nicht Ursache von Erkrankungen oder Gesundheitsschädigungen sind. Sie fördert die Erhaltung bzw. Herstellung gesund-heitsgerechter Verhältnisse am Arbeitsplatz sowie gesundheitsbewusstes Verhalten. Zugleich werden damit die Motivation der Beschäftigten und die Qualitätsstandards der Verwaltungen und Betriebe verbessert. Die betriebliche Gesundheitsförderung basiert auf einem aktiv betriebenen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dieser reduziert Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und verbessert durch den Abbau von Fehlzeiten und die Vermeidung von Betriebsstörun-gen die Wettbewerbsfähigkeit der Verwaltungen und Betriebe. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die betriebliche Gesundheitsförderung gehören zu einem zeitgemäßen Gesundheitsmanagement.

Mit dieser Zielsetzung wird von der Individualisierung von Krankheit und Leiden Abstand genommen und auf Arbeit und Arbeitsbedingungen abgestellt, die gesundheitsgerecht zu gestalten sind. Die Verantwortung aller Beteiligten – insbesondere des Arbeitgebers – für einen umfassenden Gesundheitsschutz sowie für die Gesundheitsförderung wird hier inhaltlich begründet. Durch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der Motiva-tion und dem Gesundheitszustand der Beschäftigten mit der Qualität der Leistungserbrin-gung wird die Einrichtung eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements als Erfolgsbedingung in den Blick genommen. Unter zeitgemäßem betrieblichen Gesundheits-management ist die umfassende Betrachtung, Planung, Organisation, Durchführung und Überprüfung aller Maßnahmen des gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzes und der betrieblichen Gesundheitsförderung zu verstehen, wobei auf die Beteiligung der Beschäf-tigten gesetzt wird.Dies wird auch durch wirtschaftliche Argumente untermauert, die besonders aus Arbeit-gebersicht eine bedeutende Rolle spielen. So werden die ökonomischen Folgen von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, Fehlzeiten und damit verbundene Betriebsstörungen angeführt, um zu verdeutlichen, dass aktiver Gesundheitsschutz auch eine Schlüsselstellung bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeit einnimmt.

13 Der Tarifvertragstext findet sich in Anlage A, die betreffenden Ausschnitte sind zur Arbeitserleichterung den jeweiligen Abschnitten auch vorangestellt.

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Jedoch wäre es verkürzt, nur den möglichen wirtschaftlichen Schaden in den Blick zu neh-men. Aktiver Gesundheitsschutz stellt auch im positiven Sinne eine Erfolgsbedingung dar. So ändert sich durch eine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch das Lernumfeld der Kinder und die aktive Beteiligung an betrieblichem Gesundheitsschutz stellt neben einer besseren gesundheitlichen Verfassung auch einen zusätzlichen Kompetenzer-werb der Fachkräfte dar, welcher wiederum in deren Arbeit einfließen kann und wird.

In einer Veröffentlichung des sächsischen Staatsministeriums für Soziales14 zu Erzieher/-innengesundheit wird hervorgehoben, dass die Fachkräfte als entscheidende Größe für Wettbewerbsfähigkeit zu betrachten sind, denn auch die Frage, wie lange die Fachkräfte ihre Tätigkeit mit einem hohen fachlichen Anspruch ausüben können, hängt von den die Gesundheit beeinflussenden Bedingungen der Arbeit ab.

Insofern ist neben der Verantwortung des Arbeitgebers auch eine Verantwortung der Beschäftigten zu sehen. Alle Ergebnisse bereits bestehender betrieblicher Gesundheits-schutzbemühungen zeigen, dass eine aktive Beteiligung der Beschäftigten eine wichtige und oft notwendige Voraussetzung für wirksame Maßnahmen ist15.

Mit Satz 6 ist das gemeinsame Verständnis der Tarifvertragsparteien benannt, gemeinsam die Etablierung eines zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitsmanagements als Kernauf-gabe zu betreiben.

6.2. Geltungsbereich der tarifvertraglichen Regelungen

Tarifvertragstext:(1) Die nachfolgenden Regelungen gelten für die Beschäftigten des Sozial- und Erzie-hungsdienstes, soweit sie nach Maßgabe des Anhangs zur Anlage C eingruppiert sind.

Der Geltungsbereich ergibt sich aus einem persönlichen Zusammenhang. Die Anwendung stellt alleine auf die neue Eingruppierung im Anhang zur Anlage C (Anm. Entgeltordnung und Tabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst) ab. Nur wer in die „S-Tabelle“ des TVÖD eingruppiert wird, fällt also unter den Geltungsbereich. Dazu zählen auch diejenigen Beschäftigten, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben und weiterhin in der allgemeinen TVÖD Tabelle eingruppiert sind.16 Da sie tarifvertraglich begründet sind, sind die individuellen Rechtsansprüche und die Verfahrensregelungen zur Betrieblichen Kom-mission, nur auf Beschäftigte im Geltungsbereich17 anwendbar.

Das bedeutet auch, dass z.B. die Hauswirtschaftsbeschäftigten in den Kindertageseinrich-tungen oder z. B. die Verwaltungsfachangestellten im Jugendamt nicht unter diese Rege-lungen fallen. Da es sich jedoch insgesamt um Prozesse nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) handelt, ist eine Einbeziehung aller anderen Beschäftigten der Kommunalver-

14 „Erzieherinnengesundheit“, Handbuch für Kita-Träger und Kita-Leitungen; Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, 2009, www.publikationen.sachsen.de15 Im Abschnitt „Branchenanalysen“ wird anhand mehrerer Beispiele aufgezeigt, dass wirksamer und erfolgreicher betrieblicher Gesundheitsschutz von der aktiven Teilnahme der Beschäftigten abhängig ist. Schröder und Urban Hrsg., „Gute Arbeit“ – Ausgabe 2010, Frankfurt Main 201016 § 28 Abs. 7 TVÜ VKA17 Tarifvertragliche Rechte gelten grundsätzlich nur für Mitglieder der vertragsschließenden Parteien.

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waltung in die Verfahren des betrieblichen Gesundheitsschutzes nicht nur möglich, son-dern geboten.

6.3. Individuelle Rechtsansprüche aus dem Tarifvertrag

Mit dem vorliegenden Tarifvertrag ist es gelungen, tarifvertragliche Rechtsansprüche für alle Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes – bezogen auf Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes – durchzusetzen. Dadurch können in Zukunft betrieb-liche Arbeitsschutzprozesse durchsetzungsstärker werden. Künftig kann jede/-r Beschäf-tigte unter Berufung auf den Tarifvertrag notfalls gerichtlich klären lassen, ob die betrieb-lichen Gesundheitsschutzmaßnahmen hinreichend sind. Was unter „hinreichend“ zu verstehen ist, wird im Tarifvertrag selbst nicht formuliert. Der Tarifvertrag verweist statt-dessen auf das Arbeitsschutzgesetz, welches zum betrieblichen Gesundheitsschutz Stan-dards formuliert bzw. auf andernorts geschaffene Standards Bezug nimmt.

Das Ziel des Arbeitsschutzgesetzes wird vom Tarifvertrag übernommen. Darum sind alle Gesundheitsschutzmaßnahmen darauf zu richten, den betrieblichen Arbeitsschutzstan-dard zu sichern und die Sicherheit und den Gesundheitsschutz für die Beschäftigten zu verbessern18. In diesem Sinne sind die zu treffenden Maßnahmen auch dem Leitbild des präventiven Arbeitsschutzes verpflichtet. Das heißt, neben der Verhütung von Arbeitsun-fällen sind sie auch auf die Reduzierung bzw. Abschaffung von Gesundheitsgefahren19 zu richten. Daraus ergibt sich für den Arbeitgeber die Pflicht, alle erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen und über die im Betrieb bestehenden Risiken sowie über den neuesten Stand der Technik informiert zu sein. Diese Kenntnisse hat er an die Arbeitnehmervertreter/-innen weiterzugeben.

Darüber hinaus verpflichtet das Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgeber, die Aufgaben des Arbeitsschutzes mit einer „geeigneten Organisation“ (§3 ArbSchG) und unter Bereitstel-lung der „erforderlichen Mittel“ (§3 ArbSchG) wahrzunehmen. Diese Anforderungen stellen grundlegende Qualitätsstandards für die zu organisierenden Prozesse dar. Dies umfasst sowohl gesetzliche Regelungen (z.B. §5 ArbSchG zur Gefährdungsbeurteilung) als auch Anforderungen, die sich aus Verordnungen und Richtlinien (z.B.: Bildschirm-arbeitsplatzverordnung), Normen (z.B.: ISO 10075-2, zur Untersuchung psychischer Bela-stungen) sowie entsprechend anzuwendenden Vorschriften der Unfallkassen ergeben.

Der Personal- bzw. Betriebsrat hat hier als Vertretung der Beschäftigteninteressen über die Einhaltung dieser Standards bzw. des Gesetzes zu wachen. Da es sich hierbei um komplexe und dynamische Regeln und Erkenntnisse handelt, sind entsprechende Schu-lungen erforderlich und die Hinzuziehung von (externen) Sachverständigen ist geboten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass insbesondere die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit kompetente und wichtige Berater und Partner der Perso-nal- und Betriebsräte sein können und sollen.

18 Vgl. Kommentierung zu §1 ArbSchG, S. 87ff.; Arbeitsschutzrecht, Kommentar für die Praxis, Ralf Pieper, Frankfurt am Main 200919 „Von den Arbeitsbedingungen verursachte Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten“, §2 ArbSchG, RN. 2 Arbeitsschutzrecht, Kommentar für die Praxis, Ralf Pieper, Frankfurt am Main 2009

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Die Regelungen im Einzelnen:

Tarifvertragstext:(3) Die Beschäftigten haben einen individuellen Anspruch auf die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Die Durchführung erfolgt nach Maßgabe des Gesetzes über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicher-heit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzge-setz). Die Beschäftigten sind in die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung einzu-beziehen. Sie sind über das Ergebnis von Gefährdungsbeurteilungen zu unterrichten. Vorgesehene Maßnahmen sind mit ihnen zu erörtern. Widersprechen betroffene Beschäftigte den vorgesehenen Maßnahmen, ist die betriebliche Kommission zu befas-sen. Die Beschäftigten können verlangen, dass eine erneute Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, wenn sich die Umstände, unter denen die Tätigkeiten zu verrichten sind, wesentlich ändern, neu entstandene wesentliche Gefährdungen auftreten oder eine Gefährdung auf Grund veränderter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse erkannt wird. Die Wirksamkeit der Maßnahmen ist in angemessenen Abständen zu überprüfen.

Die Rechtsansprüche erstrecken sich auf folgende Aspekte:

1.) DurchführungeinerGefährdungsbeurteilungnachMaßgabedesArbeitsschutzgesetzes

Der individuelle Rechtsanspruch auf eine Gefährdungsbeurteilung darf nicht mit dem Rechtsanspruch auf eine individuelle Gefährdungsbeurteilung verwechselt werden. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf das Arbeitsschutzgesetz. Demzufolge ist die separate Untersuchung eines Arbeitsplatzes nur dann geboten, wenn nicht vergleich-bare Bedingungen vorliegen, aus denen sich Gefährdungen ergeben können. Die Notwendigkeit für ein solches Verfahren kann Ergebnis einer allgemeinen Gefähr-dungsbeurteilung sein, die immer eine Mehrzahl von Arbeitsplätzen umfasst.

Die Gefährdungsbeurteilung ist Ausgangspunkt und Voraussetzung für alle weiteren Schritte des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Mit ihrer Ausgestaltung wird eine Vor-entscheidung über die Reichweite der Ergebnisse und damit auch der Maßnahmen getroffen. Die Regelungen des ArbSchG sind anzuwenden. Im Einzelnen bedeutet das:

• Die Beurteilung von Gefährdungen erfolgt vor dem Hintergrund einer vollumfäng-lichen Betrachtung von Gesundheitsschutz. Wie im Arbeitsschutzgesetz und in den zugrunde liegenden europäischen Normen formuliert, schließt das den Aspekts der Humanisierung der Arbeitswelt (vgl. §1 ArbSchG) mit ein.

• Erforderliche Maßnahmen (dieser Begriff findet seine Konkretisierung in verschiede-nen Verordnungen, Normen und Empfehlungen – z.B.: BildscharbV sowie ISO 10075 und ISO 29241) sind als integrale Bestandteile der betrieblichen Aufbau- und Ablauf-organisation zu verstehen. Eine zur Aufgabenerfüllung nach dem Gesetz geeignete Organisation (umfasst u.a. die Bereitstellung hinreichend qualifizierten Personals sowie die Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung) ist zu installieren und die erfor-derlichen Mittel (z.B.: entsprechend qualifizierte Gefährdungsbeurteilungen, die neben physischen auch die psychischen Belastungen aussagekräftig beurteilbar machen sowie entsprechende Fachleute und auch Arbeitsschutzmaßnahmen selbst) sind zur Anwendung zu bringen. (vgl. § 3 ArbSchG).

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• Die Gefährdungsbeurteilungen müssen den rechtlichen Standards genügen. Das bedeutet, sie müssen so angelegt sein, dass alle Belastungsfaktoren menschlicher Arbeit im Sinne einer ganzheitlichen Arbeitsgestaltung erfasst werden können. (vgl. Methode und Verfahren §5 ArbSchG).

Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung machen erkennbar, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Die Umsetzung erforderlicher Maßnahmen stellt eine Rechtspflicht des Arbeitgebers dar. Sie begründen die Pflicht des Arbeitsgebers, Gefähr-dungen durch geeignete Maßnahmen abzubauen bzw. zu verhindern.

2.) EinbeziehungbeiderDurchführungeinerGefährdungsbeurteilung Die Entscheidung über die Art und Weise der Gefährdungsbeurteilung verbleibt beim

Arbeitgeber unter Beteiligung des Personal- bzw. Betriebsrats. Die Tarifvertragspartei-en haben mit dieser Regelung beabsichtigt, die mehrfach auch an anderen Stellen betonte Beschäftigtenbeteiligung auch auf die Durchführung der Gefährdungsbeur-teilung zu beziehen. Unter Einbeziehung der Beschäftigten ist mehr zu verstehen, als die Teilnahme an Befragungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung. Die Einbezie-hung ist auch auf die inhaltlichen und methodischen Aspekte der Gefährdungsbeur-teilung zu beziehen, welche den Beschäftigten zur Kenntnis zu bringen sind. Insofern leiten wir daraus einen Anspruch der Beschäftigten auf Qualifizierung im Umgang mit Gefährdungsbeurteilungen ab. Dieser Anspruch sollte genutzt werden. Dazu ein Bei-spiel: Im Rahmen einer Befragung zur Analyse psychischer Belastungen wird folgende These in den Raum gestellt: „Die Arbeit ist nicht zu bewältigen.“ – Die Befragten sollen nun entscheiden, in welchem Maße diese Aussage für sie zutrifft. Jetzt können z.B. Erzieher/-innen, die in einer Einrichtung mit gutem Betriebsklima tätig sind, bezo-gen auf ihre individuelle Empfindung, zu dem Schluss kommen, diese Aussage trifft nicht zu. Hat jedoch im Vorfeld eine Auseinandersetzung zu psychischen Belastungen stattgefunden, die auch reflektiert, dass regelmäßige Enttäuschungen der eigenen fachlichen Ansprüche an die Tätigkeit eine Belastung darstellen und eine Gefährdung sein kann, so wird diese Frage sicher stärker mit Blick auf die auszuübende Tätigkeit beantwortet. Dadurch kann vermieden werden, dass Verzerrungen, die in der Praxis durch Weglassungen, Heimarbeit bzw. Anpassung der Tätigkeit auf das Leistbare ent-stehen, das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung verfälschen.

3.) RechtsanspruchaufUnterrichtungüberdieErgebnissederGefährdungsbeurteilung

Auch dieser Regelungstatbestand ist vor dem Hintergrund angestrebter Beschäftig-tenbeteiligung zu betrachten. War es bislang möglich, die Ergebnisse betrieblicher Erhebungen nur kleinen dienstlichen bzw. betrieblichen Kreisen zugänglich zu machen, so ist nun eine Information aller vom Tarifvertrag betroffener Beschäftigten vorgeschrieben. An dieser Stelle muss diskutiert werden: Was ist das Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung?

Zur Erläuterung: Eine Gefährdungsbeurteilung, bezogen auf psychische Belastungen, basiert i.d.R. auf einer Beschäftigtenbefragung (durch Fragebogen, Einzelbefragung etc.). Bei der Gestaltung solcher Fragebögen wird z.B. diskutiert, ob Beschäftigte direkt nach Belastungen gefragt werden, oder ob nach Indikatoren gefragt wird, die Rückschlüsse auf entsprechende Belastungen zulassen. Ergebnis einer Befragung

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kann nun sein, dass eine Häufung bestimmter Antworten erkennbar wird, was dem ungeschulten Leser bzw. Zuhörer den Rückschluss auf entsprechende Belastungsur-sachen kaum ermöglicht. Darum muss die Interpretation dieser Ergebnisse – welche also schon auf die Ursachen der Belastungen bzw. auf Gefährdungen Bezug nimmt – als Ergebnis gelten. Ungeachtet dessen muss die Tatsache betrieblich diskutiert werden, dass es Interpretationsspielräume gibt und es ist zu klären, welchen Umfang sie haben.

Da die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung Aussagen beinhalten, die eine Ablei-tung von Maßnahmen ermöglichen, muss der Begriff des Ergebnisses so umfassend verstanden werden. Insofern es sich um Erhebungen handelt, deren Aussagekraft erst durch eine qualifizierte Interpretation entstehen, muss sich das Informationsrecht sowohl auf die Ergebnisse (soweit sie nicht personenbezogene bzw. personenbezieh-bare Daten beinhalten) als auch auf deren Interpretation durch entsprechende Fach-leute beziehen, denen (gemäß §3 ArbSchG) die Durchführung der Gefährdungs-beurteilung übertragen wurde.

