2
DER HAUSARZT-REPORTER 10 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (10) Einstieg über KV-Filialpraxis Hausärztin aus Liebe zur Heimat Dr. Annett Lüders hat im Januar die Hausarztpraxis in der 1500-Einwohner-Ortschaft Letzlingen in Sachsen- Anhalt übernommen. Verkäufer war die KV, die die Praxis seit 2010 als Eigeneinrichtung betrieben hatte, um die Versorgung vor Ort zu retten. Die Rechnung ging auf: Lüders‘ Wechsel aus der Klinik erhält der Ortschaft langfristig die hausärztliche Versorgung – mit Glück sogar über ihren Ruhestand hinaus. - Eine gute Fahrschulenennt Haus- ärztin Dr. Annett Lüders ihre Tätigkeit in der Letzlinger Filialpraxis der KV Sachsen-Anhalt (KVSA). Anfang des Jahres hat sie die Praxis übernommen, in der sie bis dato angestellt war. Das Modell der KV-Praxen ist in Sachsen- Anhalt aus der Not geboren. Dem struk- turschwachen Bundesland gehen die Ärzte aus, und zwar insbesondere die Hausärzte auf dem platten Land“ – also ausgerechnet dort, wo immer mehr alte und kranke Menschen wohnen, weil die Jungen der Arbeit hinterherziehen oder einfach keine Lust haben auf Idylle, Na- tur und Verlassenheit. Das ist nichts Neues, weder für die Menschen, die in ländlichen Regionen leben, noch für Politik, Kassen oder eben die KV, die den Sicherstellungsauf- trag innehat. Und es ist auch nicht ein exklusives Problem Sachsen-Anhalts. Nur tri es uns besonders hart, sagt KV-Chef Dr. Burkhard John. Er drängt und wirbt schon seit Jahren, dem Problem wirksam zu begegnen. Und er hat Partner gefunden in der Landesregierung und der AOK Sachsen- Anhalt. Ergebnis sind Professuren für Allgemeinmedizin an den Universitäten Halle und Magdeburg, Stipendien für angehende Ärzte, die im Land bleiben wollen, und die Filialpraxen als Eigen- einrichtungen der KVSA. Die Vertre- tung der Vertragsärzte finanziert bei diesem Modell Miete, Mobiliar, Technik und Ausstattung. Sodann stellt sie Ärz- te und Arzthelferinnen an. Bis vor Kurzem gehörte auch die Hausarztpraxis in Letzlingen der KVSA. Es war sogar die erste Einrichtung ihrer Art; 2010 wurde mit ihrer Eröffnung das Modell etabliert. Angestellt waren zu- nächst zwei bereits pensionierte Medizi- ner, die sich die Sprechstunden teilten. V or zwei Jahren kam Dr. Annett Lüders V V dazu. Die ortsansässige Internistin hat- te bis dato als Oberärztin in einer Reha- Klinik gearbeitet, die schlechte Situation der ambulanten Versorgung aber gut be- obachtet. Ich saß damals im Gemein- derat und kannte die Probleme nur zu gut. Im Interesse einer langfristigen und tragfähigen Lösung habe ich mich ent- schlossen, Hausärztin in meinem Hei- matdorf zu werden“, berichtet sie. AUS DER PRAXIS Haben Sie Anregungen für den Hausarzt-Reporter? Ein wichtiges aktuelles Diskussionsthema, ein unerhörtes Erlebnis aus Alltag oder Bürokratie, oder vielleicht einfach nur eine interessante Hausarztpraxis? Melden Sie sich! Telefon: 0 89 / 20 30 43 - 13 64 E-Mail: [email protected] Hausärztin Dr. Annett Lüders und ihre potenzielle Nachfolgerin, Tochter Anna. © Zieler

Hausärztin aus Liebe zur Heimat

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Hausärztin aus Liebe zur Heimat

DER HAUSARZT-REPORTERDER HAUSARZT-REPORTER

10 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (10)

Einstieg über KV-Filialpraxis

Hausärztin aus Liebe zur HeimatDr. Annett Lüders hat im Januar die Hausarztpraxis in der 1500-Einwohner-Ortschaft Letzlingen in Sachsen-Anhalt übernommen. Verkäufer war die KV, die die Praxis seit 2010 als Eigeneinrichtung betrieben hatte, um die Versorgung vor Ort zu retten. Die Rechnung ging auf: Lüders‘ Wechsel aus der Klinik erhält der Ortschaft langfristig die hausärztliche Versorgung – mit Glück sogar über ihren Ruhestand hinaus.

