Hat er nun oder hat er nicht?

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    Das Marx-Engels-Problem:Warum Engels das Marxsche Kapital nicht verflscht hat

    Michael R. Krtke

    Das Marx-Engels-Problem

    Der Marxismus hat aus der Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft von Marxund Engels einen Mythos fabriziert. Beide wurden als Einheit, ein Herz undeine Seele dargestellt und gefeiert. Gustav Mayer hat in seiner Engels-Bio-graphie damit schon aufgerumt. Auch ohne Heldenmythos bleibt ihre Arbeits-gemeinschaft eine historische Tatsache. Niemand stand Marx intellektuell sonahe, niemand war daher besser geeignet und besser darauf vorbereitet, seinenachgelassenen Manuskripten zu bearbeiten und heraus zu geben als FriedrichEngels. Da Engels nach allen Zeugnissen ein uneitler, Intellektuellen-Allren

    abholder Mann war, darf man ihn getrost ernst nehmen: Er hat auf viele eigeneArbeiten, auf ehrgeizige Plne und Projekte verzichtet, um das Werk seinesverstorbenen Freundes heraus zu geben eine Aufgabe, die Marx selbst frunlsbar gehalten hatte.1

    Maximilien Rubel, jahrzehntelang ein scharfer Kritiker des Marx-Engels-Mythos, hat in seinem letzten Beitrag Engels ausdrcklich gegen den Vorwurfverteidigt, er habe die von Marx im zweiten und dritten Buch des Kapitalintendierte Darstellung entstellt oder verflscht. Um diesem Vorwurf zu be-gegnen, brauchte er die zahlreichen und mittlerweile wohl bekannten Unter-schiede zwischen Marx und Engels keineswegs zu leugnen.2

    1 Siehe Gustav Mayer: Friedrich Engels. Eine Biographie. 2 Bde. Hamburg 1971. (Zuerst 1934.)2 Siehe Maximilien Rubel: Nach hundert Jahren: Pldoyer fr Friedrich Engels. In: Internationale

    wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 31. Jg.,H. 4. 1995. S. 520531; Lawrence Krader: Ethnologie und Anthropologie bei Marx. Frank-furt a.M. 1976. S. 124ff.; Terrell Carver: Marx and Engels: The Intellectual Relationship. Blo-omington, Brighton 1983; ders.: Terrell Carver: The Engels-Marx Question. In: Manfred B.Steger, Terrell Carver (eds.): Engels after Marx. Manchester 1999. S. 1736; John L. Stanley,Ernest Zimmermann: On the Alleged Differences Between Marx and Engels. In: PoliticalStudies. Vol 32. 1984.

    Marx-Engels-Jahrbuch 2006. S. 142170.

    S. 226248.

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    Im westlichen Marxismus ist die verstndliche Aversion gegen den partei-offiziellen Mythos von den Dioskuren Marx-Engels umgeschlagen in einedeutliche Aversion gegen Engels. Das hat dazu gefhrt, dass Engels als His-toriker, als politischer Theoretiker wie als Militrspezialist in Vergessenheitgeriet, seine intellektuelle Leistung insgesamt als irrelevant bzw. dem Marx-schen Werk nicht kongenial und eher abtrglich abgetan wurde. Wieder undwieder wurde Engels zum Urheber des Marxismus erklrt, der die sptereVulgarisierung und Verflachung eingeleitet habe. Wieder und wieder wurdeihm vlliges Unverstndnis der Feinheiten der Marxschen Theorie vorgewor-fen. Terrell Carver hat in seiner Studie ber das intellektuelle Verhltnis vonMarx und Engels den Vorwurf zugespitzt und obendrein Engels Sndenfalldatiert: Im Sommer des Jahres 1859, als Engels auf Marx Drngen eine drei-teilige Rezension von Zur Kritik verfasste, zeigte sich sein fundamentalesMissverstndnis und begann der Weg in den Marxismus. Engels, so Carver,habe im August 1859 die Dialektik erfunden und Marx Methode auf den zusimplen Nenner einer angewandten Hegelschen Dialektik herunter gebracht.3

    Besonders bel nahm Carver die Historisierung der Marxschen Methode, dieEngels in seinem zweiten Artikel vorgenommen habe; schon die EngelsscheVermutung beraus naheliegend im Blick auf die Marxschen Texte dass eseinen engen Zusammenhang zwischen Geschichte und Theorie bei Marxgebe, ging ihm zu weit.4

    Engels betonte die Unterschiede, die zwischen ihm selbst und seinem be-wunderten Freund bestanden. Er sah sich als zweite Geige im Gespann Marxund Engels. Dennoch war er seinem Freund oft genug voraus und Marxzgerte nicht, das seinerseits anzuerkennen. Von Engels stammt der Ansto zurKritik der Politischen konomie seine Umrisse zu einer Kritik der Natio-nalkonomie aus dem Jahre 1844 werden noch im ersten Buch des Kapitalnicht weniger als fnfmal lobend erwhnt bzw. zitiert. Ebenso grndlich hatMarx Engels Untersuchung zur Lage der arbeitenden Klasse in England von1845 studiert und genutzt; diese Engelssche Arbeit wird im ersten Buch desKapital hufig erwhnt und zitiert.

    Engels war ein selbstndiger Kopf und Wissenschaftler auch ohne Abiturund Doktortitel ,5 bevor er mit Marx zusammentraf und sich mit ihm verbn-dete. Er ist auch der einzige, dessen Urteil Marx jederzeit ernst nahm, der

    3 Siehe Carver: Marx and Engels. S. 96ff.4 Ebenda. S. 114.5 In Deutschland, wo der akademische Kretinismus seit jeher besondere Blten treibt, muss man

    wohl hinzufgen: Der Mann war ja noch nicht einmal habilitiert!

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    einzige, den er als kongenialen Kopf akzeptierte. Lange Zeit haben Marx undEngels intensiv zusammen gearbeitet, nicht nur in den 1840er Jahren, als sieeine ganze Reihe umfangreicher Manuskripte zusammen schrieben wie die

    Heilige Familie, die nie abgeschlossene Deutsche Ideologie oder das Manifestder Kommunistischen Partei. Viele gemeinsame Projekte der beiden sind nierealisiert worden bzw. sind nicht ber Vorarbeiten und erste Entwrfe hinausgediehen. So z.B. schon ihre geplante Kritik der Nationalkonomie FriedrichLists oder ihre geplante Streitschrift zur Kritik von Proudhons Idee generale dela Revolution au XIXe siecle von 1851. Im ersten Fall ist ein Manuskriptfrag-ment von Marx Hand, im zweiten eines von Engels erhalten geblieben.6

    Engels war von 1850 bis 1883 der wichtigste Gesprchspartner fr Marx,mit dem er seine smtlichen Projekte ausfhrlich errterte, bei dem er sich invielen Detailfragen Rat holte, dem er seine neuen theoretischen Entdeckungenals erstem vorlegte und auf dessen Rat und Kritik er hrte. Mit Engels be-sprach Marx den Aufbau und die Form der Darstellung seiner Kritik der Po-litischen konomie, ihn hielt er als einzigen ber den Fortgang seiner Arbeitauf dem Laufenden. Eine der weniger bekannten Episoden aus dieser Zusam-menarbeit: Im Mai 1858 verbrachte Marx einige Tage vom 6. bis zum 24. in Manchester mit Engels, in diesen Tagen schrieb er noch am unvollendetenManuskript des Rohentwurfs der Kritik der Politischen konomie, das er imJuni 1858 abbrach. Es ist kaum wahrscheinlich, dass beide in dieser Schluss-

    phase nicht ber den Rohentwurf gesprochen haben, zumal Marx kurz davor,Anfang April 1858, seinem Freund zum ersten Mal ausfhrlich ber den Standseiner Arbeiten berichtet hatte.7 Fr die gesamte Periode von 1857/58 bis 1870,in der Marx an verschiedenen Fassungen seiner Kritik der Politischen ko-nomie arbeitete und seine konomischen Forschungen in mehreren Anlufenweiter trieb, zeigt sein Briefwechsel mit Engels, wie wichtig ihm dieser alsDiskussionspartner war und welchen Wert Marx auf sein Urteil legte. Mit

    6 Siehe Karl Marx: Draft of an Article on Friedrich Lists Book Das nationale System derpolitischen Oekonomie. In: Karl Marx, Frederick Engels: Collected Works. Vol. 4. S. 265293;

    Friedrich Engels: Critical Review of Proudhons Book Idee Generale de la Revolution auXIXeme Siecle. In: Karl Marx, Frederick Engels: Collected Works. Vol. 11. S. 545570. DieList-Kritik wurde nie vollendet. Man kann nur vermuten, warum Marx die Arbeit daran ab-brach. Er musste sich mit der Theorie des internationalen Handels auseinander setzen, derenKritik ihm damals noch unklar war.

    7 Siehe dazu die Darstellung des 6-Bcher-Plans und des Gangs der geplanten Darstellung imersten Abschnitt des ersten Buchs Das Kapital im allgemeinen in: Marx an Engels, 2. April1858 (Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 19561990 (im Folgenden: MEW). Bd. 29.S. 311318) (MEGA III/9. S. 121125) sowie den Hinweis, den Marx selbst in seinem Briefan Engels vom 14. Januar 1859 gab (MEW. Bd. 29. S. 383; MEGA III/9. S. 275).

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    Das Marx-Engels-Problem

    Engels Umzug nach London 1870 versiegt der Briefwechsel, unsere wichtigs-te Quelle fr den Gedankenaustausch und die Art der Zusammenarbeit vonMarx und Engels. Wir wissen aber aus den Zeugnissen Dritter, dass Marx undEngels sich von diesem Zeitpunkt an bis zu Marx Tod im Mrz 1883 fasttglich sahen und sprachen. Es ist wiederum kaum anzunehmen, dass sie sichnur ber das Wetter unterhielten und keine Zeit fr ernsthafte Errterungen derProjekte hatten, die ihnen gemeinsam am Herzen lagen.

    Marx selbst hat Engels als seinen kongenialen Partner bezeichnet: Was nunmich selbst und Friedrich Engels betrifft, schrieb er in Herr Vogt, ich er-whne Engels, weil wir beide nach einem gemeinsamen Plane und nach vor-heriger Verabredung arbeiten.8 Das galt auch in den 1870er Jahren. An En-gels Artikelserie gegen Dhring war Marx direkt beteiligt. Engels fungiertediesmal als Hauptautor, aber Marx war auf dem Laufenden und steuerte einenlngeren Text zur Kritik der Dhringschen Kritischen Geschichte der Natio-nalkonomie bei.9 Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Marx mit EngelsDarstellung ihrer gemeinsamen Auffassung in entscheidenden Punkten nichteinverstanden war. Wie es scheint, hat Engels ihm den Text zumindest inTeilen vorgelesen.10

    Die gemeinsame Arbeit von Marx und Engels am Anti-Dhring ist zumersten Mal im MEGA-Band I/27 ausfhrlich dokumentiert worden. Nebendem publizierten Text sind darin auch smtliche berlieferten Vorarbeiten von

    Engels und von Marx enthalten. Marx Randnoten zu Dhrings KritischerGeschichte der Nationalkonomie und des Socialismus sind von besonderemInteresse, weil sie das einzige und das letzte vollstndig ausgearbeitete StckTheoriegeschichte der Politischen konomie enthalten, das wir neben den Ka-piteln in Zur Kritik, den zahlreichen Funoten und Randbemerkungen im ers-ten Buch des Kapital kennen. Die unter dem Titel Theorien ber den Mehrwertzusammen gestellten Skizzen und Entwrfe, die im Manuskript von 186163einigen Raum einnehmen, haben noch den Charakter einer Selbstverstndi-gung, einer berprfung der gewonnenen Resultate anhand einer erneutenKritik der Theorien der klassischen konomen. Fr Marx war das ein ent-

    scheidend wichtiger Test der Stimmigkeit seiner eigenen Theorie: Konnte erdie Probleme lsen, an denen die klassischen konomen gescheitert waren undkonnte er zugleich zeigen, warum sie gescheitert waren? Daher ist dies Ma-

    8 Karl Marx: Herr Vogt. In: MEW. Bd. 14. S. 472. (MEGA I/18. S. 140.)9 Siehe Karl Marx: Randnoten zu Dhrings Kritischer Geschichte der Nationalkonomie. No-

    tizen. In: MEGA I/27. S. 131216.10 Siehe Gordon Welty: Marx, Engels and Anti-Dhring. In: Political Studies. Vol. 31. 1983.

