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Paul van Nevel XI/2006

harmonia mundi MAGAZIN XI-06.pdf · 2010. 5. 17. · Beethoven recorded .“ GRAMOPHONE Teil I der Gesamteinspielung von Beethovens Klaviersonaten durch Paul Lewis: Ludwig van BEETHOVEN

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Paul van Nevel

XI/2006

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40 Stimmen zum 35. Geburtstag – Das Huelgas EnsembleMonumentalwerke der Renaissance-musik mit bis zu vierzig Stimmen hat sich Paul van Nevel ausge-sucht, um den 35. Geburtstag sei-nes Ensembles zu feiern: Anfang der siebziger Jahre gründete er an der Schola Cantorum Basiliensis sein Huelgas Ensemble, dessen Name sich von einem spanischen Zisterzienserinnen-Kloster herlei-tet. Längst hat sich Paul van Nevel als Spezialist für Renaissancemusik einen weltweiten Ruhm erobert, und sein Ensemble gehört zu den internationalen Spitzeninterpreten der Musik vom 14. bis zum 16. Jahrhundert.

1946 in eine Musikerfamilie geboren, ist Paul van Nevel von Kindheit an mit Musik aufgewachsen. Nach eige-nem Bekenntnis hat er „zwischen dem elften und dem achtzehnten Lebens-jahr täglich vier Stunden gesungen“. Sein Vater war Geiger und ließ seine Familie überdies auf allen im Haus verfügbaren Instrumenten musizie-ren. Die musikalische Atmosphäre des Elternhauses ließ allerdings die spä-tere Ausrichtung Paul van Nevels auf die Musik der Renaissance kaum ahnen, war sein Vater doch überzeug-ter Wagnerianer. Nevel nahm es mit Humor: „Wenn der Vater ein Wagner-Fan ist, kann man sicher sein, daß der Sohn keiner wird!“

40 voixVielstimmige Vokalwerke der Renaissance von Striggio, Rebelo, Tallis u. a. Huelgas Ensemble, Leitung: Paul van NevelHMC 801954 (U01)

mein Empfehlungsschreiben (des bel-gischen Staates) durch das Fenstergit-ter geschoben, und eine Schwester hat mir das gewünschte Manuskript in einem kleinen Wartezimmer außer-halb der Klausur überreicht. Zwei Wochen lang habe ich die Noten stu-diert, darüber meditiert und sie abge-schrieben. Sie können sich nicht vor-stellen, wie sehr mich dieses Erlebnis berührt hat. Was für ein unbeschreib-liches Gefühl, die Noten der Sänger aus jener Zeit in Händen zu halten. Ich habe nicht nur die Musik bewun-dert, sondern auch die Verzierungen, die jedes Manuskript schmückten.

Maastricht, Hannover und die Schola Cantorum in Basel waren die Statio-nen der Ausbildung Paul van Nevels, dessen Weg zur Alten Musik nicht von vornherein vorgezeichnet war, das Huelgas Ensemble wurde nämlich ursprünglich als Gruppe für zeitge-nössische Musik gegründet. Seinen Weg zur Musik der Renaissance fand Paul van Nevel durch das Studium der Originalmanuskripte, und sein Erleb-nis der Entdeckung dieser Musik im spanischen Zisterzienserinnen-Kloster Santa Maria la Real de las Huelgas ist ihm immer noch in lebendiger Erinnerung: „An der Pforte habe ich

Huelgas EnsembleFoto: Luk van Eeckhout

EMPF

OHLEN VON

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Und ich hatte den Eindruck, ich würde in jene Zeit zurückversetzt und sei mit denselben Problemen konfron-tiert wie die Interpreten von damals. Ab und zu tauchte eine Schwester auf und beobachtete mich neugierig durch das Gitter. Von Tag zu Tag erschienen mehr Schwestern. Schließ-lich fragten sie mich, ob ich ihnen etwas aus den Noten vorsingen würde. Ich kam ihrem Wunsch nach. Sie waren entzückt, Klänge aus diesem Manuskript zu hören, das Jahrhun-derte lang in ihrem Kloster geschlum-mert hatte. Diese Erfahrung hat gro-ßen Eindruck auf mich gemacht und einen symbolischen Charakter erhal-ten. Als Erinnerung daran habe ich dem Ensemble den Namen Huelgas Ensemble gegeben.“Entscheidend geprägt wurde Paul van Nevel durch Johannes Colette, sei-nen Professor am Maastrichter Kon-servatorium: „Er ist der, der mir alles von A bis Z beigebracht hat.“ Colette schickte ihn auf die Suche nach der alten Klangwelt und den alten Parti-turen und warnte ihn vor dem „fal-schen Weg der Authentizität“. Das Wort „authentisch“ lehnt Nevel für seine Arbeit strikt ab: „Wir können nicht mehr über authentische Vokal-stimmen verfügen, ich kann nicht

auf einen Friedhof gehen und versu-chen, eine Leiche aus dem 16. Jahr-hundert auszugraben. Es ist möglich, hinsichtlich Textaussprache, musica ficta, Tempi, Besetzung usw. zum 16. Jahrhundert zurückzukehren. Aber ich kann nicht sagen, ich bin authen-tisch, weil ich ja eben mit Singstimmen aus dem 20. Jahrhundert arbeite. … Es bleibt eine Suche und eine Art historischer Annäherung.“In der Forschung sieht Paul van Nevel einen wichtigen Teil seiner Arbeit, und so verbringt er einige Monate des Jahres mit Quellenstudium in den großen Bibliotheken Europas. Seine Publikationen und Aufnahmen spie-len seit ca. 20 Jahren eine wesent-liche Rolle bei der Erforschung des Repertoires aus dem Mittelalters und der Renaissance. Doch steht trotz der intensiven musikwissenschaftli-chen Arbeit und einer unverhohle-nen Bewunderung für die geistigen Strukturen der Kompositionen des 15. und 16. Jahrhunderts für Paul van Nevel immer an erster Stelle das Erleben der Musik und des Klangs, jenen „atemberaubenden Sachen, die man nicht lesen, sondern nur hören kann.“

mit dem Huelgas Ensemble unter Paul van Nevel bereits erschienen:

Jacobus de KERLEDa pacem Domine – Messen & MotettenHMC 901866 (T01)

Alfonso FERRABOSCOPsalm 103 „Benedic anima mea“,

Motetten und MadrigaleHMC 901874 (T01)

„Zu Recht wird dieser Chor mit interna-

tionalen Preisen geradezu überhäuft.“

WESTDEUTSCHER RUNDFUNK

„Hier stimmt alles.“

KLASSIK HEUTE „Die CD weckt den dringenden

Wunsch nach einer Fortsetzung.“

CONCERTO

„So gut wie hier

waren sie noch nie!“

TOCCATA

Paul van NevelFotos: Luk van Eeckhout

EMPF

OHLEN VON

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Francesco CAVALLI (1602-1676)La Calisto (Dramma per musica)María Bayo (Calisto / Eternità) – Marcello Lippi (Giove) – Simon Keenlyside (Mercurio) – Graham Pushee (Endimione) u. a. – Concerto Vocale, Leitung: René JacobsHMC 901515.7 (M03)

Von dieser Haltung ist Jacobs nie abgewichen, weder in seiner Laufbahn als Sänger noch bei seiner Eroberung der Opernwelt. Zunächst kamen die Meister der venezianischen Oper – Cestis Orontea und Cavalli mit seinem Xerse, dem Giasone und der unver-geßlichen Aufführung der Calisto, die jetzt endlich auch auf DVD erscheint. An oberster Stelle steht jedoch Clau-

dio Monteverdi, dieser „Titan der Musik“, der die Musiker stets mahnt, daß sie in erster Linie dem Drama selbst Ehrfurcht schulden. René Jacobs wird nicht müde, diese Wahr-heit zu betonen, sie bestimmt auch seine Interpretationen anderer Barock-komponisten – Bach, Scarlatti, und natürlich Händel, wie sein legendärer Giulio Cesare von 1991 beweist. Es

30 Jahre René Jacobs und harmonia mundi – Alles begann 1976, als der Counter-tenor René Jacobs in St. Michel de Provence seine erste Einspie -l ung für harmonia mundi aufnahm, Marc-Antoine Charpentiers Leçons des Ténèbres. Der junge Künstler zeigte schon damals eine unge-wöhnliche Kompetenz und zeich -nete sich besonders dadurch aus, daß ihm mehr daran lag, dem Geist des Werkes treu zu bleiben als dem, was man damals „authentischen Klang“ nannte.