−Eine „gute Fahrschule“ nennt Haus-ärztin Dr. Annett Lüders ihre Tätigkeit in der Letzlinger Filialpraxis der KV Sachsen-Anhalt (KVSA). Anfang des Jahres hat sie die Praxis übernommen, in der sie bis dato angestellt war. Das Modell der KV-Praxen ist in Sachsen-Anhalt aus der Not geboren. Dem struk-turschwachen Bundesland gehen die Ärzte aus, und zwar insbesondere die Hausärzte auf dem „platten Land“ – also ausgerechnet dort, wo immer mehr alte

und kranke Menschen wohnen, weil die Jungen der Arbeit hinterherziehen oder einfach keine Lust haben auf Idylle, Na-tur und Verlassenheit.

Das ist nichts Neues, weder für dieMenschen, die in ländlichen Regionen leben, noch für Politik, Kassen oder eben die KV, die den Sicherstellungsauf-trag innehat. Und es ist auch nicht ein exklusives Problem Sachsen-Anhalts.

„Nur tri� es uns besonders hart“, sagt KV-Chef Dr. Burkhard John.

Er drängt und wirbt schon seit Jahren, dem Problem wirksam zu begegnen. Und er hat Partner gefunden – in der Landesregierung und der AOK Sachsen-Anhalt. Ergebnis sind Professuren für Allgemeinmedizin an den Universitäten Halle und Magdeburg, Stipendien für angehende Ärzte, die im Land bleiben wollen, und die Filialpraxen als Eigen-einrichtungen der KVSA. Die Vertre-tung der Vertragsärzte � nanziert bei diesem Modell Miete, Mobiliar, Technik und Ausstattung. Sodann stellt sie Ärz-te und Arzthelferinnen an.

Bis vor Kurzem gehörte auch die Hausarztpraxis in Letzlingen der KVSA.Es war sogar die erste Einrichtung ihrer Art; 2010 wurde mit ihrer Erö� nung das Modell etabliert. Angestellt waren zu-nächst zwei bereits pensionierte Medizi-ner, die sich die Sprechstunden teilten.Vor zwei Jahren kam Dr. Annett Lüders Vor zwei Jahren kam Dr. Annett Lüders Vdazu. Die ortsansässige Internistin hat-te bis dato als Oberärztin in einer Reha-Klinik gearbeitet, die schlechte Situation Klinik gearbeitet, die schlechte Situation Klinikder ambulanten Versorgung aber gut be-obachtet. „Ich saß damals im Gemein-derat und kannte die Probleme nur zu gut. Im Interesse einer langfristigen und tragfähigen Lösung habe ich mich ent-schlossen, Hausärztin in meinem Hei-matdorf zu werden“, berichtet sie.

AUS DER PRAXIS

Haben Sie Anregungen für den Hausarzt-Reporter? Ein wichtiges aktuellesDiskussionsthema, ein unerhörtes Erlebnis aus Alltag oder Bürokratie, odervielleicht einfach nur eine interessante Hausarztpraxis? Melden Sie sich!

Telefon: 0 89 / 20 30 43 - 13 64 E-Mail: [email protected]

Hausärztin Dr. Annett Lüders und ihre potenzielle Nachfolgerin, Tochter Anna.

