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c Defekte in der spezifischen Reparatur von DNA-Schäden c Helicasen c Heterozygoteneffekte Lernziel Anhand von dermatologischen Krankheitsbildern, bei denen eine Instabilität im Genom somatischer Zellen besteht, soll die Bedeutung von c Defekten in der spezifischen Re- paratur von DNA-Schäden besprochen werden. Dabei soll auch Wert auf mögliche Kausal- zusammenhänge zwischen den genetischen Defekten und der Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen sowie auf die Bedeutung für die Entstehung der dermatologischen Symptome gelegt werden. Insbesondere die immensen Fortschritte in der Identifizierung der für die monogen erblichen Erkrankungen verantwortlichen Gene verlangt eine permanente Auseinander- setzung der Dermatologie mit der modernen Genetik. Sowohl beim Werner- als auch beim Bloom-Syndrom scheinen Gene für c Helicasen - dies sind DNA-entspiralisierende Enzy- me - eine bedeutsame Rolle zu spielen [8]. Eine Subgruppe von Patienten mit dem Muir- Torre-Syndrom hat eine defekte Reparatur von Basenfehlpaarungen,die während der Re- plikation in jeder Zelle entstehen. Neben diesen Krankheitsbildern werden auch das Xero- derma pigmentosum und z.T. überlappende Syndrome, wie Cockayne-Syndrom und Trichothiodystrophie,sowie die Ataxia teleangiectatica und die Fanconi-Anämie bespro- chen.Mit der Ausnahme des autosomal-dominant erblichen Muir-Torre-Syndroms werden die genannten Erkrankungen autosomal-rezessiv vererbt [5]. Eine besondere Berücksichtigung finden c Heterozygoteneffekte. Es liegen umfangreiche Untersuchungen zu der Frage vor,ob schon die Heterozygotie für ein De- fektgen eine Disposition für maligne Tumoren darstellt.Darüber hinaus existieren Hinwei- se darauf, daß auch bei Patienten mit sporadischen Hauttumoren, wie etwa dem Basaliom, a priori reduzierte DNA-Reparaturkapazitäten existieren [10]. Da die autosomal-rezessiven Syndrome meist frühmanifest sind sowie überwiegend eine effektive Sekundärprophylaxe möglich ist,ist die klinisch-dermatologische Verdachts- diagnose dieser Erkrankungen besonders wichtig. Da es sich um Systemkrankheiten han- delt, gewährleistet die regelmäßige und gründliche dermatologische Untersuchung eine allgemeine Krebsvorsorge. Weil eine Übersicht über die aktuellen Kenntnisse der molekularen Pathogenese die- ser Erkrankungen gegeben werden soll, wird auf Diagnose, Differentialdiagnosen und The- rapie bewußt nur kurz eingegangen. Bei den meisten dieser Erkrankungen ist bisher nur eine symptomatische Therapie möglich. Es ist aber zu hoffen, daß weitere molekulargene- tische Einblicke den Weg zu neuen Ansätzen kausaler somatischer Gentherapien ebnen. Dr. R. Kruse* • Institut für Humangenetik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Wilhelmstraße 31, D-53111 Bonn * Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft Weiterbildung Der Hautarzt 198 65 Roland Kruse • Peter Propping Institut für Humangenetik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Hautkrankheiten und genetische Instabilität Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität Hautarzt 1998 · 49: 65-71 © Springer-Verlag 1998 Redaktion Prof. Dr. F. Fritsch, Innsbruck Prof. Dr.W.Vanscheidt, Freiburg Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung“ sollen dem Wissensstand zur Facharztprüfung für den Hautarzt entsprechen und zugleich dem Fach- arzt als Repetitorium dienen. Die Rubrik be- schränkt sich auf klinisch gesicherte Aussagen zum Thema.

Hautkrankheiten und genetische Instabilität Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität

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Page 1: Hautkrankheiten und genetische Instabilität Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität

c Defekte in der spezifischen Reparatur von DNA-Schäden

c Helicasen

c Heterozygoteneffekte

Lernziel

Anhand von dermatologischen Krankheitsbildern, bei denen eine Instabilität im Genomsomatischer Zellen besteht, soll die Bedeutung von c Defekten in der spezifischen Re-paratur von DNA-Schäden besprochen werden. Dabei soll auch Wert auf mögliche Kausal-zusammenhänge zwischen den genetischen Defekten und der Empfindlichkeit gegenüberäußeren Einflüssen sowie auf die Bedeutung für die Entstehung der dermatologischenSymptome gelegt werden.