4.) RechtsanspruchaufgemeinsameErörterungdervorgesehenenMaßnahmen Von den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung sind geeignete Maßnahmen abzu-

leiten. Für das Feld der physischen Belastungen liegen i.d.R. allgemein anerkannte Maßnahmenkataloge vor, die eine Belastungsreduzierung sicherstellen. Bezogen auf die psychischen Belastungen werden alle Beteiligten vor größere Herausforderungen gestellt. Ausgehend von der Annahme, dass die Beschäftigten die besten Kenner der konkreten Arbeitsbedingungen sind, wurde auch hier eine Beschäftigtenbeteiligung angestrebt und letztlich durchgesetzt. Hier bietet sich die Gelegenheit, bereits im Vorfeld der Maßnahmeneinleitung zu erörtern, welche Verbesserungspotentiale angestrebte Maßnahmen haben und ob ggfs. Alternativen in den Blick genommen werden sollten.

5.) WiderspruchsrechtgegenvorgeseheneMaßnahmen Abschließend wurde die Liste der Ansprüche durch ein Widerspruchsrecht der

Beschäftigten ergänzt. Dadurch können die Beschäftigten nun, wenn sie die vom Arbeitgeber angestrebten Maßnahmen für unzureichend halten, diesen widerspre-chen. So wurden auch jenseits der Gefährdungsbeurteilung Einflussmöglichkeiten für Beschäftigte geschaffen, die es ermöglichen, die beabsichtigten Maßnahmen, sowohl aus kollektiver als auch aus individueller Perspektive, zu bewerten. Aufgabe der Beteiligungs- und Mitbestimmungsgremien (Personal- bzw. Betriebsrat, Betrieb-liche Kommis sion, Arbeitsschutzausschuss) ist es, sich mit den beabsichtigten Maß-nahmen zu befassen und eine fachliche Position zu formulieren. Ergänzend ist nun auch die Auseinandersetzung der Beschäftigten selbst mit den beabsichtigten Maß-nahmen möglich. Sie können prüfen, ob sie von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen wollen. Solche Widersprüche begründen eine (erneute) Befassung der Betrieblichen Kommission.

Der Widerspruch von Beschäftigten ist nicht an irgendeine Form gebunden. Ein münd-licher Widerspruch bzw. eine Ablehnung der Maßnahme sind hinreichend.

Insgesamt betrachtet ergibt sich dadurch ein Zugewinn an Rechten für die Beschäftigten, der, richtig eingesetzt (also in Abstimmung mit der betrieblichen Interessenvertretung)

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und aufbauend auf kollektive Auseinandersetzungen, wirkungsvollen betrieblichen Gesundheitsschutz durchsetzbar macht.

6.4. Exkurs: Die Gefährdungsbeurteilung – Ausgangspunkt und Voraussetzung für betrieblichen Gesundheitsschutz20

Die Gefährdungsbeurteilung soll den Arbeitgeber in die Lage versetzen, Gefährdungen zu erkennen, um sie dann durch geeignete Maßnahmen abbauen bzw. reduzieren zu können. Sie ist also Ausgangspunkt und zentrale Grundlage aller Maßnahmen des betrieb-lichen Gesundheitsschutzes. Die Tiefe der Untersuchung und die Breite der betrachteten Aspekte innerhalb der Arbeitsbedingungen sind daher ausschlaggebend für den Erfolg aller weiteren Schritte des betrieblichen Gesundheitsschutzes.

Bezogen auf physische Belastungen sind entsprechende Beurteilungsverfahren entwickelt und anerkannt. Dadurch werden die verbindliche Problemlagenbeschreibung und die Ablei-tung geeigneter Maßnahmen relativ einfach. Was die psychischen Belastungen betrifft, so müssen geeignete Verfahren zur Messung z. T. noch entwickelt werden, damit notwen dige Maßnahmen abgeleitet werden können. Hier muss noch viel Arbeit geleistet werden.

Jüngste Untersuchungen belegen, dass insbesondere psychische Belastungen häufig außen vor gelassen oder nur unzureichend beachtet werden, obwohl sie für einen erheb-lichen Teil arbeitsbedingter Erkrankungen verantwortlich sind.21

Darum hat ver.di gemeinsam mit erfahrenen Arbeitsschutzexpertinnen und -experten aus bereits evaluierten Verfahren ein Werkzeug22 zur Analyse psychischer Belastungen für Kindertageseinrichtungen und ASDs23 entwickelt. Dieses ist geeignet, mit angemesse-nem Aufwand Belastungsursachen zu identifizieren und Maßnahmen abzuleiten. Es kann direkt in den Betrieben bzw. Einrichtungen Anwendung finden bzw. an betriebliche Beson-derheiten angepasst werden. Ziel war es, mit dem ver.di-Modell einen Mindeststandard zur Untersuchung psychischer Belastungen zu beschreiben. Eine Gefährdungsbeurteilung mit geringerer Untersuchungstiefe ist aus unserer Sicht nicht hinreichend.

Für die weiteren Tätigkeitsbereiche müssen entsprechende Module noch entwickelt wer-den. Dies ist Teil der vorgeschriebenen Gefährdungsanalyse, also gesetzliche Aufgabe der Arbeitgeber.

Für die Frage, wo und wie oft Gefährdungsbeurteilungen vorzunehmen sind, ist entschei-dend, ob die Tätigkeiten vergleichbar sind. Dazu muss geklärt werden, ob abweichende Ursachen oder Ausgangspunkte für Belastungen entstanden sind bzw. vorliegen. Da Bela-stungen u.a. aus räumlichen Bedingungen, Ausstattungen, Arbeits- bzw. Ablauforgani-sation sowie den bereits genannten physischen Elementen entstehen können, ist hier genau auf eine solche Betrachtung abzustellen. Diese Aufzählung kann nicht abschließend

20 Vgl. dazu auch Anlage C21 vgl. Elke Ahlers, „Geduldiges Papier“ in Mitbestimmung 05/2010, S. 26 ff.22 Das ver.di-Modul ist als Broschüre erhältlich und steht zum download im Mitgliedernetz bereit. Die Kontakt-adressen der ver.di-Verwaltungsstellen in den Bundesländern und auf Bundesebene sind auf der letzten Seite dieser Veröffentlichung angefügt.23 Allgemeiner Sozialer Dienst, z.T. auch KSD – Kommunaler Sozialer Dienst

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sein, da alle Belastungsursachen, welche Gefährdungen verursachen, zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sind neue arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse 24 zu berücksichtigen.

Mit der Beschäftigtenbeteiligung wird Neuland betreten. Ein Blick auf bereits durchge-führte betriebliche Arbeitsschutzprozesse verdeutlicht die Bedeutung der aktiven Beteili-gung aller Beschäftigten25. Nach Auffassung von ver.di kann Gesundheitsförderung nur mit einer aktiven Beschäftigtenbeteiligung erfolgreich umgesetzt werden. Das bedeutet, die Beschäftigten in die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen einzubeziehen, sie über Ergebnisse zu unterrichten und an der Ableitung und Entwicklung von Maßnahmen zu beteiligen.

Unzureichende Maßnahmen führen, nach dem Tarifvertrag, zur Befassung der Betrieb-lichen Kommission. Damit wird eine betriebliche Öffentlichkeit zu den Themen der Gefähr-dungsbeurteilung und den erforderlichen Maßnahmen hergestellt.

An den Verfahren des betrieblichen Gesundheitsschutzes sind, neben dem Arbeitgeber und dem Personalrat, die zuständigen Unfallversicherungen,26 die Fachkräfte für Arbeits-sicherheit bzw. Betriebsärzte und der Arbeitsschutzausschuss beteiligt. Die Einbeziehung der Beschäftigten als Akteure ist eine weitere Verbesserung des Verfahrens, da damit die praktische Kenntnis der Arbeitsplätze selbst in die Untersuchung und die Maßnahmen-auswahl einbezogen wird.

6.5. Die Betriebliche Kommission

Tarifvertragstext:(4) Beim Arbeitgeber wird auf Antrag des Personalrats/Betriebsrats eine Betriebliche Kommission gebildet, deren Mitglieder je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Per-sonal- bzw. Betriebsrat benannt werden. Die Mitglieder müssen Beschäftigte des Arbeitgebers sein. Soweit ein Arbeitsschutzausschuss gebildet ist, können Mitglieder dieses Ausschusses auch in der Betrieblichen Kommission tätig werden.

(5) Die Betriebliche Kommission kann, zeitlich befristet, Gesundheitszirkel zur Gesund-heitsförderung einrichten, deren Aufgabe es ist, Belastungen am Arbeitsplatz und deren Ursachen zu analysieren und Lösungsansätze zur Verbesserung der Arbeitssi-tuation zu erarbeiten. Sie berät über Vorschläge der Gesundheitszirkel und unterbrei-tet, wenn ein Arbeitsschutzausschuss gebildet ist, diesem, ansonsten dem Arbeitgeber Vorschläge. Die Ablehnung eines Vorschlags ist durch den Arbeitgeber zu begründen. Näheres regelt die Geschäftsordnung der Betrieblichen Kommission.

24 Die „gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse“ wirken rechtsnormenähnlich, weil die Arbeitsschutz-vorschriften auf sie Bezug nehmen. Aufgrund der Vielzahl der Einzeldisziplinen kann von der Arbeitswissenschaft als einheitlicher Disziplin nicht gesprochen werden. Unter Arbeitswissenschaft ist daher das Zusammenführen einer Vielzahl von Fachdisziplinen (z.B.: Medizin, Arbeitspsychologie, Ingenieurswissenschaften, Soziologie usw.) zu verstehen. Weitere Ausführungen dazu in Anlage C25 Vgl. „Gute Arbeit“ – Ausgabe 2010, Hrsg.: Lothar Schröder und Hans-Jürgen Urban, Kapitel Branchenanalysen; anhand verschiedener Beispiele wird hier sehr deutlich gemacht, dass Gesundheitsschutzprozesse ohne Beschäftig-tenbeteiligung nicht zu den gewünschten Erfolgen führen.26 eine Liste der Unfallkassen der Länder findet sich im Internet unter www.unfallkassen.de

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Errichtung und Zusammensetzung

Der erste Satz kann für den öffentlichen Dienst wie folgt ausgelegt werden: Da jeder Personal- bzw. Betriebsrat ein Antragsrecht auf Bildung einer Betrieblichen Kommission hat, kann unter dem Begriff des Arbeitgebers im öffentlichen Dienst der/die Leiter/in der personalratsfähigen Dienststelle verstanden werden. Also kann in jeder personalratsfähi-gen Dienststelle, der Beschäftigte angehören, die unter den Tarifvertrag fallen, eine Betriebliche Kommission gebildet werden.

Die Betriebliche Kommission wird zur Hälfte vom Betriebs- bzw. Personalrat benannt.

Diese Regelung ist ein Kompromiss, da die Arbeitgeber nicht bereit waren, die arbeitneh-merseitige Benennung der Gewerkschaft zu überlassen.

Die Mitglieder der Kommission müssen Beschäftigte des Arbeitgebers sein. Zur Vermeidung von Doppelarbeit ist ausdrücklich geregelt worden, dass Mitglieder des Arbeitsschutzaus-schusses auch in der Kommission tätig sein können. Der Aufgabenüberschneidung von Betrieblicher Kommission und Arbeitsschutzausschuss soll durch sinnvolle Kommunikati-onswege, Schwerpunktsetzungen und durch die personelle Zusammensetzung begegnet werden. Aus Sicht des Personal- bzw. Betriebsrates ist zu prüfen, wie die Kompetenzen beider Gremien für eine möglichst effektive Arbeit genutzt werden können und gleich-zeitig ihre Beachtung sichergestellt werden kann.

Da eine Schutzvorschrift (vergleichbar mit dem Schutz von Personal- bzw. Betriebsräten) für die Mitglieder der Betrieblichen Kommission27 nicht erreicht werden konnte, muss die Benen-nung von Beschäftigtenvertreter/-innen durch den Personal- bzw. Betriebsrat auf die betrieb-lichen Verhältnisse bezogen werden. Es gilt einzuschätzen, ob im Rahmen der Arbeit der Betrieblichen Kommission Konflikte entstehen können, die einen Schutz der Beschäftigtenvertreter/-innen erforderlich machen. Die Benennung von Personal- bzw. Betriebsratsmitgliedern in die Betriebliche Kommission gleicht das Fehlen von Schutzvor-schriften aus. Durch ein solches Verfahren können eventuell auftretende Schwierigkeiten bei Freistellung, Qualifizierung und Datenschutzfragen (bei personenbezogenen und perso-nenbeziehbaren Daten) vermieden werden.

Gleichzeitig jedoch würde dadurch ein Anliegen des Tarifvertrages, die Prozesse betrieb-lichen Gesundheitsschutzes auf breitere Füße zu stellen, teilweise konterkariert. Beschäf-tigte ver.di-Mitglieder, die für die Betriebliche Kommission benannt sind, haben im Falle von Maßregelungen Anspruch auf Unterstützung nach der ver.di-Satzung28.

Beratung und Mitwirkung

Mit der Betrieblichen Kommission wurde ein tarifrechtlich begründetes Beratungs- und Mitwirkungsgremium geschaffen, das seine Arbeit neben dem Arbeitsschutzausschuss (nach ASiG) und dem PR (nach LPersVG) bzw. BR (nach BetrVG) aufnehmen wird. Die Betriebliche Kommission ist ein eigenständiges Gremium auf tarifvertraglicher Grundlage.

Sowohl der Arbeitsschutzausschuss als auch die Betriebliche Kommission tragen zur arbeit-geberseitigen Meinungs- und Entscheidungsfindung bei. Deshalb muss in diesen Fragen

27 selbstverständlich gilt das Maßregelungsverbot des § 612a BGB28 Vorausgesetzt, die/der Beschäftige ist ver.di-Mitglied; (ver.di-Satzung § 17 Abs 1 „Mitgliedern, die wegen ihres Eintretens für von der ver.di anerkannte Arbeitsbedingungen oder aufgrund gewerkschaftlicher Tätigkeit entlassen und dadurch erwerbslos werden, wird Unterstützung gewährt.“), www.verdi.de

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sowohl die Betriebliche Kommission als auch der Arbeitsschutzausschuss gehört werden, bevor die arbeitgeberseitige Meinungsbildung abgeschlossen ist.

Die Kommission berät über Widersprüche von Beschäftigten gegen Maßnahmen und Vorhaben des Arbeitgebers, die als Ergebnis von Gefährdungsbeurteilungen ergriffen werden. Beratungsgrundlage ist, ob Maßnahmen erforderlich bzw. geeignet sind. Der Begriff der „erforderlichen Maßnahmen29“ ist gleichzeitig eine tarifvertraglich gesetzte Richtlinie für die Entscheidungen der Kommission. Die Kommission hat ausdrücklich das Recht, eigene Vorschläge zu machen und ist damit nicht an das Vorliegen von Widersprü-chen gebunden. Eine weitere Aufgabe besteht darin, über Beschwerden der Beschäftigten zu beraten, wenn der Arbeitgeber eine erneute Gefährdungsbeurteilung ablehnt.

Die Betriebliche Kommission ist, bezogen auf die materiellen Fragen30 des betrieblichen Arbeitsschutzes, ein Mitwirkungsgremium, da der Tarifvertrag ein doppeltes Arbeitgeber-votum vorsieht und selbst bei Mehrheits- und sogar bei einstimmigen Entscheidungen der Betrieblichen Kommission das Letztentscheidungsrecht beim Arbeitgeber liegt.

Wird über einen Vorschlag der Kommission ein Beschluss herbeigeführt und haben die vom Arbeitgeber benannten Mitglieder diesem zugestimmt, wird er dann durchgeführt, wenn auch der Arbeitgeber zustimmt. Unterbreitet die Arbeitnehmerseite einen Vorschlag und stimmen die Vertreter des Arbeitgebers diesem mehrheitlich nicht zu, muss der Arbeit-geber die Gründe für die Ablehnung darlegen. Werden erneute Gefährdungsbeurteilungen abgelehnt, soll die Betriebliche Kommission über den Einspruch in einer ersten Stufe ent-scheiden und zu einem Vorschlag für den Arbeitgeber gelangen. Die Entscheidung des Arbeitgebers ist im Versagensfall zu veröffentlichen.

Damit wird in Fragen der betrieblichen Gesundheitsförderung ein hohes Maß an Transpa-renz erreicht. Dieser Aspekt stellt eine wichtige Erweiterung bisheriger Arbeitsschutzpro-zesse dar. Mit der Betrieblichen Kommission kann nun eine neue Qualität beteiligungsori-entierter Gesundheitsschutzprozesse erreicht werden.

Bei einer Bewertung der Kompetenzen der Betrieblichen Kommission sind, neben den tariflich geregelten Aufgaben, die Handlungsmöglichkeiten im Konfliktfalle zu bedenken. Der Tarifvertrag sieht keine Regelungen für den Fall vor, dass die Betriebliche Kommission behindert oder in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wird.31 Letztendlich wäre hier nur ein Einwirken der Tarifvertragsparteien auf ihre Mitglieder zur Einhaltung der vertraglichen Regelungen möglich.

Da die Betriebliche Kommission keine beteiligte Partei zu bestimmtem Handeln zwingen kann, kann sie auch die Rechte des Personal- bzw. Betriebsrates nicht beeinträchtigen. Um eine solche Situation wirksam vermeiden zu können, sollte der Personal- bzw. Betriebs-rat pa rallel eigene Gesundheitsschutzverfahren einleiten.

