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Hessen 1848 Zur Vorgeschichte der Revolution

Heft Nr. 6 · 2020-01-16 · die der Historiker Friedrich Meinecke noch ganz unter dem Eindruck von Hitler-Terror, Krieg und Gewaltherr-schaft im Jahre 1948 an den Anfang seiner „Säkularbetrachtung“

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Hessen 1848Zur Vorgeschichte der Revolution

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Inhalt

Bernd HeidenreichEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Eckhart G. FranzTransformation mit Hindernissen.Die Staaten des heutigen Hessen im Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Rainer KochDie Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Roland HoedeZur Geschichte der Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847 . . . . . . . 29

Hans SchenkDer Frankfurter Wachensturm von 1833 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Wolfgang KlötzerDie Hallgartener Versammlungen.Auf dem Weg zur Frankfurter Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Barbara DölemeyerBassermann, Mathy, Mittermaier – eine politisch-wissenschaftliche Korrespondenzim Umfeld der „Deutschen Zeitung“ … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

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Einleitung

„Wir müssen uns heute die Frage nach den Scheidewegen in der deutschen Geschichte schärfer als bisher stel-len, um den unendlich verzweigten Komplex unseres düsteren Schicksals tiefer zu verstehen“ – diese Mahnung,die der Historiker Friedrich Meinecke noch ganz unter dem Eindruck von Hitler-Terror, Krieg und Gewaltherr-schaft im Jahre 1948 an den Anfang seiner „Säkularbetrachtung“ zur Revolution von 1848 stellte, hat auch nachweiteren 50 Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren. Denn die Frage nach den Scheidewegen ihrer Geschichtestellt sich für jede Generation neu. Geschichtliche Identität erwächst nicht aus ehrfürchtiger Bewunderung desGestern, sondern aus der kritischen Auseinandersetzung mit den verpaßten Chancen der nationalen Vergangen-heit. Diese Auseinandersetzung zu führen, ist eine wichtige Aufgabe politischer Bildung. Nur aus ihr erwächstdas rechte Verständnis für den Wert der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der wir leben.

Die Revolution von 1848 war beides – Scheideweg und verpaßte Chance. Als im Mai 1848 in der FrankfurterPaulskirche das erste deutsche Parlament zusammentrat, waren Einheit und Freiheit noch zwei Seiten einer Me-daille. Es ging damals um die national-staatliche Einheit der Deutschen. Es ging aber auch darum, freiheitlicheVerfassungsrechte durchzusetzen und den Weg vom monarchisch-autoritären Fürstenstaat zum liberalen Verfas-sungsstaat zu ebnen. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Aufhebung der Zensur, Freiheit von Lehre und For-schung, Versammlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, so lauteten damals die Forderungen der Revolu-tionäre. Der Abgeordnete Ludwig Uhland erklärte: „Glauben Sie, es wird kein Haupt über Deutschland leuch-ten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist.“

Wir wissen, daß es anders gekommen ist. 1871 standen bei der Reichsgründung Bismarcks nicht Freiheit undDemokratie, sondern die Macht der Fürsten und die Erfolge ihrer Armeen Pate. Die achtundvierziger Allianzvon Einheit und Freiheit war – mit der kurzen Unterbrechung der Weimarer Republik – für mehr als ein Jahr-hundert aufgehoben. Eine Chance war vertan – mit fatalen Folgen für Deutschland und Europa.

Dennoch wäre es ungerecht, die Revolution von 1848 nur von ihrem Scheitern her zu bewerten. Sie hat auchweitergewirkt: Ohne die Revolution von 1848 wäre die Reichsgründung von 1871 nicht denkbar gewesen unddamit die nationale Einheit der Deutschen vielleicht auf ewig Utopie geblieben. Auch in dunkelster Zeit warender Grundrechtskatalog und das Verfassungswerk der Paulskirche Fixpunkte für ein demokratisches Deutsch-land. Sie haben nicht zufällig die Verfassung der Weimarer Republik und das Bonner Grundgesetz der Bundes-republik Deutschland beeinflußt. Die Revolution von 1848 war eine entscheidende Station auf dem Weg zueinem Europa der Menschen- und Bürgerrechte, der individuellen Selbstbestimmung und der sozialen Gerech-tigkeit. Die Ideen von 1848 waren gleichsam die Hefe in der Entwicklung eines demokratischen Deutschlandund Europa.

„Das Eindringen des neuen Freiheitsgedankens ins Volk und das Eindringen des Volkes in die Politik…“ – soschrieb der Frankfurter Historiker Otto Vossler 1948 – „das ist der eigentliche und bleibende Erfolg der Pauls-

kirche … Mögen wir auch in einer veränderlichen Zeit vor … neuen Aufgaben stehen – immer bleibt doch derGeist, der die Revolution von 1848 hervorgebracht und beseelt hat, … der Geist der Freiheit.“

Dieser „Geist der Freiheit“, der hier von Otto Vossler beschworen wird, hat 1989/90 noch einmal seine politi-sche Wirksamkeit bewiesen und die 1848/49 verspielte Verbindung von Einheit und Freiheit in Deutschland wie-derhergestellt.

Die Pflege dieses Freiheitsgedankens als Teil unserer demokratischen Kultur und Geschichte ist eine Hauptauf-gabe jeder politischen Bildung. Sie ist zugleich ein wichtiges Anliegen der Publikation „Hessen 1848 – Zur Vor-geschichte der Revolution“, mit der wir die Ergebnisse einer Tagung der Hessischen Landeszentrale für politi-sche Bildung zum 150. Jubiläum der Heppenheimer Versammlung vorlegen. Wir wollen damit auch deutlichmachen, daß Hessens Beitrag zur Revolution von 1848 mehr als die Frankfurter Paulskirche war.

Hessen war ein Vorreiter des deutschen Konstitutionalismus. Das gilt jedenfalls für das Herzogtum Nassau. Alserster der 41 Staaten des Deutschen Bundes erhielt das Herzogtum Nassau 1814 eine landständische, nach heu-tigen Begriffen durchaus liberale Verfassung. Hessen-Darmstadt folgte bereits 1820, Hessen-Kassel immerhin1831. Hessen spielte eine wichtige Rolle im deutschen Vormärz. Der Frankfurter Wachensturm von 1833 undGeorg Büchners radikale Kampfschrift „Der Hessische Landbote“ (1834) sind dafür vielleicht die bekanntestenBeispiele. Hessische Persönlichkeiten zählten zu den Hauptakteuren des deutschen Vormärz und der Revolutionvon 1848. Das gilt nicht nur für Heinrich von Gagern (1799–1880), den ersten Präsidenten der Paulskirche. Dasgilt auch für Männer wie Sylvester Jordan (1792–1861), den Vater der kurhessischen Verfassung, und AugustHergenhahn (1804–1874), Mitverfasser der Nassauer Märzforderungen, Teilnehmer der Heppenheimer Ver-sammlung und Nassauer Ministerpräsident.

Auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen wurden schließlich wichtige Weichenstellungen für die Ent-wicklung des Parlamentarismus in Deutschland und die erste deutsche Nationalversammlung vorgenommen.Das gilt nicht nur für das rheinische Hallgarten, wo seit 1839 Johann Adam von Itzstein (1775–1855) auf sei-nem Weingut Vertreter der liberalen Oppositon aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands zusammenführteund mit ihnen über die Möglichkeit eines einigen und freien Deutschland und über eine parlamentarische Alter-native zum Deutschen Bund beriet, sondern auch für Heppenheim, wo am 10. Oktober 1847 achtzehn liberaleAbgeordnete aus fünf deutschen Staaten zusammentrafen, um über das Ziel einer nationalen Einigung Deutsch-lands auf verfassungsmäßiger Grundlage zu beraten.

Diese wenigen Mosaiksteine ergeben kein vollständiges Bild. Aber sie dokumentieren doch den wichtigen hes-sischen Beitrag zur Vorgeschichte der Revolution von 1848 und zur Entwicklung des Parlamentarismus inDeutschland. Als Hessische Landeszentrale für politische Bildung wollen wir mit unserer kleinen Broschüredaran erinnern.

Dr. Bernd HeidenreichHessische Landeszentrale für politische Bildung

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Der vor 25 Jahren, im Vorfeld des letzten 48er Jubiläumserschienene Auftaktband der Reihe „Industrielle Welt“, indem sich mein Lehrer Theodor Schieder, Werner Conze,Otto Brunner, Reinhart Koselleck u.a. mit „Staat undGesellschaft im deutschen Vormärz“ befaßten, setzte dieZeitgrenzen „1815–1848“.1 Auch der mir aufgetrageneÜberblick über Hessen (genauer gesagt die Staaten im Be-reich des heutigen Bundeslandes Hessen) im sogenannten„Vormärz“ muß auf die territoriale Neuordnung im Gefolgeder Französischen Revolution, die Gebietsreformen der na-poleonischen Zeit zurückgreifen, aus denen die hier inter-essierenden Staaten erwachsen sind.

Auf den zunächst als Ausgleich für Gebietsverluste durchdie Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich ka-schierten „Reichsdeputationshauptschluß“, der längst vorder offiziellen Unterzeichnung im Februar 1803 vollzogenwar, folgte im Sommer 1806 als „zweiter Akt“ die Rhein-bundakte. Der Darmstädter Gesandte Baron Pappenheim inParis berichtete etwas süffisant, daß er den Vertrag morgensum 1/2 3, nach einem Ball bei Außenminister Talleyrandunterzeichnet habe.2 Nach den „säkularisierten“ geistlichenTerritorien, den Erz- und Fürstbistümern, Abteien undPropsteien, die sich im Schutz ihrer Reichsunmittelbarkeitauch im evangelischen Umfeld bis zum Ende des „AncienRégime“ behauptet hatten, und den ebenfalls schon 1803„eingemeindeten“ kleineren Reichsstädten verschwandjetzt, 1806, auch die Mehrzahl der fürstlichen, gräflichenund reichsritterlichen Herrschaften von der vorher reichlichbuntscheckigen Landkarte. Der bisherige Landgraf vonHessen-Darmstadt wurde Großherzog, ein Titel, den mandem medicäischen „Granduca“ der Toscana abgeschauthatte,3 und die nassauischen Fürsten von Weilburg undUsingen bekamen ein gemeinsames Herzogtum. Neugrün-dungen waren das für den Napoleonbruder Jérome geschaf-fene Königreich Westphalen und der „fürstprimatische“Staat des letzten Mainzer Kurfürst-Erzbischofs Dalberg,

der 1810 zum Großherzogtum Frankfurt wurde. Zwischenden beiden zuletzt genannten rheinbündischen Neugrün-dungen wurden die Lande des noch 1803 zum Kurfürstenerhobenen Hessen-Kasseler Landgrafen aufgeteilt, der alsVerbündeter Preußens aus seinem Land weichen mußte.

Der Neuordnungsversuch des Rheinbunds, für den Impe-rator Napoleon vor allem Konskriptionsgebiet seiner„Grande Armée“, zerfiel mit dem Sieg der Allierten in derVölkerschlacht von Leipzig, den der Gefechtserfolg derzurückflutenden französischen Armee bei Hanau Ende Ok-tober 1813 nicht mehr wettmachen konnte. Mit den Kosa-ken General Czernicheffs kehrte auch Kurfürst Wilhelm inseine Hauptstadt Kassel zurück. In den Beschlüssen desWiener Kongresses und nachfolgenden zwischenstaatli-chen Verhandlungen wurden die innerdeutschen Grenzennoch einmal neu gezogen. Die Matrikel des neuge-schaffenen Deutschen Bundes führte den durch Rheinhes-sen arrondierten Staat des nunmehrigen „Großherzogs vonHessen und bei Rhein“ mit rund 620.000 Einwohnern an 8.,das etwas einwohnerschwächere Hessen-Kassel, das dennach dem Ende des Alten Reiches an sich obsoleten Kur-Titel beibehielt, an 9. Stelle. Neben Nassau, mit rund300.000 Einwohnern etwa halb so groß wie die „beidenHessen“, wurden auch das sehr viel kleinere FürstentumWaldeck-Pyrmont, die aufgrund der Verwandtschaftsbezie-hungen nach Berlin zum souveränen Staat erhobene Mini-Landgrafschaft Hessen-Homburg und die zum Bundessitzbestimmte „Freie Stadt Frankfurt“ vollberechtigte Mit-gliedstaaten des Deutschen Bundes. Die nachfolgende Be-trachtung der „Vormärz“-Jahrzehnte wird sich jedoch –schon aus Zeitgründen – auf die größeren Staaten Kurhes-sen, Hessen-Darmstadt und Nassau beschränken.

In unseren Schulbüchern sprach man für diese Jahre vorallem von den preußischen Reformen, die von Stein, Har-denberg und ihren Mitstreitern im Zuge der Neubesinnungnach der Niederlage des „Ancien Régime“ in der Schlacht

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Transformation mit HindernissenDie Staaten des heutigen Hessen im Vormärz

von Eckhart G. Franz

von Jena eingeleitet wurden. Gerechtfertigt durch die Her-kunft des Reformers Stein aus dem Nassauischen, seineMitwirkung an der nassauischen Verfassung von 1814 schufdie Regierung des noch jungen Bundeslandes Hessen zurStärkung des kommunalen Bewußtseins zu Beginn der1950er Jahre die heute vor allem zu Ortsjubiläen verliehene„Freiherr-vom-Stein-Plakette“, obwohl gerade die Tradi-tion der hierzulande sehr viel älteren kommunalen Selbst-verwaltung mit den preußischen Reformen wenig odernichts zu tun hatte. Das gilt entsprechend für die vielfälti-gen Reformen, die in den von der borussisch gefärbtenGeschichtsschreibung gern verächtlich beseitegeschobenenRheinbundstaaten bereits vor Beginn der preußischen Re-form-Ära einsetzten, Reformen, die ältere Ansätze derSpätaufklärung aus dem Ende des 18. Jahrhunderts mit denvom revolutionären Frankreich und seiner modernen Ge-setzgebung gegebenen Anregungen verknüpften und damitdie für den Strukturwandel vor allem in den südwestdeut-schen Staaten des frühen 19. Jahrhunderts prägende „Revo-lution von oben“ einleiteten.4

Die mit der territorialen Neugliederung neugeschaffenenStaaten mußten zwangsläufig reformieren, mußten neueStrukturen entwickeln, um die zunächst nur mechanisch ad-dierten Gebietsstücke mit ihren zum Teil von Ort zu Ort un-terschiedlichen Traditionen in Recht und Verwaltung, Steu-ern und Abgaben, Kirche und Schule zusammenzuführen.Das neue Herzogtum Nassau bestand immerhin zu 78% ausneuerworbenen Gebieten. Galt vordem der Grundsatz„cuius regio, eius religio“, die einheitliche Konfession desLandesherrn – lutherisch bei den Darmstädtern, kalvini-stisch bei den Nassauern und manchen ihrer WetterauerGrafenkollegen, katholisch in den bis dato geistlichen Ter-ritorien –, so gab es im Großherzogtum Hessen künftigneben den nach wie vor dominierenden Lutheranern rund25% Katholiken und 10% Reformierte. Die nassauischeRegierung erließ bereits im Herbst 1803 ein Edikt, das Ka-tholiken und Protestanten mahnte, „sich wechselseitig mitAchtung zu begegnen und in Eintracht miteinander zuleben“.5 Auch im Darmstädtischen sollten die neuerrichte-ten Kirchen- und Schulräte „auf den Kultus der ver-schiedenen Religionsparteien alle rechtliche Rücksichtnehmen“.

Vorrangiges Ziel der in Darmstadt im Oktober 1803 er-lassenen Organisationsedikte war jedoch die landeseinheit-liche Neuordnung von Justiz und Verwaltung, für die in den

neugeschaffenen drei Provinzen als erster Ansatz der vonder Aufklärung geforderten Gewaltenteilung neben denProvinzialregierungen gesonderte Justizkollegien, die künf-tigen Hofgerichte, errichtet wurden.6 Hindernis für weiter-gehende Reformen, die schon von der Aufklärung ange-strebte Beseitigung der überholten Feudalordnung, war dieVielzahl verbriefter Privilegien. Wenn die nunmehrgroßherzogliche Regierung in Darmstadt als ersten Akt dermit der Rheinbundgründung neugewonnenen Souveränitätam 1. Oktober 1806 die bisher bestehenden „Landstände“,den ständisch gegliederten Landtag, für aufgehoben er-klärte, so begründete man das mit der Notwendigkeit, diegeplanten „wohltätigen Verbesserungen der Administra-tion“ ohne Rücksicht auf ständische Einsprüche durchzu-setzen. Daß dies durchaus ernstgemeint war, zeigte diegleichzeitige Abschaffung aller bisher gültigen Steuerbe-freiungen. „Alle Staatsbürger, da sie gleichen Schutz, glei-che Rechte und gleiche Vorteile von dem Staat zu genießenhaben“, sollten auch „ohne irgendeine Ausnahme an den ...Kosten und Abgaben verhältnismäßigen Anteil tragen“.Noch weiter ging hier die nassauische Steuerreform vomFebruar 1809, mit der ein bunter Strauß von 991 älterenSteuern und Abgaben – vom „Fastnachtshuhn“ bis zur„Herbstbede“ – durch ein neues System von Grund- undGewerbesteuern abgelöst wurde.

Nicht durchzusetzen war die völlige Gleichstellunggegen die sogenannten „Standesherren“, die mediatisiertenFürsten und Grafen, die zwar ihre staatliche Unabhängig-keit eingebüßt hatten, ihre sonstigen Besitz- und Herr-schaftsrechte aber weitgehend behaupten konnten, eineSonderstellung, die auch von der Wiener Bundesakte aus-drücklich garantiert wurde. Man konnte zwar die von denAufklärern um Kriegsrat Merck in Darmstadt schon 1790geplante Aufhebung der mit modernen Menschenrechts-ideen unvereinbaren Leibeigenschaft durchsetzen, in Nas-sau 1808, für das Großherzogtum drei Jahre später, mußtedie gleichzeitig geplante Ablösung der Frondienste aberzunächst auf die Staatsfronden, die landesherrlichen Unter-tanen beschränken. Der Versuch, das im Königreich West-phalen übernommene Zivil- und Strafrechtssystem desfranzösischen „Code Napoléon“ auch für die übrigenRheinbundstaaten einzuführen, Gegenstand einer 1809 inGießen zusammengetretenen Expertenkommission mitJuristen aus Hessen-Darmstadt und Nassau, blieb ohne Er-folg.7

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Die ab 1813 für den „Befreiungskampf“ gegen die fran-zösische Vorherrschaft entfachte „Freiheitsbewegung“ ver-band sich mit der Forderung nach einer freiheitlichen Ver-fassung mit gewählter Volksvertretung. In den von ErnstMoritz Arndt vor allem auch im Rhein-Main-Gebiet insLeben gerufenen „Deutschen Gesellschaften“ wollte mandies vorab für das neu zu errichtende Deutsche Reichdurchsetzen. Nach dem Scheitern der nationalen Hoffnun-gen auf dem Wiener Kongreß sollten ersatzweise wenig-stens in den einzelnen Bundesstaaten Parlamente geschaf-fen werden. Das vom politischen Gewicht her eherzweitrangige Nassau war hier vorgeprellt. Unter der bereitserwähnten Mitwirkung des Freiherrn vom Stein, der im Au-gust 1814 eine Denkschrift „über eine ständische Verfas-sung im Herzogtum Nassau“ abfaßte, erging bereits AnfangSeptember 1814 das „Edikt über die landständische Verfas-sung“, das Nassau zum ersten „Verfassungsstaat“ inDeutschland machte.8 Die Wiener Bundesakte beschränktesich in Artikel 13 auf die empfehlende Feststellung: „Inallen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung“stattfinden. In Kurhessen hatte man zwar schon Ende 1814die Einberufung der alten, bereits vor 1806 de facto einge-schlafenen Landstände verfügt, die durch eine früher nichtbestehende Vertretung des Bauernstands ergänzt werdensollten. Doch die von der Regierung präsentierten, imRückblick in ihrer relativen Modernität beeindruckendenVerfassungsentwürfe fanden wenig Gegenliebe, so daß dieFrage vertagt, der Landtag im Mai 1816 ohne Ergebnis nachHause geschickt wurde. Auch in Darmstadt blieben ersteVorstöße der Standesherren und die in Verbindung mit demWartburgfest der Burschenschaften im Herbst 1817 lan-cierte „Adreßbewegung“ des Michelstädter Justizkanzlei-rats Beck zunächst wirkungslos.9 Deutlich wird hier diezum Teil problematische Konvergenz unterschiedlicher In-teressen, bei der es etwa den Standesherren wie altständi-schen „Patrioten“ à la Stein wohl um die Eingrenzung desfürstlich-bürokratischen Absolutismus, aber keineswegsum demokratische Liberalisierung ging.

Erstes Ziel der Darmstädter Regierung war die einheitli-che Neuordnung der Verwaltung. Man halte zwar an demvom Großherzog schon 1814 gegebenen Verfassungsver-sprechen fest, hieß es in einer RegierungsverlautbarungEnde 1816; man wolle die eingeleitete Neuordnung vonRecht und Verwaltung aber ohne parlamentarische Ein-wirkung zu Ende führen. Der Hinzutritt der linksrheini-

schen Provinz Rheinhessen, der die Wiener Bundesakte denFortbestand der in den rund zwei Jahrzehnten französischerHerrschaft geschaffenen „Institutionen“ garantiert hatte,brachte zusätzliche Schwierigkeiten. Sichtbare Neuansätze

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Titelseite der Denkschrift des Freiherrn vom Stein vom 24. August 1814:„Über eine ständische Verfassung im Herzogtum Nassau“ mit Forderun-gen nach der Beteiligung an der Gesetzgebung, Einrichtung einer „Her-renbank“ u.a.

Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden

waren die Übernahme der in Rheinhessen ohnedies gelten-den Gewerbefreiheit für die „Handels- und Fabrikstadt Of-fenbach“, die generelle Lockerung des bisher bestehendenZunftwangs oder die Schaffung erster Lehrerseminare. Am1. Dez. 1817 wurden die Grundzüge einer „gleichförmigenJustizverfassung für das gesamte Großherzogtum“ publi-ziert, die allerdings erst 1820/21 endgültig umgesetzt wur-den. Auch in Nassau suchte die Bürokratie grundlegendeReformen wie die neue Gemeindeordnung vom 8. Juni1816 oder das im Sommer 1817 ergangene „Unionsedikt“über die Bildung einer gemeinsamen „evangelisch-christli-chen Kirche“ noch ohne die verfassungsmäßige Mitwir-kung des Landtags umzusetzen, der erst im März 1818,dreieinhalb Jahre nach der Publikation des Verfassungs-edikts, erstmals zusammentrat.

Als dann wenig später, im Mai 1818 das Königreich Bay-ern, im August das unmittelbar benachbarte Großherzog-tum Baden ihre neuen Repräsentativ-Verfassungen erhiel-ten, verstärkte sich der Druck auch in Hessen-Darmstadt,zumal die Not im Gefolge der Mißernte von 1816/17, vorallem in den standesherrlichen Gebieten mit ihren nochfortdauernden Feudallasten, ein erhebliches Protestpoten-tial geschaffen hatte. Auf einen ersten „wilden Landtag“,eine oberhessische Deputierten-Versammlung in Grünbergim Dezember 1818, folgte am 14. Februar 1819 die von den„Darmstädter Schwarzen“ organisierte Tagung von 160Volks-Deputierten aus 45 Städten und Ämtern der ProvinzStarkenburg in Zwingenberg an der Bergstraße, die miteiner wenige Tage darauf in Darmstadt überreichten Peti-tion über die „traurige Lage des Landes“ die „unverzögerteZusammenberufung freigewählter Volksvertreter und ver-tragsweise Einführung einer echten landständischen Verfas-sung“ forderte. Die ausweichende Regierungserklärung,man plane die Einberufung eines Landtags für Mai 1820,reichte nicht aus. Programmschrift der Bewegung wurdedas von Leutnant Wilhelm Schulz verfaßte „Frag- und Ant-wortbüchlein über Allerlei was im deutschen Vaterland be-sonders Noth tut“.10

Die bundesweite Erregung über die Ermordung desTheaterschriftstellers und russischen Staatsrats von Kotze-bue in Mannheim durch den Altburschenschafter Sand imMärz 1819 und das fehlgeschlagene Attentat auf den nas-sauischen Regierungspräsidenten Ibell einige Monate spä-ter verstärkten den Widerstand der reaktionären Kräfte, derim Herbst zur Verabschiedung der sogenannten „Karlsbader

Beschlüsse“ führte. Mit dem Verbot der freiheitlichenBurschenschaften an den Universitäten und der verschärf-ten Preßzensur wurden auch die Gießener „Schwarzen“verboten, die liberale Presse im Rhein-Main-Raum, die„Rheinischen Blätter“ im nassauischen Wiesbaden, der„Neue Rheinische Merkur“ in Offenbach, stillgelegt. DieProtestbewegung im Großherzogtum war jedoch mit dembereits Anfang April 1819 ergangenen Verbot der „wildenLandtage“ nicht zur Ruhe zu bringen. Als auf mehreren Ver-sammlungen im Odenwald unter Vorsitz des MichelstädterSchultheißen Georg Bogen offen zur Steuerverweigerungaufgerufen wurde, kam es zur Militär-Exekution mit Ver-haftung der Protest-Sprecher, Bogens und der DarmstädterAdvokaten Hofmann, Rühl und Stahl.

Noch während die mehrmonatigen Verhöre der Untersu-chungshäftlinge für die in Mainz eingesetzte „Zentralunter-suchungskommission“ des Bundes liefen, hat die Großher-zogliche Regierung dann gleichwohl nachgegeben und am18. März 1820 das geforderte Konstitutions-Edikt erlassen.Da ein erheblicher Teil der gewählten Abgeordneten dievorgesehene Beschränkung des Budget- und Gesetzge-bungsrechts ablehnte und den geforderten Eid auf das als„Prostitution“ verspottete Edikt verweigerte, kam es nachlängerem Hin und Her zu einer gründlichen Überarbeitung.Die unter weitgehender Berücksichtigung der vom Landtaggestellten Forderungen neugefaßte „Verfassungs-Urkundedes Großherzogtums Hessen“ vom 17. Dezember 1820kann, obwohl sie formal von der Regierung erlassen wurde,letztlich durchaus als „vereinbarte Verfassung“ gelten. Siewar trotz des dreistufigen Wahlrechts und anderer Kautelen,mit denen die Regierung den Spielraum des Parlaments ein-engen konnte, in vielen Punkten liberaler als andere süd-westdeutsche Verfassungen der Zeit. Auch die neue Ge-meindeordnung des Großherzogtums vom 30. Juni 1821,eines der ersten vom Landtag mitgetragenen Gesetze, ge-stand den Gemeinden mehr Selbstverwaltung zu als dasvorangegangene Kommunaledikt für Nassau. In der Neu-ordnung der Landesverwaltung, der Schaffung eines neuen,einheitlichen Netzwerks von Landrats- und Justizämtern,war allerdings die ebenfalls 1821 (ohne Landtag) durchge-führte Reform in Kassel fortschrittlicher und zukunftsträch-tiger als die parallel eingeführte Ordnung im Darmstädti-schen, die zu viele Kompromisse mit den standesherrlichenRechten und sonstigen örtlichen Interessen einging. (DieÜberlegung der aufgeklärt absolutistischen Regierungen

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jener Zeit, daß manche Reform ohne politisch-parlamenta-rische Mitsprache einfacher wäre, war – auch im Licht un-serer jüngsten Erfahrungen, nicht nur mit den Gebietsrefor-men der 1970er Jahre – sicher nicht unberechtigt).

Im eben bereits angesprochenen Kurfürstentum Hessensetzte die Regierung des verbittert aus dem Exil zurückge-kehrten ersten Kurfürsten – wenn man von dem gescheiter-ten Verfassungsansatz von 1815/16 absieht – zunächst kon-sequent auf die Restauration der früheren Herrschaftsver-hältnisse, die möglichst vollständige Beseitigung der in derJérôme-Zeit eingeführten Neuerungen, der französischenRechtsbücher, der Gewerbefreiheit und der reformiertenAgrarordnung, bis hin zur vielzitierten Rückkehr zumGrenadier-Zopf beim Militär.11 Der Tod Kurfürst Wil-helms I. 1821 brachte eine gewisse Lockerung, doch trotzder erwähnten, letztlich erfolgreichen Verwaltungs- und Ju-stizreform dominiert in Kurhessen auch in den 1820er Jah-ren der Eindruck restriktiver Stagnation, augenfällig auch inDetailfragen wie der Auswanderungspolitik, in der man imDarmstädtischen unter dem Einfluß Hans Christoph vonGagerns auf Freizügigkeit, ja sogar Auswanderungsförde-

rung als soziales Ventil setzte, während Kurhessen an denüberkommenen, merkantilistischen Auswanderungsverbo-ten festhielt.

Im Großherzogtum Hessen war der bis 1830 regierendeerste Großherzog Ludewig I. wesentlich offener als seineKasseler Vettern, aufgeschlossener für den reformerischenÜbergang ins bürgerliche Zeitalter, den er mit seinem Kabi-nettssekretär Schleiermacher durch eine breitenwirksameKultur- und Bildungspolitik zu fördern suchte. Dem Darm-städter Ministerium war schon unter dem 1829 verstorbe-nen, als gemäßigt liberal einzustufenden Verfassungs-Mi-nister Grolman (der vordem in Gießen über den CodeNapoléon geschrieben hatte) sein künftiger Nachfolger, dereher spätaufklärerisch-autoritäre du Thil zur maßgeblichenFigur geworden. Gleichwohl wurden auch in den späteren20er Jahren, vielfach in durchaus konstruktivem Zusam-menwirken mit dem Landtag, weitere Reformen auf denWeg gebracht. Erwähnenswert sind die Verbesserung desSchulwesens durch die „Allgemeine Schulordnung“ von1827 ( die allerdings in der Einführung der überkonfessio-nellen Simultanschule nicht so konsequent war wie die

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Übergabe der auf Einberu-fung der Landstände undGewährung einer neuen Ver-fassung drängenden Sturm-Petition der Kasseler Bürger-schaft an Kurfürst Wil-helm II. von Hessen am15. September 1830.

Stich von Ludwig EmilGrimm. Städtische Kunst-sammlungen, Kassel.

10 Jahre ältere nassauische Ordnung), die Weiterführungder Gewerbefreiheit durch das Gewerbesteuergesetz von1827 und der von du Thil initiierte hessisch-preußischeZollvertrag von 1828, der zur Keimzelle des Zollvereinswurde. Langsam voran ging es mit der Agrarreform, der vorallem von den standesherrlichen Privilegien behindertenAblösung der überholten Feudallasten, die in Verbindungmit den neueingeführten Landessteuern zu unerträglichenDoppelbelastungen führten. Beim Blick in die Debatten dervormärzlichen Landtage wird rasch deutlich, daß die gän-gige Schwarz-Weiß-Kontrastierung (Motto: reaktionäreRegierung bremst fortschrittlichen Landtag) nur sehr be-dingt zutrifft; in den Agrardebatten, in der Zunftfrage, auchin der Frage rechtlich-sozialer Gleichstellung der Judenwaren die ministeriellen Reformer vielfach „fortschrittli-cher“ als die von Klientel-Interessen mitbestimmten Abge-ordneten.12

Der Ausbruch der sogenannten Juli-Revolution in Parishat das politische Klima auch in Deutschland verändert. Einerstes Alarmzeichen im Hessischen war im August 1830 diedemonstrative Kürzung der landesherrlichen „Apanage“ fürden neuen Großherzog Ludwig II. durch den von den Libe-ralen um den Kaufmann Ernst Emil Hoffmann beherrschtenLandtag in Darmstadt, der überdies die (an sich übliche)Übernahme der Schulden aus der Kronprinzenzeit verwei-gerte. In Kassel kam es Anfang September zu einem Sturmauf die Bäckerläden, der die Zurücknahme einer Brotpreis-erhöhung erzwingen sollte. Eine Sturmpetition der vonBürgermeister Schomburg geführten Bürgerschaft der Re-sidenz, die von Deputationen aus den anderen kur-hessischen Städten unterstützt wurde, zwang Kurfürst Wil-helm II. am 15. September, alsbald die Landstände zu beru-fen, um endlich zu einer Verfassung zu kommen. Die Un-ruhe im Lande, die vom Hanauischen aufs darmstädtischeOberhessen übergriff, war damit noch nicht zu Ende. Zieldes „Volkszorns“ waren auf kurhessischer Seite vorab dieZollstationen an der Landesgrenze, dann aber vor allem diestandesherrlichen Schlösser und Rentämter, in denenSteuer- und Abgabenlisten verbrannt wurden. Die unorga-nisierte Rebellion war zwar durch Militäreinsatz rasch nie-dergeworfen (das Gießener Hofgericht verhängte wegender „tumultuarischen Auftritte“ zahlreiche Zuchthaus-urteile); sie verstärkte aber den Druck zur Weiterführungder ins Stocken geratenen Reformen, vor allem im wirt-schaftlich-sozialen Bereich.13

Im Blickpunkt des Interesses stand zunächst Kurhessen,wo der am 16. Oktober 1830 zusammengetretene Landtagunter der Federführung des Marburger Juristen SylvesterJordan die lang erstrebte Verfassung ausarbeitete, die Kur-fürst Wilhelm II. am 5. Januar 1831 unterschrieb. Mit nureiner Kammer, ohne das in anderen Staaten aus der altstän-dischen Tradition übernommene Brems-Korrektiv eines„Herrenhauses“, der vollen Gesetzgebungsgewalt, demRecht der Ministeranklage und klarer Trennung von Für-sten- und Staatsvermögen war diese kurhessische Verfas-sung trotz des klaren Festhaltens am monarchischen Prinzipeindeutig „demokratischer“ als die älteren Konstitutio-nen.14 Gerade die noch ungelöste Frage der landesherrli-chen Domänen führte dann im Frühsommer 1831 zu einemVerfassungskonflikt in Nassau, als der Landtag in der Haus-haltsberatung die bisher an den Herzog gezahlte Entschädi-gung für die 1812 aufgehobenen Feudalabgaben zu strei-chen suchte und Herzog Wilhelm im Gegenzug einen„Pairsschub“, die Aufstockung der adligen Herrenbank ver-fügte, aus der Sicht der Landtagsopposition ein Verfas-sungsbruch, der mit einer Ministeranklage beantwortetwurde.15

Vielleicht wichtigstes Ergebnis der revolutionären Un-ruhe war zunächst die weitgehende Freigabe der Presse, diemit einer Vielzahl neuer, bewußt politischer Zeitungen, vorallem natürlich aus dem liberalen Lager, 1831/32 zum er-sten Mal so etwas wie eine „öffentliche Meinung“ entstehenließ. Zu nennen wären hier „Der Verfassungsfreund“ inKassel, „Neue Zeitschwingen“ und „Deutsche Volkshalle“in Hanau, der „Beobachter in Hessen bei Rhein“ und das„Neue Hessische Volksblatt“ in Darmstadt. In den vielerortseingerichteten Clubs oder „Lesegesellschaften“, die alsMultiplikatoren wirkten, wurden (wie dies die Wander-Ausstellung „Zeit in der Zeitung“ am Beispiel Alsfelds be-legt hat) auch die wichtigsten „Zeitblätter“ aus dem Aus-land, „Der Freisinnige“ aus Freiburg, die Hildburghäuser„Dorfzeitung“ oder das „Deutsche Volksblatt“ aus Stuttgartbereitgestellt.16 Die Zeitungen begleiteten und unterstütztendie mit neuem Impetus geführten Reformberatungen derLandtage, die in Darmstadt erst nach der Neuwahl imHerbst 1832 anlaufen konnten.

Auch die vom „Nationalfest der Deutschen“ auf demHambacher Schloß im Mai 1832 ausgelöste Welle regiona-ler „Volksfeste“ und örtlicher Festbankette (wie das „Festder Freunde hessischer Eintracht“ in Gießen, im Rückblick

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Vorläufer der späteren „Großhessen“-Programmatik) ließman zunächst gewähren. Obwohl in Kassel damals bereitsder vom Kurprinz-Mitregenten zur Eindämmung der „Be-wegung“ berufene Minister Hassenpflug regierte, konntendie demokratischen Wortführer auf dem „Volksfest“ vonWilhelmsbad im Juni mit über 80.000 Teilnehmern nochungehindert ihre „höchst aufregenden und gesetzwidrigen“Reden halten.17 Als nach den neuen Verbotsbeschlüssen derFrankfurter Bundesversammlung erste Zeitungsverbote er-gingen, drohte Wilhelm Schulz im September 1832 aufeinem Darmstädter Bankett für den Badener Rotteck nochmit „mehr als 100.000 Bürgerbajonetten“. Wie in der ersten„Demagogenzeit“ das Kotzebue-Attentat gab dann der di-lettantisch angezettelte „Frankfurter Wachensturm“ vomFrühjahr 1833 die Handhabe zu verstärkten Gegenaktionen.Mit der vorzeitigen Auflösung des Darmstädter Landtagsim November 1833 wurden auch hier die freien Zeitungenunterdrückt. Die illegal weitergeführte Flugschriftenpropa-ganda des „Preß- und Vaterlandsvereins“ endete mit den1834/35 vom „Hessischen Landboten“ ausgelösten Unter-drückungsmaßnahmen.

Angesichts der wortgewaltigen Propaganda Georg Büch-ners und seiner zumeist jugendlichen Freunde, die ins Exilgetrieben, inhaftiert und verurteilt wurden, des Schocksüber den Tod des „Landboten“-Mitautors Pfarrer Weidig,der durch den fanatischen Untersuchungsrichter Georgi imDarmstädter Untersuchungsgefängnis in den Tod getriebenwurde, wird gern übersehen, daß die 1831/32 mit den im„Landboten“ als Alibi-Veranstaltungen und „langsameFuhrwerke“ verspotteten Landständen neu angekurbeltenReformen auch in den Folgejahren weiterliefen. Am wich-tigsten war die jetzt endlich erfolgreich in Gang gebrachteGrundlastenablösung, für die in Kassel die Landeskredit-kasse, in Darmstadt mit dem 1836 verabschiedeten Ablö-sungsgesetz die Staatsschuldentilgunganstalt eingesetztwurde. Zu nennen sind weiter für Kurhessen die Gemein-deordnung, das Rekrutierungsgesetz und die Judenemanzi-pation, in Darmstadt die Neuordnung der Kreisverwaltungund die Weiterführung der Kirchen- und Schulreform mitdem Neuaufbau der Realschulen.18 Der vom Herbstauf-stand 1830 erzwungene Beitritt Kurhessens zum preußisch-hessischen Zollvertrag war die Grundlage für den umfas-senden Ausbau des Zollvereins. Wichtiges Instrument fürdie Propagierung der wirtschaftlich-sozialen Neuorientie-rung wurden die im politischen Bereich unterdrückten Ver-

eine, die mit staatlicher Förderung errichteten Gewerbe-und Landwirtschaftsvereine. Auch die Propaganda für denneuen Eisenbahnbau begann mit privaten Aktienvereinen.