Francesco CAVALLI (1602-1676)La Calisto (Regie: Herbert Wernicke)

María Bayo (Calisto / Eternità) – Marcello Lippi (Giove) – Hans Peter Kammerer (Mercurio) –

Graham Pushee (Endimione) u. a. – Concerto Vocale, Leitung: René Jacobs

HMD 9909001- (T02)

„Wieder einmal

gelingt es Jacobs, aus einer Oper

des Frühbarocks eine lebendige und

spannende Geschichte zu formen.“

FONO FORUM

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René Jacobs … by himself1977-2007: Meilensteine eines 30jährigen gemeinsamen WegesHMX 2908214- (I03)

Claudio MONTEVERDI (1567-1643)L’Orfeo (Choreographie und Regie: Trisha Brown)

Simon Keenlyside (Orfeo) – Juanita Lascarro (Euridice) –

Graciela Oddone (Messagiera) – Martina Dike (Proserpina) u. a. –

Concerto Vocale – Collegium Vocale Gent,

Leitung: René JacobsHMD 9909003- (Q02)

ganz großem Abstand der Höhepunkt dieses Mozart-Jahres“. Die Veröffent-lichung auf CD ist für den nächsten Herbst geplant.harmonia mundi feiert das drei -ßig jährige Jubiläum der Zusam -menarbeit mit diesem Aus-nahmekünstler mit einer Doppel-CD, für die René Jacobs selbst das Programm aus seinen Aufnahmen der letzten 30 Jahre zusammen-gestellt hat (und ergänzt von einem Filmporträt des Maestros) sowie mit DVD-Mitschnitten – den ersten im harmonia mundi-Ka ta log – von zwei seiner erfolg reichen Produk tionen aus dem Théâtre Royal de la

Monnaie, die beide zusätzlich jeweils ein knapp einstündiges Making-of enthalten.

folgten Gluck, Haydn und Mozart, zu dem er sich den Weg über seine sub-tilste und ambivalenteste Oper bahn-te: Così fan tutte (2000). Dieser mit vielen Preisen ausgezeichneten Auf-nahme folgte Le nozze di Figaro, die harmonia mundi 2005 ihren ersten Grammy Award eintrug. In diesem Jahr sorgte Jacobs mit gleich zwei Mozart-Produktionen für Furore: Für seine Einspielung von La clemenza di Tito (in der alljährlichen großen Kritikerumfrage der Opernwelt zur „CD des Jahres“ gekürt) hat er gerade seinen sechsten Jahrespreis der deut-schen Schallplattenkritik bekommen, die triumphalen Aufführungen des Don Giovanni bei den Innsbrucker Festwochen und den Herbstfestspielen in Baden-Baden sind laut SZ „mit

René JacobsFoto: Eric Larrayadieu

Ein gutes Stück Weg

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Hier ist doch gewiss das Clavierland!

chen Konzertsaal: Normalerweise war der Künstler auch Veranstalter, der einen Raum mieten, Musiker für das Orchester engagieren, Werbung für sein Konzert machen und für den Kartenverkauf sorgen mußte, der meist über Subskriptionslisten als Vor-verkauf organisiert wurde. Natürlich brachte auch der Klaviersolist sein eigenes Instrument mit, und Leopold Mozart gibt in seinem Brief einem lebendigen Eindruck von all dem

Auch die Programminhalte dieser Konzerte waren ganz andere als heute, es ging viel bunter zu als in den heutigen Sinfoniekonzerten, den Kul-turgottesdiensten des Bildungsbürger-tums. Da wechselten sich Sinfonien mit Solokonzerten, Opernarien und Kammermusikwerken ab, besonders beliebt waren auch Improvisationen der Virtuosen, die ja ausnahmslos auch Komponisten waren.Die beiden Klavierkonzerte auf dieser CD sind für solche Konzerte ent-standen, mit denen Mozart in der Mitte der 1780er Jahre sich eine breite Gruppe von Förderern unter dem Wiener Hochadel und Großbürger-tum schaffen und seinen Ruf als erst-rangiger Musiker über ganz Deutsch-land verbreiten konnte.

Tatsächlich konnte sich Leopold Mozart, Vizekapellmeister der Salz-burger Hofkapelle, bei einem Besuch 1785 bei Sohn und Schwiegertochter in Wien von dem beruflichen Erfolg Wolfgang Amadés (so nannte sich der weltläufige Sohn inzwischen) überzeu-gen. „Wir kommen vor 1 Uhr in der Nacht niemals schlafen, stehen nie-mals vor 9 Uhr auf, um 2 halbe 3 zum Essen. Tägliche Akademien [Kon-zerte], immer Lernen, Musikschreiben

W. A. MOZART (1756-1791)Klavierkonzerte Nr. 21 C-Dur KV 467 & Nr. 24 c-moll KV 491Stefan Vladar, Klavier & Leitung – Camerata SalzburgHMC 901942 (T01)

mit Stefan Vladar zuletzt erschienen:

Robert SCHUMANNPapillons, Carnaval, Faschingsschwank aus WienHMC 901890 (T01)

„Eine der besten Schumann-

Aufnahmen der letzten Jahre“

KLASSIK HEUTE

etc. … “ Das ist das väterliche Resü-mee des turbulenten Alltags im Hause Mozart junior, der ihm angesichts sei-nes mit 66 Jahren für damalige Zeiten durchaus fortgeschrittenen Alters gele-gentlich auch anstrengend erschienen sein mag.Die „Akademie“ genannten Konzerte, während derer Mozart auftrat, unter-schieden sich erheblich von einem heutigen Konzert in einem öffentli-

… schrieb Mozart aus Wien an seinen Vater nach Salzburg. Kurz zuvor hatte er sich aus dem ver-haßten Dienst beim Salzburger Fürstbischof befreit und war festen Willens, in Wien, der Hauptstadt Österreichs und Residenz der habs-burgischen Kaiserfamilie, sein Glück zu machen. Zunächst galt es aber, den sorgenvollen Vater in Salzburg zu beruhigen.

Trubel, wenn er berichtet: „Deines Bruders Fortepiano-Flügel ist wenig-stens zwölfmal, seitdem ich hier bin, aus dem Hause ins Theater oder in ein anderes Haus getragen worden.“ Konzertimpresarios gab es kaum, Johann Peter Salomon, der Joseph Haydn in den 1790er Jahren nach London holte und auch mit Mozart in Verhandlungen stand, war ein Vor-reiter seines Berufsstandes.

Stefan VladarFoto: Alvaro Yañez

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Schon sehr früh haben einige Musikschriftsteller in Bachs Wohl-temperierten Klavier das Alte und in den 32 Klaviersonaten Ludwig van Beethovens das Neue Testament der Klaviermusik gesehen. In ihrer „Zielsetzung“ sind beide Zyklen durchaus gegensätzlich. Verband Bach mit seinem Wohltemperierten Klavier eine systematisch-pädagogi-sche Absicht, so begleiten Beet-ho vens Klaviersonaten das ganze Leben des Komponisten und kön-nen so als Protokoll einer inneren Entwicklung gelten.