29 Maßnahmen gelten dann als erforderlich, wenn sie sich aus den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung er-geben bzw. wenn sie der Verstetigung und Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb dienen. Vgl. Pieper, Arbeitsschutzrecht – Kommentar für die Praxis, Bund-Verlag 2009, §3 RN 230 Materielle Fragen sind in diesem Zusammenhang alle Entscheidungen, die Art und Inhalt der Gefährdungsbeur-teilung sowie abzuleitende Maßnahmen betreffen31 auch hier ist das Maßregelungsverbort des § 612a BGB zu berücksichtigen

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Beschäftigtenbeteiligung und -information

Neben den Personal- bzw. Betriebsrat, der in Dienst- bzw. Betriebsversammlungen oder durch andere Informationswege eine breite betriebliche Öffentlichkeit zu den einzelnen Schritten des betrieblichen Gesundheitsschutzes herstellen kann, tritt nun die Betriebliche Kommission.

Sie kann eigenständig Maßnahmen der Beschäftigtenbeteiligung ergreifen und in geeig-neter Weise die Beschäftigten informieren und in Prozesse einbinden. Explizit wird in diesem Zusammenhang das Instrument des Gesundheitszirkels genannt. In diesen Gesund-heitszirkeln kann, bezogen auf definierte Arbeitsbereiche, sowohl an Fragen nach den Gefährdungen als auch an der Erarbeitung von Vorschlägen für erforderliche Maßnahmen gearbeitet werden.

Die Formulierung: „…Gesundheitszirkel zur Gesundheitsförderung einrichten, deren Auf-gabe es ist, Belastungen am Arbeitsplatz und deren Ursachen zu analysieren…“ ist nicht so zu verstehen, dass die Gesundheitszirkel die Gefährdungsbeurteilung durchführen. Gesundheitszirkel können Detailaufgaben einer Gefährdungsbeurteilung übernehmen oder auch den Ursachen von Fehlbelastungen auf den Grund gehen.

Eine enge Abstimmung der Arbeit von Betrieblicher Kommission und Gesundheitszirkeln mit dem Personal- bzw. Betriebsrat sollte gewährleistet werden.

Zusammenarbeit von Personal- bzw. Betriebsrat und Betrieblicher Kommission

Bei den Aufgaben, die der Betrieblichen Kommission durch den Tarifvertrag übertragen sind, muss darauf geachtet werden, dass die Rechte des Personal- bzw. Betriebsrates parallel zu den tariflichen Verfahren genutzt werden, um alle Möglichkeiten weitestgehend ausschöpfen zu können. In diese Betrachtung sind die Rechtsansprüche der Beschäftigten aus dem Tarifvertrag einzubeziehen.

Fälle mangelnder Kooperation seitens der Arbeitgeber bei der Einrichtung und bei der Zusammenarbeit in der Betrieblichen Kommission können als Einschränkung der Rechte des Personal- bzw. Betriebsrates gewertet werden. Der Personal- bzw. Betriebsrat verfolgt mit der Einrichtung der Betrieblichen Kommission das Ziel, „tarifvertragliche Vorschriften, die zu Gunsten der Arbeitnehmer bestehen“ umzusetzen.

Jedoch ist es empfehlenswert, parallel zu den tarifrechtlichen auch die personalvertre-tungsrechtlichen, also gesetzlichen Möglichkeiten im Umgang mit dem Arbeitsschutzge-setz in Anwendung zu bringen.

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Fazit

Vor diesem Hintergrund wird empfohlen, die neuen tarifvertraglich fundierten Rechte in eine Gesamtstrategie einzubauen, deren Kern ein vom Personal- bzw. Betriebsrat betriebenes Verfahren (möglichst für die gesamte Kommunalverwal-tung) zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz bzw. zum betrieblichen Gesundheits management darstellt. Die Möglichkeiten, die der Tarifvertrag mit der Bildung der Betrieblichen Kommission und von Gesundheitszirkeln vorsieht, stellen ergänzende Instrumente dar. Die individuellen tarifrechtlichen Ansprüche der Beschäftigten können als Druckmittel genutzt werden, die gebotene fachliche Tiefe und Breite der Gefährdungsbeurteilung sowie die Qualität der erforderli-chen Maßnahmen durchzusetzen.

Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Inhalte eine Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung zur Ausgestaltung der Gesundheitsschutzverfahren haben sollte und welche Regelungen in einer Geschäftsordnung für die Betriebliche Kommission zu treffen sind.

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7. Empfehlungen für eine Dienst- bzw. Betriebs-vereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung

Die Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung präzisiert bzw. ergänzt die gesetzlichen und die tarifvertraglichen Regelungen. Mit ihr kann, angelehnt an die tariflichen und die gesetz-lichen Regelungen, das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz als verbindlicher Prozess entwickelt werden. Grundlegende Fragen der Verfahren sollten hier geregelt werden.

Die bereits erreichte Regelungsdichte muss berücksichtigt werden. Eventuell sind Aspekte, die hier vorgetragen werden, bereits in betrieblichen Vereinbarungen geregelt. Insofern sind die folgenden Empfehlungen eine Zusammenstellung von Maßnahmen zur Absiche-rung und Regulierung der Gefährdungsbeurteilung und der Betrieblichen Kommission.

Die nachfolgenden Regelungsvorschläge stellen Anregungen dar. Sie können die Auseinan-dersetzung mit den betrieblichen Gegebenheiten nicht ersetzen. Darum dürfen sie nicht als Entwurf einer Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung verstanden werden, auch wenn solche Ent-würfe auf den ersten Blick als Arbeitserleichterung wahrgenommen werden. Bei genauerer Betrachtung erweist sich aber oft, dass sie den Beteiligten die Möglichkeit nehmen, sich in der gemeinsamen Auseinandersetzung in das gesamte Thema einzuarbeiten und ein gemein-sames Verständnis zu finden sowie die konkreten Probleme vor Ort zu berücksichtigen.

7.1. Präambel

Für die Präambel bieten sich als inhaltliche Aspekte an:

Diese Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung zur Umsetzung des Tarifvertrages SuE und des Arbeitsschutzgesetzes und der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG einschließlich der Erfassung psychischer Fehlbelastung soll die Ermittlung und Bewertung von Gesund-heitsgefährdungen an den Arbeitsplätzen sowie geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten regeln.

Arbeitgeber und Personalrat stimmen darin überein, dass eine erfolgreiche Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und des Tarifvertrages zum betrieblichen Gesundheitsschutz sowohl im Interesse des Unternehmens als auch der Beschäftigten liegt. Es besteht Einig-keit, dass erfolgreicher Arbeits- und Gesundheitsschutz nur unter Beteiligung der Beschäf-tigten und mit einer anschließenden Erfolgskontrolle erfolgreich ausgestaltet werden kann.

Grundlage des gemeinsamen Handels bildet die WHO32-Definition: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.“

Unter menschengerechter Gestaltung der Arbeit ist die Vermeidung bzw. Minderung von arbeitsbedingten gesundheitlichen Fehlbelastungen oder Beeinträchtigungen und die För-derung des Wohlbefindens, entsprechend ISO 9241-2 aus 1992, zu verstehen.

Wenn es gelingt, die WHO-Definition in der Präambel zu verankern, wird als Ziel betrieb-licher Gesundheitsschutzmaßnahmen nicht mehr nur die Einhaltung gesetzlicher Mindest-standards in den Blick genommen, sondern ein ganzheitlicher Gesundheitsbegriff.

32 Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen

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Als Leitsätze lassen sich hier die Anforderungen der Beschäftigten an eine gute Qualität der Arbeit sowie an die Produktivität und das Wohlbefinden einbringen. Hierzu zählen:

• ausführbare und schädigungsfreie Arbeit (Arbeitsplatz) • Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten (Arbeitsorganisation) • Vertrauensvolle Kultur wechselseitiger Anerkennung und Wertschätzung (Unterneh-

menskultur) • Sicherung der Beschäftigung durch innovative Unternehmensentwicklung (Unterneh-

mensstrategie) • Einhaltung und Förderung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes • Bedarfsgerechte Unterstützung der Beschäftigten durch die Führungskräfte • Angemessene Einarbeitung und Entwicklungsmöglichkeiten • Personalentwicklung33

Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz stellen Zielsetzungen dar, die nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen. (EU-Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeit-nehmer)

Durch gemeinsame Maßnahmen von … und Beschäftigten im Sinne des Geltungsbereiches und deren betrieblichen Vertretungen ( PR/BR usw.) sollen Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten verbessert werden. Im Zentrum der Maßnahmen stehen die Verhält-nisprävention sowie die Erhaltung bzw. Herstellung gesundheitsfördernder Verhältnisse im Arbeitsumfeld und am Arbeitsplatz. Sie bilden die Grundlage für die Verhaltenspräven-tion der Beschäftigten. Diese trägt zur Stärkung des persönlichen gesundheitsförderlichen Verhaltens und der persönlichen Ressourcen bei.

• Die umfassende Norm DIN EN ISO 9241-2 34 findet auf alle Beschäftigtengruppen Anwendung.

Neben den technischen und organisatorischen Voraussetzungen sind insbesondere arbeits-medizinische, psychische, soziologische, arbeitskulturelle und geschlechtsspezifische Aspekte sowie altersspezifische und individuelle Belastungsmuster und -expositionen zu berücksichti-gen, die das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden der Beschäftigten beeinflussen.

Die Durchführung der Maßnahmen stellt eine rechtliche Verpflichtung insbesondere zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit im Sinne von § 2 Arbeitsschutzgesetz dar. Sie bildet im Betrieb den organisatorischen Rahmen für ein ganzheitliches, nachhaltiges Kon-zept des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Es umfasst die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Arbeitsplätze, Arbeitsmittel und Arbeitsorganisation. Maßnahmen

33 Personalentwicklung ist die Zusammenfassung aller systematisch gestalteten Prozesse, die es ermöglichen, das Leistungs- und Lernpotenzial von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erkennen, zu erhalten und, in Abstimmung mit dem Verwaltungsbedarf, verwendungs- und entwicklungsbezogen zu fördern. „Personalentwicklungskonzept – Zufriedene Beschäftigte – effiziente Verwaltung”; Bundesministerium des Innern 2006.34 Zur Definition psychischer Fehlbeanspruchungen gelten die Ausführungen der ISO-Norm 10075. Hinsicht-lich der Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen werden den Ausführungen der ISO-Norm 9241-2 aus 1992 Anforderungen an die Arbeitsaufgaben zugrunde gelegt. (Auch wenn es sich um die Richtlinie zur Bildschirmarbeit handelt, sind wichtige Regelungen auf alle Beschäftigten übertragbar). Hinsichtlich der Reduktion von körperlichen Fehl beanspruchungen findet die Lastenhandhabungsverordnung Anwendung, wobei die bis 1996 genannten Richtwerte als Minimalstandards aufgefasst werden.

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zielen auf die Erhaltung des Leistungsvermögens, die Entwicklung von Ressourcen (Salu-togenese, Ressourcenentwicklung), auf das Wohlbefinden sowie auf die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Beschäftigten und letztendlich auch darauf, trotz Belastungen gesund zu bleiben.

Zur Erreichung einer hohen Akzeptanz eines nachhaltigen (prozessgeführten) Arbeits- und Gesundheitsschutzes haben Führungskräfte eine Schlüsselfunktion. Deshalb ist es erfor-derlich, Arbeits- und Gesundheitsschutz dauerhaft als Führungsaufgabe zu verankern, wahrzunehmen und weiterzuentwickeln. Dazu gehört es, Prozesse zu initiieren und die Umsetzung erarbeiteter Maßnahmen zu sichern. Ihnen ist in diesem Prozess Unterstützung zu gewähren, damit sie dieser Verantwortung als Führungskraft gerecht werden können.

7.2. Geltungsbereich35

Räumlich

Der räumliche Geltungsbereich umfasst…

Persönlich

Es ist empfehlenswert, Beschäftigte, die nicht vom Tarifvertrag erfasst werden, z.B. andere Beschäftigte der Kommunalverwaltung außerhalb der Sozial- und Erziehungsdienste, Honorarkräfte,Leiharbeitnehmer/-innen und wenn vorhanden, auch andere Beschäftigte, die nicht zur direkten „Stammbelegschaft“ gehören, einzubeziehen. Erläuterung: Der Arbeitgeber ist auch ohne Tarifvertrag verpflichtet, für die nicht vom TV erfassten Beschäf-tigten das Arbeitsschutzgesetz umzusetzen, somit bietet sich eine Verzahnung in der DV an. Darüber hinaus spielen gerade psychische Belastungen bei der Zusammenarbeit mit Anderen, die nicht unmittelbar zum pädagogischen Personal gehören, eine Rolle.

7.3. Bereitstellung von Informationen

Zur Konkretisierung von Informationen, die zur Verfügung zu stellen sind, bieten sich als Regelungen an:

Zur Erstellung von Bedarfsanalysen als Ausgangspunkt aller Maßnahmen im Rahmen des Gesundheitsmanagement und zur Umsetzung des Absatzes 6 der Tarifvorschrift eignen sich, unter Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen, u.a.:

• betriebsinterne Statistiken zu krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterteilt in wiederholte, häufige kurzfristige36 und über 6 Wochen hinausgehende Arbeitsun-fähigkeiten,

• Statistiken bzw. Erhebungen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanage-ment,

35 Siehe dazu Fazit S. 23 u. 2436 Diese Anforderung des SGB XI § 84/2 ist bezogen darauf, was häufig kurzfristig bzw. wiederholt genau be-deutet, nicht allgemein definiert. Es bedarf an dieser Stelle einer Einigung darauf, was unter häufigen kurzfristigen Erkrankungen zu verstehen ist. Darum muss dazu eine betriebliche Auffassung formuliert werden.

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• Alters-, Geschlechts-, und Behindertenstrukturen im Unternehmen (z.B. Demografieanalysen),

• Statistiken über besondere Personengruppen (z.B. Jugendliche, werdende oder stil-lende Mütter, Eltern, Beschäftigte mit Pflegeverantwortung, Beschäftigte ohne aus-reichende Deutschkenntnisse, Leiharbeitnehmer/-innen, Praktikanten, befristet Beschäftigte, Auszubildende, Berufsanfänger),

• Personalentwicklungskonzepte, Personalbemessungsgrundlagen, Vertretungskonzep-te (falls vorhanden), Sicherheitskonzepte,

• Angaben über Fluktuationen und Informationen über deren ursächliche Zusammen-hänge,

• Unfallmeldungen; Auswertungen nichtmeldepflichtiger Arbeitsunfälle (<3 Tage AU) (Genaueres ist in der BV/DV zu regeln); Monitoring von Gefährdungspotenzialen,

• Gefahrenanzeigen (bzw. Überlastungsanzeigen),• Gesundheitsberichte und• Ergebnisse bzw. Erkenntnisse bereits durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen.

Zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben (u.a. nach § 84 Abs 2 SGB IX) muss der Arbeit-geber diese Daten erheben und vorhalten.

7.4. Gefährdungsbeurteilung

Zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen hat ver.di ein Modul37 entwickeln lassen, welches aus einem handhabbaren Screeninginstrument besteht. Dieses ist geeignet, Ergebnisse hervorzubringen, die Maßnahmen ableitbar machen. Ziel dieser Entwicklung war und ist es, einen Mindeststandard für die Gefährdungsbeurteilung zu beschreiben.

Leitgedanke der Gefährdungsbeurteilung ist die Herstellung von Bedingungen menschen-gerechter Arbeit, wie es die gesetzlichen Grundlagen vorsehen.

Für die Konkretisierung und Ausgestaltung bieten sich an:

• Es ist eine Gefährdungsbeurteilung gemäß den Anforderungen des Arbeitsschutzge-setzes (§ 5 und 6) und der Einzel-Verordnungen durchzuführen.

• Zeitpunkt der Durchführung.

Die erste Gefährdungsbeurteilung wird erstmalig …. durchgeführt. Gefährdungsbeurtei-lungen werden im Turnus von etwa 2 Jahren durchgeführt. Darüber hinaus werden anlass-bezogene Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt bei:

• Erstbeurteilung neu eingerichteter Arbeitsplätze. • Änderungen in der Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Umstrukturierung,

Änderung der Personalstruktur, -schlüssel, Arbeitsmengen, Arbeitsqualität,38

• tätigkeitsrelevanten Änderungen (z.B.Arbeitsinhalte, neuen Aufgabenzu-schreibungen),

• Änderung und Einführung neuer Schutzvorschriften und neuen arbeitswissenschaft-lichen Erkenntnissen sowie

37 Das ver.di-Modul ist als Broschüre und im ver.di-Mitgliedernetz als Download erhältlich.38 Die Betriebsparteien sollten eine Verständigung dazu herbeiführen, wann Änderungen einen Umfang erreicht haben, der erneute Beurteilungen erforderlich macht. Die Kommentierung des ArbSchG bietet dazu Anhaltspunkte.

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• vor und nach der Einführung von Zielvereinbarungen und /oder Veränderung Leistungs-bedingungen,

• Umstrukturierungsprojekten mit Einfluss auf die Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufen und/oder die Arbeitsmittel,

• auffälligen Signalen für gesundheitliche Risiken im Betrieb, z.B. Anstieg von Kranken-ständen bzw. auffällig gestiegene Fluktuation. Berücksichtigung finden auch Ermitt-lungen aus dem betrieblichen Eingliederungsmanagement, wie Langzeiterkrankungen (Gründe und Schwellenwerte sollten vorab bestimmt werden),

• Antrag von Beschäftigten nach Abs. 3 der Tarifvorschrift.

Methoden, Instrumente, Durchführung

Bei der Entscheidung über die Art und Weise der Gefährdungsbeurteilung besteht ein Ermessensspielraum des Arbeitgebers. Diese Ermessensentscheidung muss im Rahmen der rechtlichen Vorgaben ausgeübt und zudem begründet werden. Je nach Landespersonal-vertretungsgesetz hat der Personalrat hier Mitbestimmungs- bzw. Mitwirkungsrechte. Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte.