    S. 284294; David McLellan: Marxism after Marx. 3rd ed. Basingstoke, London 1998.

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    nuskript noch nicht die Geschichte der Theorie, die Marx nach seinem Planvon 1862 als viertes Buch schreiben wollte, wohl eine Vorarbeit dazu. Diedrei theoriegeschichtlichen Kapitel, die in den Manuskripten zum zweitenBuch des Kapital enthalten waren und die Engels in seine Ausgabe aufgenom-men hat, sind ganz hnlich zu sehen. Hier folgte Marx noch dem Vorbild von

    Zur Kritik, das er im ersten Buch des Kapital zugunsten einer flexiblerenDarstellungsweise aufgab.

    Auch Engels Studie zum Ursprung der Familie, des Privateigentums unddes Staats, die er nach Marx Tod schrieb, beruhte zu einem groen Teil aufVorarbeiten von Marx, auf dessen umfangreichen ethnologischen und anthro-pologischen Studien aus den Jahren 1877/78 und spter.11 Engels selbst hat nieein Hehl daraus gemacht, dass er mit dieser Schrift nur einen Plan von Marxverwirklichen wollte im Vorwort zur ersten Auflage des Buchs von 1884sagte er das ausdrcklich12 und er hat Freunden wie Karl Kautsky und Fried-rich Adolph Sorge darber berichtet, dass er in der Tat die Marxschen Notizenund Exzerpte fr seine Arbeit benutzte.13 Seine Vorstudien zu der geplantenGeschichte der Philosophie und Naturwissenschaften postum zum ersten Mal1925 unter dem Titel Dialektik der Natur verffentlicht hat Engels zumgrten Teil noch zu Marx Lebzeiten, in den Jahren 1873 bis 1883 niedergeschrieben.14 Marx wusste von Engels Plan und hatte eine Meinung dazu,keineswegs eine rundweg ablehnende. Im Unterschied zu den meisten Marxis-

    ten war Marx durch eigene Studien15 wohl informiert ber den Stand der Na-turwissenschaften seiner Zeit. Er musste Engels geplante Arbeit als wichtigeErgnzung seiner eigenen Arbeit an der Kritik der Politischen konomie be-trachten, war er doch davon berzeugt, dass es einen notwendigen, historischenund systematischen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des modernenKapitalismus und dem unerhrten Aufschwung der Naturwissenschaften seitdem 18. Jahrhundert gab.

    11 Siehe Krader: Ethnologie und Anthropologie bei Marx.12 Siehe Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In:

    MEW. Bd. 21. S. 27. (MEGA I/27. S. 493.)13 Siehe die Briefe von Engels an Karl Kautsky vom 16. Februar, 24. Mrz, 11. April und

    26. April 1884 (MEW. Bd. 36. S. 109/110, 129, 133 und 142) sowie den Brief an FriedrichAdolph Sorge vom 7. Mrz 1884 (ebenda. S. 124).

    14 Siehe Friedrich Engels: Dialektik der Natur. In: MEW. Bd. 20. (MEGA I/26.)15 Siehe Karl Marx, Friedrich Engels: Naturwissenschaftliche Exzerpte und Notizen. Mitte 1877

    bis Anfang 1883. In: MEGA IV/31.

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    Das Marx-Engels-Problem

    Eine Zuspitzung

    Im westlichen Marxismus galt als ausgemacht, dass Engels die Marxsche Kri-tik der Politischen konomie, auf jeden Fall die Marxsche dialektische Me-thode grndlich missverstanden habe. Seit der Publikation der Marxschen Ori-ginalmanuskripte zum dritten Buch des Kapital im MEGA-Band II/4.2 wird ihm vorgeworfen, er habe den Marxschen Text nicht wort- und werkget-reu herausgegeben, sondern durch zahlreiche Eingriffe entscheidend verndert.So weitgehend verndert, dass man von einer Verflschung sprechen knne.16

    Solche Vermutungen gab es schon frher. Kautsky hat in seiner Vorrede zur

    Volksausgabe des zweiten Buchs des Kapital das Problem auf den Punkt ge-bracht: Wenn einige vermuteten, Engels habe nicht immer den MarxschenGedankengang voll erfasst und die Manuskripte nicht immer diesem Gedan-kengang entsprechend angeordnet und redigiert, dann msse man wohl denvon Engels bearbeiteten Text mit den Marxschen Originalmanuskripten ver-gleichen und wo ntig richtig stellen. Aber wenn er, Kautsky, das tte und ineinigen Punkten zu anderen Ergebnissen kme als Engels, welche Gewhrhtten die Leser, dass gerade meine Auffassung dem Marxschen Gedanken-gang nher kme als die Engelssche? Um weiter zu kommen, msse mandaher die Marxschen Originalmanuskripte, so wie sie sind, vollstndig pu-blizieren. Kautsky irrte, wenn er meinte, das sei nur fr wenige Marxologenvon Interesse.17 Wenn sich in der Tat zeigen liee, dass Engels die MarxschenManuskripte im Sinne des spteren Marxismus zugerichtet, mithin verkrzt,verkehrt, entstellt hat, dann wre das Grund genug, um den Fall Engels inallen Details aufzurollen und die Beweismittel, wie volumins auch immer,vollstndig auf den Tisch zu legen. So weit sind wir heute (fast). Aber Kauts-kys Bedenken bleibt. Welche Gewhr haben wir, dass heutige Interpreten denursprnglichen Marxschen Gedankengang besser treffen als Engels?

    Der Vorwurf richtet sich auch gegen Engels Beitrge zur Debatte um dieMarxsche Theorie. Engels hat in der Tat den Ansto zur bis heute whrendenDebatte um die Marxsche Wert- und Preistheorie gegeben in der Form der

    berhmten Preisfrage, die er im Vorwort zu seiner Ausgabe des zweiten Buchsdes Kapital stellte: Wenn sie [gemeint sind die konomen und im besonderen

    16 Siehe Carl-Erich Vollgraf, Jrgen Jungnickel: Marx in Marx Worten. In: MEGA-Studien1994/2. Berlin 1995. S. 355; Michael Heinrich: Engels Edition of the Third Volume of Capi-tal, and Marxs Original Manuscript. In: Science and Society. Vol. 60. No. 4. 1995. S. 452466.

    17 Siehe Karl Kautsky: Vorwort zur Volksausgabe. In: Karl Marx. Das Kapital. Zweiter Band.Volksausgabe, besorgt von Karl Kautsky unter Mitwirkung von Benedikt Kautsky. Berlin 1926.S. XI.

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    die Anhnger des Johann Karl Rodbertus M.K.] nachweisen, wie nicht nurohne Verletzung des Wertgesetzes, sondern vielmehr auf Grundlage desselbeneine gleiche Durchschnittsprofitrate sich bilden kann und mu, dann wollenwir weiter miteinander sprechen. 18 Die Herausforderung wurde angenommen,wenn auch nicht von den Rodbertus-Anhngern. Eine ganze Reihe von Ver-suchen, das Rtsel der Durchschnittsprofitrate zu lsen, wurde in den fol-genden Jahren publiziert so von George Christian Stiebeling, von ConradSchmidt, von Peter Fireman, Wilhelm Lexis, Julius Wolf, Julius Lehr undAchille Loria.19 ber die richtige Lsung entspann sich ein heftiger Streit, ausdem Engels sich heraus hielt. Erst im Vorwort zu seiner Ausgabe des drittenBuchs, 1894, ging er auf einige der Beitrge ein. Seinen brieflichen uerun-gen lsst sich entnehmen, dass er von Conrad Schmidts Versuch Die Durch-schnittsprofitrate auf Grundlage des Marxschen Werthgesetzes von 1889 amstrksten beeindruckt war: Die Schrift vom kleinen Schmidt in Berlin zeige,so schrieb er an Bebel, dass der Junge schon mehr herausgetftelt hat, als gutist es gereicht ihm zur hchsten Ehre. 20

    Hatte Engels Recht, eine solche Debatte zu provozieren, in der es nur umVermutungen ber die Marxsche Lsung bzw. die richtige Lsung des Marx-schen Problems gehen konnte? Immerhin hatte Marx bei einer hnlichen Ge-legenheit, als sich sozialdemokratische Intellektuelle wie Conrad Schramm inder sozialistischen Presse an die Interpretation seiner Werttheorie wagten, f-

    fentlich erbittert geschwiegen und nur brieflich seinem rger ber den Unsinn,der da verbreitet wurde, Luft gemacht. Was ihn erzrnte, war der Versuch, deneinigermaen verwickelten Zusammenhang von Wert und Produktionspreis,mit dem er selbst noch nicht ins Reine gekommen war, durch allgemeinescholastische Redensarten vorweg zu nehmen, also in typisch deutsch-philo-sophischer Weise ber ein Problem zu reden, ohne es verstanden, geschweigedenn gelst zu haben.21 Engels musste zu seiner berraschung feststellen, dasseinige Beitrge, namentlich die Conrad Schmidts und Peter Firemans, derMarxschen Problemstellung und seiner Lsung recht nahe gekommen waren.

    18 Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 2. In: MEW. Bd. 24. S. 26. Allerdings hatte Marx bereits am Schluss des ersten Kapitals von Zur Kritik der Politischenkonomie 1859 das Problem benannt, wie sich auf Grundlage des Werts ein davon verschie-dener Marktpreis entwickeln knne, und die Lsung fr die Lehre von der Konkurrenzangekndigt. Siehe Karl Marx: Zur Kritik der politischen konomie. Erstes Heft. In: MEW.Bd. 13. S. 48. (MEGA II/2. S. 139.)

    19 Siehe Michael C. Howard, John E. King: A History of Marxian Economics. Vol I: 18831929.1989. Basingstoke, London. S. 2535.

    20 Engels an August Bebel, 15. November 1889. In: MEW. Bd. 37. S. 302.21 Marx an Ferdinand Domela Nieuwenhuis, 27. Juni 1880. In: MEW. Bd. 34. S. 447.

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    Aber Schmidts Lsung war mit der Marxschen Werttheorie nicht kompatibelund Firemans bedeutender Beitrag ging leider nicht weit genug, um zur vollenLsung des Problems zu kommen.22 Den brigen, Lexis, Wolf und Stiebeling,wurden ihre Denk- und Rechenfehler vorgehalten, fr Achille Loria hatte En-gels nur Hohn und Spott. Engels nahm also die Marxsche Lsung als richtigan und schwieg sich ber Unklarheiten bzw. Darstellungsmngel bei Marxselbst aus.