Insbesondere die immensen Fortschritte in der Identifizierung der für die monogenerblichen Erkrankungen verantwortlichen Gene verlangt eine permanente Auseinander-setzung der Dermatologie mit der modernen Genetik. Sowohl beim Werner- als auch beimBloom-Syndrom scheinen Gene für c Helicasen - dies sind DNA-entspiralisierende Enzy-me - eine bedeutsame Rolle zu spielen [8]. Eine Subgruppe von Patienten mit dem Muir-Torre-Syndrom hat eine defekte Reparatur von Basenfehlpaarungen, die während der Re-plikation in jeder Zelle entstehen. Neben diesen Krankheitsbildern werden auch das Xero-derma pigmentosum und z.T. überlappende Syndrome, wie Cockayne-Syndrom undTrichothiodystrophie, sowie die Ataxia teleangiectatica und die Fanconi-Anämie bespro-chen. Mit der Ausnahme des autosomal-dominant erblichen Muir-Torre-Syndroms werdendie genannten Erkrankungen autosomal-rezessiv vererbt [5].

Eine besondere Berücksichtigung finden c Heterozygoteneffekte. Es liegenumfangreiche Untersuchungen zu der Frage vor, ob schon die Heterozygotie für ein De-fektgen eine Disposition für maligne Tumoren darstellt. Darüber hinaus existieren Hinwei-se darauf, daß auch bei Patienten mit sporadischen Hauttumoren, wie etwa dem Basaliom,a priori reduzierte DNA-Reparaturkapazitäten existieren [10].

Da die autosomal-rezessiven Syndrome meist frühmanifest sind sowie überwiegendeine effektive Sekundärprophylaxe möglich ist, ist die klinisch-dermatologische Verdachts-diagnose dieser Erkrankungen besonders wichtig. Da es sich um Systemkrankheiten han-delt, gewährleistet die regelmäßige und gründliche dermatologische Untersuchung eineallgemeine Krebsvorsorge.

Weil eine Übersicht über die aktuellen Kenntnisse der molekularen Pathogenese die-ser Erkrankungen gegeben werden soll, wird auf Diagnose, Differentialdiagnosen und The-rapie bewußt nur kurz eingegangen. Bei den meisten dieser Erkrankungen ist bisher nureine symptomatische Therapie möglich. Es ist aber zu hoffen, daß weitere molekulargene-tische Einblicke den Weg zu neuen Ansätzen kausaler somatischer Gentherapien ebnen.

Dr. R. Kruse* • Institut für Humangenetik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,Wilhelmstraße 31, D-53111 Bonn

* Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft

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Roland Kruse • Peter ProppingInstitut für Humangenetik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Hautkrankheiten und genetische Instabilität

Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität

Hautarzt1998 · 49: 65-71 © Springer-Verlag 1998

RedaktionProf. Dr. F. Fritsch, InnsbruckProf. Dr.W.Vanscheidt, Freiburg

Die Beiträge der Rubrik „Weiterbildung“ sollendem Wissensstand zur Facharztprüfung für denHautarzt entsprechen und zugleich dem Fach-arzt als Repetitorium dienen. Die Rubrik be-schränkt sich auf klinisch gesicherte Aussagenzum Thema.

Page 2: Hautkrankheiten und genetische Instabilität Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität

c Genetische InstabilitätAkkumulation somatischer Mutationenkann Alterung und Krebsentwicklung fördern

c DNA-Reparaturmechanismen

c Einteilung der Syndrome

Einführung und Übersicht

Somatische Veränderungen der DNA-Sequenz können durch äußere Einflüsse oderphysiologisch während der DNA-Verarbeitung entstehen. Ohne unmittelbare Repa-ratur würden sie nach weiteren Replikationen zu einer Vielzahl zytogenetisch odermolekulargenetisch nachweisbarer Mutationen führen. Dies wird als c genetischeInstabilität bezeichnet. Da jede kodierende Sequenz betroffen sein kann, würde ne-ben dem normalen Alterungsprozeß auch die Krebsentwicklung beschleunigt. Dif-ferenzierte DNA-Reparatursysteme können einen Großteil der Veränderungenzunächst wieder beheben.