Auch die politische „Bewegung“ war trotz der von derFrankfurter „Bundeszentralbehörde“ koordinierten Unter-drückungsmaßnahmen, dem unter anderem durch das In-strument der Urlaubsverweigerung für Beamte erreichtenAusscheiden maßgeblicher Oppositionssprecher aus denLandtagen, keineswegs tot. Die Repression wurde offenbarim südlichen Teil des heutigen Hessen weniger ernst ge-nommen als im Kurhessischen. In Frankfurt ließ man dieinhaftierten „Wachenstürmer“ wohl absichtlich fliehen. InDarmstadt wurden die Hafturteile des „Landboten“-Prozes-ses durch Begnadigung kassiert, während die MarburgerMitverschworenen ihre langjährigen Festungsstrafen vollableisten mußten; der jüdische Arzt Dr. Eichelberg kam erstim März 1848 frei. Daß die schon im Lauf der 1830er Jahrein Frankfurt, Hanau, Darmstadt neuaufgezogenen Turner-und Sängervereine zu einem erheblichen Teil als politischeErsatz- oder Tarnorganisationen wirkten, wurde geflissent-lich übersehen. Auf dem großen Mozart-Sängerfest inFrankfurt im Juli 1838 sang man Arndts „Was ist des deut-schen Vaterland“ und toastete auf den im Vorjahr im PariserExil verstorbenen „Jungdeutschen“ Ludwig Börne.

Seit Beginn der 1840er Jahre mehrten sich die regionalenTurn- und Sängerfeste. Im Juni 1843 begann die Traditionder Feldberg-Turnfeste im Taunus. Am großen WürzburgerSängerfest im Folgejahr nahmen an die 100 Vereine ausdem heutigen Hessen teil. Daß Turner und Sänger imAugust 1844 aktiv an der Einweihung des zunächst als„Constitutionsdenkmal“ propagierten „Monuments“ inDarmstadt, der Gedenksäule für den ersten DarmstädterGroßherzog, mitwirkten, täuschte eine neue „vaterländi-sche“ Einigkeit vor. Latente politische Unruhe signalisierte1845 die breite Resonanz der als religiöse Demokratisie-rung verstandenen „Deutsch-katholischen Bewegung“ desPredigers Johannes Ronge, die mit der Zeitung „Das Vater-land“ in Darmstadt auch ein politisches Sprachrohr fand.Die im Frühjahr 1846 neubegründete Wochenzeitung „DerOdenwälder“ in Michelstadt berichtete recht offen über daspolitische Tagesgeschehen, insbesondere über die wirt-schaftlichen und sozialen Notstände nach der im Sommer1846 wiederholten Mißernte, die u.a. die Auswander-erzahlen in die Höhe schnellen ließen.19 Wie schon in derVerfassungsbewegung von 1818/19 war es erneut die mit

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dem aus den bisherigen Reformen erwachsenen Strukturennicht oder noch nicht zu meisternde Agrar- und Versor-gungskrise, die den neubelebten Forderungen nach politi-

scher Demokratisierung, nach weiterführenden, nationalkoordinierten Reformen den entscheidenden Nachdruckgab.

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Einweihung des Ludewigs-Monuments auf dem Luisen-platz in Darmstadt am 25. August 1844.

Kolor. Litho v. Johann PeterSchneeberger. Original: Institut Mathilden-höhe, Darmstadt.

Anmerkungen1 Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, hrsg. von Werner Conze(Industrielle Welt 1, 1972). – Zur Vormärz-Diskussion u.a. Hellmut Seier,„Wie märzlich war der Vormärz?“, Einleitung zu: Akten und Eingaben (s.Anm. 18); zum im Titel des Beitrags aufgegriffenen Begriff der „Transfor-mation“ Wolfgang Speitkamp, Restauration als Transformation. Untersu-chungen zur kurhessischen Verfassungsgeschichte 1813–1830 (Quellenund Forschungen zur hess. Geschichte 67, 1986).2 Vgl. künftig Ute Germann, Von der Landgrafschaft zum Großherzogtum.Die Entschädigungsverhandlungen Hessen-Darmstadts mit Frankreich1798–1806 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 115,1998).3 Marion Wierichs, Napoleon und das „Dritte Deutschland“ 1805/06. DieEntstehung der Großherzogtümer Baden, Berg und Hessen (Europ. Hoch-schulschriften 3/127, 1978), insbes. S. 100ff und 137ff.4 Vgl. u. a. Andreas Schulz, Herrschaft durch Verwaltung. Die Rheinbund-reformen in Hessen-Darmstadt unter Napoleon, 1803–1815 (FrankfurterHist. Abhandlungen 33, 1991); dazu der Sammelband: Deutschland zwi-schen Revolution und Restauration, hrsg. von Helmut Berding und Hans-Peter Ullmann (1981).5 Zitiert u.a. bei Wolf-Arno Kropat, Herzogtum Nassau zwischen Reformund Reaktion 1806–1866 (in: Das Werden Hessens, hrsg. von Walter Hei-nemeyer, Veröff. der Hist. Kommission für Hessen 50, 1986, S. 519).6 Vgl. Dagobert Karenberg, Die Entwicklung der Verwaltung in Hessen-Darmstadt unter Ludewig I., 1790–1830 (Quellen und Forschungen zurhess. Geschichte 20, 1964); zusammenfassend E. G. Franz, Der Staat derGroßherzöge von Hessen und bei Rhein, in: Das Werden Hessens (wieAnm. 5), S. 482ff.7 Vgl. Elisabeth Fehrenbach, Traditionelle Gesellschaft und revolutionäresRecht. Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten (Kriti-sche Studien zur Geschichtswissenschaft 21978).8 Vgl. Winfried Schüler, Die Nassauische Verfassung vom 1./2. September1814. Entstehung, leitende Ideen, historische Bedeutung, in: 175 Jahre Nas-sauische Verfassung. Ausstellungskatalog (Hess. Schriften zum Föderalis-mus und Landesparlamentarismus 2, 1989) sowie den Festvortrag von Hel-mut Berding (ebd. 3, 1989). – Zur Verfassungsgeschichte der hessischenStaaten insgesamt vgl. die Beiträge des neuen Sammelbandes: Hessen. Ver-fassung und Politik, hrsg. von Bernd Heidenreich und Klaus Böhme(Schriften zur politischen Landeskunde Hessens 4, 1997); Texte aller Ver-fassungen mit kurzen Einführungen in: Verfassungen in Hessen. Verfas-sungstexte der Staaten des 19. Jahrhunderts, des Volksstaats und des heuti-gen Bundeslandes Hessen, hrsg. von E. G.Franz und Karl Murk (Arbeitender Hess. Hist. Kommission NF 13, 1998).

9 E. G. Franz, Justizrat Becks Mision. Die ,Nationaladresse‘ zur Verfas-sungsfrage und die hessische Verfassungsbewegung der Jahre 1816–1820,in: Das Wartburgfest und die oppositionelle Bewegung in Hessen, hrsg.Burghard Dedner (1994), S. 143ff.10 Dazu u.a. Erich Zimmermann, Für Freiheit und Recht! Der Kampf derDarmstädter Demokraten im Vormärz, 1815–1848 (Arbeiten der Hess. Hist.Kommission NF 2, 1987).11 Zur Entwicklung in Kurhessen zusammenfassend Hellmut Seier, Mo-dernisierung und Integration in Kurhessen 1803–1866, in: Das Werden Hes-sens (wie Anm. 5), S. 431ff.12 Vgl. dazu den im Rahmen des Projekts „Vorgeschichte und Geschichtedes Parlamentarismus in Hessen“ erarbeiteten Band: Der Landtag desGroßherzogtums Hessen 1820–1848. Reden aus den parlamentarischen Re-formdebatten des Vormärz, bearb. und hrsg. von E. G. Franz und Peter Fleck(Arbeiten der Hess. Hist. Kommission NF 10, 1998).13 Vgl. die ältere Arbeit von Christoph Crössmann, Die Unruhen in Ober-hessen im Herbst 1830 (Quellen und Forschungen zur hess. Geschichte 8,1929).14 Vgl. Hellmut Seier, Zur Entstehung und Bedeutung der kurhessischenVerfassung, in: Der Verfassungsstaat als Bürge des Rechtsfriedens (Veröff.der Hist. Komm. für Hessen 46/1, 1982); Akten und Briefe aus den Anfän-gen der kurhess. Verfassungszeit 1830–1837, hrsg. von H. Seier, bearb. vonEwald Grothe und H. Seier (ebd. 48/4, 1992); knapper E. Grothe, in: Hes-sen. Verfassung und Politik (s. Anm. 8).15 Vgl. Wolf-Heino Struck, Vom Kampf um den Verfassungsstaat. Der po-litische Prozeß gegen den nassauischen Volkskammerpräsidenten GeorgHerber 1831/33, in: Nassauische Annalen (79, 1968), S. 182ff; dazu auch:Nassauische Parlamentsdebatten. Bd.1: Restauration und Vormärz, bearb.von Volker Eichler (Veröff. der Hist. Kommission für Nassau 35/1, 1985).16 Vgl. den Ausstellungskatalog: Zeit in der Zeitung. Hessen im Spiegelseiner Presse vom 16.–20. Jahrhundert, bearb. von Fritz Wolff mit E. G.Franz u.a. (1995) mit weiterführender Bibliographie.17 E. G. Franz, Nachhall Hambachs in Kurhessen. Die Volksfeste von Ber-gen und Wilhelmsbad, in: Hambacher Gespräche 1962 (GeschichtlicheLandeskunde 1, 1964), S. 73ff.18 Vgl. für Kurhessen den Quellenband: Akten und Eingaben aus dem kur-hessischen Vormärz 1837–1848, bearb. von Bernd Weber und H. Seier (Ver-öff. der Hist. Komm. für Hessen 48/6, 1996; für die Einleitung von H. Seierbereits oben, Anm. 1); für Hessen Darmstadt s. Anm. 12.19 Vgl. die von der Stadt Michelstadt hrsg. Faksimile-Ausgabe: Der Oden-wälder 1846–1852 (3 Bände, 1998) mit Einleitung von E. G. Franz: Zeitungin bewegter Zeit. „Der Odenwälder“ in Michelstadt und sein RedakteurLeonhard Delp.

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„Deutschland im Jahr 1847“ – so lautet die Überschrifteiner Karikatur, die das Historische Museum in Frankfurtam Main bewahrt. Man sieht einen gealterten, in sich zu-sammengesunkenen Monarchen auf seinem Thronsessel.Erhöht auf einer Estrade, von einem Baldachin beschattet,dessen Rückwand die Wappen der Staaten des DeutschenBundes zeigt, steht hinter ihm, seinen Geist durch einenHeiligenschein beherrschend, ein Vertreter der Kirche, als

Heuchelei gezeichnet und das Bündnis von Thron und Altarsymbolisierend. Zu seiner Linken flüstert ihm ein Ratgeberins Ohr, seine Mütze trägt die Aufschrift „Lüge“, hinter sei-nem Rücken hält er die Schere der Zensur. Zu seinen Füßenliegen zwei Männer als „Speichellecker“ und als „Sklaven-sinn“ gezeichnet. Ein Geldbeutel liegt vor dem Sitz der kor-rupten Macht, die sich, des Schutzes bedürftig, von Polizeiund einem als „Automat“ gekennzeichneten Soldaten be-

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Die Heppenheimer Versammlung vom 10.Oktober 1847von Rainer Koch

„Deutschland im Jahr 1847“

Institut für Stadtgeschichte,Frankfurt am Main. Origi-nal: Historisches Museum,Frankfurt am Main,C 14.442.

wachen läßt. Vor der Estrade aber, trotzig die Hand zumSchwur erhoben und vor sich die zerrissenen „Privilegienund Petitionen des Volkes“, steht ein junger Mann in Ket-ten, ihm zur Seite kniet ein Alter, wohl ein Bauer, flehenddie gebundenen Hände nach vorne streckend. In der Bild-mitte hält ein Soldat unter den Einflüsterungen eines altte-stamentarisch gewandeten Priesters sein Gewehr im An-schlag auf den schwörenden Mann des Volkes und vor ihmeilt, sich die Ohren zuhaltend, bewaffnet und wild, ein alsRohheit Gekennzeichneter herbei. Im Hintergrund aber, vorder Ruine des Hambacher Schlosses, steht, die Arme wieein verdorrter Baum gebreitet, die Kirche, und auf einerLeiter eilen die Menschen zur Krone des Baumes wo sie,wie beim Opfer des Baals, in ein drohend geöffnetes Maulhinabstürzen. Das Volk, auf Knien, verzweifelt in seinemJammertal, zum Teil aufgespießt, wie die Opfer des Bau-ernkrieges von 1525, also flieht, unaufgeklärt, in sein Un-glück.

Die Karikatur ist reich an historisch-politischen Zitaten:die türkischen Pluderhosen des Militärs, die abrahamitischeGewandung der Kleriker, der mittelalterliche Hofnarr, derzum Szenario sein garstiges Lied singt – Lassen Sie uns imAusgang von diesem Bild jene Zusammenhänge von Ge-sellschaft, Wirtschaft und Politik des Vormärz rekonstru-ieren, die der Künstler auf so bedrückende Weise pointierteund die den Hintergrund jener politischen Versammlungbildeten, die Heppenheim an so prominenter Stelle in derGeschichte der deutschen Demokratie verankert.

Rufen wir uns in Erinnerung: Die Siegermächte über Na-poleon, England und Rußland, hatten als Ergebnis des Wie-ner Kongresses die Mitte Europas gleichsam als ruhigge-stellten Hinterhof ihrer weltweiten Expansion konstruiert.Die beiden deutschen Großmächte, das wiederhergestelltePreußen und das in Italien restaurierte Österreich übernah-men dabei Kettenhundfunktion: Preußen mit seinen neuenBesitzungen am Rhein gegenüber Frankreich, Österreichauf dem Balkan gegenüber russischen Mittelmeerambitio-nen. Die europäische Pentarchie, das Konzert der fünfMächte, England, Rußland, Preußen, Österreich und dasalsbald wieder akzeptierte Frankreich verfolgten als ober-stes Ziel ihrer Europapolitik die Bewahrung des territoria-len status quo. Die deutsche, aber auch die italienische Tei-lung waren die Bleigarnitur des europäischen Friedens, diedeutsche Bundesversammlung in Frankfurt am Main einGesandtenkongreß zur Vorverhandlung und zum Interes-

senausgleich in den wichtigsten deutschen und europäi-schen Angelegenheiten.

Insgesamt zählten die 41 Staaten des Deutschen Bundes1845 etwa 40 Mio. Einwohner, mehr als 60% der Bevölke-rung lebte als Bauern, als Knechte, Mägde, Hofgesinde aufdem Land, in Gutshöfen, Gehöften, in Dörfern, Markt-flecken und Kleinstädten. Ihr Schicksal hing ganz unmittel-bar von den Erfolgen oder Mißerfolgen der agrarischen Ur-produktion ab: von der Art und Weise, wie man das Feld be-stellte, von der Fortschritten der Düngung, von der Gunstdes Wetters, von den Herrschafts- und Rechtsverhältnissenüber Land und Leute, von den Wechsellagen der Agrarkon-junktur. Bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts solltesich an der fundamentalen Tatsache, daß Deutschland einAgrarland war, nichts entscheidend ändern. Der Bauer inder Karikatur war tatsächlich der Mann des Volkes – nachKopfzahl und nach wirtschaftlicher Bedeutung.

Im Lauf der vergangenen Jahrhunderte hatten sich zweiTypen der Agrarverfassung herausgebildet: Im Süden, imWesten und im Norden des alten Reiches herrschten man-nigfaltige Formen der Grundherrschaft vor, nur vereinzeltgab es noch ein freies Bauerntum, auf dem Siedlungs- undKolonialland östlich der Elbe bestimmte die Gutsherrschaftdas Bild.In den grundherrlich geprägten Gebieten war der Bauerzuvor seinem Feudalherren zehnt- und fronpflichtig, warseine Lebenswelt durch Frondienste für die landesherrlicheGerichtsbarkeit geprägt. Mit der Aufhebung der Personal-und Leibeigenschaftsgefälle nach 1815, schließlich mit derAblösungsgesetzgebung seit den 1830er Jahren war derBauer in Süd- und Südwestdeutschland zwar persönlich freigeworden, aber um einen als tief ungerecht empfundenenPreis: Hand- und Spanndiensttage und Naturalabgaben desFeudalismus waren gegen Geldzahlungen abgelöst worden,meist um ihren 20-fachen Wert. Hypotheken hatte man beiden neu entstandenen Kreditanstalten aufnehmen müssen,der Gemeinbesitz der Dörfer, Bleiche, Weide, Wasser- undWaldrechte war allodifiziert, war in modernes Eigentumüberführt worden – zu Lasten der Ärmsten des Dorfes.Zudem waren die Wirtschaftsflächen in den alten Realtei-lungsgebieten ohnehin so knapp bemessen, daß gerade dasÜberleben gesichert war.

Die monarchische Souveränität in den Staaten des Deut-schen Bundes also hatte dem Bauern zwar gegen die Zwi-schengewalten des Adels geholfen, dafür ihn aber mit Geld

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belastet und noch immer drückten einige feudale Relikte,zumal das Jagdrecht, den bäuerlichen Besitz. Die Masse derklein- und unterbäuerlichen Schichten war zudem auf de-klassierende Weise vom Siegeszug des modernen Eigen-tums- und Freiheitsbegriffs betroffen. „Friede den Hütten –Krieg den Palästen“ – Georg Büchners flammenden Appellkonnte man im Odenwald, im Vogelsberg, im Spessart oderTaunus sehr wohl verstehen. Deshalb also kniet in unsererKarikatur der Bauer flehend vor dem Thron.Es kann uns nicht verwundern, daß die Revolution von1848 als Agrarrevolution begann. Als die Aussaat bestelltwar, als der Bauer Zeit gewonnen hatte, entrollte er die For-derungen und Fahnen des Großen Bauernkrieges und ge-rade hier, im Erbachschen, im Leiningschen, im Darmstäd-tischen, im Nassauischen zogen die Bauern drohend vor dieHerrensitze.

Östlich der Elbe, im gutsherrlich geprägten Preußen, warnach der Bauernbefreiung im Zug der Stein-Hardenbergi-schen Reformen der Agrarkapitalismus der Gutsherren einedrückende Konkurrenz für die freien, spannfähigen Acker-nahrungen geworden, ganz zu schweigen von den Dresch-und Robotgärtnern, den Häuslern, die nun nicht mehr imfeudalen Gutsherrenverband einen Teil von Ernte und Aus-drusch behielten. Das frühere gutsherrliche Gesinde, jetzt :die Landarbeiter, wurden nur noch saisonal beschäftigt, siewurden zum Millionenheer der Proletairs Ostelbiens.

Die Not der Bauern und der ländliche Pauperismus alsowaren die zentralen sozialen Fragen in Deutschland um1840: Niederschlagung der Ablösungsverfahren, Revisionungerechter Privatisierung feudaler Lasten, Abschaffungder Patrimonalgerichtsbarkeit und des feudalen Jagdrech-tes, Herstellung einer freien Gemeindeverfassung waren diewichtigsten Forderungen des Landes. Um es noch einmalzu unterstreichen: Ökonomisch und sozial ruhten die politi-schen Ordnungen und die herrschaftlichen Verhältnisse derFlächenstaaten des deutschen Bundes am Vorabend der Re-volution von 1848 auf der wirtschaftlichen Leistungsfähig-keit des Landes und auf der jeweiligen Agrarverfassung auf.Geriet dieses Fundament des monarchischen Prinzips unddamit zugleich die Basis für die Vorherrschaft der feudal-agrarischen Eliten in Bewegung, so war damit unabweisbardie politische Systemfrage gestellt. In einem viel stärkerenMaß, als es die bürgerlich-liberale, die Handwerker- oderdie Arbeiterbewegung je vermocht hätten, stellte die Agrar-revolution deshalb die Überlebensfrage für die alten Ge-

walten. „Gegen das empörte Stadtvolk“, so meinte WilhelmHeinrich Riehl 1851 zurückblickend, „hätten die vorhande-nen Militärkräfte einschreiten mögen, aber wo sich die Bau-ern...erheben, da ist es, als ob eine Stadt an allen Punktenzugleich brenne“.

Etwa 15–20% der Bevölkerung des Deutschen Bundesbetrieb ein Handwerk, 10% waren häusliche Dienstboten,Hausgesinde also, die neue, die frühindustrielle Arbeiter-klasse zählte maximal 4% der erwerbstätigen Bevölkerung,und in die restlichen 12% teilten sich Adel, Kirche, Kauf-leute, Verwaltung, Gelehrte, neue Bourgeoisie. Es war einevorindustrielle Welt, die Revolution von 1848 war alsVolksbewegung eine Revolution vom Typus Ancien régime.

In den Städten schnürte sich gleichfalls sozialer Spreng-stoff. Die Lage des Handwerks war, je nach Gewerke, sehrverschieden: Nahrungs- und Bauhandwerk entwickeltensich stürmisch voran, Textilgewerbe, Schuster, Feuerhand-werker, mehr als 2/3 aller Handwerksbetriebe, litt größteNot. Der Gewerbefreiheit, die in den meisten Bundesstaa-ten eingeführt worden war, gaben die einen die Schuld: warnicht eine Schuhmanufaktur, wie jene in Friedberg, der Toddes Schusters an Rhein und Main ? Die anderen sahen inden Importen frühindustrieller Massenproduktion denGrund: englische Tuche – denken sie nur an die schlesi-schen Weber und das sie drückende Verlagssystem – oderenglische Eisenwaren ruinierten – wenn auch erst entlangder Schiffahrtswege – ganze Handwerkszweige. Gab esnicht ohnehin zu viele Meister und zu viele arbeitslose Ge-sellen? Um 1840 kann man von etwa 1 Million Meister undetwa 900.000 Gesellen und Lehrlingen ausgehen, mehr undmehr also dominierte das Bild des am Rande des Existenz-minimums lebenden Kleinmeisters, der nicht in der Lagewar, zudem noch einen Gesellen zu ernähren.

Die politische Option der Meister war eindeutig: Manwar gegen eine rasche Industrialisierung, für die Wieder-herstellung eines durch Nahrungsschutz und Existenzga-rantien privilegierten Handwerksstandes, erstrebte eineNeubelebung der Zunftideale. Die Gesellen hingegen sahensich eingeklemmt zwischen der Enge der Zunft und derTrostlosigkeit des Proletariats, sie abstrahierten die Erfah-rungen des alten Handwerksrechts und übertrugen sie in dieerwartete Zukunft: Aus dem Nahrungsschutz der Zunftwurde das Recht auf Arbeit. Der deutsche Frühsozialismus,seine hohe Veranschlagung menschlicher Arbeit als Pro-duktionsfaktor, ist ohne die Wirksamkeit der Gesellen –

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etwa eines Wilhelm Weitling – nicht erklärbar. Zugleichwurden die ersten Instrumente sozialer Reformpolitik ent-wickelt: Der „Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen“in Preußen, Friedrich Wilhelm Raiffeisens Gründung land-wirtschaftlicher Genossenschaften oder Schulze-DelitzschsVorschuß- und Kreditvereine. Der Genossenschaftsge-danke, das Prinzip der „Assoziation“ wurde zur Hoffnungder Deklassierten. Der angekettete, auf die Gemeinschaftdes Volkes schwörende Mann in unserer Karikatur steht fürdie Erwartungen der jungen, handarbeitenden Generationan einen nationalen Staat der sozialen Reform.

In einer Forderung also stimmten Bauern und Hand-werker überein: im Ruf nach der sozialen Republik. Die be-deutendsten Sozialphilosophien des Vormärz, von Franzvon Baaders und Ritter von Buß katholischer Soziallehrebis zu Wicherns Innerer Mission, von der Kapitalismuskri-tik St.Simons oder Proudhons bis zum kommunistischen„Bund der Gerechten“, alle konzipierten den nationalenStaat als sozialen Interventionsstaat. Als schließlich KarlMarx 1848 im „Kommunistischen Manifest“ den revolu-tionären Charakter der Bourgeoisie beschrieb, war auch fürihn der nationale Staat Vehikel und Durchgangsstation zumSieg des Proletariats im Klassenkampf. Wer sich mit derSozialgeschichte des Vormärz befaßt, der muß sich freima-chen von dem Gedanken, daß Nation, ja daß Nationalismusper se Ideologien der politischen Rechten sind, historischbestimmten sie zumindest bis in das letzte Drittel des19. Jahrhunderts für die politische Linke die Paradigmensozialer Gerechtigkeit und Emanzipation.

Und genau in jenem Feld der Emanzipation von unzeit-gemäßer Herrschaft überschnitten sich die Ziele der sozia-len Bewegungen mit den Träumen von Freiheit und Einheitbürgerlicher Intellektueller. In unserer Karikatur steht einGelehrter hinter dem knienden Bauern in der angedeutetenPhysiognomie eines Jacob Grimm, er verweist auf einBuch, wohl einen Codex, und spielt damit auf den erstendeutschen Germanistentag in Frankfurt 1846 an, auf dieKontroverse zwischen Naturrecht und historischer Rechts-schule. Von Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ überdes Turnvaters Jahn „teutsche Turnkunst“, von den Bur-schenschaften und dem Wartburgfest bis zu den radikalen„Gießener Schwarzen“ um Karl Follen und zu Karl Sand,dem Mörder Kotzebues, vom Hambacher Fest bis zu denGöttinger Sieben: die tragenden Säulen der Ordnung, dasmonarchische Prinzip, die Kleinstaaterei, die Unfreiheit

und Zensur war man im intellektuellen Deutschland nichtmehr bereit, zu ertragen.

Auch der bürgerliche Liberalismus als Menschenrechts-und Verfassungsbewegung argumentierte national. Schrittfür Schritt war man vorangekommen: Im süddeutschenKonstitutionalismus waren zentrale Grundrechtsforderun-gen, wie die Freiheit der Person, die Freiheit des Eigen-tums, die Gleichheit vor dem Gesetz verankert worden, nunstrebte man nach dem verantwortlichen Ministerium, nachder Abhängigkeit der Regierung vom Parlament und damitnach dem Sieg des Parlamentarismus über die monarchi-schen Prärogativen. Und ausgehend vom Modell der süd-deutschen Verfassungen sollte der Deutsche Bund umge-staltet werden als Konfiguration von Einheit, als Bauele-ment von Freiheit.

Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker prägten mitihrem „Staatslexikon“ ganz entscheidend das politischeSelbstbewußtsein ihrer Generation. Ihnen hinterlag dabeidas Idealbild einer Gesellschaft der frei und unabhängigwirtschaftenden, politisch ihr Gemeinwesen verantwortlichleitenden Hausväter. Ähnlich wie bei den sozialen Bewe-gungen der Bauern und Handwerker war ein Prototyp alt-europäischer Ökonomie das Leitmodell der Theorie der„bürgerlichen Gesellschaft“. So ergab die politische Öko-nomie eines Adam Smith ihren Sinn: die wirtschaftlicheund gesellschaftliche Harmonie stelle sich wie eine prästa-bilierte Größe ganz von selber ein, gäbe man nur dem Eige-ninteresse und dem Gewerbefleiß des wirtschaftenden Bür-gers freie Entfaltung.

Auch der moderne, industrielle Unternehmer forderte,wenngleich von anderen ethischen und sozialen Prämissenausgehend, mehr Handlungsfreiheit. Als man die Zollver-einsstatistik für die Jahre 1846/47 publizierte, wurde dieökonomische Rückständigkeit der deutschen Staaten aufeindringliche Weise deutlich: In allen Zollvereinsstaatenzusammen waren nur etwa 1.500 Dampfmaschinen miteiner Gesamtleistung von ca. 26.000 PS installiert, davonentfielen mehr als die Hälfte auf den Bergbau und den Be-trieb von Mühlen, zwei Drittel der Maschinen stammten ausenglischer Produktion. Man war um 1840 ein Entwick-lungsland.

Als einer der Führer der jungen rheinischen Bourgeoisie,Gustav von Mevissen, über Aktiengesellschaften Kapitalzur Modernisierung des Bergbaus mobilisieren wollte,scheiterte er an der Konzessionsverweigerung der preußi-

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schen Regierung. Das große Bürgertum bevorzugte Staats-papiere mit sicherer Rendite oder investierte in Land, hattees doch eben erst die Chance erhalten auch vormals adeligeRittergüter zu erwerben. Industrielle Unternehmungen er-schienen zu riskant. Johann Karl Borsig, einer der bedeu-tendsten ersten Industriellen, verfügte bei der Gründungseiner Berliner Maschinenfabrik über 9.000 fl., das durch-schnittliche Vermögen eines Frankfurter Bäckermeisterslag etwa beim dreifachen.

Nur die Überwindung der innerdeutschen Zollschranken,die Herstellung eines geschlossen Wirtschafts- und Han-delsraumes, so das Argument der Industriellen, könneDeutschland aus einer ansonsten perspektivelosen Rück-ständigkeit befreien. Ganz in diesem Sinn hatte bereitsFriedrich List sein Projekt eines Eisenbahnnetzes inDeutschland begründet und ein nationales Protektions-system gegen englische Konkurrenz gefordert. Doch dieostelbischen Großagrarier, die ihr Getreide in England ab-setzten, waren freihändlerisch orientiert und politisch anEinfluß weit überlegene Gegner der national und protektio-nistisch gesonnenen, aber eben politisch schwachbrüstigenBourgeoisie.

Die Professoren, die Intellektuellen, die Schriftsteller undLiteraten litten wohl am schmerzlichsten unter dem reak-tionären Charakter der politischen Systeme. Als junge Stu-denten war man aus den Befreiungskriegen gegen Napo-leon zurückgekehrt, hatte 1817 auf dem Wartburgfest alsFanal zur 300-Jahrfeier der Reformation alle undeutschenSchriften, alle staatstheorethischen Werke der Reaktion, dieSymbole des Fürstenheeres und den Code Napoléon ver-brannt. Zusammengeschlossen in der „Allgemeinen Bur-schenschaft“, verfolgt von den Agenten Metternichs, gingdie Arbeit unter dem Motto „Ehre, Freiheit, Vaterland“ ver-deckt weiter, stets mit größtem persönlichen Risiko verbun-den.

Vor diesem Hintergrund wurde die Julirevolution inFrankreich 1830 zu einer gesamteuropäischen Erschütte-rung. Die Gründung Belgiens, revolutionäre Erhebungen inItalien, in Polen und in den deutschen Klein- und Mittel-staaten waren die Folge. Als 1832 sich zum 14.Mal diebayerische Verfassung jährte, erreichte die antibayerischeStimmung in der ja seit 1815 zu Bayern gehörenden Pfalzihren Höhepunkt. Friedrich Schüler aus Zweibrücken, Jo-hann Georg Wirth und Philipp Jacob Siebenpfeiffer hattenden „Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse“

gegründet und zu einer Gegenveranstaltung auf dieSchloßruine bei Hambach eingeladen. Mehr als 20.000Teilnehmer machten das Hambacher Fest zu einer gewalti-gen Demonstration für nationale Einheit, politische Freiheitund soziale Gerechtigkeit: „Hoch, dreimal Hoch leben dieVereinigten Staaten Deutschlands: Hoch dreimal Hoch daskonföderierte republikanische Europa!“ hieß es in derberühmten Rede Wirths.

Volkssouveränität, soziale Republik, Vaterland waren dieKerngedanken der Hambacher Appelle und für einenAugenblick erschien es, als ob die Protestbewegung derBauern, der Handwerker, als ob die Dynamik der Volks-massen im Bündnis mit dem Aufbegehren der Intellektuel-len eine grundlegende Umgestaltung Deutschlands in dieWege leiten könne, als ob nur der Weg zur Verwirklichung:direkte Aktion oder kleine Schritte der Reform das Problemseien.Die Antwort des leitenden österreichischen Staatsmannes,Fürst Metternich, war lakonisch: „Mit Volksrepräsentationim modernen Sinn, mit Preßfreiheit und den politischenVereinen“, schrieb er an den russischen Feldmarschall FürstSayn-Wittgenstein, „muß jeder Staat zugrunde gehen... Da-gegen mögen die Gelehrten am Schreibtisch protestieren,so viel sie auch immer wollen. Am Ende der Gelehrsamkeitsteht das Zuschlagen, und kommt es einmal hierzu, so istder, der in geschlossenen Reihen zuschlägt, der Gelehrte-ste“.

Über die Pfalz wurde der Belagerungszustand verhängt,der Bundesrat erließ 1832 sechs Artikel als „Maßregeln zurHerstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland.“ Poli-tische Vereine, Volksversammlungen, öffentliche Reden po-litischen Inhalts wurden verboten, Fahnen und Abzeichenpolitischer Natur zu Aufruhrzeichen erklärt. Gleichzeitigverschärfte man die Knebelung der Presse. Als 1833 derFrankfurter Wachensturm scheiterte, gab dies der ReaktionAnlaß, eine Zentralbehörde für politische Untersuchungenam Bundestag einzurichten. Bis 1842 waren mehr als 2.000Verdächtige in ihrem „Schwarzen Buch“ verzeichnet.Unsere Karikatur zeichnet ja sehr eindringlich jene be-drückende Enge der politischen Korrektheit im Vormärz,jede freiheitliche, jede nationale, jede soziale Argumenta-tion war unter dem Diktat der Exekutive und der Justiz un-terdrückt.

Es blieb also nur der Weg der Reform, des Kampfes umParlaments- und Bürgerrechte im Rahmen des einzelstaatli-

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chen Konstitutionalismus. Aber auch der Konstitutionalis-mus der Einzelstaaten stand unter dem Druck der Reaktion.Ernst August, König von Hannover, löste im Oktober 1837den Landtag auf und erklärte die Verfassung als nichtig. Mitäußerster Kühnheit und hohem persönlichen Mut stelltensich sieben Göttinger Professoren schützend vor ihr Parla-ment. Wortführer der „Göttinger Sieben“ war FriedrichChristoph Dahlmann, Verfechter eines konservativen Libe-ralismus, zu seinen Mitstreitern zählten unter anderemJacob und Wilhelm Grimm und der Historiker Georg Gott-fried Gervinus. Sie riskierten bürgerliche Existenz und aka-demische Lehre, zugleich gewannen sie die hochangese-hene Stellung eines „politischen Professors“ in Deutsch-land, eine Reputation von Unbestechlichkeit und Klarheit,die 1848 bei den Wahlen zur Frankfurter Nationalversamm-lung von großer Bedeutung sein sollte. Letztendlich mußteder König von Hannover einlenken, der bürgerlich –liberaleWiderstand war nicht vergebens und strahlte zugleich aufdie Kammeropposition in Süddeutschland aus.

Führen wir uns die Situation in den wichtigsten süddeut-schen Staaten vor Augen: In Bayern war 1837 mit Karl vonAbel ein dem Görres-Kreis nahestehender Mann des politi-schen Katholizismus zum Ministerpräsidenten ernanntworden. Die Kniebeugungsordre von 1838, die Verpflich-tung des bayerischen Militärs auf Ehrenbezeugung beikatholischen Feldgottesdiensten verletzte protestantischesEmpfinden, die herrschaftsständisch-restaurativen IdeenAbels gefährdeten den Grundkonsens bayerischer Politik.Hinzu kam seit Herbst 1846 König Ludwigs Affäre mit derTänzerin Lola Montez: Der Verlust an common sense in denFragen von Staat und Kirche, von ständischer Mitwirkungund Krongewalt schufen eine brisante Situation, die schonim Januar 1848, beim Leichenzug von Joseph Görres zumFanal wurde.

In Württemberg herrschte König Wilhelm I., den Veit Va-lentin als „Gschaftlhuber, den der Teufel ritt“ kennzeich-nete. Sehr geschickt verband seine Regierung unter Frei-herrn von Maucler Modernisierungsstrategien mit konse-quenter Zurückdrängung bürgerlicher Mitsprache in denpolitischen Dingen. Der fabrikmäßige Betrieb der Ge-werbe, die Polytechnische Schule in Stuttgart, die Eisen-bahn von Cannstatt nach Untertürckheim standen auf dereinen Seite, das Regiment der Schreiber und eine harte Zen-sur auf der anderen. Die Führer des politischen Liberalis-mus, Ludwig Uhland, Paul Pfizer, Friedrich Römer hatten

schon 1838 resigniert und sich aus der zweiten Kammerzurückgezogen. Erst 1847 lenkte der König ein, zugleichaber war das Land durch die Kartoffelkrankheit und durchGetreidemißernten in eine akute Versorgungskrise geraten,die sich mit Unruhen der Handwerker und Gesellen ver-band.

In Hessen-Darmstadt regierte seit 1830 Ludwig II., der inkeiner Weise an eine Weiterentwicklung der Konstitutionvon 1820 dachte. Im Gegenteil: Der Neubau des Darmstäd-ter Schlosses verschlang Unsummen, die der König alsStaatsschuld in den Haushalt stellen wollte, zugleich führteer die preußisch-hessische Zollpolitik konsequent weiter.1828 hatte sich Darmstadt dem preußischen Zollverein an-geschlossen, die Solidarität der süddeutschen Staaten hint-angestellt und eine erhebliche Verbesserung der Staatsein-nahmen erreicht. Die antipreußischen Tumulte vor allem inOberhessen wurden militärisch unterdrückt und der lei-tende Minister Freiherr du Bos du Thil wurde zu einer Sym-bolfigur der Reaktion. Im Landtag von 1832 bis 1836, dannwieder ab 1847 erwuchs ihm in Heinrich von Gagern einerder bedeutendsten Männer des vormärzlichen Liberalismusals Gegner. Wie sein Freund Paul Achatius Pfizer war auchGagern mehr und mehr davon überzeugt, daß die Freiheitdes Einzelnen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Presse-freiheit und die Freiheit der Gemeinden durch die Einheitder Nation besser gedeihen könne, als unter der Knute deseinzelstaatlichen Absolutismus.

In Preußen selbst, wie Österreich ohne Konstitution, hattedie Bewegungspartei auf den Thronwechsel von 1840 ge-hofft. Doch alsbald wurde eine eigentümliche Doppelge-sichtigkeit des neuen Regiments deutlich: Das Gesetzge-bungsministerium wurde Friedrich Karl von Savigny über-tragen, dem Haupt der historischen Rechtsschule. Mittelal-terromantik, ständische Gesellschaftslehre und monarchi-sches Prinzip bestimmten die Innen- und Kulturpolitik.Geradezu symbolhaft wurde die Berufung Friedrich vonSchellings auf den Hegelschen Lehrstuhl der Berliner Uni-versität, mystische Theosophie und romantisch-organologi-sche Naturphilosophie verdrängten den Berliner Rationalis-mus.Zugleich aber war Friedrich Wilhelm IV. an die Verfas-sungsversprechen seines Vaters von 1815 gebunden. Nochin seinem Testament hatte Friedrich Wilhelm III. seinemSohn empfohlen, angesichts der hohen StaatsverschuldungPreußens, aus den Provinziallandtagen einen „Vereinigten

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Landtag“ zu bilden.Hinzu kam das Begehren der Stände selbst, man wollte einegesamtstaatliche Repräsentation in Preußen. Das Schicksalvon Männern wie das des Oberpräsidenten der ProvinzPreußen, Theodor von Schön, dessen Verfassungsbegehrenzu seinem Sturz führte, oder Johann Jacoby, der durch seineSchrift „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen“in einen Hochverratsprozeß verwickelt wurde, nur weil erein modernes, repäsentativstaatliches Verfassungsmodelleingefordert hatte, machte deutlich, wie sehr der Königunter dem Einfluß hochkonservativer, altständisch gesonne-ner Ratgeber stand. Die preußische „Kamarilla“ um dieBrüder Gerlach und um Friedrich Julius Stahl bestimmteden Gang der Dinge.