    Dennoch hielt Engels die Marxsche Darstellung durchaus fr ergnzungs-bedrftig. An Werner Sombart richtete er die freundliche Aufforderung, ermge doch ruhig einen Versuch machen, jenen langen historischen Prozess zuuntersuchen und darzustellen, der vom Wert in den historischen Anfngen desWarenaustauschs bis hin zum Wert der kapitalistischen Produktionsform ge-fhrt habe. Eine wirklich historische Darlegung dieses Prozesses, die aller-dings tchtiges Studium erfordert, aber dafr auch reichlich lohnende Resultateverspricht, wre eine sehr wertvolle Ergnzung zum ,Kapital.23 Dass dabeietwas vllig anderes herauskommen wrde, nmlich Sombarts Buch Der mo-derne Kapitalismus von 1902, das keine historische Interpretation der Entwick-lung des Werts, sondern einen als Theorie prsentierten Abriss einiger Haupt-momente der Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus in Europaenthielt, konnte Engels nicht ahnen. Er selbst hat im Mai 1895 eine kleineStudie verfasst, die unter dem Titel Fr. Engels letzte Arbeit: Ergnzung und

    Nachtrag zum dritten Buch des Kapitals postum in der Neuen Zeiterschien. Inden spteren Ausgaben des Engelsschen dritten Buchs wurde dieser Nach-trag unter dem Titel Wertgesetz und Profitrate angefgt nicht von Engels,sondern erst von den sowjetischen Gralshtern der neuen, reinen Lehre, die1933 im Auftrag des Marx-Engels-Lenin-Instituts und in Konkurrenz zurKautskyschen Volksausgabe eine deutschsprachige Ausgabe des dritten Ban-des des Kapital herausbrachten, in der Engels Text, zusammen mit seinerDisposition zur Brse unter dem Titel Nachtrag dem Haupttext vorange-stellt wurde. Seither wurde Engels Text im orthodoxen Marxismus als inte-graler Bestandteil des dritten Buchs behandelt.

    22 Siehe Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 3 In: MEW. Bd. 25. S. 1821.(MEGA II/15. S. 1417.) In seiner Kritik an Conrad Schmidt antizipierte Engels zum Teildie sptere Debatte um das so genannte Transformationsproblem: Schmidt, so Engels, wurdein die Irre gefhrt, weil er glaubte, eine womglich mathematische Formel finden zu mssen,die den Einklang des Durchschnittspreises jeder einzelnen Ware mit dem Wertgesetz nachwei-sen liee, weil er also zu viel beweisen wollte. Ebenda. S. 19 (MEGA II/15. S. 15).

    23 Engels an Werner Sombart, 11. Mrz 1895. In: MEW. Bd. 39. S. 429.

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    Dieser Text ist seit jeher ein Stein des Anstoes fr Verteidiger des angeb-lich von Engels verflschten Marx gewesen. Sie reizt die Vorstellung, derWertbegriff knne irgend etwas mit Geschichte zu tun haben, es knne nichtnur sinnvolle Aussagen ber die historische Reichweite und Gltigkeit desberhmten Wertgesetzes geben, sondern sogar eine stimmige Argumentationzur historischen Entwicklung des Werts bzw. der diversen Wertbestimmun-gen.24 In den Marxschen Manuskripten ist allerdings beides sehr klar angelegt,wenn auch nicht ausgefhrt. Noch mehr reizt sie die gar nicht so schwerfassliche Idee, es knne noch sinnvolle Ergnzungen zum Marxschen Kapitalgeben, da sie in dem Glauben leben, das Kapital sei in der Tat fertig, derMarxsche Forschungsprozess irgendwann in den 1870er Jahren oder gar schonviel frher zum Abschluss gekommen, so dass es nur noch um die ideale Formder Darstellung habe gehen knnen. Sie nehmen den historischen Marx nichtzur Kenntnis bzw. nicht ernst. Engels, der ihn kannte, konnte sich derlei nichtherausnehmen.

    Engels Aufgabe wie er sie sah und verstand

    Zu Anfang des Jahres 1866, als er die erste Version der drei geplanten Bndedes Kapital niedergeschrieben hatte, erstattete Marx seinem Freund Bericht. Erschloss mit den Worten: Obgleich fertig, ist das Manuskript, riesig in seiner

    jetzigen Form, nicht herausgebbar fr irgend jemand auer mir, selbst nicht frDich. 25 Als Marx in den 1870er Jahren die zweite deutsche Ausgabe und diefranzsische Ausgabe des ersten Buchs abgeschlossen hatte, war er noch langenicht zufrieden. Die franzsische Ausgabe galt ihm als die beste, sie habeeinen wissenschaftlichen Wert unabhngig vom Original und sollte fr knf-tige Ausgaben des ersten Buchs als Textgrundlage dienen.26 In dieser franz-sischen Ausgabe wird noch mehr historisiert als in den deutschen. Marxmeinte, er habe hier viel Neues gebracht und vieles wesentlich besser dar-gestellt.27 Fr vollendet hielt er die Sache noch lange nicht.

    24 In dieser pauschalen Ablehnung alles dessen, was irgend Geschichte heien knnte zuguns-ten einer angeblich rein logischen Abfolge ebenso rein logischer Kategorien zeigt sich dieheimliche Komplizenschaft der Hegelianer mit dem Programm und Wissenschaftsverstndnisder Neoklassik.

    25 Marx an Engels, 13. Februar 1866. In: MEW. Bd. 31. S. 178.26 Siehe Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. Vor- und Nachwort zur franzsischen Ausgabe. In: MEW.

    Bd. 23. S. 32. (MEGA II/7. S. 690.)27 Marx an Friedrich Adolph Sorge, 27. September 1877. In: MEW. Bd. 34. S. 295. Einmal

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    Fr die dritte Auflage der deutschen Ausgabe des ersten Buchs wollte Marxnur so wenig nderungen und Ergnzungen wie mglich machen, um daszweite und dritte Buch rasch fertig stellen zu knnen. Er hielt eine viel wei-tergehende Umarbeitung dieses Buchs fr geboten.28 Engels drfte das nichtganz unbekannt gewesen sein; ber den Zustand des Kapital als Ganzes war erallerdings von Marx im Unklaren gelassen worden. Als Engels nach MarxTod den schriftlichen Nachlass seines Freundes sichtete, war er zugleich be-geistert und entsetzt. Er pries die wissenschaftliche Leistung seines Freundes.Das zweite Buch enthlt fast nur streng wissenschaftliche, sehr feine Unter-suchungen ber Dinge, die innerhalb der Kapitalistenklasse selbst vorgehen,daher nichts, woraus man Stichwrter und Deklamation fabrizieren kann,schrieb er beim ersten Durchlesen der Marxschen Manuskripte.29 Dies Buchwerde noch mehr Kopfbrechens machen ... als das erste. Es sind aber wun-derschne Untersuchungen, die den Leuten erst klarmachen werden, was Geldund was Kapital ist.30 Als der zweite Band des Kapital erschienen war, sahEngels sich bald in seiner Erwartung besttigt, er werde groe Enttuschungerregen, weil er so rein wissenschaftlich ist und nicht viel Agitatorisches ent-hlt.31 An Nikolaj Francevic Danielson schrieb er: Ich zweifelte nicht daran,da der 2. Band Ihnen das gleiche Vergngen wie mir bereiten wrde. DieAusfhrungen, die er enthlt, haben tatschlich ein so auerordentlich hohesNiveau, da sich der gewhnliche Leser nicht die Mhe nehmen wird, sie ganz

    zu durchdenken und bis ins letzte zu verfolgen.32

    Im Vorwort zum zweitenBand sprach er von den brillanten Untersuchungen dieses Buch II und ihreganz neuen Ergebnisse auf bisher fast unbetretenen Gebieten. Diese Unter-suchungen und ihre Ergebnisse seien allerdings nur Vorderstze zum Inhaltdes Buch III, des abschlieenden Bandes, worin erst die Schluergebnisseder Marxschen Darstellung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses aufkapitalistischer Grundlage entwickelt wrden.33 Von diesem dritten Buch hat-te Engels eine womglich noch hhere Meinung: Das sei ein Prachtwerk, dasden ersten [Band] wissenschaftlich noch in den Schatten stellen werde.34

    allerdings, in einem Brief an Danielson 1878, in dem er wieder die vielen wichtige(n) n-

    derungen und Ergnzungen in der franzsischen Ausgabe betonte, rumte Marx ein, er habe inder franzsischen Fassung die Darstellung besonders im ersten Kapitel verflacht (Marx anNikolaj Francevic Danielson, 15. November 1878. Ebenda. S. 358).

    28 Marx an Nikolaj Francevic Danielson, 13. Dezember 1881. In: MEW. Bd. 35. S. 246.29 Engels an Karl Kautsky, 18. September 1883. In: MEW. Bd. 36. S. 61.30 Engels an Karl Kautsky, 21. Juni 1884. Ebenda. S. 165.31 Engels an Friedrich Adolph Sorge, 3. Juni 1885. Ebenda. S. 324.32 Engels an Nikolaj Francevic Danielson, 13. November 1885. Ebenda. S. 384.33 Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 2. In: MEW. Bd. 24. S. 26.34 Engels an Johann Philipp Becker, 15. Juni 1885. In: MEW. Bd. 36. S. 328.

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    Engels sah, dass es sich um einen unfertigen, ersten Entwurf handelte. Gan-ze Kapitel wie das V. Kapitel ber zinstragendes Kapital, Kredit und Bankenwaren ganz offensichtlich ber weite Strecken noch im Stadium einer Mate-rialsammlung geblieben. Dennoch berwog sein Enthusiasmus: Das 3. Buch,Kapital wird immer groartiger, je tiefer ich eindringe . . . Es ist kaum fabar,wie ein Mann, der solche gewaltigen Entdeckungen, solch eine umfassendeund vollstndige wissenschaftliche Revolution im Kopf hatte, sie 20 Jahre beisich behalten konnte,35 schrieb er beim ersten Lesen des Manuskripts von1864/65. Dieser dritte Band, der die abschlieenden Resultate enthlt, undzwar ganz brillante Sache, wird die ganze konomie endgltig umwlzen undenormen Lrm machen, so Engels Erwartung im Frhjahr 1885, als er sich,whrend das zweite Buch im Druck war, an die Arbeit mit dem dritten Buchmachte.36 Seine Vorfreude lie ihn die gewaltigen Mhen der Redaktionsarbeit,die noch vor ihm lagen, ganz vergessen. Das Buch III ist in Arbeit. Es ist ganzausgezeichnet brillant. Diese Umwlzung der alten konomie ist wirklich un-erhrt. Erst hierdurch erhlt unsre Theorie eine unerschtterliche Basis undwerden wir befhigt, nach allen Seiten siegreich Front zu machen. 37 Das dritteBuch, schrieb er an Danielson, ist der abschlieende und krnende Teil undwird das erste Buch noch in den Schatten stellen. Dieser Band, so Engels imgleichen Brief, sei das verblffendste, was ich je gelesen habe, und es isttausendmal schade, da der Verfasser nicht mehr dazu kam, ihn auszuarbeiten,

    ihn selbst zu verffentlichen und die Wirkung zu beobachten, die er unwei-gerlich auslsen wird. Nach einer derart klaren Darlegung sind direkte Ein-wnde nicht mehr mglich. Die schwierigsten Fragen werden mit Leichtigkeiterklrt und entwirrt, als ob es sich um ein Kinderspiel handelte, und das ganzeSystem erhlt einen neuen und einfachen Aspekt. 38

    Offenbar wurde ihm bald klar, dass die erhoffte Wirkung des dritten Buchsvon der unfertigen, lckenhaften Form der Darstellung beeintrchtigt werdenknnte. So glasklar, wie er das beim ersten Durchlesen wahrnahm, war dieMarxsche Darstellung eben doch nicht. Vieles war unvollstndig geblieben.Marx brillante Untersuchungen wrden viel von ihrer Wirkung einben,

    wenn sie nicht in die passende, klare Form gebracht wrden, die in der Tatkeine Einwnde mehr erlauben wrde. Also formulierte Engels seine Aufgabeneu, nachdem er bereits vier Jahre an dem Manuskript gearbeitet hatte und

    35 Engels an Laura Lafargue, 8. Mrz 1885. Ebenda. S. 286.36 Engels an Johann Philipp Becker, 2. April 1885. Ebenda. S. 290.37 Engels an August Bebel, 4. April 1885. Ebenda. S. 293/294.38 Engels an Nikolaj Francevic Danielson, 23. April 1885. Ebenda. S. 301 und 302.

