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N o 17 06 / 2014 Die Würde des Menschen ist unantastbar Teil 16 Ich mach' mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt … Weiter auf S.4 Wegwerfmenschen? zu Ilja Trojanows „Der überflüssige Mensch“ Weiter auf S.18 Lampedusa in Rhein-Main: Der Toten zu gedenken, sollte bedeu- ten, die Überlebenden zu schützen Weiter auf S.8 w w w . h e i m f o c u s . n e t S TIMME FÜR MENSCHEN Bilder für die Seele Malen mit Asylbewerbern – wozu? weiter auf S.12

Heimfocus #18 - 09/2014

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Stimme für Menschen

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Page 1: Heimfocus #18 - 09/2014

No 17 • 06 / 2014

Die Würde des Menschenist unantastbar Teil 16

Ich mach' mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt …

Weiter auf S.4

Wegwerfmenschen?

zu Ilja Trojanows „Der überflüssige Mensch“

Weiter auf S.18

Lampedusa in Rhein-Main:Der Toten zu gedenken, sollte bedeu-ten, die Überlebenden zu schützen

Weiter auf S.8

w w w . h e i m f o c u s . n e t

STIMME FÜR MENSCHEN

Bilder für die SeeleMalen mit Asylbewerbern – wozu?

weiter auf S.12

Page 2: Heimfocus #18 - 09/2014

InhaltEditorial ..................................................................................................................................................................... 3

DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR Teil 16: Ich mach' mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt … ............................................................................................... 4

Asylpolitik bricht Völkerrecht Aus dem Newsletter des "Netzwerkes Migration in Europa" 05/Juni 2014 ........... 6

Lampedusa in Rhein-Main Offener Brief an die Kirchengemeinden in Hessen .....................................................8

"FREMD" Ein Dokumentarfilm von Miriam Faßbender .............................................................................................10

Unerwünscht | Wir neuen Deutschen 2 Buchbesprechungen .......................................................................... 11

Malen mit Asylbewerbern – wozu? In der Gestalt erst ist das Problem erledigt .............................................. 12

Wegwerfmenschen? Zu Ilja Trojanows „Der überflüssige Mensch“ ......................................................................18

Mensch Ich heiße Thewodros ...................................................................................................................................20

Unermüdliches Engagement mit Herz und Hand „Ich zeige ihnen den Weg, später müssen sie ihn alleine gehen.“ ..................................................................................22

„Was für mich zählt, ist der Mensch“ Burkhard Hose ist der Träger des 20. Würzburger Friedenspreises 2014 24

Veranstaltungen der khg Würzburg ................................................................................................................ 27

Klartext 09/2014 Kommentare und aktuelle Infos zu Asylpolitik .......................................................................... 28

Aufeinander zugehen, miteinander feiern Sommerfest in der Gemeinschaftsunterkunft Würzburg ............30

Vierzig Kinder, dreizehn Länder, ein Projekt Interkulturelle Projektwoche des Deutschhaus-Gymnasiums und der Mönchberg-Schule in Würzburg ....................... 32

Der Lokale Aktionsplan Würzburg Eine Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ........................................................ 34

integration-in-echt.bayern.de Wie Integration nicht funktionieren kann .........................................................36

„Weit weg ist näher, als du denkst“ Karikaturen von Maneis Arbab .................................................................38

Restoring Family Links Pilotprojekt des Suchdienstes des Roten Kreuzes .......................................................... 41

„Erstorientierung und Deutsch lernen für Asylbewerber“ Modellprojekt im BfZ Schweinfurt ................42

Diskussion über legale Einreisemöglichkeiten, Lastenverteilung und Rückführungspolitik Aus dem Newsletter des "Netzwerkes Migration in Europa" 05/Juli 2014 .....................................................................45

Impressum und Infos ........................................................................................................................................... 47

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09 / 2014 3Editorial

Flüchtlinge sind keine zahlenden Gäs-te, die als Touristen kommen und ge-hen, sie sind ungebetene Gäste, die die Gesellschaften ihrer Gastländer herausfordern und die Nachbarlän-der der schlimmsten Krisenregionen dieser Welt bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führen. Davon ist Euro-pa noch weit entfernt. Doch auch hier wächst ihre Zahl deutlich, und sie sind kein flüchtiges Phänomen.

Viele Flüchtlinge bleiben in Deutsch-land lange Jahre in einer ausweglosen Situation. Ihnen mag aus verschiede-nen Gründen ein Aufenthaltsstatus verweigert worden sein, der allein Perspektiven auf ein selbstbestimm-tes Leben eröffnet. Sie bleiben trotz-dem, weil sie aus Ländern kommen, in die man nicht abschieben kann. Auch in Deutschland geht Teilhabe an der Gesellschaft jedoch nicht ohne Papie-re. Doch genau auf diese warten und hoffen viele Flüchtlinge in den Lagern jahrelang vergebens und somit auch auf eine Integration, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Das bremst sie aus und macht ihnen das Leben schwer. Vielerorts bemüht man sich mittlerweile um Angebote wie Orien-tierungs- und Sprachkurse, um Sport-, Musik- und Kunstprojekte. Doch au-ßerhalb ihres erlaubten Bewegungs-radius' können Asylbewerber und Ge-duldete daran nicht teilnehmen. Und es ist nicht einfach, die behördliche Gestattung zu erhalten, diesen zu verlassen. Das Aufenthaltspapier ist der Schlüssel zu allem, es ermöglicht

Integration vom ersten Tag anstärkt beide Seiten

Bewegungsfreiheit, freien Zugang zu Jobs, zu Sprach- und Integrationskur-sen sowie zum Studium.

Wer ankommt, sollte von Anfang an auf die Beine gestellt, ermutigt und unterstützt werden - egal, wie lange er bleibt. Denn Menschen abhängig zu halten, dient niemandem. Sie alle brauchen eine zeitnahe Lösung für ihr weiteres Leben. Der Bremer Bürger-meister Jens Böhrnsen fordert daher in seinem Interview im Stern Nr. 27 vom 26.06.2014 eine "Integration vom ersten Tag an." Die Menschen sei-en nun mal hier, und es sei unmöglich, davor die Augen und Ohren zu ver-schließen. Die Verweigerung der Inte-gration mache ihr Leben kompliziert und mühsam. So mahnt er: "Man darf keinen Tag verlieren."

Wie kann Integration gelingen? Sie geschieht dort, wo man es schafft, Kontakte und Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Flüchtlin-gen zu knüpfen. Werden diese von der Lokalbevölkerung willkommen gehei-ßen und angenommen, finden sie ihre Wege in ein eigenständiges Leben. Wenn sie an der Gesellschaft teilha-ben und in ihren Fähigkeiten gefördert werden, können sie zur gesellschaft-lichen und wirtschaftlichen Entwick-lung beitragen, anstatt auf Jahre hin von sozialer Sicherung abhängig zu sein. Die Integration vor Ort ist nicht nur ein pragmatisches Instrument, um Flüchtlinge in die Gesellschaft ein-zugliedern, in der sie leben, sondern

auch, um die Einheimischen von ihren Vorurteilen und Ängsten zu befreien. Sie hängt von dem Zusammenwir-ken der jeweiligen Regierungen, der einheimischen Bevölkerung und der Flüchtlinge selbst ab. Es liegt an ihnen allen, ob aus ungebeten Gästen durch Integration vom ersten Tag an Mit-bürger werden, die zur Gesellschaft des Gastlandes beitragen können mit ihrem Reichtum an Sprachen und Kul-turen, mit ihren innovativen Ideen, un-ternehmerischen Fähigkeiten und all dem, was eine Gemeinschaft stärker macht.

Addis Mulugeta

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[email protected] [email protected]

Amir schaut zum Fenster heraus. Noch ist es Sommer, die Tage sind hell und lang. Er mag nicht daran denken, wie es später sein wird, im November oder Dezember. Die Freunde und Unter-stützer haben einen Wandkalender angebracht; am Abend streicht er je-den Tag durch. Geschafft, zum Glück, nach vorne schauen und durchhalten, nicht daran denken, dass es schlicht ein zerronnener Lebenstag mehr ge-wesen ist. Gefangen, ohne ein Verbre-cher zu sein. Ja, pass auf, bis zu diesem Mäuerchen da draußen darfst du dich bewegen, aber bloß keinen Schritt weiter. Es wird schon, komm, wir sind doch da! Alle geben sich Mühe, um ihn abzulenken und zu beschäftigen, um ihm wenigstens ein bisschen das Gefühl zu geben, sein junges Leben sei nicht in eine lähmende Zeitschlei-fe geraten. Er lächelt und freut sich, wenn wieder einmal die Tür aufgeht. aber niemand weiß, wie es wirklich in ihm aussieht in den einsamen Stun-den, ohne seine Sprache, seine Freun-de, ohne den Bildern zu entkommen,

Ich mach' mir die Welt, widdewidde,

wie sie mir gefällt …

die nachts in der Stille in ihm aufstei-gen. Er muss stark sein, es ist seine einzige Chance. Einfach aussitzen, bis die Überstellungsfrist nach Italien ab-gelaufen ist, bis er nicht mehr fürch-ten muss, dort wieder auf der Straße zu landen, in Abbruchhäusern, auf der Flucht vor pöbelnden Rassisten oder aggressiven Carabinieri, ohne Zuhau-se, Arbeit, Hoffnung, Zukunft. Oder ist es Ungarn mit seinen Gefängnissen, oder Bulgarien mit seinen schlammi-gen Zeltstädten, oder Malta, oder ...?

Er weiß, er hat großes Glück gehabt, er hat Menschen gefunden, die ihn bewahren vor der 'Rückführung' in das EU-Land, in dem er zuerst als Asylsuchender registriert worden ist, das ihm aber keine Hoffnung auf ein würdiges Leben anbieten kann. Er hat Menschen gefunden, die ihrem Gewissen folgen, die ihm Kirchenasyl gewähren, bis sich unser Land nach dem geltendenden, immer noch dem Grundgesetz vepflichteten Recht sei-ner annimmt. Bis es sich überhaupt mit

ihm beschäftigt und seine Geschichte, seine Fluchtgründe endlich anhört. Bis es aufhört, so zu tun, als wären ein fai-res Asylverfahren und menschenwür-dige Lebensumstände überall in der EU Standard, auch in Italien, Ungarn, Bulgarien und anderswo. ¹

Viele andere da draußen haben keine solche Chance. Auch sie sind bereits in einem anderen EU-Land erfasst worden. Somit ist nach der sog. Dub-lin-Verordnung ² Deutschland nicht für ihr Asylverfahren zuständig. Gut für Deutschland, dank seiner zentra-len Lage in Europa: wieder ein 'Fall' weniger. Schlecht für den Asylsu-chenden: wieder irgendwohin zurück verfrachtet, wieder auf Anfang - oder aufs Ende, wie man's nimmt. Schlecht ist, menschlich gesehen, gar kein Aus-druck, aber darum geht es ja auch nicht. Schlecht allerdings, und zu-mindest das sollte den Steuerzahler aufhorchen lassen, auch ökonomisch. Fragen Sie doch mal ihren EU-Abge-ordneten, was dieser Verschiebebahn-

© pink-dogcollars.com

Die Würde des Menschen ist unantastbarTeil 16

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09 / 2014 509 / 2014 5

¹http://www.proasyl.de/de/themen/eu- politik/detail/news/bulgarien_kein_ort_fuer_kriegsfluechtlinge/http://bordermonitoring.eu/category/bulgarien/http://www.proasyl.de/de/themen/eu- politik/detail/news/fluechtlinge_in_italien_vermutlich_sicher/http://bordermonitoring.eu/2013/02/zur-situation-der-fluchtlinge-in-italien/http://bordermonitoring.eu/files/2013/10/Ungarn_Update_Oktober_2013.pdf

²http://www.proasyl.de/de/themen/eu-politik/detail/news/ineffektiv_ungerecht_menschenrechtswidrig_das_dublin_system/http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/memorandum_freie_wahl_fuer_fluechtlinge-1/

* Europäische Menschenrechtskonvention

hof menschlicher Fracht EU-weit an Kosten verursacht. Ob diese Summen im alternden Europa nicht besser in-vestiert wären in Teilhabe und neuen Lebenschancen für Diejenigen, die es überhaupt bis hierher geschafft ha-ben?

Es ist ja nicht so, dass die oft nicht hinnehmbaren Lebensumstände Asyl-suchender oder bereits anerkannter Flüchtlinge in anderen EU-Ländern den Entscheidungsträgern in deut-schen Behörden und Gerichten unbe-kannt wären. Doch wer hätte gedacht, dass ausgerechnet rechtliche Ent-scheidungen von solch existentieller Tragweite offensichtlich nicht unbe-dingt auf harten und überprüften Fak-ten beruhen, sondern der Logik fol-gen: Es kann nicht sein, was nicht sein darf, mag die Beweislast des Gegen-

teils auch noch so erdrückend sein. So ist dann mitunter in Entscheidungen zu lesen: "Das in der Dublin-Verord-nung geregelte gemeinsame Asylsys-tem beruht auf der Überzeugung und dem gegenseitigen Vertrauen darauf, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten... Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asyl-bewerber in jedem europäischen Mit-gliedstaat im Einklang mit den Erfor-dernissen der Charta der Grundrechte der EU, der Genfer Flüchtlingskonven-tion und der EMRK* steht."