Doch der preußische Eisenbahnbau erforderte Geld, imJuni 1842 berief der König „Vereinigte Ausschüsse“ ausden Provinziallandtagen ein und endlich, im Februar 1847,den „Vereinigten Landtag“. Die Mehrheit des Landtags warliberal und keineswegs gewillt, eine Anleihe für den Staats-rat zu genehmigen, ohne daß der König die Periodizität desLandtags befürwortete. Das Ergebnis zeigte, wie sehr dieFronten verhärtet waren: Die Periodizität wurde versagt,der Landtag lehnte mit 2/3 Mehrheit den Entwurf des An-leihegesetzes ab, die Bauarbeiten an der Eisenbahn wurdenunterbrochen, der Vereinigte Landtag schon im Juni 1847wieder aufgelöst.

Fast alle deutschen Bundesstaaten standen in den 1840erJahren also unter erheblichem sozialen Druck und unter Li-beralisierungdefiziten, alleine das Großherzogtum Badenwar zum Musterfall des erfolgreich operierenden „Geheim-ratsliberalismus“ geworden. Unter Karl Friedrich Nebe-nius, dem Gründer der Technischen Hochschule Karlsruheals Präsident des Staatsministeriums, dann unter vonBoeckh, wurde auf exemplarische Weise die Landtags-mehrheit in die Regierungspolitik eingebunden. Allerdingstraten in Baden zugleich am schärfsten erste Konflikte zwi-schen liberaler und radikaler Orientierung in der ZweitenKammer auf. Die Liberalen unter Friedrich Bassermannund Karl Mathy sahen sich, vor allem in der Agrarpolitik,den vehementen Angriffen der sogenannten Radikalen umFriedrich Hecker ausgesetzt. Zugleich begann angesichtsder liberalen Modernisierung Badens eine dritte politischeKraft mit massiver öffentlicher Kritik am Liberalismus: Diekatholische Partei unter Ritter von Buß. Das badischeStaatskirchenrecht, die Mischehenfrage, die Kulturpolitik,

die Annäherung an Preußen und mehr und mehr die sozialeFrage wurden zu Argumentationsfeldern der katholischenOpposition.

Bekanntlich hatte die katholische Kirche auf dem WienerKongreß keine Restauration ihrer alten Besitzstände er-langt, sie war die große Verliererin des napoleonischen Zeit-alters. Die deutschen Territorialstaaten des Vormärz hattenaußerordentliche Flächen- ,Untertanen- und Steuergewinnedurch den Rechts- und Titelverlust der Kirche erlangt, ausgeistlichen Kurfürsten und reichsunmittelbaren Bischöfenund Äbten waren Landesbischöfe unter dem Prinzip derStaatssouveränität geworden. Nun folgten in Bayern, inWürttemberg, in Baden Konkordate die im wesentlichender Krone das Recht der Zustimmung zur Bischofswahlüberließ, der Kirche die freie Leitung der Diözesen und dieBesoldung des Klerus aus Steuern und Abgaben. Zugleichzerschlugen diese Neuregelungen alle Hoffnung auf einepiskopales Kirchenrecht und auf eine deutsche National-kirche, wie sie der Konstanzer Kapitularvikar Wessenbergerstrebt hatte.Das Bistum Konstanz wurde zerschlagen, die BistümerRottenburg für Württemberg, Fulda für Kurhessen, Lim-burg für Nassau, Mainz für Hessen-Darmstadt und Freiburgfür Baden entstanden neu. Zugleich gewann Johann Josephvon Görres über seine „Historisch-politischen Blätter fürdas katholische Deutschland“ einen außerordentlichen Ein-fluß auf die katholische öffentliche Meinung in Deutsch-land. In Preußen hingegen, vor allem in den neugewonne-nen katholischen rheinischen Gebieten des protestantischenStaates, entwickelte sich in den 1830er Jahren ein erhebli-cher Konflikt zwischen Staat und Kirche. Es ging um die ra-tionalistische Theologie des Bonner Theologen Hermes,und dann vor allem um die vom Kölner Erzbischof Drostezu Vischering akzentuierte Mischehenfrage. Der Bischofuntersagte die Lektüre hermesianischer Schriften, belegtedie Bonner theologische Fakultät mit einer Vorlesungs-sperre, zugleich erreichte er die offizielle Unterstützungvon Papst Gregor XVI. in seiner intransingenten Haltungzur Mischehenfrage. Als auch der Erzbischof von Posen-Gnesen, Martin von Dunin, seinen Klerus anwies, Trauun-gen nur noch zu vollziehen, wenn beide Ehepartner die ka-tholische Erziehung der Kinder zusicherten, reagierte derpreußische Staat hart und kompromißlos. Wegen Verletzungder preußischen Kabinettsordre wurde von Dunin verhaftetund unter Anklage gestellt.

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Der Mischehen-Streit, die sogenannten „Kölner Wirren“,veranlaßten Görres zu seiner berühmten Streitschrift„Athanasius“, dem wohl wichtigsten Signal für einenselbstbewußten und zugleich romorientierten, ultramonta-nen Katholizismus.

Erst nach dem Thronwechsel von 1840 wurde eine Bei-legung des Streites zwischen Staat und Kirche möglich.Friedrich Wilhelm IV., geprägt von einem christlich-patri-monialen Staatsbegriff und überzeugt von der Notwendig-keit eines dauerhaften Bündnisses von Thron und Altar, warverständnisbereit. Der Konvention von 1841, dem preußi-schen Verzicht auf das Staatskirchenrecht, folgte als Sym-bol des Ausgleichs das Kölner Dombaufest von 1842. Undgenau dieser Ausgleich zwischen monarchischem Prinzipund ultramontaner Orientierung gibt den Vorder- und denHintergrund unserer Karikatur: der priesterlich gewandeteRatgeber des altersschwachen Monarchen und die unaufge-klärt in ihr Unglück stürzenden Massen.

Die Kirche nämlich hatte ihre Chance der Mobilisierungöffentlicher Meinung erkannt: Als 1844 in Trier der HeiligeRock ausgestellt wurde, zählte man mehr als 400.000 Gläu-bige bei den Wallfahrten. Die ultramontane Ausrichtung desKatholizismus und die Heilige Rock-Ausstellung aber lö-sten eine ebenso massive Gegenbewegung aus. Im Sinn derzeitgenössischen Religionskritik eines Ludwig Feuerbachoder David Friedrich Strauß sollte tradiertes Glaubensgutvon dogmatischer Verhärtung befreit und, entmythologi-siert, mit vernunftgemäßer Erkenntnis verbunden werden.Der ehemalige Kaplan Johannes Ronge wurde zum Prota-gonisten der Los-von-Rom-Bewegung des Deutschkatholi-zismus, den von Leipzig aus Robert Blum in seinen „Vater-landsblättern“ unterstützte. Die Forderung nach einer Tren-nung der deutschen Katholiken von Rom verbanden siedabei auf geschickte Weise mit Angriffen gegen Bürokratie,Polizei und Pressezensur. Die Deutschkatholiken wurdenzu einer Speerspitze der Demokratiebewegung, sie rührtenan einem höchst empfindlichen Stützpfeiler des Metter-nichschen Systems. Gervinus und Gustav von Struve zähl-ten zu ihnen; ihr Modell einer freien christlichen Gemein-deorganisation war zugleich Modell der politischen Demo-kratie.

Auch innerhalb des Protestantismus kam es zu Separa-tionsbewegungen, geprägt von rationalistischer Theologieund demokratischem Organisationsverständnis. Den pro-testantischen Fürsten und Senaten oblag ja seit der Refor-

mation das landesherrliche Kirchenregiment, das sie überdie Konsistorien ausübten. Seit 1816 stand vor allem inPreußen die Frage nach einer Vereinigung von Luthera-nern und Reformierten, nach einer evangelischen Union,auf der Tagesordnung. Die Niederländisch-Reformiertenim Rheinland, die Altlutheraner in Schlesien verwarfen denUnionsgedanken auf das schärfste: auch auf der evangeli-schen Seite war ein Kirchenkonflikt unausweichlich. Als1846 die erste evangelische Gesamtsynode Preußens zu-sammentrat, wurde deutlich, daß der demokratische Flügeldie Wahl der Laienvertreter aus den Gemeinden anstrebte,der König sie als lokale und regionale Notabeln sehenwollte, die Orthodoxen aber jede Laienbeteiligung verwar-fen.

Erst ein Jahr später, 1847, wurden Altlutheraner und Re-formierte in einem Religionspatent anerkannt und die Ver-einigung der protestantischen Kirche ging nun ebensozügig voran wie zuvor in Nassau oder in Baden. Dennoch:es blieb die rationalistische Kritik. Vor allem in Sachsen, inSchlesien und in Hessen wandten sich die „Lichtfreunde“gegen ein pietistisches Christusbild und eine orthodoxeSchriftgläubigkeit. Wie Ronge bei den Deutschkatholikenin Bezug auf Rom, wurde Gustav Adolf Wislicenus heraus-ragender Organisator der evangelischen Fundamentalkritikam landesherrlichen Kirchenregiment.

In unserer Karikatur aber – wir erinnern uns – war dieHaltung der Amtskirchen insgesamt, ihre Einflüsterungenin die Ohren der Macht, als das unselige Zentrum eines kor-rupten politischen Unterdrückungsapparates dargestellt.

Und so schnürte sich ein gefährliches Bündel: die Bauernbeschwerenden feudalen Relikte und sie drückenden Fol-gen des Agrarkapitalismus, soziale Unsicherheit des Hand-werks zwischen Zunft und Fabrik, Heranwachsen einer Ge-neration arbeits- und stellenloser Akademiker, Modernisie-rungsstau der gewerblichen Wirtschaft, neoabsolutistischerObrigkeitsstaat und Mangel an persönlichen Freiheiten undRechten, Kirchen- und Religionskritik und neue religiöseBewegungen.

Einheit und Freiheit, die deutsche Nation, die soziale Re-publik, wurden zu Leitparolen, angeheizt noch 1840, alsFrankreich in Ägypten eine schwere diplomatische Nieder-lage gegen England zu verkraften hatte und als Kompensa-tion die Rheingrenze forderte. Das Rhein-Gedicht von Ni-kolaus Becker „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deut-schen Rhein“, Max Schneckenburgers „Wacht am Rhein“

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und Hoffmann von Fallerslebens „Deutschland, Deutsch-land über alles“ trafen genau jenes politische Empfinden,das vor allem die demokratische Linke beherrschte.

Als dann noch König Christian VIII. von Dänemark ineinem offenen Brief vom Juli 1846 ankündigte, Schleswigin den dänischen Gesamtstaat einbeziehen zu wollen, dieHerzogtümer Schleswig und Holstein also zu teilen, bracherneut ein Sturm der Entrüstung los, vom organischen Li-beralismus eines Dahlmann bis zur äußersten Linken warman bereit, die Schleswig-Holstein-Frage zur nationalenPriorität schlechthin zu erheben. Für die Flüchtlinge vorZensur und Polizei, die Literaten, Intellektuellen und dieHandwerksgesellen im Exil, für Männer wie Fröbel, Her-wegh und Ruge, Prutz und Weitling gehörten Einheit, Frei-heit und soziale Gerechtigkeit ganz unmittelbar zusammen.

Eine freie Presse, ein Sprachrohr der Opposition, wurdezum zentralen Anliegen. Ende November 1846 kamen imbadischen Durlach auf Einladung von Friedrich Daniel Bas-sermann führende Köpfe des oppositionellen Liberalismuszusammen, unter ihnen Gervinus, Ludwig Häusser, KarlMathy. Ihr Ziel war die Gründung einer überregionalen, ge-samtdeutschen Zeitung, deren erste Nummer dann unterdem Namen „Deutsche Zeitung“ am 01.Juli 1847 in Hei-delberg erschien und die durch ihren Wahlspruch „entschie-den in der Sache, doch gemäßigt und anständig in derForm“ dem Zugriff der Zensur zu entgehen suchte. Wennauch alsbald Gustav von Struve durch seinen „DeutschenZuschauer“ ein Konkurrenzblatt schuf, um die Unter-schiede zwischen „Halben“ und „Ganzen“, zwischenGemäßigten und Radikalen deutlich zu machen, die Grün-dung beider Publikationsorgane institutionalisierte keines-wegs eine frühe Trennung zwischen Liberalismus und De-mokratie, zwischen den Anhängern eines Kompromissesmit den alten Gewalten und einer Fundamentaloppositionbei der Lösung der anstehenden Probleme.

Am 12. September 1847 kamen auf Einladung Heckersund Struves gut 250 der „Entschiedenen“ in Offenburg zu-sammen und stellten jene „Dreizehn Forderungen desVolkes“ vor, die als Flugblatt und Zeitungsmitteilung weitüber Baden hinaus Beachtung fanden:Lossagung von den Karlsbader Beschlüssen, Presse- undMeinungsfreiheit, Gewissens- und Lehrfreiheit, Geschwo-renengerichte, Vereidigung des Militärs auf die Verfassungund eine volkstümliche Wehrverfassung, eine gerechte Be-steuerung, eine Vertretung des deutschen Volkes beim Deut-

schen Bund verlangte man. Nur in drei Punkten unterschie-den sich diese sogenannten Radikalen von den Gemäßigten:Man forderte die sofortige Aufhebung aller Privilegien desAdels, wollte einen Ausgleich des „Mißverhältnisses zwi-schen Kapital und Arbeit“ und forderte an Stelle der „Viel-regierung der Beamten“ die „Selbstregierung des Volkes“.

Man blieb also ganz im Rahmen der liberalen Reformbe-wegungen, ganz in den Grenzen des Konstitutionalismus,wenngleich in dem Ruf nach Selbstregierung natürlich jeneDramatik steckte, die dann in der Paulskirche zwischen Li-beralen und Demokraten fraktionierend wirkte: Allgemei-nes Wahlrecht oder Begrenzung des Wahlrechtes auf Selbst-ändige – ein Konflikt, der bei all seiner grundsätzlichenTiefe doch im Verfassungskompromiß vom Februar 1849gelöst werden konnte: allgemeines Wahlrecht bei Akzep-tanz der preußischen Erbmonarchie, so lautete dann dieKompromißformel.

Wenn auch Adelsfrage, Wahlrechtsfrage und die Fragenach den Bedingungen und den Möglichkeiten einer sozia-len Politik Trennungslinien im Lager der Bewegungsparteimarkierten, das Gefühl gemeinsamer Opposition gegenüberdem System der Reaktion integrierte – mit Ausnahme derGruppe um Karl Marx – alle Parteiungen. Und so war dennauch Friedrich Daniel Bassermanns Einladung an Heinrichvon Gagern zu einer „Zusammenkunft konstitutionell ge-sinnter Abgeordneter aus verschiedenen Ländern auf den10. Oktober“ im „Halben Mond“ in Heppenheim keines-wegs eine abwehrende Reaktion auf die Offenburger Ver-sammlung, vielmehr ging es um die Beratung der zentralenFrage, mit welcher Strategie man nach dem Scheitern desVereinigten Landtags in Preußen nun vorankommen solle.

In einem war man sich schon im Vorfeld des Treffenseinig: David Hansemann aus Aachen, einer der führendenKöpfe des rheinischen Liberalismus, entwickelte anläßlicheines Besuches bei Bassermann und Mathy gleichsam dieGrundidee der Heppenheimer Versammlung. Es gelte, someinte er, sich mit den anderen „Deputierten … zu verstän-digen über gemeinsames, gleiches Vorgehen in den Kam-mern, um dadurch eine größere Kraft zu bekommen“.

Die Wahl des Tagungsortes ergab sich aus schlüssigenVorüberlegungen: Wegen des Aufsehens, daß die Offenbur-ger Versammlung erregt hatte, schied ein badischer Ta-gungsort aus. Allerdings war mit Rücksicht auf Basser-mann, Mathy und Itzstein die Nähe zu Mannheim sehr er-wünscht. Die bisher gewohnten Versammlungsorte der libe-

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ralen Opposition, zumal das Weingut Adam von Itzsteins inHallgarten oder das nassauische Hattersheim schieden aus.Ein geheimes Treffen war ja angedacht und gerade im Som-mer 1847 war Itzsteins Gut von der Polizei überwacht undGegenstand eines Schreibens des preußischen Innenmini-sters an den Oberpräsidenten in Koblenz geworden.

Hinzukam, daß 1846 die Main-Neckar-Bahn ihren Be-trieb aufgenommen hatte, Heppenheim, im Süden desGroßherzogtums Hessen-Darmstadt, also gut erreichbarwar. Seit 1832 war Heppenheim Kreisstadt, man zählte inden 1840er Jahren etwa 4.600 Einwohner, mehr als 90%waren katholisch, etwa 5% evangelisch und 2% jüdisch. ImMärz 1845 war die Thurn- und Taxissche Posthalterei amKreuzungspunkt der Post- und Fuhrlinien von Worms nachErbach und Miltenberg mit der Strecke Heidelberg – Darm-stadt – Frankfurt stillgelegt worden, ein herber Einbruch fürden Gastwirt des „Halben Mondes“ Louis Franck, der sichnoch vergebens um die Posthalterstelle beworben hatte. Seitdem 17. Jahrhundert war der Gasthof urkundlich notiert, erlag nicht weit vom neuen Bahnhof entfernt und war ebenseit Herbst 1846 nicht mehr so angefragt, daß eine politi-sche Versammlung ungewollte Öffentlichkeit erfahrenhätte. Ab dem 20.September 1847 gingen denn die Einla-dungsschreiben zu einem Treffen am 10. Oktober herausund wurden – wie in einem Schneeballsystem – an promi-nente Abgeordnete der zweiten Kammern weitergereicht.

Im Lauf des 9. und 10. Oktober 1847 trafen insgesamt 18Deputierte der Landtage aus Preußen, Württemberg, Baden,Hessen-Darmstadt und Nassau in Heppenheim ein. Im Vor-derhaus des „Halben Mondes“, an der Nordostseite, späterKutscherhaus genannt, fand, so erinnert man sich in der Fa-milie Franck, das Treffen, abgeschirmt vom Gasthausbe-trieb, statt.

Unter den Teilnehmern waren: Friedrich Daniel Basser-mann, Chef der Bassermannschen Verlagsbuchhandlung inMannheim und Kopf der Liberalen in der zweiten badi-schen Kammer, Heinrich von Gagern, einer der Mitbegrün-der der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft, wegen sei-ner oppositionellen Grundhaltung aus dem Staatsdienst ent-lassen, seit Januar 1847 wieder für den Wahlkreis Lorsch inder hessisch-darmstädtischen zweiten Kammer, DavidHansemann, erfolgreicher Kaufmann aus Aachen, seit 1845Mitglied des rheinischen Provinziallandtages und im Früh-jahr 1847 einer der Führer des Liberalismus im preußischenVereinigten Landtages, Adam von Itzstein, Vertreter Mann-

heims in der zweiten badischen Kammer, Vorkämpfer derPresse-, Rede- und Versammlungsfreiheit und einer derSchlüsselfiguren in der Organisation der Bewegungspartei,Karl Mathy, seit dem Hambacher Fest aus dem badischenStaatsdienst entlassen, seit 1840 Redakteur der „BadischenZeitung“ und seit 1842 für Konstanz in die badische zweiteKammer gewählt, Friedrich Römer, Anwalt in Stuttgart undseit 1845 Führer der liberalen Opposition in der württem-bergischen Ständekammer, Karl Theodor Welcker, seit1831 Mitglied der badischen Kammer, mit Karl von Rot-

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Friedrich Daniel Bassermann (1811–1855).

Lithographie von Valentin Schertle, 1848, Druck: Gust. May, Frankfurt amMain. Historisches Museum, Frankfurt am Main, C 353. Foto: UrsulaSeitz-Gray.

teck Herausgeber des „Staatslexikons“, des Standardwer-kes und Leitfadens des vormärzlichen Liberalismus über-haupt.

Bedenkt man, daß Bassermann im Februar 1848 imPaulskirchenparlament Vorsitzender des Verfassungsaus-schusses wurde, daß Gagern am 5.März 48 leitender Mini-ster in Hessen-Darmstadt, dann Präsident der FrankfurterNationalversammlung, schließlich, im Dezember 1848 Vor-sitzender des Reichsministeriums war, daß Hansemann abMärz 1848 preußischer Finanzminister, daß Mathy badi-scher März-Minister, später Staatssekretär im Reichsfi-nanzministerium wurde, daß Römer seit März 48 badischerJustizminister war und wie von Itzstein und Welcker Mit-glied des Paulskirchenparlamentes, so wird deutlich, daß inHeppenheim jene Männer zusammenkamen, die keine fünfMonate später den Gang der Revolution und das Werk derFrankfurter Nationalversammlung nachhaltig prägten.

Es war keineswegs eine Richtungsentscheidung, daß be-deutende Protagonisten des demokratischen Flügels der Be-wegungspartei nicht in Heppenheim waren. Weder RobertBlum noch Friedrich Hecker waren nämlich zu diesemZeitpunkt – im Oktober 1847 – Mandatsträger in ihrenLandtagen, sie fielen damit aus dem strategischen Konzeptder Versammlung heraus. Dies wird um so deutlicher, alsChristian Kapp, Philosophieprofessor in Heidelberg, vomfranzösischen Frühsozialismus beeinflußt, Freund Heckersund einer der Hauptredner in Offenburg, als Abgeordneterder zweiten badischen Kammer natürlich Teilnehmer derHeppenheimer Versammlung war.

In der „Deutschen Zeitung“ vom 15.10.1847, fünf Tagenach der Heppenheimer Versammlung, erschien ein zusam-menfassender Bericht Mathys zum Verlauf der Tagung:„Zweck der Zusammenkunft war“, so schrieb er, „nebendem Wunsch, persönlich miteinander bekannt zu werden,der Austausch der Gedanken und Ansichten über denzweckmäßigsten Weg, mehr Einheit und Gemeinsamkeit indie Leitung und Vertretung der deutschen Nationalangele-genheiten und Interessen zu bringen“.

Man war sich in Heppenheim einig darüber, daß der deut-sche Bundestag seine Aufgaben nicht gelöst habe, ja daß erinfolge der außerhalb der Grenzen des Deutschen Bundesliegenden Gebiete Preußens und Österreichs und angesichtsder starken Vertretung ausländischer Interessen bei derBundesversammlung diese niemals im deutschen Sinnlösen könne. Auch eine Volksvertretung beim Bundestag

werde nichts grundsätzlich daran ändern können. Es war jaallen Beteiligten klar, daß schon 1814, nach dem Sieg überNapoleon, im Ersten Pariser Frieden die Weltmächte Eng-land und Rußland eine Wiederherstellung des Heiligen Rö-mischen Reichs Deutscher Nation ebenso ausgeschlossenhatten, wie eine nationalstaatliche Einigung der Mitte Eu-ropas. „Von der Bundesversammlung, wie sie gegenwärtigbesteht“, so hieß es zutreffend, sei „nichts ersprießliches zuerwarten“.Wesentlich aussichtsreicher, so die Mehrheitsmeinung, er-schien es, den preußisch-deutschen Zollverein zu einemgesamtdeutschen Verein unter Einbeziehung Österreichsfortzuentwickeln und die Mitwirkung des Volkes an derWillensbildung des Vereins sicherzustellen. Allerdings be-harrten Bassermann und wohl auch Mathy auf ihrer Min-derheitenposition, nämlich auf der Idee einer deutschenStändekammer am Bundestag.Zugleich beschloß man die Einsetzung einer Kommissionzur Besserung der Lage der ärmeren Klassen und zur Steu-erreform – von der manche ja sagen, sie tage noch bis heute– und verabredete, im Frühjahr 1848 nach dem Heppenhei-mer Modell eine größere Versammlung von Deputierten derLandtage einzuberufen.

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Lageeinschät-zung erfolgten konkrete Festlegungen, die als sogenanntes„Heppenheimer Programm“ im Stil eines deliberierendenProtokolls außerordentliche Wirkung zeigten:Beschlossen wurde vor allem die Einbringung von gleich-lautenden Anträgen in den Kammern, und zwar zu folgen-den Schwerpunkten:

1. zur „Entfesselung der Presse“ und zur Aufhebung derZensur.

2. zur „Minderung des Aufwandes für das stehende Heerund die Einführung einer Volkswehr“

3. zur „Befreiung des Bodens und seiner Bearbeiter vonmittelalterlichen Lasten“

4. zur Einführung von „öffentlichen und mündlichen Ge-richtsverfahren mit Schwurgerichten“

5. zur „Selbständigkeit der Gemeinden in der Verwaltungihrer Angelegenheiten“.

„Die Heppenheimer Versammlung“, so sollte LudwigBergsträsser einmal den Vergleich zwischen dem Offenbur-ger und dem Heppenheimer Treffen zusammenfassen,„würdigt die bestehenden Verhältnisse wie sie sind … sie istrealpolitischer“. Und in der Tat, in Heppenheim waren im

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politischen Tageskampf der zweiten Kammern erfahreneLandtagsabgeordnete versammelt, die sehr konkrete Maß-nahmen zur schrittweisen Realisierung einer freiheitlichenund sozialen deutschen Nation entwarfen.

Die Reaktion der deutschen Bundesstaaten auf die Hep-penheimer Versammlung folgte auf dem Fuß. „Herr Mini-ster du Thil“ – Chef der auf harten Reaktionskurs setzendenhessen-darmstädtischen Regierung – „als auch seine Groß-herzogliche Hoheit Prinz Emil widmen dem Gegenstandihre vollste Aufmerksamkeit“, berichtete der preußischeGesandte am Darmstädter Hof an Außenminister von Ca-nitz. Zugleich drängte der preußische Gesandte in Badendarauf, Adam von Itzstein und Friedrich Hecker keine wei-tere Einreise nach Preußen mehr zu gestatten und KönigFriedrich Wilhelm IV. äußerte sich schließlich schriftlich zuden sogenannten „Heppenheimer Demagogen“, die mitKreisen in Schlesien und Königsberg „ein Netz bilden, dasmit fast telegraphischer Geschwindigkeit nach den empfan-genen mots d`ordre operiert“. Er regte als ultima ratio gareine militärische Intervention an, sah die Gefahr eines Um-sturzes hergekommener staatlicher Ordnung heraufziehen.

Gleichfalls in drastischen Worten warnte der Außenmini-ster Württembergs Graf Beroldingen vor derartigen politi-schen Versammlungen einer „dem monarchischen Principein Deutschland feindlichen Fraction“, sah sich allerdingsmit einer wesentlich zurückhaltenderen Interpretationdurch die badische Regierung konfrontiert.Rasch wurde deutlich, daß angesichts der Popularität derHeppenheimer Liberalen ein einvernehmlicher und ent-schlossener Reaktionskurs nicht opportun erschien, zumalihre Funktion als Abgeordnete der zweiten Kammern ausder Sicht monarchischen Partei unkalkulierbare Risiken fürdie anstehenden Haushaltsberatungen einbezog. Erneut waroffenkundig, wie weitsichtig die Entscheidung Hanse-manns war, nur Parlamentarier der ersten Garnitur nachHeppenheim einzuladen.

Fassen wir zusammen: Die Einheit der Nation, der ge-waltenteilige Rechtsstaat, die kommunale Selbstverwal-tung, Pressefreiheit und Grundrechte – darin stimmten alleFlügel der Bewegungspartei überein. In den sozialen For-derungen bezog sich der Liberalismus viel stärker auf dasBestehende: Agrarreform, Förderung des Mittelstandesstanden oben an. Die Probleme der Moderne, die Arbeits-welt im Industriesystem, wurde einer Kommission zur Prü-fung übertragen. Die Demokraten hingegen loteten die

Chancen ihres Rufes nach Republik und allgemeinemWahlrecht aus – blickten dabei durchaus voll Sorge auf so-zialrevolutionären Attentismus und waren im Ungewissenüber die tatsächliche Stärke ihrer Gefolgschaft.Der Weg, den die führenden Köpfe der Bewegungspartei inHeppenheim verabredeten, war der der Evolution, der eineskontinuierlichen Ausbaus der konstitutionellen Rechte, derStärkung der bürgerlichen Gesellschaft, der eines allmähli-chen Zusammenwachsens der deutschen Staaten zu einerNation.

Ganz in diesem Sinn entschied die Stuttgarter Volksver-sammlung am 17. Januar 1847, genau dies meinte Basser-mann mit seinem Antrag vor der badischen zweiten Kam-mer am 12. Februar 1848, „daß durch Vertretung der deut-schen Ständekammern am Bundestage ein sicheres Mittelzur Erzielung gemeinsamer Gesetzgebung und einheitli-cher Nationaleinrichtungen geschaffen werde“, eben diesesZiel verfolgten Welcker und Mathy am 23. Februar mitihren Anträgen zur Abschaffung der Zensur und die gleiche,in Heppenheim verabredete Strategie leitete Gagern am28. Februar 1848 vor der hessen-darmstädtischen zweitenKammer bei seiner Forderung nach einem „Beirat des deut-schen Volkes“, nach Nationalrepräsentation und nach Bil-dung eines deutschen Kabinetts unter einem Bundesober-haupt für die äußere und innere Sicherheit, für Besteuerungund Gesetzgebung.

Auch die Mannheimer Volksversammlung vom 27. Fe-bruar 1848, gut vier Monate nach Heppenheim, wurde kei-neswegs zu einem Meilenstein bei der Differenzierung vonLiberalismus und radikaler Demokratie: Die MannheimerForderungen nach einem deutschen Parlament, nach Volks-bewaffnung, Pressefreiheit und Schwurgerichten warenüber alle Fraktionierungen hinweg konsensfähig. Zugleichmachte Mannheim deutlich, daß die Partei der Bewegung inDeutschland keinesfalls in der französischen Februar-Revo-lution ein stimulierendes Vorbild sah. Ganz im Gegenteilüberwog die Erinnerung an die furchtbaren Kriege seit1789, also die Angst vor einem Expansionskurs des mäch-tigen Nachbarn.

Auf Heppenheim folgte die Heidelberger Versammlungder „51“, wiederum wurden ausschließlich Abgeordneteder Landtage eingeladen und die „Heppenheimer“ bildetenden eigentlichen Kern. Gemeinsam mit den Republikanernum Struve und Hecker einigte man sich darauf die künftigeStaatsform Deutschlands dem Beschluß einer Nationalver-

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sammlung vorzubehalten und zur Vorbereitung einer sol-chen Konstituante ein siebener Gremium zu bilden, dessenMehrheit mit von Gagern, von Itzstein, Römer und Welckerwiederum „Heppenheimer“ waren. Ganz direkt, bei unmit-telbarer Kontinuität der handelnden Personen, also führteder Weg von Heppenheim über die Heidelberger Versamm-lung, über das Vorparlament zur Eröffnung der FrankfurterNationalversammlung am 18.Mai 1848.

Am 20. September 1847, drei Wochen vor der Heppen-heimer Versammlung, schrieb Friedrich Daniel Bassser-mann an Heinrich von Gagern, daß er hoffe, „einen Anfangeines deutschen Parlaments in Heppenheim zu bilden“.Seine Hoffnung sollte schon acht Monate später Realitätwerden.

Es war keineswegs kein Zufall, daß einhundert Jahre spä-ter, daß am 10. und 11. Dezember 1948, nach dem Elendvon Nationalsozialismus, verlorenem Krieg und Vertrei-bung, die Sammlung der liberalen Kräfte in Deutschlandwiederum ihren Anfang in Heppenheim nehmen sollte. DieVereinigung der liberalen Landesverbände in den drei west-deutschen Besatzungszonen und West-Berlins unter demNamen „Freie Demokratische Partei“ knüpfte bewußt anHeppenheimer Traditionen von 1847 an: an den Zusam-menschluß der sogenannten „linken“ und „rechten“ Flügelder Partei und an das Motto „Einheit in Freiheit“, das nachder Gründung der Liberal-Demokratischen Partei in der So-wjetischen Besatzungszone eine neue, bekanntlich erst1989/90 erfüllte Hoffnung enthielt.

Die Heppenheimer Versammlung vor 150 Jahren, am10. Oktober 1847, markiert also eine entscheidende Stufeauf dem Weg zur ersten, freigewählten deutschen National-

versammlung. Vor dem Hintergrund eines dramatischenwirtschaftlichen und sozialen Wandels, angesichts tiefer Er-schütterungen der hergebrachten Leitbilder in Religion undStaatsauffassung, wurden die zentralen Aussagen des Hep-penheimer Programms, nämlich Freiheit, Einheit, sozialeRepublik genau besehen bis heute zu verpflichtenden Para-metern deutscher demokratischer Parteigeschichte.

Allerdings gilt es, die Demokratie von heute nachdrück-lich an den Geist der Heppenheimer Forderungen vor150 Jahren zu erinnern. Es kann nicht angehen, daß mehrund mehr zentrale Fragen des Politischen bürokratischgelöst oder höchstrichterlichen Entscheidungen übergebenwerden. Das Parlament selbst, die Fraktionen, müssenFarbe bekennen und Profil gewinnen, der Verweis aufpolitische Korrektheit darf nicht demokratische Offenheitdurch Subsumtion und formale Rationalität ersetzen. DasAusmaß der Wahlenthaltungen in unserer Republik ist diebedrückende und warnende Folge parlamentarischer undgouvernementaler Praxis. Und vergessen wir nicht: 1848waren etwa 8% der männlichen Bevölkerung in liberalenund demokratischen Vereinen organisiert, heute bekennensich nicht einmal 3% aller Erwachsenen, Frauen und Män-ner, zu einer demokratischen Partei. Die Erinnerung anHeppenheim zu feiern bedeutet also zugleich, die heu-tige Demokratie eindringlich an ihre eigenen geistigenWurzeln zu erinnern.

Im Sinn eines solchen Appells, meine Damen und Her-ren, darf ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

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1. Rechtfertigung des Untersuchungs-gegenstandes

Im Vorfeld der großen Jubiläumsfeierlichkeiten zur deut-schen Revolution von 1848 und der Einberufung der Pauls-kirchenversammlung in Frankfurt am Main rückt die Zeitdes deutschen Vormärz – und im Ausgang des Jahres 1997dessen Höhe- und Endpunkt – in den Mittelpunkt histori-schen Interesses. Erst dieser Jubiläumsbezug scheint esauch zu rechtfertigen, vermeintlich abgenagte Knochen, re-spektive abgehandelte und somit abgehakte Themen derGeschichtsforschung doch noch einmal auszugraben undnach Verwertbarem abzusuchen. So geschehen auch mitjener Versammlung liberaler Oppositioneller, die sich am10. Oktober des Jahres 1847 im Örtchen Heppenheim ander Bergstraße, im südlichsten Zipfel des GroßherzogtumsHessen-Darmstadt gelegen, versammelten, um eine grund-sätzliche Reform des Deutschen Bundes zu beraten. DerBlick auf dieses Ereignis, auf seine unmittelbare Vorge-schichte sowie auf die sich aus dem Geschehen ergebendenWeiterungen verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es seinkann, auch am Rande der ,großen‘ Ereignisgeschichte Ge-nauigkeit in der Betrachtung und somit Faktentreue in derQuellenbearbeitung walten zu lassen. Ein aktuelles Beispielaus einer ganzen Kette von beobachteten Ungenauigkeitenzur Heppenheimer Versammlung sei an dieser Stelle er-wähnt: Im Biographischen Handbuch der Abgeordneten derFrankfurter Nationalversammlung 1848/49 erschließen dieBearbeiter Best und Weege1 die Viten der Paulskirchenab-geordneten anhand einer in vielen Jahren zusammengetra-genen Datenbank. Das aus dieser Datensammlung hervor-gegangene Registerwerk wiederum stellt eine wahre Fund-grube von Bezügen her, die ohne einer solchen Daten-sammlung und ohne das moderne Instrumentarium vonDatenverwaltungsprogrammen so kaum herauszufindenwären. Die Crux solchen Instrumentariums jedoch liegtdarin, daß jede im Einzeldatensatz vorkommende und für

den jeweiligen Einzelfall marginale Fehleingabe sich in derVerknüpfung mehrerer Datensätze zu einem verhängnisvol-len Teilganzen verbinden kann. So geschehen in genanntemWerk unter dem Eintrag „Heppenheimer Versammlung“ imUnterregister ,Organisationen und Versammlungen‘.2 Sach-lich richtig wird unter dem Stichwort ,Heppenheimer Ver-sammlung‘ das Datum und die Teilnehmerzahl des Ereig-nisses genannt. Verwunderung erzeugt jedoch beim einiger-maßen informierten Leser die namentliche Aufzählung dereinzelnen Teilnehmer: Friedrich Daniel Bassermann, Fried-rich Federer, Karl August Fetzer, Heinrich von Gagern,Max von Gagern, August Hergenhahn, Adam von Itzstein,Georg Christian Kapp, Georg Friedrich Kolb, Karl Mathy,Karl Mittermaier, Robert von Mohl, Wilhelm Murschel,Joseph Ignaz Peter, Friedrich Römer, Alexander vonSoiron, Karl Theodor Welcker sowie Philipp Wernher wer-den als solche genannt. Der Abgleich mit den einschlägigenQuellen zur Heppenheimer Versammlung jedoch ergibt,daß von den aufgeführten Teilnehmern bisher Max vonGagern, Kolb, Mittermaier, Mohl und Peter nicht genanntworden waren. Bei Annahme jedoch, daß die sowohl beiBest/Weege wie in den einschlägigen Quellen aufgeführteTeilnehmerzahl mit 18 richtig wiedergegeben ist, ergibtsich, daß von den ursprünglich angenommenen auch fünfbei Best und Weege herausgefallen sein müssen: nämlichFranz Peter Buhl, August Dennig, Adolf von Goppelt, Lud-wig Weller und David Hansemann. Mit letzterem fehlt inder Auflistung von Best und Weege nicht nur das rhein-preußische Element, sondern insgesamt der spiritus rectorder Versammlung, so wir Hansemanns eigener Darstellungwie auch wesentlichen anderen Quellen Glauben schenkenwollen. Es ergibt sich mit Blick auf diesen Eintrag in demgenannten Werk, daß es zwar mit dem Anspruch antritt, alsHandbuch den Standard bezüglich der Mitglieder der erstendeutschen Nationalversammlung zu definieren, daß es aber,wie schon Dieter Langewiesche feststellte, auch bei der Ar-beit mit „diesem so sorgfältig recherchierten Werk“ nicht

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Zur Geschichte der Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847

von Roland Hoede

schaden kann, „weitere Auskunftsquellen heranzuziehen“,3

bzw., so das Plädoyer des Verfassers, weitergehend inten-sive Quellenarbeit zu betreiben.

Diesem Unterfangen hat sich der Autor dieses Aufsatzesunterzogen und die Ergebnisse seiner Arbeit unter dem Titel„Die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847“anläßlich des 150. Jahrestages des Ereignisses vorgelegt.4

Im folgenden seien Teilaspekte dieser erstmals dem Ereig-nis des Heppenheimer Treffens gewidmeten Monographiedargelegt und das Ergebnis der Arbeit in einigen Thesen zurDiskussion gestellt.