Im Rahmen der Beteiligung von Personal- bzw. Betriebsrat soll mit dem Arbeitgeber eine Verständigung auf Methoden, Instrumente und Durchführungsprozedere herbeigeführt werden.

Eine Gefährdungsbeurteilung ist nur dann angemessen durchgeführt, wenn physische, psychosoziale Belastungsfaktoren und ihr Zusammenspiel mit Qualifikation, Kommunika-tion, Führungsverhalten, Motivation und Wohlbefinden der Beschäftigten berücksichtigt wurden (evtl. in Verbindung mit §§ 4 und 5 Arbeitsschutzgesetz) und wenn die Beschäf-tigten aktiv einbezogen wurden.

Die Gefährdungsbeurteilung umfasst folgende Schritte:

• Ermittlung des Ist-Zustandes arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken • Bewertung des Arbeitsplatzes und der von ihm ausgehenden Gefährdung • Vergleich Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand (ISO 9241-2) • Maßnahmenableitung zur Erreichung des Soll-Zustandes • Dokumentation

Kriterien zur Ermittlung und Beurteilung von Gefährdungen

• Es ist – idealtypisch – ein zweistufiges Vorgehen (Grobanalyse und Feinanalyse39) vorzu-sehen.

• Beschäftigte und Führungskräfte sind bei der Ermittlung der Gefährdungen, der Beurteilung der Auswirkungen von Fehlbelastungen, der Maßnahmenentwicklung, -umsetzung und -kontrolle aktiv zu beteiligen.

• Beim Einsatz expertengestützter Verfahren ist Transparenz herzustellen, bezogen auf die einzelnen Durchführungs- und Umsetzungsschritte, sowie auf die Schluss-folgerungen und Maßnahmeentscheidungen.

39 Für die Analyse psychischer Belastungen in Kindertageseinrichtungen und ASDs gehen wir davon aus, dass die wesentlichen Belastungsursachen bekannt sind. Sie wurden im ver.di-Modul „PsyBel SuE“ berücksichtigt. Allerdings können die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung Hinweise auf weitere Belastungen geben, die präziser zu betrachten sind.

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• Eingesetzte Instrumente/Verfahren aber auch Empfehlungen bzw. Maßnahmen müssen gender-, alters-, berufsspezifische und individuelle Belastungsmuster und -expositionen berücksichtigen.

• Kombinationswirkungen der Belastungen sind zu untersuchen und die Einschätzung der Betroffenen ist zu berücksichtigen.

• In den Erhebungen /Befragungen zu physischen und psychosozialen Belastungen sind die Kriterien nach Anlage … zu berücksichtigen.

7.5. Betriebliche Kommission

Die Einrichtung der Betrieblichen Kommission sollte konkretisiert werden. Zur Umsetzung eines Gesamtkonzeptes (siehe Präambel) des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kann sie auch über den Tarifvertrag hinausgehende Aufgaben wahrnehmen.

Auf Antrag des Personal- bzw. Betriebsrates beim Arbeitgeber erfolgt die Bildung einer Betrieblichen Kommission.

Es ist eine paritätisch besetzte Betriebliche Kommission nach Absatz 4 der Tarifvorschrift zu bilden. Diese besteht aus x vom PR benannten Mitgliedern und x Mitgliedern der Arbeitgeberseite (Mindestbesetzung PR+AG festlegen). Existiert ein Arbeitsschutzaus-schuss, können dessen Mitglieder in der betrieblichen Kommission tätig werden. Außer-dem können sowohl einzelne Beschäftigte wie externe Berater/-innen gegebenenfalls als nichtstimmberechtigte Mitglieder hinzugezogen werden.

Der Vorsitz wird alternierend wahrgenommen. Die Betriebliche Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung.

Die Betriebliche Kommission ist das federführende Gremium zur Unterstützung des Arbeit-gebers bei der Planung, der Steuerung und Entscheidungsumsetzung des Arbeitsschutz-gesetzes und bei der Entwicklung eines auf betriebliche Erfordernisse angepassten betrieblichen Gesundheitsmanagements. Darüber hinaus besteht ihre Aufgabe darin, Beschäftigtenbeteiligung und -information sicherzustellen. Die Betriebliche Kommission arbeitet aktiv mit den betrieblichen Akteuren des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und des Eingliederungsmanagements zusammen.

Die Betriebliche Kommission trifft sich regelmäßig, mindestens alle (8) Wochen.

Berufung und Abberufung von Mitgliedern der Betrieblichen Kommission

Die Betriebliche Kommission hat keine Amtszeit, sondern besteht, solange dieser Tarifver-trag anzuwenden ist. Das bedeutet, ihre Amtszeit ist nicht begrenzt. Es kann sich daher als erforderlich erweisen, das Recht der Abberufung zu regeln.

Eine entsprechende Regelung in der Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung könnte heißen: Personal- bzw. Betriebsrat und Arbeitgeber/Dienststellenleiter haben das Recht, Mitglieder der Betrieblichen Kommission zu benennen und abzuberufen. Da eine Abberufung mit sofortiger Wirkung für die betroffenen Kommissionsmitglieder problematisch sein kann, sollte, orientiert an den betrieblichen Bedürfnissen, ggfs. eine Frist bestimmt werden.

Nachbenennung von Mitgliedern der Betrieblichen Kommission erfolgt unverzüglich durch den Personal- bzw. Betriebsrat.

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Aufgaben im Rahmen eines nachhaltigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes

• Erstellung eines Arbeitsplanes • Analyse des betrieblichen Umfeldes • Erarbeitung eines Aktionsprogrammes (Maßnahme-, Zeit- und Kostenplan) • Regelmäßige Evaluation, Durchführung der Wirksamkeitskontrolle • Erstellung eines Gesundheitsberichtes, der im Betrieb bzw. der Dienststelle

veröffentlicht wird • Trägt Sorge für Transparenz im Arbeits- und Gesundheitsschutz • In Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern werden die betriebsspezifi-

schen Einsatzzeiten gemäß der DGUV VA2 ermittelt und das Ergebnis dem Arbeit-geber und dem Personalrat vorgelegt. Hierbei ist auch die Beauftragung weiterer Sachkundiger, wie bspw. Arbeitspsychologen zu prüfen.

Aufgaben im Rahmen der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung sind (Beispielkatalog):

• Konzeption der Information der Beschäftigten zur Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung,

• Konzeption, Planung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung,• Festlegung der Methoden zur Erfassung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen,

der Untersuchungsbereiche, des Zeitplanes, der Gruppenbildung und der Pilotbereiche bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (wer, wann, wie, was macht),

• Entscheidung zur Begleitung von Projekten, die Einfluss auf die Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe und Arbeitsmittel (z.B. Hard- und Softwareentwicklungen und -ein-führungen) haben,

• Bewertung der erhaltenen Ergebnisse der Ermittlung der Gesundheitsrisiken durch Vergleiche; Ist- und Soll-Zustand (u.a. anhand von Normierung im Arbeitsschutz, arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen, bekannten sicheren und gesundheitsförder-lichen Lösungen),

• Feinauswertung zur Ermittlung konkreten Handlungsbedarfs unter Einbeziehung der Betroffenen; Experten/-innen,

• Ableitung von Maßnahmen und Entscheidung über die Wertigkeit der Maßnahmen nach Rückkopplung mit den Beschäftigten (kurz-, mittel-, langfristig) (Die Maßnah-men richten sich nach den jeweils geltenden Gesetzen und Vorschriften, dem neue-sten Stand der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse und den daraus anerkannten und bewährten Lösungen),

• Einrichtung und Koordination von Gesundheitszirkeln, die Entscheidungen über die Anzahl der Sitzungen der Gesundheitszirkel sowie die Zusammensetzung, die je nach konkreter Aufgabenstellung festgelegt wird, ggf. wird (u.a. auf Antrag der Teilnehmer/-innen) ein/e externe/r Berater/-in hinzugezogen,

• Zuständigkeit für Anträge der Beschäftigten auf Durchführung der Gefährdungsbeur-teilung.

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Weitere Aufgaben, die der Kommission zugewiesen werden, sind:• die Klärung von Meinungsverschiedenheiten bei schriftlich begründeten Beschwerden

im Zusammenhang mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der getrof-fenen Maßnahmen sowie

• die Zuständigkeit für Anträge der Beschäftigten auf Durchführung der Gefährdungs-beurteilung im Zusammenhang mit der Tarifvorschrift, Klärung von Meinungsverschie-denheiten bei schriftlich begründeten Beschwerden, wenn der Arbeitgeber eine erneu-te Gefährdungsbeurteilung ablehnt (Abs 4 (2).

Darüber hinaus ist die Betriebliche Kommission verpflichtet:

• erforderliche Maßnahmen festzulegen, wenn eine externe Überprüfung der Gefähr-dungsbeurteilung durch die zuständige Unfallversicherung oder die staatliche Aufsicht ergibt, dass diese nicht angemessen durchgeführt worden ist,

• die Auswertungen der Gefährdungsbeurteilungen dem Betriebsrat/ Personalrat zuzu-leiten; dieser kann im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte Vorschläge zur Beseitigung von festgestellten Mängeln machen und Maßnahmen verlangen. Diese Vorschläge werden an die Betriebliche Kommission weitergeleitet und in die Entscheidung über Maßnahmen des Gesundheitsschutzes einbezogen,

• den Betriebs- bzw. Personalrat über die Widersprüche der Beschäftigten zu den vorge-sehenen Maßnahmen (Absatz 3) schriftlich zu informieren. Ebenso ist der Betriebsrat/Personalrat schriftlich zu informieren, wenn in der Betrieblichen Kommission entwik-kelte Maßnahmen nicht zur Umsetzung durch den Arbeitgeber gelangen (Absatz 4). Die Ablehnung ist schriftlich zu begründen.

Grundsätzlich hat die Betriebliche Kommission alle Ergebnisse dem Arbeitgeber und Per-sonal- bzw. Betriebsrat und den Beschäftigten regelmäßig mitzuteilen. Insbesondere die Erkenntnisse aus der Gefährdungsbeurteilung sowie Maßnahmen sind mit den Beschäf-tigten zu besprechen.

Beschwerden der Arbeitnehmer nach dem Tarifvertrag sind (schriftlich) an die Betriebliche Kommission, den Personal- bzw. Betriebsrat und den Arbeitgeber zu richten. Alternativ dazu lassen sich auch Regelungen treffen, die es der Betrieblichen Kommission zur Auf-gabe machen, Arbeitgeber und Interessenvertretung über entsprechende Beschwerden zu informieren. (siehe oben)

Eine Regelung zum Verfahren für die Einladung weiterer Personen zur Kommissionssitzung (Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte und sonstige externe Sachverständige) sollte getroffen werden. Dies ist insbesondere für die Fälle wichtig, in denen die Ladung externen Sachverstandes Kosten mit sich bringt.

Die Frage der Verhinderung von Mitgliedern der Betrieblichen Kommission an der Teilnah-me der Sitzung sollte inhaltlich geregelt werden, wann ein Verhinderungsgrund besteht, um daran anschließend auch Fragen der Vertretungsregelung zu beantworten.

Das bedeutet, der Personal- bzw. Betriebsratrat benennt ordentliche Mitglieder und eine gleiche Anzahl von Vertreter/-innen. Die Frage der Art und Weise der Vertretung muss betrieblich diskutiert werden. Eine persönliche Vertretung bietet den Vorteil, dass die Präsenz verschiedener Arbeitsbereiche der Sozial- und Erziehungsdienste sichergestellt werden kann, eine Vertretungsregelung nach Liste bietet höhere personelle Kontinuität.

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7.6. Gesundheitszirkel

Entsprechend dem Tarifvertrag können durch die Betriebliche Kommission Gesundheits-zirkel eingerichtet werden:

Auf Beschluss der betrieblichen Kommission können Gesundheitszirkel für bestimmte Bereiche/Abteilungen etc. eingerichtet werden.

Sie sind befristet eingesetzt (die Laufzeit bzw. die Anzahl der Sitzungen ist betrieblich zu regeln)

Da der Tarifvertrag vorsieht, dass die Gesundheitszirkel zielgerichtet gebildet werden, sind diese nach Bedarf, also zur Vorbereitung, Begleitung und Auswertung der Gefährdungs-beurteilung, einzurichten.

Es muss geprüft werden, welche Einrichtungen bzw. Betriebe sinnvoll zusammengefasst werden können, um gemeinsame Gesundheitszirkel zu bilden.

Gesundheitszirkel sind zusammengesetzt aus x Teilnehmenden, die von den Beschäftigten des entsendenden Bereiches benannt wurden und die je nach Situation und Aufgabenstel-lung hierarchie-, abteilungsübergreifend oder als homogene Gruppe gebildet werden kön-nen.

Personal- bzw. Betriebsratsmitglieder, welche aus dem betreffenden Arbeitsbereich kom-men, sollten in jedem Falle Mitglieder des entsprechenden Gesundheitszirkels sein. Diese Empfehlung ergibt sich schon aus der Zuständigkeit des Personal- bzw. Betriebsrates für Fragen des Gesundheitsschutzes.

Gesundheitszirkel können, in Absprache mit der betrieblichen Kommission, Experten hin-zuziehen, um Belastungen genauer zu identifizieren und Unterstützung bei der Entwick-lung von Lösungsansätzen zu erhalten.

Zu den Aufgaben gehören z. B:

• Die Ermittlung von spezifischen Belastungssituationen und deren Ursachen für den entsprechenden Bereich,

• Die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen bzw. Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation und die

• Weiterleitung von Ergebnissen und Vorschlägen sowie Problemstellungen, die nicht im Gesundheitszirkel bearbeitbar sind, an die Betriebliche Kommission.

Aus der Mitarbeit dürfen den Teilnehmenden keine Nachteile erwachsen.

7.7. Beteiligung der Beschäftigten

Um die Beteiligung der Beschäftigten nach Arbeitsschutzgesetz und Tarifvertrag zu ermög-lichen, bieten sich folgende Regelungen an:

• Die Beschäftigten sind in die Gefährdungsbeurteilung durch ein Verfahren einzubinden, welches die Information, Anhörung, Einbeziehung, Mitbestimmung und teilweise Mit-entscheidungskompetenz beinhaltet.

• Die Sichtweise der Beschäftigten zu den einzelnen Belastungsaspekten ist zu erfragen. Dabei ist nicht nur die jeweils individuelle Betroffenheit abzufragen, sondern auch eine allgemeine Einschätzung vorzunehmen.

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Die Einbeziehung der Beschäftigten kann durch verschiedene Methoden erfolgen:

• Befragungen • Interviews • Workshops, Gesundheitszirkel • Informationsveranstaltungen

Das Beschwerde- bzw. Informationsrecht der Beschäftigten gemäß LPersVG und § 17 ArbschG bleibt unberührt. Die Beschäftigten haben das Recht, unter Angabe von Gründen eine Gefähr-dungsbeurteilung entsprechend dem Tarifvertrag schriftlich einzufordern. Sie wenden sich dazu an die Betriebliche Kommission (und ggfs. gleichzeitig an Personal- bzw. Betriebsrat und Arbeitgeber bzw. Dienststellenleitung), die das Anliegen prüfen und bei Ablehnung die Grün-de schriftlich darlegen muss. Sie haben einen Anspruch auf Transparenz in Bezug auf die Umsetzung einzelner Schritte im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung.

Informationen zur Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung dienen als Grundlage für die Beteiligung der Beschäftigten bei der Gefährdungsbeurteilung nach Absatz 3 TV SuE. Um eine beteiligungsorientierte Gefährdungsbeurteilung zu ermöglichen, ist sowohl in fach-licher wie in pädagogischer Weise auf eine effektive Information zur Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung im Sinne einer umfassenden betrieblichen Gesundheitsschutzin-formation zu achten. So gehören zu den erforderlichen Informationen auch solche über Gesundheitsrisiken durch Arbeitsorganisation und Arbeitsabläufe sowie Informationen über Möglichkeiten, mit organisatorischen Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeitsabläu-fe gesundheitsbelastende Arbeitssituationen zu vermeiden bzw. zu mindern.

Darüber hinaus könnten weitere Regelungen, die besonders Aspekte der Unterweisung nach dem Arbeitsschutzgesetz betreffen, ergänzend aufgenommen werden: Die Beschäf-tigten sind gemäß § 12 ArbSchG über die Vorschriften der Arbeitssicherheit und Ergono-mie, über die Vermeidung von psychischen Fehlbelastungen und über die gesundheits- und menschengerechte Durchführung ihrer Tätigkeiten aufmerksam zu machen und entspre-chend zu unterweisen. Die Unterweisung der/des Beschäftigten erfolgt bei Einstellung, bei Wiederaufnahme der Arbeit nach längeren Abwesenheitszeiten (definieren: z.B. Eltern-urlaub, Pflegezeit, Freistellung aus Zeitwertkonten etc.), bei Änderungen des Arbeitsplat-zes, des Arbeitsablaufes. Grundsätzlich wird die Unterweisung jedes Jahr wiederholt.

Die Beschäftigten werden in dieser Unterweisung auch dahingehend qualifiziert, ihre Beteiligungsrechte aus den §§ 15–17 ArbSchG und dem TV Sozial- und Erziehungsdienste und der ergänzenden DV/BV wahrzunehmen. Die Unterweisung ist jährlich zu wiederho-len und muss sich an die sich ändernden Begebenheiten (z.B. Veränderung der Gefahren-lage, Veränderung im Arbeitsbereich, Versetzung etc.) anpassen.

Beschäftigte haben ein Vorschlagsrecht zu Fragen der Sicherheit und des Gesundheits-schutzes. Diese Vorschläge können nicht nur an den Arbeitgeber sondern auch an die Betriebliche Kommission40, oder den Gesundheitszirkel – der für ihren Arbeitsbereich exi-stiert, gerichtet werden.