Der Entwicklungsprozeß der Klavier-sonaten Beethovens vollzog sich von den noch durch Haydns und Mozarts Vorbild geprägten ersten Sonaten bis hin zu einer stark introvertierten Musik als Ausdruck seiner persönli-chen Tragik in den späten Sonaten ab op. 101. Ein Vierteljahrhundert nach Beethovens Tod bezeichnete Wilhelm von Lenz 1852 die 32 Klaviersonaten als Beethovens „Abbild seiner selbst“,

Abbild seiner selbst

Ludwig van BEETHOVEN (1770-1827)

Die Klaviersonaten Vol. 2: Nr. 8 op. 13 „Pathétique“, Nr. 9 & 10

op. 14/1 & 2, Nr. 11 op. 22, Nr. 21 op. 53 „Waldstein“, Nr. 24 op. 78,

Nr. 25 op. 79, Nr. 27 op. 90, Nr. 28 op. 101, Nr. 29 op. 106 „Hammerklavier“

Paul Lewis, KlavierHMC 901903.5 (M03)

„Paul Lewis‘s superbly

recorded and presented Beethoven

may well turn out to be the most musicianly

and ultimately satisfying of all recorded

Beethoven piano sonata cycles.“

THE GRAMOPHONE

Teil I der Gesamteinspielung von Beethovens Klaviersonaten durch Paul Lewis:

Ludwig van BEETHOVENSonaten op. 31 Nr. 1 G-Dur, Nr. 2 d-moll „Der Sturm“, Nr. 3 Es-DurHMC 901902 (T01)

„Packende, luzide, dramatisch

ausgefeilte Interpretationen, ein

junger Altmeister sozusagen.“

DER SPIEGEL

eine Art intimes Tagebuch, dem er „seine Leiden, seine Freuden, seine Erfolge, seine Enttäuschungen“ anver-traut habe. In diesem Seelenprotokoll, so der Autor, könne ein jeder sich selbst wiederfinden und wiedererken-nen, da die Gefühle des Meisters „zeit-los und allgemeingültig“ seien. Tat-sächlich war das Klavier für Beethoven zeit seines Lebens ein treuer Gefährte, doch wandelte sich sein Verhältnis zu dem Instrument im Laufe der Zeit. Von seinem ersten Konzert 1778 bis 1803 stand die Laufbahn als Virtuose im Mittelpunkt, von Zeitgenossen als einzigartig empfunden, „ein Riese unter den Klavierspielern“, wie Kol-lege Johann Wenzel Tomaschek es formulierte.Seine fortschreitende Ertaubung stürzte Beethoven 1802 in seine erste schwere seelische Krise, eine tiefe Depression, die ihn an den Rand des Selbstmords brachte und ihn veran -laßte, das Konzertieren als Klavier so-list aufzugeben. In seinem berühmten Heiligenstädter Testament bekennt er:

„… es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben. – Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück.“ In dem Be -wußtsein, der Rückzug aus dem öffentlichen Leben werde ihn in die Lage versetzen, sich verstärkt der schöpferischen Tätigkeit des Kom-ponierens zu widmen, entschloß er sich „einen neuen Weg“ einzuschlagen, auf dem ihm später Robert Schumann und Johannes Brahms nachfolgen soll-ten.Paul Lewis steht schon seit seiner Kindheit im Bann von Beethovens Klaviersonaten, Alfred Brendels erste Gesamteinspielung des Zyklus gehörte zu den Schallplatten, die der Heran-wachsende immer wieder aus der Musikbücherei seiner Heimatstadt Liverpool entlieh. Seine eigene Auf-nahme des Œuvres entsteht verteilt über den Zeitraum von drei Jahren im direkten Anschluß an Konzerte als Studioproduktion, die den spontanen Eindruck des Konzerterlebnisses mit der konzentrierten Arbeitsatmosphäre im Studio verbindet.

„Man spürt es vom ersten Ton an. Hier sitzt

einer am Klavier, der hat das gewisse Etwas.

… Wir können uns schon jetzt auf die

nächsten CDs freuen.“

NORDDEUTSCHER RUNDFUNK

EMPF

OHLEN VON

Paul LewisFoto: Alvaro Yañez

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Seit Jon Nakamatsu 1997 im Inter-nationalen Van Cliburn Wettbewerb die Goldmedaille errang, darf er sich zu den großen Pianisten der Welt zählen, denn dieser Erfolg in einer der prestigeträchtigsten Pianistenkon-kurrenzen der Welt. Nakamatsu er -wies sich keineswegs als Eintagsfliege, vielmehr startete der Künstler von dieser Plattform in eine weltweite Karriere, die in seinen CD-Einspie -lungen bei harmonia mundi doku-mentiert ist.Seine neuste Einspielung ist einem der größten Klaviervirtuosen und -kom-ponisten der Musikgeschichte gewid-met: Franz Liszt. Als Klavierspieler war sein Ruf legendär, sein Anspruch an sich selbst hoch: „Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es selbst, wenn ich zwei Tage nicht übe, merken es meine Freunde, wenn ich drei Tage nicht übe, merkt es mein Publikum.“Mit der berühmten Dante-Sonate,

Brillante Virtuosität und ehrfürchtiger Dienst an der Kunst

den drei Petrarca-Sonetten und ande-ren Stücken hat Jon Nakamatsu ein Programm zusammengestellt, das die doppelte Bedeutung Liszts als Virtu-ose und Komponist für Klavier wider-spiegelt. Jon Nakamatsu selbst wird den Vorgaben seines virtuosen Vor-

bildes perfekt gerecht und entfaltet ein Feuerwerk der Virtuosität, das dem legendären Virtuosen Franz Liszt, der seiner Zeit als die Vollendung der Klavierkunst galt, auch nach heutigen Maßstäben gerecht wird.

Franz LISZT (1811-1886)Après une lecture du Dante, Petrarca-Sonette, Mephisto-Walzer Nr. 1, Ungarische Rhapsodie Nr. 2 u. a.Jon Nakamatsu, KlavierHMU 907409 (T01)

Die musikalische Welt Frederic Mom-pous ist eine Welt voller Farben, Klänge und Bilder, die intensiv von seiner katalanischen Heimat beein -flußt wurde. Von Natur aus ein

ruhiger und eher der Kontem-plation zugeneigter Mensch,

nahm er sich Zeit, den Weg zum Ausdruck sei -

nes inneren Uni ver-sums zu suchen; so konnte er, scheu und leise wie er war, in aller Ruhe den passenden

Ein scheuer Künstler

musikalischen Ausdruck für seine Persönlichkeit entwickeln. 1893 gebo-ren, trat er bereits 1908 erstmalig in der Öffentlichkeit auf. 1909 hörte er Fauré mit seinem Quintett op. 89: Der Eindruck überwältigte den 16jäh-rigen und brachte den Entschluß her-vor, nun seinerseits Komponist zu werden. Enrique Granados empfahl ihn dem bewunderten Gabriel Fauré, und so ging Mompou 1911 nach Paris, um sich dort zu vervollkomm-nen. Dort erkannte er, daß seine Befangenheit einer Pianistenkarriere

entgegenstand und konzentrierte sich fortan darauf, sein musikalisches Uni-versum als Komponist zu entfalten.Über seine Música callada schrieb Mompou: „Diese Musik ist nicht Luft noch Licht. Sie ist ein schwacher Herzschlag. Es ist nicht von ihr zu erwarten, daß sie mehr als ein paar Millimeter in den Weltraum ein -dringt, ihre Mission ist es vielmehr, die verborgenen Tiefen der Seele und die geheimsten Regionen unseres Geistes zu erreichen.“

Frederic MOMPOU (1893-1987)

Música callada (Heft 1-4)Javier Perianes, Klavier

HMI 987070 (T01)

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OHLEN VON

Jon Nakamatsu

Javier Perianes

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„Ich werde diese Haltung bewah-ren, koste es, was es wolle, und sie wird mir vielleicht künftig einmal erlauben, die Klangverhältnisse, um deren Existenz ich weiß und deren Entfaltung ich vorausahne, nicht weniger eigenständig, aber hof-fentlich noch perfekter auszudrü-cken.“ Mit diesen Worten drückte der junge Komponist André Jolivet seinen unbedingten Willen zur Eigenständigkeit aus und formu-lierte gleichzeitig seine künstleri-schen Lebensziele.