2. „... so daß wir hoffen dürfen,einen Anfang eines Deutschen Parlaments

in Heppenheim zu bilden“, …… mit dieser hoffnungsvollen Prophezeiung hatte der ba-

dische Kammerabgeordnete Friedrich Daniel Bassermannam 21. September 1847 seinen hessisch-darmstädtischen,Kollegen‘ Heinrich von Gagern zur Teilnahme an einer po-litischen Zusammenkunft in Heppenheim eingeladen. Daßein solcherart prominent angesiedeltes Ereignis – hinsicht-lich des offenbar beteiligten Personenkreises und auch hin-sichtlich des Erörterungsgegenstandes – in der heutigen Ge-schichtsschreibung nurmehr ein Fußnotendasein führensoll, läßt einigermaßen verwundern. Doch tatsächlich, derangestellte Überblick zur Forschungslage bezüglich derHeppenheimer Versammlung ergibt ein recht homogenesBild: Einerseits darf die Erwähnung des Geschehens inernst zu nehmenden Arbeiten zur Epoche und ihren Hinter-gründen nicht unerwähnt bleiben, andererseits aber kommtdas Ereignis über eine namentliche Nennung und einenKurzverweis im Fußnotenapparat nur selten hinaus.5

Dagegen haben sich, wohl aufgrund dieser scheinbarenNebensächlichkeit ihrer Behandlung, Irrtümer und Fehl-wahrnehmungen bezüglich der personalen Zusammenset-zung des Teilnehmerkreises der Zusammenkunft an derBergstraße in die Darstellung eingeschlichen, die mittler-weile bis in einschlägige Handbuch- und Lexikaartikel fort-geschrieben werden.6 Neben solchen eher marginalen Fehl-wahrnehmungen hat sich außerdem in der Geschichts-schreibung ein Eindruck weitgehend durchgesetzt, der beigenauerer Quellendurchsicht zum inhaltlichen Programmder Versammlung sowie ihrem Diskussionsverlauf zumin-

dest fragwürdig erscheint. Danach wird das HeppenheimerTreffen als eine Erscheinung nur am Rande des Geschehensangesiedelt, weil es lediglich eine Reaktion gemäßigterKräfte auf jene am 12. September 1847 in Offenburg statt-gehabte Volksversammlung von ,Radikalen‘ gewesenwäre.7 Eine solche Interpretation aber engt den Blick aufdie Ereignisse und Inhalte sehr ein, um so mehr, wenn das,was in Heppenheim beraten wurde und durch Veröffentli-chung programmatischen Charakter erhalten hatte, als Ge-genkatalog zu den ,13 Offenburger Forderungen des Volkesin Baden‘ betrachtet wird, wie dies Michael Wettengel un-ternimmt: „Auf die Versammlung von Offenburg vom10.9.1847 (gemeint ist 12.9., R.H.), die ein demokratischesProgramm formulierte, erfolgte eine Zusammenkunft libe-ral-konstitutioneller Politiker um Heinrich von Gagern,Hergenhahn und Mathy im hessischen Heppenheim am10.10.1847, die ein Gegenprogramm verfaßte.“8 Eine ausdem gängigen Interpretationsschema herausfallende An-sicht vertritt Ludwig Bergsträßer, der mit Blick auf die inOffenburg erhobenen Forderungen zwar bezüglich der Teil-nehmer an den Tagungen ebenfalls die Trennung entlangder Linie zwischen den ,Halben‘ und den ,Ganzen‘ erkennt,der daraus jedoch keineswegs einen irgendwie geartetenZugzwang auf Seiten der Gemäßigten ableitet: „Dieses Pro-gramm erregte denn auch auf der anderen Seite, bei denHalben oder Konstitutionellen kein besonderes Aufsehen,vor allem kein unliebsames. Man empfand den Unterschiednur als einen solchen des Temperaments.“9

Ausgehend von dieser Bandbreite unterschiedlicherSichtweisen der Heppenheimer Versammlung in der Ge-schichtsschreibung sollen im Folgenden die erhaltenenQuellen zur Heppenheimer Versammlung im jeweiligen Er-eigniszusammenhang dargestellt werden. Erst dann wird esmöglich sein, die gängigen Urteile über die HeppenheimerVersammlung anhand der Quellen in ihrer Aussagekraft kri-tisch zu hinterfragen.

3. Zur Quellenlage

Angesichts oben dargestellter Beurteilungsdifferenzenmußte im Mittelpunkt der Beschäftigung mit der Heppen-heimer Versammlung auch 150 Jahre nach ihrem Stattfin-den die Auseinandersetzung mit den noch erreichbarenQuellen stehen. Ausgangspunkt dabei war die Sichtung

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überlieferter Nachlässe einzelner Teilnehmer an der Hep-penheimer Versammlung. Hierbei durfte die Tatsache, daßaus den vorhandenen Nachlässen schon auszugsweise ge-druckte Ergebnisse vorliegen10, nicht über die Notwendig-keit der intensiven Durchsicht unter dem erkenntnisleiten-den Interesse bezüglich des Forschungsthemas hinwegtäu-schen. Auch galt es Nachlässe aufzuschließen, die bishergar nicht, oder nur zu anderen Fragestellungen gesichtetwurden. Ausgangspunkt war der Nachlaß Heinrich von Ga-gerns, der als Leihgabe in der Außenstelle Frankfurt desBundesarchivs der Forschung zur Verfügung steht. Die aus-führliche Korrespondenz zwischen Gagern und mehrerenTeilnehmern an der Heppenheimer Versammlung wurdenach themenbezogenen Äußerungen untersucht. Der Nach-laß Franz Peter Buhls, ebenso in der Außenstelle Frankfurtdes Bundesarchivs bewahrt, ergänzte und erweiterte die Er-gebnisse der Arbeit mit dem Gagern-Nachlaß. Nachlässevon Hermann von Beckerath, Philipp Wilhelm Wernher,August Dennig, David Hansemann, Theodor Welcker undFriedrich Christoph Römer in Krefeld, Gießen, Karlsruhe,Berlin und Köln, in Heidelberg sowie in Stuttgart harrtenebenfalls der Suche nach themenbezogenen Spuren. Wei-tere Primärquellen, deren Untersuchung das Bild über denStellenwert der Heppenheimer Versammlung in der Ent-wicklungsgeschichte zur deutschen Revolution 1848/49 zuerhellen versprachen, waren schriftlich erhalten gebliebeneReaktionen auf das Treffen, seien dies nun Zeitungsberichte– allen voran die Schilderung der Versammlung durch KarlMathy in der ,Deutschen Zeitung‘ vom 15. Oktober 1847 –oder auch Stellungnahmen außenstehender Beobachter derGeschehnisse. Der hier zu untersuchende Personenkreisreichte auf Seiten der Reaktion von den Gesandten der Mit-gliedsstaaten beim Deutschen Bund11 bis hin zum preußi-schen König Friedrich Wilhelm IV. Wesentliche Quellenstellen auch gedruckt vorliegende Lebenserinnerungen undGeschichtsdarstellungen von Zeitzeugen12 dar, wie auch diegedruckt erschienenen Protokolle der Landtagsverhandlun-gen in Baden und in Hessen-Darmstadt, des Vorparlamentsund schließlich der Nationalversammlung interessantesZeugnis über den Stellenwert der Heppenheimer Versamm-lung auf dem Weg zum ersten Deutschen Nationalparla-ment ablegen. Wenn auch diese Auflistung vielleicht geeig-net erscheint, die Beurteilungsgrundlage zur Einordnungund Bewertung der Heppenheimer Versammlung im Ereig-niszusammenhang des deutschen Vormärz zu erweitern, so

gilt dennoch unverändert die Mahnung Bergsträßers: „Lei-der erlaubt das jetzt vorliegende Material nur sehr vorsich-tige Schlüsse über die Debatten und die dabei geäußertenAnsichten.“13 Der maßgebliche Grund für die nur mangel-hafte Überlieferung liegt eben in der nachfolgend zu unter-suchenden Konspiration, unter der die Teilnehmer nachHeppenheim eingeladen wurden, dort zusammenkamenund sich aussprachen.

4. Heppenheim – eine Reaktion auf Offenburg?

Zunächst gilt es, die Quellen danach zu befragen, ob demLiberalentreffen an der Bergstraße tatsächlich, wie von vie-len Autoren unterstellt, ein reaktiver und kein initiativerCharakter zuzusprechen sei. Man kam, so lassen sich dieunterschiedlichen Urteile mit gleichem Tenor auf einenNenner bringen, nicht aus eigenem Antrieb in Heppenheimzusammen, um den Ereignisgang liberaler Politik zu beför-dern, sondern lediglich aus dem Zwang heraus, den in Of-fenburg am 12. September 1847 getagt habenden badischenRadikalen das Feld nicht alleine zu überlassen und derenForderungen ein gemäßigtes Programm entgegenzusetzen.

„Ich kam zufällig zu Mathy, in dessen Wohnung dasComptoir von Bassermann und Mathy ist. Da traf ich, ohnedie mindeste Kunde davon zu haben, Hansemann von Aa-chen. Dieser trat nun mit dem Plane hervor, sich mit denBadner, Württemberger und den hessischen Deputierten,d.h. mit den entschiedenen, zu verständigen über gemeinsa-mes, gleiches Verhalten in den Kammern, um dadurch einegrößere Kraft zu bekommen; er werde an mehrere Rhein-preußen schreiben. Ich darf wohl voraussetzen, obschon ichnichts Bestimmtes weiß, daß Hansemanns, Bassermannsund Mathys Absicht war, auch mich und die übrigen Depu-tierten Mannheims einzuladen zur Versammlung.“14 Exaktvier Wochen nach dem Treffen beschreibt Adam von Itz-stein in einem Brief an Robert Blum in Leipzig mit diesenWorten die Geburtsstunde jener Idee, die mit der Heppen-heimer Versammlung schließlich verwirklicht werdensollte: Eine Zusammenkunft von entschiedenen Abgeord-neten verschiedener Bundesstaaten zum Zweck der gegen-seitigen Absprache über gemeinsames Vorgehen in den ein-zelnen Kammern. Itzstein muß im Zusammenhang der

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Frage nach dem auslösenden Moment für die Idee zu demHeppenheimer Treffen die Stellung eines Kronzeugen zuer-kannt werden. Er verkörperte im Kreis der Badener Kam-mermitglieder nicht nur die Persönlichkeit mit dem weite-sten Erfahrungsreichtum im politischen Oppositionsge-schäft, er verfügte als maßgeblicher Organisator der frühe-ren Treffen in Hattersheim, Leipzig und auf seinem GutHallgarten auch über die umfassendsten persönlichen Kon-takte über die Grenzen Badens hinaus. In seiner Darstellungdes Ereignisganges, der zur Heppenheimer Versammlungführt, und auf deren Authentizität und Genauigkeit Itzsteinausdrücklich hinweist – „damit Du aber genau von derSache unterrichtet bist und den Freunden gehörigen Auf-schluß geben kannst, will ich Dir melden, wie es mit derHeppenheimer Versammlung gegangen ist“ – findet sich imweiteren weder eine Erwähnung der Offenburger Versamm-lung selbst, noch auch nur der geringste Hinweis darauf,daß der im „Comptoir von Bassermann und Mathy“ zusam-mengekommene Kreis in irgendeiner Weise in seinen Ge-prächen reaktiv auf aktuelle Ereignisse eingegangen wäre.15

Ganz im Gegenteil. Hansemann, dem allgemein die Initia-tive zu diesem Zusammentreffen zugeschrieben wird16, ent-wickelte dort seinen in die Zukunft gerichteten Plan, sichmit anderen „Deputierten ... zu verständigen über gemein-sames, gleiches Vorgehen in den Kammern, um dadurcheine größere Kraft zu bekommen.“ Um dieses zukünftigekonzertierte Vorgehen zu besprechen, wollte man sich ver-sammeln, nicht um sich von zurückliegenden Geschehnis-sen abzusetzen.

Mit Friedrich Daniel Bassermann hat ein zweiter ,Zeuge‘dieser Sitzung in Mannheim seine Erinnerungen über denEreignisgang mit größerem zeitlichen Abstand zu Papiergebracht, die im Folgenden zur Kontrolle von Itzsteins Dar-legungen herangezogen werden: „Nach dem Schlusse desvereinigten Landtags (von Preußen, d.V.) sahen wir inBaden mehrere seiner Mitglieder, von denen mir Auers-wald, von der Heydt, der jetzige Handelsminister, und Han-semann erinnerlich sind. Letzterer regte in einem Ge-spräche mit Mathy und mir den Gedanken einer Zusam-menkunft von Abgeordneten aus verschiedenen deutschenStaaten an. Man sollte, so meinte er, denn doch einmal ingemeinsamer Besprechung die Mittel und Wege beraten,durch welche das in allen lebende Ideal der EinheitDeutschlands seiner Verkörperung könnte nähergebrachtwerden. Bereitwillig erfassten wir den Gedanken!“17 Un-

schwer läßt sich die Gleichartigkeit der Beobachtungen vonItzstein und Bassermann erkennen.

Der Blick auf den Dritten in der Runde im „Comptoir“,auf Karl Mathy, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die,Deutsche Zeitung‘, die ausführlich über die OffenburgerVersammlung berichtet hatte. Drei Artikel, die sich mit dem„Meeting an der Kinzig“18 befassen und in unmittelbaremzeitlichen Zusammenhang mit jener Sitzung erschienenwaren, sollen aus der Feder Mathys stammen19: Der erstevom 17., der zweite vom 26. und ein dritter vom 29. Sep-tember. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß in der Wochezwischen der Abfassung der ersten beiden dieser Artikel dasGespräch im Bassermannschen Büro stattgefunden hat, da-tiert doch das erste überlieferte Einladungsschreiben zurHeppenheimer Versammlung vom 20. September und warHansemann nach in weiteren noch darzustellenden Schilde-rungen unmittelbar von dem Treffen aufgebrochen, umeinen geeigneten Veranstaltungsort zu suchen. Wie aberäußert sich Mathy nun über das Offenburger Treffen?

„Über die Versammlung ,entschiedener Verfassungs-freunde‘, welche am 12. September zu Offenburg stattfand,bringen jetzt die badischen Blätter ausführlichen Bericht;nach der ,Oberrheinischen Zeitung‘ einigte man sich überbestimmte Forderungen des Volkes in Baden, die teils dievollständige Wiederherstellung der Verfassung, teils dieweitere Ausbildung derselben betreffen. Zu jenem gehörtdie Lossagung von den Beschlüssen, wie sie von den Mini-sterkonferenzen zu Karlsbad, Frankfurt und Wien gegendeutsche Verfassungen geschmiedet worden sind, dannPreßfreiheit, Gewissens- und Lehrfreiheit, Beeidigung desMilitärs auf die Verfassung und Schutz der persönlichenFreiheit gegenüber der Polizei, dazu Nationalvertretung beidem deutschen Bunde, volkstümliche Wehrverfassung, ge-rechte Besteuerung, allgemeine Zugänglichkeit des Unter-richtes, Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapi-tal und Arbeit, Geschworenengerichte, eine volkstümlicheStaatsverwaltung und Abschaffung aller Vorrechte. Wir tei-len dies Programm des ,badischen Radikalismus‘ in Kürzemit, nicht, als wenn darin etwas Neues oder Unerhörtes aufdie politische Tagesordnung in Baden gesetzt würde, oderals wenn wir glaubten, die Versammlung in Offenburgwerde nun die langerstrebte Frucht von Jahren ungesäumtzur Reife bringen, sondern hauptsächlich weil die Reaktionnicht zögern wird, von dem Meeting an der Kinzig ähnlicheSchilderungen in die Welt zu werfen, wie jüngst von dem

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Heidelberger Turnfest. Ein Blatt hat bereits der Polizei zuOhren gesagt, die Versammlung sei ein zweites HambacherFest gewesen; so hieß es auch vom Turnfest: ,Reden seiengehalten worden, wilder als auf dem Hambacher Fest‘.“20

Zweierlei fällt auf: Erstens die Nüchternheit, in der dieseBestandsaufnahme über die Offenburger Versammlung ab-gefaßt ist, trotz – oder vielleicht gerade wegen – der inhalt-lichen Brisanz, die darin zum Ausdruck kommt. Zweitensnatürlich die Tatsache, daß nicht der Hauch eines Angriffs,einer Abwehrhaltung gegen das Ereignis der OffenburgerVersammlung selber oder gegen die dort erhobenen Forde-rungen formuliert wird.21 Im Gegenteil – und diese Absichtwird unverblümt formuliert – man will gerade durch diesachliche Darstellungsform weitergehenden möglichen An-griffen von Seiten der Reaktion auf den vermeintlichen ,ba-dischen Radikalismus‘ den Wind aus den Segeln nehmen.Dieser Eindruck verstärkt sich mit Blick auf den Artikelvom 26. September:

„Aus Baden, 24. Sept. Die Denunziation gegen die Of-fenburger Versammlung hat ihre Früchte getragen; es isteine Untersuchung eingeleitet gegen die Redner, und einebereits ausgeschriebene Versammlung in Donaueschingen,welche im Sinne der Freiburger gehalten werden sollte, istverboten worden. ... Wir müssen den Ausgang der gericht-lichen Untersuchung abwarten, um zu begreifen, inwiefern,das allgemeine Wohl‘ durch die Reden in Offenburg unddie 13 Artikel gefährdet war. Nur soviel wissen wir, daßman in Großbritannien, in Belgien u.s.w. ganz andere Ver-sammlungen gehalten hat, als das Meeting an der Kinzigwar – man verbot sie nicht, und das allgemeine Wohl bliebungefährdet.“22

Auf den Inhalt des in Offenburg beschlossenen 13 Punkteenthaltenden Forderungskatalogs ging dann die Betrach-tung vom 29. September ein, in der folgende Bewertung zulesen ist: „Wir hatten bei Gelegenheit der Offenburger Ver-sammlung das Programm in Kürze mitgeteilt und die Be-merkung hinzugefügt: Neues und Unerhörtes sei Nichtsdarin, denn in der That war jeder der einzelnen dreizehn Ar-tikel seit 16 Jahren auf irgend eine Weise angeregt, als Peti-tion oder Motion behandelt und von der großen Mehrzahldes badischen Volkes als eine gerechte politische Forderungbetrachtet worden; wir hatten daher weiter bemerkt, wirsähen nicht ein, wodurch die Offenburger Versammlung dieraschere Zeitigung der lange ersehnten Frucht beschleuni-gen wolle – ein Bedenken übrigens, das wir durch die Er-

fahrung recht bald beseitigt zu sehen wünschen. Im Übrigentheilten wir das Programm mit, weil dessen Inhalt die besteAntwort schien auf die ohne Zweifel auftauchenden De-nunziationen gewisser Blätter.“23

Es hieße, ihn der Selbstverleugnung zu bezichtigen,wollte man nach Lektüre dieser Artikel Karl Mathy unter-stellen, an den Vorbereitungen zur Heppenheimer Ver-sammlung mitgewirkt zu haben in Reaktion und Abwehr-haltung gegen die von ihm beschriebenen und verteidigtenBestrebungen bei der Offenburger Versammlung. Im Ge-genteil, es ist uneingeschränkt dem Urteil Ludwig Berg-sträßers zuzustimmen, der in der Berichterstattung der,Deutschen Zeitung‘ einen zwar „leisen Spott, wie ihn derVerfasser der Notiz, Mathy, oft genug zur Verfügung hatte“,erkennt, der aber zugleich betont, daß „daneben ... jedochdas Gefühl der Solidarität durchaus“ überwiege.24

5. Die Diskussion in der Forschung

In Anbetracht dieser nur als eindeutig zu bezeichnendenQuellenlage stellt sich die Frage, wie es in einem Akt derTatsachenverdrehung dazu kommen konnte, daß heute inder Geschichtsdarstellung beinahe unisono von der Hep-penheimer Versammlung als einem reaktiven Akt auf dieKunde von der Offenburger Volksversammlung gesprochenwird. Eine Spur findet sich dabei im Mathy-Nachlaß: Es istein Brief des Konstanzer Bürgermeisters Karl Hüetlin anKarl Mathy vom 18. Oktober 1847. Da die Argumentationdieses Schreibens, wie im Folgenden auszuführen seinwird, maßgeblich als Beleg für den reaktiven Charakter derHeppenheimer Versammlung herangezogen wird, sei derBrief an dieser Stelle ausführlich zitiert: „Die MannheimerRückbewegung (die Reaktion der badischen Behörden aufdie Offenburger Versammlung, R.H.) hat der ,echten‘ gutenSache recht sehr geschadet .... Das Offenburger Manifest,die rücksichtslose, wirklich freche Kriegserklärung der dreiZeitungsschreiber (gemeint waren wahrscheinlich Fickler,Hoff und Struve, R.H.) gegen das Ministerium Bekk ..., dieBesudelung und Verdächtigung so vieler, bisher stets ge-achteter und von der Fortschrittspartei selbst als Prototypenaufgestellter Volksmänner, unter denen auch Sie mit Bas-sermann, Zittel u.a.m. mit Kot sind beworfen worden, –kurz, der ganze hirnlose Zank der ,Ganzen‘ mit den ,Hal-ben‘ –, all dies sind Manöver, welche die Sache in über-

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stürzender Weise auf die Spitze treiben und deswegen na-menlos und unwiderbringlich schaden ... Es steht zu erwar-ten, daß Struve nicht ablassen wird, die Spreu von demKorne zu sondern, und daß die Offenburger Adresse, in Ge-stalt von Petitionen durchs Land verbreitet, das Sieb wirdsein sollen zu solchem Behufe; dann aber wird es brechen,und man wird sehen, daß die Bürgerschaften zurücktretenwerden von einer Partei, welche sich allem Bestehendenentgegenstellt, und deren stehendes Heer die bethörtenHandwerksburschen und beutelustigen Schüler Babeufssein sollen. ... Es wäre mir sehr lieb, hierüber Ihre aufrich-tige Ansicht zu hören.“25 Deutliche Worte fürwahr, die da anMathy gerichtet sind. Aber eben nicht Mathys Worte, unddiese mangelnde Differenzierung zwischen Absender undAdressaten könnte bei der Benutzung dieser Quelle in derVergangenheit zu Verwirrung geführt haben, wie an einemBeispiel exemplarisch dargestellt werden soll. Franz XaverVollmer26 zitiert den Brief von Hüetlin in Auszügen – je-doch ohne Autoren- und Datumsangabe – und interpretiertseinen Inhalt als die „Sicht der Konstitutionellen“. DiesemAuszug schließt er den Text des Einladungsschreibens vonMathy an Franz Peter Buhl zur Teilnahme an der Heppen-heimer Versammlung mit der Formulierung „schreibtMathy postwendend am 22. September 1847“ an und fährtfort: „In einem so organisierten Treffen der Kammerlibera-len im Oktober 1847 in Heppenheim sprechen die Führerdes südwestdeutschen Liberalismus aus Baden, Württem-berg, Hessen-Darmstadt und Nassau ihr Vorgehen in denLänderkammern ab.“ In mehreren Punkten ist diese Formdes Quellenumgangs und daraus abgeleiteter Argumente zukritisieren: Erstens in der Verallgemeinerung der in demSchreiben des Konstanzer Bürgermeisters Hüetlin zumAusdruck kommenden ablehnenden Haltung gegenüberder Offenburger Versammlung als einer Einstellung derKonstitutionellen schlechthin. Zweitens in der sinnentstel-lenden Verdrehung der zeitlichen Abfolge der Schreibenvon Mathy an Buhl, von Hüetlin an Mathy sowie des Ter-mins der Heppenheimer Versammlung. Mathys Einla-dungsschreiben an Buhl datiert vom 20. September, dasTreffen selbst findet am 10. Oktober statt und Hüetlinschreibt an Mathy unter dem Datum vom 18. Oktober.Mathy kann also gar nicht „postwendend“ auf den alarmie-renden Brief Hüetlins reagieren und in Folge das Treffen inHeppenheim organisieren, es hatte schon längst stattgefun-den. Drittens reduziert Vollmer die Heppenheimer Zusam-

menkunft durch die unvollständige Aufzählung der Her-kunft der Teilnehmer zu einem rein süddeutschen Treffen;er vergißt mit Hansemann nicht nur das rheinpreußischeElement, sondern zugleich den Initiator, ohne den, wie obenausgeführt, die Versammlung überhaupt nicht stattgefundenhaben würde. An diesem Beispiel für den Umgang mit hi-storischen Quellen läßt sich Langewiesches Warnung nurbekräftigen, der unter Verweis auf die Darstellungen derRolle prominenter Akteure der badischen Revolutionmahnt, daß die Geschichtswissenschaft die Mythen undihre Bedeutung für die Geschichte erforschen solle, sie abernicht als Richtschnur ihrer Forschung dienen dürften.27 DieFrage drängt sich auf, ob die Geschichtswissenschaft nichtbisweilen postum erst an besagter Mythenbildung beteiligtist.

6. Vereinbarung über Ort und Termin des Treffens

Die weiteren Informationen, die wir aus den oben ge-nannten Schilderungen über die Vorbereitung des geplantenTreffens entschiedener Deputierter entnehmen können,geben – wenn auch nur bruchstückhaft – Aufschluß darü-ber, wie es kommt, daß ausgerechnet Heppenheim an derBergstraße Schauplatz der geplanten Zusammenkunft wer-den sollte. „Dort wurde ich nun ... zu meiner Verwunderungüberzeugt, daß sogar der Ort, wo man sich besprechenwollte, Anstände erregte. Mannheim, was man von Seitender Mannheimer vorschlug, war, wie Hansemann sagte,manchen Rheinländern zu liberal; Hallgarten, was ich ihnenanbot, erregte sogar Schrecken. So trennte man sich, daHansemann einen Ort suchen wollte“, so Itzstein in seinerDarstellung gegenüber Blum.28 Auch Bassermann erinnertsich an die Rolle, die Hansemann bei der Wahl des Ta-gungsortes zukam, er präzisiert aber zugleich möglicheGründe für dessen Entscheidung: „... und Hansemannmachte sich auf den Weg, teils um einen geeigneten Ort, wounsere Zusammenkunft weder auffallen noch gestört seinwürde, ausfindig zu machen, teils um Teilnehmer für die-selbe zu werben.“29 Aus dem Vergleich dieser beiden Aus-sagen lassen sich einige Motive für die Wahl Heppenheimsals Veranstaltungsort ableiten. Es ging primär wohl darum,einen Ort zu finden, der einen ungestörten und unbeobach-teten Ablauf der Tagung gewährleistete. Mannheim schien

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dafür ebensowenig in Frage zu kommen wie Hallgarten.Die Absage an Mannheim läßt sich wohl am ehesten dahin-gehend erklären, daß hier die badische Hochburg der Libe-ralen war, stammten doch mit Mathy, Bassermann, Itzsteinsowie Hecker die führenden Köpfe der Opposition vondort.30 Bei dem Bekanntheitsgrad dieser Persönlichkeitenwäre die Zusammenkunft in Mannheim gewiß nicht unbe-merkt vonstatten gegangen. Der „Schrecken“, den nach Itz-stein das Angebot hervorrief, sich auf seinem Gut Hallgar-ten im Rheingau zu versammeln, läßt sich mit Blick in zeit-genössische Polizeiakten nachvollziehen. Danach stand dasItzsteinsche Anwesen auch 1847, wie schon in den Jahrenzuvor, im Mittelpunkt des Interesses der Reaktion: „Es istmir die Nachricht zugegangen, daß wie im vorigen Jahre, soauch im Laufe des diesjährigen Sommers eine Versamm-lung von Männern der sogenannten liberalen ParteiDeutschlands auf dem Gute des von Itzstein im Rheingaustattfinden soll. ... Indem ich Exc. hiervon ergebenst inKenntniß setze, ersuche ich Sie, diesem Gegenstand gefäl-ligst Ihre besondere Aufmerksamkeit widmen und sich zu-gleich baldgefälligst gegen mich darüber aussprechen zu

wollen, ob Ihnen etwa ein völlig zuverlässiger ... Mann be-kannt ist, dem man seiner Zeit den Auftrag anvertrauenkönnte, sich von den Theilnehmern an jener Versammlungund von den Vorgängen in derselben Kenntniß zu verschaf-fen und darüber Bericht zu erstatten. Sollten Ihnen nähereNachrichten über die fragliche Zusammenkunft bekanntwerden, so bitte ich ergebenst um deren gefällige unge-säumte Mittheilung.“31 Es ist anzunehmen, daß die jährli-che Überwachung der Zusammenkünfte bei Itzstein auchden Oppositionellen nicht verborgen geblieben war und in-sofern erklärt sich ihr Erschrecken auf das Angebot Itz-steins, sich auf Hallgarten zu treffen.

Unzweifelhaft ist, daß sich Hansemann selbst, obschonortsfremd, auf die Suche nach einem geeigneten Ort für dieZusammenkunft machte, worauf auch Rudolf Haym unterBezugnahme auf ein Gespräch mit Bassermann am 6. März1849 hinweist: „Bassermann gab Zeugnis von Ihren wühle-rischen Rundreisen für die Freiheit und Einheit unseres Va-terlandes, und wie Sie jenen Gartensaale in Heppenheimaufgespürt und dorthin die Gleichgesinnten eingeladen.“32

Zwar sind mit Dürkheim und München einzelne Stationen

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Der „Halbe Mond“ in Hep-penheim, Tagungslokal derVersammlung vom Oktober1847.

Stahlstich um 1840 vonE. Grünewald und G. Lam-bert. Original: MuseumHeppenheim.

dieser Rundreise Hansemanns bekannt, doch läßt sich überdie definitiven Gründe für die Wahl auf Heppenheim nurspekulieren. Ein wesentliches Moment wird wohl die Tat-sache gewesen sein, daß mit der Main-Neckar-Bahn unddem im Jahr zuvor aufgenommenen Bahnbetrieb Heppen-heim trotz seiner geographischen Randlage an der Süd-spitze des Großherzogtums Hessen-Darmstadt für die insAuge gefaßten Teilnehmer aus dem Süden wie auch ausRheinpreußen relativ gut erreichbar war. Zudem muß sei-nerzeit das Gasthaus „Zum Halben Mond“, in dem man sichschließlich verabredete, schon einen überregional bekann-ten Ruf gehabt haben. In Gehentfernung zum neuen Bahn-hof und zugleich für die schon am 9. Oktober anreisendenVersammlungsteilnehmer gediegene Übernachtungsmög-lichkeiten bietend war mit dem „Halben Mond“ in Heppen-heim eine Versammlungsstätte gefunden, die die erforderli-che Abgeschiedenheit bei gleichzeitig günstiger Erreich-barkeit und gastronomischer Infrastruktur in scheinbaridealer Weise vereinigte. Daß dies aber nicht alle zur Teil-nahme Aufgeforderten aus der Ferne ebenso gesehen hät-ten, verdeutlicht eine Randnotiz Hermann von Beckerathsan Gustav Mevissen vom 7. Oktober 1847: „An Hansemannhabe ich direkt nach Heppenheim – der Ort ist übrigens füruns Rheinländer nicht glücklich gewählt – geschrieben.“33

Der Termin 9./10. Oktober 1847, für den die Zusammen-kunft schließlich einberufen wird, ergibt sich in logischerFolgerung aus der regen Reisetätigkeit Hansemanns durchden deutschen Südwesten und der Notwendigkeit, den Or-ganisatoren sowie dem eingeladenen Teilnehmerkreisgenügend Zeit zur Vorbereitung zu lassen. Ab dem 20. Sep-tember verlassen die einzelnen Einladungsschreiben ihreAbsender, mit der jeweiligen Aufforderung an die Adressa-ten, ihrerseits aktiv zu werden und aus eigenem Ermessenweitere Freunde einzuladen.34 Ein solches ,Schneeballsy-stem‘ erforderte einen gewissen zeitlichen Vorlauf.

7. Ans Licht der Öffentlichkeit:Karl Mathy in der ,Deutschen Zeitung‘

In einer Art Zwischenbilanz könnte man anhand der bis-her zur Heppenheimer Versammlung zusammengetragenenInformationen einen Vergleich mit den in früheren Jahrenabgehaltenen Treffen von Oppositionellen anstellen. Alseine erste Gemeinsamkeit fiele dabei das hohe Maß an Kon-

spiration auf, unter der die Zusammenkünfte stattfanden.Ob Itzstein und seine Besucher dabei wußten, daß ihre Tref-fen in quasi ritualisierter Form von den Sicherheitsbehör-den überwacht wurden, sei dahingestellt. Fest steht, daß esangesichts drohender Repressionen erstes Ziel der Teilneh-mer bisheriger Veranstaltungen war, die Treffen geheim undsomit ohne öffentliche Resonanz abzuhalten. Auch dasHeppenheimer Treffen bahnt sich in solcher Form an, wieschon das komplizierte Einladungsverfahren belegt. Hin-sichtlich des eingeladenen Personenkreises lassen sich dannaber erste Unterschiede erkennen. War es in der Vergangen-heit offenbar ausschließlich der Umstand persönlicher Be-kanntschaft und Freundschaft, der ausreichte, um auf eineimaginäre Einladungsliste zu gelangen, so kamen für dieEinladung zur Heppenheimer Versammlung weitere Krite-rien hinzu, die vom potentiellen Adressatenkreis zu erfüllenwaren: vorweg war ein Abgeordnetenmandat verlangt. Mitdieser formalen Anforderung war ein ganz wesentlichesund ebenso einfach kontrollierbares Unterscheidungskrite-rium zu den früheren Zusammenkünften gegeben, das sichauf die personale Zusammensetzung auswirken sollte.Schwieriger wird die Frage nach der Unterscheidbarkeit zuvorangegangenen Treffen hinsichtlich jener Anforderung,die die Möglichkeit zur Teilnahme in Heppenheim voneinem bestimmten politischen Glaubensbekenntnis abhän-gig machte: Die erforderliche Geistesverwandtschaft solltein „konstitutioneller“ Gesinnung zum Ausdruck kommen.Bei aller Schwammigkeit, die einer solchen Definition inder postumen Betrachtung zu eigen sein mag – solltendamit nun besonders konservative Kammermitglieder vonder Teilnahme in Heppenheim ausgeschlossen werden, oderwollte man einen Damm gegen mögliche ,Republikaner‘errichten –, die derart Angesprochenen wußten offensicht-lich sofort Bescheid, wie wir dem Brief Buhls an Dennigmit dem Hinweis auf die zu erwartende Richtung des Tref-fens entnehmen können: „Aus den Namen, die ich Dir hiernannte erkennst Du die Tendenz der Sache.“35

Eine neue Qualität in der politischen Agitation der libera-len Bewegung vor 1848 erhält das Heppenheimer Treffenschließlich durch jenen Schritt, der das Treffen an derBergstraße erst hatte berühmt werden lassen: der Publika-tion der Besprechungsergebnisse durch die Presse. Daß dieEntscheidung dazu weder von vornherein feststand, nochdaß sie unumstritten gewesen wäre, darüber klärt uns Bas-sermann auf: „Ehe aber am Abend die Freunde schieden

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trug ich darauf an, über unsere Zusammenkunft, derenZweck und Ergebnis in öffentlichen Blättern zu berichten.Ohne dieses war der ganze Zweck verfehlt, die Teilnahmeder Nation nicht gewonnen, nach oben keinerlei Eindruckhervorgebracht. Dem ohngeachtet zeigte sich bei manchenTeilnehmern keine besondere Neigung für dies öffentlicheVerfahren, doch war der Antrag nicht zu verwerfen unddurch Mathy erfolgte die geeignete und vorsichtig gefaßteMitteilung in Nr. 107 der ,Deutschen Zeitung‘.“36 DieserSchritt also war es, der Heppenheim heraushebt aus dembisherigen Bemühen um Absprache und Koordination aufSeiten des Liberalismus. Dieser Schritt war es zugleich, deruns dem Heppenheimer Treffen einen gebührenden Platz inder Geschichtsschreibung zum Liberalismus und zur deut-schen Einheitsbewegung reservieren lassen sollte. Dabei

beruht dieser Anspruch keineswegs nur auf der Sichtnachträglicher Geschichtsschreibung, vielmehr empfandendie Teilnehmer an der Versammlung wie auch außenste-hende Beobachter diese neue Qualität ebenso, wie einemVergleich Karl Jürgens’ zwischen den Treffen auf Gut Hall-garten und dem in Heppenheim in seiner ,Geschichte desdeutschen Verfassungswerkes‘ zu entnehmen ist: „Dem wasoffen in der Presse, und in den Ständekammern und durchsie auf dem verfassungsmäßigen Wege geschah, hattenlängst Einzelne, wenigstens zuerst mehr geheim als öffent-lich, besonderen Nachdruck zu geben versucht. ... Die Ver-sammlungen, deren Seele Itzstein gewesen zu sein scheint,waren nicht geheim, aber auch nicht öffentlich: man ließ dieZeitungen von ihnen nicht reden. Erst die im Herbst 1847zu Heppenheim abgehaltene Versammlung trat völlig an

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Mitarbeiter der „Reichsschneiderei zuFrankfurt am Main“: Heinrich vonGagern, Alexander von Soiron, KarlTheodor Welcker und Friedrich DanielBassermann (v.l.n.r.).Diese Teilnehmer der HeppenheimerVersammlung waren später unter demPräsidium Gagerns Abgeordnete derdeutschen Nationalversammlung inder Frankfurter Paulskirche.