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    Das Marx-Engels-Problem

    seine Schwchen kannte: Gerade weil dieser abschlieende Band eine sogroartige und vllig unangreifbare Arbeit ist, halte ich es fr meine Pflicht,ihn in einer Form herauszubringen, in der die Gesamtlinie der Beweisfhrungklar und plastisch herauskommt.39 Das dritte Buch musste in Form gebrachtwerden, damit es seinen Zweck erfllen konnte. Denn erst mit dem abschlie-enden dritten Buch, das war Engels ebenso klar wie den Freunden, die daraufwarteten, wrde das ganze System des Autors vllig verstndlich, und dannwrden auch viele der jetzt erhobenen albernen Einwnde gegenstandsloswerden.40

    In der Tat hat Engels aus den vorhandenen Manuskripten von Marx zweiBcher zusammen gestellt, die uns seit 1885 bzw. 1894 als zweiter bzw. dritterBand des Kapital bekannt sind. Eine historisch-kritische Ausgabe der Origi-nalmanuskripte sind diese beiden Bnde nicht. Vielmehr eine Bearbeitung, mitder Engels dem nahe zu kommen strebte, was Marx zu geben beabsichtigthatte. In Marx Worten, aber eben auch im Marxschen Geist, dort wo dieMarxschen Worte fehlten. In den Vorworten zum zweiten und dritten Buch desKapital hat er klar Rechenschaft ber seine Redaktionsttigkeit abgelegt. Andiesem Selbstzeugnis ist er auch zu messen. Die Beckmesserei beginnt dort,wo ein fiktiver Engels in die Position des Herausgebers einer Historisch-Kri-tischen Gesamtausgabe versetzt wird, der geflligst den Originaltext htte edie-ren und auf smtliche Zustze und sonstige Bearbeitungen htte verzichten

    sollen. Denn die gehren nun mal, nach den Mastben einer wissenschaft-lichen Edition, in den Apparat bzw. in die Anmerkungen, nicht in den Text.Unsere beckmesserischen Freunde bersehen leider, dass es sich um Manu-skripte von Marx handelte, die von seinem Freund Friedrich Engels heraus-gegeben wurden. Und der wollte, wie Marx, die Umwlzung der alten ko-nomie, die wissenschaftliche Revolution: Der dritte Band sollte wieder wieein Donnerschlag wirken, ein Schlag, mit dem die ganze offizielle brger-liche konomie ber den Haufen geworfen wird.41 Deshalb hielt Engels weit-reichende Eingriffe in den vorliegenden Marxschen Text fr gerechtfertigt.Dass er dennoch den Charakter des ursprnglichen Manuskripts als eines ers-

    ten Entwurfs 42 weder versteckt noch verflscht hat, zeigen die Reaktionennach der Verffentlichung des dritten Bandes 1894. Von nicht wenigen Zeit-genossen ist Engels heftig dafr gescholten worden, dass er das Marxsche

    39 Engels an Nikolaj Francevic Danielson, 4. Juli 1889. In: MEW. Bd. 37. S. 244.40 Engels an Nikolaj Francevic Danielson, 9. November 1886. In: MEW. Bd. 36. S. 567.41 Engels an Friedrich Adolph Sorge, 3. Juni 1885. Ebenda. S. 324.42 Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 3. In: MEW. Bd. 25. S. 11.

    (MEGA II/15. S. 7.)

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    Manuskript in dieser unfertigen Form herausgegeben und nicht viel grndli-cher bearbeitet habe. Sombart z.B. machte ihm heftige Vorwrfe, fand seineBearbeitung viel zu zurckhaltend, und hielt es fr geradezu unverantwortlich,einen derart unfertigen Text zu verffentlichen.43 Engels nahm das kommen-tarlos hin. Ausdrcklich verwahrte er sich allerdings gegen Sombarts Kom-pliment, er habe aus dem Marxschen Manuskript des dritten Buchs etwasBesseres machen knnen, wenn er nur gewollt htte. Engels betonte dage-gen, er habe Marx in Marx Worten geben wollen, also die Marxschen Ma-nuskripte als unfertige Entwrfe samt Wiederholungen, Brchen und Sprn-gen, samt fragmentarischen Passagen und Lcken wieder zu geben selbstauf die Gefahr hin, dem Leser etwas mehr eignes Denken zuzumuten.44

    Mit dem bevorstehenden Abschluss der II. Abteilung der MEGA werden wirsmtliche Marxschen Originalmanuskripte zum zweiten und dritten Buch desKapital vor uns haben, so wie sie in den Jahren 186365 und dann in denJahren 18681881 (mit Unterbrechungen) entstanden sind. Dazu kommen En-gels Redaktionsmanuskripte (MEGA II/12 und II/14). Was Engels selbst imLaufe seiner Redaktionsarbeit verndert, umgestellt, umformuliert bzw. er-gnzt und erweitert hat, das knnen wir nun en detail feststellen und im rich-tigen Kontext im Blick auf die vorhandenen Materialien und die MarxschenIntentionen, die darin erkennbar waren und sind auch beurteilen. Damit solltees mit der malos berzogenen Engels-Schelte eigentlich vorbei sein. Solange

    die Manuskripte nicht zugnglich waren, war diese Kritik rein spekulativ bzw.beruhte ihrerseits auf leicht nachweisbaren Verflschungen der MarxschenTexte.45 Heute kann man sie nur noch als unhaltbar bezeichnen.

    Engels Arbeitsweise

    Im Fall des zweiten Buchs des Kapital haben wir unverschmtes Glck gehabt:Engels Arbeitsweise ist gut dokumentiert und in allen Einzelheiten nachvoll-ziehbar, da das vollstndige Redaktionsmanuskript zum 1885 verffentlichten

    zweiten Band erhalten blieb und im MEGA

    -Band II/12 verffentlicht wordenist. Wir haben auch die Marxschen Manuskripte zum zweiten Buch, vomersten Rohentwurf, geschrieben im Jahre 1864 und verffentlicht im

    43 Siehe Werner Sombart: Zur Kritik des konomischen Systems von Karl Marx. In: Archiv frsoziale Gesetzgebung und Statistik. Bd. 7. 1894. S. 557 und 558.

    44 Engels an Werner Sombart, 11. Mrz 1895. In: MEW. Bd. 39. S. 429.45 Siehe Christopher J. Arthur: Engels as Interpreter of Marx Economics. In: Ders. (ed.): Engels

    Today: A Centenary Appreciation. London, New York 1996. S. 173209.

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    Das Marx-Engels-Problem

    MEGA

    -Band II/4.1, bis zum letzten Manuskript VIII, an dem Marx nach demheutigen Forschungsstand bis zum Frhsommer 1881 gearbeitet hat. Alle dieseManuskripte hat Engels zur Verfgung gehabt und auch genutzt. Wir knnenalso die Beschreibung der Redaktionsarbeit, die Engels selbst im Vorwort alseine Art Rechenschaftsbericht gab, mit den von ihm selbst stammenden Ar-beitsunterlagen und den Originalmanuskripten vergleichen, mithin den Gangder Bearbeitung einigermaen rekonstruieren.

    Im Fall des dritten Buchs ist die Lage schwieriger. Wir haben nur EngelsSelbstzeugnisse, einige Redaktionsmanuskripte, die sich auf die Gesamtglie-derung des Buchs bzw. auf einzelne Abschnitte, insbesondere den V. Ab-schnitt, beziehen. Sie sind inzwischen im MEGA-Band II/14 verffentlichtworden. Und wir haben die Texte die des Marxschen Originalmanuskriptsvon 186365 und den des dritten Bands des Kapital, so wie ihn Engels imJahre 1894 herausgegeben hat. In beiden Fllen knnen wir die Originalma-nuskripte von Marx Hand mit dem Ergebnis der Engelsschen Redaktionsar-beit vergleichen. In beiden Fllen hat Engels eine Auswahl unter den Marx-schen Manuskripten getroffen treffen mssen. Das war im Fall des zweitenBuchs weit schwieriger als im Falle des dritten, da hier eine weit grere Zahlvon Manuskripten vorlag, die sich auf unterschiedliche Teile des geplantenzweiten Buchs bezogen. So beschrieb Engels die Schwierigkeit selbst in sei-nem editorischen Rechenschaftsbericht im Vorwort zum zweiten Buch.46

    Engels hat die gesamte erste Fassung des zweiten Buchs von Marx Hand,die im Frhjahr 1865 niedergeschrieben wurde, als unbrauchbar beiseite ge-legt. Eine nachvollziehbare Entscheidung, die dem Grundsatz folgte, die je-weils sptere, wo mglich die letzte Stufe der Bearbeitung, soweit sie sich ausden Marxschen Manuskripten fraglos ergab, als Textgrundlage zu nutzen. En-gels folgte damit Marx eigenem Lernprozess, nahm also an, dass die jeweilsletzte Fassung auch die bessere, ausgereiftere Darstellung dessen bot, wasMarx zu sagen hatte. Er war selbst Wissenschaftler genug, um den argen undlangen, oft krummen Weg der Erkenntnis zu kennen, von dem Marx ihm oftgenug berichtet hatte. Auerdem kannte er Marx Arbeitsweise zur Genge

    und hatte dessen jahrelanges Feilen und Verbessern am Text des ersten Buchsaus nchster Nhe miterlebt.