So, so. Man denkt, vertraut, vermutet - und sieht und hört nichts, zumindest nichts, was doch einen 'systemischen Mangel' aufdecken und somit die op-portun zurechtgelegte Sicht der Dinge als Trugbild entlarven könnte. Selbst dann nicht, wenn es offensichtlich auch unserem Bundespräsidenten, Herrn Gauck, nicht verborgen ge-blieben ist. Dieser fand beim Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz am 30.06. 2014 deutliche Worte für den Istzustand der EU-Asylpolitik:

"Solange Asylsuchende nur in Dekla-rationen, nicht aber in der Realität in allen Mitgliedsländern die gleichen Bedingungen von Schutz und Hilfe er-leben, werden sich alle europäischen Regierungen fragen lassen müssen,

was sie tun, um die Aufnahme-, Ver-fahrens- und Anerkennungsstandards auch tatsächlich in allen Ländern an-zugleichen."

Vielleicht sollten Behörden und Ge-richte doch gelegentlich im Schloss Bellevue vorbeischauen. Andernfalls nimmt vor dem inneren Auge das be-kannte Bild mit den drei Affen Gestalt an, was vielleicht zutreffend, jedoch in höchstem Maße despektierlich wäre. Daher lassen wir es sein. Statthaft scheint indes angesichts der behörd-lichen Realitätsferne bei 'Rückfüh-rungen' in anderen EU-Staaten das Liedchen, mit dem Andrea Nahles im Bundestag zu Ruhm und Ehre gelang-te. Allerdings müssen wir den lebens-frohen Freigeist Pippi Langstrumpf um Verzeihung bitten, für die Entglei-sung von Frau Nahles ebenso wie für den Kontext, in den wir den Liedtext stellen: "Ich mach' mir die Welt, wid-dewidde, wie sie mir gefällt ...." Denn existentielle Entscheidungen, die Fakten ignorieren und beschönigen, Dublin-Deportationen trotz unzäh-liger Belege in Wort und Bild, dass Menschen so wissentlich in Elend und Perspektivlosigkeit abgeschoben werden - das hätte Pippi niemandem durchgehen lassen!

Eva Peteler

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Bulgarien:Aktuelle Untersuchungen von Amnesty International (AI), Human Rights Watch (HRW) und dem bulgarischen Flücht-lingsverein Bordermonitoring Bulgaria weisen darauf hin, dass Zurückdrängungen (sogenannte Push-Backs) seit An-fang 2014 offenbar als gezielte Strategie vom bulgarischen Grenzschutz eingesetzt werden. Dabei werden irregulär einwandernde Personen in die Herkunfts- oder Transit-staaten zurückgedrängt, ohne ihnen die Möglichkeit zu ge-ben, einen Asylantrag zu stellen. Bulgarien verstößt damit gegen geltendes Völkerrecht.

HRW interviewte für seinen Bericht177 Schutzsuchende und berichtet von 44 Vorfällen, bei denen 519 Personen ohne die Möglichkeit, ein Schutzgesuch zu stellen, in die Türkei zurückgedrängt worden sein sollen. Bordermonito-ring Bulgaria konnte wiederum Fälle nachweisen, in denen auch besonders schutzbedürftige Geflüchtete, wie zum Beispiel schwangere Frauen, von Push-Backs betroffen waren. Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen lie-gen zudem Aussagen von syrischen Geflüchteten vor, die von Polizeigewalt in Bulgarien berichten. Asylsuchende seien außerdem rassistisch angegriffen worden, ohne dass die bulgarische Polizei eingeschritten wäre. AI weist darauf hin, dass die Bedingungen in den bulgarischen Aufnahme-einrichtungen nach wie vor dramatisch seien: Familien und Einzelpersonen würden in Hallen ohne Privatsphäre unter-gebracht, in denen Nahrungsmangel und unzureichende hygienische Bedingungen herrschten.

Ungeachtet dieser Situation stellte die Bundesregierung im ersten Quartal 2014 insgesamt 629 Gesuche an die bulgarische Regierung, nach Deutschland weitergereiste Schutzsuchende im Rahmen des Dublin-III-Verfahrens an Bulgarien zurück zu überstellen.

Seit November 2013 hat Bulgarien den Grenzschutz mit zusätzlich rund 1.500 Polizeibeamten verstärkt. Zudem wurde mit dem Bau eines 30 Kilometer langen Zauns an der Grenze zur Türkei begonnen. Die EU unterstützte die Grenzschutzmaßnahmen2013 mit über 13Mio. Euro. Für die Verbesserung der Aufnahmebedingungen und des Asylver-fahrens in Bulgarien stellte sie 750.000 Euro zur Verfügung.

Griechenland:Auch an der griechisch-türkischen Grenze hat sich die Situ-ation laut AI weiter verschärft. In einem aktuellen Bericht, der an eine im Juli 2013 durchgeführte Studie anschließt, konstatiert die Menschenrechtsorganisation, dass „die Menge glaubwürdiger Beschuldigungen zu Push-Back-Handlungen“ darauf schließen lasse, dass das illegale Zu-rückdrängen „routinemäßig“ stattfinde. Pro Asyl hatte im letzten Jahr außerdem auf Fälle an der griechischen Land- und Seegrenze hingewiesen, bei denen Geflüchtete von „maskierten Sonderkommandos“ beim Aufgriff miss-handelt, für einige Stunden in Transportwagen inhaftiert und dann völkerrechtswidrig in die Türkei zurückgedrängt worden waren.

Seit der Abriegelung der türkisch-griechischen Landgrenze durch die Entsendung von 1.800 zusätzlichen Polizeikräf-ten in die Evros-Region und der Errichtung eines 10,5 Ki-lometer langen Sperrzauns im Jahr 2012 hat die Verschie-bung der Fluchtroute auf das Ägäische Meer zum Tod von mindestens 230 Schutzsuchenden geführt. Erst im Mai wa-ren in der Ägäis 22 Menschen bei dem Versuch, mit einem Boot in Richtung Griechenland überzusetzen, ertrunken. Die griechische Regierung will derweil die Überwachung der Grenzen weiter verstärken und noch restriktiver gegen irregulär eingereiste Migranten vorgehen. So veröffent-lichte das Ministerium für Schifffahrt und die Ägäis die Ausschreibung für eine Drohne, die künftig als Hilfsmittel eingesetzt werden soll, um Geflüchtete im Grenzgebiet aufzuspüren. Bereits im Oktober letzten Jahres hatte das

Europa 2014, gestern wie heute:

aus dem Newsletter Migration und Bevölkerung 05/Juni 2014

des "Netzwerkes Migration in Europa"

Asylpolitik bricht Völkerrecht

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Europaparlament das seit 2008 vorbereitete Grenzüber-wachungssystem Eurosur beschlossen, welches unter an-derem den Einsatz von Drohnen und Satelliten an allen EU-Außengrenzen vorsieht.

Der griechische Innenminister Giannis Michelakis (Nea Dimokratia, liberal-konservativ) hatte im März zudem eine Änderung des Einwanderungsgesetzes eingebracht, wonach Migranten, die Beamte der Gewalt oder rassisti-scher Übergriffe gegen sie beschuldigen, inhaftiert und abgeschoben werden sollen, sofern sich die Vorwürfe als falsch herausstellen oder unzureichend belegt werden. Flüchtlingsorganisationen kritisieren diese Neuregelung, weil Migranten mit einer Klage gegen rassistische oder ungesetzliche Gewalt ihre Abschiebung riskierten. Die Ge-setzesvorlage war im ersten Anlauf vom griechischen Par-lament abgelehnt worden. Michelakis kündigte jedoch an, die Regelung erneut ins Parlament einzubringen.

Forderungen:Die Nichtregierungsorganisationen fordern Bulgarien und Griechenland auf, die Push-Back- Operationen sofort zu beenden und legale Einreisewege für Geflüchtete zu ge-währleisten. Ferner drängen die Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen darauf, Dublin-Überstellungen nach Bulgarien auszusetzen, wie dies bereits für Geflüchte-te gilt, die über Griechenland nach Deutschland eingereist sind. Auch sei die EU gefordert, weitere Schritte gegen die Menschenrechtsverletzungen an ihrer Außengrenze einzu-leiten.

Die mit der im Mai vom EU-Rat angenommenen Seeau-ßengrenzenverordnung (VO 2013/0106(COD)) verbundene Regelung, Push-Backs innerhalb der 12-Meilen-Zone zur Schleuserbekämpfung zu legalisieren, sei dabei hinderlich. Statt die Operationen eindeutig zu untersagen, werde da-mit weiterer Auslegungsspielraum für die Grenzstaaten eröffnet. Positiv aufgenommen wird hingegen ein Ver-tragsverletzungsverfahren gegen Bulgarien, das im April aufgrund mutmaßlicher völkerrechtswidriger Zurückdrän-

gungen syrischer Geflüchteter von der Europäischen Kom-mission eingeleitet wurde.

Ellen Kollender

http://www.migration-info.de/sites/migration-info.de/files/attachments/mub05-14.pdf

©UNHCR, Mathias Depardon

©UNHCR, F.Noy

©UNHCR, O.Laban-Mattei

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[email protected] [email protected]

Der Toten zu gedenken, sollte bedeuten, die Überlebenden zu schützen

Lampedusa in Rhein-Main:

Offener Brief an die Kirchengemeinden in Hessen

(c)UNHCR-Alfredo D'Amato

Lampedusa in ... Die Kirchenasyle und auch so manche Gefängniszelle sind voll von verzweifelten Asylbewerbern, denen die 'Rückfüh-rung' in ein anderes EU-Land droht, nämlich dorthin, wo sie nach der Ankunft in Europa zuerst registriert worden sind. Das bedeutet in vielen Fällen Obdach- und Rechtlo-sigkeit, Inhaftierung, Verfolgung und Verelendung. Schon seit langem prangern Verbände und Organisationen das Leid und Unrecht an, das wissentlich und willentlich durch den Vollzug der EU-weiten Dublin II / III - Verordnung ge-schieht. Ein auch ökonomisch irrwitziger, aufwändiger Ab-wehrmechanismus, der tausende Schutzsuchender kreuz und quer durch Europa hin und her schiebt, der Familien trennt, Menschen immer aufs Neue entwurzelt und bricht und keinen Sinn macht. Verordnungen zur Harmonisierung

der Asylverfahren in Europa sind absurd, solange es ver-bindliche Mindeststandards nur auf dem Papier gibt. Für alle erkennbar genügen viele Länder der EU mitnichten diesen Mindeststandards rechtsstaatlicher und huma-ner Behandlung Asyl- und Schutzsuchender, und die Fra-ge ist, ob sie es nicht können oder nicht wollen. Seriöse, nachprüfbare Dokumentationen belegen offensichtliche Missachtung und Verletzung elementarer Menschenrech-te von Flüchtlingen in vielen EU-Ländern. Sie sind nur ei-nen Mausklick entfernt und jedem zugänglich, der sie zur Kenntnis nehmen will. Nur die verantwortlichen Behörden und Gerichte sehen nach wie vor - NICHTS! Nichts, was be-deutsam genug wäre, um es zur Grundlage ihrer Entschei-dungen zu machen.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir sind Flüchtlinge und UnterstützerInnen aus Frankfurt und Umgebung, und unser Arbeitskreis hat sich erst vor weni-gen Monaten gebildet. Anlass unserer gemeinsamen Treffen, von vier Protestdemonstrationen und nun dieses dringli-chen Briefes ist eine sich zuspitzende Situation, die zunehmend mehr Flüchtlinge in ganz Deutschland betrifft und auf eine grundsätzliche Fehlentwicklung der europäischen Flüchtlingspolitik verweist.

Wir Flüchtlinge sind fast alle übers Mittelmeer nach Europa gekommen, die meisten über Lampedusa und Sizilien. Sehr-viele von uns sind Überlebende lebensbedrohlicher Situationen auf See. Wir kommen aus Eritrea, Somalia, Sudan und anderen Ländern, aus denen wir vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Doch hier in Deutschland angekommen, sind wir nun mit einer neuen Bedrohung konfrontiert. Der Zugang zum Asylverfahren bleibt uns verwehrt, stattdessen sollen

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Erstunterzeichner_innen der Initiative:• Refugees For Change: Refugees of Hessen against Dublin-Regulation• Lampedusa in Hanau• Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main• noborder frankfurt• kein mensch ist illegal Hanau• AGIS Darmstadt• kein mensch ist illegal Darmstadt• Sabine Fröhlich (Pfarrerin der Ev. Cantate-Domino-Gemeinde, Frankfurt)• Bernd Hans Göhrig (Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.• Ulrich Schaffert (Pfarrer der Ev. Dietrich Bonhoeffer-Gemeinde, Frankfurt)

http://www.interkulturellewoche.de/sites/default/files/aktuelles/anhaenge/offener_brief_kg_hessen_juli2014.pdf?pk_campaign=Email-Juli2014

wir nach Italien oder andere Länder an den Außengrenzen der EU abgeschoben werden.