Zu den c DNA-Reparaturmechanismen, deren Defekte bekannterweise odervermutlich an der Entstehung von Erkrankungen beim Menschen beteiligt sind,zählen die Nukleotidexzisionsreparatur (NER), die Doppelstrangbruchreparatur,die Querverbindungsreparatur und die Basenfehlpaarungsreparatur (DNA-mis-match-Reparatur, MMR). Darüber hinaus existieren noch eine Reihe weiterer Me-chanismen, bei denen Enzyme wie Alkyltransferasen, AP-Endonukleasen, DNA-Glycosylasen, photoreaktivierende Enzyme und Superoxiddismutasen eine Rollespielen [7].

Es bleibt fraglich, ob eine zyto- oder molekulargenetische c Einteilung derSyndrome zu bestimmten DNA-Reparaturdefekten in Anbetracht des raschen mole-kulargenetischen Informationsgewinns momentan sinnvoll ist. Zudem könnte beieinigen Syndromen auch nur die Überschreitung der DNA-Reparaturkapazitätdurch Defekte in anderen DNA-verarbeitenden Prozessen eine Rolle spielen. Der

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Tabelle 1Populationsgenetische, zytogenetische und molekulargenetische Kennzeichen der genetisch instabilen Hautkrankheiten

Genodermatose Häufig- Hetero Heterozygotie Spontane DNA- Defekte Genekeit zygoten- disponiert zu Chromosomenschäden Reparatur- für

Häufig- defektkeit

Xeroderma 1 : 250000 ≈ 1 : 100 Krebs; Mikrozephalie Keine NER Enzyme der NER pigmentosum u. geist. Retardierung (einschl.

(XP-A u. -D) Helicasen)Cockayne-Syndrom Mehr als 140 Keine Teils NER Teils Helicase

Fälle +Transkriptions-beschrieben faktor

Trichothiodystrophie Etwa 100 Keine Teils NER Teils Helicase Fälle +Transkriptions-beschrieben faktor

Werner-Syndrom Mehrere 100 Buntes, klonales HelicaseFälle Translokationsmosaikbeschrieben

Bloom-Syndrom Etwa 170 Erhöhter Austausch zwischen ? Chromosomen- HelicaseFälle homologen Chromosomen bruchreparaturbeschrieben (insbesondere SCEs)

Ataxia teleangiectatica ≈ 1 : 300000 ≈ 1 : 150 Krebs, Diabetes Spezifische ? Chromosomen- ProteinkinaseChromosomenbrüche bruchreparatur

Fanconi-Anämie bis 1 : 200000 bis 1 : 225 Urogenitale und Erhöhter Austausch zwischen ? Querverbin- FA-A- u. FA-C-Gen Extremitäten- nichthomologen dungsreparatur mit bislang fehlbildungen, Chromosomen unbekanntenDiabetes mellitus, Funktionen Krebs

Muir-Torre-Syndrom Etwa 140 Tumoren in verschie- Keine Mismatch- Proteine der Fälle denen Organen reparatur Mismatch-beschrieben reparatur

(NER Nukleotidexzisionsreparatur; SCE Schwesterchromatidaustausch)

Page 3: Hautkrankheiten und genetische Instabilität Teil I: Grundlagen genetischer Instabilität

c Autosomal-rezessiv:Erstmaliges Auftreten einer Erkran-kung in einer Familie

Cave: Eine erbliche Erkrankung muß nichtfamiliär auftreten!

c Komplementationsgruppen

Klassisches Beispiel: Hämophilie

Mutationen in Onkogenen und Tumor-suppressorgenen

Berücksichtigung der Familienanamnese

c Klinische Verdachtsdiagnose

c Heterozygotie

Übersichtlichkeit halber sollte jedoch der Versuch einer aktuellen Einteilung, hier in4 Gruppen, unternommen werden. Dabei sind Überlappungen allerdings nicht zuvermeiden (s. Tabelle 1).

• Bei der 1. Gruppe, bestehend aus Xeroderma pigmentosum, Cockayne-Syndromund Trichothiodystrophie, bestehen Defekte in Genen, die für Enzyme der Nu-kleotidexzisionsreparatur kodieren.

• Die 2. Gruppe wird von dem Werner-Syndrom repräsentiert. Diesem liegen ver-mutlich komplexe Störungen des DNA-Metabolismus zugrunde.