    Im Fall des dritten Buchs musste er sich an die im Jahre 1864/65 von Marxniedergeschriebene erste Rohfassung als Hauptmanuskript halten, weil die b-rigen, spter entstandenen Manuskripte nur einen kleinen Teil der Thematikdes dritten Buches behandelten. Die Manuskripte zum dritten Buch, die in den

    46 Siehe Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 2. In: MEW. Bd. 24. S. 812.

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    Jahren 1868 bis 1882 entstanden sind, befassen sich alle mit dem ersten Ab-schnitt, also mit der Entwicklung der Kategorien Profit, Kostpreis und Pro-fitrate. Auch diese Thematik wird in diesen Marxschen Manuskripten nichterschpfend behandelt, da die mathematische Behandlung des Zusammen-hangs von Mehrwertrate und Profitrate Marx erhebliche Schwierigkeitenmachte und ihn lnger aufhielt, als er das vorausgesehen hatte. Zwar ging seinEhrgeiz deutlich weiter im letzten Manuskript von 1882 behandelte er Pro-fitrate, Kapitalumschlag und Zins47 , aber auch damit kam er nicht zu einemEnde, das ihn zufrieden stellen konnte. Engels, der all diese Marxschen Ma-nuskripte sorgfltig studierte, im Fall des langen Manuskripts von 1875(Mehrwertrate und Profitrate mathematisch behandelt) sogar den Rat SamuelMoores einholte,48 konnte nicht bersehen, dass es sich hier um Forschungs-manuskripte handelte. Der Marxsche Forschungsprozess war in den 1870erJahren noch keineswegs abgeschlossen. Das musste Engels bei der Durchsichtder Materialien, also auch der Exzerpthefte und Notizen in Marx Nachlassrasch klar geworden sein. Auch ohne sich auf eine grndliche Lektre einzu-lassen, konnte er sofort sehen, woran Marx bis fast zu seinem Tode gearbeitet,was er intensiv studiert hatte: Moderne Geld- und Kreditverhltnisse, die Ban-ken und die Finanzmrkte in verschiedenen kapitalistischen Lndern und zumzweiten die Grundeigentumsverhltnisse, die Bedingungen der Bildung vonGrundrenten und Bodenpreisen wiederum in verschiedenen kapitalistischen

    Lndern. Wenn diese jahrelangen Studien berhaupt einen Sinn hatten, dannnur den, die Zusammenhnge zu erhellen, die Marx bei seiner ersten Nieder-schrift 1864/65 noch nicht klar waren. So das Problem der absoluten Rente,das sich vllig neu stellen musste, sobald in einem Land wie den USA dieIndustrialisierung der Landwirtschaft in groem Stil begonnen hatte. So dasProblem der Kreditgeldzirkulation und der Geld- und Kreditschpfung imBankensystem.

    So stand Engels vor einem Dilemma: Entweder ffentlich eingestehen, dassMarx mit dem zweiten und vor allem mit dem dritten Buch noch keineswegsfertig geworden war, und sich selbst daran machen, die Marxschen For-

    schungen weiter zu fhren. Oder aber so tun als ob und die MarxschenForschungsresultate so unfertig prsentieren, wie er sie vorfand. Marx selbst

    47 Siehe Karl Marx: ber Profitrate, Kapitalumschlag, Zins und Rabatt. In: MEGA II/14.S. 155162.

    48 Samuel Moores Gutachten ber das Marxsche Manuskript ist zum ersten Mal imMEGA-Band II/14 abgedruckt worden. (Siehe Samuel Moore: Mehrwertrate and Profitrate.Summary of Marxs MS, und ders.: Gutachten zum Manuskript von 1875. Ebenda. S. 351356und S. 357359.)

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    Das Marx-Engels-Problem

    hatte 1877 in einem Brief deutlich gesagt, dass die vorhandenen Manuskriptezum zweiten und dritten Buch sowie das fr den 3ten, historischen Teilunfertig, nicht fr den Druck zurechtgemacht seien. Es handele sich umForschungsmanuskripte, in der rohen Form ... welche alle Forschung origi-naliter besitzt.49 Aber in dieser rohen Form konnte Engels sie nicht lassen.Wenigstens musste er versuchen, sie in einer Form herauszubringen, in derdie Gesamtlinie der Beweisfhrung klar und plastisch hervor treten wrde.50

    Womit er zugleich eingestand, dass es an dieser Klarheit der Beweisfhrungmangelte, die Gesamtlinie der Darstellung in Marx Manuskript durchausnicht gerade, sondern eher verworren geblieben war.

    Engels htte auf frhere Manuskripte zurckgreifen knnen, um die Dar-stellung im dritten Buch zu ergnzen z.B. auf die Untersuchungen ber dieGrundrente, die sich im Manuskript von 186163 finden. Dies umfangreicheManuskript, das Engels genau kannte und im Vorwort zum zweiten Buch auchnannte und beschrieb,51 bot ihm noch weit mehr Stoff fr Ergnzungen z.B.die zahlreichen Bemerkungen zum Kredit und dessen Rolle im modernen Ka-pitalismus, die sich dort wie schon im Manuskript von 1857/58 finden, und aufdie Marx in seinen Manuskripten zum zweiten Buch immer wieder zurckkam.Und es war nicht das einzige in Marx Nachlass. Man kann aus einer Reiheseiner uerungen ber Marx Forschungsprozess schlieen, dass er das Ma-nuskript des Rohentwurfs von 1857/58 zumindest zur Kenntnis genommen

    hatte. Wie intensiv er es studiert hat, ist nicht mehr zu ermitteln. Engels httesich also im Fundus dieser Manuskripte bedienen knnen. Er hat es nichtgetan. Offenbar war ihm klar, dass diese Marxschen Manuskripte als For-schungsmanuskripte zu lesen waren. Zudem als Forschungsmanuskripte, dieEtappen eines Forschungsprozesses dokumentierten, der noch keineswegs zumAbschluss gekommen war. Manuskripte also, in denen Marx noch auf derSuche nach Lsungen war bzw. Lsungen ausprobierte, die er im Kapital ebennicht in roher, sondern in durchgearbeiteter, artistischer Form zu prsentierendachte. Engels hat in diesem Dilemma zwischen dem, was er fr die geniale,brillante Grundidee des Autors hielt, und dem, was er an unfertiger, schwer-

    flliger, umstndlicher, unausgereifter Prsentation vorfand in aller Regel dieWerktreue gewhlt, also nicht um jeden Preis versucht, sich an die Stelle desAutors zu setzen. Allen Lesern des zweiten und dann des dritten Buchs fiel dassofort auf. Manche machten Engels deswegen heftige Vorwrfe.

    49 Marx an Sigmund Schott, 3. November 1877. In: MEW. Bd. 34. S. 307.50 Engels an Nikolaj Francevic Danielson, 4. Juli 1889. In: MEW. Bd. 37. S. 244.51 Siehe Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 2. In: MEW. Bd 24. S. 8.

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    Unterschiede zwischen Marx Manuskript und Engels Redaktion

    In der Tat: Wenn man alle Zustze und Erluterungen von Engels zum drittenBuch des Kapital wegstriche, erhielte man ein weniger voluminses Buch.Auch ein besseres? Engels hat sich vor allem dort engagiert, wo die Lcken imMarxschen Manuskript unbersehbar und strend waren. Seine Zustze undErgnzungen sind berwiegend, wenn auch nicht vollstndig auch also solchegekennzeichnet. Anhand der Verzeichnisse in den MEGA-Ausgaben der En-gelsschen Redaktionen (II/15 und der noch nicht erschienene Band II/13) lsstsich feststellen, dass 9/10 der von Engels stammenden Ergnzungen auch als

    solche gekennzeichnet sind, etwa 1/10 nicht. Man kann sich darber streiten,ob alle Zustze und Ergnzungen von Engels Hand wirklich notwendig waren.Ein heutiger Herausgeber wrde derlei in einer wissenschaftlichen Editionnicht machen jedenfalls nicht im Text, sondern hchstens in seinen vom Textgetrennten Erluterungen zum Text.

    Allerdings hat Engels sich im zweiten Buch des Kapital deutlich mehr zu-rckgehalten mit Kommentaren als im dritten. Er war hier in der glcklichenLage, auf zwei lngere, durchgearbeitete, wenn auch nicht abgeschlosseneManuskripte zurckgreifen zu knnen. Manuskript II, geschrieben 1868 bisMitte 1870, konnte als zweiter Entwurf des ganzen zweiten Buchs angesehenwerden. Es ist sogar von Marx, in seinen 1877 geschriebenen Hinweisungenauf meine alten Hefte, ausdrcklich zur wichtigsten Textgrundlage erklrtworden: Heft II.

    /

    \Diese 2t Da rs te ll un g muss zu Grund gelegt wer-

    den.\

    / 52 Daran hat Engels sich gehalten, hat aber die sehr viel spter ge-

    schriebene Darstellung im letzten, von Marx verfassten Manuskript VIII, ge-schrieben zwischen Dezember 1876 und Frhjahr 1881, konsequent herange-zogen. Der III. Abschnitt des II. Buchs ist daher fast zur Gnze aus diesenbeiden Manuskripten zusammengestellt worden, mit dem Manuskript VIII alsHaupttext und dem Manuskript II als Lckenfller. Allerdings hat Engels sichbei der Ausfllung von Lcken im Manuskript VIII, bei der Darstellung dererweiterten Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals auffllig zu-

    rckgehalten. Er begrndete oder besser entschuldigte das mit dem Hinweis,alles, was Marx habe sagen wollen, sei in diesen Manuskripten schon gesagt.53

    52 Karl Marx: Manuskripte zum zweiten Buch des Kapitals. In: MEGA II/11. S. 539. DiePaginierung des noch nicht publizierten Bandes II/11, in dem diese Manuskripte zum zweitenBuch zum ersten Mal verffentlicht werden, ist vorlufig.

    53 Siehe Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 2. In: MEW. Bd 24. S. 12.

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    Das Marx-Engels-Problem

    Dennoch war er keineswegs zufrieden mit der Darstellung, die sich durchdas Zusammensetzen der vorhandenen Manuskripte ergab. In seinem Urteilber den zweiten Band blieb Engels gespalten. Er sah die enorme intellektuelleLeistung und er sah die Schwchen und Lcken der Darstellung, die er mitseiner Bearbeitung nicht weg genommen hatte. So schrieb er 1895 an ViktorAdler als Leseanleitung fr den zweiten und dritten Band des Kapital berden III. Abschnitt: Das sei eine ganz ausgezeichnete Darstellung des hier seitden Physiokraten zum erstenmal behandelten Gesamtkreislaufs von Waren undGeld in der kapitalistischen Gesellschaft ausgezeichnet dem Inhalt nach, aberfurchtbar schwerfllig der Form nach, weil 1. zusammengeflickt aus zwei Be-arbeitungen, die nach zwei verschiedenen Methoden verfahren, und 2. weilBearbeitung Nr. 2 [gemeint ist Manuskript VIII M.K.] in einem Krankheits-zustand gewaltsam zu Ende gefhrt wurde.54 Das hat Engels keineswegs ver-steckt, so leid es ihm auch tun musste.

    Die umfangreichsten Eingriffe finden sich im I. und im V. Abschnitt desdritten Buchs, der Engels die grte Mhe gemacht hat. Er hat ihn wiederholtals den schwierigsten Abschnitt bezeichnet. Seine brieflichen uerungendazu zeigen, dass er mit diesem Abschnitt jahrelang gekmpft hat. 55 Nichtzufllig, denn hier waren die grten Schwierigkeiten zu berwinden und hierhatte Marx auer vielen Anlufen, nur streckenweise ausgearbeiteten Argu-mentationslinien, zahlreichen Bemerkungen und Notizen, in groen Teilen

    nicht mehr als eine vorlufige Materialsammlung hinterlassen. Engels hat da-her eingreifen, den Text neu ordnen, teilweise neu schreiben mssen.