Kreidelithographie 1848/49. Histo-risches Museum, Frankfurt am Main,C 1004.

das Tageslicht und gab in den Blättern Bericht über ihreVerhandlungen.“37 Ein Urteil, das Bassermann uneinge-schränkt teilte: „Gerade in dieser Veröffentlichung lag dergroße Unterschied zwischen dieser Zusammenkunft undden früheren auf Hallgarten, in Sachsen usw. Daher auch sieeine mächtige Anregung nach allen Seiten übte.“38 FünfTage nach der Abreise der Versammlungsteilnehmer lag derBericht Mathys allen Abonnenten der ,Deutschen Zeitung‘vor.39 Die Kunde von dem Treffen und den in Heppenheimgefaßten Beschlüssen schlug bei den zuständigen Ministe-rien der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes ein wieeine Bombe. Es führte zu weit, an dieser Stelle die sich übereinen Zeitraum von mehreren Monaten hinziehende Korre-spondenz der beteiligten Ministerien und Kanzleien darzu-legen40, allein der Verweis auf die Beschwerde des preußi-schen Königs Friedrich Wilhelm IV. über die „Heppenhei-mer und Mannheimer Demagogen“41 mag genügen, um dasEntsetzen und zugleich die Ohnmacht gegenüber dem un-botmäßigen Treiben von Heppenheim anzudeuten. Daß vonder Heppenheimer Versammlung desweiteren eine ihr inder modernen Geschichtsschreibung kaum zugestandeneFolgewirkung bezüglich der schließlich erfolgreichen Ein-berufung der Frankfurter Nationalversammlung ausgegan-gen war, beweist neben den mannigfaltig überlieferten zeit-genössischen Zeugnissen42 nicht zuletzt die protokollarischfestgehaltene Erinnerung der Mitglieder des FrankfurterVorparlaments: „Der Dank der Versammlung wird ausge-sprochen den zu Heppenheim und Heidelberg zusammen-getretenen Männern.“43

8. Schlußbetrachtung

Auf seine rhetorische Frage danach, „in welchem Mo-mente ... die deutsche Revolution von 1848/49 begonnen“habe, listet Veit Valentin eine ganze Kette möglicher Ant-worten auf: „Herweghs rauschende Verse, Feuerbachs ge-dankliche Unerbittlichkeit, Uhlands erschütternde Worteauf dem Frankfurter Germanistentag 1846, ... das zermal-mende Programm der großen Kommunistenführer, ... derLolaskandal ...– das alles war schon deutsche Revolution.“Ohne nun ein einzelnes Ereignis aus dieser Verkettung her-auszuheben führt Valentin dann folgend dennoch eine poli-tisches Ereignis an: „Am 12. Februar 1848 stellte FriedrichDaniel Bassermann in der Zweiten Kammer Badens denAntrag, eine Vertretung der deutschen Ständekammer beimDeutschen Bunde zu schaffen. Der Gedanke war alt; dieZeitumstände gaben ihm zündende Kraft.“44 Dieser Antrag,von den Zeitgenossen eindeutig als Resultat aus dem inHeppenheim verabredeten koordinierten Vorgehen der De-putierten in ihren jeweiligen Abgeordnetenkammern ver-standen, rechtfertigt es erstens, die Heppenheimer Ver-sammlung gedanklich in die oben ansatzweise wiedergege-bene Valentin’sche Auflistung von Revolutionsursachenaufzunehmen, und zweitens, jenem Urteil Bassermanns inseinen ,Denkwürdigkeiten‘ zuzustimmen, wonach schonim Herbst 1847 der „Plan einer Art Vorparlaments, wennauch in bescheidenem Sinne, und in der Meinung, daßaußer diesem noch gar manche andere politischen Ver-sammlungen, Vorparlamente, dem wirklichen würden vor-angehen müssen.“ Und in diesem Sinne ist Bassermanndann auch zuzustimmen, wenn er resümiert: „Heppenheimist so die Wiege des deutschen Parlaments geworden, undso oft ich an dem freundlich gelegenen Städtchen vorüber-fahre, heftet sich unwillkürlich mein Auge auf jenes Gast-haus zum Halben Monde, wo so großes vorbereitet wor-den.“45

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Anmerkungen1 Heinrich Best, Wilhelm Weege: Biographisches Handbuch der Abgeord-neten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 (=Handbücher zurGeschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 8), Düs-seldorf 1996.2 Ebenda, S. 461.3 Rezension von Dieter Langewiesche: in Historische Zeitschrift 264(1997), S. 505 f.4 Roland Hoede: Die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847,Frankfurt am Main 1997.5 Vom allgemeinen Bewertungstrend sich deutlich unterscheidend LudwigBergsträßer: Die parteipolitische Lage beim Zusammentritt des Vorparla-ments, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 6 (1913), Heft 4, S. 594–620. Ebensoein von der gängigen Bewertung abweichendes Urteil bei Werner Boldt:Konstitutionelle Monarchie oder parlamentarische Demokratie. Die Aus-einandersetzung um die Deutsche Nationalversammlung in der Revolutionvon 1848/49, in: Historische Zeitschrift 216 (1973), S. 553–622. Ein selte-nes Beispiel jüngeren Erscheinungsdatums stellt der Aufsatz von KurtDüwell: David Hansemann als rheinpreußischer Liberaler in Heppenheim1847, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Liberalismus in der Gesellschaft desdeutschen Vormärz (=Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 9), Göttin-gen 1983, S. 295–311, dar. Aktuell in Form eines wissenschaftlichen Auf-satzes abgefaßter Vortrag anläßlich einer Festveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung am 4. Oktober 1997 in Heppenheim von Dieter Hein:Vom Gemeinde- zum Eliteliberalismus. Die Heppenheimer Versammlungvon 1847 und die bürgerlich-liberale Bewegung in Deutschland.6 Neben dem oben gemachten Verweis auf das Handbuch von Best undWeege (wie Anm. 1) sei stellvertretend für andere Gerhard Taddey: Lexikonder Deutschen Geschichte. Personen, Ereignisse, Institutionen, Stuttgart1977, genannt, in dem unter dem Stichwort ,Heppenheimer Tagung‘ GustavMevissen als Teilnehmer aufgezählt wird, der, wie mehrere Quellen bele-gen, versehentlich mit einem Tag Verspätung in Heppenheim eintraf undfolglich keinen Einfluß auf Verlauf und Inhalt der Zusammenkunft hattenehmen können. Weniger ein Irrtum, als vielmehr Methode muß unterstelltwerden, wenn in der Darstellung von Autoren aus der ehemaligen DDR dieTeilnahme von Adam von Itzstein oder von Christian Kapp an der Heppen-heimer Versammlung geleugnet wird, da dies ansonsten nicht in das Bildder „um die Macht ringenden Bourgeoisie“ gepaßt hätte, so bei SiegfriedSchmidt: Der Hallgarten-Kreis 1839–1847. Zur Genese des bürgerlichenParteiwesens im deutschen Vormärz, in: Wissenschaftliche Zeitschrift derFriedrich-Schiller-Universität, 13 (1964), Heft 2, S. 221–228, hier S. 226.7 Auf diesen Bewertungstrend verweist auch James Sheehan: Der deutscheLiberalismus von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg,München 1983, S. 64 mit Blick auf die Heppenheimer „Debatten, die all-gemein als eine gemäßigte Antwort an die Offenburger interpretiert wur-den“. Aus der Vielzahl solcher Interpretationen sei hier stellvertretend Rai-ner Koch: Deutsche Geschichte 1815–1848. Restauration oder Vormärz?Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1985, S. 263 zitiert: „Durch die OffenburgerVersammlung geriet der Liberalismus in Zugzwang. 18 führende Vertreter

des west- und süddeutschen Liberalismus kamen am 10. Oktober 1847 ander Bergstraße, in Heppenheim, zusammen.“ Ernst Rudolf Huber: DeutscheVerfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, Der Kampf um Freiheit und Einheit1830–1850, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 3/1988, S. 450, geht in dieserSichtweise noch weiter, indem er nicht nur einen gewissen Zugzwang zumHandeln auf Seiten der Heppenheimer erkennt, sondern zugleich die Rich-tung ihres Handelns zu beschreiben versucht: „Die Offenburger Kundge-bung der Radikalen zwang die südwestdeutschen Liberalen, im Gegenzugihr gemäßigtes Programm zu formulieren, um auf die Regierung zu wirkenund sich von der Linken abzusetzen.“8 Michael Wettengel: Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum.Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogtum Hessen, Her-zogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt, Wiesbaden 1989, S. 49.Ein anderes Beispiel für diese verengende Sichtweise sei für die DDR-Hi-storiographie mit Werner Meyer (Bearb.): Die Revolution in Deutschland1848/49. Auswahl aus dem Sammelwerk „Die Revolution 1848/49“, hgg.von F. W. Potjomkin, Bd. 1, Berlin/Ost 1956, S. 40 f. zitiert: „Die Heppen-heimer Versammlung stand im Zeichen des Kampfes gegen das Offenbur-ger Programm.“9 Ludwig Bergsträßer: Die parteipolitische Lage (wie Anm. 5), S. 596.10 Die wesentlichen Fundstellen bisher abgedruckter Quellen zur Heppen-heimer Versammlung sind: Ludwig Mathy (Hg.): Aus dem Nachlaß vonKarl Mathy. Briefe aus den Jahren 1846–1848, Leipzig 1898; Joseph Han-sen: Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegun-gen 1830–1850, 2 Bde., Essen/Bonn/Köln 1976; Wolfgang Klötzer: UmFreiheit und deutsche Einheit. Unbekannte Itzsteinbriefe aus dem Vormärz,in: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der Einheitsbewegung im 19.Jahrhundert, Bd. 1 (1957), S. 119–155; Paul Wentzcke/Wolfgang Klötzer(Bearb.): Deutscher Liberalismus im Vormärz. Heinrich von Gagern. Briefeund Reden 1815–1848, Göttingen/Berlin/Frankfurt am Main 1959; ErnstRudolf Huber: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,Stuttgart 1961.11 Hierzu boten die auszugsweisen Zitate und zahlreichen Verweise bei VeitValentin: Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1 sowie bei JosephHansen: Rheinische Briefe und Akten, Bd. 2, 1. Teil, wertvolle Hinweise.12 An erster Stelle sind hier die „Denkwürdigkeiten 1811–1855“ von Frie-drich Daniel Bassermann, Frankfurt am Main 1926, zu nennen, sowie dieden Vormärz und die Revolution betreffenden Darstellungen bei WilhelmZimmermann: Geschichte der Jahre 1840 bis 1860, Stuttgart 1861; Ders.:Deutsche Geschichte von 1830 bis 1848, Karlsruhe 1853; Ders.: Die deut-sche Revolution, Karlsruhe 1848; oder auch Karl Jürgens: Zur Geschichtedes deutschen Verfassungswerkes 1848/49, 2 Bde., Hannover 1856.13 Bergsträßer (wie Anm. 5) S. 597.14 Adam von Itzstein an Robert Blum, Hallgarten, 11. November 1847, zit.nach Klötzer (wie Anm 10) Nr. 39.15 Insofern ist Innocenzo Cervelli: Deutsche Liberale im Vormärz, in: Wolf-gang Schieder (Hg.): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vor-märz (=Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 9), Göttingen 1983, S.313–340, hier S. 339, zu widersprechen, der es für „nicht unwahrschein-lich“ hält, „daß Itzstein gerade deshalb nach Heppenheim gegangen ist, um

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zu verhindern, daß es dort aus Opposition zur Offenburger Versammlungzur Spaltung der Bewegung kommen würde.“ Für diese These fehlt in demSchreiben Itzsteins an Blum jeglicher Hinweis.16 Gustav Freytag: Karl Mathy. Geschichte seines Lebens, in: Ders.: Ge-sammelte Werke, Zweite Serie, Band 8, Leipzig 1870, S. 1–418, der dieseRolle Mathy zuschreibt, vertritt eine nicht belegte Minderheitsmeinung:„Daß Mathy ... ein eifriger, sehr tätiger und wichtiger Mitarbeiter war, be-darf kaum der Erwähnung ... Kurz darauf betrieb er eine neue Versammlungvon Abgeordneten aus deutschen Staaten ... Am 10. Oktober trafen zu Hep-penheim unter andern Hansemann und später Mevissen aus Preußen ein“,S. 234.17 Bassermann (wie Anm. 12), S. 12 ff.18 Dieser spöttischen Bezeichnung für die Offenburger Versammlung be-diente sich der Autor in zwei der drei Artikel.19 Nach Hildegard Müller: Liberale Presse im badischen Vormärz. DiePresse der Kammerliberalen und ihre Zentralfigur Karl Mathy 1840–1848,Heidelberg 1986, S. 231 f. trugen Mathys Artikel das Chiffre *; außerdemsei er als Experte für badische Themen anzusehen; nach Ludwig Berg-sträßer, Die Heidelberger ,Deutsche Zeitung‘ und ihre Mitarbeiter, in:Historische Vierteljahresschrift, Jg. 31 (1937), S. 127–161 und S. 343–374,hier S. 135 f. habe Mathy auch unter dem Chiffre ✞ geschrieben, wie über-haupt die Ergebnisse Bergsträßers bezüglich der Deutschen Zeitung nur be-dingt Eingang in die Betrachtungen von Müller gefunden haben. Die dreierwähnten Artikel sind nun wie folgt gekennzeichnet: DZ 17. September1847: „Aus Baden, 15. September“; DZ 26. September 1847: „Heidelberg,✞ aus Baden“ und DZ 29. September 1847: „Baden. * Heidelberg“. Da sichalle drei Artikel jeweils aufeinander beziehen und sie in kurzem Zeitabstandvoneinander erscheinen, ist anzunehmen, daß sie von ein und demselbenAutor stammen. Die Tatsache, daß sie alle drei der Berichterstattung ausBaden zuzuordnen und daß zumindest zwei Artikel mit einem Mathy zu-schreibbaren Chiffre gezeichnet sind, läßt zudem vermuten, daß dieser alledrei Artikel verfaßt hatte.20 Deutsche Zeitung, Nr. 79/1847, S. 628.21 „Auffällig ist, wie wenig Kritik von der ,Deutschen Zeitung‘ an der An-fang September 1847 in Offenburg stattfindenden Versammlung der Radi-kalen geübt wurde“, so Müller (wie Anm. 19), S. 248.22 Deutsche Zeitung, Nr. 88/1847, S. 700.23 Deutsche Zeitung, Nr. 91/1847, S. 724 f.24 Bergsträßer (wie Anm. 5), S. 596.25 Zit. nach Ludwig Mathy (wie Anm. 10), S. 64 f.26 Franz X. Vollmer: Der Traum von der Freiheit. Vormärz und 1848er Re-volution in Süddeutschland in zeitgenössischen Bildern, Stuttgart 1983, S.28 ff.27 Dieter Langewiesche: Die deutsche Revolution von 1848/49 und die vor-revolutionäre Gesellschaft: Forschungsstand und Forschungsperspektiven,Teil II, in: Archiv für Sozialgeschichte 31 (1991), S. 442.28 Adam von Itzstein an Robert Blum, Hallgarten, 11. November 1847, zit.nach Klötzer (wie Anm. 10), Nr. 39.29 Bassermann (wie Anm. 12) S. 13.

30 So auch Freytag (wie Anm. 16), S. 232: „Seine (Mathys, R.H.) VaterstadtMannheim umschloß in ihren Mauern eine ganze Anzahl Abgeordneter derverschiedensten Richtungen, hier wohnten außer einigen Servilen nicht nurBassermann und Mathy, auch Itzstein und Hecker, und entgegengesetzteBestrebungen stießen sich hart um die Köpfe der Bürger.31 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I, 77, Tit VI Spez. Lit.J, Nr. 16, Blatt 173, Preußischer Innenminister von Canitz an den preußi-schen Oberpräsidenten in Koblenz, Berlin, 16. Juni 1847.32 Rudolf Haym an David Hansemann, Frankfurt am Main, 6. März 1849,zit. nach Hans Rosenberg (Hg.): Ausgewählter Briefwechsel Rudolf Hayms(=Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, Bd. 27), Berlin/Leip-zig 1930, Nr. 28, S. 72 f.33 Hermann von Beckerath an Gustav Mevissen, 7. Oktober 1847, zit. nachJoseph Hansen (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 495. Das von Beckerath erwähnteAbsageschreiben, das er zu Hansemann direkt nach Heppenheim geschickthabe, ist weder im Nachlaß Beckerath noch im Nachlaß Hansemann erhal-ten.34 Es sind erhalten die Schreiben von Hansemann an Beckerath vom 20.September 1847, Stadtarchiv Krefeld, Nachlaß Beckerath; von Bassermannan Heinrich von Gagern vom 21. September 1847, Bundesarchiv, Außen-stelle Frankfurt am Main, Nachlaß Gagern, FN 7V/26; von Mathy an Buhl,22. September 1847, Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt am Main, Nach-laß Buhl, FN 4 A 98; von Buhl an Dennig vom 8. Oktober 1847, General-landesarchiv Karlsruhe, Nachlaß Dennig, 69/Dennig, Nr. 202 b.35 Franz Peter Buhl an August Dennig, 8. Oktober 1847, Generallandesar-chiv Karlsruhe, Nachlaß Dennig, 69/Dennig, Nr. 202 b.36 Bassermann (wie Anm. 12), S. 16.37 Jürgens (wie Anm. 12), 1. Abteilung, S. 22f.38 Bassermann (wie Anm. 12), S. 16.39 Auf den Abdruck dieses Artikels wird an dieser Stelle mit Verweis aufdie einschlägigen Quellensammlungen von Hansen (wie Anm. 10), Nr. 178;Walter Grab (Hrsg.): Die Revolution 1848/49. Eine Dokumentation, Mün-chen 1980, Nr. 3; Hans Fenske (Hrsg.): Vormärz und Revolution1840–1849, Darmstadt 1976, Nr. 44, verzichtet. Vollständige Wiedergabeauch in Hoede (wie Anm. 4), S. 97–100. Dort auch ein synoptischer Ver-gleich zwischen dem Offenburger Programm und dem Heppenheimer Be-sprechungsergebnis, S. 102–106.40 Die von Veit Valentin: Geschichte der deutschen Revolution von1848–1849, 2 Bde., Berlin 1930/31, hier Bd. 1, S. 161 ff. angerissenenQuellen sowie weitere Dokumente siehe bei Hoede (wie Anm. 4), Kap. 4.2:Die Resonanz bei den deutschen Regierungen und Höfen, S. 109 ff, sowieim Quellenanhang S. 180–189.41 Friedrich Wilhelm IV. an Freiherrn Christian Carl von Bunsen, Charlot-tenburg 8. Dezember 1847, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbe-sitz, I, Rep. 92, NL Bunsen, 1. Reihe, Nr. 103, Bd. 2.42 Siehe bei Hoede (wie Anm. 4), Kap. 5.8, S. 148–153.43 Verhandlungen des deutschen Parlaments, Frankfurt am Main 1848, Bd.I, S. 172.44 Valentin (wie Anm. 40), Bd. 1, S. 337.45 Bassermann (wie Anm. 12), S. 16.

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„Um halb zehn Uhr abends“ am 3. April 1833 „zeigtensich Haufen Bewaffneter an der Haupt- und Constabler-Wache und drangen plötzlich, indem sie zugleich die aus-stehenden Posten niederschossen, gleichzeitig ein, so daßes dem Militär unmöglich war, sich zu entwicklen und auf-zustellen. In dem Handgemenge wurden mehrere von bei-den Seiten verwundet und getötet, und es gelang den An-greifenden, die Türen der Gefängnisse einzuschlagen. In-dessen entfernten sich die Gefangenen entweder gar nicht,oder sie stellten sich bald wieder; die übrigen, welche bisMorgen sich noch nicht selbst sistiert hatten, sind bereitswieder verhaftet. Auf der Constablerwache verteidigten dieGefangenen sogar den von den Angreifern verwundetenGefangenenwärter. Das Linienmilitär, unter Anführung sei-nes Obersten, säuberte in ganz kurzer Zeit beide Wachen,und die hiesigen Bürger nahmen so wenig Teil an der Meu-terei, daß das Theater, an der Hauptwache liegend, beruhigtzu Ende ging. Die verwundeten und verhafteten Personensind beinahe ohne Ausnahme fremde Studenten, welcheden Angriff geleitet und geführt zu haben scheinen, wasauch der Umstand beweisen möchte, daß ein Trupp dieSturmglocke zog, worauf sich die Bürger nur um so schnel-ler zu versammeln pflegen, weil ihr Ertönen jedesmal einausgebrochenes Feuer bedeutet. Die meisten der verhafte-ten Studenten haben schwarze und rote Bänder bei sich.Einer derselben, Rupner aus Wunsiedel, welcher auf derHauptwache, nach heftiger Gegenwehr gefährlich verwun-det, ergriffen wurde, trug eine Schärpe auf dem Leibe.

Ein Trupp bewaffneter Bauern mit Trommeln und Fahne,der sich in der Nähe der Stadt zeigte, zog sich ohne weitereExzesse, als einige Beschädigungen an einer einzeln nachFriedberg zu stehenden Warte verübt zu haben, zurück. Einanderer Trupp Bauern, dem Vernehmen nach aus dem nas-sauischen Dorfe Kahlbach, hatte die nach Bonamesführende Brücke besetzt, und die Passage gesperrt.

Da sehr viele Fremde unter den Angreifern bemerkt wor-den und höchstwahrscheinlich unter diesen viele verwundet

waren, so waren alsbald alle Stadttore geschlossen und be-setzt, und die zweckmäßigen Anordnungen getroffen wor-den, um dieselben an der Flucht zu hindern. Es scheinen in-dessen, sogleich nach vollbrachter Tat und noch ehe dieseMaßregel ins Werk gesetzt werden konnte, als die Ruhe-störer diesen Plan vereitelt sahen, viele derselben entkom-men zu sein.

Die Nacht war vollkommen ruhig, und das ganze Unter-nehmen stellte sich als einen von außen gemachten Versuchdar, die Stadt mittelst der Befreiung der Gefangenen in Auf-ruhr zu versetzen. Man sagt, daß an mehreren Orten inDeutschland, in diesen Tagen, gleiches versucht werdensolle.

Das Unternehmen diente übrigens nur dazu, den Meute-rern zu zeigen, wie ihre verbrecherischen Pläne an der ruhi-gen und besonnenen Haltung der Bürgerschaft und des Li-nienmilitärs scheitern mußten. Leider hat das Linienmilitärvier Tote und 15 Verwundete, von welchen letzteren fünfsehr gefährlich verwundet sind; von den bereits verhaftetenRuhestörern sind zwei gleichfalls sehr gefährlich verwun-det“.1

Diesem Bericht, den Johann Christian Thomas, der Ge-sandte der freien Stadt Frankfurt, der Deutschen Bundes-versammlung in der 13. Sitzung am Abend des 4. April1833 vorlegte, verdanken wir die erste Darstellung des„Wachensturms“. Die Sitzung war eigens einberufen wor-den, um den „gewalttätigen Angriff gegen die öffentlicheOrdnung und Ruhe in Frankfurt“ zu beraten. An diesem Tagvertrat der sächsische Gesandte Georg August Ernst Frei-herr von Manteuffel den abwesenden PräsidialgesandtenJoachim Eduard Graf von Münch-Bellinghausen. Er befandsich dem Anschein nach im Osterurlaub, lag doch der Sit-zungstermin am Gründonnerstag. Grundlage der Beratun-gen war der eingangs zitierte Bericht, den Frankfurts Ge-sandter als Ergebnis der Untersuchungen der städtischenBehörden der Deutschen Bundesversammlung zur Verfü-gung stellte. Die Gesandten beschlossen nach längeren Ver-

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Der Frankfurter Wachensturmvon 1833

von Hans Schenk

handlungen, einige Sofortmaßnahmen einzuleiten. DieStadt Frankfurt möge die Bundesversammlung über weitereErmittlungen unverzüglich unterrichten und über die zu un-ternehmenden Schritte in Kenntnis setzen, um ähnlicheStörungen von Ruhe und Ordnung zu vermeiden. ZumSchutz der Gesandten ersuchte die Versammlung die Ge-sandtschaften von Österreich und Preußen um militärischeUnterstützung durch die Soldaten der BundesfestungMainz, in der österreichische und preußische Truppen sta-tioniert waren.

Die Gebäude, gegen die sich der Angriff gerichtet hatte,lagen unweit vom Palais der Fürsten von Thurn und Taxis.In diesem bedeutendsten und repräsentativsten BarockbauFrankfurts in der Großen Eschenheimer Straße tagte seit1815 die Deutsche Bundesversammlung, das einzige Ver-fassungsorgan des Deutschen Bundes. Die Hauptwache amRoßmarkt und die Konstablerwache an der Zeil, gehörtezum Kern der Frankfurter Neustadt. Bereits zu Goethes Zeitwar die Straße die wichtigste Verkehrsverbindung, an derGasthöfe und repräsentative Bürgerhäuser standen. DieKonstablerwache an der Südseite der Zeil bildete einenAnbau des Zeughauses der Stadt Frankfurt am Main, des-sen Aufsicht die Büchsenmacher, „Constabler“ genannt,seit dem 16. Jahrhundert innehatten. Schließlich ging dieBezeichnung auf alle Artilleristen und ihr Domizil über.1753 hatte der Rat der Stadt einen Neubau aus Sandstein er-richten lassen. Im Erdgeschoß und im Dachstock befandensich Gefängniszellen. Bei der Verkleinerung der Konsta-blerwache verlegte der Stadtbaumeister 1822 die Wachstu-ben für Militär und Polizei in das Erdgeschoß des Zeug-hauses und die Gefängnisse in den Oberstock des übrigenTeils der Wache. Seit 1866 brachte die preußische Militär-verwaltung in der Konstablerwache eine Polizeistation undeine Haftanstalt unter. 1886 ging sie wieder in den Besitzder Stadt Frankfurt über, und sie verkaufte den gesamtenKomplex an private Unternehmer. Diese legten die Konsta-blerwache nieder und bauten an ihrer Stelle Geschäfts- undPrivathäuser.

Auf dem Platz vor der evangelischen Katharinenkirche,der seit 1712 Paradeplatz hieß, hatte die Reichsstadt Frank-furt ein Wachlokal aus Holz errichten lassen. 1729 bis 1730ersetzte sie es durch ein festes Gebäude. Es diente dem Li-nienmilitär als Hauptwache, in der das städtische JustizamtHäftlinge unterbrachte. Nach dem Umbau von 1904 in einCafé fiel die Hauptwache im März 1944 einem Bombenan-

griff zum Opfer. 1950 erstand die Hauptwache neu, aller-dings mit einfachem Walmdach. Als sie im Zuge des U-Bahn-Baus abgetragen werden mußte, bot sich 1968 dieGelegenheit, die Hauptwache in der alten Form mit demleicht vergrößerten Walmdach originalgetreu wieder aufzu-bauen.

Nach dem Fest in der Ruine des Schlosses in Hambachvom 27. bis 30. Mai 1832 ist der Sturm auf die Hauptwacheund die Konstablerwache in der zeitlichen Nachfolge zueinem Markstein in der revolutionären Bewegung des Vor-märz geworden. Seit dem Hambacher Bekenntnis zur Frei-heit und weiterer ähnlicher politischer Manifestationenhatte der Deutsche Bund die Verfolgung von Angriffengegen die öffentliche Ruhe und gesetzliche Ordnung ver-schärft. Die Bundesversammlung hob im Bundesgesetzvom 5. Juli 1832 das Recht der Vereins- und Versamm-lungsfreiheit auf und verbot die liberale Presse. Jeder Ver-such einer selbst geringen Opposition konnte schon imKeim erstickt werden. Nur wenige Gruppen waren im-stande, der Reaktion die Stirn zu bieten. Den breitesten Wir-kungskreis konnten sich die radikalen Angehörigen desPreß- und Vaterlandsvereins erhalten, der zu Beginn desJahres 1832 gegründet worden war. Sie gingen in die Ille-galität und formten den Verein zu einem Instrument für diegewaltsame Wandlung der bestehenden politischen Verhält-nisse. Unterstützung ihrer freiheitlichen Bestrebungen fan-den sie bei den Studenten, als sich die überwiegende Mehr-heit der Teilnehmer des Stuttgarter Burschentages Weih-nachten 1832 für einen revolutionären Umsturz im Namenvon Einheit und Freiheit Deutschlands mit allen Mittelnaussprach.

Unter den studentischen Burschenschaften – seit demWartburgfest von 1817 waren sie politisch enorm aktiv –nahm die Heidelberger Burschenschaft „Frankonia“ einewichtige Rolle wahr. Sie fühlte sich der Allgemeinen Deut-schen Burschenschaft verpflichtet und gehörte trotz des aufdie fränkische Landsmannschaft abhebenden Namensjenen ersten gesamtdeutschen Verbindungen von Studentenan, die sich an anderen Universitäten die Bezeichnung„Germania“ zugelegt und als Farben Schwarz, Rot undGold gewählt hatten. Als Symbol der deutschen Freiheitund Einheit waren sie verboten.

Auf dem Burschentag in Stuttgart glaubten die Delegier-ten im deutschen Volk eine Stimmung zur Revolution fest-stellen zu können. Die Mehrheit hatte diesem Eindruck fol-

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gend den schwerwiegenden Entschluß gefaßt, angesichtsder anhaltenden Unterdrückung der freien Presse und freienRede müsse die Studentenschaft den „Weg der Revolution“einschlagen, wie es in einem Beschluß zum Ausdruck kam.Weitreichende Folgen erwarteten sich die Burschenschaftervon der allgemein akzeptierten Resolution, die Studentensollten politische Zirkel bilden, in denen sie mit politischinteressierten Bürgern zusammenarbeiten könnten. In derPraxis hatten die Burschenschaften diese Entwicklungschon eingeleitet. Sie unterstützten die Polenvereine, dieden nach Frankreich ziehenden Flüchtlingen nach dem nie-dergeschlagenen Aufstand in Polen vielerlei Hilfe gewähr-ten, und traten für die Forderungen des „DeutschenPreßvereins“ in seinem Kampf um die Freiheit des ge-druckten Wortes ein. Angehörige der Burschenschaft„Frankonia“ bildeten die Delegation, welche die führendenRepräsentanten des Hambacher Festes, Philipp Jacob Sie-benpfeiffer und Johann August Wirth, mit einem Fackelzugehrte. Auf dem Burschentag 1832 in Stuttgart war der süd-westdeutsche Raum, am Unterlauf des Mains und desNeckars zum Brennpunkt der Revolution bestimmt worden,um die Erhebung über ganz Deutschland auszubreiten. DenHeidelberger Franken gelang es, Kontakt zu einer in Frank-furt am Main tätigen konspirativen Gruppierung zu knüp-fen. In Verschwörerkreisen war bekannt, daß der Frankfur-ter „Vaterlandsverein“, aus dem verbotenen „Preßverein“hervorgegangen, einen revolutionären Umsturz plante.

Mitte Februar 1833 begab sich der dem „Vaterlandsver-ein“ angehörende Arzt Dr. Gustav Bunsen von Frankfurtnach Heidelberg. Nach seinem Studium an der Ruprecht-Karls-Universität, wo er sich der „Frankonia“ angeschlos-sen hatte, wirkte er als Militärarzt im polnischen Unabhän-gigkeitskampf von 1830 bis 1831. Unmittelbar nach seinerNiederlassung als Mediziner in Frankfurt zählte er schonzum Vorstand des „Vaterlandsvereins“. In Heidelbergsuchte er die Burschenschaft „Frankonia“ auf, welche da-mals den Vorsitz der Allgemeinen Deutschen Burschen-schaft innehatte. Bunsen setzte die Bundesbrüder voneinem Plan in Kenntnis. In Frankfurt am Main, dem Sitz derDeutschen Bundesversammlung, solle zwischen dem 1.und 6. April ein bewaffneter Aufstand ausbrechen, um einerallgemeinen Volkserhebung ein Signal zu geben. Als unbe-dingt erforderlich bei der Aktion stellte Bunsen die Teil-nahme von vier Burschenschaften heraus. Alle weiteren fürdas Vorhaben gewonnenen Mitglieder sollten sich bewaff-

nen und die ihnen nach Revolutionsausbruch aus Frankfurtzugehenden Anordnungen in die Tat umsetzen. Bunsen fandsofort Unterstützung. Die Burschenschafter brachten einSchreiben in Umlauf, das sich an ausgewählte studentischeGesinnungsgenossen an anderen Universitäten richtete.Sein verschlüsselter Text lautete: „Lieber Freund! Die Hin-dernisse, welche bisher meiner Hochzeit im Wege standen,sind durch meinen Vormund soweit beseitigt, daß ich in derersten Woche des Aprils dieses Fest begehen zu können ge-denke. Der Tag ist noch nicht festgesetzt und wird nochnäher bestimmt werden; es wird mich recht freuen, wennDu mir das Vergnügen Deiner Gegenwart gewähren wirst“.2

Mit der Verbreitung dieser Einladung hatten die Heidelber-ger Burschenschafter ihre Bunsen gemachte Zusage einge-löst. Eine andere Maßnahme führten sie in eigener Initiativeaus. Rund zwanzig verschworene Studenten in Heidelbergbewaffneten sich mit Säbeln, Pistolen und einigen Bajo-nettflinten, übten sich im Gießen von Kugeln und Anferti-gen von Patronen.

Im Auftrag des Vorstands des „Vaterlandsvereins“ unter-nahm zur gleichen Zeit dessen Mitglied, der FrankfurterRechtsanwalt Dr. Gustav Peter Körner, den Versuch, unterden oppositionellen Politikern die Stimmung zu ergründen,sich an einem Aufstand in Frankfurt zu beteiligen. In vielenGesprächen mit politischen Freunden und ehemaligenKommilitonen in Kassel, Göttingen, Halle, Leipzig, Jena,Würzburg und auch in Metz erörterte er die Bereitschaft zurUnterstützung des Plans des „Vaterlandsvereins“. Nach Be-setzung des Bundespalais und Verhaftung der Gesandtender Bundesversammlung sollte an ihre Stelle eine proviso-rische Zentralgewalt mit dem Ziel treten, ein Vorparlamenteinzuberufen. In Kassel konnte Körner Professor SylvesterJordan, den Oppositionsführer im kurhessischen Landtag,in Metz Friedrich Schüler, den ehemaligen Vorsitzendendes Zentralkomitees des „Deutschen Preßvereins“ ausZweibrücken, für das Vorhaben gewinnen. Außer ihnenwaren Johann Adam von Itzstein und Karl von Rotteck alsweitere Mitglieder der Regierung vorgesehen. Gustav PeterKörner genoß in revolutionären Kreisen ein hohes Ansehen.Auf dem Frankfurter Burschentag im Herbst 1831, auf demer die Münchener Burschenschaft „Germania“ als Dele-gierter vertrat, hatte er mit anderen den als „Hochverrat“ an-gesehenen „Tendenzparagraphen“ eingebracht, in dem die„Herbeiführung eines frei und gerecht geordneten und inVolkseinheit bestehenden Staatslebens“ gefordert und von

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den anwesenden Mitgliedern der Allgemeinen DeutschenBurschenschaft mit breiter Zusstimmung angenommenwurde. Als Körner am 17. März 1833 nach Frankfurtzurückkehrte, konnte er dem „Vaterlandsverein“ berichten,daß der Aufstandsplan weitgehend Sympathie gefundenhätte und allenthalben mit tatkräftiger Untersützung ge-rechnet werden könne.

Die militärische Absicherung des Aufstands übertrug derKreis der Verschwörer dem Frankfurter Rechtsanwalt Dr.Franz Karl Gärth. Auch er hatte sich während seines Studi-ums der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft ange-schlossen und wirkte politisch im Zentralkomitee des„Deutschen Preßvereins“. Er galt als Rechtsanwalt von Ruf.Gärth suchte am 3. März 1833 in Großgartach bei Heil-bronn den württembergischen Oberleutnant Ernst LudwigKoseritz auf, der in der Ludwigsburger Garnison stationiertwar. In revolutionären Kreisen war bekannt, daß er den Planeiner Militärrebellion ähnlich dem Warschauer Aufstandvom 29. November 1830 hegte. Über diese Aktion wollte ereine Revolution im Königreich Württemberg auslösen. Sobedurfte es keiner langen Überredung Gärths, Koseritz fürdie Unterstützung der Frankfurter Aktion zu gewinnen,indem er ihn in die Einzelheiten der Planung einweihte.Gärth schilderte ihm die getroffenen Vorbereitungen, daßdas nassauische Militär und zwei preußische Regimenterihre Bereitschaft zur Teilnahme erklärt hätten, die Ver-schwörer bereits über Munition und Waffen verfügen wür-den und die Artillerie des Frankfurter Bürgermilitärs 16 Ge-schütze bereithielte. Auch die nach Frankreich emigriertenpolnischen Soldaten im Depot Besançon würden auf einenWink zum Vorrücken an die badische Grenze warten. Mitihrer Hilfe sollten die Bauern des Schwarzwaldes in Auf-ruhr versetzt werden. Gärth sicherte ihm finanzielle Hilfezu: 150 Goldgulden händigte er Koseritz aus, und einigeTage danach erhielt er eine Überweisung von 313 Gulden,die der Frankfurter Weinhändler und Bankier David Hinkelzur Verfügung stellte.

Nicht nur Koseritz, sondern auch die Verschwörer inFrankfurt schienen mehr und mehr an der Realisierung desPlans zu zweifeln. Obwohl in Großgartach das gemeinsameLosschlagen verabredet worden war, reiste der FrankfurterRechtsanwalt Dr. Peter Neuhoff in der zweiten Hälfte desMärz nach Ludwigsburg. Von Gärth mit einer schriftlichenVollmacht ausgestattet, wollte er Koseritz bewegen, er sollenach Einnahme des Arsenals in Ludwigsburg mit seinen

Truppen nach Frankfurt marschieren und sie mit den dorti-gen revolutionären Einheiten zusammenführen. Koseritzlehnte den Vorschlag ab und hielt an der ursprünglichenVereinbarung fest. Um sich über deren Einhaltung zu ver-gewissern, sandte er den Gürtler Dorn zu Gärth nach Frank-furt. Jedoch bestand dieser darauf, daß von Koseritz dieerste Maßnahme zu erfolgen habe, sonst wäre die ganze Ak-tion in höchster Gefahr. Auf das Zeichen von Koseritz war-teten die Verschwörer in Kurhessen, die Revolutionäre imElsaß und die Artillerie in Frankfurt. Ein Aufschub sei nichtmehr möglich. Gärth verstand es, Dorn zu überzeugen; beiseiner Rückkehr nach Ludwigsburg brachte er Koseritz dieNachricht, in Frankfurt sei alles bestens vorbereitet. ZuGärths Einschätzung der Situation schrieb später GustavPeter Körner: „Er verstand es, unmögliche Dinge als sehrwahrscheinlich hinzustellen…, und weil er selbst überzeugtwar, überzeugte er andere“.3

Inzwischen hatte Ernst Ludwig Koseritz aus den polni-schen Emigrantenlagern Besançon und Avignon die Nach-richt erhalten, dreihundert Polen seien dem Ruf der deut-schen Revolutionäre gefolgt und zur badischen Grenze auf-gebrochen. Gärth hatte ihnen 3000 Goldgulden zugeleitet.Gleichzeitig meldeten sich bei Koseritz zwanzig polnischeOffiziere mit der Nachricht, daß sie in Rorschach undRheineck angekommen wären und auf den Befehl warteten,die Revolution, wie verabredet, im Schwarzwald zu entfa-chen. Genau zu der Zeit, als in Frankfurt am 3. April derAufruhr ausbrach, erhielt Koseritz durch einen Handlungs-diener aus Frankfurt einen offenen Zettel, auf dem zu lesenwar: „Lieber Koseritz! Wort gehalten! Losgeschlagen unterjeder Bedingung!“4 Die Stunde, die seit langem alle Ver-schworenen in Atem hielt, begann. Aber Koseritz be-schränkte sich darauf, die Ereignisse am Main abzuwarten.

Aus Heidelberg, Göttingen, Würzburg und Erlangenkamen Burschenschafter am 1. und 2. April nach Frankfurt.Zum Teil trugen sie sich unter falschen Namen in die Frem-denbücher der Gasthöfe „Landsberg“, „Donnersberg“, „Pa-riser Hof“ – später nannten sich nach ihnen Fraktionen derNationalversammlung 1848 bis 1849 –, „Stadt Kreuznach“und „Goldener Löwe“ ein. In der Stadt wurde gerade dieOstermesse veranstaltet und unter all den anwesendenFremden konnten die Studenten kaum auffallen. Am Nach-mittag des 2. April versammelten sie sich in einem Neben-zimmer des Gasthofes „Zur Stadt Frankfurt“ im kurhessi-schen Bockenheim im Nordwesten der freien Stadt. Anwe-

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send waren neun Mitglieder des Vorstands des „Vaterlands-vereins“ und 21 Burschenschafter. Den Vorsitz übernahmGustav Bunsen. Er entwickelte den Aktionsplan für denkommenden Tag: Die Studenten sollten den Angriff auf dieHauptwache führen und sie erobern. Zur selben Zeit würdeeine Gruppe von Frankfurter Revolutionären die Konsta-blerwache stürmen und die Kanonen im nebenan gelegenenZeughaus in ihre Gewalt bringen. Die Maßnahmen erschie-nen geeignet, den Aufstand in die Bevölkerung zu tragen.Zweitausend Handwerksgesellen und Bürger, versicherteBunsen, sogar das Militär seien für die Revolution gewon-nen. Der Plan sah vor, durch das Läuten der Sturmglockedes Domes die Bauern in die Stadt zu rufen und die Erhe-bung zur gleichen Zeit in anderen Orten Deutschlands,zumal in Kurhessen, Hessen-Darmstadt und Württemberg,zu beginnen. Den Studenten trug Bunsen auf, nach der er-folgreichen Erstürmung der Wachen mit den Bürgern inKontakt zu treten, um auch sie zur Unterstützung der revo-lutionären Bewegung zu veranlassen.

Einer der Burschenschafter, der Heidelberger Medizin-student Heinrich Eimer, äußerte den Wunsch, an der Zu-sammenkunft der revolutionär gesinnten Frankfurter amselben Abend teilnehmen zu wollen. Diesen Vorschlaglehnte Bunsen mit dem Hinweis ab, die Bürger könnten beidem Auftreten von Fremden in einem konspirativen Kreiskopfscheu werden. Er sicherte zu, an der Zuverlässigkeitder Planung könne kein Zweifel bestehen. Nur äußerlich je-doch gaben sich die Burschenschafter einverstanden. EineReihe von Studenten nahm von der Bockenheimer Ver-sammlung einen ungünstigen Eindruck mit. Nur das einmalgegebene Wort hinderte sie daran, sich dem als aussichtsloserkannten Unternehmen zu entziehen. Gegen Abend kehr-ten die Verschwörer mit der nötigen Vorsicht in die Stadtzurück.