Eine andere Vorstellung hielt Jolivet gleichfalls lebenslang in ihrem Bann, „der Musik ihre ursprüngliche anti-ke Bedeutung wiederzugeben, als sie noch der magisch-beschwörende Aus-druck der Religiosität menschlicher Gemeinschaften war.“ Obwohl Jolivet 1935 Gründungsmitglied der Gruppe Jeune France war, hatte er nie im Sinn, das Haupt einer musikalischen Schule zu werden. Gleichwohl emp-fand er klar die Notwendigkeit, eine Musik zu schreiben, die sich im Sinne eines universellen Humanismus an alle Menschen richtete.So hat er Musik aller Genres geschrie-ben, vom einstimmigen Werk bis zu einer leider unvollendet gebliebenen Oper. Kammermusik und Lied, Sin-fonie, Kantate, Oratorium, szenische Musik, sogar Musik für die Werbung, die Kreativität von Jolivet schien gren-zenlos zu sein. Stilistische Vielfalt ist ein weiteres unverwechselbares Kri-terium für Jolivets Eigenart. Ob Jazz oder außereuropäische musikalische Traditionen, Zwölftonmusik, ein ge -wisser Klassizismus oder elektronische Instrumente – jede Inspiration diente seinem Ziel, der Musik eine universel-le Dimension zu verleihen.Sein Violinkonzert, zwei Jahre vor seinem Tod entstanden, gilt als sein musikalisches Testament. Das dem klassischen Formschema verbundene Werk ist zugleich von der Tradition der Indianer Mexikos geprägt, wie das ihm vorangestellte Motto aus dem

Nonkonformist aus Überzeugung – Der Komponist André Jolivet

mit Isabelle Faust bereits erschienen:

„Eine fulminante Interpretation,

die Maßstäbe setzen dürfte.“

BAYERISCHER RUNDFUNK

Schöpfungsmythos der Hopi-Indianer zeigt: „Das Wesen des Menschen ist Klang, der Klang bringt das Licht her-vor und in ihm tritt der Geist in Erscheinung“. Das Werk ist nicht so sehr ein Konzert im herkömmlichen Sinn als vielmehr eine „hypnotische Zeremonie, in der die Geige die Rolle des Zelebranten einnimmt“, wie der Geiger Devy Erlih feststellte. Jolivet war ein Bewunderer der sowjetischen Streicherschule und schrieb sein Vio-linkonzert für Leonid Kogan, der die Uraufführung des Werkes allerdings aus gesundheitlichen Gründen absa-gen mußte. Für die Uraufführung am 27. Februar 1973 im Pariser Theâtre de l’Est übertrug Georg Solti den Solopart daraufhin Luben Yordanoff, dem Sologeiger des Orchestre de Paris.

André JOLIVET (1905-1974)Konzert für Violine und Orchester

Ernest CHAUSSON (1855-1899)

Poème für Violine und OrchesterIsabelle Faust, Violine – Deutsches

Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: Marko Letonja

HMC 901925 (T01)

EMPF

OHLEN VON

Isabelle FaustFoto: Alvaro Yañez

Antonín DVORÁK (1841-1904)Violinkonzert a-moll op. 53, Klaviertrio Nr. 3 f-moll op. 65Jean-Guihen Queyras, Violoncello – Alexander Melnikov, Klavier – The Prague Philharmonia, Leitung: Jirí BelohlávekHMC 901833 (T01)

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10 harmonia mundi magazin

LOS IMPOSSIBLESSpanische, portugiesische und lateinamerikanische Musik des 16. und 17. JahrhundertsL’Arpeggiata, Leitung: Christina Pluhar – The King’s Singers u. a. AV 5055 (T01)

musik. Christina Pluhar geriet in den Bann dieser Melodie, die durch Raum und Zeit gereist ist: Als einfaches Volkslied erklomm sie die Höhen der gelehrten Musik, wurde in Italien, Spanien und Portugal populär, über-wand den Ozean und kam nach Mexiko und ist bis zum heutigen Tage in der mündlichen Tradition der Volksmusik lebendig.Die Begegnung mit Los Impossibles hatte die Neugier von Christina Plu -har geweckt, und so suchte sie nach

… und selbst die Grenzen der Zeit verschwimmen in dem Programm, das Christina Pluhar hier vorstellt. Ein zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Mexiko von dem spanischen Barock-gitarristen Santiago de Murcia zusam-mengestelltes Manuskript enthält ein Stück mit dem Namen Los Impossibles. Es handelt sich um eine Romanesca, wie man sie seit dem 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und Portugal fin-det, sein Thema begegnet uns noch heute in der mexikanischen Volks-

dem roten Faden, der die verschie-denen Stile und Epochen verbindet. Sie wurde fündig mit gemeinsamen rhythmischen und harmonischen Eigenheiten und mit Musikinstru-menten, die ihre Wurzeln im Barock haben, und mit einer charakteristi-schen Mischung zahlreicher kulturel-ler Einflüsse, die die damalige gelehrte Musik sowie die traditionelle Musik des 16. Jahrhunderts und von heute prägen. In diesem multikulturellen Klima sind auch die Einspielungen der vorliegenden CD entstanden, denen ein starkes Element der Impro-visation zusätzlichen Reiz verleiht.

Musik kennt keine Grenzen …

Tempels gebauten Palast auf. Die ex -klusive Adresse lieh dem neuen Ritter-orden den Namen und führte zu einem spektakulären Mitglieder-wachstum, die Tempelritter wurden nicht nur im heiligen Land sondern in ganz Westeuropa ein Machtfaktor.Zwei Jahrhunderte später stand der Orden den neuen nationalstaatlichen Interessen insbesondere Frankreichs

Nach der Eroberung des Heiligen Landes durch den ersten Kreuzzug setzte eine intensive Pilgeraktivität von Europa zu den heiligen Stätten in Jerusalem ein. Zum Schutz die-ser Pilger entstand 1118 der Templer-orden. Balduin II., König von Jeru-salem, unterstützte den jungen Orden und nahm ihn in seinen auf den Fundamenten des salomonischen

Die Templer – Wechselvolle Geschichte eines Ritterordens

LE CHANT DES TEMPLIERSDer Gesang der Tempelritter

Ensemble Organum, Leitung: Marcel Pérès

AMB 9997 (T01)

entgegen und König Philipp IV. mit dem schmückenden Beinamen „der Schöne“ machte zu Beginn des 14. Jahrhunderts kurzen Prozeß: In geschickter Zusammenarbeit mit dem aus Frankreich stammenden Papst Clemens V. beschuldigte er die Temp - ler der Ketzerei, liquidierte den Orden und schickte den letzten Großmeister auf den Scheiterhaufen. Die finanziel-len Hinterlassenschaften der Templer kamen gerade recht, um die marode Staatskasse Philipps des Schönen zu sanieren.

EMPF

OHLEN VON

Christina Pluhar

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Bonus-DVD

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harmonia mundi magazin 1111

les Musikerstudium als Cellist. Es bedurfte weiterer sechs Jahre, bis eine zweite Zündung Jordi Savall endgül-tig für die Gambe entflammte, dies-mal war der Cembalist Rafael Puyana der Auslöser, der dem jungen Cel-listen riet, all die Barockmusik, die er so gern spielte, doch einmal auf dem Instrument zu versuchen, für das sie geschrieben war. 1966, mit 24 Jahren, machte sich Jordi Savall daran, im Selbststudium das Instrument zu er -obern, dessen unbestrittener Meister er heute ist. Die Musik von Marin

Marin MARAIS (1656-1728)Suitte d’un goût étranger

(Pièces de viole aus dem vierten Buch)Jordi Savall & Philippe Pierlot, Gambe –

Pierre Hantaï, Cembalo – Rolf Lislevand & Xavier Díaz-Latorre, Theorbe & Gitarre –

Andrew Lawrence-King, Harfe – Pedro Estevan, PerkussionAVSA 9851 (T02)

Es begann in der Casa BeethovenMa rais mit ihrer einzigartigen Vielfalt hat ihn stets in ihrem Bann gehalten. Von einer ersten Marais-Einspielung 1977 über die Musik zum Film Die siebte Saite, der einem Millionenpub-likum in aller Welt einen Zugang zur dieser Musik eröffnet hat bis hin zu dieser Neueinspielung der gesamten Suitte d’un goût étranger mit ihren 31 Stücken spannt sich der Bogen eines Verhältnisses zwischen Interpret und Komponist, das die Kluft der Zeit, die beide trennt, durch Liebe und Bewunderung überbrückt.