• Das Kennzeichen der 3. Gruppe ist eine chromosomale Instabilität, die in mikro-skopisch sichtbaren Chromosomen-Aberrationen resultiert (Chromosomen-bruchsyndrome). Hierzu zählen das Bloom-Syndrom, die Ataxia teleangiectaticaund die Fanconi-Anämie.

• Ein Vertreter der 4. Gruppe ist das Muir-Torre-Syndrom. Es ist vermutlich einephänotypische Variante des erblichen Dickdarmkrebses (HNPCC), für den einefehlerhafte DNA-mismatch-Reparatur verantwortlich ist [5].

Bis auf die Ausnahme des autosomal-dominanten HNPCC und seiner phänotypi-schen Variante, dem Muir-Torre-Syndrom, sind die besprochenen Syndrome auto-somal-rezessiv erblich und sehr selten. Für einen c autosomal-rezessiven Verer-bungsgang ist das erstmalige Auftreten einer entsprechenden Erkrankung in einerGeschwisterreihe einer Familie typisch. Nur in seltenen Fällen wird eine positive Fa-milienanamnese gefunden. Ein Hinweis kann eine Verwandtenehe sein. Zu berück-sichtigen ist, daß eine erbliche Erkrankung nicht mit Familiarität gleichgesetzt wer-den darf. Auch Neumutationen während der Keimzellreifung können die Ursachesein.

Die meisten der hier besprochenen rezessiven Erkrankungen werden in sog.c Komplementationsgruppen eingeteilt. Unter Komplementation versteht man denAusgleich von Gendefekten durch die Kombination von Genomen mit unterschied-lichen Defekten. Das klassische Beispiel ist das Vermischen des Blutes eines Hämo-philie-A- und eines Hämophilie-B-Patienten. Das Gemisch ist wieder normal ge-rinnbar.

Für die meisten identifizierten, pleiotrop wirkenden Gene existieren lediglichHypothesen, warum sie nur bestimmte klinische Symptome verursachen. Ebensogibt es verschiedene Spekulationen über die Gründe des erhöhten Karzinomrisikosbei einigen Erkrankungen mit genomischer Instabilität. Dabei dürfte eine höhereRate an Mutationen in Onkogenen und Tumorsuppressorgenen eine entscheidendeRolle spielen. Bei den Instabilitätssyndromen ist typischerweise die Haut mitbetrof-fen. Hierfür könnte die im Vergleich zu anderen Organen verstärkte Exposition derHaut gegenüber exogenen Schäden verantwortlich sein.

Es ist aber zu bedenken, daß es sich um komplexe Vorgänge handelt, bei denendie Störung im DNA-Metabolismus sicherlich nur eine von vielen pathogenetischenFaktoren darstellt. Beim Xeroderma pigmentosum wurden zudem eine reduzierteKatalaseaktivität und eine geschwächte Immunabwehr diskutiert.

Interessant ist die Frage, ob allein die Beobachtung klinischer Erscheinungendie Diagnosen der Erkrankungen ermöglichen können. Unter Berücksichtigung derFamilienanamnese kann eine Verdachtsdiagnose möglich sein. Sicherheit wird inden meisten Fällen aber erst durch eine Kombination mit der Zyto- oder Molekular-genetik erhalten. Ebenso wie bei anderen Genodermatosen ist auch hier die Zusam-menarbeit von Dermatologie und Genetik essentiell.Andererseits sollte die Moleku-largenetik nicht überschätzt werden. Das Auge des Dermatologen und somit diec klinische Verdachtsdiagnose ist die wegweisende Voraussetzung jeglicher geneti-scher Untersuchungen.

Die genetischen Defekte der beschriebenen autosomal-rezessiven Erkrankun-gen, die bei Homozygotie zu den charakteristischen Krankheitsbildern führen, ge-winnen dadurch an Bedeutung, daß es Hinweise dafür gibt, daß schon c der Defekteines der beiden Allele zu klinischen Erscheinungen disponiert [3]. Beispielsweiseliegt die Heterozygotenfrequenz für das Xeroderma pigmentosum, die Ataxia tele-angiectatica und die Fanconi-Anämie jeweils in der Größenordnung von etwa 1:100bis 1:200. Heterozygote für die Ataxia teleangiectatica sollen ein erhöhtes Mamma-

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AT-Heterozygote haben evtl. erhöhtesMammakarzinomrisiko

Helicasen überführen DNA in einzel-strängige Form

c Xeroderma pigmentosum

c Pyrimidindimere

Betroffener Einzelstrangabschnitt wird entfernt und neu synthetisiert

Kopplung von NER und Transkription

karzinomrisiko haben. Neuere Untersuchungen konnten dies allerdings nicht be-stätigen [2a].