Am Tag des festgesetzten Termins kam es trotz aller Vor-sichtsmaßnahmen der Revolutionäre morgens zu einem un-vorhergesehenen Ereignis. Der bayerische Bundestagsge-sandte Maximilian Freiherr von Lerchenfeld erhielt eine In-formation über einen an diesem Abend geplanten Umsturz.Die Warnung war ihm von dem Rechtskonsulenten AndreasQuante aus Würzburg durch Vermittlung des an der dorti-gen Universität lehrenden Professors Johann Adam vonSeuffert zugetragen worden. Den gerade in Frankfurt wei-lenden von Seuffert hatte Quante, der in Geschäften zurOstermesse gekommen war, von einem ihm in der Frühe

anonym zugeleiteten Schreiben in Kenntnis gesetzt. In nucefaßte dessen Verfasser die Planung des Aufstands zusam-men: „Vaterlandsfreunde aus verschiedenen GegendenDeutschlands haben sich in Frankfurt versammelt. Heuteabend mit dem Schlag zehn wird die Sturmglocke gezogenwerden. Man wird die Haupt- und Konstablerwache stür-men, die Gefangenen befreien, sich der Personen der Bun-destagsgesandten versichern und eine provisorische Regie-rung errichten“.5 Sehr wahrscheinlich sollte Quante, der inWürzburg als Liberaler bekannt war, durch das Schreibenfür den Aufstand gewonnen werden. Freiherr von Lerchen-feld unterrichtete den Älteren Bürgermeister Georg Fried-rich von Guaita, der erst drei Monate im Amt war, von demUmsturzplan.

Dem Frankfurter Senat waren seit 1832 bereits mehrfachHinweise auf unmittelbar bevorstehende Attentate zuge-gangen. Im Januar 1833 teilte das preußische Polizeimini-sterium der freien Stadt Frankfurt mit, daß eine große Meu-terei geplant sei. Der Senat hielt die Nachricht für unglaub-würdig. Auch für den 12. Februar 1833 kam das Gerüchtauf, es sollten am Abend mehrere Anschläge als politischeAttentate erfolgen. Nachdem nur Schreckschüsse abgege-ben worden waren, beruhigten sich die Sicherheitsbehör-den.

Ende März verstärkten sich die Vermutungen, daß einegrößere Aktion bevorstehe. Der Ankauf von Waffen undMunition von einzelnen Personen in großem Ausmaßmußte irgendwie auffallen. Von Jacob Glauth, dem Besitzereiner leistungsfähigen Waffenwerkstatt, erwarb GustavBunsen allein 120 Gewehre, weitere 100 besorgte FranzKarl Gärth in Bonames. Allein drei Zentner Pulver mußtenbeschafft werden, Kugeln waren zu gießen, Fahnen undBinden in Schwarz, Rot und Gold zu verfertigen. Mehrfachbefanden sich aufrührerische Plakate an vielen Mauern. Injenen Tagen war Frankfurt von revolutionärer Atmosphäreerfüllt. Glaubhaft erscheint die Vermutung, der österreichi-sche Präsidialgesandte hätte gerade deswegen die Stadt inden Tagen vor Ostern verlassen. Ob es Zufall war, daßneben Graf von Münch-Bellinghausen auch der preußischeGesandte Carl Ferdinand v. Nagler nicht anwesend war?

Er dürfte ebenfalls einen Hinweis erhalten haben. DenRepräsentanten der größten Staaten des Deutschen Bundesdürfte es nicht unangenehm gewesen sein, durch ihre Ab-reise dem Zwang enthoben zu sein, mit Hilfe scharferPräventivmaßnahmen den Ausbruch einer Verschwörung zu

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verhindern. Der Frankfurter Senat hatte auch von demösterreichischen Residenten, Paul Anton Freiherr von Han-del, eine Warnung erhalten. Weil er nur von Gerüchtensprach, maßen ihr die städtischen Behörden nur wenig Auf-merksamkeit zu. Obwohl von Guaita sich in seiner Zuver-sicht nicht hatte erschüttern lassen, hielt er doch gewisseVorkehrungen für notwendig, wenn diese auch unzurei-chend blieben. Der Ältere Bürgermeister verstärkte die Be-satzung der Hauptwache um zehn auf 51 Mann. Die Wach-mannschaft sollte sich aber, um kein Aufsehen zu erregen,in der Wachstube aufhalten. Das Linienbataillon wurde inder Kaserne in Bereitschaft gestellt, der kommandierendeOffizier erhielt aber keine Instruktion. Eine Verstärkung derKonstablerwache, die mit fünfzehn Soldaten und fünf Poli-zisten besetzt war, unterblieb absichtlich.

Um die gleiche Zeit, als die Anzahl der Soldaten in derHauptwache erhöht wurde, kamen die Studenten derBockenheimer Versammlung gegen acht Uhr abends in denalten Münzhof, in dem Gustav Bunsen wohnte. Sein Vaterwar Münzmeister der freien Stadt Frankfurt gewesen. Hiertrafen sie die neu hinzugekommenen Burschenschafter ausGießen und Freiburg und die Frankfurter Rechtsanwälte,dazu Georg Bunsen, den Bruder des Arztes Gustav Bunsen.Er war Leiter einer pädagogischen Anstalt und hatte einigepatriotisch gesinnte Lehrer ins Vertrauen gezogen, die sichden Verschwörern anschlossen. Hinzu kamen einige Män-ner, die Gustav Bunsen zur Erstürmung der Konstablerwa-che einzusetzen gedachte. Alle Anwesenden erhielten eineschwarzrotgoldene Armbinde, ein Gewehr mit Bajonett und40 scharfe Patronen. Der Rechtsanwalt Peter Neuhoff, derdie Konstablerwache miterstürmen sollte, meinte, das Vor-haben könnte durch Verrat bekannt sein. Als Begründungführte er die Beobachtung an, er habe die Kutsche des öster-reichischen Präsidialgesandten vor dem Haus des ÄlterenBürgermeisters gesehen. Statt seiner hatte sie aber der Re-sident Freiherr von Handel benutzt, der Graf von Münch-Bellinghausen vertrat und von Guaita den erwähnten Hin-weis auf die drohende Gefahr überbracht hatte. Körner undBunsen befürchteten aufgrund ihrer Beobachtungen, daßdie Sicherheitsbehörden von ihrem Vorhaben Kenntnis er-halten und Gegenmaßnahmen eingeleitet hatten. Sie sahensich deshalb veranlaßt, die Verschwörer über die veränderteSituation zu informieren und teilten, wie Körner später be-richtete, dies den Versammelten mit und sagten ihnen, „daßalle, die es wünschten, noch zurücktreten könnten, da die

Sache jetzt viel gefährlicher geworden und ein Fehlschlagnicht unmöglich sei… Aber alle erklärten, daß sie die Sachegründlich überlegt hätten und bereit seien, ihr alles für ihreGrundsätze zu opfern“.6

Um viertel zehn verließen 33 bewaffnete Männer denMünzhof und zogen durch die Münzgasse zum Paradeplatz,wo sie an der Katharinenpforte die anderen Verschwörertrafen. Die Hauptwache lag still, nur ein einziger Wachsol-dat war zu erblicken.

Die beiden Frankfurter Bürgermeister und die Senatorendes Polizeiamtes und des Kriegszeugamtes hatten sich in derWohnung des Jüngeren Bürgermeisters Dr. Johann Kappesam Roßmarkt getroffen. Noch kurz nach neun Uhr abendswaren die Senatoren durch die Straßen gegangen und mit derMitteilung zurückgekehrt, sie hätten nichts Auffälliges be-merkt. Bürgermeister von Guaita zog daraufhin die Uhr undsagte: „Es ist halb zehn Uhr. Wir sind mystifiziert worden“.Bürgermeister Kappes erwiderte: „Es fehlen noch drei Mi-nuten“.7 In diesem Augenblick krachten die ersten Schüsse.Sie ertönten von der Hauptwache her. Auf das Kommando:„Fällt das Gewehr!“ stürmten die Revolutionäre auf dieHauptwache los. Sie riefen: „Hurra! – Freiheit! – Fürstenzum Land hinaus!“ und überrannten den Posten, der Alarmauslösen wollte. Durch den Lärm und das Getümmel wur-den der wachhabende Offizier und seine Mannschaft aufge-schreckt. Aber für ein Eingreifen war es schon zu spät, demOffizier gelang die Flucht, die Soldaten ergaben sich. In derAuseinandersetzung waren mehrere von ihnen verwundetworden, einige schwer. Die Angreifer kamen dagegenglimpflich davon, allein Körner und Bunsen waren leichtverletzt. Die Verschwörer stürmten in das Obergeschoß undsetzten die Gefangenen frei, die sich an der Aktion nicht be-teiligten und in der Dunkelheit untertauchten.

Durch den Kampf aufmerksam gemacht, hatten sich Neu-gierige an der Hauptwache angesammelt. Der Vorfall er-regte sie, aber in seiner Einschätzung waren sie geteilterMeinung. Einige Bürger ließen die Republik hochleben, an-dere schmähten die Soldaten, weil sie zu rasch kapitulierthätten. Die Verschwörer versuchten, die Zuschauer auf ihreSeite zu ziehen, und forderten sie auf, für die Freiheit zukämpfen. In der späteren Untersuchung stellte sich heraus,daß eine Reihe von Bürgern von den Aufständischen Waf-fen entgegengenommen hatte.

Nach ihrer Einnahme war die Hauptwache durch ein klei-nes Kommando abgesichert worden, und eine Abteilung der

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Verschwörer eilte zum Dom. Sie zwangen die Türmersfrauunter Todesandrohung zum Läuten der Sturmglocke. An-schließend zogen sie über die Zeil zur Konstablerwache.Sie wurde von einer kleineren Schar unter Führung des pol-nischen Majors Józef Michalowski angegriffen und erobert.Zu dieser Gruppe gehörten Gärth, Neuhoff und sein Schrei-ber Zwick, einige Gesellen des Waffenhändlers Glauth, Stu-denten aus Gießen und sechs polnische Soldaten. Mehrerehatten ihre Gesichter geschwärzt, die Polen trugen Uni-form, ein anderer nahm eine Larve vor das Gesicht. Mitdem Ruf: „Es lebe die Freiheit! Freiheit und Gleichheit! Re-volution!“8 stürmten sie die Konstablerwache. Bei diesemAngriff wurden die Waffen viel rücksichtsloser eingesetzt,als es bei der Erstürmung der Hauptwache geschehen war.Es floß mehr Blut. Der Posten vor dem Gebäude wurdeschwer verwundet und bei der Verfolgung der flüchtendenSoldaten einer von ihnen getötet. Bei der Befreiung derpolitischen Gefangenen bedrohten die Verschwörer dieFrau des Gefängniswärters mit dem Tode. Als sich einer derHäftlinge ihrer annehmen wollte, wurde er tödlich verwun-det. Vier Soldaten erlitten schwere Verletzungen, auch derGefängniswärter brach nach Messerstichen schwer ver-wundet zusammen. Einige der Angreifer versuchten, dieKanonen zu erobern, es gelang ihnen aber nicht, das Tor desZeughauses zu öffnen.

Unterdessen hatte das Linienbataillon den Befehl er-halten, gegen die Verschwörer vorzugehen. Vom GroßenHirschgraben waren die Soldaten über den Roßmarkt gegendie Hauptwache vorgerückt. Im Gebäude befand sich nurder Würzburger Student Carl Julius Rubener, der im oberenStockwerk irrtümlich noch Posten stand. Von den eindrin-genden Stadtsoldaten wurde er nach heftiger Gegenwehrüberwältigt und erheblich verletzt. Zur Konstablerwacheentsandte der Kommandierende des Linienbataillons 28Soldaten. Es kam zu einem ernsteren Kampf als an derHauptwache. Zweimal gelang es den Verschwörern, denAngriff zurückzuschlagen. Zwei Revolutionäre fanden denTod. Die übrigen flüchteten durch eine Hinterpforte, ließenaber keinen ihrer Toten und Verwundeten zurück. Einer derletzten, welcher der Gewalt trotzte, war Gustav Bunsen.Seinen Mut betonte auch der amtliche Untersuchungsbe-richt.

Zu einem Angriff auf den Sitz der Bundesversammlung,das Thurn- und Taxissche Palais, war es nicht gekommen.Der österreichische Resident Freiherr von Handel hatte die

Torwache verstärkt und 50 Soldaten zur Bereitschaft auf-stellen lassen. Die Zuschauer im nahegelegenen Theater be-merkten von den Unruhen rund um die Hauptwache nichtdas geringste. An diesem Abend spielte man die Oper„Robert der Teufel“, mit der Giacomo Meyerbeer einein-halb Jahre zuvor seinen Weltruhm begründen konnte. Zwei

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Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833. Szene an der „Constabler-Wache“.

Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main.

Tage vorher, am 1. April 1833, fand auf der gleichen Bühneeine Aufführung von Friedrich Schillers republikanischemTrauerspiel „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ statt.

Zur spontanen Volkserhebung, auf welche die Verschwö-rer gehofft hatten, kam es nicht. Die Rebellen mußten resig-nieren und waren zum Rückzug gezwungen. Dreißig Teil-nehmer am Wachensturm konnten aus der Stadt fliehen. DerBefehl, die Stadttore zu schließen, kam erst sehr spät. Zudenen, die sich in Sicherheit zu bringen vermochten, zähl-ten die Anführer: Bunsen, Gärth und Körner. Auch das Aus-rücken bäuerlicher Aufrührer, auf deren Unterstützung dieVerschwörer große Hoffnungen gesetzt hatten, brachtekeine entscheidende Wendung. Einige jüngere Bauernüberfielen und verwüsteten das kurhessische ZollamtPreungesheim. Sie zogen anschließend, durch das Läutender Domglocke geleitet, mit Trommeln und Fahnen in Rich-tung Frankfurt. Gegen halb elf Uhr trafen sie auf einenflüchtigen Verschwörer, vielleicht Peter Neuhoff. Von ihmerfuhren sie, daß die Rebellion zusammenngebrochen war.Auf diese Nachricht hinzogen sich die Bauern zurück.

Die Frankfurter Führer des Wachensturms konnten alsBürger am ehesten in der Stadt untertauchen. Gustav PeterKörner, bei dem Angriff auf die Hauptwache am Arm ver-letzt, fand Aufnahme bei einer befreundeten Familie amRoßmarkt. Am Tag darauf gelang ihm die Flucht in Frauen-kleidung. Seine Schwester half ihm und begleitete ihn nachFrankreich. Später ging Körner mit seiner Schwester in dieVereinigten Staaten. Fünf Wochen lang versteckte sich Gu-stav Bunsen bei seinem Bruder Georg. In die Schweiz ent-kam Franz Karl Gärth und emigrierte später nach England.Allein Peter Neuhoff hatte kein Glück. Zwar floh er nachDarmstadt, doch verhaftete ihn die Polizei wenige Tage spä-ter. Auf dem Weg zur Auslieferung nach Frankfurt ent-wischte er dem begleitenden Darmstädter Polizisten. InKronberg erneut gefaßt verbrachte man Peter Neuhoff indas Kriminalgefängnis in Wiesbaden. Dort erkrankte er anTyphus und starb am 23. Juli 1833.

Die polizeiliche Durchsuchung der Frankfurter Gasthöfenoch in der gleichen Nacht hatte die Verhaftung von sechsBurschenschaftern zum Ergebnis. Sie waren sorglos genuggewesen, sich nicht sofort abzusetzen. Weitere Verdächtigegingen in den nächsten Tagen den Polizei- und Militärstrei-fen ins Netz. Sieben Studenten aus Heidelberg, sechs ausWürzburg, zwei aus Erlangen und einen aus Jena, wie auchdrei Gesellen des Waffenhändlers Glauth und nicht zuletzt

ihn selbst nahm die Polizei in Untersuchungshaft. Glauthhatte den Verschwörern Gewehre und Munition verkauft,aber nicht aus Idealismus, sondern er ließ sich die Ware gutbezahlen.

Eine knappe Stunde hatte der Sturm auf die Hauptwacheund die Konstablerwache gedauert. Mindestens zehn Men-schen waren ihm zum Oper gefallen. Aktenkundig ist derTod von sechs Soldaten, drei Handwerkern und einem Stu-denten. 23 Personen trugen zum Teil schwere Verwundun-gen davon, unter ihnen allein 14 Militärangehörige. Die Mi-litärerhebung in Württemberg und die erhofften Revolutio-nen in Baden, Kurhessen und Sachsen blieben aus. Die drei-hundert polnischen Emigranten, die an der badischenGrenze auf das Kommando zum Einmarsch warteten, unddie zwanzig polnischen Offiziere, die über die Schweiz inWürttemberg einrücken sollten, mußten sich zum Rückzugentschließen.

Scharf reagierte der Deutsche Bund. Die Gesandten derBundesversammlung erwogen ernsthaft, ihren Sitz in einebesser behütete Stadt zu verlegen. Im Gespräch war Re-gensburg; dort hatte seit 1663 der „Immerwährende Reichs-tag“ seine Beratungen abgehalten. Der Präsidialgesandteerklärte in der Sitzung der Deutschen Bundesversammlungam 12. April: „Es kann darüber kein Zweifel obwalten, daßdie Vorfälle vom 3. April nicht bloß gegen die Stadt Frank-furt, sondern auch gegen den Bund gerichtet gewesen sindund Verzweigungen in anderen deutschen Staaten und imAusland haben. Der Angriff auf hiesige Stadt hat nur alsAnfang und Vorspiel weiterer frevelhafter Pläne dienen sol-len, wie das von weitem angelegte und meistens durchfremde Individuen ausgeführte Unternehmen beweist. In-dessen sind auch hiesige Einwohner bei jenem Verbrechenstark beteiligt gewesen und es hat daher in der Natur derSache gelegen, daß erneuten Versuchen durch gemein-schaftliches und kräftiges Einwirken des Bundes und derfreien Stadt Frankfurt begegnet werde“.9 In derselben Sit-zung beschlossen die Gesandten, die Militärpräsenz inFrankfurt durch die Stationierung von zweitausend öster-reichischen und preußischen Soldaten aus der Bundesfe-stung Mainz zu verstärken. Die Unzufriedenheit mit den Er-mittlungsbehörden der freien Stadt Frankfurt veranlaßteden österreichischen Staatskanzler Clemens Lothar WenzelFürst von Metternich am 18. April 1833 zu dem Vorschlag,eine Art Bundesjustiz einzurichten. Zwar folgten die Ge-sandten nicht ganz dieser Vorstellung, sie beschlossen aber,

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eine „Zentralbehörde zur Untersuchung des Attentats vom3. April 1833“ – so lautete der volle Name – mit dem Sitz inFrankfurt am Main einzuberufen. Dieser gelang es übrigensnicht, die genaue Zahl der Opfer festzustellen, weil die Ver-schwörer mit Hilfe solidarischer Frankfurter Bürger ihreToten und Verwundeten verbergen konnten.

Der Senat der freien Stadt Frankfurt fühlte sich durch dieMaßnahmen des Deutschen Bundes verletzt. Er behielt sichvor, die Verfolgung der Verschwörer dem Appellationsge-richt in Frankfurt anzuvertrauen. Im Zusammenhang mitden Strafverfahren ist in einer Stellungnahme des Oberap-pellationsgerichtsrats J. Fr. Hach vom März 1835 festgehal-ten, „welche überaus nachteilige Folgen jener erste verbre-cherische Angriff auf Frankfurt zunächst für diese Stadt, diedurch Bundestruppen besetzt wurde, dann aber auch für

ganz Deutschland dadurch gehabt hat, daß in Frankfurt eineeigene Bundes-Central-Commission (richtig: Bundeszen-tralbehörde) für die politischen Verbrechen niedergesetzt,und nach ihrer Anleitung überall in Deutschland Verhaftun-gen und Untersuchungen wegen solcher Verbrechen vorge-nommen wurden, daß diese Commission auch auf die Un-tersuchungen in Frankfurt wegen der Attentate vom 3. April1833 und 4. Mai 1834 großen Einfluß hat, leidet wohl nichtden geringsten Zweifel. Namentlich geht aber das Bestre-ben dieser Central-Commission dahin, das Ergebnis dereinzelnen, überall in Deutschland stattfindenden Untersu-chungen möglichst geheim zu halten, wie sich unter ande-rem schon daraus ergibt, daß auf ihre Veranlassung jedesZeitungsblatt in Deutschland, welches irgendeine Nach-richt über die obstehenden Untersuchungen ohne offiziellen

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„Flucht der Studenten“1833.

Institut für Stadtgeschichte,Frankfurt am Main. Origi-nal: Historisches Museum,Frankfurt am Main.

Charakter aufnehmen würde, vom Bundestag mit sofortigerUnterdrückung bedroht worden ist“.10

Das Gerichtsverfahren gegen die Teilnehmer am Wa-chensturm nahm über dreieinhalb Jahre in Anspruch. ImOktober 1836 verkündeten die Richter die Urteile überzwölf Angeklagte. Zwei waren inzwischen verstorben, zweiandere geisteskrank geworden. Nur einen sprach das Ge-richt mangels Beweisen frei. Elf Angeklagte fanden dieRichter für schuldig. Einer erhielt eine Gefängnisstrafe von15 Jahren. Gegen alle Burschenschafter sprachen die Rich-ter die lebenslange Zuchthausstrafe aus. Dem StudentenAugust Ludwig von Rochau, später Politiker und Professorfür Geschichte, gelang am Tag nach der Urteilsverkündungzusammen mit seinem Gefängniswärter die Flucht nachFrankreich. Mitte Januar 1837 konnten sechs Burschen-schafter auf einmal fliehen. Vier weitere waren noch inHaft, als die Bundesversammlung die Verbringung in Ge-fängnisse der Staaten durchsetzte, aus denen die Verurteil-ten stammten. An keinem wurde die Strafe vollzogen.Einen, der an einer unheilbaren Geisteskrankheit litt, nah-men die Eltern zu sich; die lebenslange Strafe für die ande-ren Verurteilten wurde in Verbannung in die VereinigtenStaaten umgewandelt.

Wie wird der Frankfurter Wachensturm beurteilt und wel-che Bedeutung hat er für die revolutionäre Bewegung inDeutschland? Die Einschätzung reicht von der Unterstel-lung eines relativ geringen Maßes an Weitblick und Scharf-sinn, der sich zum Nachteil der Aufständischen ausgeschla-gen haben soll, bis zu einer mehr oder minder großen Ver-herrlichung des Mutes der jungen Burschenschafter. DenVerschwörern wird einerseits vorgeworfen, sie hätten als„wahnwitzige Idealisten“ gehandelt. Ihr einziges Motiv indieser „Operetten-Revolte“ wäre ein „unrealistischer Opti-mismus“ gewesen. Betont wird andererseits die hervorra-gende Planung des Unternehmens. Die Hoffnung auf aktive

Unterstützung durch die Frankfurter Bevölkerung wird fürgerechtfertigt gehalten. Nur infolge Verrats sei der Sturmauf die Wachen mißlungen. Vor allem der an dem Angriffauf die Hauptwache beteiligte Student Bernhard Liziuswird dessen verdächtigt, weil er sich in späteren Jahren alsSpitzel Metternichs verdingte. Der Einsatz der Studenten,nach dem Bericht der Stadt Frankfurt die alleinigen Ver-schwörer, war nicht entscheidend. Neben ihnen standenjunge Bürger, wie Ärzte und Rechtsanwälte. Die Stimmungunter der Bevölkerung war auch nicht so gleichgültig, wiedie Burschenschafter am Abend des Wachensturms mein-ten. Die angebotenen Waffen wurden zum Teil angenom-men, und Einheimische, die den Revolutionären beige-sprungen waren, erlitten im Nahkampf Verletzungen. Auchfür die Bundeszentralbehörde stand als Ergebnis ihrer Un-tersuchung zweifelsfrei fest, daß sich im Falle eines Erfolgsdes Aufstands eine große Anzahl der Frankfurter der Bewe-gung angeschlossen hätte.

Zwar schlug der Frankfurter Wachensturm fehl, und er botsogar den willkommenen Anlaß, die revolutionäre Bewe-gung in Deutschland mit aller Härte zu verfolgen. Dennochbleibt festzuhalten, daß er der erste Versuch war, einen revo-lutionären Umsturz durch Kampf herbeizuführen. Mit ihrerAktion, deren Scheitern sie einkalkulierten, wollten die Re-volutionäre ein Zeichen setzen. Gustav Peter Körner notierte1837 in sein Tagebuch: „Wir waren alle der festen Überzeu-gung, daß, wenn auch unser Schritt mißlingen und wir alleden Untergang finden würden, dennoch irgendeine Tat ge-schehen müsse. Wir glaubten an die Wahrheit und Gerech-tigkeit unserer Gesinnung und also auch unserer Handlungzu sehr, um nicht, wenn auch nicht unmittelbar den Sieg un-serer Sache für gewiß zu halten“. Das politische Abenteuerhatten die Wachenstürmer, wie Körner hinzusetzte, in derHoffnung gewagt, „daß jeder vergossene Tropfen Blutesdoch einst tausenfachen Ertrag bringen würde“.11

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Anmerkungen

Mit Anmerkungen ergänzte und im Wortlaut veränderte Fassung des Vor-trages. Nachgewiesen sind direkte Zitate. Für die Darstellung wurden Ar-chivalien des Bundesarchivs und folgende Literatur verwendet: HelmutBock, Frankfurter Wachensturm, Revolution ohne Volksmassen? in: Unzeitdes Biedermeier, Historische Miniaturen des Deutschen Vormärz 1830 bis1848, hrsg. von Helmut Bock und Wolfgang Heise, Köln 1986, S. 95–103;Bernd Häusler, Körner, Gustav Peter, in: Frankfurter Biographie, Personen-geschichtliches Lexikon im Auftrag der Frankfurter Historischen Kommis-sion hrsg. von Wolfgang Klötzer, bearb. von Sabine Hock und ReinhardFrost, 1. Band, A–L, Frankfurt am Main 1994, S. 411f.; Sabine Hock, Bun-sen, Gustav, in: Ebenda, S. 121; Miroslav Hroch, Der soziale Charakter desFrankfurter Wachensturms 1833, in: Aus 500 Jahren deutsch-tschechoslo-wakischer Geschichte, hrsg. von Karl Obermann und Josef Polisensky, Ber-lin 1958, S. 149–169; N. B. Kassandrus, Die Entlarvung der reactionairenUmtriebe vom Wiener Kongress bis zum Frankfurter Wachensturm,Aspekte zu einer Verteidigung der liberaldemokratischen Bewegung,Gießen 1987; Jan Kosim, Ernst Ludwig Koseritz’ Verschwörung in Lud-wigsburg und seine Zusammensetzung mit den polnischen Unabhängig-keitskämpfen, in: Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Erich Wei-nert“ Magdeburg 20, Heft 6/1983, S. 587–598; Hans Schenk, Ansätze zueiner Verwaltung des Deutschen Bundes (bis 1866), in: Deutsche Verwal-tungsgeschichte, Band 2, hrsg. von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh, Stuttgart 1983, S. 155–165; Hans Schenk, Deutsch-polnische Beziehungen 1831 bis 1848, in: Aus der Arbeit der Archive,Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte, Fest-

schrift für Hans Booms, hrsg. von Friedrich P. Kahlenberg, Boppard amRhein 1989, S. 678–698; Lothar Schlicht, Der Frankfurter Wachensturmund die Neuhoffs, Frankfurt am Main 1975; Richard Schwemer, Geschichteder freien Stadt Frankfurt a.M. (1814–1866), 2. Band, Frankfurt a.M. 1912.1 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1833, 13. Sitzung, § 130,S. 381f.2 Zitiert nach: Helmut Bock, S. 96.3 Ebenda, S. 98.4 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1839, 21. Sitzung, Bei-lage 6 zu § 282, S. 834.5 Zitiert nach: Helmut Bock, S. 99f.6 Zitiert nach ebenda: S. 100.7 Zitiert nach: Richard Schwemer, S. 571.8 Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1839, 21. Sitzung, Bei-lage 6 zu § 282, S. 839.9 Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt: DB 1/126.10 Zitiert nach: Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtesder vier Freien Städte Deutschlands, hrsg. von Staatsarchiv der Freien Han-sestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsar-chiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck, 5.Band, Frankfurter Bestände, Teil II, bearb. von Inge Kaltwasser, Köln, Wei-mar, Wien 1994, S. 1159.11 Zitiert nach: Richard Schwemer, S. 564f. und Helmut Bock, S. 103. DasTagebuch Gustav Peter Körners von 1837 und seine Memoiren, die unterdem Titel: Gustave Koerner, Memoirs of Gustave Koerner 1809–1896, ed.by J. Th. McCormach, Iowa (USA) 1909, erschienen sind, standen mir nichtzur Verfügung.

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Die „Hallgartener Versammlungen“ waren über hundertJahre als Politikum, geschweige denn als Vorstufe derFrankfurter Nationalversammlung, kaum beachtet worden.Und auch, als Ricarda Huch sie im Kapitel „Hallgarten“ihres 1930 zuerst erschienenen Buches „Alte und neue Göt-ter“1 als „Keimzellen der Frankfurter Nationalversamm-lung“ apostrophierte, hat dies die Forschung keinesfallsmehr bewegt. Jedenfalls hat Veit Valentin in seiner gleich-zeitig entstandenen deutschen Revolutionsgeschichte2 nochüber Hallgarten hinweggesehen und allein die Offenburger,die Heppenheimer und die Heidelberger Versammlungenals Frankfurter Vorstufen zitiert.

Eigentlich schrieb Ricarda Huch in dem vielverspre-chend „Hallgarten“ überschriebenen und zwischenBetrachtungen über den Frankfurter Wachensturm von1833 und die politischen Mitglieder der Familie Gagern an-gesiedelten Kapitel auch mehr über den badischen Libera-len Johann Adam von Itzstein. Als sie aber auf dessenFührungsstil und seine Umgänglichkeit zu sprechenkommt, fährt sie fort: „Sein Gut Hallgarten im Rheingauwurde der Treffpunkt für die Gleichgesinnten, denen er sichals Wirt von formvoller Liebenswürdigkeit und unerschöpf-licher Laune zeigte. Die Versammlungen in Hallgarten, wodie Gäste in einem offenen Gartensaale edelsten Wein tran-ken, auf den Rhein herabsahen, der zwischen Rebenhügelnglänzte, und den Liedern lauschten, die Hergenhahn ausNassau zur Guitarre sang, kann man die Keimzellen derFrankfurter Nationalversammlung, des ersten deutschenParlamentes, nennen. Politiker aller deutschen Länderkamen hier zusammen und begannen, sich als Körperschaftzu fühlen, als eine Vertretung der Nation... Noch war manvom höchsten Ziele so weit entfernt, daß etwaige Abwei-chungen in den Ansichten nicht bemerkt wurden oder leicht

übergangen werden konnten, weil der Gegner allen ge-meinsam war. Man erörterte die Unhaltbarkeit der öffentli-chen Zustände, man besprach die Kämpfe im [Landes]Par-lament mit ihren Siegen und Niederlagen, man erwog ein-greifende Schritte... Aber das waren doch nur Vorbereitun-gen, deren Heimlichkeit die Geselligkeit würzte; der elek-trische Tropfen Gefahr, den der Gedanke an künftige Tatenin den Wein mischte, machte ihn feuriger und berauschen-der...“3. Soweit Ricarda Huch, die aus der Memoirenlitera-tur schöpft und selbst zur Literatur geworden ist.

Die seit den dreißiger Jahren von dem Oppositionsführerim badischen Landtag Johann Adam von Itzstein auf sei-nem Landgut in Hallgarten im Rheingau organisierten Tref-fen liberaler Politiker aus den unterschiedlichsten Bundes-ländern waren, wie ich im Folgenden darzustellen versu-chen werde, in der Tat erste interparlamentarische Konfe-renzen mit dem Ziel, gemeinsame Strategien für die Lan-despolitik und für eine parlamentarische Alternative zumDeutschen Bund zu entwickeln.

Warum in Hallgarten?4 Vordergründig boten das Itzstein-sche Weingut und die zu erwartenden Kreszenzen natürlichden verlockenden Rahmen für die liberalen Freunde. Vielwichtiger aber war, daß man sich hier freier und unbeob-achteter fühlte als etwa in Mannheim. Und dies in Sicht-weite des metternichschen Besitzes Schloß Johannisberg!

Zudem galt der Rheingau seit eh und je für liberal undwar es auch. Hier hatte sich schon im Mittelalter einesprichwörtliche Freiheit entwickelt, eine eidgenössischeSelbstverwaltung, die auch der Absolutismus nicht ganz eli-minierte, so daß der Soziologe Wilhelm Heinrich Riehl vomRheingau als einem „Bauernland mit Bürgerrechten“schreiben konnte.5

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Die Hallgartener VersammlungenAuf dem Weg zur Frankfurter Nationalversammlung

von Wolfgang Klötzer

Vorgetragen am 14.10.1997 auf dem Seminar „Hessen 1848. 150 Jahre Heppenheimer Versammlung“ der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung im Hotel „Halber Mond“, Heppenheim

Die Rheingauer Freiheitsliebe zeigte sich auch im Vor-märz, als im Anschluß an das Hambacher Fest 1832 die Rü-desheimer auf dem Niederwald einen Freiheitsbaum um-tanzten und auch in Rauenthal und Martinsthal sich der po-litische Protest in feurigen Reden und patriotischen Frei-heitsliedern artikulierte, was zu einigen Festnahmenführte.6 Die „Krone“ in Assmannshausen ist durch ihre An-ziehungskraft auf die deutsch-nationalen Schwärmer undFreiheitsfreunde bekanntgeworden.7 Hier schrieb 1844 Fer-dinand Freiligrath sein sozialrevolutionäres „Glaubensbe-kenntnis“, das den Dichter der politischen Verfolgung aus-setzte.8 Und erst kürzlich ist wieder auf die Bedeutung derliberalen und amerikabegeisterten Weinhändlerfamilie Dre-sel in Geisenheim hingewiesen worden.9 Der Vater JohannHeinrich Dresel (1785–1855), der sich gern den freisinnig-sten Rheingauer nannte, 1846/47 Mitglied der nassauischenDeputiertenkammer war und 1848 sowohl der HeidelbergerVersammlung als dem Frankfurter Vorparlament an-gehörte,10 nannte nicht nur August Follen, Ferdinand Freili-grath und Georg Herwegh seine liberalen Gäste, sondernzwischen 1843 und 1849 häufig auch Heinrich Hoffmannvon Fallersleben. Für Gustav Dresel, der im Vormärz mitvier Brüdern nach Texas auswanderte, schrieb er das schöneGedicht „Wenn dich umspielt der Freiheit Odem“. Mitdeutlicher Zeitkritik stellt Hoffmann die Auswanderung inden Zusammenhang des politischen Freiheitsstrebens undweist auf die bei der Auswanderung mitwirkenden politi-schen Motive hin:11

„Wenn dich umspielt der Freiheit Odemauf Texas’ blumigen Prärien,dann denk’, daß wir auf unserm Bodender Freiheit Blume auch erziehn.Wir wollen gleiche Recht’ und Pflichten,wir wollen keinen Herrn und Knecht,auf Vorrecht, Stand und Rang verzichten,wir wollen Freiheit, Ehr’ und Recht.“Johann Adam von Itzstein (1775–1855)12 war der Sohn

des kurmainzischen Geheimen Rats und Hofgerichtsdirek-tors Edmund Ignaz von Itzstein, der als Syndikus der ober-rheinischen Reichsritterschaft den Adelstitel erhalten hatte.Adam von Itzstein kam 1819 als Hofgerichtsrat nach Mann-heim und gehörte 1822/23 und 1831–1848 der Zweiten ba-dischen Kammer an, wo er in den dreißiger Jahren sein Or-ganisationstalent entwickelte. Bald galt er als der Führer derbadischen Reformpolitiker, zuweilen wurde er als „liberaler

Metternich“ apostrophiert. Bereits 72jährig nahm er an derHeppenheimer und der Heidelberger Versammlung teil undwurde noch zum Vizepräsidenten des Frankfurter Vorparla-ments gewählt. In der Frankfurter Nationalversammlung,wo er sich zum linksliberalen und großdeutschen Demokra-ten bekannte, verblaßte indes seine einstige Popularität,doch gaben ihm immerhin 33 Abgeordnete der Linken ihreStimme in der Reichsverweserwahl am 29. Juni 1848. Kon-sequenterweise folgte Itzstein 1849 noch dem radikal-de-mokratischen Rumpfparlament nach Stuttgart und floh

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Johann Adam von Itzstein (1775–1855).

Stich von J. Kauffmann 1842. Druck von Wagner. Verlag von G. Holtz-mann, Karlsruhe. Historisches Museum, Frankfurt am Main, N 37.202.Foto: Ursula Seitz-Gray.

nach dessen Zwangsauflösung ins Elsaß und in dieSchweiz, konnte aber seit 1850 den Lebensabend auf sei-nem Gut in Hallgarten verbringen. In Hallgarten fand erauch schließlich seine letzte Ruhestätte.13 Sein Grabsteinträgt rückseitig die Inschrift: „Müde von den Jugendkämp-fen deutscher Freiheit ruhet hier ein mutiges Herz“.14

Das über den Weinbergen gelegene ehemalige Itzstein-sche Weingut in Hallgarten, Niederwaldstraße 7, war bis1736 im Besitz der angesehenen Mainzer Kaufmannsfami-lie Hardy. Nachdem der Jurist und mainzische Hofgerichts-rat Johann Franz Itzstein, Sohn des Winkeler GewaltbotenFriedrich Itzstein und Großvater des badischen Liberalen-führers, 1725 Maria Klara Hardy geheiratet hatte, wuchsdas fast 40 Morgen große Gut der Familie Itzstein zu. Seit1837 war Johann Adam von Itzstein Hausherr und Wein-gutsbesitzer. 1855 erbte das Weingut Itzsteins Enkel AdamEisenlohr aus Karlsruhe. Dieser verkaufte 1870 das ge-samte Anwesen an den belgischen Geistlichen Aimé Boone,dessen Initialen noch bis 1993 das Gartentor schmückten.Aber schon 1875 verkaufte Boone an die Fürstin Sophievon Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, geb. Prinzessin von

Lichtenstein. Noch heute befindet sich das Itzsteinsche Gutin löwensteinischem Besitz, doch ist es zur Zeit an dasWeingut Graf Matuschka zu Schloß Vollrads in Winkel ver-pachtet,15 während das historisch bedeutende Gutsgebäude,der eigentliche Ort der „Hallgartener Versammlungen“,1993 verkauft wurde.16

Die Hallgartener Versammlungen17 waren über hundertJahre lang lediglich durch die Memoirenliteratur der deut-schen Einheitsbewegung bekannt und fast legendär undwenig konkret geblieben, zumal ein Nachlaß Itzstein nichtüberliefert ist. Ausschließlich aus diesen literarischen Quel-len, insbesondere von Bassermann, Freiligrath, Hoffmannvon Fallersleben und Rudolf von Gottschall, schöpfte je-doch schon 1830 die eingangs zitierte Ricarda Huch,während Veit Valentin in seiner gleichzeitig entstandenendeutschen Revolutionsgeschichte18 noch über Hallgartenhinweggesehen hat.