40 Insgesamt sollte die Frage der Kommunikationswege thematisiert werden. Der Tarifvertrag sieht in bestimmten Fällen vor, dass die Beschäftigten sich an die Betriebliche Kommission wenden. Personal- bzw. Betriebsrat sowie Ar-beitgeber haben ohne großen Zeitverzug von solchen Vorgängen Kenntnis zu erhalten. Entweder ist die Betriebliche Kommission zu unverzüglicher Weitergabe entsprechender Informationen zu verpflichten oder die betreffenden Meldungen sind gleichzeitig an die Betriebliche Kommission und die Betriebsparteien zu richten.

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Beschwerden, Verbesserungsvorschläge oder Anregungen von Beschäftigten, die u.a. in Unterweisungen vorgetragen werden, sind zu dokumentieren und an die Betriebliche Kommission weiterzuleiten.

Können Anregungen oder Verbesserungsvorschläge von Beschäftigten nicht umgesetzt werden, so muss dies schriftlich begründet und den Beschäftigten mitgeteilt werden.

Unterweisungsleitlinien bzw. Leitlinien für die Informationen zur Vorbereitung der Gefähr-dungsbeurteilung können zusätzlich in einer Anlage dieser Betriebsvereinbarung festge-legt werden.

Kommt der/die Vorgesetzte seiner/ihrer Unterweisungspflicht nicht nach, so kann dies zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen.

7.8. Weiterbildung, Sachkunde

Mitgliedern der betrieblichen Kommission sowie Teilnehmenden in den Gesundheitszirkeln ist die Teilnahme an Qualifikationsmaßnahmen zur Erlangung der erforder lichen Sachkun-de zu gewähren. Die Qualifizierungsmaßnahmen gelten als Teilaspekt der „Herstellung einer geeigneten Organisation“. Die Kosten trägt der Arbeitgeber.

Alle Beschäftigten haben über den allgemeinen Qualifikationsanspruch (TVöD § 5 even-tuell bereits vereinbart) hinaus einen Anspruch von x Tagen auf Weiterbildung und Schu-lungen, die die persönlichen Ressourcen stärken und für das Thema „Gesundheit im Betrieb“ sensibilisieren und Gesundheitskompetenzen stärken (genauere Festlegungen erfolgen betrieblich).

Die dafür erforderliche Zeit ist als Arbeitszeit zu werten.

Die Art und Weise der Durchführung sowie die Teilnehmer/-innenauswahl für die Quali-fizierungsmaßnahmen obliegt der Mitbestimmung des Personal- bzw. Betriebsrates

Die Rechte der Mitglieder des Betriebsrates/Personalrates zur Teilnahme an entsprechen-den Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG bzw. § … LPersVG bleiben unberührt.

Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsschutzes, insbesondere die Gefährdungsbeur-teilung, sind vor ihrer Anwendung den Beschäftigten bekannt zu machen. Diese sind über die Zielsetzung und die methodischen Grundlagen zu informieren.

Betriebliche und externe Sachverständige können zu den Sitzungen der Betrieblichen Kommission und der Gesundheitszirkel hinzugezogen werden. Ein Verfahren zur Kosten-tragung ist zu vereinbaren.

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7.9. Mitbestimmungsfragen

Als ergänzende Regelungen für die Interessenvertretungen bieten sich an:

• Die Rechte der Beschäftigtenvertretungen entsprechend der jeweiligen gesetzlichen Grundlagen (Personalrat, Mitarbeitervertretung, Schwerbehindertenvertretung, Frau-en- oder Gleichstellungsbeauftragte, Jugendvertretung) bleiben unberührt.

• Der Betriebsrat/Personalrat erhält die Auswertungen der Gefährdungsbeurteilungen und kann im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte Vorschläge zur Beseitigung von festgestellten Mängeln machen und Maßnahmen verlangen. Diese Vorschläge werden an die Betriebliche Kommission weitergeleitet und in die Entscheidung über Maßnah-men des Gesundheitsschutzes einbezogen.

• Der Personal-/bzw. Betriebsrat hat über die Festlegung der Gleichartigkeit der Arbeits-plätze bzw. -bedingungen, über Zeitpunkte, Methoden, Workshops/Zirkel, Beurteilun-gen und erforderliche Maßnahmen mitzubestimmen.

Hinweis: Denkbar wäre auch, die Festlegung des Verfahrens zur Ermittlung der Gleichar-tigkeit von Arbeitsplätzen, zu verankern z.B.: Bei gleichartigen Arbeitsplätzen bzw. Gefähr-dungen reicht die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung für einen Arbeitsplatz aus. Ob Gleichartigkeit vorliegt, ist abhängig von dem in der Grobanalyse ermittelten Gefähr-dungsprofil und wird daher in der betrieblichen Kommission durch die Betriebsparteien einvernehmlich vor der Feinanalyse festgelegt. Ist eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat/Personalrat nicht möglich, entscheidet die Einigungsstelle. (auch wenn die Mitarbeit des Personalrates bzw. Betriebsrates in der betrieblichen Kommission erfolgt und keine Einigung erzielt wird).

7.10. Benachteiligungsverbot und Freistellung

Keiner bzw. keinem Beschäftigten darf aus seiner bzw. ihrer Mitarbeit in der Betrieblichen Kommission bzw. im Gesundheitszirkel sowie aus daraus entstehenden Workshops ein Nachteil entstehen.

Die Mitarbeit im Gesundheitszirkel bzw. in den Workshops sowie die Mitarbeit in der Betrieblichen Kommission gelten als Arbeitszeit.

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7.11. Weitere Regelungen:

Zusätzlich könnte die Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung auch Regelungen aufnehmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheits-schutz eine Rolle spielen könnten:

Beispiele:

Budget Wie auch für die allgemeine Aufgabenwahrnehmung des Personal- bzw- Betriebsrats vertritt ver.di die Auffassung, dass auch für die Aufgabenwahrnehmung der Betrieblichen Kommission und der Gesundheitszirkel die erforderlichen Mittel bereitzustellen sind. Die Festlegung eines Budgets bietet zwar scheinbare Planungssicherheit, birgt jedoch die Gefahr, dass erforderliche Maßnahmen aus Haushaltsgründen abgelehnt werden.

Investitionen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz Bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln und der Entscheidung über Maßnahmen ist darauf zu achten, dass die neuesten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse Berücksichtigung finden.

Zuschussfähige MaßnahmenDer Arbeitgeber ist verpflichtet zu prüfen, ob bei Maßnahmen des betrieblichen Gesund-heitsschutzes, die schwerbehinderte Menschen betreffen, Zuschüsse des Integrations-amtes in Anspruch genommen werden können.

Salvatorische Klausel Die Nutzung einer salvatorischen Klausel sollte genau bedacht werden. Grundsätzlich stehen Personal- bzw. Betriebsrat vor folgendem Problem. Eine Dienst- bzw. Betriebsver-einbarung stellt immer einen Kompromiss zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertre-tung dar. Für beide Seiten beinhaltet dieser ein Geben und Nehmen. Wenn nun eine Vertragspartei feststellt, dass sie an einem Regelungstatbestand, dass bei dem sie Zuge-ständnisse gemacht hat, eine rechtliche Anfechtung aussichtsreich ist und dieser Weg aus Interessensgründen dann auch beschritten wird, muss sich die andere Partei fragen, ob der verbleibende Rest des einstigen Kompromisses für sie noch tragfähig bzw. nutzbrin-gend ist. Konsequenz daraus wäre i.d.R. die erneute Verhandlung einer Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung.

Ungeachtet dieses grundsätzlichen Einwandes, der im Personal- bzw. Betriebsrat diskutiert werden sollte, empfiehlt sich folgende Formulierung einer salvatorischen Klausel:

Die Ungültigkeit einzelner Regelungen dieser Vereinbarung berührt nicht den Bestand der Vereinbarung im Übrigen. Beide Seiten erklären sich bereit, unverzüglich Verhandlungen über eine Ersatzregelung aufzunehmen. Ziel ist hierbei, die rechtsunwirksame Bestimmung durch eine solche zu ersetzen, die der ursprünglichen Zielsetzung möglichst gerecht wird. Ergänzende Vereinbarungen zu dieser Betriebsvereinbarung sind jederzeit möglich, ohne dass hierzu diese Betriebsvereinbarung gekündigt werden muss.

Schlussbestimmung Diese Betriebs-/Dienstvereinbarung tritt am ... in Kraft und ist mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende, erstmals zum ..., kündbar. Im Falle der Kündigung ist die Nachwirkung bis zum Neuabschluss vereinbart.

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8. Die Geschäftsordnung der Betrieblichen Kommission

Eine Mustergeschäftsordnung ist in dieser Broschüre nicht enthalten. Wir haben darauf verzichtet, da die inhaltlichen Regelungen an die Regelungen in den entsprechenden Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen angepasst werden sollten.

Zentrale Inhalte einer Geschäftsordnung sollten jedoch sein:

• Zuständigkeit und Wahl der Geschäftsführung (Aufgaben: Einladung und Festlegung der Tagesordnung)

• Festlegung der Sitzungsleitung• Ladungsfristen• Regelungen zu erforderlichen Unterlagen (Einladung, Tagesordnung sowie weitere

Unterlagen)• Abstimmungsregelungen (empfehlenswert ist: Beschlussfähigkeit ist gegeben bei ord-

nungsgemäßer Einladung, Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst)• Fristen für die Bearbeitung von Beschwerden• Zusammenarbeit mit dem Personal- bzw. Betriebsrat und dem Arbeitgeber• Rechtsfolgen bei Fristüberschreitung (direkte Weiterleitung an den Personal- bzw.

Betriebsrat)• Regelmäßige Unterrichtung der Beschäftigten über die Arbeit der Kommission unter

Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorschriften• Ausscheiden aus der Betrieblichen Kommission (sollte unverzüglich dem Personal- bzw.

Betriebsrat und Arbeitgeber angezeigt werden)

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9. Anlage A

Tarifvertragstext durchgeschriebene Fassung für den Bereich Verwaltung (TVÖD-V)

Anlage

D.12 Besondere Regelungen für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst

Zu Abschnitt I Allgemeine Vorschriften Entspricht redaktionell angepasst den §§ 1 bis 3 der Anlage zu Abschnitt VIII Sonderrege-lungen § 56 BT-V

Nr. 1

zu § 3 – Allgemeine Arbeitsbedingungen – Betrieblicher Gesundheitsschutz/Betriebliche Gesundheitsförderung

(1) Die nachfolgenden Regelungen gelten für die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungs-dienstes, soweit sie nach Maßgabe des Anhangs zur Anlage C eingruppiert sind.

(2) Betriebliche Gesundheitsförderung zielt darauf ab, die Arbeit und die Arbeitsbedin-gungen so zu organisieren, dass diese nicht Ursache von Erkrankungen oder Gesundheits-schädigungen sind. Sie fördert die Erhaltung bzw. Herstellung gesundheitsgerechter Ver-hältnisse am Arbeitsplatz sowie gesundheitsbewusstes Verhalten. Zugleich werden damit die Motivation der Beschäftigten und die Qualitätsstandards der Verwaltungen und Betrie-be verbessert. Die betriebliche Gesundheitsförderung basiert auf einem aktiv betriebenen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dieser reduziert Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und verbessert durch den Abbau von Fehlzeiten und die Vermeidung von Betriebsstörungen die Wettbewerbsfähigkeit der Verwaltungen und Betriebe. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die betriebliche Gesundheitsförde-rung gehören zu einem zeitgemäßen Gesundheitsmanagement.

(3) Die Beschäftigten haben einen individuellen Anspruch auf die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Die Durchführung erfolgt nach Maßgabe des Gesetzes über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz). Die Beschäftigten sind in die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Sie sind über das Ergebnis von Gefährdungsbeurteilungen zu unterrichten. Vorgesehene Maß-nahmen sind mit ihnen zu erörtern. Widersprechen betroffene Beschäftigte den vorgese-henen Maßnahmen, ist die betriebliche Kommission zu befassen. Die Beschäftigten kön-nen verlangen, dass eine erneute Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, wenn sich die Umstände, unter denen die Tätigkeiten zu verrichten sind, wesentlich ändern, neu entstandene wesentliche Gefährdungen auftreten oder eine Gefährdung auf Grund ver-änderter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse erkannt wird. Die Wirksamkeit der Maß-nahmen ist in angemessenen Abständen zu überprüfen.

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(4) Beim Arbeitgeber wird auf Antrag des Personalrats/Betriebsrats eine Betriebliche Kom-mission gebildet, deren Mitglieder je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Personal- bzw. Betriebsrat benannt werden. Die Mitglieder müssen Beschäftigte des Arbeitgebers sein. Soweit ein Arbeitsschutzausschuss gebildet ist, können Mitglieder dieses Ausschusses auch in der Betrieblichen Kommission tätig werden. Im Falle des Absatzes 3 Satz 6 berät die Betriebliche Kommission über die erforderlichen Maßnahmen und kann Vorschläge zu den zu treffenden Maßnahmen machen. Der Arbeitgeber führt die Maßnahmen durch, wenn die Mehrheit der vom Arbeitgeber benannten Mitglieder der Betrieblichen Kommis-sion im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber dem Beschluss zugestimmt hat. Gesetzliche Rechte der kommunalen Beschlussorgane bleiben unberührt. Wird ein Vorschlag nur von den vom Personalrat/Betriebsrat benannten Mitgliedern gemacht und folgt der Arbeitge-ber diesem Vorschlag nicht, sind die Gründe darzulegen. Die Betriebliche Kommission ist auch für die Beratung von schriftlich begründeten Beschwerden zuständig, wenn der Arbeitgeber eine erneute Gefährdungsbeurteilung ablehnt. Der Arbeitgeber entscheidet auf Vorschlag des Arbeitsschutzausschusses bzw. der Betrieblichen Kommission, ob und in welchem Umfang der Beschwerde im Einzelfall abgeholfen wird. Wird dem Vorschlag nicht gefolgt, sind die Gründe darzulegen.

(5) Die Betriebliche Kommission kann zeitlich befristet Gesundheitszirkel zur Gesundheits-förderung einrichten, deren Aufgabe es ist, Belastungen am Arbeitsplatz und deren Ursa-chen zu analysieren und Lösungsansätze zur Verbesserung der Arbeitssituation zu erar-beiten. Sie berät über Vorschläge der Gesundheitszirkel und unterbreitet, wenn ein Arbeitsschutzausschuss gebildet ist, diesem, ansonsten dem Arbeitgeber, Vorschläge. Die Ablehnung eines Vorschlags ist durch den Arbeitgeber zu begründen. Näheres regelt die Geschäftsordnung der Betrieblichen Kommission.

(6) Zur Durchführung ihrer Aufgaben sind der Betrieblichen Kommission die erforderlichen, zur Verfügung stehenden Unterlagen zugänglich zu machen. Die Betriebliche Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, in der auch Regelungen über die Beteiligung der Beschäf-tigten bei der Gefährdungsbeurteilung, deren Bekanntgabe und Erörterung sowie über die Qualifizierung der Mitglieder der Betrieblichen Kommission und von Gesundheitszirkeln zu treffen sind.

(7) Gesetzliche Bestimmungen, günstigere betriebliche Regelungen und die Rechte des Personal- bzw. Betriebsrats bleiben unberührt.

Protokollerklärungen: 1. Sollte sich aufgrund gerichtlicher Entscheidungen erweisen, dass die über die Zusam-

mensetzung der Betrieblichen Kommission oder die Berufung ihrer Mitglieder getrof-fenen Regelungen mit geltendem Recht unvereinbar sind, werden die Tarifvertragspar-teien Verhandlungen aufnehmen und eine ersetzende Regelung treffen, die mit geltendem Recht vereinbar ist und dem von den Tarifvertragsparteien Gewollten mög-lichst nahe kommt.

2. Die Tarifvertragsparteien stimmen darin überein, dass mit dieser Regelung außerhalb seines Geltungsbereichs der betriebliche Gesundheitsschutz/die betriebliche Gesund-heitsförderung im TVöD-V und TVöD-B nicht abschließend tariflich geregelt sind und die übrigen durchgeschriebenen Fassungen des TVöD von der hier getroffenen Regelung unberührt bleiben.

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10. Anlage B Arbeits- und Gesundheitsschutz der gesetzliche Rahmen

Die Basis für den ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz bilden Gesetze und Regel-werke staatlicher und selbstverwalteter Organisationen. Dieser Schutz besitzt ein doppel-tes Fundament, das nationale und europäische Recht.

10.1. Die europäische Ebene

Auf europäischer Ebene wurde zur Vereinheitlichung des Arbeits- und Gesundheitsschut-zes eine Vielzahl von Richtlinien erlassen. Hierzu gehören unter anderen:

• die Rahmenrichtlinie zur Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicher-heit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer/-innen bei der Arbeit,

• die Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung,• die Richtlinie über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesund-

heitsschutzes bei der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Arbeitnehmer/-innen insbesondere eine Gefährdung der Lendenwirbelsäule mit sich bringt,

• die Richtlinie über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesund-heitsschutzes an Bildschirmgeräten.

Die Bedeutung der EU-Rahmenrichtlinien

Sie sind als allgemeines europäisches Gesetz anzusehen und durch Einzelrichtlinien, die als Mindestvorschriften gelten, zu präzisieren und auszufüllen.

Die Richtlinien sind in nationales Recht umzusetzen. So ist z. B. die Rahmenrichtlinie „Arbeitsschutzrecht“ die Grundlage, auf der das Arbeitsschutzgesetz erlassen wurde. Das Arbeitsschutzgesetz ist durch eine Reihe von Verordnungen konkretisiert worden, die entsprechende europäische Einzelrichtlinien umsetzen.

Durch die Überführung in nationales Recht sind die Arbeitgeber verpflichtet, sich an Geset-ze und Verordnungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu halten und sie anzuwenden. Allerdings haben Beschäftigte in der Privatwirtschaft nicht die Möglichkeit, sich unmittel-bar auf nicht fristgerecht oder unzureichend umgesetzte Richtlinien zu berufen. Die natio-nalen Gerichte sind jedoch zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechtes verpflichtet.