Die Identifizierung verursachender Gene eröffnet neben einer effektivenHeterozygotendiagnostik viele neue Möglichkeiten in der Grundlagenforschunggenetischer Erkrankungen.

Spezifische physiologische Reparaturmechanismen

Die Erbanlagen sind in der Nukleotidsequenz der Desoxyribonukleinsäure (DNA)repräsentiert. Stabil ist die DNA nur in ihrer doppelsträngigen Form. Um aber dievielfältigen zellulären Funktionen ausüben zu können, muß sie mit Hilfe von Heli-casen kurzzeitig in ihre einzelsträngige Form überführt werden. Erst so werdenDNA-verarbeitende Prozesse, wie etwa Replikation und Transkription, ermöglicht.Neben den Helicasen ist natürlich jeweils das Zusammenspiel zahlreicher weitererEnzyme erforderlich. Im folgenden sollen die Mechanismen besprochen werden, diemaßgeblich an der Aufrechterhaltung der DNA-Struktur beteiligt sind. Dabei wer-den die im Laufe des Lebens unvermeidlichen DNA-Schäden beim Menschen ihrenspezifischen wiederherstellenden Reparaturmechanismen gegenübergestellt.

Nukleotidexzisionsreparatur (NER)

Im Laufe des Medizinstudiums wird jeder Student mit dem Krankheitsbild desc Xeroderma pigmentosum und der defekten DNA-Reparatur bekannt gemacht.

UVB-Strahlung in Form des natürlichen Sonnenlichtes kann im Genom jederZelle zu einer c Dimerisierung benachbarter Pyrimidine führen. Falls diese nichtwie üblich entfernt werden, ist sowohl die RNA-Synthese als auch die DNA-Replika-tion gestört. Nach weiteren Zellteilungen kann es zu einer Vielzahl von somatischenMutationen kommen.

Der beim Menschen relevante Mechanismus zur Wiederherstellung ist die Nu-kleotidexzisionsreparatur (Abb. 1). Hierbei wird der betroffene Einzelstrangab-schnitt entfernt und anschließend neu synthetisiert. Zunächst erkennen unter-schiedliche Proteine das entstandene Dimer. Eine Helicase entspiralisiert lokal den

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Abb. 1 m Prinzip der Nukleotidexzisionsreparatur (NER): Ein durch UV-Lichtein-wirkung entstandenes Thymidindimer wird durch Exzision und anschließendeResynthese eines größeren Einzelstrangsegmentes beseitigt. (Mod. nach [9])

DNA-Doppelstrang. Eine Endonuklease schneidet den betreffenden DNA-Einzel-strang in der Nähe der Thymindimere ein, und eine Exonuklease entfernt den Ab-schnitt des mutierten Stranges vollständig. Die DNA-Polymerase fügt komple-mentäre Nukleotide schrittweise zum neuen Einzelstrang an, dessen freies Endeschließlich mittels einer Ligase mit der anderen Schnittstelle verknüpft wird [9].

Da eine Kopplung zwischen NER und Transkription besteht, läuft diese Repara-tur im transkribierten Strang von Genen am schnellsten ab (“transcription-coupledrepair”) [1].

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c Auslöser von Doppelstrangbrüchen

Unterbrochene Doppelstränge bleiben in lockerem Kontakt

c Kovalente Querverbindungen

Doppelstrangbruch-Reparatur (Chromosomenbruch-Reparatur)

Die Folgen kompletter Unterbrechungen von DNA-Doppelsträngen sind abhängigvom Eintrittszeitpunkt der Schäden während des Zellzyklus. Ein Angriffspunkt istdie diploide G1-Phase des Zellzyklus (postmitotische Ruhephase), während der sichSchäden vom Chromosomentyp entwickeln. Während der zweifach diploiden G2-Phase (prämitotische Ruhephase) entstehen Chromatid-Typ-Aberrationen. c Aus-löser sind exogene Einwirkungen ionisierender Strahlung oder DNA-schädigenderChemikalien sowie endogene Mechanismen, z. B. somatische Rekombinationen.