©Zi

eler

Page 2: Hausärztin aus Liebe zur Heimat

MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (10) 11

Filialpraxen in Sachsen-Anhalt

Filialpraxen sind Eigeneinrichtungen der KV Sachsen-Anhalt zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf dem Land. Zunächst als Modell gemeinsam mit der AOK und dem Gesundheitsministerium Sachsen-Anhalt entwickelt und � nanziert, setzt die KVSA das Projekt heute allein fort.

Interessant sind diese Filialpraxen für Praxisinhaber in anderen Regionen, Kli-nikärzte und Ruheständler, aber auch Ruheständler, aber auch Ruheständler für potenziell niederlassungswillige Ärzte. Jun-ge Fachärzte können so die Vertragsarzttätigkeit kennenlernen, ohne gleich zu Be-ginn ihrer Berufstätigkeit große Investitionen leisten zu müssen. Auf diese Weise, so die Ho� nung, könnte der Nachwuchs zum Einstieg nach Sachsen-Anhalt gelockt werden und sich dort womöglich für längere Zeit niederlassen.

Mittlerweile gibt es im Land sechs Filialpraxen, in denen zehn Ärzte arbeiten, ei-nige von ihnen in Teilzeit. Jüngstes „Kind“ im Bunde ist die Hausarztpraxis im altmär-kischen Rochau, einer kleinen Gemeinde, die mit vier Ortsteilen etwas über 1100 Ein-wohner hat.

AUS DER PRAXIS

Annett Lüders, die nie zuvor in einer Niederlassung gearbeitet hatte, ließ sich bei der KVSA anstellen – ein Sprung ins kalte Wasser. Doch schnell lernte die Ärztin, wie die Uhren außerhalb der Kli-nik ticken. „Mittlerweile weiß ich, wie es im Vertragsarztbereich zugeht, kenne die Patientenzahlen – 1000 bis 1200 pro Quartal –, und meine Einschätzung, auch � nanziell klarzukommen, ist durchaus realistisch“, erklärt Lüders op-timistisch.

Seit Anfang 2014 gehört die Letzlin-ger Hausarztpraxis nun ihr. „Ich habe sie der KVSA abgekau� , preislich konn-ten wir uns einigen.“ Einen Kredit muss-te die Ärztin dafür nicht aufnehmen.

„Ich bin sehr sparsam, fahre einen 15 Jah-re alten Volvo – ein ideales Landarzt-auto.“ Beide Arzthelferinnen haben sich zu Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) fortgebildet. Dank dieser besonderen Quali� zierung können sie Lüders bestimmte Hausbesu-che abnehmen und sie im Alltag deutlich entlasten.

Seit Jahresbeginn arbeitet auch Lü-ders‘ Tochter Anna in der Praxis mit. Sie ist Physiotherapeutin, würde jetzt aber gern Medizin studieren. Leider hat ihr

bis heute ihr Abiturschnitt von 2,3 den Weg an eine Universität in der Region verwehrt. Doch Anna will lieber warten:

„Ich bin ein Familienmensch, möchte nicht in Bayern oder im Ausland studie-ren“, erklärt sie.

Diese Familien- und Heimatverbun-denheit führt auch dazu, dass Anna spä-ter gern in der Letzlinger Praxis als Hausärztin arbeiten würde – und sie ir-gendwann einmal von ihrer Mutter übernehmen könnte. Noch hat sie ihren Traum nicht aufgegeben. „Ich bewerbe mich in diesem Jahr zum siebten Mal.“Dass sie frühestens mit Mitte 30 Ver-tragsärztin werden könnte, ist für Anna Lüders kein Hindernis. „Besser spät als nie“, sagt sie.

In der Praxis hat ihre Mutter derweil im Zuge der Übernahme etliche Abläu-fe neu organisiert, etwa das Bestellsys-tem. Die Wartezeiten auf einen Termin und in der Praxis konnte sie mit einer durchdachten Methode deutlich verkür-zen. Das gelte selbst in Infektionshoch-zeiten, erklärt Lüders nicht ohne Stolz.

„Alles eine Frage der Organisation“, er-klärt sie. Die nächste Stufe soll nun die komplett papierlose Praxis sein.

Petra Zieler ■