Auf unserem Weg waren wir gezwungen, z.B. in Italien, unserem ersten Einreiseland, Fingerabdrücke abzugeben. Damit soll laut der europäischen Dublin-Regelung Italien für unseren Asylantrag zuständig sein. Diese Regelung nimmt aber nicht zur Kenntnis, dass Italien gar nicht das Land ist, in dem wir Schutz suchen wollten. Und vor allem: Italien scheint we-der willens noch in der Lage zu sein, uns ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Denn als Flüchtlinge haben wir die Erfahrung gemacht, in Italien ohne ein Dach über dem Kopf und ohne Versorgung uns selbst überlassen zu bleiben. Alle von uns erlebten Obdachlosigkeit und wir schätzen, dass es aktuell höchstens 15 bis 20 % der Asylsuchenden zeitweilig gelingt, einen Unterkunftsplatz im staatlichen System zu bekommen. Dazu kommen mangelnde medizinische und psy-chologische Versorgung. Wir fanden weder Arbeit noch konnten wir uns ein menschenwürdiges Leben aufbauen. Und wir erlebten rassistische Gewalt auch auf den Straßen in Italien.

Nach der Bootstragödie von Lampedusa im Oktober 2013 mit mehr als 360 Toten gab es viele Stimmen, die ein Umden-ken in der europäischen Migrationspolitik und insbesondere sichere Wege für Flüchtlinge nach Europa forderten. Doch stattdessen haben die verantwortlichen Politiker der EU für einen weiteren Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und für das Überwachungssystem Eurosur entschieden, im Wissen, dass mehr Kontrolle mehr Leid und Tod be-deuten wird. Und durch Dublin II und III sind wir, die die riskante Flucht über das Meer überlebt haben, mit Rückschiebun-gen in elende Verhältnisse konfrontiert.

Daher gilt es nun nicht mehr allein, sichere Wege nach Europa zu fordern, sondern auch diejenigen zu unterstützen und zu schützen, die bereits hier sind. Wir brauchen Sicherheit, um uns von unseren schrecklichen Erlebnissen erholen zu können. Viele von uns sind mehrfach traumatisiert und einige mussten bereits als Notfälle in der Psychiatrie behandelt werden, da sie in Panik geraten, sobald sie die Abschiebebescheide erhalten. Wir brauchen endlich einen Ort zum Bleiben, an dem wir willkommen sind.

Wir wenden uns daher an Sie auf der Suche nach Unterstützung. Wir möchten Sie bitten, sich öffentlich für ein Bleibe-recht der von „Dublin“-Abschiebungen bedrohten Menschen einzusetzen. Jederzeit könnten die zuständigen Behörden in Deutschland ihren "Selbsteintritt erklären" und damit den Zugang zum hiesigen Asylverfahren ermöglichen.

Wir bitten Sie zudem, für Notfälle die Gewährung von Kirchenasyl in Ihren Gemeinden anzuregen, um konkrete Schutz-räume für die Abschiebebedrohten zu schaffen. Dabei ist uns bewusst, dass das Kirchenasyl dadurch eine Bedeutungser-weiterung erfährt. Es geht nicht mehr nur um den Schutz vor Abschiebung in einen Verfolgerstaat sondern um den Schutz vor Obdachlosigkeit und Verelendung - als Resultat einer katastrophalen EU-Flüchtlingspolitik, die sich eine "gemeinsa-me" nennt, aber hinnimmt, dass viele Staaten Flüchtlinge rechtlos, schutzlos und obdachlos stellen.

Wir denken, es ist gerechtfertigt und notwendig, Kirchenasyl zu gewähren, damit die Dublin-Regelung nicht mehr zur Zerstörung der Perspektiven der Überlebenden von Lampedusa eingesetzt wird.

Juli 2014

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[email protected] [email protected]

„Fremd“ beschreibt den von der Not diktierten Aufbruch eines jungen Maliers nach Europa. Seit zweieinhalb Jahren ist er unterwegs in eine Welt, in der er nie leben wollte. Der Film sucht die Beweggründe für diese Flucht und gewährt Ein-blick in die Lebensumstän-de und den zermürbenden Alltag von Migranten auf ihrem Weg vom subsaha-rischen Afrika über Alge-rien und Marokko nach Europa. Er zeigt ihr Leben, das geprägt ist von Het-ze und Hoffnung, Flucht und Stillstand. Vom Leben als jahrelanger Reisender und vom Überleben in der Fremde.

Statement der Regisseu-rin Miriam Faßbender:Je näher ich die jungen Männer und Frauen auf ihrer Odyssee vor Eu-ropa kennenlernte, desto dringender verspür-te ich den Wunsch, Ihnen – die in unsrer politi-schen Sprache meistens nur als anonyme Masse auftauchen, vor der es sich zu schützen gilt - ein Gesicht zu verleihen. Ich will sie in „Fremd“ als Individuen wahrnehmbar werden lassen und ihnen die Möglichkeit geben, für sich selbst zu sprechen.Ich bewunderte die mir anfangs fremden Mi-granten für ihre Konsequenz und ihren unbe-dingten Willen einen Kontinent erreichen zu wollen, den sie nur schemenhaft kannten. Die-se Bereitschaft zu einem kompletten Bruch mit ihrem bisherigen Leben machte mich neugierig. Als mir bewusst wurde, unter welchen Umstän-den sie in ihren Ländern leben, welcher Trost-losigkeit und Restriktion sie sich häufig gegen-übersehen, verstand ich, dass für sie ein Leben,

"FREMD"Ein Dokumentarfilm von Miriam Faßbender

selbst mit den einfachsten Wünschen in ihren Heimatländern unmöglich ist. Denn wie kann man sich selbst verwirklichen, auf Bildung, Rechtsstaatlichkeit, und persön-

liche Freiheit hoffen, wenn man jeden Tag erneut ums Überleben kämpfen muss? Wenn man keinen Cent in der Tasche hat? Wenn man sich fremd fühlt im eigenen Land? Die drangsalierten, durstigen aber immer noch ungebro-chenen Migranten an provi-sorischen Orten, in Wäldern versteckt wiederzutreffen, gab mir das Gefühl, sie seien verloren und ihre Reise bräch-te sie eher weiter von sich weg als näher zu sich selbst. Fremd ist eine Geschichte über Menschen auf Reisen, auf der Suche nach einem an-deren Leben. Eine Reflexion

über den Verlust von Zeit und das Scheitern. Aber ist es nicht unser Scheitern?

Kontakt:Max Milhahn Tel.: +49 163 637 94 [email protected]

Leider nicht auf DVD erhältlich;Vorführrechte können über den Pe-ripher Filmverleih angefragt wer-den:http://www.peripherfilm.de/peri/peri.htm

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Die drei Brüder Mojtaba, Masoud und Milad wachsen im Iran der 1980er Jahre als Kinder regimekritischer Eltern auf. Als ihre Mutter bei einer verbotenen Flugblattaktion auffliegt, müssen sie untertauchen und sind monatelang komplett von der Au-ßenwelt abgeschnitten. Bis sie die Flucht wagen und mit Hilfe eines Schleppers im Sommer 1996 mit nichts als einem Koffer illegal nach Deutschland gelangen. Ohne Geld, ohne Papiere und ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, landen sie in einem Auffanglager bei Münster. Dann der Schock: Ihr Asylantrag wird abgelehnt, sie werden zur sofortigen Ausreise aufgefordert

Wie Mojtaba, Masoud und Milad eine Integration gegen alle Widerstände gelingt, wie ihnen trotz Rückschlägen, bürokrati-scher Schikanen und eines dramatischen Kampfs gegen die Abschiebung der Sprung aufs Gymnasium und das Einserabitur glückt, und wie sie auch an deutschen Eliteuniversitäten lernen müssen, ihren eigenen Weg zu finden – davon berichten sie gemeinsam in diesem Buch. Aus drei Perspektiven und mit drei unverwechselbaren Stimmen. Bewegend wie ein Roman erzählt UNERWÜNSCHT so von der Suche nach Heimat und Freiheit und dem Wunsch dazuzugehören. Es ist die Geschichte eines Flüchtlingsschicksals – vor allem aber eine so noch nicht gelesene Parabel über Brüderlichkeit, Mut und Menschlichkeit.Lesungsanfragen bitte an den Berlin Verlag.Kontakt:Katrin [email protected]

Fast 16 Millionen Menschen in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund.Egal, ob sie hier geboren wurden oder zugewandert sind – die meisten von ihnen bekommen immer wieder zu spüren, dass sie vielleicht alles Mögliche sind, nur eines nicht: Deutsche. Doch was heißt das heute überhaupt, deutsch sein?Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu stammen aus Einwandererfamilien. Sie erzählen von einem Lebensgefühl, das sie mit vielen anderen teilen. Ein Lebensgefühl jenseits eindeutiger Zugehörigkeiten: das der neuen Deutschen. Sie sind es leid, dass über ihre Köpfe hinweg bestimmt wird, wer zu dieser Gesellschaft gehört und wer nicht. Dass immer noch so getan wird, als ließen sich Probleme lösen, indem die Migranten verschwinden. Denn das werden sie nicht. Sie gehören hierher. Und sie fordern ihren Platz ein.Die Autorinnen können für Lesungen angefragt werden.Kontakt:Lisa Marie [email protected]

Unerwünscht

Wir neuen Deutschen

von Mojtaba, Masoud und Milad Sadinam2014

ISBN 978-3-8270-1079-7

von Alice Bota, Khuê Pham, Özlem Topçu2014, Rowohlt Verlag

ISBN 978-3-498-00673-0

Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Wer wir sind, was wir wollen

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Malen mit Asylbewerbern –

wozu?Jeden Mittwochvormittag werden die Tische im Asylbewerberheim in Veitshöchheim bei Würzburg, einer kleinen Unterkunft mit 22-25 Be-wohnern, umgeräumt und mit einer Wachstuchdecke abgedeckt. Auf den Tischen werden verschiedene Materialien, wie zum Beispiel Pastell-kreide, Wasserfarben, Acrylfarben, Bleistifte und vieles mehr zur Verfü-gung gestellt. Kurz nach zehn Uhr finden sich einige Asylbewerber und zwei ehren-amtliche Unterstützer ein und beginnen mit dem Malen oder Zeichnen

- anfangs meist schweigend und ganz bei sich, bis nach und nach die ers-ten Bilder Gestalt annehmen.

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Was macht gerade das Malen zu ei-nem guten Projekt für Flüchtlinge?Es gibt so viele Ansätze in der Arbeit mit Flüchtlingen, warum entschieden sich hier die ehrenamtlichen Unter-stützer gerade für diesen? Einmal auf Grund der Erfahrungen aus Ugan-da: Dort malen Kinder, um so einen

Prozess der Entlastung von traumati-schen Erfahrungen in Gang zu setzen und um Abstand von ihren Kriegser-lebnissen zu bekommen. In Srebreni-ca half Zeichnen Frauen und Kindern, den Überlebenden des Massakers an ihren Vätern, Männern und Söhnen, mit diesem Trauma weiterzuleben.

Eine Würzburger Traumatherapeutin bezeichnet die Kunst als einen Raum, in den man seine Gefühle, auch die Ängste, hineinprojizieren kann. Die-sen Raum könne man auch wieder verlassen, allerdings brauche man dazu einen Begleiter. Desweiteren könne man dort den negativen Erleb-

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nissen eine Form geben, die es auch ermöglicht, über sie zu sprechen und ihren Schrecken abzumildern. Auf die Kunsttherapie kann das Zitat von Hugo von Hofmannsthal, „in der Ge-stalt erst ist das Problem erledigt“, in besonderer Weise zutreffen. Da es nicht des Mediums Sprache bedarf, ist das Malen als Ausdrucksform der inneren Prozesse sehr gut für Flücht-linge geeignet; sprachlichen Barrieren werden so überwunden. Indem im freien Malprozess offen gelassen wird, was gezeichnet wird, können die Teil-nehmer ihre Träume, Bilder aus ihrer Vergangenheit oder aus ihrer Gegen-

wart zu Papier bringen. Wichtig ist je-doch, dass man die Bilder nicht als ein diagnostisches Instrument betrachtet, sondern als das, was sie sind: Ein zu-nächst wertfreier Ausdruck der Krea-tivität, an dem das Unterbewusstsein beteiligt sein kann.

Welche Wirkungen entfaltet dieses Angebot ganz konkret vor Ort? Es er-leichtert das gegenseitige Kennenler-nen und fördert das Vertrauen zu den deutschen Ehrenamtlichen. Anfangs ist ein Großteil der Asylbewerber zu-meist eher zurückhaltend und vorsich-tig, was nicht verwunderlich ist ange-sichts der individuellen Erfahrungen mit verschiedenen Unrechtsregimes und den daraus resultierenden Flucht-geschichten. In Deutschland müssen die Menschen wieder ganz von vorne beginnen, und das wird ihnen nicht leicht gemacht. Durch das Malen kann sich die Anspannung lösen, Vertraut-heit und eine Atmosphäre des An-kommens und der Annahme können entstehen.