Ein auslösendes Moment für die Pla -nung dieser CD war für uns die bewußte Wahl einer kleinstmöglichen Kammermusikbesetzung „a due“ (in diesem Fall Blockflöte und Cembalo). Einerseits ist eine solche Besetzung für die Blockflöte, in Italien so tref-fend als flauto dolce bezeichnet, ideal. Andererseits ist der musikalische Dia-log, eine unmittelbare Auseinander-setzung und Zusammenarbeit hier in

Trios fürs Duo

J. S. BACH (1685-1750)Sonaten G-Dur BWV 525, c-moll BWV 1017, h-moll BWV 1030, E-Dur BWV 1035, Partita c-moll BWV 1013, Präludium, Fuge und Allegro Es-Dur BWV 998Dorothee Oberlinger, Blockflöte & Christian Rieger, CembaloRK MA 20035 (T01)

besonderem Maße möglich. Ein Pro-gramm mit Werken Johann Sebastian Bachs erscheint im Fall einer solch intimen Besetzung sehr geeignet, denn seine Kompositionen bieten für beide Instrumentalpartner einen ungeheu-ren Kosmos an Komplexität und unendlichen Stoff für eine gemeinsam durchdachte Interpretation. So haben wir Werke für verschiedene Instru-mente bearbeitet – Violine, Travers-

Die Initialzündung zu der lebenslan-gen, engen Beziehung Jordi Savalls zur Musik von Marin Marais geschah in seiner Heimatstadt Barcelona: In einer Musikalienhandlung namens „Casa Beethoven“ entdeckte 1959 der 17jährige, der seit etwas mehr als zwei Jahren Cello spielte, Noten von Marin Marais, für Cello arrangiert und 1933 in Deutschland bei Schott & Co veröffentlicht. Sofort nahm der eigenartige Charakter dieser Musik den jungen Mann gefangen, doch absolvierte er zunächst ein norma-

EMPF

OHLEN VON

flöte, Orgel – überwiegend für eine Besetzung mit Blockflöte und obliga-tem, also mit dem Melodieinstrument dialogisierendem Cembalo. Ledig-lich in einer Sonate dient das Tasten-instrument als rein begleitende Conti-nuo-Stütze – in einem galanten Stück, das der Einspielung eine weitere stili -st ische Note verleiht.

Dorothee Oberlinger und Christian Rieger

Jordi Savall

Dorothee OberlingerFoto: Johannes Ritter

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harmonia mundi magazin12

TRISTE PLAISIRGuillaume Dufay und die Burgundische MusikLena Susanne Norin, Alt – Randall Cook, Viola d’arco & Fidel – Susanne Ansorg, Fidel & RebecRK 2208 (T01)

Himmelsrichtungen – unter ihnen Guillaume Dufay, einer der größten Meister nicht nur seiner Zeit, sondern der gesamten Musikgeschichte. Vielen seiner Kollegen gleich reiste er in den Süden – Sänger, die ihre Ausbildung an nördlichen Kathedralschulen ge - nossen hatten, waren an den italie-nischen Höfen und der päpst lichen Kapelle sehr beliebt. Dufay nahm nicht nur die verschiedensten Stile seiner jeweiligen musikalischen Um -

Unter den Herzögen von Valois wurde Burgund im 15. Jahrhundert zu einer der mächtigsten politischen Kräfte Westeuropas und seine Hauptstadt Dijon ein Zentrum der Musik. Was hier erklang, war so innovativ und eigenständig, daß man heute von einer »Burgundischen Schule« spricht. Gleichwohl kamen die Musiker der Burgundischen Hofkapelle aus allen

gebungen in seine Musik auf, er wan-delte und übertraf sie alle. Drei Musiker präsentieren dieses Repertoire voll von Raffinesse, groß-zügiger Gesanglichkeit und jener süßen Melancholie, die den Meister -werken der spätmittelalterlichen Lied-kunst eigentümlich ist. Entgegen der gängigen Praxis nehmen sie sich mit minimalster Besetzung – nur Stimme und zwei Streichinstrumente – der Intimität dieser Klein odien an.

Raffinesse, Gesanglichkeit und Melancholie

wärtige Kräfte nötig, um diese gro ßen Besetzungen zu verwirklichen. Es ist leicht vorstellbar, daß man durchrei-sende Kastraten für solche Fest auf-führungen engagierte. Sicherlich ver-fügten die Klöster über gutbetreute Knabenstimmen (Frauenstimmen wa -ren in der Kirche damals un mög lich), die geteilten Sopranstim men in den Partituren stellten aber wahrscheinlich auch damals Kinder vor große Schwie-rigkeiten. …Keine Grenzen kannte aber offen-

„Als mir Peter Deinhammer vor eini-ger Zeit die Partituren von Ramhauf-ski und Hochreither vorlegte, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie war es möglich, daß in Stiften zur Zeit schrecklicher Kriege und Seu -chen mitten im oberösterreichischen Bauernland solche komplexen und anspruchsvollen Partituren zum Klin-gen gebracht werden konnten?Die Stiftsmusiken von Lambach und Kremsmünster gehörten zu den besten im Lande, dennoch waren wohl aus-

Überwältigendes Schauspiel in Klängen

GLORIA IN EXCELSIS DEOMessen von Beniamin Ludwig

Ramhaufski (ca. 1631-1694) und Joseph Balthasar Hochreither (1669-1731)

St. Florianer Sängerknaben – Ars Antiqua Austria,

Leitung: Gunar LetzborSY 06220 (T01)

sichtlich die barocke Phantasie dieser Komponisten. Auf der Suche nach Kontrasten, nach Farbenreichtum, unterschiedlichen Affekten sowie Licht- und Dunkeleffekten werden alle Mittel ausgeschöpft. Jubilierende konzertierende Violinen, vielstim mige sonore Violenklänge, Posaunen, zwei Orgeln, der großbesetzte Trompeten-chor, die getrennt aufgestellten Sän-gerensembles: Ein überwältigendes Schauspiel in Klängen!“

Gunar Letzbor

Gunar Letzbor

Susanne Ansorg, Randall Cook, Lena Susanne Norin (von links)

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J. S. BACH (1685-1750)Kantaten Vol. 15: Sehet, welch eine Liebe BWV 64, Süßer Trost BWV 151, Selig ist der Mann BWV 57, Ich freue mich in dir BWV 133Katherine Fuge, Gillian Keith & Joanne Lunn, Sopran – Robin Tyson & William Towers, Alt – James Gilchrist, Tenor – Peter Harvey, Baß – The Monteverdi Choir & The English Baroque Soloists, Leitung: John Eliot GardinerSDG 127 (T01)

WALLFAHRT NACH SANTIAGOMusik vom Codex Calixtinus bis zu Tomás Luis de Victoria und Orlando di LassoThe Monteverdi Choir, Leitung: John Eliot GardinerSDG 701 (T01)

J. S. BACH (1685-1750)Kantaten Vol. 7: Es ist nichts Gesundes BWV 25, Jesu, der du meine Seele BWV 78, Wer Dank opfert BWV 17, Nun ist das Heil BWV 50, Herr Gott, dich loben alle wir BWV 130, Es erhub sich ein Streit BWV 19, Man singet mit Freuden vom Sieg BWV 149Malin Hartelius, Sopran – Robin Tyson & Richard Wyn Roberts, Alt – James Gilchrist, Tenor – Peter Harvey, Baß – The Monteverdi Choir & The English Baroque Soloists, Leitung: John Eliot GardinerSDG 124 (Q02)

CD zum Zeugnis einer außerordent-lichen Erlebnisreise am Pilgerweg zum Heiligen Jakob.„Der mittelalterliche Gedanke einer Pilgerreise – nach Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostela – und ihre praktische Durchführung, die sich über Monate oder gar Jahre hin-zog, läßt sich mit unserer heutigen Gewohnheit des motorisierten Reisens oder des Pauschalurlaubs nicht so recht vereinbaren. Wenngleich für die ursprünglichen Pilger auch das (physische wie metaphysische) Ziel Bedeutung hatte, so war doch die eigentliche Reise das Wesentliche, mit all ihren Gefahren und Erlebnissen, die man mit den – zuweilen gewalt-tätigen, aber meist umgänglichen – Reisegenossen teilte. …

2004, im vierzigsten Jahr seines Bestehens, unternahm der Monte-verdi Choir mit seinem Leiter John Eliot Gardiner eine Pilgerreise durch Frankreich und Nordspanien nach Santiago de Compostela. Kon-zerte in den großen Abteien und Kathedralen am Pilgerweg begleite-ten die Reise.