Erst als durch einen glücklichen Zufall in den letztenfünfziger Jahren in der Abteilung Frankfurt des Bundes-archivs, vornehmlich in den Nachlässen Buhl und Gagern,40 bisher unbekannte Itzsteinbriefe auftauchten,19 gewan-

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Das Itzsteinsche Weingut inHallgarten, Niederwald-straße 7, von Süden her ge-sehen, renoviert durch dieFamilie Dr. Willner-Lange.

Foto: Dr. Willner-Lange. In: Josef Roßkopf, Gesamt-deutsche politische Zusam-menarbeit als Auswirkungder französischen Juli-Revolution von 1830. Die Hallgartener Zusam-menkunft von 1832. RHEINGAU FORUM1/1998, S. 31.

nen auch die Hallgartener Versammlungen mehr Kontur.Nun erst wurde erkennbar, daß sie mehr waren als feucht-fröhliche Geselligkeit beim Rheingauer Wein, sondern sehrpragmatische Absprachen für mehr Freiheit und mehr De-mokratie im Deutschen Bund.

Aber lassen wir Itzstein selbst zu Wort kommen. Am26. April 1845 schrieb er aus Mannheim an seinen badi-schen Landtagskollegen Franz Peter Buhl nach Deides-heim:20 „...Sie wissen, daß im Jahre 1842/43 bei mir zuHallgarten mehrere Freunde aus Sachsen, aus Altenburg,Hannover, Mainz und Baden freundlich versammelt waren,um sich näher kennenzulernen, ihre politischen Ansichtenauszutauschen und sich über eine, soweit möglich, gleicheHaltung der Kammern, besonders in Betreff der Hauptan-träge, z.B. freie Presse, Öffentlichkeit und Mündlichkeit desVerfahrens, Geschwornengerichte, Verantwortlichkeit derMinister, Militärbeschränkung usw., zu besprechen. Wirwaren alle einverstanden, daß eine solche Annäherung derentschiedenen Männer in Deutschland von großem Nutzensei und in seiner wachsenden Erweiterung nach und nacheine wahre öffentliche Meinung in Deutschland erzeugen,aber auch durch übereinstimmende Anträge in den ver-schiedenen Kammern Eindruck auf die Bundesversamm-lung und auf das Volk machen würde. Es ist zugleich für dieeinzelnen Männer ein wohltuendes Gefühl, ein Lohn für soviele Opfer, so manche gediegne Freunde in allen GegendenDeutschlands zu besitzen. Daraus entstand die Verabredung,sich jeweils jährlich oder alle zwei Jahre wiederzusehen...“

Unter den Gästen, die sich in unterschiedlicher Zusam-mensetzung erstmals wohl 1832, dann regelmäßiger seit1839 in Hallgarten, oft über mehrere Tage, trafen, warenkeineswegs nur südwestdeutsche Liberale, sondern auchsolche aus Hessen, dem Rheinland, aus Sachsen undPreußen. Es mischten sich Rechte und Linke, die sich, ummit Ricarda Huch zu sprechen, ihrer unterschiedlichen Auf-fassungen erst allmählich gewahr wurden. Es gab Beson-nene wie Bassermann, Gagern und Hansemann, Begeistertewie Freiligrath (?) und Hoffmann von Fallersleben, aberauch Radikale wie Friedrich Hecker, Robert Blum, GrafReichenbach und Johann Jacoby aus Königsberg. Zwischenallen suchte Itzstein als beredter und umsichtiger Gastgeberzu vermitteln, doch konnte er und wollte vielleicht auchnicht verhindern, daß die Radikalen in den vierziger Jahrenüberhand nahmen und die Gemäßigten fortblieben oder nurals Zaungäste fungierten.21

Friedrich Daniel Bassermann, der politische ZiehsohnItzsteins, nahm nur einmal, 1840, teil, wohl weil, wie Lo-thar Gall vermutet, er ein Abgleiten ins bloß Geselligefürchtete und die zu praktischen Aktionen führende Dyna-mik vermißte.22 Bassermann schrieb in seinen Erinnerun-gen: „Zu Tisch waren wir in einem offenen Gartensaale ver-sammelt, wo wir des köstlichen Weines genossen. Von da

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Heinrich von Gagern (1799–1880).

Zeichnung von Ratti, Historisches Museum, Frankfurt am Main, C 20.664.

überblickten wir den herrlichsten Fleck deutscher Erde, dengesegneten Rheingau“.23

Auch Heinrich von Gagern hatte sich zunächst vorsichtigferngehalten, obwohl er mindestens von den HallgartenerVersammlungen 1842 und 1843 wußte und von einem Tref-fen in Leipzig im Mai 1845 durch Itzstein unterrichtet war.Doch scheint er am 10. August 1846 Robert Blum in Hall-garten getroffen zu haben.24 Itzstein führte Gagern in diePolitik zurück, indem er im Oktober 1846 mit der Bitte anihn schrieb, den hessischen Regierungsplänen, die gegendie linksrheinischen Freiheiten zielten, nach Kräften entge-genzuwirken. Tatsächlich nahm Gagern, der seit 1845 alsPräsident des Landwirtschaftlichen Vereins von Rheinhes-sen bereits großen Einfluß hatte, im Januar seinen Sitz imhessen-darmstädtischen Landtag wieder ein und erregte mitder von Itzstein initiierten Kampfschrift25 im Sommer 1847die gewünschte Wirkung.

Itzstein hatte – ganz im Sinn des Hallgarten-Kreises – anGagern wie folgt geschrieben:26 „Mein verehrter Freund!Sie werden sich wundern, von mir und von Hallgarten auseinen Brief zu erhalten, und zwar in der Zeit, wo die Herbst-geschäfte den Gutsbesitzer sehr in Anspruch nehmen. Aberes gilt das Wohl des Vaterlandes und die Erhaltung der kost-baren Institutionen, welche das linke Rheinufer bis hiehernoch bewahrt hat. Zwar weiß ich, daß Sie der Mann sind,welcher festhalten wird an diesen Rechten, nach welchenwir [allgemein] streben; auch bin ich gewiß, daß Sie nachKräften dem verderblichen Plane [gemeint ist das für dasgesamte Großherzogtum Hessen-Darmstadt entworfeneeinheitliche Gesetzgebungswerk, womit der linksrheinischgebräuchliche liberale Code Napoléon seine Gültigkeit ver-lieren sollte] Ihrer Regierung entgegenwirken werden. Aberich gab mein Wort, Sie und alle meine Freunde in Rhein-hessen zum kräftigen Entgegenwirken aufzufordern. DiesWort gab ich Hansemann aus Aachen... Hansemann... ver-hehlte nicht, daß Rheinhessen es sei, von welchem nun dieErhaltung der kostbaren Rechte auf dem ganzen linkenRheinufer abhänge. Denn sobald Rheinhessen nachgebe...,so sei es auch in Rheinpreußen und Rheinbayern damit ge-schehen... Sie, lieber Gagern, sind ein Haupt-Mann für dieSache. Das Vertrauen der Bürger hat sich Ihnen zugewen-det. Sie werden mit Erfolg wirken, und ich beschwöre Sie,dies in dem weiten Umfange Ihrer Bekannten zu tun...“

Häufiger Gast in Hallgarten war auch Hoffmann von Fal-lersleben, der Itzstein am 1.9.1844 ein Lied widmete,27 des-

sen Refrain lautete „Vaterland freue dich! Deine Nacht wirdimmer heller. Itzstein, unser Stern, leuchtet nah und fern“und das auf die Melodie „Noch ist Polen nicht verloren“ ge-sungen wurde.28 Auch schrieb Hoffmann von Fallerslebenin Hallgarten an einer Itzstein-Biographie.29

Itzstein war der Meinung, daß der Hallgarten-Kreis jähr-lich oder doch wenigstens alle zwei Jahre zusammentreffensollte, keineswegs nur in Hallgarten. Erwünscht war ein Al-ternieren durch alle Bundesländer, und so wurde für den 18.Mai 1845 nach Leipzig gebeten. Itzstein selbst besorgte dieEinladung an etwa zwei Dutzend südwestdeutsche Libe-rale, u.a. schrieb er auch an Buhl30 und forderte diesen auf,auch Gagern hinzu zu bitten. Anscheinend aber folgten vonden Südwestdeutschen neben Leisler aus Nassau nur Itz-stein und Hecker der Leipziger Einladung, und beide wur-den, da sie nach Berlin weiterreisten, um sich auch dort mitliberalen Freunden zu treffen, prompt aus Preußen ausge-wiesen, was damals die Öffentlichkeit aufs äußerste er-regte.31

Heinrich von Gagern, der bislang den Hallgartener Ver-sammlungen ferngeblieben war, entschuldigte sich ineinem Brief an Franz Peter Buhl vom 9. Mai 1845.32 Ichmöchte diesen Brief zitieren, weil auch er die Bestrebungendes Hallgarten-Kreises sehr deutlich macht: „Die Einla-dung Itzsteins habe ich mir überlegt. Es würde mir vongroßem Interesse sein, die bedeutenden Männer kennenzu-lernen, die sich in Leipzig sprechen wollen, und in demKreis derselben unserer Zeit an den Puls zu fühlen. Fol-gende Gründe bestimmen mich, der Einladung nicht zu ent-sprechen: 1. Die Versammlung besteht oder soll bestehenaus Männern, denen durch das Vertrauen des Volks ein öf-fentlicher Wirkungskreis angewiesen ist, in welchem siedas Resultat ihrer Besprechungen nutzbar machen sollen;das ist bei mir nicht der Fall, und ich mag mich nicht als einbloß Neugieriger eindrängen [Gagern trat erst im Januar1847 wieder in den hessen-darmstädtischen Landtag ein]. –2. Die meisten unter diesen Männern haben in neuerer ZeitGelegenheit gehabt, ihre Gesinnungen auszusprechen oderzu betätigen; sie wissen untereinander, was der eine vondem andern zu halten habe. Die Wenigsten würden aberwissen, was sie von mir zu halten haben; ich würde alsovielleicht ein das Vertrauen störendes Element sein... HabenSie die Güte, lieber Buhl, Herrn v.Itzstein diese Gründemeines Nichterscheinens mit meinem Dank für seine eh-rende Einladung mitzuteilen.“

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Wenn die Überlieferung richtig ist, trafen sich am 9.,10. und 11. August 1846 in Hallgarten über 30 Politi-ker, am 10. August stieß auch Gagern hinzu, der hier mitRobert Blum „flüchtige Bekanntschaft“ schloß, nichtsde-stoweniger eine Aktie von 5 Talern für Blums LeipzigerBuchhandlung, die verdeckte „Unterstützungskasse“ desHallgarten-Kreises, zeichnete.33 Daß sich der Hallgarten-Kreis mehr und mehr radikalisierte, indem Robert Blumdie Führung übernahm, darauf hat Siegfried Schmidt34

hingewiesen. Er belegt dies auch durch Aufzeichnungeneines gewissen sonst nicht näher bekannten G. Lommel,der anscheinend, von Friedrich Hecker eingeführt, 1846in Hallgarten dabei war und als Konferenz-Ergebnis no-tierte:35 „Energische Fortsetzung der Agitation, sowohlim Volke unmittelbar durch Flugschriften und Emissäreals auch in den Ständeversammlungen durch Steuerver-weigerung und andere gemeinsame Oppositionshandlun-gen. Vorzügliche Benutzung der schleswig-holsteinischenFrage zu nationalen Demonstrationen innerhalb undaußerhalb der Kammer. Gründung einer größeren Unter-stützungskasse für verfolgte Patrioten, möglicherweise,Kriegskasse‘ der deutschen Demokratie unter der Firmaeiner Aktienbuchhandlung in Leipzig. Anknüpfung einesnäheren Verhältnisses mit den Arbeitervereinen. Verbin-dung mit den Liberalen in der Schweiz und mit denDeutschen in Nordamerika. Nächstjährige Zusammen-kunft in Leipzig am letzten Septembersonntag. Bis dahinItzstein Geschäftsführer für Süddeutschland und RobertBlum... für den Norden. Für den Fall unerwarteter frühe-rer Ereignisse Zusammenkunft der beiden Genannten mitden zunächst wohnenden Freunden und Einberufung derübrigen.“

Mag sein, daß dieser Gewährsmann die Radikalisierungdes Hallgarten-Kreises übertrieben, zumindest zu sehr pro-nonciert hat. Es ist aber wohl im Kern richtig, daß mit demsich verstärkenden Einfluß von Robert Blum die Hallgarte-ner Versammlungen ins linke Lager drifteten, was die zu-nehmende Reserviertheit der konstitutionellen Liberalenvom Schlage Gagerns, Bassermanns, Mathys und Hanse-manns erklärt. Nicht ganz unberechtigt berichtete derpreußische Innenminister am 19. Juli 1847 an seinen KönigFriedrich Wilhelm IV. über Hallgarten als einen Tagungsortvon „Häuptern der Radikalen“ und brachte damit den neu-erdings aus der Schweiz einfließenden Strom von Flugblät-tern in Zusammenhang.36

Bassermann, einer der seitherigen Hauptgewährsleute fürdie Bestrebungen des Hallgarten-Kreises, hat die For-schung der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung be-sonders durch seine Behauptung37 irritiert, in Hallgartenhabe das Streben nach parlamentarischer Einheit noch hin-ter der praktischen Erörterung der verfassungsmäßigenFreiheiten zurückgestanden. Jene sei erst im Oktober 1847in der Heppenheimer Versammlung, über die wir heute dis-kutiert haben, in den Vordergrund getreten, somit Heppen-heim als die eigentliche Keimzelle des gesamtdeutschen

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Robert Blum (1807–1848).

Lithographie von Claus, Druck von Mercier in Berlin, Verlag von Carl Glück, Berlin. Historisches Museum, Frankfurt am Main, C 25.884. Foto: Ursula Seitz-Gray.

Parlaments anzusehen. In Heppenheim sei man auch zuerstmit den Tagesergebnissen in die Öffentlichkeit getreten,während sich Hallgarten durch den Charakter der Heim-lichkeit, ja der Verschwörung, endlich durch das Überwie-gen feuchtfröhlicher Geselligkeit um den praktischen Nut-zen gebracht habe. Positiv wertet Bassermann allein das ge-genseitige Sichkennenlernen und den Austausch einzel-staatlicher Erfahrungen. Soweit Bassermann.

Wir müssen uns fragen, nachdem uns jetzt so authen-tische und gewichtige Briefe Itzsteins, die sich eingehendmit Hallgarten und den Absichten des Hallgarten-Krei-ses befassen, die Bassermann natürlich nicht kennenkonnte, – wir müssen uns fragen, ob Bassermanns Ur-teil heute noch zu Recht besteht, denn absolute Objek-tivität ist Bassermann, der aus seiner Abneigung gegenden Hallgarten-Kreis zugunsten der mehr gemäßigtenHeppenheimer Versammlung kein Hehl macht, kaum zu-zugestehen. Gewiß, auch Itzstein bestätigt, daß in denHallgartener Versammlungen das Schwergewicht in per-sönlicher Fühlungnahme und Gedankenaustausch lag, undauch Gagern betont dies ausdrücklich in seinem oben zi-tierten Brief vom 9. Mai 1845 an Franz Peter Buhl. Itz-stein läßt aber keinen Zweifel, daß er sich durch die be-absichtigte Gleichschaltung der Kammeroppositioneneine Beeinflussung der öffentlichen Meinung und aucheinen Einfluß auf die Bundesversammlung erhoffte, derenResultat über kurz oder lang nur eine gesamtdeutscheparlamentarische Vertretung sein konnte.

Glücklicherweise hat sich Itzstein auch über die Heppen-heimer Versammlung geäußert, und zwar in einem Briefvom 11. November 1847 an Robert Blum,38 in dem er sichgewissermaßen entschuldigt, daß Blum nicht eingeladenworden war.

Daß es innerhalb der badischen Opposition schon 1845zu Spannungen gekommen war, die zwei Jahre später zumoffenen Bruch führten, ist bekannt und heute schon mehr-fach diskutiert worden. Die Folge war, daß die radikal-so-zialistische Gruppe um Struve und Hecker zur Volksver-sammlung in Offenburg aufrief, der konstitutionelle Libera-lismus, vertreten durch die Herausgeber der HeidelbergerDeutschen Zeitung, sich das von Bassermann so belobteHeppenheimer Stelldichein gab. Es ist auch bekannt, daßder politische Einfluß des alternden Itzstein – er war inHeppenheim bereits 72 Jahre alt – in dem Maße abnahm, alseinerseits die radikalen Elemente seine verbindliche

Führung verschmähten, andererseits junge, selbständigeund wirtschaftlich gut gestellte Kräfte fürchteten, durch denalten Demagogen, der 1845 aus Preußen ausgewiesen wor-den war, kompromittiert zu werden. So konnte es dahinkommen, daß Itzstein 1847 in Offenburg nicht anwesendund in Heppenheim nicht erwünscht war. Dies ergibt sichdeutlich aus der Zufälligkeit seines Hinzutretens zur Vorbe-sprechung zwischen Hansemann, dem Heppenheimer In-itiator, Bassermann und Mathy. Man kann dies auch derTatsache entnehmen, wie entsetzt diese waren, als Itzstein –übrigens sehr beziehungsvoll – Hallgarten als Tagungsortvorschlug. Andere hatten ihm die Organisation abgenom-men, ihn aufs tote Gleis geschoben und wählten ihn be-zeichnenderweise auch nicht in den Heppenheimer Aus-schuß, der für die Landtagsarbeit 1848 gleichgeschalteteReformanträge ausarbeiten sollte.

Die betr. Passage in Itzsteins Brief an Blum lautet: „Ichkam zufällig zu Mathy, in dessen Wohnung das Comptoirvon Bassermann und Mathy ist. Da traf ich, ohne die min-deste Kunde davon zu haben, Hansemann von Aachen. Die-ser trat nun mit dem Plane hervor, sich mit den Badner,Württemberger und den hessischen Deputierten, d.h. mitden entschiedenen, zu verständigen über gemeinsames,gleiches Verhalten in den Kammern, um dadurch einegrößere Kraft zu bekommen; er werde an mehrere Rhein-preußen schreiben. Ich darf wohl voraussetzen, obschon ichnichts Bestimmtes weiß, daß [es] Hansemanns, Basser-manns und Mathys Absicht war, auch mich und die übrigenDeputierten Mannheims einzuladen... Und da ich dem beimir sich damals aufhaltenden Hoffmann v.Fallerslebensagen wollte, daß er mit Hansemann nach Dürkheim fahrenkönne, so schickte ich nach v.Soiron, zu Mathy zu gehen.Dort wurde ich nun, als ich wieder in die Versammlung ge-gangen war, zu meiner Verwunderung überzeugt, daß sogarder Ort, wo man sich besprechen wollte, Anstände erregte.Mannheim, das man von Seiten der Mannheimer vorschlug,war, wie Hansemann sagte, manchen Rheinländern zu libe-ral; Hallgarten, was ich ihnen anbot, erregte sogarSchrecken. So trennte man sich, da Hansemann einen Ortsuchen wollte. Er schien mit den Württembergern, denn erreiste auch dorthin, Heppenheim ausgesucht zu haben, dennbald meldete er uns den Ort und Tag...“

Itzsteins Brief an Robert Blum läßt keinen Zweifel, daßHeppenheim nicht der „parlamentarische Kongreß“39 ge-wesen ist, von dem man eine nachdrückliche Wirkung hätte

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erwarten dürfen. Uns will dies heute nur deshalb so schei-nen, weil wenige Monate danach die sich überstürzendenZeitereignisse die ersehnte gesamtdeutsche Vertretungschneller als gedacht herbeigeführt haben. Nur so erscheintHeppenheim als Vorläufer der Frankfurter Nationalver-sammlung.

Vordergründig war die Heppenheimer Versammlung vom10. Oktober 1847 eigentlich ein Flop und brachte wenigerTeilnehmer zusammen als der Hallgarten-Kreis. Schon derTagungsort blieb lange unklar, bis ihn Hansemann, anschei-nend in Absprache mit den Württembergern, festlegte.Mannheim schien den Rheinpreußen zu liberal; Hallgarten,das Itzstein vorschlug, rief gar Schrecken hervor. Auchhatte man lediglich die Beteiligung rheinischer, badischer,hessischer und württembergischer Deputierter in Erwägunggezogen. Itzstein, der längst der badischen Lokalpolitik ent-wachsen war und auch im rheinisch-südwestdeutschen Li-beralismus nicht mehr sein Genügen fand, war anscheinendder einzige, der in deutlicher Anlehnung an die gesamt-deutschen Zusammenkünfte in Hallgarten die Notwendig-keit der Erfassung eines größeren Kreises vor Augen stellte.(Im Brief an Blum: Es wäre angebracht, „eine Versamm-lung aus Westen und Norden zu veranstalten, um das zu er-reichen, was dem zerrissenen Deutschland so sehr Not tut,nämlich Einigkeit und Vereinigung“.) Aber in Heppenheimwar eher ein beschränkter Kreis zusammengekommen, alsauch die Kurhessen (Wippermann und Schwarzenberg), die

Hessen-Darmstädter (Emmerling und Reh) bis auf Gagernund Wernher absagten und der neben Hansemann einzigeRheinpreuße Mevissen sich um zwei Tage verspätete underst ankam, als alles vorüber war. So traten eigentlich nurBadener und Württemberger, dazu Hansemann, Gagern,Wernher und Hergenhahn zusammen, insgesamt nur 18 Po-litiker. Die Ergebnisse40 blieben demgemäß eher beschei-den, und alle Hoffnung konzentrierte sich auf die für 1848in ausgedehnterem Kreis verabredete Versammlung, fürderen Vorbereitung ein Ausschuß gebildet wurde.

Interessanterweise sollte diese Tagung des Jahres 1848wieder in die Versammlungen des Hallgarten-Kreises ein-münden, der sein nächstes Treffen wiederum für Leipziggeplant hatte. Daß sich Itzstein, der eine Trennung vonRechts- und Linksliberalismus nicht wahrhaben wollte, inHeppenheim für die Fortsetzung der Hallgartener Maximeeinsetzte, hat er Blum mitgeteilt, und er schließt seinenBrief mit der Beschwörung: „Fern sei es von mir, irgend-eine Spaltung zwischen den Brüdern Deutschlands zu be-günstigen. Einigkeit und gemeinschaftliches Wirken, be-sonders auch eine bessere Vertretung der Volksstämme,kann uns allein helfen.“

Dies aber war schon das Jahre zurückreichende Pro-gramm der Hallgartener Versammlung, und Ricarda Huchhatte doch Recht mit ihrer Behauptung, daß die Hallgarte-ner Versammlungen erste „Keimzellen der Frankfurter Na-tionalversammlung“ gewesen sind.

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Anmerkungen1 Neu aufgelegt 1948 u.d.T. „1848. Die Revolution des 19. Jahrhunderts inDeutschland“.2 Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848–1849,2 Bde. 1930/31, Neudruck 1970.3 Huch, 1848 (wie Anm.1), S. 63f.4 Josef Roßkopf, Hallgarten. Abhandlungen zur Geschichte und Kunstge-schichte des Rheingauer Weindorfes, Hallgarten 1991.5 Wolfgang Klötzer, Die Rheingauer Freiheit, in: Nassauische Annalen 68,1957, S. 41–57; ders., Der Rheingau. Freies Land – Freier Geist, in: Rhein-gau Forum 3, 1994, S. 2–9.6 Karl Rolf Seufert, ...ist ein feins Ländlein. Eine Kulturgeschichte desRheingaus, 1983, S. 125.7 Sophie Charlotte Bauer (Bearb.), Die „Krone“ von Assmannshausen,Mainz 1981.

8 Otto Renkhoff, Nassauische Biographie, 2.Aufl., Wiesbaden 1992, S.203; Kurt Roessler, Freiligrath und der Rheingau, in: Rheingau Forum 5,1996, H. 4, S. 2–15.9 Paul Claus, Die Auswanderung von Gustav Dresels Brüdern nach Ame-rika, in: Rheingau Forum 6, 1997, H. 3, S. 30–32.10 Wolf-Heino Struck, Geschichte der Stadt Geisenheim, Frankfurt a.M.1972,, S. 204.11 Ebd., S. 207.12 Josef Roßkopf, Johann Adam von Itzstein. Ein Beitrag zur Geschichtedes badischen Liberalismuus, Phil.Diss.Ms. Mainz 1954, bes. S. 134–145,Selbstanzeige in: Nassauische Annalen 65, 1954, S. 283–285; PaulWentzcke und Wolfgang Klötzer, Deutscher Liberalismus im Vormärz, Göt-tingen 1959, S. 451; Wolfgang Klötzer, Abgeordnete und Beobachter, Kurz-biographien..., in: Paul Wentzcke, Ideale und Irrtümer des ersten deutschenParlaments, Heidelberg 1959, S. 289; Neue Deutsche Biographie X, 1974,S. 206; Rainer Koch (Hrsg.), Die Frankfurter Nationalversammlung

1848/49. Ein Handlexikon der Abgeordneten..., Kelkheim 1989, S. 224;Heinrich Best und Wilhelm Weege, Biographisches Handbuch der Abge-ordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1996,S. 188.13 Josef Roßkopf, Hallgarten, in: Rheingau Forum 2, 1993, H. 1, S. 9–16,hier S. 14.14 Wolfgang Klötzer, Johann Adam von Itzstein. Zur Rheingauer Säkular-feier seines Todestags, in: Nass.Annalen 67, 1956, S. 262–165; eine Abbil-dung des Grabsteins in Klötzer, Der Rheingau (wie Anm.5), S. 9.15 Josef Roßkopf, Das schmiedeeiserne Gartentor des ehemaligen von Itz-stein’schen Gutshauses in der Hallgartener Niederwaldstraße, in: RheingauForum 5, 1996, H. 3, S. 24/25.16 Josef Roßkopf, Kartäuser und „Forensen“ in der Hallgartener Nieder-waldstraße, in: Rheingau Forum 3, 1994, H. 3, S. 33/34.17 Siegfried Schmidt, Der Hallgarten-Kreis 1839–47. Zur Genese des bür-gerlichen Parteiwesens im deutschen Vormärz, in: Wissenschaftliche Zeit-schrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 13, 1964, Gesellschafts- undsprachwissenschaftliche Reihe, H. 2, S. 221–228. – Nach meinem Heppen-heimer Vortrag erschien noch: Josef Roßkopf, 150 Jahre Paulskirchenver-sammlung. Der Hallgartener Kreis um Johann Adam von Itzstein, dieKeimzelle der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49, in: Rhein-gau Forum 8, 1998, H. 2, S. 2–12.18 Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848–1849,2 Bde. 1930/31, Neudruck 1970.19 Wolfgang Klötzer, Um Freiheit und deutsche Einheit. Unbekannte Itz-steinbriefe aus dem Vormärz, in: Darstellungen und Quellen zur Geschichteder deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert 1, 1957,S. 119–155.20 Ebd., S. 144.21 Schmidt (wie Anm.17), S. 224.22 Lothar Gall, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 259.

23 Nach Roßkopf in Rheingau Forum 1/1993 S. 14; der Gartensaal existiertnoch heute.24 Wentzcke-Klötzer (wie Anm.12), S. 382f. Dies bestätigt auch Rudolfvon Gottschall, Aus meiner Jugend. Erinnerungen, Berlin 1898, S. 208, vgl.Roßkopf (wie Anm. 17), S. 7.25 Rechtliche Erörterung über den Inhalt und Bestand der der ProvinzRheinhessen landesherrlich verliehenen Garantie ihrer Rechtsverfassungbei Verwirklichung des Art.103 der Staatsverfassung, Mai 1847.26 Klötzer, Itzsteinbriefe (wie Anm.19), S. 149f.; Wentzcke-Klötzer (wieAnm.12), S. 331f.27 Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinne-rungen IV, 1868, S. 175f.; vgl. Struck, Geisenheim (wie Anm.10,, S. 205.28 Roßkopf in Rheingau Forum 1/1993 S. 15.29 Ebd.30 26.4.1845; Klötzer, Itzsteinbriefe (wie Anm.19), S. 144f.31 Wentzcke-Klötzer (wie Anm.12), S. 294; über den linksliberalen Cha-rakter des Leipziger Treffens vgl. Schmidt (wie Anm.17), S. 225.32 Wentzcke-Klötzer (wie Anm.12), S. 293.33 Ebd., S. 382f.34 Wie Anm.17, S. 225.35 G.Lommel, Hinter den Coulissen, 1859, S. 13; zit. nach Schmidt (wieAnm.17), S. 225.36 Schmidt (wie Anm.17), S. 225.37 Friedrich Daniel Bassenmann, Denkwürdigkeiten, Frankfurt a.M. 1926,S. 4ff.38 Klötzer, Itzsteinbriefe (wie Anm.19), Nr.39, S. 130ff.39 Bassermann (wie Anm.37), S. 16.40 Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsge-schichte, Bd.1, 3.Aufl.1978, Nr.72; Roland Hoede, Die Heppenheimer Ver-sammlung vom 10. Oktober 1847. Frankfurt a.M.1997, S. 102ff.

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„Heppenheim, 10. Okt. Heute waren in dem Gasthausezum ,Halben Mond‘ Kammermitglieder aus verschiedenendeutschen Staaten in freundschaftlichem Kreise versam-melt. Es hatten sich eingefunden: aus Preußen Hansemann;aus Württemberg Federer, Fetzer, Goppelt, Murschel undRömer; aus Baden Bassermann, Buhl, Dennig, v. Itzstein,Kapp, Mathy, v. Soiron, Welcker und Weller, aus HessenGagern und Wernher, aus Nassau Hergenhahn“ – so war esin der „Deutschen Zeitung“ vom 15.10.1847 zu lesen. DerBericht – fast als Kommuniqué zu bezeichnen – stammt vonKarl Mathy; er hat ihn auf Wunsch der Heppenheimer Ver-sammlung formuliert.1 Fast könnte man ihn als „konstitu-tionelle Hofberichterstattung“ bezeichnen; es geht darausdie enge Verflechtung des Kreises um die Deutsche Zeitungmit den Initiatoren der Heppenheimer Versammlung hervor.

Wenn „Heppenheim“ die Antwort auf „Offenburg“ war,2

so kann man die kurz zuvor erfolgte Gründung der Deut-schen Zeitung, angekündigt auf dem letzten gemeinsamenbadischen Oppositionstreffen in Durlach,3 als Antwort aufdie Spaltung in Radikale (Demokraten) und Liberale be-trachten, wie sie hier Ende 1846 zum Ausdruck gekommenwar. Die Deutsche Zeitung als Forum der antirevolu-tionären Verbindung der Liberalen bildete einerseits denGegenpol zu Zeitungen, die wie Struves „Deutscher Zu-schauer“, Ficklers „Seeblätter“, oder Grohes „MannheimerAbendzeitung“ das Forum der Radikalen bildeten. Sie gingaber als ein von vornherein für ganz Deutschland konzi-piertes Blatt in ihren Intentionen viel weiter.

Dies kommt auch in ihrem Programm zum Ausdruck: Inder Konzeption stimmen die Verantwortlichen der Deut-schen Zeitung wie der Heppenheimer Versammlung in vie-lem überein. Sie sollte national, konstitutionell, liberal sein,das waren die Hauptaspekte. Hervorzuheben sind die be-sonderen Rücksichten auf Preußen; man wollte keine anti-

preußische Stimmung verbreiten, aber auf die Erfüllung derpreußischen Verfassungsversprechen dringen. Der Ausbaudes (preußisch bestimmten) Zollvereins als Mittel- undAusgangspunkt der deutschen Einigung war ein weitereswichtiges Ziel: Man solle versuchen, die „öffentliche Mei-nung für die Ausbildung des Zollvereins zu einem deut-schen Vereine“ zu gewinnen.4 Eine – wenn auch begrenzte– innere Verwaltungsstruktur, eine gewisse Kompetenz inauswärtigen Angelegenheiten und vor allem die gemeinsa-men wirtschaftlichen Interessen sollten den Kern, dieKeimzelle für eine nationale Einigungspolitik bilden. DasHeppenheimer Programm stimmt hierin ganz mit dem„Prospectus“ der Deutschen Zeitung vom Juli 1847 über-ein.

Karl Josef Anton Mittermaiers juristisch-politische Korrespondenz

Die engen personellen, auch organisatorischen Verbin-dungen des Kreises um die Deutsche Zeitung mit den In-itiatoren und Besuchern der Heppenheimer Versammlungsollen im folgenden etwas näher betrachtet werden. Damitsoll der Kommunikationszusammenhang der politisch wiez.T. wissenschaftlich-publizistisch und oft auch persönlichverbundenen Wortführer der Liberalen erhellt werden. Wirbegegnen dabei vielen Namen, die auch in einem Quellen-konvolut auftauchen, das nur zum geringeren Teil erschlos-sen ist, aber ein besonderes Interesse für die europäischeWissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts darstellt: dieKorrespondenz des Heidelberger Juristen und PolitikersKarl Josef Anton Mittermaier, des badischen Abgeordne-ten, Präsidenten des Vorparlaments, Mitglieds der National-versammlung, um nur einige Funktionen zu nennen.5 Sein

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Bassermann, Mathy, Mittermaier – eine politisch-wissenschaftliche Korrespondenz im Umfeld

der „Deutschen Zeitung“von Barbara Dölemeyer

umfangreicher Briefwechsel6 ist Gegenstand eines Editi-onsvorhabens des Max-Planck-Instituts für europäischeRechtsgeschichte und des Rechtshistorischen Instituts derUniversität Neapel.7 Die Korrespondenz datiert vorwiegendaus der Zeit zwischen 1830 und 1867 (dem Tod Mittermai-ers). Die Briefe an Mittermaier stammen aus allen LändernEuropas, dazu kommen ca. 200 Briefe aus den USA. Unterden Absendern sind vor allem Universitätsprofessoren,Rechtsanwälte, Richter, Beamte und Politiker vertreten.

Mittermaier war Zentrum eines rechtswissenschaftlichenund auch rechtspolitischen „Network“ von großer Reich-weite. Er unterhielt u.a. eine ausgedehnte Korrespondenzmit Redakteuren oder Herausgebern anderer juristischerZeitschriften im In- und Ausland, die Beispiele für das Wir-ken juristischer Kommunikation in ganz Europa und darü-ber hinaus bietet. Ein umfangreicher Teil seines Briefwech-sels steht auch im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit alsAbgeordneter der badischen Ständeversammlung8 in dendreißiger und vierziger Jahren, als Mitbegründer und Teil-haber der „Deutschen Zeitung“ sowie als Mitglied des Vor-parlaments und der Frankfurter Nationalversammlung1848/49.9 Um nur an seine Funktionen in den Jahren1848/49 zu erinnern, seien genannt: Er war Präsident desVorparlaments, als Abgeordneter der Nationalversammlung(18.5.1848–30.5.1849) war er Mitglied des Wahlprüfungs-ausschusses, Mitglied des Ausschusses für die Reichsver-fassung, Vorsitzender des Gesetzgebungsausschusses sowiedes Ausschusses für die Entwerfung des Gesetzes über dieMinisterverantwortlichkeit.10 In Frankfurt gehörte er zum„Württemberger Hof“, also zum „Linken Zentrum“.11 Erkorrespondierte auch mit vielen Persönlichkeiten, die wieer die Verbindung von Wissenschaft oder Publizistik undPolitik verkörperten. Auf die wichtigsten unter ihnen sollim folgenden eingegangen werden. Einige wenige der hierzu nennenden Briefe, z.B. von und an Karl Mathy, sind be-reits veröffentlicht.12

Die Deutsche Zeitung: „... entschieden inder Sache, doch gemäßigt und anständig

in der Form...“13

Zur Entstehung der „Deutschen Zeitung“ ist bereits vie-les publiziert worden;14 das Bekannte soll kurz zusammen-gefaßt und aus den Briefen an Mittermaier ergänzt werden.Die Konzeption einer liberalen Zeitung für ganz Deutsch-land existierte seit Längerem; bereits 1842 war ein derarti-ges Projekt in Berlin auf Initiative des Ministers Eichhornmit Friedrich Christoph Dahlmann geplant. Der HistorikerDahlmann, den Brüdern Grimm und Gervinus freund-schaftlich verbunden, war bekanntlich wie sie als einer der„Göttinger Sieben“ 1837 der Universität und des Landesverwiesen worden. Er ging nach Leipzig und später nachJena. Das Berliner Projekt einer Deutschen Zeitung war

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Karl Mathy (1807–1868), Unterstaats-Sekretär im Reichsministerium derFinanzen, Abgeordneter des 4. Württembergischen Wahlbezirks (Calw).

Kreidelithographie nach Zeichnung von Philipp Winterwerb, 1848. Druckvon J. Lehnhart, Mainz. Historisches Museum, Frankfurt am Main,C 40.622. Foto: Ursula Seitz-Gray.

fehlgeschlagen; neuerlich ausgesprochen wurde derWunsch vor allem auf der Frankfurter Germanistenver-sammlung von 1846. Auf der Durlacher Versammlung ba-discher Oppositioneller am 29.11.1846 verkündeten die ba-dischen Liberalen (unter ihnen Mittermaier, Mathy,Welcker, Zittel15), als die Differenzen mit den Vertretern ra-dikalerer Ansichten, der sog. „Demokraten“, zu Tage traten,den konkreten Gründungsplan und versprachen, die Reali-sierung voranzutreiben. Zunächst engagierten sich in derPlanung vor allem die Professoren Mittermaier und GeorgGottfried Gervinus16 sowie der Ökonom und Publizist KarlMathy,17 der als Redakteur und Zeitungs-Herausgeber derfachlich Nächste war. Friedrich Christoph Dahlmann, denman als Leiter des Unternehmens und Aushängeschild um-worben hatte,18 zog sich relativ bald zurück; Carl TheodorWelcker wurde hinausgedrängt. Als Verleger war zunächstein Konsortium aus den Buchhändlern Reimer (Leipzig)und Winter (Heidelberg)19 mit Bassermann geplant. AlsReimer und Winter sich wegen der Absage Dahlmannszurückzogen, blieb der Verlag bei Friedrich Daniel Basser-mann,20 der sich erst einige Jahre zuvor diesem Geschäftzugewandt hatte. Die Verbindung Bassermanns zu Mitter-maier datierte von 1842, als er sich in einem Brief an diesenwandte: „Mein früheres Geschäft, eine Droguerie-Hand-lung habe ich aufgegeben, weil es allzu viel Quälendes undKörperlich-Aufreibendes hatte, um es mit einem anderenGeschäfte zu vertauschen, das diese mißlichen Eigenschaf-ten nicht besitzt u. mit welchem auch ein gewisses geistigesInteresse verknüpft ist, das ich aus dem ersteren vergebensgesucht habe. Ich stehe nämlich im Begriff, eine Verlags-buchhandlung zu errichten. Alle nöthigen Schritte sind be-reits gethan, u. es gilt nun nur, mit einem tüchtigen Werkeden Anfang zu machen, um gleich von vorne herein meinenVerlag zu karakterisiren, der alles Mittelgut verschmähend,sich nur mit Gediegenem befassen soll.“

So bat er Mittermaier, damals bereits hochangesehenerRechtslehrer an der Heidelberger Universität, sein nächsteszu veröffentlichendes Manuskript ihm zum Verlag zu über-lassen: „... es würde mir zur stolzen Befriedigung gerei-chen, mit einem Werke von Ihnen als mit meinem Erstlingauftreten zu können.“21 Dies war der Beginn einer intensi-ven Zusammenarbeit und Freundschaft.