    Hat sich Engels dabei gravierende, also den gemeinten Sinn entstellendeTextnderungen geleistet? Hat er Marx Intentionen wirklich verfehlt bzw.ignoriert, wo diese vom Autor unmissverstndlich ausgesprochen worden wa-ren? Das ist der Tenor der gravierendsten Einwnde gegen Engels Redaktions-arbeit, die kurz nach der Verffentlichung des Marxschen Originalmanuskriptszum dritten Buch im Jahre 1992 laut wurden. Diese neueste Variante der En-gels-Kritik beruht auf zwei stillschweigenden Voraussetzungen: a) Marx sei,was seine Absichten anging, vllig klar und eindeutig gewesen, und b) die

    Engels-Kritiker verstnden Marx besser als Engels ihn damals verstanden ha-be. Das darf bezweifelt werden. Engels kannte im Unterschied zu seinen Kri-tikern alles das, was wir erst jetzt langsam entdecken. Engels konnte in vollem

    54 Engels an Viktor Adler, 16. Mrz 1895. In: MEW. Bd. 39. S. 436.55 Dafr gibt es in den Jahren 1884 bis 1894 zahlreiche Belege in Engels Briefen. Auch ber den

    ersten Abschnitt hat er geklagt, wo er ein Kapitel selbst neu schreiben und einige vollkommenumarbeiten mute, da die von Marx hinterlassenen Materialien alle nur im Entwurf vorlagen(Engels an Laura Lafargue, 24. November 1888. In: MEW. Bd. 37. S. 120).

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    Umfang auf Marx nachgelassene Manuskripte und auf seine Exzerpte undNotizen zurckgreifen. Er hatte zahlreiche briefliche Erluterungen von Marxzu seiner Verfgung und er benutzte sie. Vor allem kannte er den Autor per-snlich aus langen Jahren der Zusammenarbeit.

    Marx war in seinen Manuskripten nicht eindeutig. Einfach, weil er in vielemnicht fertig war, nur eine Grundidee im Kopf bzw. zu Papier gebracht hatte,ohne sie in allen Einzelheiten zu durchdenken. Deshalb unternahm er ab 1870immer erneute Anlufe, um einen Zusammenhang wie den von Mehrwertrateund Profitrate, der ihm im Prinzip seit langem klar war, mathematisch genauzu fassen. Engels, der die nach 1868 geschriebenen Marxschen Manuskriptezum zweiten und dritten Buch allesamt vor sich hatte, musste sich darber imKlaren sein, dass der Forschungsprozess, der den Schritt zur radikalen undumfassenden Kritik erffnen sollte, noch keineswegs abgeschlossen war. Alsodurfte er die in den Manuskripten eingestreuten redaktionellen Bemerkungen(im stets wiederholten Tenor: Das behandeln wir spter, Das gehrt hier nichther, Das liegt auerhalb der Reichweite der geplanten Untersuchung) mit Zu-rckhaltung zur Kenntnis nehmen; er brauchte, ja durfte sie keineswegs alsMarx letztes Wort in der Sache sehen. Er htte sie radikal tilgen knnen. Dashat er aber nicht getan der Charakter eines Entwurfs, einer Rohfassung undeines work in progress blieb gewahrt. Aber er war durchaus berechtigt, derleiRegieanweisungen des Autors Marx an die eigene Adresse cum grano salis zu

    nehmen. Schlielich hatte er oft genug miterlebt, wie rasch Marx seine Plneumwarf bzw. erweiterte im Fortgang seines Forschungsprozesses, dessenResultate ja noch nicht im voraus feststanden.56 Zum Beispiel hatte Marx ihmim Juni 1862, whrend er am Manuskript von 186163 arbeitete, davon berich-tet, dass er endlich ber die Fehler in der Ricardoschen Grundrententheorie imReinen sei die aber in diesem Teil (dem Kapitel vom Kapital) nicht behan-delt, nicht einmal angedeutet werden sollte.57 Kurz darauf, im August 1862,schrieb ihm derselbe Marx, er habe sich nun doch entschlossen, die Analyseder Grundrente in seine Darstellung aufzunehmen, wenn auch vorerst nur alsIllustration der davor aufgestellten Stze ber die Preisbildung einzubauen.58

    Marx wie Engels kannten die klassische politische konomie und deren Apo-rien gut genug, um zu wissen, dass es dabei um weit mehr ging als um eineIllustration. Also war Engels durchaus berechtigt, zwischen Marx Ein-schben zum Fortgang bzw. zur Gliederung und Abgrenzung der geplanten

    56 Im Unterschied zu den bewhrten Praktiken heutiger Drittmittelforschung.57 Siehe Marx an Engels, 18. Juni 1862. In: MEW. Bd. 30. S. 248/249.58 Siehe Marx an Engels, 2. August 1862. Ebenda. S. 263.

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    Das Marx-Engels-Problem

    Darstellung und dem, was der Autor in seinem Forschungsprozess tatschlichtrieb und aufzeichnete, zu unterscheiden, ja eine Entscheidung zu treffen, wobeides nicht zusammenpasste in der Regel zugunsten des faktischen Argu-mentationsgangs im Text. Das tat er zum Beispiel im V. Abschnitt des drittenBuchs, der in der Tat stndig weit ber das hinausging, was Marx in seinendiversen Randbemerkungen andeutete. Hier lag offenbar eine Unklarheit vor,der Autor war noch unentschlossen. Engels traf eine Entscheidung eine hal-be, wenn man so will, wie er selbst zugab59 mit der er sich am Vorbild desersten Buchs orientierte: Auch dort waren die anfnglichen Illustrationen, dieallesamt eine notwendige Funktion im Gang der Argumentation erfllten wiez.B. die in der Regel als historische Abschweifung missverstandene Darstel-lung des Kampfs um die gesetzliche Regulierung des Arbeitstages immerweit umfangreicher gediehen, als Marx ursprnglich geplant hatte.

    Die zweite Voraussetzung ist ebenfalls zu bezweifeln. Denn erst in naherZukunft, nach dem Abschluss der zweiten Abteilung der MEGA, werden dieEngels-Kritiker der Sache nach in einer annhernd vergleichbaren Situationsein, nmlich smtliche Marxschen Manuskripte vor sich haben. Dann abersind sie noch immer im Hintertreffen gegenber Engels, der den Autor desKapital aus langer Zusammenarbeit genau kannte, also dessen Arbeitsweiseebenso beurteilen konnte wie die Art der Problemlsungen, zu denen er neigte.

    Die Kritik an Engels Bearbeitung des Textes im dritten Buch hat Michael

    Heinrich auf drei Punkte zugespitzt: Engels habe die Marxschen Andeutungenderart verdichtet, dass daraus der Eindruck entstehen musste, es gebe im drittenBuch des Kapital eine theoretische Untersuchung des modernen Kreditwesens,einschlielich des Kreditgeldes. Das sei aber mit den Marxschen Bemerkungenber die Reichweite seiner geplanten Darstellung im Kapital nicht zu verein-baren. Engels habe ferner vor allem durch seine Bearbeitung und Neuglie-derung des dritten Abschnitts zum tendenziellen Fall der Profitrate den Ein-druck erweckt bzw. untersttzt, es knne auf der Abstraktionsebene der Marx-schen allgemeinen Untersuchung ebenso allgemeine, theoretische Aussagenber die zyklischen Krisen im modernen Kapitalismus geben.60 Beide Vor-

    wrfe beruhen offensichtlich auf der falschen Ansicht, Marx haben seinenberhmten 6-Bcher-Plan von 1858 im Zuge seiner Plannderungen in densechziger Jahren vollstndig aufgegeben. Das ist nun ganz und gar nicht der

    59 Siehe Friedrich Engels: Vorwort zu: Karl Marx: Das Kapital. Bd. 3. In: MEW. Bd. 25. S. 14.(MEGA II/15. S. 9.)

    60 Siehe Heinrich: Engels Edition (Anm. 16). S. 452466. Auf den dritten Vorwurf, Engels habeMarxDarstellung in unzulssiger Weise historisiert, gehe ich weiter unten ein.

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    Fall, wie der von Marx selbst mehrfach berarbeitete und ergnzte Text desersten Buchs klar belegt. Weder der Weltmarkt, noch der Kredit, noch gar derStaat oder die Krisen sind dort verschwunden oder in die Funoten verbannt im Sinne von Ankndigungen dessen, was spter, in etwaigen Fortsetzungendes Werkes, noch einmal an die Reihe kommen knnte. Das dritte Kapitel desersten Buchs (in der Fassung von 1872) gipfelt in der Kategorie des Weltgel-des, mithin des Weltmarkts. Im gleichen Kapitel hat Marx von Anfang an(nicht erst in der dritten Auflage, wie einige angelschsische Kommentatorenmeinen) ausdrcklich und mit Verweis auf das dritte Buch das entscheidendwichtige Moment der Geldkrise genannt, in der periodisch ein Umschlagenaus dem Kreditsystem in das Monetarsystem stattfindet. Ebenso enthlt diesKapitel und zwar in allen Fassungen des ersten Buchs, die Marx zwischen1867 und 1882 selbst herausgegeben bzw. vorbereitet hat, den ersten Schritt zueiner weitergehenden Analyse der modernen Form des Kreditgeldes, die ausder Funktion des Geldes als Zahlungsmittel hervor wachsen msse.61 Ab 1873fehlt der Hinweis auf die Fortsetzung dieser nur angedeuteten Entwicklung imdritten Buch nicht mehr.62

    Die zwei Hauptmanuskripte zum zweiten Buch Manuskript II von 1868bis 1870 und Manuskript VIII von 1876 bis 1881 enthalten ebenso wie diekleineren Manuskripte eine Argumentationslinie, die Marx systematisch ver-folgt (und die er seit 1857 im Auge hat): Aus den Gesetzen des Kapital-

    kreislaufs, aus der inneren, Dynamik des Kapitalumschlags, ergeben sichzwangslufig etliche Quellen wie Notwendigkeiten des Kredits. Das ganzezweite Buch ist ein notwendiger Zwischenschritt, ohne den die sptere Marx-sche Theorie des zinstragenden Kapitals und des Kreditgeldes vllig unver-stndlich bleiben muss.63 Was man Engels in diesem Zusammenhang besten-falls vorwerfen knnte: Er ist mit der von Marx hinterlassenen, unfertigenDarstellung viel zu zgerlich umgegangen, statt sie zumindest um Hinweiseauf die Gesamtlinie der Marxschen Argumentation, die in den Manuskriptensporadisch hervortritt, zu schrfen. Wie weit die Darstellung ins Detail gegan-gen wre, welche Illustrationen, welches Material schlielich in die Endfas-

    sung aufgenommen worden wren, ob Marx tatschlich auf das US-amerika-nische Geld- und Kreditsystem als das modernste in der Welt des Kapitalis-

    61 Siehe Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1 (Hamburg 1867). In: MEGA II/5. S. 94/95; ders.: DasKapital. Bd. 1 (Hamburg 1872). In: MEGA II/6. S. 159/160.

    62 Siehe Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1 (Hamburg 1872). In: MEGA II/6 S. 160/161.63 Marx entwickelte im zweiten Buch und zwar in allen Manuskripten die Kategorie des

    brachliegenden Kapitals und bestimmte die Zirkulationszeit wie den Marktraum als Schrankeder Kapitalverwertung.

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    mus eingegangen wre, konnte Engels so wenig wissen wie wir heute es wis-sen knnen. Aber aus Briefen Marx aus dem Jahre 1868 wusste Engels, dassMarx in der Tat geplant hatte, die Darstellung des Kredits erheblich auszu-weiten.64 Ein Blick auf Marx Exzerpthefte und Notizen aus den 1870er Jahrensagte ihm dasselbe: Marx hatte eine ausfhrliche Darstellung und Kritik desmodernen Kreditwesens bis hin zum entwickelten Bankensystem geplant unddaran gearbeitet.