Die Programme dieser Pilgerkonzerte konzentrierten sich auf die polypho-ne geistliche Musik der iberischen Halbinsel im 16. und 17. Jahrhundert und stellten diese Werke in einen breiteren europäischen Kontext durch Stücke von Komponisten, die außer-halb Spaniens und Portugals arbei-teten, deren Musik jedoch vermut-lich dort bekannt war. So wird diese

PilgerwegeAls der Monteverdi Choir 2004 sein vierzigjähriges Bestehen feierte, unter-nahmen wir die älteste und berühm-teste Pilgerreise, el camino de Santiago entlang eine Pilgerreise mit Gesang. … Diese Einspielung, die nach unse-rer Rückkehr nach London entstand, bietet die Gelegenheit, die Musik in der Abfolge mitzuerleben, wie sie uns auf dieser Strecke begleitet hat. … Wir alle hatten unsere Gründe, warum wir an dieser Reise teilnahmen – körper-liche, geistige und seelische. Doch dieser Musik lag ein gemeinsames Streben zugrunde. … Wie der alte Pilgergruß lautet: „E ultreya e suseya, Deus adjuva nos! – Und vorwärts und voran, Gott helfe uns!“

Sir John Eliot Gardiner

„I think I‘ve just found my

record of the year.“

THE SUNDAY TIMES

John Eliot Gardiner

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Joyce DiDonato live at Wigmore HallLieder von Fauré, Hahn und Head / Arien von Händel und RossiniJoyce DiDonato, Mezzosopran & Julius Drake, KlavierWHL 0009 (Q01)

ihrem Programm zu einer abwechs-lungsreichen Reise in die Lagunen-stadt ein: Rossini, der sich nach 20jähriger Kompositionspause wieder der Musik zuwandte und sein ebenso originelles wie amüsantes Alterswerk komponierte, das er in köstlicher Selbstironie Péches de vieillesse (Alters-sünden) nannte, setzte darin den venezianischen Gondolieri ein klin-gendes Denkmal. Gabriel Fauré und Rey naldo Hahn waren in Venedig Gäste der Princesse de Polignac, die

Venedig ist frohgemut und unheim-lich, verlockend und fesselnd. Die Hinfälligkeit der Stadt erinnert uns an unsere eigene Vergänglichkeit, doch nimmt ihr dies nichts von ihrer Faszination und einzigartigen Schönheit. Da ist es kein Wunder, daß die Serenissima auch immer eine ein-zigartige Inspirationsquelle für Musik gewesen ist. In ihrem am 16. Januar 2006 in der Wigmore Hall aufgezeichneten Konzert lädt Joyce DiDonato mit

eine Tochter des Nähmaschinenfabri-kanten Singer und ebenso reich wie men schenfreundlich war. Beide Kom -po nisten verewigten Venedig in Lie-der zyklen, wie es auch der Engländer Michael Head (1900-1976) tat, der am Ende seines Lebens die Songs of Venice schrieb und sie Dame Janet Baker widmete.Mit den Zugaben ihres Konzertes be -gab sich Joye DiDonato auf bekanntes Terrain, ist sie doch ein vielgefragter Star auf den Opernbühnen der Welt. Arien aus Händels Giulio Cesare und Rossinis La Cenerentola rissen das Pub-likum zu Begeisterungsstürmen hin.

Venezianische Reise

sowie mit seiner Gruppe Mobiil.Über seine CD La Chair des Anges schreibt Mellano auf seiner Home-page: „Alles ging ganz schnell nach dem Angebot von naïve, in etwas mehr als einem Jahr habe ich neue Stücke geschrieben und die älteren korrigiert, die wir noch einmal einge-spielt haben. Die Aufnahmen waren für mich Momente reinen Glücks mit Interpreten, die sowohl als Menschen

1971 in Paris geboren, verlebte Olivier Mellano seine Kindheit in der Breta-gne und studierte Musikwissenschaft in Rennes. Er arbeitete als Geiger und Gitarrist mit Stars des nouvelle chanson française (Dominique A, Yann Tier -sen) und vielen anderen Gruppen wie Bed und Laetitia Sheriff zusammen. Seine breite künstlerische Aktivität entfaltet Mellano als Komponist und Autor für den Tanz und das Theater

Musikalischer Grenzgänger

Olivier MELLANO (*1971)Perpetuus animarum motus I & II,

riVIÈre (Streichquartett Nr. 1), La chair des anges u. a. Quatuor Debussy – Bertrand Cuillier &

Frédéric Rivoal, Cembalo – Olivier Vernet, Orgel u. a. AV 782178 (T01)

wie als Musiker großartig waren. Von Olivier Vernet, der die Orgel der Kathedrale von Tours erbeben ließ bis zu dem meisterhaften Quatuor Debussy im Auditorium von Lyon, die Sängerin Valérie Gabail mitreißend gegenüber einer Mauer von elektri-schen Gitarren, und die Cembalisten Bertrand Cuiller und Frédéric Rivoal übertreffen sich selbst.

„The mezzo

of the moment“

THE GRAMOPHONE

Joyce DiDonatoFoto: Anna Bloom

Olivier MellanoFoto: Richard Dumas

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Sieben Jahre in der Schublade

Dimitri SCHOSTAKOWITSCH (1906-1975)Violinkonzerte Nr. 1 a-moll op. 99 & Nr. 2 cis-moll op. 129Sergey Khachatryan, Violine – Orchestre National de France, Leitung: Kurt MasurAV 5025 (T01)

mit Sergey Khachatryan bereits erschienen:

Jean SIBELIUSViolinkonzert d-moll op. 47Aram KHATCHATURIANViolinkonzert d-mollSinfonia Varsovia, Leitung: Emmanuel KrivineAV 4959 (T01)

liche Existenz natürlich bekannt war, nach Amerika mitbrachte und dort aufführte. Schostakowitschs Peiniger Stalin war seit zwei Jahren tot, und die neuen Machthaber konnten sich nicht die Blöße geben, ein großes Werk eines weltberühmten russischen Komponisten im Ausland uraufführen zu lassen. Folglich erhielt das Stück eine neue Opusnummer (99 statt 77), als hätte Schostakowitsch in der Ein-sicht früherer Fehler die Komposition gründlich revidiert – in Wahrheit be -stand die einzige Veränderung in einer Neuinstrumentierung des Beginns des Finales, die Oistrach vorgeschlagen hatte. Nach der Uraufführung am 29. Oktober 1955 in Leningrad spielte David Oistrach das so lange geächtete Werk am 29. Dezember desselben Jahres mit triumphalem Erfolg in der

„Khachatryan sichert sich mit seiner Spiel-

technik von vornherein einen Platz in der

ersten Reihe heutiger Hochleistungs virtu o-

sen. Für den Rezensenten bleiben da keine

Wünsche offen.“

RONDO

uns allen imponiert,“ erinnert sich der Solocellist des Orchesters, „allein wie er zu seinem Pult gegangen ist, respekt-einflößend. Wenn er dirigiert, strömt

Seit September 2005 ist Tugan Sokhiev erster Gastdirigent und musikalischer Berater des Orchestre National du Capitol de Toulouse, im Alter von 28 Jahren kann der in Nordossetien geborene und in St. Petersburg bei Ilya Musin und Juri Temirkanow ausgebil-dete Musiker bereits auf eine weltwei-te Karriere verweisen, die auch eine Zusammenarbeit mit dem Petersbur-ger Marinskij-Theater und seinem Chef Valerij Gergiev einschließt.Als Sokhiev zum ersten Mal den Musikern in Toulouse gegenüber-stand, sprang der Funke augenblick-lich über. „Seine ruhige Autorität hat

Liebe auf den ersten BlickModest MUSSORGSKYBilder einer Ausstellung

Peter TSCHAIKOWSKYSinfonie Nr. 4 f-moll op. 36Orchestre National du Capitole de Toulouse, Leitung: Tugan SokhievAV 5068 (T01)

er ein beeindruckendes Charisma aus. Alles an ihm macht Musik: Arme, Finger, Beine, Augen. Er vermittelt uns eine unglaubliche Emotion.“

EMPF

OHLEN VON

Carnegie Hall unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos.