Mittermaier war auch – neben Gervinus und Mathy –einer der wichtigsten Initiatoren der „Deutschen Zeitung“,und seine zahlreichen Verbindungen im In- und Ausland

waren besonders in der Anfangsphase des Projekts von Be-deutung. Er stellte Kontakte zu potentiellen Mitarbeiternher, warb um Korrespondenten und sein Haus in Heidelbergwar häufig Anlauf- und Mittelpunkt für Redaktionsbespre-chungen. Von den ca. 350 Mitarbeitern der „Deutschen Zei-tung“, welche Ludwig Bergsträsser identifiziert hat,22 tau-chen über 70 auch unter den Namen der KorrespondentenMittermaiers auf, darunter 16, die über das Ausland berich-teten.

Der Verlagsvertrag, abgeschlossen zwischen Mitter-maier, Gervinus und dem Historiker und badischen Abge-ordneten Ludwig Häusser23 als Herausgebern sowie Bas-sermann als Verleger, datiert vom 10.3.1847. Die Zeitungstand im Eigentum des Verlags, der aber versuchte, durchBeteiligung von Gesinnungsgenossen, vor allem auch derRedakteure, die finanzielle Basis zu verbreitern. Dies be-gründete Bassermann damit, daß ein einzelner Verleger ausfinanziellem Interesse und Angst vor einem eventuellenVerbot eher zu inhaltlichen Konzessionen bereit sein könnte– daß also Risikostreuung zur größerer Freiheit der Mei-nungsäußerung beitrage.24 Die Form der Beteiligung warwohl zunächst als Aktiengesellschaft konzipiert – so geht esu.a. aus einem Brief Heinrich von Gagerns an seinen Vater25

sowie aus einem Brief Karl Mathys an Mittermaier her-vor.26 Eine Aktiengesellschaft hätte aber einerseits – nachdem damals in Baden geltenden französisch-rheinischenRecht (Badisches Landrecht nebst Handelsgesetzen) einerKonzession bedurft – andererseits befürchtete man zu star-ken Einfluß der Aktionäre auf die inhaltliche Konzeption.So wurde schließlich das aufzubringende Kapital von60.000 Gulden in 20 Anteilen zu 3.000 Gulden von nicht zuvielen Teilhabern gehalten. Gervinus schrieb (18.2.1847)an Mathy: Bassermanns Gedanke, „eine kleine Zahl vonLeuten zusammenzusuchen, die sich mit größeren Summen(etwa 3000 fl.) bei der Unternehmung beteiligen“, könne„... den Nachteilen einer ausposaunten Aktiengesellschaftund den Nachteilen eines Vertrags aus dem Wege gehen.“27

Finanziell am Risiko beteiligt waren danach u.a. Mitter-maier, Gervinus, Bassermann, Mathy, der rheinische Indu-strielle und Heppenheim-Initiator David Hansemann sowieder badische liberale Abgeordnete Franz Buhl.28 Den größ-ten Anteil am Gesellschaftskapital hielt die Familie Basser-mann.29

Das Programm, mit dem die „Deutsche Zeitung“ dem Pu-blikum vorgestellt wurde, wurde im wesentlichen von Ger-

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vinus ausgearbeitet, zusammen mit den anderen Verant-wortlichen redigiert und als Ankündigungsblatt am8.5.1847 sowohl separat als auch in größeren Tageszeitun-gen publiziert;30 der erste Erscheinungstag der „DeutschenZeitung“ war der 1.7.1847. Die Zeitung war als Samm-lungsorgan für den gesamten gemäßigten Konstitutionalis-mus in Deutschland konzipiert. Sie wollte zwar Druck aufPreußen in Bezug auf Erlaß einer Verfassung ausüben, warinsgesamt aber prinzipiell propreußisch ausgerichtet, daman eine deutsche Einigung gegen Preußen für unmöglicherachtete. Ausgangspunkt sollte der Zollverein sein; durchStärkung desselben, Vertretung der Bevölkerung des Zoll-vereins im Zollkongreß durch Notable sollte schließlicheine Mitwirkung des Volkes durch gewählte Vertreter er-reicht werden, die man als notwendig zur Erzielung vonmehr nationaler Gemeinsamkeit sah. Als Schritt auf diesemWege wurde empfohlen, wichtige Anträge in deutschenKammern möglichst gleichlautend zu stellen.

Was die Sozial- und Wirtschaftspolitik betrifft, vertrat dieDeutsche Zeitung eine im wesentlichen an den Interessendes Handels- und Industriebürgertums ausgerichtete Hal-tung; soziale Auseinandersetzungen im Zusammenhang mitder „Zukunft der arbeitenden Klassen“ blieben ausgeblen-det. Bekanntlich wurde diese Frage ja auch in Heppenheimdilatorisch behandelt. Dagegen sei an den Passus im Offen-burger Programm erinnert, der (Art. 10) „die Ausgleichungdes Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital“ ver-langt und fordert: „Die Gesellschaft ist schuldig, die Arbeitzu heben und zu schützen.“31 Nationaler Wohlstand durchindustrielles Wachstum und weitgehende Handelsfreiheit –dies war die Blickrichtung des Kreises um die DeutscheZeitung wie auch der Heppenheimer Versammlung.

Eine von Gervinus für die Zeitung vorgeschlagene undentwickelte Institution, die sog. „zensorische Direktion“,die der Selbstkontrolle der Autoren dienen und damit Zen-sureingriffe im Vorfeld vermeiden helfen sollte, war imKreis der potentiellen Mitarbeiter sehr umstritten, einige di-stanzierten sich deshalb von dem gesamten Projekt (Dahl-mann), andere lehnten nur die Beteiligung an dem Gre-mium ab (Ernst Moritz Arndt, Jacob Grimm, Paul Pfizer,Ludwig Uhland). Das Programm vom 8.5.1847 bezeichnetdas Gremium als „Ehrenrat“ – auch als „Verein“; damitwird ein weiterer Zweck angedeutet: Es sollte ein informel-ler Zusammenschluß Gleichgesinnter organisiert werden,der auch regelmäßig (im Anschluß an die Germanistenver-

sammlungen) zusammentreten sollte. Die „zensorischeDirektion“ umfaßte einflußreiche Repräsentanten des ge-mäßigten Liberalismus der wichtigsten Bundesstaaten undknüpfte damit weitere Knoten in einem bundesweiten libe-ralen Kommunikationsnetz.32 Zu nennen sind u.a. fürPreußen die liberalen Politiker Alfred von Auerswald,Theodor von Schön, Maximilian von Schwerin-Putzar, wei-ter die Industriellen David Hansemann und Diergardt, dieProfessoren Georg Beseler33 und Wilhelm Eduard Wilda;34

für Baden Friedrich Christoph Schlosser;35 für Hessen-Darmstadt bzw. Nassau Heinrich und Hans Christoph vonGagern sowie Heinrich Karl Jaup;36 für Schleswig-HolsteinWilhelm Beseler und Heinrich Karl Esmarch;37 für Kurhes-sen Burchard Wilhelm Pfeiffer.38 Auch unter ihnen findensich wieder aufällig viele Juristen und gleichzeitig zahlrei-che Briefpartner Mittermaiers.

Die „Halben“ und die „Ganzen“

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß sich die Korre-spondenz Mittermaiers keineswegs auf die engeren „politi-schen Gesinnungsgenossen“ beschränkte. Viele der Juristenund politischen Publizisten waren stolz darauf, sich SchülerMittermaiers nennen zu dürfen. So auch Jakob Venedey,den Mittermaier zur Berichterstattung über Frankreich fürdie Deutsche Zeitung aufgefordert hatte; er schreibt ausBoulogne: „Mit Freuden nehme ich an ihrer neuen Zeitungthätigen Anteil. Leider aber fürchte ich, daß dieser nurhöchst beschränkt sein wird. Ich habe das Meinige dazubeigetragen, die Pariser Correspondenzelei zu g e r m a -n i s i r e n , u. es ist mir ein wohlthätiges Gefühl zu sehen,wie der Same, den ich auswerfen half, endlich Früchteträgt.“ Mittermaier verwendete sich auch für Venedey, deraus politischen Gründen nach Frankreich gegangen war, alsdieser 1848 zurückkehren wollte.39 Er wurde übrigens dannAbgeordneter für die Landgrafschaft Hessen-Homburg,womit diese aber nicht besonders glücklich wurde, da er inder Frage der Aufhebung der Spielbanken gegen HomburgsInteressen handelte.40

Auch die Radikalenführer standen in Korrespondenz mitMittermaier: Friedrich Hecker z.B. hat bei ihm in Heidel-berg promoviert.41 Gustav Struve korrespondierte mit ihmwegen einer Zeitschrift für Phrenologie (Schädellehre),42 –Mittermaier war ja an kriminalpsychologischen Problemen,

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besonders der Frage der Zurechnungsfähigkeit sehr interes-siert. Allerdings bricht diese Korrespondenz um die Mitteder vierziger Jahre ab; die Richtung, die in Parolen wie„Hecker, Struve, Robert Blum – kommt und bringt diePreußen um“ zum Ausdruck kam, mußte einem soGemäßigten wie Mittermaier doch zuwider sein.

Johann Adam von Itzstein, der große Vermittler, der In-itiator und Organisator des Hallgartenkreises,43 war seinDuzfreund und es existiert ein ausgedehnter Briefwechselbetreffend badische Landtagswahlen und die Verteilung derMandate. Auch dieser ist allerdings in den „wilden Jahren“1847–49 unterbrochen; 1850 wendet sich Itzstein wieder anMittermaier, um ihn um Hilfe beim Erstreiten der ihm ver-sagten Pension zu bitten.

Von denjenigen, die dem Hallgartenkreis zugerechnetwerden können, standen in Korrespondenz mit Mittermaiereher wenige und vor allem nicht diejenigen, die sich relativfrüh in Richtung „Radikale“, bzw. „Demokraten“ ent-wickelten. Hier sind etwa zu finden Welcker, Winter,Mathy, Franz Buhl; von der „jungen Garde“ nur Hecker,Schaffrath44 und Todt.45 Intensiver war und blieb der Kon-takt vor allem mit Itzstein und Welcker, Mathy und Winter.Bassermann und Heinrich von Gagern46 hielten sich be-kanntlich eher fern vom Hallgartenkreis. Die Charakterisie-rung der Teilnehmer durch Bassermann in seinen „Denk-würdigkeiten“47 kann natürlich nur als subjektive Wertunggelesen werden: „Von den Männern, die ich dort zum erstenMale sah.....Kaum zwei stehen jetzt wohl noch mit mir aufder gleichen Linie politischer Überzeugung“. Verfolgt manaber die verschiedenen Korrespondenzen über eine längereZeit, kann man auch hier Anhaltspunkte dafür finden, wiesich die Meinung und Haltung wichtiger Persönlichkeitendieses Kreises badischer Oppositioneller, um den sich dieanderer deutscher Bundesstaaten kristallisierten, im Laufeder Jahre auseinanderentwickelten: Die „Halben“ und die„Ganzen“ sondern sich voneinander. Generell ist wohl fest-zustellen, daß sich in den späten vierziger Jahren etlicheunter ihnen – Bassermann, Mathy, von Soiron48 – in Rich-tung besitzbürgerlicher Rücksichten eher von dem, was dieMasse des „Volkes“ forderte, wegbewegte, was ihnen spä-ter auch öffentlich zum Vorwurf gemacht wurde. Man warfihnen vor, zu sehr abzuwiegeln, zu sehr „juste milieu“ oder„bourgeois“ zu sein,49 oder nannte sie – wie Struve in sei-nem „Deutschen Zuschauer“ – „Kammermandarine, Para-dehelden, Maulliberale“.50

Karl Mathy entfernte sich auch immer mehr von seinenursprünglich radikaleren Ansichten. CharakteristischenAusdruck fand dies in einer aufsehenerregenden und auchvon den Liberalen kontrovers diskutierten Aktion: Er ver-anlaßte im April 1848 die Verhaftung des Redakteurs der„Seeblätter“ Josef Fickler, weil er erfahren hatte, daß dieserzusammen mit Hecker eine republikanische Erhebung vor-bereitete.51 Bassermann stand daraufhin nicht an, in einem

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Eine beliebte zeitgenössische Karrikatur von Friedrich Pecht zeigt die„Frankfurter Theaterszene“ um 1848. Paulskirchenabgeordnete spielendarin Kommödiantenrollen, unter anderem Gagern als Theaterdirektor(ganz oben, links); Welcker als „Polternde Alte“ (1. Reihe, 2. v.r.); Blumund Itzstein als „Intriguanten“ (2. Reihe, 1. und 2. v.l.); Mittermaier als„zärtliche Mutter“ (2. Reihe, 3. v.l.); Mohl als Theaterfriseur (untersteReihe, 2. v.r.); etc.

Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main.

Brief an Mittermaier, diesen seinen Freund sanft zu tadeln,weil er sich, seiner Meinung nach, nicht eindeutig genugauf seiten Mathys gestellt hatte:52 „Daraus, daß Brentano53

und die nach Blut riechende Abendzeitung deinen Brief be-nutzen, u. natürlich nicht f ü r Mathy, kannst du entneh-men, wie über diesen deinen Brief geurtheilt wird. Wem esjetzt nach den Vorgängen im Seekreis54 nicht klar ist, wel-chen unermeßlichen Dienst Mathy der Freiheit u. dem Va-terland geleistet, der wird es freilich nie einsehen.“

Die Fronten waren also eigentlich nicht ganz eindeutiggezogen, klare Parteiungen kristallisierten sich erst Endeder vierziger Jahre heraus; Meinungen und politische Hal-tungen verschärften sich. Aber die Kommunikation bliebaufrecht, wenn man die weitgespannte Korrespondenz Mit-termaiers, auch für die Zeit nach dem Scheitern der 1848erRevolution betrachtet.

Rotteck-Welckers „Staats-Lexikon“

Neben der Deutschen Zeitung, die ja nur relativ kurzeZeit existierte, ist als wichtiges Kommunikationsforum derLiberalen das bereits seit dem Ende der dreißiger Jahre be-stehende Projekt „Staats-Lexikon“ von Rotteck undWelcker zu nennen. Die Rolle, die es für die politische Mei-nungsbildung und als Forum gespielt hat, ist bekannt. Hiersoll nur darauf hingewiesen werden, daß eine große Zahlder Mitarbeiter des Staats-Lexikons einerseits an der Deut-schen Zeitung beteiligt waren, andererseits auch in Mitter-maiers Korrespondenz stark vertreten sind. Mittermaierselbst hat nicht weniger als 16 Artikel (plus Nachträge) fürdas Staats-Lexikon geschrieben. Welckers Briefe an ihn ausden Jahren 1834–1844 drehen sich in erster Linie um seineMitarbeit am Staats-Lexikon. Hier sei ein Brief aus demJahre 1841 zitiert, der ein Schlaglicht auf die herausgeberi-schen Schwierigkeiten und die Art der Einwerbung von Ar-tikeln wirft: „Mein lieber, verehrter Freund, der Druck desStaatslexikon steht bald an Deinem Artikel O e f f e n t -l i c h k e i t. Dieser sollte in 14 Tagen abgehen; O r g a n i -s a t i o n etc. etwa in fünf Wochen. Du treueste, zuver-läßigste Stütze hast mich noch nie stecken lassen, es ergehtalso auch jetzt meine zutrauensvolle angelegentliche Bittean Dich.“55

Außerdem sind von den 75 namentlich zeichnenden Mit-arbeitern, die Helga Albrecht für die zweite Auflage aufge-

listet hat,56 32 unter den Mittermaier-Korrespondenten zufinden, darunter Philipp Bopp, Karl Mathy, Robert Mohl,Heinrich Karl Jaup, Heinrich Eberhard Paulus, Carl Georgvon Wächter sowie die Verfasser größerer ausländischer Ar-tikel (Golbéry für Frankreich,57 Mamiani für Italien58, Ka-simir Pfyffer für die Schweiz59). Es bliebe noch zu untersu-chen, ob nicht in etlichen Fällen auch wiederum Mitter-maier Querverbindungen hergestellt, Empfehlungen ausge-sprochen, Korrespondenten angeworben und vermittelt hat.

Mitarbeiter an der Deutschen Zeitung

Die Artikel in der Deutschen Zeitung waren nicht unter-zeichnet, was einerseits in der damaligen Zeit auch nichtüblich war, andererseits wohl auch zum Schutz der Autorenvor etwaigen Nachteilen durch ihre Regierungen dienensollte. Die Siglen der Mitarbeiter – hat wie erwähnt – 1930Ludwig Bergsträsser nach einer im Archiv aufgefundenenListe weitgehend aufgelöst; an der Zuordnung der Artikelvon Gervinus hat Hübinger einige Ergänzungen und Kor-rekturen angebracht. Einiges kann auch anhand der Korre-spondenz weiter geklärt werden. Hier sollen nur einige Bei-spiele aus der Mitarbeit gegeben werden, die signifikant er-scheinen.

Der kurhessische Jurist und Staatsmann Karl WilhelmWippermann60 schrieb im Oktober 1847 an Mittermaier, erhabe erfahren, daß bei einem Heidelberger Gericht nachdem Verfasser eines Aufsatzes über Kurhessen geforschtwerde. Er, Wippermann, sei sich dessen bewußt gewesen,daß der Aufsatz bestimmte unliebsame Folgen für ihnhaben könne; falls es im Interesse des Blattes sei, denNamen preiszugeben, ermächtige er die Deutsche Zeitungdazu. Er fügt hinzu: „Würde bei mir von einer zuständigenBehörde nachgefragt, so kann ich doch nicht umhin, dieWahrheit zu sagen. Die habe ich auch nur in dem Blatte ge-sagt, zu sagen gewünscht, welches nun für Kurhessen ver-boten ist!“61 So schnell war man also mit der Zensur bei derHand.

Daß die Verantwortlichen der Redaktion und des Verlagsimmer bemüht waren, aktuell zu sein, versteht sich eigent-lich von selbst. Daß sie von den weit vernetzten Verbindun-gen profitierten, die die wichtigsten Mitarbeiter unterhiel-ten, zeigt sich gerade in bezug auf Mittermaier und Basser-mann. Bassermann schreibt im Juli 1847, also kurz nach Er-scheinen der ersten Ausgabe an Mittermaier, der einen Bei-

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trag über Geschworenengerichte verfaßt hatte, über eine ak-tuelle Nachricht, die er aus Bayern erhalten hatte, und emp-fiehlt Mittermaier, diese einzubauen: „Da nun nichts er-wünschter für unsere Deutsche Zeitung ist, als daß sie fürjede Sache, die sie behandelt, an eine Frage der Gegenwart,wo möglich des Augenblicks, anknüpft, da sonst ihre Lei-stungen in das Gebiet der Abhandlungen fallen, u. den Vor-wurf einer Gelehrten Zeitung rechtfertigen, so glaube ich,du könntest deinem Art: eine Einleitung geben, die ihn andas knüpft, was jetzt in Bayern vorbereitet wird.“62 Der Vor-wurf allzu gelehrter Abhandlungen wurde nun wohl derDeutschen Zeitung gelegentlich gemacht und es bedurfteauch einiger Anstrengungen, mehr ins politische Tagesge-schäft zu gehen. Die Entwicklung der Gervinus’schen Leit-artikel zeichnet diese Bemühungen nach. Viele der Briefezeugen auch von den immer wiederkehrenden Schwierig-keiten mit den Regierungen: Versagung der „Debiterlaub-nis“, Zensur, Repressalien gegen Redaktion und Mitarbeiter.Selbst bei einem so gemäßigten Blatt wie es die DeutscheZeitung war, blieb das Mißtrauen der Oberen immer wach.

Aus der Mittermaier-Korrespondenz geht hervor, daß diepolitischen mit den journalistischen und den wissenschaft-lichen Arbeiten und Interessen meist eng verknüpft waren.Bekannte „Märzforderungen“ wie die nach Öffentlichkeitund Mündlichkeit des Verfahrens, Einführung von Ge-schworenengerichten, Reform der Justizorganisation inRichtung Rechtsstaatlichkeit – all dies waren Materien, fürderen Formulierung juristischer Sachverstand wie publizi-stische Fähigkeiten erforderlich waren. So wurde etwa –wie aus Briefen Heinrich Karl Jaups an Mittermaier her-vorgeht – für die Erarbeitung der diesbezüglichen Anträgefür die Germanistenversammlungen, die bekanntlich überdiesen Kreis hinaus rechtspolitische Wirkungen zeitigten,die Rollen genau verteilt. Jaup schreibt im April 1847: „AusIhrem Mund brachte mein Sohn neulich mir die Nachricht,

daß Sie beabsichtigten, die in unserer Gegend wohnendenMitglieder der Frankfurter Commission wegen Schwurge-richtes zu versammeln.“63 Und aus einem Brief Georg Be-selers (April 1847) geht diese Netzwerk-Funktion Mitter-maiers genau hervor: „In Beziehung auf Ihre Vorschlägewegen der Arbeiten der Jury-Commission stimme ich inso-fern ganz mit Ihnen überein, daß in der von Ihnen bezeich-neten Art eine mehr historische und mehr practische Seiteder Aufgabe unterschieden und zur Bearbeitung unter denMitgliedern der Commission verteilt werde.“ In der histori-schen Einleitung sollte die „germanische Grundlage derJury“ nachgewiesen werden. Die Jura-Professoren Heffter64

und Wilda sollten zusammen mit Michelsen,65 Dahlmannund Georg Beseler selbst die wissenschaftliche Arbeit lei-sten, die „zur weiteren Communikation“ an Mittermaiergehen sollte. Weiter schreibt Beseler: „Inzwischen verthei-len Sie und die Practiker wieder Ihre Aufgaben unter ein-ander, und lassen sie uns vier Historikern zukommen, damitwir sie mit unsern Bemerkungen versehen an Sie zurück-senden. Das gesammte Material aber verarbeiten Sie zueinem Gesammtbericht, den Sie uns in Lübeck vor dem An-fang der Versammlung vorlegen, damit er dann, mit oderohne Separatvotum, öffentlich erstattet wird.“ Beseler undWilda waren – wie erwähnt – Mitglieder der „zensorischenDirektion“, Dahlmann Mitarbeiter der Deutschen Zeitung.

Hier wird wieder die Verbindung von Wissenschaft undPraxis, Jura und Publizistik, Rechtspolitik und Tagespolitikdeutlich – und wie die „Spinne im Netz“ knüpfte Karl JosefAnton Mittermaier seine Fäden. Aus seiner Korrespondenz– dies sollten die Briefzitate und Hinweise deutlich machen– lassen sich viele Querbeziehungen und Kommunikations-zusammenhänge illustrieren, die wichtige Träger der Re-formbestrebungen und der Revolution sowie die Kreise,denen sie entstammten, miteinander verbanden.

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Anmerkungen

1 Ludwig Bergsträsser, Die Heidelberger „Deutsche Zeitung“ und ihre Mit-arbeiter, in: Historische Vierteljahrschrift 31 (Dresden 1937/38), S. 127 ff.,S. 343–374, hier S. 136; Albert Becker, Zur Geschichte der „Deutschen Zei-tung“. Ihr Gründer K.J.A. Mittermaier (1787–1867), in: Historische Vier-teljahrschrift 31 (1937/38), S. 378 ff.; Hildegard Müller, Liberale Presse imbadischen Vormärz. Die Presse der Kammerliberalen und ihre ZentralfigurKarl Mathy 1840–1848, Heidelberg 1986, S. 229 ff.2 12.9.1847; Programm abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber, Dokumentezur deutschen Verfassungsgeschichte I, 3. Aufl., Stuttgart u.a. 1978, Nr. 71,S. 323.3 29.11.1846.4 Deutsche Zeitung 15.10.1847, S. 852.5 Barbara Dölemeyer, Wissenschaftliche Kommunikation im 19. Jahrhun-dert: Karl Josef Anton Mittermaiers juristisch-politische Korrespondenz, in:Ius Commune 24 (1997), S. 285–298; zu Mittermaier allgemein: WinfriedKüper (Hrsg.), Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987 in Hei-delberg. Vorträge und Materialien, Heidelberg 1988; ders. (Hrsg.), Heidel-berger Strafrechtslehrer im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg 1986.6 Die Korrespondenz befindet sich in der Heidelberger Universitätsbiblio-thek, Handschriftensammlung (Heid. Hs. 2741). Das handschriftliche Ver-zeichnis der Briefschreiber befindet sich in der Heidelberger Universitäts-bibliothek sowie – in Kopie – im Max-Planck-Institut für europäischeRechtsgeschichte in Frankfurt am Main.7 Dazu siehe Aldo Mazzacane (Neapel), Epistolari giuridici del secoloXIX. Progetto di edizione. Lettere a Carl Joseph Anton Mittermaier, in:Rechtshistorisches Journal 14 (Frankfurt am Main 1995), S. 437–443.8 Z. B. Friedrich Daniel Bassermann, Johann Georg Duttlinger, JohannAdam Itzstein, Karl Rau, Karl von Rotteck, Karl Theodor Welcker u.v.a.;vgl. Dorothee Mußgnug, Heidelbergs Vertreter im Badischen Landtag,1819–1918, in: Heidelberg – Stadt und Universität, Heidelberg 1997, S. 69ff.9 Unter den bekanntesten befinden sich etwa Georg Gottfried Gervinus,Jacob Grimm, Heinrich von Gagern, Robert und Moritz von Mohl.10 Dazu zuletzt Reinhard Mußgnug, Carl Mittermaier als Politiker, in: CarlJoseph Anton Mittermaier (Anm. 5), S. 51 ff. sowie Karl von Lilienthal/Wolfgang Mittermaier, Karl Joseph Anton Mittermaier als Gelehrter undPersönlichkeit, in: Heidelberger Strafrechtslehrer (Anm. 5), S. 43 ff., bes.S. 59 ff.11 Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter National-versammlung, hrsg. von Heinrich Best und Wilhelm Weege, Düsseldorf1996 (zit. Biogr. Handbuch), S. 403.12 Ludwig Mathy (Hrsg.), Aus dem Nachlaß von Karl Mathy. Briefe ausden Jahren 1846–1848, Leipzig 1898.13 Bemerkungen zum Verlagsvertrag vom 10.3.1847; abgedruckt bei A.Becker (Anm. 1), S. 379.14 H. Müller (Anm. 1), S. 229 ff.

15 Karl Zittel (1802–1871), 1834–1848 Pfarrer in Bahlingen/Kaiserstuhl,Abgeordneter der Badischen II. Kammer, Mitglied der Frankfurter Natio-nalversammlung; Mitarbeiter des Freiburger Volksblatts u.a. Zeitungen.Von ihm 10 Briefe an Mittermaier (1846–1848).16 Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), Historiker, Prof. in Heidelbergund Göttingen, einer der Göttinger Sieben (Amtsenthebung 1837); Mitgliedder Frankfurter Nationalversammlung; vgl. Biogr. Handbuch, S. 153. Vonihm sind 13 Briefe an Mittermaier aus den Jahren 1841–1848 erhalten.Siehe auch Gangolf Hübinger, Georg Gottfried Gervinus. Historisches Ur-teil und politische Kritik, Göttingen 1984, bes. S. 157 ff.17 Karl Mathy (1807–1868), Redakteur; Herausgeber zahlreicher Zeit-schriften und Zeitungen; Teilhaber Bassermanns; Mitglied der BadischenII. Kammer, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung; Bankier (u.a. Direktor der Diskontogesellschaft in Berlin); vgl. Biogr. Handbuch,S. 230 f.18 Hübinger (Anm. 16), S. 159; Briefe Gervinus an Dahlmann, in: EduardIppel (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahl-mann und Gervinus, I–II, Berlin 1885–1886, Neudruck Walluf 1973, II, S.292 ff.19 Christian Friedrich Winter (1773–1858), Bürgermeister, Buchhändler,Mitglied der Badischen II. Kammer. Von ihm 6 Briefe an Mittermaier(1835–1848).20 Friedrich Daniel Bassermann (1811–1855), Verlagsbuchhändler, Mit-glied der Badischen II. Kammer, Mitglied der Frankfurter Nationalver-sammlung; vgl. Lothar Gall, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S.228 ff. Von ihm 6 Briefe an Mittermaier (1842–1848).21 Mannheim, 23.11.1842.22 Anm. 1.23 Ludwig Häusser (1818–1867), Professor der Geschichte in Heidelberg,Mitglied der Badischen II. Kammer.24 Brief an Gervinus zitiert bei Gall, Bürgertum (Anm. 20), S. 265, Anm.S. 540.25 11.1.1847, in: Deutscher Liberalismus im Vormärz, Heinrich von Ga-gern, Briefe und Reden 1815–1848, hrsg. von Paul Wentzke/WolfgangKlötzer, Göttingen u.a. 1959, S. 353 ff., hier S. 356.26 2.1.1847; abgedruckt L. Mathy (Anm. 12), S. 2.27 Abgedruckt L. Mathy (Anm. 12), S. 13; vgl. auch Brief Mathy an Han-semann 8.3.1847; abgedruckt ebenda, S. 16.28 Franz [Anton] Buhl (1779–1844), Oberbürgermeister in Ettlingen, Mit-glied d. Badischen II. Kammer.29 Paul Thorbecke, Aus Deutschlands Sturm- und Drangperiode, in: Deut-sche Revue 34 (1909), S. 97 ff.30 Ankündigungsblatt, Heidelberg 8. Mai 1847; abgedruckt L. Mathy(Anm. 12), S. 24–40; vgl. Hübinger (Anm. 16), S. 160.31 Huber, Dokumente I (Anm. 2), S. 324.32 Hübinger (Anm. 16), S. 161.33 Georg Beseler (1809–1888), Jurist und Politiker, Prof. der Rechte in Ro-stock und Greifswald; Professor für deutsche Rechtsgeschichte in Berlin;Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Von ihm 5 Briefe an Mit-termaier (1837–1852).

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34 Wilhelm Eduard Wilda (1800–1856), Prof. jur. in Halle, Breslau undKiel. Von ihm 5 Briefe an Mittermaier (1835–1844).35 Friedrich Christoph Schlosser (1776–1861), Professor der Geschichte inHeidelberg. Von ihm 5 Briefe an Mittermaier (1834–1847).36 Heinrich Karl Jaup (1781–1860), hessen-darmstädtischer Staatsmann;1848 Ministerpräsident; 1832/33, 1849/50 liberaler Abgeordneter des hes-sen-darmstädtischen Landtags; Mitglied der Frankfurter Nationalversamm-lung; mehrfach mit Gesetzgebungsarbeiten beauftragt; Mitarbeiter derDeutschen Zeitung. Von ihm 10 Briefe an Mittermaier (1842–1851).37 Heinrich Karl Esmarch (1792–1863), Rat am schleswigschen Oberge-richt, Etatsrat, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung; Mitarbeiterder Deutschen Zeitung. Von ihm 11 Briefe an Mittermaier (1843–1852).38 Burchard Wilhelm Pfeiffer (1777–1852), Oberappellationsgerichtsrat inKassel; im Direktorium der Deutschen Zeitung. Von ihm 13 Briefe an Mit-termaier (1834–1847).39 Briefe vom 14.1.1848, 20.2.1848.40 Wilhelm Rüdiger, Jakob Venedey, in: Mitteilungen des Vereins für Ge-schichte und Altertumskunde zu Bad Homburg v.d.H. 15 (1916), S. 5–19;Hermann Venedey, Jacob Venedey. Darstellung seines Lebens und seinerpolitischen Entwicklung bis zur Auflösung der ersten deutschen National-versammlung 1849, Diss. Zürich 1930; Wilhelm Koppen, Jacob Venedey –Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland,Diss. Frankfurt 1921; Biogr. Handbuch, S. 342.41 Friedrich Franz Karl Hecker (1811–1881), Badischer Obergerichtsadvo-kat; Brief vom 16.5.1834.42 Friedrich Daniel Bassermann, Denkwürdigkeiten, Frankfurt am Main1926, S. 28.43 Dazu aus marxistischer Sicht Siegfried Schmidt, Der Hallgarten-Kreis1839–1847, in: Wiss. Zs. der Friedrich-Schiller-Universität Jena 13 (1964),Gesellschafts- und Sprachwissenschaftl. Reihe Heft 2, S. 222 ff.44 Wilhelm Michael Schaffrath (1814–1893), Rechtsanwalt und Abgeord-neter in Dresden, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung; Mitar-beiter der Deutschen Zeitung; von ihm 1 Brief an Mittermaier 1841.45 Karl Gotthelf Todt (1803–1852), Sächsischer Politiker; von ihm 3 Briefean Mittermaier 1843–1852.46 Heinrich von Gagern (1799–1880), Präsident der Frankfurter National-versammlung; im Direktorium der Deutschen Zeitung; von ihm 4 Briefe anMittermaier 1852–1859.47 Anm. 42, S. 4 ff.48 Alexander von Soiron (1806–1855), Oberhofgerichtsadvokat in Mann-heim, Mitglied der Badischen II. Kammer, Mitglied der Frankfurter Natio-nalversammlung. Von ihm 3 Briefe an Mittermaier (1846–1848).

49 Gall, Bürgertum (Anm. 20), S. 270 ff.50 Veit Valentin Geschichte der deutschen Revolution von 1848/49, I–II,1930/31, Neudruck Köln, Berlin 1970, I, S. 160.51 Gall, Bürgertum (Anm. 20), S. 306.52 18.4.1848.53 Lorenz Brentano (1813–1891): Obergerichtsadvokat in Bruchsal, Abge-ordneter d. Badischen II. Kammer, Mitglied der Frankfurter Nationalver-sammlung.54 Karl Mathy veranlaßte am 8.4.1848 die vorläufige Festnahme JosefFicklers, des Redakteurs der „Seeblätter“, wegen Anstiftung zum Hochver-rat (Fickler plante seiner Meinung nach einen bewaffneten Einfall inBaden); vgl. Bassermann, Denkwürdigkeiten (Anm. 42), S. 123 ff.55 Nr. 15, Carlsruhe 18. Mai 1841.56 Das Staats-Lexikon. Encyklopädien der sämmtlichen Staatswissenschaf-ten für alle Stände, hrsg. Carl von Rotteck/Carl Welcker, 2. Auflage, Altona1845 ff., Neudruck mit einer Einleitung von Hartwig Brandt und einem Ver-zeichnis der Mitarbeiter von Helga Albrecht, Frankfurt am Main 1990.57 Marie Philippe Aimé de Golbéry (1786–1854), Conseiller à la Cour deColmar; er war auch Mitarbeiter an der von Mittermaier herausgegebenen„Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Aus-landes“. Von ihm 4 Briefe an ihn (1834–1838).58 Terenzio Mamiani, Genua; von ihm 2 Briefe an Mittermaier (1847–53).59 Kasimir Pfyffer (1794–1875), Gerichtspräsident in Luzern; 1826 Mit-glied des Großen Rats; Liberaler; Redaktor der Luzerner Kantonsgesetz-bücher; Mitarbeiter der Deutschen Zeitung. Von ihm 37 Briefe an Mitter-maier (1834–1862).60 Karl Wilhelm Wippermann (1800–1857), Jurist, Kurhessischer Staats-mann, Mitglied des kurhessischen Landtags, des Frankfurter Vorparla-ments, der Frankfurter Nationalversammlung und des Erfurter Unionspar-laments; Mitarbeiter der Deutschen Zeitung. Von ihm 10 Briefe an Mitter-maier (1847–1857).61 Brief Kassel, 21. Oktober 1847.62 Brief Mannheim, 17. Juli 1847.63 Brief Darmstadt 12.4.1847.64 August Wilhelm Heffter (1796–1880), Professor der Rechte in Bonn,Halle, Berlin. Von ihm 19 Briefe an Mittermaier (1833–1857).65 Andreas Ludwig Jakob Michelsen (1801–1881), Professor der Ge-schichte in Kiel und Jena, Jurist.

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Professor Dr. jur. Dipl. Dolm. Barbara Dölemeyergeb. 1946, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frank-furt a.M., und Honorarprofessorin für Rechtsgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Forschungsschwer-punkte: Europäische Gesetzgebungsgeschichte; Juristen-Biographien; Geschichte der Gerichtsorganisation undJurisdiktion. Veröffentlichungen: Frankfurter Juristen im17. und 18.Jh. (1993); Repertorium ungedruckter Quellenzur Rechtsprechung – Deutschland 1800–1945 (Hg.)(1995); Beiträge zur hessischen Landesgeschichte.

Professor Dr. phil. Eckhart G. FranzLtd. Archivdirektor a.D., geb. 1931 in Marburg, nachGeschichtsstudium in Heidelberg, Portland/Ore., Frei-burg/Breisgau und Köln und wiss. Archivarausbildung ab1959 Archivrat am Hess. Staatsarchiv Marburg, 1971–1996Direktor des Hess. Staatsarchivs Darmstadt, Vorsitzenderder Hessischen Historischen Kommission Darmstadt unddes Historischen Vereins für Hessen.Autor und Herausgeber zahlreicher Arbeiten zur hessischenGeschichte, u.a.: Darmstadts Geschichte (1980), Juden alsDarmstädter Bürger (1984), Der Staat der Großherzöge vonHessen und bei Rhein 1806–1918 (in: Das Werden Hessens,1986), Parlament im Kampf um die Demokratie. Der Land-tag des Volksstaats Hessen 1919–33 (mit M. Köhler, 1991),Die Chronik Hessens (1991), Der Landtag des Großherzog-tums Hessen 1820–1848 (mit P. Fleck, 1998), Verfassungenin Hessen 1807–1946 (mit K. Murk, 1998).

Dr. Bernd Heidenreichgeb. 1955 in Frankfurt am Main, ist Ständiger Vertreter desDirektors der Hessischen Landeszentrale für politische Bil-dung, Wiesbaden.

Roland Hoede, M. A., Historikergeb. 1958, arbeitet als freier Autor und Ausstellungsmacher.Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des 19. Jahr-hunderts, zur Frankfurter Stadtgeschichte sowie zu Auf-klärungsgesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts.

Professor Dr. phil Wolfgang Klötzergeb. 1925 in Wiesbaden-Biebrich, 1946–1951 Studium inMainz, 1951–1954 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesba-den bzw. Archivschule Marburg, 1954–1960 BundesarchivAußenstelle Frankfurt am Main, 1960–1990 StadtarchivFrankfurt am Main, seitdem Ltd. Stadtarchivdirektor i.R. –Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main,Mitglied zahlreicher Kommissionen und Vereinigungen.Herausgeber des „Archivs für Frankfurter Geschichte undKunst“, der „Studien zur Frankfurter Geschichte“ und des„Frankfurt-Archivs“. Zahlreiche Veröffentlichungen zurStadtgeschichte, Landesgeschichte, Geschichte der deut-schen Einheits- und Befreiungsbewegung und zur Archiv-wissenschaft in den Verlagen.

Professor Dr. Rainer Kochgeb. 1944 in Leipzig, war 1972–75 Wiss. Ass. am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin (bei Prof. Gall),1975–1982 Wiss. Ass. an der JWG-Universität in Frankfurta.M., 1982 Habilitation, 1983 Ernennung zum Direktor desHistorischen Museums Frankfurt a.M. (ab 1989 Ltd. Mu-seumsdirektor), seit 1994 aplm. Prof. für Geschichtswis-senschaften an der Universität Frankfurt a.M., Mitglied derHistorischen Kommission der Stadt Frankfurt a.M. und vonNassau u.a.

Dr. Hans SchenkArchivdirektor i.R., bis 1997 Leiter der Außenstelle Frank-furt des Bundesarchivs.

Redaktion und Bildauswahl:Dr. Helma Brunck M. A.

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