    Noch merkwrdiger ist der Vorwurf, Engels habe den falschen Eindruckerweckt, es gebe wenigstens der Intention nach im Marxschen Kapital soetwas wie eine Krisentheorie. Engels hat nie behauptet, die Marxsche Erkl-rung fr den tendenziellen Fall der Profitrate im dritten Buch eine Erklrungaus der inneren Logik der kapitalistischen Produktionsweise sei zugleich eineKrisentheorie. Er hat allerdings einen Teil des III. Abschnitts, die letzten Pas-sagen, zu einem besonderen Kapitel (Kapitel 15 Entfaltung der innern Wi-dersprche des Gesetzes) zusammengefasst und die unsystematischen Marx-schen Notizen und auseinander flieenden Bemerkungen am Schluss des Ab-schnitts, in denen Marx versuchte, die Bedeutung des entwickelten Gesetzesfr die kapitalistische Produktionsweise klar zu machen,65 in eine gewisse Ord-nung zu bringen versucht. Nirgendwo in diesem Kapitel hat er den Eindruckerweckt, es handele sich hier um die systematische Darstellung der zyklischenKrisen oder es sei hier der systematische Ort in der Gesamtdarstellung des

    Kapital, wo eine derartige Darstellung hingehre oder zu erwarten sei. Daskonnte er gar nicht, da ihm zumindest der notwendige Zusammenhang vonKredit und Krise, wie er Marx vorschwebte, hinreichend klar war. Eine Kris-entheorie haben erst die spteren Marxisten daraus gemacht. Dennoch steuertedie Marxsche Darstellung im Kapital von Anfang an auf eine Krisentheorie los auch nach der Plannderung in den 1860er Jahren; und Engels, der lesenkonnte, wusste das. Es wre ja auch eine schne Kritik der Politischen ko-nomie, die ohne Kritik des Sayschen Gesetzes auskommen wollte! Zumin-dest das musste Marx auch im Kapital leisten: Zeigen, dass das Unmglich-keitstheorem der klassischen politischen konomie allgemeine Krise, all-

    gemeine berproduktion kann es nicht geben! , ein Theorem, das zugleichihre theoretische Ohnmacht angesichts des unleugbaren Phnomens der zy-klischen Krisen schlagend bewies, auf metaphysischen Sand gebaut war. Das

    64 Siehe die Briefe von Marx an Engels vom 30. April und 14. November 1868. In: MEW. Bd. 32.S. 74 und 204.

    65 Siehe Karl Marx: Das Kapital (konomisches Manuskript 18631865). In: MEGA II/4.2.S. 309ff.

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    war die doppelte Bewhrungsprobe fr Marx Kritik: die Widerlegung desSayschen Gesetzes (oder der so genannten Theorie der Absatzwege) undzugleich der Nachweis der Notwendigkeit, nicht nur der Mglichkeit allge-meiner Krisen und zwar periodisch wiederkehrender allgemeiner Krisen, diedas entscheidende Moment eines regelmigen industriellen Zyklus bildetenund daher fr die Dynamik des modernen Kapitalismus formbestimmend wir-ken mussten. Das Ganze noch einmal im Zusammenhang mit einer Abfolgevon besonderen Momenten der allgemeinen Krise bzw. mit einer Folge be-sonderer Krisen. Ein hchst ehrgeiziges Programm, das Marx seit den 1850erJahren verfolgte. Sein Ehrgeiz in dieser Hinsicht wurde gelegentlich gebremst,nie gebrochen. Noch 1879 betonte er, dass die theoretische Verarbeitung, alsonicht nur historische Erklrung der ganz eigenartigen Phnomene der Gro-en Depression fr den Erforscher der kapitalistischen Produktion und fr denprofessionellen Theoretiker . . . von hchster Wichtigkeit sei.66

    Engels, der Marx ernst nahm, auch wenn er sich der Schwierigkeiten desProgramms bewusst war bzw. sich ihrer im Lauf seiner Arbeit an den Manu-skripten bewusst werden musste, versteckte diese Elemente der MarxschenTheorie keineswegs, so unfertig sie auch waren. Seine Kritiker mchten derleigerne loswerden, weil sie die Schwierigkeiten frchten, in die man sich damitbegibt.67 Marx Argumentationslinie dagegen war seit dem Rohentwurf von1857/58 klar: Es handelt sich darum, den Begriff des Kapitals zu entwickeln,

    damit auch smtliche Widersprche zu entwickeln, die im Kapital alsEnsemble von gesellschaftlichen Verhltnissen, als Komplex gesellschaftlicherProzesse angelegt und zu finden sind.68 Jeder reale Widerspruch der kapi-talistischen Produktionsweise ist zugleich ein Grund der Crise, so Marx imManuskript von 186163.69 In den allgemeinen Weltmarktkrisen kommenalle Widersprche der brgerlichen Production ... collectiv zum Eclat. Umzwischen allgemeinen und besonderen Krisen unterscheiden zu knnen,70

    66 Marx an Nikolaj Francevic Danielson, 10. April 1879. In: MEW. Bd. 34. S. 372.67 Dem entspricht z.B. das als Interpretation getarnte Verfahren von Michael Heinrich, der Marx-

    schen Geldtheorie von Anfang an alle Zhne zu ziehen, indem die logisch-systematische Not-

    wendigkeit einer Geldware strikt geleugnet wird. Im Handumdrehn wird Marx so zum Nomi-nalisten wider Willen erklrt. Der simple und im Kontext der neuen Marx-Lektre paradoxeGrund: Man mchte sich der Schwierigkeit, eine stimmige Erklrung fr die Phnomene desgegenwrtigen Weltwhrungssystems auf der Grundlage der Marxschen Theorie zu finden,entziehen.

    68 Siehe Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen konomie. In: MEW. Bd. 42. S. 250,269. (MEGA II/1.1. S. 246, 264.)

    69 Karl Marx: Zur Kritik der politischen konomie (Manuskript 18611863). In: MEGA II/3.3.S. 1141.

    70 Ebenda. S. 1154.

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    braucht es bereits den entwickelten Begriff des Kapitals: Denn in den allge-meinen Krisen kommen alle Widersprche der kapitalistischen Produktions-weise zusammen, in den besonderen Krisen (die zugleich Momente der all-gemeinen Krisen sein knnen) sind es stets nur einzelne Widersprche, diesich zerstreut, isolirt, einseitig geltend machen.71 Wenn das kein krisentheo-retisches Programm ist! Von den zahlreichen formellen Mglichkeiten einerKrise, die in den Metamorphosen des Kapitals eingeschlossen sind, zu denrealen Bedingungen, die das Ausbrechen einer Krise wahrscheinlich, jaschlielich unvermeidlich (wenn auch aufhaltbar) machen.

    Der Vorwurf, Engels habe den Entwurfscharakter des Manuskripts dadurchverflscht, dass er eine Gliederung und Ordnung dort eingefhrt habe, wo siein den Marxschen Manuskripten nicht zu finden war wie z.B. im III. und imV. Abschnitt (im Originalmanuskript 3. und 5. Kapitel) ist schlicht nicht zuhalten. Engels hat gegliedert, ergnzt, geglttet, bergnge und Funoten hin-zugesetzt, die Linie der Beweisfhrung dort zu ziehen bzw. kennbar zu machenversucht, wo sie in Marx Manuskript fehlte. Er ist dabei Marx Vorbild gefolgt,da er dessen Arbeit am ersten Buch ja genau kannte und mit verfolgt hatte. Esist daher auch nichts gegen Engels Verfahren einzuwenden, ab und zu kleinereSkizzen aus den Marxschen Exzerptheften der 1870er Jahre zu verwenden,d.h. in den Text des Manuskripts von 1864/65 einzufgen z.B. im VI. Ab-schnitt ber die Grundrente.72 Genau so war Marx verfahren, genau so wre

    Marx an Engels Stelle verfahren. Aus Marx Skizzen und Entwrfen fix undfertige, allgemeingltige Lehrstze gebastelt zu haben, darf man dem partei-offiziellen Marxismus vorwerfen, aber nicht Engels als Herausgeber und Be-arbeiter des zweiten und dritten Buchs. Ihm wre hchstens vorzuwerfen, ausbergroem Respekt vor dem Autor Marx zahlreiche missverstndliche oderfehlerhafte Formulierungen nicht korrigiert oder getilgt zu haben.73 Dass er esnicht tat, also die Unklarheiten und Zweideutigkeiten in Marx Manuskriptennicht beseitigte, entsprach seiner Absicht, den Entwurfcharakter des Originalsnicht zu verbergen.

    71 Ebenda.72 Siehe Vollgraf, Jungnickel: Marx in Marx Worten. S. 22.73 Siehe Wolfgang Jahn: ber Sinn und Unsinn eines Textvergleichs zwischen der Engelsschen

    Ausgabe des dritten Bandes des Kapital von 1894 und den Marxschen Urmanuskripten. In:MEGA-Studien 1996/1. Berlin 1997. S. 117126.

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    Engels angeblicher Sndenfall

    Es ist heute, dank der so genannten neuen Marx-Lektre, zum Volksvorurteilunter den gelehrten Marxisten und Marxologen geworden, dass Engels dasKapital beschdigt habe. Auf jeden Fall habe er Fehlinterpretationen Vorschubgeleistet und Generationen von Marxisten und Marx-Kritikern auf falscheFhrten geleitet, nicht wider besseres Wissen, sondern weil er Marx Methodeund Theorie nicht oder nur mangelhaft verstanden htte.

    Der Vorwurf fllt weitgehend auf Engels Kritiker zurck, die ihren Marxschlecht kennen bzw. ihn sich so zurecht biegen, wie sie ihn gerne htten.

    Smtliche als Verflschung des Originals monierten Historisierungen sindbei Marx klar angelegt, einschlielich der Historisierung des berhmten Wert-gesetzes, der Historisierung der Geldentwicklung, des Kapitalbegriffs, des Be-griffs der Lohnarbeit, des Begriffs der Konkurrenz usw. Die gelehrten Kritikerhaben leider einen hchst naiven Begriff von Geschichte, die sie sich offen-kundig nur als narrative, als Ereignisgeschichte vorstellen knnen. Und siehaben gar keinen Begriff von Marx Entwicklungsmethode. Denn Marx be-handelt die kapitalistische Produktionsweise gerade nicht als Hegelsche Tota-litt, sondern als offenes System, ein System, das sich keineswegs bestndigselbst erzeugt, sondern von externen Voraussetzungen abhngig bleibt, alsoUmwelten, historische Milieus hat und braucht. Zudem als ein System mit

    Geschichte, das eine eigene Entwicklung kennt und im Gang dieser Entwick-lung an seine Grenzen stt, dabei auch ber sich hinausweist, mithin ver-schiedene Zuknfte haben kann. Natrlich schreibt Marx dabei keine Wirt-schaftsgeschichte, sondern entwickelt eine Theorie des modernen Kapitalis-mus. Aber die ist eben gerade dadurch ihrem Gegenstand angemessen, dass siedie Logik einer historischen Entwicklung analysiert und nachzeichnet. Die zuRecht gerhmte Darstellung der Entwicklung der spezifisch kapitalistischenProduktionsmethoden von der einfachen Kooperation ber die Manufakturhin zur Fabrik und zum Fabriksystem im vierten Abschnitt des ersten Buchsfolgt einer solchen Logik, die eben in historischer Zeit zum Tragen kommt.Marx schreibt nicht Industriegeschichte, sondern stellt ein Stck histoireraisonnee dar, die Logik einer historischen Entwicklung in Zeit und Raum, diedie Gesellschaft in jeder Hinsicht tiefgreifend verndert.74 Diese Darstellungbedarf analytischer Kategorien und Unterscheidungen, wie der absoluten undrelativen Mehrwertproduktion, die selbst keine historischen Kategorien sindund keine historische Reihen- oder Rangfolge haben.