Desweiteren stärkt das Malen auch das Selbstvertrauen der Flüchtlinge. Sie nehmen sich selbst wieder wahr als lebendig und kreativ, und sie mer-ken, dass sie noch etwas schaffen bzw. erschaffen können. Um diese Selbst-erfahrung und Wertschätzung zu be-

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stärken, kommen regelmäßig einzel-ne Bilder in einem Wechselrahmen zur Geltung und tragen dann zur Verschö-nerung der Unterkunft bei. Schon kurz nach dem Start des Pro-jekts stellte sich heraus, dass nicht die Frauen, sondern wider Erwarten die Männer sich dort am meisten ein-brachten. Während die Frauen meist ihrer Mutter- und Hausfrauenrolle ge-recht werden wollen, können die Män-ner ihre traditionelle Rolle nicht mehr einnehmen. In ihren Herkunftsländern sind sie als Ernährer der Familie in der Verantwortung gewesen und haben so Respekt und Selbstbestätigung er-fahren; nun haben sie weder eine Ar-beitsmöglichkeit noch eine Aufgabe.

Da das Malen regelmäßig am Mitt-woch von zehn bis zwölf Uhr stattfin-det, hat es eine wochenstrukturieren-de Funktion. Diese Regelmäßigkeit führt auch dazu, dass die Flüchtlinge, gleich, woher sie kommen und wer sie sind, miteinander in Kontakt treten und so auch eine Gemeinschaft ent-steht. Diese Gemeinschaftserfahrung stützt den Einzelnen dann auch in schwierigeren Zeiten. So spielen jetzt zum Beispiel auch Kinder und Erwach-sene unterschiedlichster Herkunft miteinander Tischtennis.

Durch das gemeinsame Malen konn-ten die Asylbewerber Vertrauen zu den deutschen Ehrenamtlichen fassen und kommen nun auch mit weiteren Anliegen zu Dr.Bärbel Krumme, der Initiatorin und treibenden Kraft des Projekts. Sie gibt ihnen inzwischen beispielsweise Deutschunterricht und unterstützt sie bei amtlicher Kor-respondenz und bei Behördengän-gen. Bereits seit 1979 arbeitet sie mit Flüchtlingen: Sie war für Cap Anamur und für das Missionsärztliche Institut Würzburg in verschiedenen Kriegs- und Krisenländern in Asien (z.B. Af-ghanistan und Pakistan) und Afrika (z.B. Sudan) tätig. Wie sie selbst, ha-ben auch die wenigen weiteren Un-terstützer, die sich in Veitshöchheim engagieren, einen medizinischen oder künstlerischen beruflichen Hinter-grund.

Die Bilder, die beim freien Malen und Zeichnen in der Unterkunft entstan-den sind, lassen sich in drei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie blickt

zurück. Die Szenen stellen einen Teil der Vergangenheit dar wie Kriegs-ereignisse oder auch persönliche Er-fahrungen vor der Flucht.

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Die zweite Kategorie zeigt eher Wün-sche und Träume, die meist in Bildern mit prächtigen Farben oder schönen Landschaften zum Ausdruck kommen. Sie spiegeln meist das innere Bedürf-nis nach Frieden und die Sehnsucht nach einer heilen Welt wieder.

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Das freie Malen ist ein beeindrucken-des und wertvolles Instrument, das Asylbewerbern in der Fremde Aus-drucksmöglichkeiten und Entlastung in ihrer besonderen Situation schenkt und Aufbau von Beziehungen und Ver-trauen ermöglicht. Gerade in den länd-lichen Unterkünften sind sie dringend auf mehr Unterstützung und Beglei-tung durch Ehrenamtliche angewiesen, da sie dort oft mit ihren Ängsten und Sorgen alleingelassen werden.

Die wenigen Ehrenamtlichen, die dort arbeiten, brauchen hauptamtliche Un-terstützung, da es oft Situationen gibt, die sie überfordern, z.B. in Fragen der Rechts- und Sozialberatung. Um die-se Dinge aufzufangen, ist ein gutes Netzwerk sehr wichtig. Es ist dringend erforderlich, dass sich immer mehr Eh-renamtliche der Asylbewerber anneh-men, da die Asylsozialberatung wegen der steigenden Anzahl von Flüchtlin-gen nur sehr begrenzte Hilfe anbie-ten kann. Es wäre wünschenswert, dass jedem ankommenden Flüchtling oder einer Familie eine Art Mentor/Mentorin zur Seite stünde, um so die Eingewöhnung in dem neuen Land zu erleichtern.

Die Erfahrung aus dem Malprojekt ist trotz zeitlicher Belastung sehr vielfäl-tig und befriedigend. Dennoch ist es noch ein langer Weg, bis die Flüchtlin-ge nicht mehr nur kommen, sondern auch ankommen.

Daniel SchubertStudent der Sozialen Arbeit

an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, FHWS

In die dritte Kategorie fallen Bilder mit einem aktuellen Bezug. Meist wurden Bilder von Würzburg gemalt, z.B. die Festung Marienberg oder das Rathaus.

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Wegwerfmenschen?zu Ilja Trojanows „Der überflüssige Mensch“

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde der Autor bekannt, als ihm 2013 die USA die Einreise zu einem Germanis-tenkongress verweigerten. Die Öffent-lichkeit sah dieses Verbot vor dem Hin-tergrund von Schriftsteller-Protesten gegen die Überwachungspraxis US-amerikanischer Geheimdienste, an de-nen sich auch Trojanow beteiligt hatte. Erst nach der Fürsprache verschiede-ner Schriftstellerverbände durfte er dann doch einreisen.

Ilja Trojanow ist bulgarischer Herkunft. Als Kind kam er 1971 mit seinen Eltern nach Deutschland, die über Jugosla-wien und Italien ausgereist waren und hier Asyl erhielten. Mit seiner Familie verbrachte er etliche Jahre in Afri-ka, studierte in München und wurde schließlich als Schriftsteller, Überset-zer und Verleger tätig. Er lebt in Wien.

Mit „Der überflüssige Mensch“, einem 2013 erschienen Essay zur Würde des Menschen im Spätkapitalismus, übt Trojanow harsche Kritik an der Kon-sum- und Wegwerfgesellschaft in der globalisierten Welt. Seiner Meinung

nach bringt der kapitalistische, profit-orientierte Blick auf die Welt eine Ein-stufung von Menschen in brauchbare und überflüssige Menschen mit sich. Diejenigen, die nichts besitzen oder für die Besitzenden produzieren und konsumieren, werden nicht gebraucht, sind überflüssig. Sie werden als Teil des Problems der „Übervölkerung“ des Planeten angesehen.

Damit sieht Trojanow Gedanken des britischen Nationalökonomen und Sozialphilosophen Thomas Ro-bert Malthus aufgenommen, der als Quintessenz seines Bevölkerungs-gesetzes feststellt: „Ein Mensch, der in einer schon okkupierten Welt ge-boren wird, wenn seine Familie nicht Mittel hat, ihn zu ernähren, oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend ei-nen Teil von Nahrung zu verlangen, und ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle der Na-tur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm ab-zutreten, und sie säumt nicht, selbst

oldgoldandblack.com

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zu Ilja Trojanows „Der überflüssige Mensch“diesen Befehl zur Ausführung zu brin-gen.“ (zitiert auf S. 14f.)

Trojanow konstatiert eine Renaissance dieser Gedanken in der globalisierten Welt. Menschen müssen nützlich sein und den globalen Interessen des Mark-tes, mächtiger Konzerne oder sehr reicher Menschen dienen, ansonsten verlieren sie ihre Daseinsberechtigung. Tendenzen dafür sieht er auch in Euro-pa: „Auch bei uns stecken viele Men-schen im Treibsand zwischen Erfolg und Überflüssigkeit fest. Sie kämpfen darum, nützlich zu bleiben, wesentlich zu werden, im Wettbewerb zu beste-hen, den drohenden Absturz in die soziale Irrelevanz und materielle Un-terversorgung zu vermeiden.“ (S. 28f.)

Das Buch von Trojanow mag außeror-dentlich polemisch geschrieben sein, es weist aber auf Sachverhalte hin, die uns nachdenklich stimmen sollten: Welche Zuwendung und Aufmerk-samkeit, welche Lebensperspektiven räumt unsere Leistungs- und Wis-sensgesellschaft denen ein, die nicht mehr oder noch nicht nützlich sind? Alten, Gebrechlichen, Kindern, Men-

schen mit geringer Ausbildung und wenig Leistungsfähigkeit? Werden sie als gleichwertige Menschen ange-sehen oder sollen sie am besten in ei-ner Einrichtung oder Institution mehr oder weniger gut versorgt und aus dem öffentlichen Raum entfernt wer-den? Welche Einschränkung der Le-bensmöglichkeiten tolerieren wir bei Menschen in fernen Ländern, die für unseren Markt Rohstoffe fördern und Güter produzieren? Vielleicht haben wir noch die verbrannten Textilarbei-terinnen in Bangladesch in Erinnerung oder das Los von Wanderarbeitern in China.

So polemisch die Darstellung der Si-tuation ist, so werbend und berüh-rend sind Trojanows Vorschläge für Auswege: „Wir müssen uns unverzagt vorstellen, wie eine bessere Gesell-schaft und ein tatsächlich gerechtes und nachhaltiges Wirtschaften aus-sehen könnten. Wir benötigen utopi-sche Entwürfe, wir brauchen Träume, wir müssen Verwegenes atmen.“ (S. 82) Schließlich weist er auf eine sehr menschliche, ja christliche Tugend hin:

„Ohne Empathie ist die Realität des überflüssigen Menschen nicht zu be-kämpfen. … Darin liegt die Perversion unserer Situation: Wir verbrauchen so viel wie keine Gesellschaft vor uns und empfinden doch überwiegend Krise. Unter dem Zwang, unentwegt zu funktionieren und zu konsumieren, fällt es uns zunehmend schwer, Empa-thie zu spüren, Glück zu empfinden.“ (S. 85f.)

„Gott nahe zu sein, ist mein Glück“ ist die Jahreslosung für das Jahr 2014. Eine ganz besondere Quelle für Glück. Sie schenkt uns die Kraft, Abstand zu nehmen, Dinge kritisch zu würdi-gen und neue Wege zu suchen. Dazu gehört ein Nachdenken darüber, in-wieweit wirtschaftliches Denken und das Streben nach Wohlstand unser Handeln ganz und gar zu bestimmen versuchen, welche Auswirkungen das für unser Zusammenleben und unse-re Welt hat und ob es nicht besser ist, nach Auswegen zu suchen.

Dr. Edda WeiseDekanin

Evang-Luth. Dekanat Würzburg

©silverstarfarmandranchoftexas.com.

© spyrosP, creative commons 2.0 by-nc-nd.

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Mensch

Wer sind Sie und woher kommen Sie?

Ich heiße Thewodros und komme aus Äthiopien. Dort bin ich in der Hauptstadt Addis Ababa geboren und aufgewach-sen. Nach meinem Bachelorstudium in Pädagogik habe ich ein Masterstudium in Sportwissenschaften und in Philo-sophie an der Universität von Addis Ababa abgeschlossen. Wie viele andere Äthiopier auch, bekam ich schließlich als Lehrer und als und Präsident des Athletikverbandes in Dire Dawa große Probleme mit der Regierung. Aus diesem Grund sah ich mich schließlich gezwungen, mein Land zu verlassen, deswegen bin ich nach Deutschland gekommen.

Thewodros

Seit wann sind Sie in Deutschland und wo leben Sie hier?

Ende März 2013 kam ich in der Erstaufnahmestelle an, von dort wurde ich schließlich nach Hammelburg, einer Klein-stadt in Unterfranken, weitergeschickt. Die einheimischen Mitbürger wie auch der Bürgermeister von Hammelburg sind von großer Offenheit und haben uns Asylbewerber freundlich empfangen. Dafür danke ich ihnen sehr.

In unserer Unterkunft teile ich ein Zimmer mit einem an-deren Asylsuchenden. Ich habe auch schon Erfahrung, wie es ist, zu dritt zusammenleben zu müssen. Dies gestaltete

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sich besonders schwierig, weil wir uns nicht verständigen konnten: ein Mitbewohner war ein äthiopischer Somalier, der zweite ein äthiopischer Oromo. Keiner verstand die Sprache des anderen.

Wie war Ihr Leben zu Hause?

Es würde einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, darüber zu berichten. Es tut mir weh und es macht mich traurig, mich an mein Leben zu Hause zu erinnern. Ich komme aus einem Elternhaus, in dem Bildung einen hohen Stellenwert hatte. So sind auch meine Brüder und Schwestern gebildet. Ich war sehr erfolgreich zu Hause; nach meinem Master-Studium arbeitete ich einige Zeit an der Kotebe Lehrer-Akademie, um anschließend an die Spitze des Sport- und Athletikverbandes in der schönen äthiopischen Stadt Dire Dawa zu wechseln. Wenn Sie über ihre Heimat reden, was vermissen Sie?

Im Heimfocus haben schon viele Landsleute über die Schön-heit Äthiopiens berichtet, über seine Kultur, Geschichte und Tradition. Das alles können auch die vielen Touristen bestätigen, für die unser Land etwas ganz Besonderes ist, faszinierend und liebenswert. Das ist jedoch nur die eine Seite meines Heimatlandes. Sein anderes Gesicht, das ken-nen wir Geflohenen gut. Die Regierung herrscht seit Lan-gem mit einem Einparteien-System. Wir Jungen können uns nicht in einer Oppositionspartei Gehör verschaffen, wir können nicht unsere Rechte wahrnehmen. Ich kann keine Einzelheiten nennen, aber ich war dreimal im Gefängnis, zweimal in Dire Dawa, wo sich eines der größten Gefäng-nisse für politische Gefangene befindet, und noch einmal in Addis Ababa.