• Im öffentlichen Dienst wirken die EU-Richtlinien unmittelbar. Das bedeutet, dass sich Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unmittelbar auf nicht fristgerecht oder unzurei-chend umgesetzte EU-Richtlinien berufen können.

• Auf jeden Fall ist ein Blick in die europäischen Richtlinien nützlich, besonders im öffent-lichen Dienst.

• Um den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu fördern, wurde auf der europäischen Ebene eine Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz eingerichtet.

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10.2 Der bundesrepublikanische Rahmen

Auf nationaler Ebene treffen wir arbeits- und gesundheitsschutzrelevante Aspekte in ver-schiedenen Gesetzen und Regelwerken wieder, die sich unter anderem aus der Umsetzung des europäischen Rechts ergeben.

Ausgangspunkt ist das Grundgesetz mit seinem verbürgten Recht auf Leben und körper-liche Unversehrtheit. Damit wird der Gesetzgeber verpflichtet, Arbeitsschutzvorschriften zu erlassen. Dabei hat er internationales Recht, soweit er einzelne Abkommen ratifiziert hat, zu berücksichtigen und europäisches Recht in nationales Recht umzusetzen.

Die Grundlagen für die Ausgestaltung und Umsetzung von Regeln zur Erhaltung der Gesundheit und Erwerbsfähigkeit der Beschäftigten bilden das Arbeitsschutzgesetz, das hauptsächlich Pflichten des Arbeitgebers regelt, und das Arbeitssicherheitsgesetz, in dem unter anderem die Bestellung und die Aufgaben von Betriebsärzten und -ärztinnen und Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie die Einrichtung von Arbeitsschutzausschüssen geregelt sind.

Neben diesen Gesetzen existieren weitere, die sich auf spezifische Personengruppen bezie-hen. Dazu zählen u. a. das Mutterschutzgesetz, das Jugendschutzgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sowie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.

Darüber hinaus werden vom Gesetzgeber Verordnungen erlassen, z. B. die Arbeitsstätten-verordnung, die Biostoffverordnung, die Gefahrstoffverordnung, die Bildschirmarbeitsver-ordnung sowie die Lastenhandhabungsverordnung.

* Quelle: Kittner, Michael, und Pieper, Ralf: Arbeitsschutzrecht für die Praxis, Frankfurt/Main, 1999

Rechtliche Gliederung des Arbeitsschutzes

Rechtliche Gliederung des Arbeitsschutzes

Individuelles Arbeitsschutz-

recht

Kollektives Arbeitsschutz-

recht

Staatliches Arbeitsschutz-

recht

Privates Recht

§ 618 BGBBetr VGPers VG

Tarif-verträge

Transformation Öffentliches Recht

Unfallversiche-rungsrechtliches Arbeitsschutz-

recht

SGB VII (SGB V)UVVAW

ArbSchGASiG

ArbZGGSG

ChemGGenTGVO, AVV

Regeln, Normen, Erkenntnisse

Grundgesetz

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Die Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit

Bund, Länder und Unfallversicherungsträger wollen zukünftig im Bereich der Prävention in engerer Abstimmung und auf der Grundlage gemeinsam festgelegter Arbeitsschutz ziele handeln.

Die aus der Zusammenarbeit entstandene bundesweit geltende Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) hat das Ziel, Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch einen abgestimmten und systematisch wahrgenommenen Arbeitsschutz zu erhal-ten, zu verbessern und zu fördern – ergänzt durch Maßnahmen der betrieblichen Gesund-heitsförderung.

Die dort gesteckten Ziele und die geplanten Maßnahmen können ein guter Ansatzpunkt für eine Verzahnung mit betrieblichen Aktivitäten sein und so die betrieblichen Zielset-zungen unterstützen.

Rechtliche Grundlagen im Überblick:

• Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG• Arbeitssicherheitsgesetz – ASiG• Arbeitszeitgesetz – ArbZG• Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV• Betriebsverfassungsgesetz und Personalvertretungsgesetze

– BetrVG/ BPersVG/ LPersVG• Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV• Biostoffverordnung – BioStoffV• Bildschirmarbeitsverordnung – BildschirmarbeitsVO• Gefahrstoffverordnung – GefStoffV• Infektionsschutzgesetz – Anforderungen an Gemeinschaftseinrichtungen – IfSG• Jugendarbeitsschutzgesetz – JArbSchG• Lärm- und Vibrationsschutzverordnung – LärmVibrationsArbSchV• Lastenhandhabungsverordnung – LasthandhabVO• Mutterschutzgesetz/Mutterschutzarbeitsverordnung – MuSchG/MuSchArbV• Sozialgesetzbücher: Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rehabilitation und Teil-

habe behinderter Menschen – SGB V; VII; IX• Tarifverträge• Unfallverhütungsvorschriften der Unfallversicherung• Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher

Schutzausrüstungen – PSA-BV• Verordnung zur medizinischen Vorsorge – ArbMedVV

Über diese allgemein geltenden Gesetze und Verordnungen hinaus gibt es Verordnungen und Gesetze, die für bestimmte Berufsgruppen gelten. Diese sind den jeweiligen Unfall-versicherungsträgern und den jeweiligen ver.di-Fachbereichen bekannt.

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Die Sozialversicherungen

Weitere Akteure im Arbeits- und Gesundheitsschutz sind die selbstverwalteten Sozialver-sicherungsträger, deren Aufgaben in den einzelnen Sozialgesetzen verankert sind.

Ausgehend von den jeweiligen Aufträgen der Sozialversicherungsträger sind sie wichtige Ansprechpartner für die betrieblichen Interessenvertretungen und Arbeitgeber. Sie können bei der Entwicklung von Präventionsangeboten und Maßnahmen unterstützend wirken, indem sie ihr Erfahrungs- und Expertenwissen einbringen und so den Prozess der Gestal-tung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen insgesamt begleiten.

SGB VII – Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften, Unfallkassen): Den gesetzlichen Rahmen für die Unfallversicherung bildet das Sozialgesetzbuch VII. Dort ist ihr als Aufga-be zugewiesen, „mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und – sofern dies nicht gelungen ist – nach Eintritt von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die Gesundheit und die Lei-stungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen (…). Hierzu gehörten auch Präventionsarbeit sowie die Berufung von Sicherheitsbeauftragten. Die konkrete Umsetzung des gesetzlichen Auftrages wird durch Arbeitgeber und Versi-cherte eigenständig und gemeinsam geregelt. Sie erlassen Unfallverhütungsvorschriften, die entsprechend bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen sind und Ziele des Arbeitsschutzgesetzes unterstützen.“

SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen: In dieses Gesetz wurde das Schwerbehindertenrecht integriert. Darüber hinaus greift das Gesetz auch für Beschäftig-te, die länger als sechs Wochen im Jahr krank sind. Daher ist es im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu berücksichtigen.

Dabei spielen folgende Regelungen eine wesentliche Rolle:

• der Vorrang der Prävention, • der Vorrang von Leistungen zur Teilhabe,• das Zusammenwirken der Leistungen und die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger, • die gemeinsamen Servicestellen, • die stufenweise Wiedereingliederung, • die Teilhabe am Arbeitsleben und• das betriebliche Eingliederungsmanagement.

SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung: Ziel der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Erhaltung der Gesundheit der Versicherten. Zur Versichertengruppe gehören mit einem nicht unerheblichen Prozentsatz Beschäftigte und Ruheständler/-innen, deren Krankheits-verlauf auch auf das frühere Arbeitsleben zurückzuführen ist. Daher enthält das Gesetz auch Regelungen, die sich konkret auf die Gesundheit am Arbeitsplatz beziehen, um frühzeitig Krankheitsrisiken zu minimieren.

Hierzu zählen: • Prävention und Selbsthilfe, • betriebliche Gesundheitsförderung, • Prävention, bezogen auf arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, und • Förderung der Selbsthilfe und Leistungen medizinischer Rehabilitation.

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SGB VI – Gesetzliche Rentenversicherung: Eine der Regelungen dieses Gesetzes ist die Absicherung der Beschäftigten gegen Einschränkungen oder den Verlust der Erwerbsfä-higkeit. Daher soll die Rentenversicherung alle Mittel für die Rehabilitation nutzen, damit Beschäftigte z. B. nicht in die Erwerbsminderungsrente fallen. Zu ihren Aufgaben gehören:

• Leistungen medizinischer Rehabilitation,• Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und • Leistungen, die den Auswirkungen von Krankheit oder körperlicher, geistiger oder

seelischer Behinderung entgegenwirken, sie zu überwinden helfen und dazu beitragen, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern.

Das Arbeitsschutzgesetz Ausgangspunkt für die weitere Betrachtung ist das Arbeitsschutzgesetz, auf das an dieser Stelle konkreter eingegangen werden soll.

Der gesetzliche Rahmen

Das Arbeitsschutzgesetz hat zum Ziel: • vor gesundheitlichen Gefährdungen bei der Arbeit und durch die Arbeit zu schützen, • Unfälle zu verhüten und Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen zu

vermeiden und• Arbeit menschengerecht zu gestalten und die Arbeitsbedingungen den Menschen anzu-

passen.

Im Gesetz ist festgelegt, was unter Maßnahmen im Sinne des Arbeitsschutzes zu verstehen ist. Hierzu gehören entsprechend der Zielsetzung Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit, d. h. sie richten sich nach dem Maßstab Mensch, was bedeutet, dass die tägliche Arbeit den Bedingungen, Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Beschäftigten gerecht werden muss. Ziel ist eine allgemeine Verbesserung der Verhältnis-se, unter denen die Arbeit zu erbringen ist.

Bei der Entwicklung der Maßnahmen sind die aktuellen Erkenntnisse der Arbeitswissen-schaft zu berücksichtigen. Diese beziehen sich sowohl auf Umwelteinflüsse (z. B. Ergono-mie und die Gestaltung der Arbeitsumgebung) als auch auf soziale Aspekte wie Motiva-tion, Führungsstrukturen und Kommunikation.

Wichtig: Die Pflichten des Arbeitgebers

Im Arbeitsschutzgesetz sind die Grundpflichten des Arbeitgebers verankert. Er ist verpflich-tet, seinen Betrieb nach den Anforderungen des Arbeitsschutzes auszurichten und zu führen.

• Vom Grundsatz her darf er Kosten, die für diese Maßnahmen entstehen, nicht den Beschäftigten auferlegen.

Wichtig: Die Pflichten und Rechte der Beschäftigten

Auch für die Beschäftigten leiten sich vom Gesetz Rechte und Pflichten ab: Sie haben ein Vorschlagsrecht zu Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes. Des weiteren steht ihnen das Recht der Beschwerde zu – in bestimmten Situationen können sie sich auch an Stellen außerhalb des Betriebes wenden.

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Sie sind aber auch verpflichtet, für ihre Sicherheit und Gesundheit zu sorgen, z. B. durch ein gesundheitsbewusstes Verhalten sowie durch die Beachtung der Unterweisungen und Weisungen des Arbeitgebers.

• Ein Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften kann zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen.

Doch Beschäftigte können sich umso besser gesundheits- und sicherheitsbewusst verhal-ten, je umfassender die Rahmenbedingungen – also die Verhältnisse – es ermöglichen.

Klartext im Arbeitsschutzgesetz

Daher hat das Arbeitsschutzgesetz auch Instrumente verankert, die den gesamten Verän-derungsprozess hin zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit unterstützen sollen.

Zum einen sind darin allgemeine Grundsätze festgelegt, an denen sich die Maßnahmen konkret orientieren müssen. Hierzu gehören beispielhaft: • die Bekämpfung der Gefahren an der Quelle und • die Pflicht, Maßnahmen so zu planen, dass Technik, Arbeitsorganisation, sonstige

Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und der Einfluss der Umwelt auf den Arbeits-platz sachgerecht miteinander verknüpft werden.

10.3 Zentrales Instrument: Die Gefährdungsbeurteilung

Kernstück des Arbeits- und Gesundheitskonzeptes und auch der Etablierung eines Gesund-heitsmanagements ist die Gefährdungsbeurteilung, deren Durchführungspflicht ebenfalls im Gesetz verankert ist. Damit wird, dank der europäischen Vorgaben, auch im deutschen Arbeitsschutzrecht ein strategischer Neuansatz verwirklicht.

Die Gefährdungsbeurteilung zielt darauf ab, mögliche Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz frühzeitig zu erkennen und schließlich zu vermeiden oder zu vermindern. Wie die Gefähr-dungsbeurteilung konkret umgesetzt werden soll, hat der Gesetzgeber weitgehend offen gelassen. Festgelegt ist, dass sie regelmäßig durchzuführen ist, eine Dokumentation erfol-gen muss und anhand der Gefährdungsanalyse Maßnahmen zum Abbau der Gefährdun-gen abzuleiten und umzusetzen sind.

In Ergänzung des Arbeitsschutzgesetzes wurde im Rahmen der GDA eine „Leitlinie Gefähr-dungsbeurteilung und Dokumentation“ entwickelt, die den überbetrieblichen Akteuren (Unfallversicherung, Gewerbeaufsicht) ein Instrument zum gemeinsamen Vorgehen bei der Beratung und Überwachung der Betriebe an die Hand gibt. Es ist sinnvoll, diese Leit-linie bei der betrieblichen Umsetzung einzubeziehen.41

Neben den gesetzlichen Grundlagen kommt auch den von Gewerkschaften durchgesetz-ten Tarifverträgen und der betrieblichen Interessenvertretung bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen eine wesentliche Rolle zu.

41 Weitere interessante Informationen unter: www.gda-portal.de

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Der Tarifvertrag

Nach dem Tarifvertragsgesetz regeln die Tarifvertragsparteien u. a. Inhalte, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Sie können demnach auch auf die Gestaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes durch entsprechende Regelungen Einfluss nehmen.

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse:Der gesetzliche Auftrag

In den gesetzlichen und rechtlichen Grundlagen des betrieblichen Arbeits- und Gesund-heitsschutzes wird immer wieder auf die Bedeutung der „arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse“ verwiesen. Um diese rechtlichen Grundlagen sinnvoll auf der betrieblichen Ebene anwenden zu können, ist es notwendig, zumindest einen groben Überblick über diese Forschung zu bekommen: So schreibt z. B. das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) seit 1996 den Arbeitgebern vor, auf der Basis von „gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen“ Maßnahmen zur Unfallverhütung und zur Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren (§ 2) zu ergreifen. Zum anderen erlegt das Gesetz dem Arbeitgeber die Pflicht auf, „Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit“ durchzu-führen. Die übergeordnete Zielrichtung des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet die Unter-nehmen dazu, eine kontinuierliche Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben (§ 1, § 3).

Betriebliche Interessenvertretungen, die für die Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben im Sinne der Beschäftigten sorgen wollen, brauchen demnach Basiskenntnisse über die folgenden Punkte:

• Was bedeutet menschengerechte Gestaltung der Arbeit?

• Was sind arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren? Und: Welche die Arbeit beeinflussen-den Faktoren sind zur Verhütung von Gesundheitsgefahren und zur Prävention bedeut-sam?

• Welchen Einfluss hat die Gestaltung der Arbeit auf das Wohlbefinden der Beschäftigten?

Menschengerechte Gestaltung der Arbeit: Eine Definition

Seit den 1970er-Jahren werden in der arbeitswissenschaftlichen Forschung Modelle ent-wickelt, die Kriterien menschengerechter Arbeit definieren und Eingang ins Arbeitsschutz-gesetz und in die Normung gefunden haben. Ein allgemein akzeptiertes Modell stammt von Ulich (2001), der die vier Eckpfeiler physische und psychische Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit, Persönlichkeitsförderlichkeit und Zumutbarkeit unterscheidet.

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Menschengerechte Arbeit: Die Eckpfeiler

Menschengerechte Arbeit*

• schädigt die körperliche und psychische Gesundheit der Beschäftigten nicht,• beeinträchtigt das psychosoziale Wohlbe�nden nicht – oder allenfalls vorübergehend,

• entspricht den Bedürfnissen und Quali�kationen der Beschäftigten, ermöglicht individuelle und/oder kollektive Ein�ussnahme auf die Arbeitsbedingungen und• leistet einen Beitrag zur Persönlichkeits- entwicklung im Sinne der Enfaltung Ihrer Potenziale und der Förderung Ihrer Kompetenzen. *nach Ulrich 2001

MenschengerechteArbeit

Schädigungs-losigkeit

Beeinträch-tigungs-freiheit

Zumut-barkeit

Persönlich-keits-

förderlichkeit

• Das erste Kriterium, die Schädigungslosigkeit, fragt danach, ob die Arbeit zu körper-lichen oder psychischen Schädigungen führt. Schädigungen sind langfristig spürbar. Sie können im Rahmen einer normalen Regenerationszeit in der Regel nicht rückgängig gemacht werden. Beispiele für Schädigungen sind Muskel-Skelett-Erkrankungen in Folge einseitiger Arbeit oder Zwangshaltungen.

• Das zweite Kriterium fragt nach Beeinträchtigungen des psychosozialen Wohlbe-findens, die sich zum Beispiel in Gereiztheit, Ängstlichkeit oder Erschöpfung ausdrük-ken. Solche Beeinträchtigungen können langfristig zu psychosomatischen Schädigun-gen führen. Diese beiden Kriterien entsprechen der Forderung, Arbeit so zu gestalten, dass sie – auch längerfristig – nicht krank macht.

• Das dritte Kriterium, die Persönlichkeitsförderlichkeit, geht darüber hinaus und fragt nach Möglichkeiten und Chancen, die die Arbeitstätigkeit für die persönliche Entwick-lung des arbeitenden Menschen bietet. Für die Gestaltung persönlichkeitsförderlicher Arbeit wurden sieben Humankriterien definiert, die diese Dimension konkretisieren.