    74 Siehe Michael R. Krtke: Le Capital la dialectique bridee. In: Bertell Ollmann, Lucien Seve(coord.): Dialectiques aujourdhui. Paris 2006.

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    Das Marx-Engels-Problem

    Engels zahlreiche Zustze zum Text des Marxschen Manuskripts von1864/65 tragen in der Tat sehr oft den Charakter von Aktualisierungen undHistorisierungen. Werden sie dadurch falsch bzw. geraten sie dadurch in Streitmit dem Charakter des Originalmanuskripts von Marx, das sie ergnzen unduntersttzen sollen? Ich denke nicht. Wenn Marx z.B. seinerseits die Entwick-lung zur Aktiengesellschaft nicht nur als historisches Faktum nimmt, sondernals notwendiges Glied in einer Entwicklung begriff, die in der Logik der Ka-pitalverwertung angelegt war, wenn er also das Aktienkapital, oder allgemeinerdas assoziierte Kapital als theoretische Kategorie, nicht als nebenschliches,

    juristisches Detail betrachtete, dann war Engels Zusatz, mittlerweile seienAktiengesellschaften zweiter und dritter Potenz entstanden, durchaus nicht un-angemessen, sondern sehr am Platz.75 Die Kritiker mssten sich schon ent-scheiden: Entweder wollen sie Engels sachlich, d.h. historisch falsche Aus-sagen vorhalten oder aber sie wollen geltend machen, dass derart historisie-rende Zustze im Kapital berhaupt nichts zu suchen htten. Dann msstensie einen Groteil des Marxschen Kapital gleich mit ber Bord werfen.

    Man kann sich auch darber streiten, ob Engels Konzept einer einfachenWarenproduktion glcklich war; die Behauptung, davon fnde sich im Marx-schen Text gar nichts, ist nicht zu halten. So wie die Behauptung, im erstenAbschnitt des ersten Buchs sei ausschlielich von Zirkulation, nie von Pro-duktion die Rede, nicht zu halten ist.76 Marx Historisierungen in den ersten

    Kapiteln des ersten Buchs sind oft unscharf er hat damit einige Verwirrunggestiftet. Einige Historisierungen etwa Marx historische Erklrung dafr,dass selbst Aristoteles dem Geheimnis des Werts nicht auf die Spur kommenkonnte sind aber glasklar, jedenfalls fr Leute, die lesen knnen. Die Kon-fusion ber den Gehalt und die Reichweite des Begriffs der abstrakten Arbeitherrscht bis zum heutigen Tag, von der Konfusion ber den Wertbegriff undmonetre bzw. prmonetre Werttheorien noch ganz zu schweigen. Die Kon-fusion wre wohl geringer, wenn die marxistischen Philosophen mit einigenwirtschaftshistorischen Tatsachen vertraut wren.

    75 Siehe Karl Marx: Das Kapital. Bd. 3. In: MEW. Bd. 25. S. 453/454. (MEGA II/15.S. 428/429.)

    76 Trotz der stndig wiederholten Behauptung des Gegenteils kommt Marx schon im ersten Ka-pitel des fteren auf die Art der gesellschaftlichen Arbeit, die Waren hervorbringt, zu sprechen.Von gesellschaftlicher Arbeitsteilung ist ebenso die Rede wie von Privatarbeiten unabhngigerProduzenten, die erst post festum, im Austausch ihrer Arbeitsprodukte zusammen kommen. Dieimmer wieder genannte einfache Zirkulation ist erstens alles andere als einfach und bildetzweitens erst den Gegenstand des dritten Kapitels.

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    Zweifellos wollte Marx im ersten Buch des Kapital von der Ware als sol-cher und vom Geld als solchem handeln, als ersten, notwendigen Schritt zurEntwicklung des Kapitalbegriffs. In der ersten Ausgabe des ersten Buchs von1867 hat er ganz am Schluss den Kreis der Argumentation geschlossen, indemer kurz, im Vorgriff auf das Folgende, auf die Ware zurckkam. Aber nun alsResultat der kapitalistischen Produktion, als die mit Mehrwerth geschwn-gerte Waare.77 Engels konnte das nicht bersehen und hat das, nach seinemKonspekt von 1868 zum ersten Buch zu urteilen, auch sehr klar gesehen. 78

    Aber ebenso klar war ihm als aufmerksamem Leser, dass Marx sowohl dieWare als auch das Geld keineswegs nur im allgemeinen, sondern gerade inihrer historisch spezifischen Eigenart, also als Ware auf kapitalistischer Grund-lage, die quantitative und qualitative Besonderheiten hat,79 und als Geld, wie essich im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise bis zu dem Punkt ent-wickelt, wo es der immanenten Logik der kapitalistischen Produktion fol-gend ins Kreditsystem eingegliedert und vom Kredit verdrngt und ersetztwird. Daher ist Geld als historische, gewordene Voraussetzung des modernenKapitalismus etwas anderes als das Geld, das als gewordenes Resultat undimmanentes Moment der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise unddes modernen Kreditsystems erscheint.

    Engels htte nur in den Marxschen Manuskripten von 1857/58 und 186163nachzulesen brauchen, um dort gengend Hinweise sowohl auf die Histori-

    zitt des Wertbegriffs als auch auf die historische Entwicklung der Wert-bestimmungen zu finden. Dass die Wertbestimmung, die Kategorie des Wertsselbst ein historisches Verhltnis meint und historisch bestimmt ist, sagtMarx im Rohentwurf von 1857/58 ebenso wie in den spteren Fassungen desersten Kapitels des ersten Buchs des Kapital von 1867 und spter. Im Rohent-wurf sagt Marx ausdrcklich, dass sich auch vor dem Zeitalter des modernenKapitalismus einzelne Momente der Wertbestimmung entwickeln knnenund andere, frhere historische Produktionsformen als materielle Grundlageder unvollkommeneren Wertentwicklung dienen konnten.80 Aber Engels fand

    77 Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. In: MEGA

    II/5. S. 619.78 Siehe Friedrich Engels: [Konspekt ber] Das Kapital von Karl Marx. Erster Band. In: MEW.Bd. 16. S. 245287. Genauso klar uert sich Engels in einem Brief an Marx ber denGegenstand des ersten Abschnitt des ersten Buchs: er handele eben vom einfachen Geld alssolchem, ohne seine Verwickelung mit Kreditgeld (Engels an Marx, 2. Februar 1868. In:MEW. Bd. 32. S. 27).

    79 Gerade in den Manuskripten von 186365 finden sich zahlreiche solche Hinweise. Sie tauchenauch in den spteren Manuskripten zum zweiten Buch wieder auf.

    80 Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen konomie. In: MEW. Bd. 42. S. 177.(MEGA II/1.1. S. 174/175.)

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    derartige Bemerkungen natrlich auch im Hauptmanuskript zum dritten Buch,wo etwa Wert und Produktionspreis auch historisch zueinander in Beziehunggesetzt werden.81 Diese Marxsche Randbemerkung die Werte der Warenseien nicht nur theoretisch, sondern historisch als das Prius der Productions-preisse zu betrachten 82, hat Engels zu seinem Erluterungsversuch von 1895inspiriert.83

    Engels wollte gegen den Tenor der Diskussion, die er selbst provoziert hatte,zeigen, dass es sich beim Wert keineswegs um ein reines Gedankenkonstrukt,um eine Fiktion des Theoretikers handelte.84 Sensibel fr historische Unter-schiede wie er dank seiner weitlufigen historischen Studien war, htte ihmallerdings klar sein mssen, dass die Abstraktion einer einfachen Waren-produktion sich zur Historisierung schlecht eignete, da sie zwangslufig bereine Vielzahl von gesellschaftlichen Produktionsformen hinweg griff, in denenAustausch, Mrkte, Geld und Warenproduktion eine durchaus verschiedeneRolle gespielt hatten. Allerdings wandte er sich implizit auch gegen die schon1895 beliebte These, Kapital und Kapitalismus seien zu allen Zeiten da ge-wesen und als allgemeine, berhistorische Kategorien zu fassen. Was Engels inseinem Nachtrag versuchte, war keineswegs eine Interpretation der MarxschenDarstellung im ersten Abschnitt des ersten Buchs. Davon sprach er mit keinemWort. Was er beabsichtigte war eine Erluterung, mit der er eine Randbemer-kung im Marxschen Originalmanuskript aufwerten und ergnzen wollte die

    schon genannte Marxsche Bemerkung ber den historischen Zusammenhangvon Wert und Produktionspreis.85 Der Sache nach hatte er vllig Recht: Solan-ge die Produktion von Waren nicht zur herrschenden Produktionsform gewor-den ist, solange nicht die groe Masse der Waren von kapitalistischen Privat-unternehmen produziert werden, kann von allgemeiner Konkurrenz, von einerallgemeinen Profitrate und von einem Produktionspreis keine Rede sein. Dar-ber, ob dann die Preise von Wertgren bestimmt wurden, kann man sich

    81 Siehe Karl Marx: Das Kapital (konomisches Manuskript 18631865). In: MEGA II/4.2.S. 252.

    82 Ebenda.83 Strikt genommen stimmt die Marxsche Aussage nicht. Es kann nur von einem historischenVerhltnis zwischen Wertpreisen und Produktionspreisen die Rede sein. Die Frage ist al-lerdings, auf welchen historischen Mrkten, in welchen historischen Marktkonomien, die demmodernen Kapitalismus historisch voran gegangen sind, denn solche Wertpreise (also Preise,die nur durch die Wertgren der Waren, ohne Rcksicht auf eine Durchschnittsprofitrate be-stimmt werden) bestanden haben sollen.

    84 Siehe Friedrich Engels: Ergnzung und Nachtrag zum III. Buche des Kapital. In: MEW.Bd. 25. S. 903/904.

    85 Siehe ebenda. S. 905/906.

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    streiten. Das wre allerdings ein Streit um den Erklrungswert oder dieBrauchbarkeit der Marxschen Werttheorie fr vorkapitalistische Epochen. Dereigentliche wichtige Punkt fr Engels war aber seine historische Skizze derallmhlichen Herausbildung von allgemeiner Konkurrenz und damit auch einerallgemeinen Durchschnittsprofitrate, die zu einer vlligen Umwlzung in derPreisbildung gefhrt habe.86 Man kann Engels entgegenhalten, dass damitunweigerlich auch eine Umwlzung der Wertbildung einhergehen msse,dass der Begriff des Werts im Kapitalismus ein anderer sein msse als derBegriff des Werts, der fr vorkapitalistische Tauschhandel- und Marktkono-mien Gltigkeit haben knne. Historisch bleibt Engels Konstrukt einer ein-fachen Warenproduktion fragwrdig. Fr das Problem, das mit der Engels-schen Preisfrage gestellt war, hatte und hat sie keine Bedeutung. Aber sie istauch nicht die Mutter aller Fehlinterpretationen des Marxschen Kapital wie dieEngels-Kritiker meinen.

    86 Ebenda. S. 913.

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