Ich vermisse in erster Linie meine Familie, meine Arbeit und meine Freunde, und sicherlich auch mein Land, vor allem die kirchlichen Feiertage mit ihren traditionellen Zeremonien. In Hammelburg haben wir keine äthiopisch-orthodoxe Gemeinde, so fahre ich wenigstens gelegentlich nach Würzburg, um dort an unseren Gottesdiensten teilzu-nehmen.

Ich bin sehr dankbar für alle, die uns auf verschiedene Wei-se unterstützen, so beispielsweise die katholische Hl. Geist-Gemeinde in Würzburg, die uns ihre Kirche und ihr Pfarr-heim zur Verfügung stellt, und auch die vielen freundlichen und hilfsbereiten Menschen in Hammelburg. Dort habe ich gerade durch mein Sportangebot für die Einheimischen, ein Konditions- und Lauftraining, viele nette Menschen kennengelernt.

Was sind Ihre persönlichen Pläne, Hoffnungen und Le-bensträume?

Für mein Land erhoffe ich mir irgendwann endlich eine gute Regierung; dann möchte ich gerne meinen Teil zu ei-ner guten Zukunft für alle dort beitragen. Bis dahin muss ich mir jedoch ein Leben aufbauen, in dem ich vorankomme und stark bleibe, und ich erhoffe mir dies hier in Deutsch-land. Dazu braucht es eine gute Sprachkenntnis, sie ist der Schlüssel für alles. Ich gebe mein Bestes, Deutsch zu lernen, sitze und übe in meinem Zimmer, und ehrenamtliche Hel-fer unterstützen mich dabei. Doch das ist nicht genug. Von meinem Taschengeld habe ich einen dreimonatigen Grund-kurs bezahlt, doch seither trete ich auf der Stelle. Sprache lernen und die Sicherheit, bleiben zu dürfen und sich ein neues Leben aufbauen zu können, daran hängen all die Pläne und Träume, die ich als junger Mann habe.

Was möchten Sie den Menschen hier sagen, ganz gleich, woher sie kommen?

Lasst uns einander verstehen. Dazu braucht man erste ein-mal eine gemeinsame Sprache, das sage ich auch immer den Freunden in der Unterkunft. Also lasst uns die Sprache lernen, so schnell es geht, um teilzuhaben an der Gemein-schaft der Einheimischen. Lasst uns einander verständlich machen, was wir an Kultur teilen können, lasst und die neue Heimat mit ihrer Kultur, mit ihren Bräuchen und Regeln kennenlernen und uns in ihr integrieren.

Danke an Heimfocus, dass es uns eine Stimme gibt.

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Es ist Samstagmorgen und Marusch-ka Hofmann-Sircelj hat wieder eine anstrengende Woche hinter sich. Die gebürtige Slowenin lebt bereits seit 44 Jahren in Deutschland. Sie ist 69 Jah-re alt und trotzdem ist es ihr nach wie vor ein großes Anliegen und eine Her-zenssache, sich um die Menschen zu kümmern, die meist ganz alleine und traumatisiert aus einem fremden Land hierher kommen. Seit 35 Jahren be-reits engagiert sie sich ehrenamtlich für Menschen in Not, vor allem für Flücht-linge und Asylbewerber, die in den Ge-meinschaftsunterkünften im Landkreis Kitzingen leben.

„Meine Motivation ist, dass niemand freiwillig hier ist; alle wurden gezwun-gen hier zu sein.“Vor 30 Jahren wurde der Arbeitskreis Asyl im Landkreis Kitzingen gegründet und hat Frau Hofmann-Sircelj – die sich schon vorher ehrenamtlich engagiert hatte – um Unterstützung gebeten. Diese bot sie all die Jahre neben ihrer Berufstätigkeit an. Seit sie Rentnerin ist, kümmert sie sich von Montag bis Samstag von frühs bis abends und teil-weise auch sonntags um die Anliegen der Menschen, die sich ihr anvertraut haben. Nur Sonntagabend, wenn „Tat-ort“ läuft, schaltet sie ihr Handy ab. Ihr Engagement ist sehr vielseitig, zeit- und teilweise auch nervenaufreibend. Beispielsweise bemüht sie sich um Wohnlichkeit in den kargen Gemein-schaftsunterkünften (GU). Ihr besonde-

Unermüdliches Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz Engagement mit Herz

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und Handres Anliegen dabei ist, z.B. die Zimmer durch Vorhänge und kleinen Dekoar-tikel heimeliger wirken zu lassen. Die einfache Einrichtung durch den Land-kreis, der nur für die spärliche Basisver-sorgung mit Möbeln aufkommen muss, ergänzt sie mit Einrichtungsgegenstän-den, die sie aus Spenden finanziert. So

gehören die GU‘s im Landkreis Kitzin-gen zu den schönsten und wohnlichs-ten überhaupt. Durch ihr Engagement haben alle GU‘s ein Aufenthaltsraum erhalten, und in einer konnte sogar ein Gebetsraum ermöglicht werden.

„Ich zeige ihnen den Weg, später müs-sen sie ihn alleine gehen.“Die Asylbewerber, die gerade aus ei-ner der Erstaufnahmestellen wie bei-spielsweise in Zirndorf kommen, sind meist verstört, oft traumatisiert, ohne Sprachkenntnisse und völlig alleine in einem fremden Land. So sind sie dankbar für jedes nette Wort, jede Zuneigung und jedes Zuhören. Frau Hofmann-Sircelj schenkt ihnen ihre volle Aufmerksamkeit und gibt ihnen so die Möglichkeit, Vertrauen aufzu-bauen und sich gegenseitig kennenzu-lernen. Jeder von ihnen hat seine ganz persönliche Odyssee hinter sich. Frau Hofmann-Sircelj hilft ihnen durch ihre Zuwendung und ihr immer offenes Ohr, sich zu öffnen, um ihre Geschich-te zu erzählen und die Lasten zu teilen. Seit der Anfangszeit ihrer Hilfe ist sich Frau Hofmann-Sircelj in ihrer persön-lichen Einstellung treu geblieben. Al-lerdings musste sie auch lernen, dass Hilfe, auf einem Tablett serviert, nicht immer möglich oder erwünscht ist. Ihre Grundhaltung ist Hilfe zur Selbsthilfe, so unterstützt Frau Hofmann-Sircelj die Asylbewerber und Flüchtlinge in dem Maße, in dem diese es noch nicht selbst schaffen und leitet diese so zur

"Syrien blutet, Syrien, mein Zuhause"

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immer größerer Selbstständigkeit an. Aber auch die, die bereits ausgezogen sind und mittlerweile in ganz Deutsch-land verstreut leben, können Frau Hof-mann-Sircelj jederzeit um ihre Hilfe bit-ten. Niemand verlässt den Landkreis Kitzingen ohne einen Zettel mit Ma-ruschkas Namen und Handynummer in der Tasche. Frau Hofmann-Sircelj spricht fünf Spra-chen fließend (slowenisch, kroatisch, serbisch, deutsch und italienisch) und in vielen weiteren Sprachen kennt sie sowohl Begrüßungs- als auch Ab-schiedsworte. Ihr Weg zum Ehrenamt war nicht direkt. Sie brachte ihre Tochter alleine in ei-nem deutschen Krankenhaus zur Welt. Aufgrund dieser Erfahrung, die sie sehr prägte, beschloss sie, dass keine Frau im Landkreis Kitzingen ihr Kind alleine auf die Welt bringen muss. So beglei-tete Frau Hofmann-Sircelj viele jungen Frauen bei der Geburt im Krankenhaus. Diese waren oft mit der deutschen Sprache und Bürokratie überfordert. So unterstützte sie diese auch noch nach der Geburt, wodurch sich ihr En-gagement, wie sie es heute noch prak-tiziert, entwickelte.Wichtig für diese Menschen ist es, die deutsche Sprache zu lernen. Doch Frau Hofmann-Sircelj muss immer wieder erkennen, dass es viel zu viele bürokra-tische Hürden für die Betroffenen und auch für die Ehrenamtlichen gibt. Die durch den Staat finanzierten Sprach-kurse reichen bei Weitem nicht aus. Die Mehrzahl der in Kitzingen und den anderen GU‘s stattfindenden Sprach-kurse werden alleine durch Spenden von Firmen – die Frau Hofman-Sircelj mit weiteren sehr engagierten Helfern anwirbt – und von privaten Geldgebern finanziert.

„Für Alte und Kinder gehe ich bei Behör-den mit dem Kopf durch die Wand“Frau Hofmann-Sircelj geht mit gro-ßem Herzblut und Engagement an die 'Arbeit'. Doch auch sie kämpft im-mer wieder mit Wut und Enttäuschung über manche Mitbürger, Gesetze und Behörden: Gesetze und Behörden, die ihre Engagement behindern und aus-bremsen. Mitbürger, denen es eben-so an Verständnis und Gespür für die persönliche Situation der Asylbwerber mangelt wie an der Wahrnehmung dessen, was Flucht bedeutet und was sie erzwingt. Frau Hofmann-Sircelj de-

battiert und diskutiert nicht lange mit ihren Mitmenschen, sondern lebt ih-nen tagtäglich vor, was Nächstenliebe bedeutet. Durch ihr beharrliches Engagement konnte sie auch andere 'anstecken', von denen sie heute in ihrer Arbeit un-terstützt wird. So ist ein Netzwerk aus helfenden Händen entstanden, die mit ihrer Zeit oder auch mit dringend benötigten Gegenständen aushelfen. Dennoch steigt der Bedarf an Ehren-

amtlichen weiter, die z. B. Fahrdienste übernehmen, da die Anbindung der Unterkünfte mangelhaft ist. So fährt Frau Hofmann-Sircelj teilweise mehr-mals am Tag die Strecken Wiesentheid

– Kitzingen – Kleinlangheim – Wiesen-bronn - Mainbernheim. Abgeschieden auf dem Land ist es schwer, lokale Kon-takte zu knüpfen oder mittels eigener Mobilität von Hilfe unabhängig zu wer-den. Doch es gibt einen entscheiden-den Vorteil gegenüber großen GU`s wie z.B. Würzburg. So ist es einfacher, je nach Nationalität oder Religion die Plätze untereinander zu tauschen, um Unstimmigkeiten zwischen den Be-wohnern, die teilweise jahrelang auf engstem Raum miteinander leben müssen, zu vermeiden. In jüngster Vergangenheit wurden

nach jahrelangem Kampf vieler enga-gierter Unterstützer, Verbände und Or-ganisationen Verbesserungen erreicht, wie beispielsweise die Abschaffung der Essenspakete. Allerdings ist die Liste der notwendigen Veränderungen, die den asyl- und heimatsuchenden Men-schen Teilhabe an der Gesellschaft und eine bessere Zukunft ermöglichen würden, noch lang. So muss erreicht werden, dass sie alle schon früh Zu-gang zu Sprachkursen und zu Arbeits-

und Ausbildungsmöglichkeiten erhal-ten. Aber auch die Bevölkerung müsste lernen, sich gegenüber den Bewohnern der Unterkünfte zu öffnen, sie als ei-genständige Personen und nicht als

„die Flüchtlinge“ zu sehen und sie mit Respekt und Wohlwollen zu behandeln. So lässt sich Frau Hofmann-Sircelj auch von bereits erhaltenen Drohbriefen keinesfalls den Mund oder ihr Engage-ment verbieten und arbeitet tagtäg-lich weiterhin für ein besseres Jetzt und auch für eine bessere Zukunft dieser ausländischen Mitmenschen.

Lisa-Marie SchmidStudentin der Sozialen Arbeit an der

Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt , FHWS

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„Was für mich zählt, ist der Mensch“: Es war dieses kleine Buch, dessen Lektüre bei mir vor mehr als 20 Jahren gro-ße Wirkung erzielte. Und es war die erste Begegnung mit dessen Autor, Jacques Gaillot, die zu den wichtigen Mo-menten in meinem bisherigen Leben gehört.Nach meinem Theologiestudium unternahmen wir als Pastoralkurs eine Fahrt in die Normandie. Ziel war es, einen Blick für Kirche in anderen gesellschaftlichen Kontexten zu gewinnen. Eine der Stationen war Evreux. Auf der Tagesordnung stand ein Gespräch mit dem Bischof von Evreux, Jaques Gaillot. Er hatte sich mit seiner Diözese dafür entschieden, die Opti-on für die Armen zum grundlegenden pastoralen Konzept zu erheben. Über die Grenzen Frankreichs war dieser klei-ne unscheinbar wirkende Mann bereits seit längerer Zeit dafür bekannt, dass er sich öffentlich für Kriegsdienstver-weigerer einsetzte, Flüchtlinge in seinem Bischofshaus un-

Jede Gemeinschaft, jede Gesellschaft, jede Kirche erstarrt,wenn es nicht Menschen gibtdie eine Vorreiterrolle übernehmenund trotz des Unverständnisses,der Ablehnung, ja, manchmal sogar der Verachtung, die sie erfahren,einem Morgen den Weg ebnen,wo mehr Gerechtigkeit,mehr Respekt vor jedem Einzelnenherrscht.