• Das vierte Kriterium, die Zumutbarkeit, betrifft die Frage, ob eine Arbeit den Qualifi-kationen und dem Anforderungsniveau der arbeitenden Person entspricht. Die Bewer-tung erfolgt somit im Hinblick auf konkrete Gruppen oder Einzelpersonen, auf deren aktuelle Qualifikationen und Bedürfnisse. Die genannten Bewertungskriterien führen zur folgenden Definition humaner Arbeitstätigkeiten:

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„Als human werden Arbeitstätigkeiten bezeichnet, die die psychophysische Gesundheit der Arbeitstätigen nicht schädigen, ihr psychosoziales Wohlbefinden nicht – oder allenfalls vorübergehend – beeinträchtigen, ihren Bedürfnissen und Qualifikationen entsprechen, individuelle und/oder kollektive Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen und Arbeitssyste-me ermöglichen und zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Entfaltung ihrer Potenziale und Förderung ihrer Kompetenzen beizutragen vermögen.“ Ulich (2001).

Die sieben Humankriterien

Durch das Arbeitsschutzgesetz und seine Bezugnahme auf eine menschengerechte Arbeitsgestaltung ist die Orientierung an diesem Modell zum verbindlichen Auftrag für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz geworden. Für Bürobeschäftigte mitBildschirmarbeiten gilt darüber hinaus die DIN EN ISO 9241-2, eine Norm, die die ergo-nomische Gestaltung von Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten regelt. In dieser Norm sind Leitsätze definiert, die sich zu sieben Humankriterien zusammenfassen lassen und im Wesentlichen die oben genannten Kriterien „Persönlichkeitsförderlichkeit“ und „Zumut-barkeit“ konkretisieren.

Danach sind Arbeitsaufgaben dann menschengerecht gestaltet, wenn:

1. die Erfahrungen und Fähigkeiten der Beschäftigten berücksichtigt werden (Benutzerorientierung),

2. sie die Entfaltung unterschiedlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten gestatten (Vielseitigkeit),

3. sie Arbeitsschritte von der Planung bis zur Kontrolle ermöglichen (Ganzheitlichkeit), 4. der/die Arbeitende seinen/ihren Beitrag am Gesamten erkennt (Bedeutsamkeit), 5. angemessener Handlungsspielraum besteht (Handlungsspielraum), 6. ausreichende Rückmeldung erfolgt (Rückmeldung) und 7. vorhandene Fertigkeiten genutzt und neue entwickelt werden können

(Entwicklungsmöglichkeiten).

Die DIN EN ISO 9241-2 ist die am weitesten entwickelte Richtlinie im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ihre konsequente Anwendung könnte die Lebensqualität von Millionen von Beschäftigten, die im Büro oder an Bildschirmarbeitsplätzen arbeiten, nach-haltig verbessern. Durch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung zum betrieblichen Gesundheitsschutz oder durch einen entsprechenden Tarifvertrag lässt sich der Geltungs-bereich dieser umfassenden Norm auf weitere Beschäftigtengruppen ausdehnen.

Die rechtliche Ausgangslage

„Menschengerechte Arbeitsgestaltung“ ist seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz und die darin verankerte Forderung nach „Berücksichtigung von gesicherten arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnissen“ eine betriebliche Aufgabe – auch wenn davon in der Praxis noch wenig zu spüren ist. Fakt ist aber, dass betriebliche Interessenvertretungen, die den betrieblichen Gesundheitsschutz voranbringen wollen, ausgesprochen gute gesetzliche und arbeitswissenschaftliche Grundlagen vorfinden:

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• Zahlreiche Richtlinien und Verordnungen regeln die Berücksichtigung von Grenzwerten, um Schädigungen und Beeinträchtigungen durch körperliche Arbeitsanforderungen und Umgebungsbedingungen zu vermeiden.

• Einen guten Überblick über diese Richtlinien findet man auf der Internetplattform www.gefaehrdungsbeurteilung.de

Einige dieser Richtlinien geben klare Grenzwerte vor – z. B. zum Lärm- und Strahlenschutz. Andere sind weniger abschließend formuliert, z. B. Teile der Lastenhandhabungsverord-nung und der Arbeitsstättenverordnung. In ihnen finden sich Aussagen wie „angemes-sen“, „ausreichend“ – was bedeutet, dass hier grundsätzlich eine betriebliche Konkreti-sierung durch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung und/oder die Ermittlung von „Beeinträchtigungen“ durch eine Befragung der Beschäftigten notwendig ist. Wichtig ist auch hier: Die Richtschnur dieser Konkretisierungen ist stets die gesetzliche Vorgabe einer menschengerechten, d. h. schädigungslosen und beeinträchtigungsfreien Arbeitsgestal-tung! Neben den Richtlinien und Verordnungen, die die Gestaltung der körperlichen Arbeitsanforderungen und Umgebungsbedingungen regeln, existieren etliche Vorgaben, die sich auf die Gestaltung der psychischen Arbeitsanforderungen beziehen. In der allge-meingültigen Norm DIN EN ISO 10075-2 (Ergonomische Grundlagen bezüglich psychi-scher Arbeitsbelastung) werden Gestaltungsleitsätze mit dem Ziel formuliert, übermäßige psychische Belastungen im Arbeitsalltag zu vermeiden. Dabei geht es insbesondere um die Vermeidung von psychischer Ermüdung, negativem Stress, Monotonie, herabgesetzter Wachsamkeit und psychischer Sättigung.

Die arbeitswissenschaftliche Forschung: Der Ansatz

In der arbeitswissenschaftlichen Forschung werden in diesem Zusammenhang zahlreiche relevante betriebliche Einflussfaktoren ermittelt, die sowohl für die Verursachung von Gesundheitsgefährdungen als auch für die betriebliche Gesundheitsprävention ausgespro-chen bedeutsam sind. Diese lassen sich zu fünf Gruppen zusammenfassen. Es handelt sich um Einflüsse, die sich aus: 1. der Arbeitsaufgabe und dem Arbeitsinhalt, 2. der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, 3. der Arbeitsumgebung und dem Arbeitsplatz, 4. den sozialen Beziehungen – sowohl zwischen Beschäftigten und Führungskräften

als auch zwischen einzelnen Beschäftigten – und 5. der Gestaltung des Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisses ergeben.

In diesen fünf Komplexen finden sich zahlreiche Risikofaktoren für psychische Belastungen, die das Befinden und die Gesundheit der Beschäftigten negativ beeinflussen können. Gleichzeitig lassen sich in diesen Feldern auch zahlreiche Ansätze für die Gesundheitsför-derung ausmachen. Dazu gibt es einen umfangreichen und gut abgesicherten Forschungs-stand, der hier nur kurz umrissen wird.42

42 ausführlicher bei Oppolzer, A., Fehlzeitenreport 2010, 18ff.

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Arbeitswissenschaftliche Forschung: Arbeitsaufgabe, Arbeitsinhalt und Tätigkeit

• Das Risiko von psychischen Fehlbeanspruchungen liegt zum einen bei stark routinemä-ßig durchgeführten, oft gleichförmigen Tätigkeiten, die geringe Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten stellen, aber durchaus ein hohes Maß an Dauerkonzen-tration erfordern können. Die Aufgaben der Beschäftigten bestehen aus wenigen ein-seitigen Handlungen und bieten weder Abwechslung noch können Fähigkeiten oder Kompetenzen entwickelt werden. Auch die Einflussmöglichkeiten auf den Arbeitsablauf sind in der Regel sehr begrenzt. Aus diesen Bedingungen von qualitativer Unterforde-rung können erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen erwachsen, z. B. ermü-dungsähnliche Zustände und, damit verbunden, herabgesetzte Wachsamkeit – was wiederum eine häufige Ursache von Arbeitsunfällen ist.

• Zum anderen kann es zu quantitativer Überforderung kommen, vor allem wenn hohe Anforderungen durch Termin- oder Zeitdruck bzw. ein zu hohes Arbeitspensum mit zu geringen Entscheidungs- oder Handlungsspielräumen einhergehen. Solche Spielräume hingegen würden den Beschäftigten z. B. ermöglichen, zusätzliche Unterstützung anzu-fordern oder eine andere Prioritätensetzung vorzunehmen. Wenn das nicht möglich und gleichzeitig das Arbeitspensum sehr hoch ist, dann können dadurch Stresszustän-de hervorgerufen werden.

• Ähnliches gilt auch für Überforderungssituationen, die z. B. aus einer fehlenden Balan-ce zwischen den Anforderungen, die an die Fähigkeiten der Beschäftigten gestellt werden, und deren vorhandenen Qualifikationen oder Kompetenzen resultierten. Über-forderung kann aber auch durch unklare oder fehlende Aufgabenstellungen oder Infor-mationsmangel bzw. Informationsüberflutung entstehen. Insbesondere im personen-nahen Dienstleistungsbereich muss ein weiterer Risikokomplex berücksichtigt werden, nämlich die emotionalen Anforderungen, die hier zum Arbeitsalltag gehören. Wenn es beispielsweise zur Arbeitsaufgabe gehört, Freundlichkeit, Fürsorge, Trost oder andere Gefühle auszudrücken, dies aber nicht der (momentanen) Gemütslage der arbeitenden Person entspricht, entsteht eine emotionale Diskrepanz – also eine Kluft zwischen den verlangten und den tatsächlichen Gefühlen. Auch dies erhöht das Stressrisiko.

Gerade die Arbeitsaufgaben und die Tätigkeiten bieten jedoch auch zahlreiche Ansatz-punkte für eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeit:

Die weiter oben zitierten Normen weisen explizit darauf hin, dass Tätigkeiten möglichst vollständige, sinnvolle und durchschaubare Aufgaben beinhalten sollen. Durch eine Auf-gabenerweiterung, Abwechslung und Vielfalt kann der Ermüdung wirksam begegnet werden und gleichzeitig kann die Arbeit auf diese Weise dazu beitragen, dass Menschen ihre Fähigkeiten und ihr Können in der Arbeit entwickeln können.

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Arbeitswissenschaftliche Forschung: Arbeitsorganisation und Arbeitszeit

Sowohl Ablauf, Dauer, Lage und Verteilung als auch die Beeinflussbarkeit und Verlässlich-keit der Arbeitszeit sind wichtige Aspekte der Arbeitsgestaltung.

Von ihnen können Gefährdungen ausgehen oder sie können einen wichtigen Beitrag zum Wohlbefinden leisten. Wenn die Arbeitsorganisation zu wenig Personal für ein steigendes Arbeitspensum vorsieht, steigt das Risiko von Stresszuständen. Das gilt auch für Störungen und Unterbrechungen des Arbeitsablaufes, wenn dadurch die Aufmerksamkeit oder die Konzentration behindert werden.

Ein zentraler Risikofaktor besteht in einer nicht menschengerechten Gestaltung der Arbeitszeit, z. B. in überlangen Arbeitszeiten, fehlenden Pausen, Nacht- und Schichtarbeit sowie variablen, flexiblen Arbeitszeiten, die zu wenig planbar oder beeinflussbar sind. Das Risiko ist sehr hoch, dass dabei der körpereigene Rhythmus missachtet und letztlich die für die Gesundheit essenzielle Erholung und Regeneration nicht erreicht werden. Die Folge kann chronische Ermüdung bzw. Erschöpfung sein – ein Zustand, in dem Veraus-gabung und Erholung nicht mehr in einen Ausgleich gebracht werden können. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Intensität der Arbeitsanforderungen, die Arbeitsdauer und die zeitliche Verteilung in einem sensiblen Wechselverhältnis stehen: Bei steigenden Anfor-derungen, z. B. durch ein hohes Arbeitspensum, brauchen Menschen mehr Regenerati-onszeit, d. h. die Dauer der Arbeitszeit sollte verringert werden. Die Erhöhung von Inten-sität und Dauer der Arbeitszeit vergrößert das Risiko von Ermüdung exponentiell.

Aus diesem Grund sollte die Dauer der Arbeitszeit an die Intensität der Arbeitsbelastung angepasst werden. Dies fordert auch die DIN EN ISO 10075–2. Darüber hinaus existieren auch im Hinblick auf die Arbeitszeitgestaltung zahlreiche Hinweise zu deren menschen-gerechter Gestaltung, – z. B. bei ver.di und bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Arbeitswissenschaftliche Forschung: Arbeitsumgebung und Arbeitsplatz

Lärm, eine hohe Geräuschkulisse, unzureichende Beleuchtung, ein schlechtes Raumklima und andere Umgebungsbedingungen können nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, wie z. B. akustische Schädigungen nach sich ziehen, sie zeigen in vielen Fällen auch psy-chische Effekte:

Unter diesen Bedingungen ist es erheblich anstrengender, die Konzentration aufrechtzu-erhalten. Dies gilt ebenso, wenn der Arbeitsablauf durch nicht ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze, störungsanfällige Software oder Technik blockiert wird.

Arbeitswissenschaftliche Forschung: Soziale BeziehungenAuch das Führungsverhalten kann zu einer Quelle für psychische Fehlbelastungen werden – insbesondere wenn es durch unzureichende soziale Unterstützung, mangelnde Beteiligung an Planungs- und Entscheidungsprozessen, überzogene Leistungsziele, mangelnde Informa-tion und Kommunikation, hohe Kontrolle oder gar durch einen autoritären Stil geprägt ist.

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Derart unangemessenes Führungsverhalten ebenso wie Konflikte unter den Kollegen und Kolleginnen können zentrale Risikofaktoren für Stresszustände sein.

Andererseits ist ein beschäftigtengerechter Führungsstil eine wichtige Quelle sozialer Unterstützung, positiver Einbindung in Information und Kommunikation, fachlicher Unter-stützung, Anerkennung und Wertschätzung. Gesundheitsgerechtes Führungsverhalten kann dabei unterstützen, bestehende Risiken zu reduzieren und Entwicklungspotenziale bei den Beschäftigten zu schaffen und zu entfalten. Führung, die sich als Dienstleistung am Menschen versteht, leistet einen zentralen Beitrag zu menschengerechter Arbeit.

Um zu überprüfen, ob die konkrete betriebliche Gestaltung der sozialen Beziehungen einen Risikofaktor darstellt oder als Unterstützung erlebt wird, müssen die Betroffenen einbezogen werden – z. B. durch Befragungen. Im Rahmen einer Begehung oder durch beobachtende Experten hingegen lässt sich die Wirkung von Führungsverhalten auf die Beschäftigten kaum ermitteln.

Arbeitswissenschaftliche Forschung: Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse

Auch die arbeits- und sozialrechtliche sowie die tarifvertragliche Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse ist für das psychische Belastungsgeschehen von Bedeutung. Obwohl einzelne Unternehmen weder auf die rechtliche Entwicklung noch auf die wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen signifikanten Einfluss haben und sich den außerbetrieb-lichen Wirkungen auch nicht einfach entziehen können, verfügen Unternehmen in der Regel doch über erhebliche Gestaltungsspielräume.

So können die Unternehmensverantwortlichen entscheiden, ob Unsicherheiten direkt an die Beschäftigten weitergegeben werden – z. B. durch Leiharbeit, befristete Arbeitsver-hältnisse, Scheinselbstständigkeit – oder aber durch eine längerfristige und nachhaltige Personalpolitik abgefedert werden. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitsplatzun-sicherheit, hohe Anforderungen an die berufliche Flexibilität ohne entsprechende soziale Unterstützung und Förderung stellen erhebliche Risikofaktoren für Stresszustände dar.

Damit bezieht sich die betriebliche Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auch auf Aspekte wie Beschäftigungs- oder Arbeitsplatzunsicherheit.

Auf der anderen Seite wirkt sich eine partnerschaftliche Unternehmenskultur in aller Regel positiv aus. Sie vermeidet und verringert psychische Fehlbelastungen. Kennzeichen einer solchen Unternehmenskultur sind zum Beispiel die Anerkennung sowie die Förderung von existenzieller Sicherheit statt einer einseitigen Orientierung an unternehmensbezogener Flexibilität.

Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, dass die positiven oder negativen Wirkungen der Unternehmenskultur oder der betrieblichen Einstellungs- und Personalpolitik nur unter Einbeziehung der Betroffenen – sprich: der Beschäftigten – ermittelt werden können. Aspekte wie „Unsicherheit“ entziehen sich einer ausschließlich externen Beurteilung durch Dritte.

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Arbeitswissenschaftliche Forschung: Ein vorläufiges Fazit

Das Gesetz schreibt die Berücksichtigung von gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen im Rahmen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit dem Ziel vor, die Arbeit menschengerecht zu gestalten.

Wenn die betriebliche Interessenvertretung den Arbeitgeber an diesen gesetzlichen Auf-trag erinnert, kann sie mit Recht darauf verweisen, dass die bloße Reduzierung von schä-digenden oder beeinträchtigenden Gefährdungen ein wichtiger Schritt ist, jedoch zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags nicht ausreicht. Arbeit bietet eine Vielzahl von per-sönlichkeitsförderlichen Potenzialen – und diese müssen entfaltet werden. Arbeitsabläufe und das Arbeitsumfeld sind beeinflussbar und veränderbar. Menschengerechte Arbeit bietet den arbeitenden Menschen-, Möglichkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompe-tenzen sowie gute soziale Beziehungen zu entwickeln – und zu erleben.

Gleichzeitig bleibt ein notwendig kritischer und vor allem erweiterter Blick auf die mögli-chen Gefährdungen in der Arbeit eine zentrale Aufgabe:Kritisch zu beobachten sind neben unmittelbaren Unfallgefahren und Gefährdungen auch psychische Gefährdungen, die ihre Wurzeln auf nahezu allen betrieblichen Ebenen haben können. Ganzheitlicher Arbeits- und Gesundheitsschutz ist demnach ein weites Feld, das den Beschäftigten und deren betrieblicher Interessenvertretung vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme bietet.