Die Geschichte seines ersten Violin-konzerts verdeutlicht in bedrücken-der Weise die Atmosphäre von Re -pres sion und Ächtung, unter der Schostakowitsch als Künstler in einem totalitären Staat zu leiden hatte. Der Komponist widmete das Werk David Oistrach, der es alsbald nach sei-ner Fertigstellung im Frühjahr 1948 einzustudieren begann und es trotz seiner immensen technischen Schwie-rigkeiten augenblicklich in sein Herz schloß. An eine Uraufführung war infolge der allgemeinen Ächtung Schostakowitschs nicht zu denken, und so lag das Stück sieben Jahre lang in der Schublade begraben. Als Oistrach 1955 eine Tournee in die Vereinigten Staaten unternahm, bestand der amerikanische Impresario darauf, daß er das Werk, dessen heim-

Sergey KhachatryanFoto: Philippe Gontier

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„Kaum ein anderer kann Beethovens

zürnende Verzweiflung mit so unent-

rinnbarer Intensität in Klang verwan-

deln wie Gustav Kuhn mit dem

Haydn Orchester.“

DER STANDARD (WIEN)

Johannes BRAHMS (1833-1897)Die vier Sinfonien, Haydn-Variationen, Akademische Fest ouvertüre, Tragische Ouvertüre, Ungarische Tänze Nr. 1, 3, 10 & 17New York Philharmonic, Leitung: Bruno WalterUAR 004.3 (G03)

war als Jude natürlich auch vom Bannstrahl der Nazis betroffen. Zu -nächst zog er sich nach Österreich zurück, nach dem Anschluß 1938 war auch dort seines Bleibens nicht mehr. Über die Zwischenstation Frankreich emigrierte er 1939 mit 63 Jahren in die USA, wo er die befreundete Familie Mann wiedertraf. Wie für viele deutsche, insbesondere jüdische Emigranten wurden die Vereinigten Staaten für Bruno Walter eine neue

„Wo ich bin, da ist die deutsche Kul-tur“ hatte der von den Nazis ins Exil gezwungene Thomas Mann selbstbe-wußt festgestellt und sich damit an die Spitze der vielen Emigranten gestellt, die im Deutschland Adolf Hitlers nicht mehr leben konnten oder woll-ten. Bruno Walter – als Nachfolger Gustav Mahlers langjähriger Leiter der Wiener Oper, später Musikalischer Direktor der Münchner Oper und enger Freund Thomas Manns –

Heimat – 1946 wurde er amerika-nischer Staatsbürger. Bruno Walters Einsatz für das Musikleben seines neuen Landes war von demselben Elan geprägt, der schon sein Wirken in Deutschland und Österreich aus-gezeichnet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich Walter wieder dem europäischen Kontinent zu, doch hielt er Amerika gleichwohl die Treue, wie diese zu Beginn der 50er Jahre entstandenen Aufnahmen mit den New Yorker Philharmonikern bezeu-gen.

New Yorker Schätze

Zeitgeists im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, so wie Schiller lite-rarisch das Kommen einer neuen Zeit verkündete. Haydn selbst, aus dessen Händen er Mozarts Geist erhalten sollte, erspürte zwar das Genie des jungen Mannes, fühlte sich aber gleichwohl abgesto-ßen von seiner romantisch-avantgar-distischen Attitüde, die all seinen von der Epoche der Aufklärung genährten musikalischen Idealen widersprach.Zwischen der ersten und fünften

„Ich bin da!“ unter diesem Motiv steht die vorliegende CD, und damit trifft sie genau die Atmosphäre, in der sich Beethoven in den 1790er Jahren die Wiener Kulturlandschaft eroberte: Wie ein Komet erschien er über dem Horizont der altehrwürdi-gen Kaiserstadt, und man kann sich gut vorstellen, wie ein Anhänger der Musik von Mozart und Haydn hätte sagen können: „Meine Kinder finden, er ist genial.“ Beethoven war der musi-kalische Ausdruck des revolutionären

Revolutionäre Klänge

Ludwig van BEETHOVEN (1770-1827)Sinfonien Nr. 1 C-Dur op. 21

& Nr. 5 c-moll op. 67Haydn Orchester von Bozen und Trient,

Leitung: Gustav KuhnCOL 60001 (M01)

Sinfonie gibt es allerdings auch für Beethoven selbst einen entscheiden-den Unterschied: Ähnlich wie Schiller wandte sich auch Beethoven von den Idealen der französischen Revolution ab, nachdem Napoleon sich vom Revolutionär zum Diktator gewan-delt hatte. Die ästhetischen Vorgaben seines Schaffens hatten sich allerdings nicht verändert, wie die vorliegende Einspielung zweier Sinfonien zeigt, die aus den Zeiten vor und nach seiner positiven Haltung zu den Vorgängen im französischen Nachbarland stam-men.

Bruno Walter

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„Munterkeit und Grazie, die edel -ste Melodie mit der reinsten Harmo -nie…“ – so drückte ein Zeitgenosse aus, was ihn an der Musik Leopold Koželuchs begeisterte. Als eines von 16 Kindern eines Schusters im nörd-lich von Prag gelegenen Welwarn geboren, erhielt der begabte Knabe eine Ausbildung in Prag und ging 1778 nach Wien, um dort sein Glück zu machen. Schnell konnte er sich als Klavierlehrer und Virtuose in der Kaiserstadt etablieren, sodaß er 1781 ein Angebot des Salzburger Fürst-erzbischofs ausschlagen konnte, der ihn als Nachfolger Mozarts engagieren wollte. In Wien stand er mit Mozart, der seit 1781 als virtuoser Stern über der Stadt aufgegangen war, in direktem Wett-bewerb. Das konnte auch zu Kon-fliktsituationen führen; so ist ein Streit

Mozarts Kollege, Konkurrent und ErbeLeopold KOŽELUCH

(1747-1818)Klavierkonzerte Nr. 1 F-Dur, Nr. 4 A-Dur und Nr. 5 Es-Dur

Tomas Dratva, Klavier – Slovak Sinfonietta Žilina,

Leitung: Oliver von DohnanyiOC 588 (I01)

zwischen Mozart und Koželuch anläß-lich der Aufführung einer Kompo-sition Joseph Haydns überliefert, in dem Mozart den bewunderten Kolle-gen vor dem kritischen Koželuch in Schutz nahm: „Herr, und wenn man uns beide zusammenschmilzt, wird doch noch lange kein Haydn daraus.“

Vereinigten Staaten zu erobern, war fehlgeschlagen: Niemand interessier-te sich damals in der neuen Welt für Konzertabende mit Musik von Schumann oder Bach.Der amerikanische Mißerfolg mag dazu beigetragen haben, daß sich Arrau in den 20er Jahren mit einer schweren seelischen Krise konfrontiert sah, die er mit Hilfe einer Psycho-analyse zu überwinden suchte (zeit seines Lebens machte er immer wieder von dieser Therapie Gebrauch).