Jacques Gaillotwww.partenia.org/ger

„Was für mich zählt, ist der

Mensch“

Burkhard Hose ist der Träger des 20. Würzburger Freidenspreises 2014. Der Würzburger Hochschul-pfarrer setzt sich beharrlich für die Menschen am Rand unserer Gesellschaft ein. Heimfocus freut sich über diese Wertschätzung unseres aufrechten und stets um Versöhnung bemühten Freundes und Weggefährten! Hier einige seiner Gedanken zur Verleihung des Friendenpreises.

©Foto: Pat Christ

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terbrachte und mit der französischen Friedensbewegung gegen die Atomwaffetest seines Landes protestierte. Aus dem geplanten kurzen Gespräch mit Gaillot wurde mehr. Es waren nicht nur seine Bücher, u.a mit dem Titel „Eine Kir-che, die nicht dient, dient zu nichts“, die mich zunehmend beeindruckten und gleichzeitig die römische Kurie erschüt-terten. Es war seine alternative Art, sein Amt auszufüllen, seine Bescheidenheit und sein Optimismus bei allen Wider-ständen, die mich berührten. 1991 veröffentlichte er das Buch „Offener Brief an diejenigen, die den Krieg predigen, diesen aber andere führen lassen“, in dem er den 2. Golf-krieg und die Wirtschaftsblockade gegen den Irak ablehnte.Seine Schrift „Protestschrei gegen den Ausschluss“ erregte mit der deutlichen Kritik an den Einwanderungsgesetzen des damaligen französischen Innenministers großes Aufse-hen. So war die französische Regierung der römischen Kurie mehr als dankbar, als sie 1995 Gaillot als Bischof von Evreux absetzte und ihm als Titularbistum die im 5. Jahrhundert untergegangene algerische Diözese Partenia verlieh. Gail-lot ließ sich dadurch nicht beirren, sondern versammelte in den kommenden Jahren v.a. im Internet Menschen um sich, die sich diesem Wüstenbistum zugehörig fühlten. Im vergangenen Winter habe ich ihn nach vielen Jahren wie-der getroffen. Immer noch bescheiden, voller Optimismus, überzeugt davon, dass der einzelne Mensch immer wichti-ger ist als ein ganzes System. Immer noch davon überzeugt, dass wirklicher Friede nur gemeinsam mit Gerechtigkeit zu haben ist. Und immer noch von freundlicher Unbeugsam-keit. Heute lebt er in einer kleinen Gemeinschaft in Paris, be-gleitet Flüchtlinge zu Gerichtsverfahren, engagiert sich v.a. für Menschen ohne Papiere und ist – wie er mir erzähl-te – jede Woche in Paris bei einer Demo dabei. Und immer noch – mit seinen über 80 Jahren, ist er voller Energie, da-von überzeugt, dass das Evangelium dazu verlockt, mit der Veränderbarkeit der Welt zu rechnen, sich nicht abzufinden mit dem was ist, vor allem nicht mit Ungerechtigkeit, die Perspektive der Benachteiligten zur eigenen Perspektive zu machen. Nach wie vor ist er vor allem eines : ein großer Menschenfreund und einer der bei allem Gegenwind nicht resigniert, weil eines der Geschenke unserer Glaubenstra-dition die Hoffnung ist – nicht die Naivität, dass alles gut wird, sondern die Hoffnung, dass es Sinn macht, sich für mehr Gerechtigkeit zu engagieren – unabhängig vom Aus-gang.Ich habe immer wieder dieses ungeheure Glück, dass ich Menschen begegne, von denen ich lernen darf, die ihre Spuren in meinem Leben hinterlassen. Ich könnte viele Geschichten von prägenden und berührenden Begegnun-gen und Erfahrungen mit ganz besonderen, engagierten Menschen erzählen, auch aus der Katholischen Hochschul-gemeinde (KHG) in Würzburg, in der ich Pfarrer bin, aus der Begegnung mit Studierenden, die sich dort in vielen Arbeitskreisen oder in der Gemeindeleitung neben ihrem Studium engagieren. Dort wird Kirche für mich in ganz be-sonderer Weise erlebbar – eine Kirche, für die der einzelne Mensch zählt, die sich positioniert, einmischt und sich um eine weite einladende Spiritualität müht. Es war ein Wag-nis, das wir vor zwei Jahren mit dem Kirchenasyl eingegan-gen sind – kein kopfloses Abenteuer wohlgemerkt – aber

durchaus ein Wagnis, einem Menschen Gastfreundschaft anzubieten, dem unser gegenwärtiges Asylrecht nicht den Schutz geboten hat, den es bieten müsste. Ich bin dankbar für diesen Zusammenhalt in der KHG, dafür, dass es bei uns so menschlich ist, dass wir tatsächlich einem Menschen mit seinem Schicksal Vorrang geben vor einem System, das in der Gefahr ist, den einzelnen aus dem Blick zu verlieren. Von Ebrahim und von vielen Freundinnen und Freunden unter denen, die hier in Deutschland als Flüchtlinge Schutz suchen könnte ich erzählen. Davon, was es heißt Gast-freundschaft zu leben in einem Land, das selbst so wenig gastfreundlich ist. Und es berührt mich, dass Addis Mu-lugeta als Friedenspreisträger des Jahres 2011 jetzt auch noch über dieses Band mein Bruder ist. Beeindruckende Geschichten könnte ich erzählen von Menschen, die sich hier in Würzburg oder an anderen Orten dafür einsetzen, dass wir endlich ein Land werden, das Menschen auf der Flucht willkommen heißt, anstatt sie zu kriminalisieren. Im Freundeskreis für Flüchtlinge darf ich viele von diesen Menschen erleben, die in ihrer Freizeit Zeit für andere Men-schen einsetzen.Ich kann Geschichten erzählen aus den Jahren seit 2005, als wir in Würzburg zu ersten Mal auf die Straße gegangen sind, um zu zeigen, dass wir eine bunte Stadt der Vielfalt sind, in der kein Platz ist für Intoleranz und braunes Ge-dankengut. In den Jahren darauf durfte ich erleben, wie

sich im „Bündnis für Zivilcourage“ die unterschiedlichsten Organisationen zusammengetan habe, um dieses wichtige gemeinsame Anliegen hier in der Stadt und in der Region zu vertreten.Und es war für mich eine Erfahrung, die ich nur jedem wün-schen kann, was alles möglich wird, wenn sich Menschen mit einem gemeinsamen Anliegen über Parteigrenzen, über konfessionelle oder ideologische Grenzen hinweg zusammentun – in der gemeinsamen Überzeugung: Unse-re Gesellschaft, behördliches Handeln auch in einer Stadt kann noch besser, menschlicher werden – was schließlich zur Berufung des Ombudsrates durch den Würzburger Stadtrat geführt hat. Viele andere Städte beneiden uns um dieses Konzept, das bürgerschaftliches Engagement in die Strukturen der Stadt einbindet.

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Ich kann Geschichten erzählen, die weit zurückreichen in meine Kindheit. Ich wäre vermutlich heute nicht hier ohne die langen Diskussionen bei uns zu Hause am Mittagstisch, wo man sich als jüngster bisweilen das Rederecht auch hart erkämpfen musste. Ich bin dankbar dafür, dass politisches Denken, Zutrauen in unsere Demokratie und kritisches Bewusstsein dort sozusagen mit als Grundnahrungsmittel verabreicht wurden.Tja und schließlich: Ich wäre nicht so hier wie ich hier bin, wenn ich nicht in einer Kirche gelandet wäre, in der ich – manchen wird das jetzt wundern – das kritische Denken und den Blick für den einzelnen Menschen gelernt habe – in der Jugendarbeit in endlosen Verfahrensdebatten, in denen man wirklich lernen konnte wie Demokratie geht, aber v.a.

eben durch die Begegnung mit so vielen Menschen – wie Jaques Gaillot – denen ich ohne diese Kirche nicht begeg-net wäre. Gemeinsames Engagement mit Gleichgesinnten führte mich die Überzeugung, dass es sich lohnt, für eine Kirche einzutreten, die nicht bei sich selber stehen bleibt, die menschenfreundlich ist und den Menschen dient. Wenn 'Mission' bedeutet, ob als Kirche oder als einzelner Mensch nicht bei sich selber zu bleiben, sondern auf ande-re Menschen zu- und mit ihnen zu gehen, dann will ich auch weiterhin missionarisch tätig sein – verbunden mit so vielen, von denen ich gemeinsame Geschichten erzählen könnte, die so viel mehr sagen als programmatische Reden.

Burkhard Hose

"Widerstand in der Demokratie heißt anders: Er heißt Widerspruch, Zivilcourage,er heißt aufrechter Gang, er heißt Edward Snowden oder Kirchenasyl oder Stuttgart 21; er heißt Cap Anamur, Amnesty, Greenpeace, Pro Asyl und Occupy. Er besteht in der Demaskie-rung von Übelständen. Dieser kleine Widerstand hat die Namen all derer, die nicht wegschauen, wenn sie mei-nen, dass in Staat und Gesellschaft etwas ganz falsch läuft. Er hat die Namen all derer, die wachrütteln, Unrecht aufdecken, Missstände benennen und dafür persönlich geradestehen."Heribert Prantl: "Wert der Zivilcourage", Süddeutsche Zeitung vom 20.07.2014

http://www.sueddeutsche.de/politik/aufstand-gegen-hitler-vor-jahren-wert-der-zivilcourage-1.2052896

Zum Tag des Flüchtlings, am 20. September, erinnert der Ökumenische Asylkreis Würzburg (ÖAK) wieder einmal an das Schicksal der aus Bürgerkriegs- und Armutsländern Geflüchteten.

Unendliche Hindernisse,Gefahren und Enttäuschungen markieren den Weg der Flüchtlinge aus häufig diktatorischer Un-terdrückung in demokratische Freiheit, auf der Suche nach neuen Perspektiven. Nicht selten endet die Flucht in einem Fiasko.

Darüber will der ÖAK im Rahmen des Würzburger Stadtfestes informieren und für die Anliegen und Bedürfnisse der Schutzsuchenden sensibilisieren: Die Schwierigkeiten des langen Wegs bis zum mühseligen Neuanfang, andererseits aber auch die Bereicherung durch Begegnung mit Menschen anderer Kulturen – all das soll präsentiert und diskutiert werden.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch an unserem Stand und auf interessante Gespräche!

„Unterdrückt nicht die Fremden, die in eurem Land leben, sondern behandelt sie wie euresgleichen."

Sie finden uns am 20. September 2014 ab 11 Uhr

in der Domstraße vor der Fa. Schuh-Mohr

Gottesdienst zum Tag des FlüchtlingsSonntag, 21. September, 11 Uhr in St. Johannis, Würzburg, Rennweger Ring 2

3. Mose 19,33

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Der ImkerDie unglaubliche Geschichte von Ibrahim GezerBewegende Dokumentation über einen kurdischen Imker, der seine Familie und seinen Beruf verliert und einen Neube-ginn wagt: Ibrahim Gezer war in seiner Heimat auf dem türkischen Land der erste, der professionell Bienen züchtete. Finanziell lief es gut und er wollte für seine Familie ein solides Leben mit Zukunft aufbauen. Bis in den türkisch-kurdischen Kriegswirren das türkische Militär alles zerstörte und sogar seine Tochter tötete. Er flüchtet in die Schweiz, wo er in die Mühlen der Bü-rokratie gerät und am Fließband einer Fabrik landet. Doch Ibrahim gibt die Hoffnung nicht auf und findet schließlich nicht nur sehr gute Freunde, sondern auch den Weg zurück zu seinen geliebten Bienen. Laufzeit: 112 min. Veranstalter: Asyl-AK der KHG

Do, 06.11.2014, 20.00 h

mit anschließender Möglichkeit zur Diskussion.