Die Kapitel 7 und 8 sowie die Anlage zum gesetzlichen Rahmen wurde der ver.di-Veröf-fentlichung „Hauptsache Gesundheit – Tarif- und branchenpolitisches Drehbuch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz“ entnommen und leicht geändert.

Diese Texte wurden von der AG „Gesund arbeiten – Gut leben“ erstellt. Autor/-innen bzw. Mitwirkende daran sind: Dr. Karina Becker, Cornelia Brandt, Dr. Ulrich Brinkmann, Klaus-Jürgen Drick, Thomas Engel, Tatjana Fuchs, Michael Gümbel, Jens Hnyk, Martin Malberg, Evelyn Räder, Erhard Reinfrank, Sylvia Skrabs und Heike Werner.

Die übrigen Teile wurden unter Mitwirkung von Onno Dannenberg, Thomas Dittberner und Peter Neumann erstellt.

Diese Veröffentlichung stellt einen Teil unserer Arbeitshilfen zur Umsetzung des Tarifver-trages zum betrieblichen Gesundheitsschutz dar. Die Arbeitshilfe zur Gefährdungsbeur-teilung, insbesondere psychischer Belastungen, kann ebenfalls bei den ver.di-Geschäfts-stellen oder im ver.di-Mitgliedernetz bezogen werden.

Die nächstgelegene Geschäftsstelle von ver.di ist leicht auf der Internetseite www.verdi.de, unter dem Link „vor Ort“, zu finden.

Weitere Informationen:

www.sozialearbeit.verdi.de

https://mitgliedernetz.verdi.de/

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11. Anlage C Grundlagen der Mitbestimmung

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

In den Betrieben haben die Interessenvertretungen der Beschäftigten eine Schlüsselrolle im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Im Betriebsverfassungsgesetz finden sich in verschiedenen Paragrafen konkrete Ansatz-punkte, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz voranzubringen. Dazu zählen:• § 80 (1 Pkt. 1– 7) Allgemeine Aufgaben • § 81 (1– 4) Unterrichtungs- und Erörterungspflicht des Arbeitgebers • § 82 (1) Anhörungs- und Erörterungsrecht des Arbeitnehmers • § 84 (1– 3) Beschwerderecht • § 87 (1 Pkt. 7) Mitbestimmungsrechte • § 88 (Pkt. 1) Freiwillige Betriebsvereinbarungen • § 89 (1– 5) Arbeitsschutz • § 90 (1– 2) Unterrichtungs- und Beratungsrechte • § 91 Mitbestimmungsrecht

Betriebsräte erhalten damit zwei verschiedene Beteiligungsrechte. Bei ausfüllungsbedürftigen Rahmenvorschriften greift das volle Mitbestimmungsrecht. Bei Vorschriften, die keinen Gestal-tungsspielraum zulassen, greift das Überwachungsrecht und die Überwachungspflicht.

• Als Anknüpfungspunkt zu den außerbetrieblichen Aufsichtsstellen – Arbeitsschutzbe-hörde, Berufsgenossenschaft – bietet sich die aktive Zusammenarbeit bei der Umset-zung von Arbeits- und Gesundheitsschutzzielen an.

Allerdings sind gerade in Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die Beschäftigten wichtige Akteure. Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz und die ihn ergän-zenden bzw. ausfüllenden Vorschriften verpflichtet, für menschengerechte Arbeitsbedin-gungen zu sorgen. Die Beschäftigten müssen jedoch bereit sein, die angebotenen „Ver-hältnisse“ auch anzunehmen und umzusetzen (§§ 15; 16 ArbSchG).

Auf das Arbeitsschutzgesetz bezogen, erhält der Betriebsrat einen Zuwachs an Mitbestim-mungsmöglichkeiten, da dies eine betriebliche Konkretisierung geradezu erfordert. Durch weitgefasste Formulierungen wurde vom Gesetzgeber ein weiter Spielraum sowohl den Tarifvertragsparteien als auch den Betriebsparteien gelassen.

Zur Ausfüllung des Mitbestimmungsrechtes in Bezug auf das Arbeitsschutzgesetz kommen vor allem folgende Rahmenvorschriften in Betracht:

• § 3 – Grundpflicht des Arbeitgebers zur Verbesserung des betrieblichen Arbeitsschutzes; Bereitstellung einer entsprechenden Organisation

• § 4 – allgemeine Grundsätze für Arbeitsschutzmaßnahmen • § 5 – Beurteilung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber • § 6 – Dokumentationspflicht

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• § 7 – Aufgabenübertragung durch den Arbeitgeber an entsprechend geeignete und qualifizierte Beschäftigte

• § 8 – Zusammenarbeit mehrerer Arbeitgeber, Vergewisserung über den Stand der Unterweisungen von Fremdbeschäftigten (z. B. Leiharbeiter/-innen)

• § 9 – Planung und Durchführung von Maßnahmen bei besonderen Gefahren • § 11 – medizinische Vorsorge auf Wunsch der Beschäftigten • § 12 – Unterweisung der Beschäftigten • § 13 – Übertragung von Pflichten des Arbeitgebers nach §§ 3–14 auf Personen gem.

§13 ArbSchG

Die Gefährdungsbeurteilung bildet die Grundlage für die daraus abzuleitenden konkreten Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Daher sind Strukturen und Verfahren sowie Inhalte des Analyseteils zur Ermittlung von Gefährdungen ein nicht zu unterschät-zender Teil der Gefährdungsbeurteilung:

Denn, was nicht als Gefährdung ermittelt werden kann, kann keine Schutzmaß-nahme nach sich ziehen.

Viele Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes sind Vorgaben, deren konkrete Umset-zung jedoch betrieblich ausgestaltet, in vielen Fällen auch ausgehandelt werden muss. Dafür steht dem Betriebsrat das volle Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Ein-zelheiten der Gefährdungsbeurteilung zu.

Das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG)

Für den öffentlichen Bereich gelten das Bundespersonalvertretungsgesetz und die Perso-nalvertretungsgesetze der Bundesländer. Im Rahmen einer Arbeitshilfe für kommunale Personalräte wäre an dieser Stelle natürlich eine Betrachtung der landespersonalvertre-tungsrechtlichen Regelungen sinnvoll. Angesichts der umfangreichen Differenzen zwi-schen den einzelnen Landespersonalvertretungsgesetzen ist dies in der vorliegenden Bro-schüre nicht leistbar.

Um trotzdem grundsätzliche Orientierungen geben zu können, wird hier auf das Bundes-personalvertretungsgesetz eingegangen, welches als (ehemaliges43) Haupt- und Rahmen-gesetz des Personalvertretungsrechts in der Bundesrepublik betrachtet wird. Die hier dar-gestellten Regelungen des BPersVG müssen daher mit denen im jeweils gültigen Landespersonalvertretungsgesetz abgeglichen werden. Im Bundespersonalvertretungsrecht existieren verschiedene Regelungen, die auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu beziehen sind und die den Personalräten umfassende Beteiligungsrechte ermöglichen.

43 Im Zuge der Maßnahmen zur „Föderalismusreform“ ist die Rahmengesetzgebungskompetenz der Bundesregie-rung weitgehend weggefallen.

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Hierzu gehören: § 68 (1– 2) Allgemeine Aufgaben, Informationspflichten der Dienststelle § 69 (1– 5) Verfahren der Mitbestimmung § 70 (1– 2) Initiativrecht des Personalrates § 75 (3 Pkt. 1,10–11,16) uneingeschränktes Mitbestimmungsrecht § 76 (2 Pkt. 5 – 7) eingeschränkte Mitbestimmung § 81 Beteiligung beim Arbeitsschutz

Der Personalrat hat konkrete Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsmittel. Die Mitbestimmungsrechte erstrecken sich auch auf körperliche Anforderungen und psychische Belastungen der Beschäftigten.

Das uneingeschränkte Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf die Bestellung von Vertrauens- und Betriebsärzten, Maßnahmen zur Verhütung von Arbeits- und Dienstunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze.

Darunter fallen auch Einzelmaßnahmen, die eine Entstehung von Gesundheitsschäden verhindern, Unfälle mindern bzw. vermeiden sollen und einen effektiven Gesundheits-schutz gewährleisten. Unter sonstigen Gesundheitsschädigungen sind alle medizinisch feststellbaren Verletzungen und arbeitsbedingten Erkrankungen, die die physische und psychische Integrität der Beschäftigten beeinträchtigen, zu verstehen.

Der Personalrat ist zudem verpflichtet, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden und Unfallkassen zu unterstützen. Diese Verpflichtung umfasst unter anderem Anregung, Beratung und Auskunft. Darüber hinaus hat er sich für die Umsetzung der Arbeitsschutz-vorschriften und die Unfallverhütung einzusetzen. Um seinen Aufgaben gerecht werden zu können, ist der Personalrat bei allen mit dem Arbeitsschutz in Zusammenhang stehen-den Besichtigungen einzubeziehen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 BPersVG).

Mit dem Arbeitsschutzgesetz sind die Pflichten des Arbeitgebers und damit der Inhalt der Informations-, Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte konkretisiert worden.

Regelungsbedarf kann sich ergeben bei der:

• Durchführung der Gefährdungsbeurteilung, • Planung von Maßnahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der

Beschäftigten, • Dokumentationspflicht des Arbeitgebers, • Überprüfbarkeit der Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen,• Unterweisung der Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Dienst-

stelle und der Mitwirkung an der Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes

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Die Rechte des Personalrats

Das Mitbestimmungsrecht besteht bei allen Maßnahmen, die sich unmittelbar auf die Arbeitssicherheit von Beschäftigten auswirken. Nach einer Entscheidung des Bundesver-waltungsgerichtes44 gehört die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG nicht dazu. Die Richter haben darin eine vorbereitende Handlung gesehen, welche nicht der Mitbe-stimmung unterliegt.

Diese Rechtsprechung berücksichtigt jedoch nicht, dass mit dem Tarifvertrag ein weiterer Weg eröffnet wurde. Nun hat der Personalrat über die Generalklausel45 des BPersVG im Zuge der Rechtskontrolle, die sich aus der Überwachungsbefugnis ergibt, einen weiteren Zugang zur Einflussnahme auf die Gestaltung der Gefährdungsbeurteilung.

Darüber hinaus stehen dem Personalrat in jeder Phase der Planung und Gestaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes spezielle Informations- und Antragsrechte zu. So ist der Personalrat bei allen mit dem Arbeitsschutz in Zusammenhang stehenden Angelegenhei-ten hinzuzuziehen. Das bedeutet, dass er über Fragebogenaktionen im Zusammenhang mit der Gefährdungsbeurteilung zu informieren, ihm ein Exemplar des Erhebungsbogens auszuhändigen und ihm Gelegenheit zu Alternativvorschlägen zu geben ist. Auch hat er ein Teilnahmerecht bei mit der Befragung zusammenhängenden Besichtigungen.

Personalrat und Gefährdungsbeurteilung

Bei der Mitbestimmung im Zusammenhang mit einer konkreten Maßnahme kann der Personalrat auch Fehler bei der Vorbereitung, zum Beispiel bei der Gefährdungsbeurtei-lung, geltend machen. Er kann sich darauf berufen, dass bei der Gefährdungsbeurteilung wichtige Aspekte unberücksichtigt blieben, deren Berücksichtigung möglicherweise zu einer anderen, angemessenen Maßnahme geführt hätte.

Insoweit kann es nur im Interesse der Dienststellenleitungen sein, den Personalrat auch schon in der Vorbereitungsphase umfassend zu beteiligen. Diese Beteiligung kann in Form einer Dienstvereinbarung abgesichert werden. Der Personalrat sollte die Dienststellenlei-tung in diesem Zusammenhang auf seine Bereitschaft zur Kooperation bei der Vorberei-tung von Arbeitsschutzmaßnahmen hinweisen.

Wenn also die Dienststellenleitung sich in der Analysephase über die Anregungen und konkreten Vorschläge des Personalrates – z. B. die zur Befragung eingesetzten Prüflisten zu ändern oder zu ergänzen – hinwegsetzt, ist es für das Mitbestimmungsverfahren des Personalrates unschädlich.

• Das Mitbestimmungsrecht bei den zu ergreifenden Maßnahmen bleibt auch trotz abge-lehnter Vorschläge voll erhalten. Die Einwände, die der Personalrat gegen das Vorgehen (Verfahren) bei der Gefährdungsbeurteilung anbringt, können allerdings bei der Ver-weigerung zur Zustimmung bei Maßnahmen eine Rolle spielen.

44 Diese Entscheidung wurde in der Zeitschrift „der Personalrat“ 2002 S. 99ff. kommentiert und ist i.d.R. in Pers-VG Kommentierungen aufgenommen worden. Für das BPersVG z.B.: Altvater u.a., BPersVG – Kommentar für die Praxis, 6. Auflage, Frankfurt am Main 2008, § 75 RN. 20945 § 68 Abs. 1 Ziffer 2 i.V.m. § 68 Abs. 2 BPersVG

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• So kann der Personalrat seine Zustimmung mit der Begründung verweigern, dass die beabsichtigten Maßnahmen unzureichend sind. Dabei kann er anführen, dass die ein-gesetzten Prüflisten unvollständig waren, und auf seine im Vorfeld angeführten Beden-ken verweisen.

• Wenn der Personalrat zum Beispiel die Fragestellungen der Dienststellenleitung für unzureichend hält, ermöglicht ihm das Initiativrecht tätig zu werden. Selbst dann, wenn sich die Dienststellenleitung nach Auswertung der Befragungsergebnisse entscheidet, keine Maßnahmen durchzuführen. Seine Intention kann zum Beispiel dahin gehen, dass Maßnahmen zu treffen sind, die nach Maßgabe der veränderten Befragung ergrif-fen werden. Auch wenn durch indirekte Wege Einfluss auf die Befragungsinstrumente und Methoden genommen werden kann, bietet es sich an, mit der Dienststellenleitung im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit solche Stolpersteine auszuräumen und zu versuchen, im Einvernehmen die Verfahren, Methoden und Befragungen zu gestalten. Dazu könnte eine entsprechende Dienstvereinbarung dienen.

Bei der Gesamtbetrachtung der verschiedenen Mitbestimmungstatbestände, die im Rah-men des betrieblichen Gesundheitsschutzes nutzbar sind, sind zwei besonders interessant, da sie z.T. eine zwingende Grundlage für Verhandlungen zu einer Dienstvereinbarung bilden.

Auch hier gibt es jedoch landesspezifische Unterschiede. Wie diese aussehen, zeigen folgende Tabellen:

Erleichterung des Arbeitsablaufs

RechtsvorschriftQualität der Beteiligung

Dienstvereinbarung erzwingbar

BPersVG § 76 (3) 5 eingeschränkte Meingeschränktes Initiativ-recht

Ba-Wü §79 (3) 1 eingeschränkte M ✗Bayern Art. 76 (2) 2 Mitwirkungsrecht

(auf Antrag) ✗

Berlin § 85 (2) 2 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Branden-burg

§ 65 Nr. 5 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Bremen § 63 (1) b Mitbestimmungsrecht Initiativrecht

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RechtsvorschriftQualität der Beteiligung

Dienstvereinbarung erzwingbar

Hamburg § 87 (1) 33 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Hessen § 74 (1) 2 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

M.-Vorp. § 70 (1) 4 eingeschränkte M

Nieder-sachsen

§ 67 (1) 3 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

NRW § 72 (3) 3 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Rheinland -Pfalz

§ 80 (2) 4 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Saarland § 78 (1) 9 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht ✗

Sachsen § 81 (3) 5 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Sachsen-Anhalt

§ 69 Nr. 5 eingeschränkte M eingeschränktes Initiativ-recht

Schleswig-Holstein

§ 65 (1) 14 Grundsätzlich uneinge-schränkte M und Initiativ-recht

Thüringen § 75 a (2) 8 Antragsrecht für Mitwirkung ✗

BetrVG – – Freiwillige BV

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Maßnahmen zur Verhütung von Gesundheitsschäden

RechtsvorschriftQualität der Beteiligung

Dienstvereinbarung erzwingbar

BPersVG § 75 (3) 11 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht ✗

Ba-Wü § 79 (1) 8 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht ✗

Bayern Art. 75 (4) 8 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Berlin § 85 (1) 7 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht

Brandenburg § 88 Nr. 7 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Bremen § 66 (1) d Mitbestimmungsrecht Initiativrecht

Hamburg § 86 (1) 15 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht

Hessen § 74 (1) 6 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

M.-Vorp. § 69 Nr. 7 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Nieder-sachsen

§ 66 (1) 11 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

NRW § 72 (4) 7 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Rheinland -Pfalz

§ 80 (2) 7 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Saarland § 78 (1) 8 Mitbestimmungsrecht Initiativrecht ✗

Sachsen § 80 (3) 11 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

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RechtsvorschriftQualität der Beteiligung

Dienstvereinbarung erzwingbar

Sachsen-Anhalt

§ 65 (1) 13 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Schleswig-Holstein

§ 51, § 54 (4) Satz 3 Nr. 4

Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

Thüringen § 74 (2) 5 Grundsätzlich unein-geschränkte M und Initiativrecht

BetrVG§ 87 (1) 7

Mitbestimmungsrecht Initiativrecht

BV möglich

Fazit: Gesetzliche Rahmenbedingungen

Durch kluges Nutzen bestehender gesetzlicher Regelungen können Maßnahmen zur Ver-besserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Interesse der Beschäftigten nachhal-tig umgesetzt werden. Beachtlich sind die besonderen Durchsetzungsrechte im Zusam-menhang mit Dienstvereinbarungen.

Mit den tariflichen Regelungen für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst sind ergänzende Rechte geschaffen worden, die geschickt genutzt, die Durchsetzung eines wirksamen betrieblichen Gesundheitsschutzes möglich machen.

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Vereinte

Dienstleistungs-

gewerkschaft

Sozial-, Kinder-

und Jugendhilfe