Ionisierende Strahlung fördert die Bildung von Radikalen, die die DNA struktu-rell verändern. Andererseits hemmt sie direkt die DNA-Synthese. Basenanaloge, wie5-Bromuracil, ermöglichen falsche Basenpaarungen. Nitrit und Hydroxylamin mo-difizieren normale Basen, indem sie z. B.Aminogruppen entfernen.Auch alkylieren-de Substanzen (z. B. Cyclophosphamid, Mitomycin C oder Diepoxybutan) begünsti-gen die Bildung von Strangbrüchen. Im Gegensatz zur ionisierenden Strahlung in-duzieren Chemikalien insbesondere den Austausch zwischen Schwesterchromati-den (SCE). Während der V(D)J-Rekombination, einer für die B- und T-Zell-Reifungessentiellen somatischen Rekombination, werden physiologischerweise verschiede-ne Gensegmente zu einem kontinuierlichem Exon neugeordnet.

Das Prinzip der Doppelstrangbruchreparatur ist einfach. Die freien DNA-Dop-pelstrangenden werden erkannt, einander angenähert und für eine erneute Bindungangepaßt. Dabei geschieht das Erkennen der Enden durch einen Komplex aus demKu-Protein und einer Proteinkinase. Um zu gewährleisten, daß auch tatsächlich diekorrespondierenden Doppelstränge wieder zueinander finden, scheinen aber meh-rere, vermutlich nebeneinander fungierende Mechanismen zu existieren. Wahr-scheinlich werden unterbrochene Doppelstränge permanent in lockerem Kontaktgehalten. Hierzu dienen die Chromatinstruktur, die Proteinkinase bzw. ausrichtendeProteine oder kurze DNA-Sequenzen (Abb. 2) [4].

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gAbb. 2 m Doppelstrangbruchreparatur: Mittels unterschiedlicher Mechanismen kann auf dieRefixierung korrespondierender freier Doppelstrangenden vorbereitet werden.(Mod. nach [4])

Patienten mit Defekten in der Doppelstrangbruchreparatur fallen durch eineausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber radioaktiver Strahlung auf. Ein Beispiel fürdie erhöhte Empfindlichkeit ist die Ataxia teleangiectatica.

Querverbindungsreparatur

Unterschiedliche Karzinogene und Chemotherapeutika wie Psoralen, Cisplatin oderMitomycin C können zu c kovalenten Querverbindungen zwischen den Einzel-strängen eines DNA-Doppelstranges führen.

Bisher sind keine Details zum Reparaturmechanismus beim Menschen be-kannt. Eine Möglichkeit, die zur fehlerfreien Resynthese führen würde, soll hier aber

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Reparatur durch homologe Paarung mitdem intakten Schwesterchromatid

c DNA-mismatch-Reparatur

Replikationsfehler alle 109 bis 1010

Nukleotide

c Postreplikative Reparatur

kurz erläutert werden. Zunächst wird ein Einzelstrang des betroffenen Segmentesan 2 Stellen eingeschnitten. Es schließt sich eine homologe Paarung mit dem intak-ten doppelsträngigen Schwesterchromatid an. Von diesem wird der entsprechendeEinzelstrangabschnitt in die entstandene Lücke übertragen. Der kovalent gebunde-ne zweite Strang des betroffenen Segmentes wird ebenfalls doppelt inzidiert und so-mit die Querverbindung vollständig entfernt. Letztendlich wird ein neuer komple-mentärer Einzelstrang synthetisiert [7]. Defekte der Querverbindungsreparaturwerden bei Fanconi-Anämie-Patienten vermutet.

Basenfehlpaarungsreparatur (c DNA-mismatch-Reparatur, MMR)

Im Rahmen jeder Mitose wird die DNA verdoppelt (Replikation). Dabei treten Feh-ler mit einer Gesamtrate von 1 : 109-1010 Nukleotide auf. Es handelt sich um Fehlpaa-rungen einzelner Basen (Abb. 3) sowie solche, die durch kleine Insertionen oder De-letionen entstehen. Zur Einhaltung dieser niedrigen Fehlerrate erkennen und besei-tigen die DNA-Polymerasen schon während des Vorganges der Replikation falscheingebaute Nukleotide.