"Kein Mensch ist illegal"Viel Halbwissen und schnell getroffene Vorurteile bestimmen die Diskussion um Flucht, Asyl und Migration in Deutsch-land. Doch davon sind Flüchtlingsorganisationen überzeugt: Niemand flieht freiwillig. Menschen verlassen ihre Herkunftsländer in bestimmten Lebenssituationen, in denen sie akut bedroht und auf Schutz und Unterstützung angewiesen sind.Durch Öffentlichkeitsarbeit versucht der Bayerische Flücht-lingsrat dazu beizutragen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Flüchtlingen und Migrant_innen wächst. Als Menschenrechtsorganisation macht sich der Bayerische Flüchtlingsrat stark für die Rechte von Flüchtlingen und Mi-grant_innen. Dort, wo individuelles Handeln an seine Grenzen stößt, klagt er auf vielfältige Weise menschenunwürdige Lebenssituationen an, um strukturelle Verbesserungen für Flüchtlinge zu erlangen.Veranstalter: Asyl-AK der KHG

Mi, 26.11.2014, 19.00 h Essen, ca. 20.00 h Vortrag und Diskussion

Referent: Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat

KHG - Katholische Hochschulgemeinde WürzburgHofstallstr. 497070 Würzburg

Veranstaltungen

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Klartext 09/2014

So Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz am 30.06. 2014. Was die EU hierfür tut – oder auch nicht – ist nachzulesen in der Stel-lungnahme von Pro Asyl.http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIO-NEN/2014/Stellungnahme_EU-Fluechtlingspolitik.pdf

Die drängendsten Probleme: Menschenrechtsverletzungen an Europas Außengrenzen und die fehlende Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme innerhalb Europas. Das "Dublin-System“ wälzt die Verantwortung für Flüchtlinge auf die Staaten an den Rändern der EU ab, was diese zur Abwehr von Flüchtlingen teils unter schweren Menschenrechtsver-letzungen wie Misshandlungen und Pushbacks führt. In den einzelnen Mitgliedsstaaten werden Schutzanträge höchst unterschiedlich entschieden. Individuelle Anliegen und Be-dürfnisse von Flüchtlingen werden nicht berücksichtigt. Dazu auch die Stellungsnahme im von Jesuiten Flüchtlings-dienst, Pro Asyl, dem Deutschen Anwaltverein und anderen Trägern in 2013 herausgegebenen "Memorandum – Flücht-lingsaufnahme in der EU: - Für ein gerechtes und solidari-sches System der Verantwortlichkeit"http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/STARTSEITE/Memorandum_Dublin_deutsch.pdf

Was tut Europa ? Zwischen 2007 und 2013 hat die EU fast zwei Milliarden Euro für den Bau von Zäunen, hochentwickelten Überwachungssystemen und Grenzkontrollen ausgegeben. Nur 700 Millionen Euro aus dem EU-Budget flossen dagegen in den Ausbau der Asylverfahren und die Verbesserung der Situation von Asylsuchenden. Das stellt Amnesty Internati-onal in dem Bericht

"The Human Cost of Fortress Europe"("Festung Europa auf Kosten der Menschlichkeit") fest. Hierzu eine Presse-meldung auf http://www.amnesty.de/2014/7/8/eu-gibt-milliarden-fuer-fes-tung-europa-aus?destination=startseite

Was könnte Europa tun ? Zum Beispiel für die vielen syri-schen Flüchtlinge ?Dazu der vom UNHCR herausgegebenen Report: "Syrian

Klartext 09/2014„[…] Für mich gilt daher: Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat sicherzustel-len, dass jeder Flüchtling von seinen Rechten auch Gebrauch machen kann – nicht zurück-gewiesen zu werden ohne Anhörung der Fluchtgründe, gegebenenfalls auch Schutz vor Verfolgung zu erhalten. Auch die Hohe See ist kein rechtsfreier Raum, auch dort gelten die Menschenrechte. Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat also nicht nur die europäischen Grenzen zu schützen, sondern auch Menschenleben an den Grenzen Europas. Solange Asylsuchende nur in Deklarationen, nicht aber in der Realität in allen Mitgliedsländern die gleichen Bedingungen von Schutz und Hilfe erleben, werden sich alle europäischen Regierungen fragen lassen müssen, was sie tun, um die Aufnahme-, Verfahrens- und Anerkennungsstandards auch tatsächlich in allen Ländern anzugleichen."

Refugees in Europe - What Europe Can Do to Ensure Pro-tection and Solidarity": Seit Beginn des Krieges in Syrien März 2011 haben ca. 112.000 syrische Flüchtlinge um Asyl in der EU gebeten. In Relation zu den insgesamt 2,9 Millionen syrischen Flüchtlingen eine magere Anzahl, nämlich etwa nur 3,9 % ! In Schweden und Deutschland stellten davon etwa 56 % der Syrer Asylanträge, bezogen auf die "EU-Top Five" (Schweden; Deutschland, Bulgarien, Schweiz und Nie-derlande) sind es ca. 70%.www.refworld.org/docid/53b69f574.html

"Sichere Westbalkan-Staaten" - Bundespräsident Gauck sagte "Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat sicherzustellen, dass jeder Flüchtling von seinen Rechten auch Gebrauch machen kann". Und was macht die Bundes-regierung genau drei Tage nach dieser Rede ? In beispiels-losem Hauruckverfahren peitscht sie schnell noch vor der Sommerpause das Gesetzesvorhaben zur Festschreibung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als so-genannte "Sichere Herkunftsländer" durch den Bundestag und beschließt dieses mit ihrer großkoalitionären Mehrheit. Der Gesetzgeber darf lt. BVerfG eine derartige Bestimmung aber nur auf der Grundlage einer verlässlichen Tatsachen-feststellung vornehmen. Bei der Erhebung und Aufberei-tung der Tatsachen hat er ein bestimmtes Maß an Sorgfalt walten zu lassen. Diesen Grundsätzen widerspricht eklatant, wie die Große Koalition mit ihrer satten Mehrheit dieses Ge-setz durchs Parlament hetzte. Die Gutachten von PRO ASYL zu Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, aber auch zu Albanien und Monte-negro als »sichere Herkunftsstaaten« zeigen: Minderheiten, wie Homosexuelle und Roma, werden in den Balkanstaa-ten extrem diskriminiert. Die Staaten schützen sie nicht vor Übergriffen und es gibt schwerwiegende Mängel im Justiz-system. Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben eine derartige Dimension, dass sie existenz- und lebensgefährdend sein können.http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Pro_Asyl_Gutachten_zum_Vorhaben_der_Einstufung_von_Serbi-en__Mazedonien_und_Bosnien_und_Herzegowina_als__si-chere_Herkunftsstaaten_.pdf

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http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIO-NEN/2014/PRO_ASYL_Gutachten_zu_Einstufung_von_Al-banien_und_Montenegro_als_sichere_Herkunftslaender_Juni_2014.pdf

http://www.einwanderer.net/Materialien.10.0.htmlh t t p : / / w w w . e i n w a n d e r e r. n e t / U E b e r s i c h t e n - u n d -Arbeitshilfen.277.0.html

UNHCR Malta und das Informationsbüro des Europäischen Parlaments veröffentlichten zur Europawahl ein sogenann-tes "Toolkit Asylum and Migration" - eine "Werkzeugkiste zu Asyl und Migration auf Malta". Dieses richtet sich zwar insbesondere an maltesische KandidatInnen für das Europäi-sche Parlament, um über die Situation zu Asyl und Migration aufzuklären. Es enthält aber einige allgemein sehr nützliche Informationen zu Asylsuchenden in der EU, zur Situation im Mittelmeer, zu Resettlement etc., und zur Syrien-Krise.http://www.unhcr.org.mt/news-and-views/press-releases/734-publication-on-migration-and-asylum-for-mep-candidates-and-stakeholders

Neues zum Asylbewerberleistungsgesetz: Weit gefehlt, wer dachte, die Regierung würde dieses unsägliche Gesetz jetzt endlich einfach mal abschaffen. Unter Federführung der SPD-Ministerin Nahles soll sich nur Marginales verän-dern. zu dem Gesetzesentwurf gibt es etliche Stellungnah-men, hier beispielhaft für Euch jene von Amnesty, Pro Asyl und der GGUA. Den Gesetzesentwurf selbst sowie viele wei-tere ausführliche Informationen hat der Berliner Flüchtlings-rat zusammengestellt:www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/BVerfG-AsylbLG-Novelle-2014.html

Ausländer- und asylrechtliche Gesetzgebung 2014: Viele ausführliche Informationen, zusammengestellt vom Berliner Flüchtlingsrat , unter: w w w.f luechtl ingsinf o -berl in.de/ f r/zuwg/AendG _ Auf-enthG_2014.html

Die GGUA Flüchtlingshilfe bietet hervorragendes Infoma-terial und Übersichten an, so auch zu Aufenthalts- und Asyl-recht, z.B.: Tabellen zu den Aufenthaltspapieren Stand: Juni 2014 - schnell, einfach, übersichtlich

"Klimaflüchtlinge - Klimawandel und Vertreibung" – Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der LINKEN zum Engagement der Bundesregierung für mehr Rechte von Klimaflüchtlingen. Die Bundesregierung teilt die Einschätzung des Weltklimarates (IPCC), dass aufgrund des Klimawandels Flucht- und Migrationsbewegungen im 21. Jahrhundert zunehmen werden. Allerdings könnten „quan-titative Prognosen zur Änderung von Migrationsströmen aufgrund komplexer und multikausaler Zusammenhänge nur mit geringer Sicherheit“ gemacht werden. Die Bundes-regierung sieht daher davon ab, wie der IPCC Migrations-bewegungen als „bedeutendste Einzelfolge“ zu bezeichnen. Es lägen keine verlässlichen Angaben darüber vor, wie viele Menschen durch Klimaveränderungen gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen beziehungsweise in ein anderes Land zu fliehen. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass der Begriff „Umwelt- und Klimaflüchtling“ bisher nicht ein-heitlich definiert sei und Flucht und Vertreibung aus Grün-den des Klimawandels außerhalb des Schutzbereichs der Genfer Flüchtlingskonvention liege. https://www.bundestag.de/presse/hib/2014_06/-/282374

"Wir wissen: Es wird nie möglich sein, genug zu tun. Aber wenn wir das uns Mögliche nicht tun, versagen wir nicht nur vor unserem Nächsten, wir verlieren die Neigung zu uns selbst, wir verlieren unsere Selbstachtung. (Bundes-präsident Gauck, Berliner Symposium 2014)" …

Gemessen an diesen Worten müssen so etliche, eigentlich alle europäischen Staaten bzw. deren Repräsentanten ihre Selbstachtung schon längst nachhaltig verloren haben !!

Andreas SchwantnerAmnesty international – Fachkommission Asyl

Mitglied Härtefallkommission HessenPro Asyl - Vorstand

Malak, 13, wartet in Griechenland mit seinem Vater seit 2 Jahren da-rauf, endlich seine Mutter und Geschwister wiederzusehen - und wie-der zur Schule gehen zu können. Die syrische Familie ist auf der Flucht getrennt worden, die Mutter hat in Deutschland Asyl beantragt.

Ashraf ist vor drei Jahren genau an dem Tag geboren worden, als die Syrienkrise begann. Heute lebt die Familie in einer Zeltstadt im Be-kaa-Tal im Libanon. Dort hofft auch Bruder Hany darauf, irgendwann eine Zukunft zu haben.

©UNHCR-A.D'Amato © UNHCR-A.McConnell

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Sommerfest in derGemeinschaftsunterkunftWürzburg

Bei sommerlichen Temperaturen feierten die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbe-werber (GU) zusammen mit den Mitarbeitern der Caritas-Flüchtlingsberatung und vielen Ehren-amtlichen ihr Sommerfest – eine willkommene Abwechslung und eine schöne Gelegenheit, um dem oft tristen Alltag in der GU zu entfliehen und ein wenig Unbeschwertheit zu genießen.

Aufeinander zugehen, miteinander feiern -

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Besonders die Kleinsten hatten ih-ren Spaß an dem bunten Treiben auf dem Gelände. Sie flitzten mit ihren Fahrrädern und Skateboards umher oder tobten gemeinsam über die Wiese, auf der Grill, Büfett und Bierzeltgarnituren bereitstanden. Neugierig und mit leuchtenden Au-gen stürzten sie sich auf die ange-botenen Leckereien, während ihre Eltern mit den vielen ehrenamtlich Engagierten plauderten oder die Möglichkeit nutzten, mit anderen Bewohnern der Gemeinschaftsun-terkunft ins Gespräch zu kommen.

„Meistens bleiben die Bewohner un-ter sich. Daher ist das eine schöne Möglichkeit, alle zusammenzubrin-gen“, erklärte Heike Riemann von der Flüchtlingsberatung des Diöze-sancaritasverbandes Würzburg.

Zusammen mit weiteren fleißigen Helfern der Caritas-Flüchtlingsbe-ratung verteilte sie gespendeten selbst gebackenen Kuchen sowie ofenfrische Lasagne und gefüllte

Teigtaschen auf die Teller. Die Neu-gier darauf, was sich im Inneren der Leckereien befand, war vor allem bei den Kindern groß. „Spinat“, stell-te ein kleiner Junge zufrieden fest, nachdem er genüsslich hineingebis-sen hatte. Für Limo blieb keine Zeit

– das Skateboard wartete bereits.

Aber auch am Grill war der Andrang groß – so groß, dass ein Bewohner der GU die Gelegenheit nutzte, sich in ein paar Minuten zum Grillmeister schulen zu lassen und mitzuhelfen. Mit sichtlichem Vergnügen über-wachte der gebürtige Afrikaner die Bratwürste, während ein Caritas-mitarbeiter die Semmeln zurecht-schnitt. So sieht gutes Teamwork aus.

Weil gerade Ramadan war und ei-nige muslimische Bewohner und Bewohnerinnen tagsüber fasteten, deckten sie sich für nachts mit Teig-taschen und Kuchen ein. „Das sieht alles sehr lecker aus, aber ich muss

noch warten, bis es dunkel ist“, er-klärte eine Bewohnerin, setzte sich aber trotzdem zu einer Gruppe Frau-en auf eine der Bierzeltbänke.

Viel geredet, gelacht und gegessen wurde an diesem Nachmittag auf dem Gelände der Gemeinschafts-unterkunft in der Veitshöchheimer Straße, die derzeit einen Schlafplatz für rund 450 Flüchtlinge aus 40 Na-tionen bietet. „Das ist heute etwas ganz Besonderes für die Menschen, die hier leben“, war sich das Caritas-Team sicher, und man sah in den fröhlichen Gesichtern der Bewohner, dass sie damit recht hatten.

Julia EyrischCaritas Würzburg

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Was passiert, wenn sich vierzig Kinder aus dreizehn Län-dern begegnen, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnte? Was können Kinder, die die Sprache des anderen kaum oder gar nicht sprechen, miteinander anfangen? Kann man Zwölfjährigen zumuten, sich mit dem schwieri-gen Thema Migration zu befassen? Man kann – und wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt, überwinden Zwölf-jährige so manche Barriere vielleicht sogar schneller als Erwachsene.