Im Alter von 38 Jahren verließ Clau-dio Arrau Deutschland und ging in die USA. Der in Chile geborene Künstler war als Wunderkind nach Deutschland gekommen, hatte im Liszt-Schüler Martin Krause einen hervorragenden Lehrer und väterli-chen Mentor gewonnen und sich nach zwei aufeinanderfolgenden Siegen im Liszt-Wettbewerb 1919 und 1920 als Interpret vom Rang eines Wilhelm Kempff oder Artur Schnabel etab-lieren können. Ein erster Versuch, am Beginn der 1920er Jahre die

Rückkehr nach Amerika

CLAUDIO ARRAU: BIRTH OF A LEGEND – Die Columbia-Aufnahmen 1946-1950Werke von Beethoven, Schubert, Chopin, Schumann, Debussy, Ravel und AlbénizClaudio Arrau, KlavierUAR 008.4 (F04)

1941, als sein Vaterland Chile an der Seite der USA in den Zweiten Welt -krieg eintrat, verließ Arrau Deutsch-land und übersiedelte in die USA. Hier lebte inzwischen ein großer Teil des ehemaligen deutschen Kulturle bens in der Emigration und bescherte beson-ders dem amerikanischen Musikleben eine wahre Blütezeit. Claudio Arraus hier veröffentlichte Studioaufnahmen für Columbia Records zeigen sei-nen Beitrag zu diesem kulturellen Aufschwung in den USA.

Schon seit Beginn der 1780er Jahre war Koželuch Musiklehrer am Kaiser -hof gewesen, nach dem Tod Mozarts wurden die Bande noch enger – man berief den Böhmen als Nachfolger des Verstorbenen auf den Posten des kaiserlich-königlichen Kammerkom-ponisten.

Claudio Arrau

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harmonia mundi magazin18

Avantgarde aus drei Jahrhunderten vereinen die Neuerscheinungen aus dem Bereich Neue Musik in die-sem Monat: Charles Ives revolutio-nierte die Musik mit ganz und gar unkonventionellen Werken seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts und

Neues aus der Neuen Musikist in völlig anderer Weise als sein Jahrgangsgenosse Arnold Schönberg ein Kirchenvater der Musik im 20. Jahrhundert. Iwan Wyschnegradsky schuf mit seiner mikrotonalen Musik mystische Kunstwerke, die auch heute noch ansprechen. Die Werke von

George Crumb, Wolfgang Mitterer und Enno Poppe gehören der jüng-sten Entwicklung der Musik an und weisen mit jeweils stark ausgeprägter Individualtiät in eine schöpferische Zukunft im 21. Jahrhundert.

Enno POPPE (*1969)Interzone (Lieder und Bilder)

Omar Ebrahim, Stimme – Neue Vocalsolisten – ensemble mosaik,

Leitung: Jonathan Stockhammer

KAI 0012552 (T01)

Wolfgang MITTERER (*1958)coloured noise (Brachialsymphonie für 23 Musiker und Electronics)Wolfgang Mitterer, Orgel – Klangforum Wien, Leitung: Peter Rundel

KAI 0012592 (T01)

George CRUMB (*1929)Vox Balaenae, Eleven Echoes of Autumn, Dream Sequence, Four NocturnesEnsemble für Neue Musik Zürich

HAT CD 166 (T01)

Ivan WYSCHNEGRADSKY (1893-1979)24 Preludes im Vierteltonsystem (Auszüge),

Étude op. 40

Charles IVES (1874-1954)Three quarter-tone pieces for two pianos,

Three page sonataJosef Christof & Steffen Schleiermacher, Klavier

HAT CD 143 (T01)

Enno PoppeFoto: Klaus Rudolph

Wolfgang Mitterer

George Crumb

Ivan Wyschnegradsky

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harmonia mundi magazin 19

… weitere interessante Neuheiten

Wolfgang MITTERER (*1958)coloured noise (Brachialsymphonie für 23 Musiker und Electronics)Wolfgang Mitterer, Orgel – Klangforum Wien, Leitung: Peter Rundel

KAI 0012592 (T01)

George CRUMB (*1929)Vox Balaenae, Eleven Echoes of Autumn, Dream Sequence, Four NocturnesEnsemble für Neue Musik Zürich

HAT CD 166 (T01) Möchten Sie unser harmonia mundi magazin regelmäßig lesen? Wir schicken es Ihnen gerne kostenlos zu.Kurze Mitteilung an [email protected] oder die im Impressum genannte Adresse genügt!

IMPRESSUMHerausgeber: harmonia mundi gmbhWernher-von-Braun-Straße 13 · D-69214 EppelheimRedaktion: Michael Blümke, Texte: Detmar HuchtingGraphik/Layout: globalmediaweb.de

Kopelman Quartet live at Wigmore Hall

Streichquartette von Tschaikowsky (op. 30) & Schubert (D 810)

WHL 0010 (Q01)

Marie-Antoinette – Les musiques d‘une reine

Musik von Rameau, Gluck, Haydn, Mozart, Saint-Georges u. a.

Diverse Interpreten

AV 5062 (T01)

DudanaWerke von Bach, Liszt & RachmaninoffDudana Mazmanishvili, Klavier

OC 575 (I01)

Ulrich Herkenhoff – RecitalWerke von Bach, Mozart, Debussy,

Svendsen, Rózsa & GenzmerUlrich Herkenhoff, Panflöte & Matthias Keller, Klavier

OC 610 (Q01)

Vivaldi, il furioso!Auszüge aus der Vivaldi-Edition – Opern, Geistliche Musik, Concerti, SonatenDiverse Interpreten

OPS 30-432 (I01)

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harmonia mundi magazin20

Luxusausstattung für große Einspielungen

Historische OrgelnSpanien (Palma de Mallorca, Trujillo, Covarrubias) – Frankreich (Malaucène, Marmou-tier, Saint-Maximin) – Italien (Brescia, Bastia) – Deutschland (Trebel, Altenbruch)Francis Chapelet, René Saorgin, Michel Chapuis & Helmut Winter, OrgelHMX 2901225- (E06)

The Essential Andreas SchollAntonio Vivaldi: Stabat MaterEnglish Folksongs & Lute SongsG. F. Händel: Ombra mai fu (Opernarien)Ensemble 415, Leitung: Chiara Banchini – Andreas Martin, Laute – Akademie für Alte Musik BerlinHMX 2908193- (I03)

Astor PIAZZOLLA (1921-1992)Konzert für Bandoneon und Orchester, Tres movimientos tanguísticos porteños, Fünf TangosPablo Mainetti, Bandoneon – Lluís Vidal, Klavier – Orquestra de Cambra Teatre Lliure, Leitung: Josep PonsHML 5901595 (Q01)

J. S. BACH (1685-1750)Hohe Messe in h-moll BWV 232Johannette Zomer & Véronique Gens, Sopran – Andreas Scholl, Altus – Christoph Prégardien, Tenor – Peter Kooy & Hanno Müller-Brachmann, Baß – Chor und Orchester des Collegium Vocale, Leitung: Philippe HerrewegheHML 5901614- (L02)

bereithält. Drei Höhepunkte der Disko graphie von Andreas Scholl und ein klingendes Lexikon der europä-ischen Orgelmusik unterstreichen diese Vielfalt und erfreuen zusätzlich durch ihren günstigen Preis.

chale Einspielung von Bachs h-moll-Messe und die mitreißende Aufnahme von Astor Piaz zollas Bandoneonkon-zert legen Zeug nis für die Vielfalt des Angebots von harmonia mundi ab, das für jeden Musikfreund etwas

Wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit wählt harmonia mundi aus dem Kata-log besondere Aufnahmen aus, um sie zwischen zwei Buchdeckeln in Luxus-ausstattung zu präsentieren. Mit zahl-reichen Abbildungen und zusätzlichen Texten wird das ursprüngliche Beiheft zu einer informationsreichen Bilder-galerie, die den Hörgenuß um den Augenschmaus großer Kunstwerke bereichern. Philippe Herre weghes epo-