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Abb. 3 m Basenfehlpaarungsreparatur (DNA-mismatch-Reparatur): physiologische Entstehung vonBasenfehlpaarungen im Laufe einer Replikation. Der anschließende Reparaturmechanismus ähnelt prinzipiell der NER

Darüber hinaus existiert der Basenfehlpaarungsreparaturmechanismus, dererst c postreplikativ einen Teil der Fehlpaarungen behebt. Vom Prinzip her hatdieser Ähnlichkeiten mit der NER, da ebenfalls nur ein Segment des mutierten Ein-zelstranges exzidiert und neusynthetisiert wird. Die beim Menschen beteiligten En-zyme sind in Tabelle 2 zusammengefaßt. Eine Basenfehlpaarung wird von dem Pro-tein hMSH2 erkannt. Dabei ist entscheidend, welche der beiden gegenüberstehen-

Tabelle 2Spektrum bisher identifizierter DNA-mismatch-Reparaturgene beim Menschen

Humanes Gen Kartierung Länge des Proteins Funktion(Aminosäuren)

hMSH2 2p16 934 Erkennung von BasenfehlpaarungenGTBP 2p16 1358 Aktivierung von hMSH2hMLH1 3p21.3-23 756hPMS1 2q31-33 932 KomplexbildunghPMS2 7p22 832 }

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Defekte beim Muir-Torre-Syndrom

den Basen die falsche ist: Ein Erkennungsmerkmal des neusynthetisierten Strangesist die noch fehlende Methylierung des Cytosins an CpG-Inseln. hMSH2 wird erstdurch die Bindung an ein GT-bindendes Protein (GTBP) aktiviert. Ein zweiter Kom-plex aus Genprodukten von hMLH1 und hPMS2 bindet an den hMSH2/GTBP-Kom-plex und aktiviert eine Endonuklease. Diese sorgt für die Entfernung des mutiertenBereichs in der neusynthetisierten DNA. Es schließt sich ähnlich der NER eine kas-kadenartige Aktivierung unterschiedlicher Enzyme zur Wiederherstellung eineskorrekten Stranges an [2, 6]. Beim Menschen konnten auch schon Assoziationenzwischen der DNA-mismatch-Reparatur und der NER nachgewiesen werden.

Keimbahnmutationen der MMR-Gene wurden beim erblichen nicht-polypösenDickdarmkrebs (HNPCC) und einem Teil von Muir-Torre-Patienten nachgewiesen.

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Fragen zur Selbstkontrolle

Mehrere Antworten können richtig sein.

1. Welche Erkrankungen gehen in der Regel mit einer Neigung zu spontanen Chromosomen-Aberrationeneinher?

a) Cockayne-Syndromb) Fanconi-Anämiec) Xeroderma pigmentosumd) Ataxia teleangiectaticae) Muir-Torre-Syndrom

2. Was ist ein häufiges Kennzeichen einer Erkrankung,die einem autosomal-rezessiven Erbgang folgt?

a) Männer häufiger betroffen als Frauenb) Erstmaliges Auftreten einer Erkrankung in einer Familiec) Mindestens ein Betroffener je Generationd) Heterozygote klinisch immer diagnostizierbar

3. Welche Aussage über die Nukleotid-Exzisions-Re-paratur ist falsch?

a) Die Reparatur ist mit der Transkription gekoppelt.b) Die beteiligten Enzyme trennen kovalente Bindungen zwischen

zwei gegenüberstehenden Pyrimidinen eines DNA-Doppel-stranges.

c) Es erfolgt eine Resynthese des betroffenen Einzelstrang-Abschnittes.

4. Welche Aussagen sind richtig?Unterbrochene DNA-Doppelstränge

a) führen während der G1-Phase des Zellzyklus zu Schäden vom Chromatid-Typ.

b) werden zur Refixierung permanent in lockerem Kontakt gehalten.c) können durch somatische Rekombinationen entstehen.d) werden nur durch ionisierende Strahlen hervorgerufen.e) spielen beim Austausch von Schwesterchromatiden keine Rolle.

5. Welche Aussagen über die Basenfehlpaarungs-reparatur treffen zu?

a) Sie behebt überwiegend exogen induzierte DNA-Schäden.b) Der neusynthetisierte Strang ist an der noch fehlenden Methylie-

rung des Cytosins zu erkennen.c) Die Reparatur von Basenfehlpaarungen erfolgt durch Exzision

eines DNA-Doppelstrang-Abschnittes.d) Sie behebt einen Teil der Basenfehlpaarungen, die während der

Replikation entstehen.

Lösungen1. b), d)2. b)3. b)4. b), c)5. b), d)

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