Im Rahmen einer gemeinsamen Projektwoche Ende Mai 2014 trafen Schüler der Klasse 6a des Deutschhaus-Gym-nasiums auf Schüler der Sprachlernklasse der Mönchberg-Schule, und damit auf Kinder aus Aserbaidschan, Tschet-schenien, Syrien, Afghanistan, Mazedonien, Serbien und anderen Ländern, die die Würzburger Kinder oft nur aus den Nachrichten kennen.

„Stell dir vor, du müsstest dein Zuhause verlassen, und du dürftest nur einen einzigen Gegenstand mitnehmen. Wel-chen Gegenstand würdest du wählen?“, über diese Frage sollten sich die Deutschhaus-Schüler am Vorbereitungstag

zuerst den Kopf zerbrechen. Einige von ihnen entschieden sich für ein Fotoalbum, eine Landkarte, Kerne, um einen Apfelbaum zu pflanzen, die meisten aber für ihr Handy.

„Damit habt ihr genau die gleiche Wahl getroffen wie die Menschen, die tatsächlich aus ihrer Heimat fliehen müs-sen!“, erklärte eine ehrenamtliche Unterstützerin der Asyl-bewerber, die an die Schule gekommen war, um die Sechst-klässer auf die Begegnung mit den Mönchberg-Schülern vorzubereiten und davon zu berichten, unter welch schwie-rigen Bedingungen und aus welchen Gründen Kinder, auch einige der Mönchbergschüler, aus ihrer Heimat fliehen müssen. Drastische Berichte aus einem anderen Leben, die die Deutschhaus-Schüler schockierten: „Ich fand am schlimmsten, dass die Menschen, die fliehen müssen, den Schleppern viel Geld bezahlen und zurückgelassen werden, wenn sie verletzt, bewusstlos oder tot sind“, fasste Leon seine Eindrücke zusammen.

Interkulturelle Projektwoche des Deutschhaus-Gymnasiums und der Mönchberg-Schule in Würzburg

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„Es war wichtig, dieses Hintergrundwissen zu haben – doch traurige Geschichten spielten in den darauf folgenden Ta-gen kaum noch eine Rolle“, so das Fazit der Projektwoche. Stattdessen erlebten die Kinder zusammen vier intensive, spannende und lustige Begegnungstage. Dabei interview-ten sich Deutschhaus- und Mönchbergschüler gegenseitig, spielten und sangen miteinander, bauten Kunstwerke aus Müll, malten Bilder, tobten in der Turnhalle, erkundeten die Würzburger Innenstadt, brachten sich einige Brocken Ara-bisch, Griechisch und Thai bei und kochten zusammen ein leckeres Abschlussessen.

Was passiert also, wenn sich vierzig Kinder begegnen, die so unterschiedliche Leben führen? Es passiert vor allem Folgendes, und das - fast - von ganz allein: Sie kommen einander näher – und für die Deutschhaus-Schüler ist Sy-rien nun plötzlich kein fernes Land mehr, von dem die Ta-gesschau ab und zu berichtet. Jetzt ist es eigentlich Rahafs

Zuhause. Die schlimmen Nachrichten der verunglückten Flüchtlingsboote vor Lampedusa haben ein bisschen auch mit Ahmeds Leben zu tun, der vor mehr als drei Jahren mit seinen Eltern aus Tschetschenien geflohen ist und noch im-mer keine Heimat gefunden hat.

Ein Wiedersehen mit Kerim, Elena, Lazar, Seyit, Anni, Natthapat, Agalar und all den anderen wünschen sich die Sechstklässler des Deutschhaus-Gymnasiums am Ende dieser Woche. „Hier zu sein ist nicht leicht. Doch eines Ta-ges vielleicht bin ich auch hier zu Haus’ und komme ganz groß raus…“, heißt es im Lied der Mönchberg-Schule. Die Deutschhaus-Schüler und ihre Lehrer hoffen, dass dieser Wunsch für die Mönchberg-Schüler einmal Wirklichkeit werden kann.

Petra ElfleinDeutschhaus-Gymnasium Würzburg

©alle Bilder: Petra Elflein

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Partizipation. Toleranz. Demokratie. Interkulturalität. Identität. Nachhal-tigkeit. Netzwerken: Alles große, be-deutsame Worte in unserer heutigen Gesellschaft. Eine Initiative des Bun-desministeriums für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend verschreibt sich der Umsetzung dieser Begriffe in die Lebenswirklichkeit der Bürger auf lokaler Ebene. Im Rahmen des bundesweiten Projektes "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" wurden Lokale Aktionspläne in vielen Städten und Kommunen realisiert - so auch in Würzburg.

Gemeinsam für Vielfalt und Teilhabe:

Der Lokale Aktionsplan (LAP)

Würzburg Im Jahr 2010 bewarb sich die Stadt Würzburg erfolgreich um die Aufnah-me in das Bundesprojekt des Lokalen Aktionsplans, der dann ab 2011 vor Ort umgesetzt wurde. Die Anregung hierfür kam vom "Würzburger Bünd-nis für Zivilcourage", das sich schon im Jahr 2006 etabliert hat, und vom

"Würzburger Ombudsrat", der sich in der Stadt seit 2010 gegen gesell-schaftliche Diskriminierung und für Zivilcourage einsetzt. Diese beiden Gruppierungen arbeiten für die De-mokratie-und Toleranzförderung in unserer Stadt und sind stets auf der Suche nach finanziellen Mitteln für die Umsetzung von zielführenden Ideen und Projekten. Frau Natali Soldo-Bi-lac, eine Mitarbeiterin des Ausländer- und Integrationsbeirates der Stadt Würzburg, berichtet, es gebe sehr viele gute Ideen und Projektkonzepti-onen gebe, deren Umsetzung jedoch meist an Geldmangel scheitere. So sei es beispielsweise Vereinen kaum möglich, für geplante Projekte in Vor-kasse zu gehen.

Deutschlandweit werden aktuell 172 Lokale Aktionspläne unterstützt, fast flächendeckend im Osten der Repu-blik - und nur ganz vereinzelt im Frei-staat Bayern.

©www.toleranz-foerdern-kompetenz-staerken.de

Die Ziele dieses Bundesprogramms sind sehr vielseitig und hoch gesteckt. Zentraler Punkt ist die Förderung de-mokratischen Verhaltens und zivilen Engagements. Dem kommt auch die unproblematische Antragsstellung entgegen: Die Anträge auf Förderung sind bewusst einfach gehalten und stellen keine unzumutbare Hürde dar.

Ein weiteres zentrales Ziel ist es, aktiv gegen Rechtsextremismus und Frem-denfeindlichkeit vorzugehen, Ver-ständnis und Toleranz für soziale und kulturelle Vielfalt zu fördern und diese Vielfalt als Bereicherung erkennbar zu machen.

Es ist wichtig, dass durch den LAP demokratische und zi-vilgesellschaft-l i c h e

©www.toleranz-foerdern-kompetenz-staerken.de

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Kräfte in der Stadt vernetzt werden, so auch kommunale Ämter und Ein-richtungen wie Schulen mit Kirchen, Vereinen und Verbänden, sozialen Einrichtungen und Institutionen. Es geht darum, dass alle an einem Strang ziehen - und sich alle gemeinsam ein-geladen fühlen, zur Umsetzung dieser Ziele beizutragen. Mit den LAP sollen Kinder und Jugendliche, Eltern und Erziehungsberechtige, ErzieherInnen, LehrerInnen und alle Multiplikatoren, sowie lokale, staatliche und zivilge-sellschaftliche Akteure angesprochen werden unter dem Motto "Toleranz fördern - Kompetenz stärken".

Die Durchführung der Einzelprojekte, für die im Rahmen des LAP Förder-mittel bewilligt werden, liegt in lokaler Verantwortung, sodass die Förderung nach der spezifischen Bedürfnislage der jeweiligen Kommune eingesetzt werden kann, nicht nach dem direkti-ven "Von oben nach unten" - Prinzip, sondern basisorientiert.

Hierfür ist im LAP-Konzept ein loka-ler Begleitausschuss vorgesehen, wel-cher nach Vorgabe der Leitlinien mit

"lokalen Handlungsträgern aus der Mitte der Gesellschaft" zu besetzen ist. Im Würzburger Begleitausschuss, der im Juli 2011 eingerichtet wurde, sind insgesamt 13 Personen aus den unterschiedlichsten Einrichtungen und Institutionen vertreten, unter an-derem aus dem Paritätischen Wohl-fahrtsverband, der Mönchbergschule, dem Würzburger Ausländer- und Inte-grationsbeirat, dem Stadtjugendring Würzburg und der Berufsschule Don Bosco. Die Aufgabe des Gremiums ist es, die eingereichten Projekte zu

bewerten und auf die jeweilige För-derfähigkeit zu prüfen.

dert werden. Keine leichte Aufgabe, denn die Zahl der Anträge mit dem entsprechenden Finanzvolumen über-steigt das Budget, das zur Verfügung steht, bei weitem. Wir alle dürfen gespannt sein, welche Projekte zum Zuge kommen und uns auf die posi-tiven Berichte in der lokalen Presse freuen.

Die Stadt Würzburg hat nach den Wor-ten von nach Natali Soldo-Bilac sehr vom LAP profitiert. Es sei ein messba-rer Erfolg nachzuweisen. Nicht nur die Vielseitigkeit der Projekte, sondern auch die anhaltende Kooperation zwi-schen den Institutionen sei ein maß-geblicher Beweis dafür. Ein weiterer positiver Effekt sei, dass der LAP als Auslöser für neue politische Frage-stellungen gesehen werden könne mit neuen Blickwinkeln und Sichtweisen, mitunter befördert allein schon durch das Sichten und die Analyse der Pro-jektanträge.

Es ist sehr wichtig, viele nachhaltige Projekte nicht nur in Würzburg entste-hen zu lassen und sie , orientiert am Bedarf, auch längerfristig zu etablie-ren, um langfristige Effekte zu erzie-len. Diese Forderung ist insbesondere deswegen dringlich und angebracht, da der Förderungszeitraum des LAP zum Ende des Jahres 2014 ausläuft.

Peter MoritzStudent der Sozialen Arbeit

an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, FHWS

Weitere Informationen unter www.lap-wuerzburg.de w w w.toleranz-foerdern-kompe-tenz-staerken.de

Die Fördersumme liegt jeweils bei ca. 100.000 € pro Jahr, zweckgebunden zur Umsetzung des lokalen Konzepts gemäß der vorgegebenen Leitzie-le. In den Förderjahren 2011 bis 2013 wurden in Würzburg insgesamt 96 Projektanträge nach Beschluss des Begleitausschusses gefördert. Im Jahr 2013 waren es insgesamt 34 vielfältige Projekte aus den unterschiedlichsten Einrichtungen. Hier ein kurzer Aus-schnitt aus der Fülle der geförderten Projekte:

-Förderkreis Don Bosco e.V.-"Fahrräder für die GU" (Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtinge )

-Spielgarten aktiv-ein Projekt des För-dervereins Abenteuerland e.V.

-"Handycap, eingeschränktes Leben erleben"

-Matthias-Ehrenfried-Haus-"Mädchen Stark Machen"

-Paritätischer Wohlfahrtsverband Lvb. Bayern e.V.-EmPaTe-Aufbauprojekt

-Förderverein Hauptschule Heuchel-hof

-JaS "Mobbing Stoppen-Gemeinschaft stärken und erleben"

Allein diese kleine Auswahl zeigt, wie viele verschiedene Bereiche und un-terschiedliche Zielgruppen durch den LAP unterstützt werden - ein Beweis für den Erfolg dieses Konzeptes.Bis zum 30.Mai diesen Jahres lief die zweite Antragsrunde für potentielle

Projekte. Nun liegt es am Be-gleitausschuss, welche

davon geför-

Begleitausschuss Lokaler Aktionsplan Würzburg©www.lap-wuerzburg.de

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Das Projekt "Sport ohne Grenzen" wird von den Freien Turnern Würzburg mit all ihren sieben Sportabteilungen durchgeführt und geht in der Entste-hung auf die Förderung durch den Lokalen Aktionsplan Würzburg zu-rück. Mittlerweile wurden auch ande-re Sponsoren gewonnen, ohne deren finanzielle Unterstützung wir das Gan-ze auch gar nicht umsetzen könnten. Schließlich ist der Hintergrund, dass die Asylbewerber, von denen alle bei uns willkommen sind, nichts bezahlen müssen, weder für Mitgliedsbeiträge, Nahverkehr oder Sportausrüstung. Sie sollen als vollwertige und gleichberech-tigte Mitglieder in den Vereinsalltag integriert werden. Das Ziel ist es zum einen, den Asylbewerbern eine sinnvol-le Beschäftigung zu ermöglichen und ihnen auf dem einfachsten Weg und selbst ohne große Sprachkenntnisse einen Zugang zur deutschen Kultur zu verschaffen und auf der anderen Seite Vorbehalte bei den einheimischen Mit-gliedern abzubauen. Schließlich sind die Vorbehalte oft dort am stärksten, wo der geringste Kontakt zu Auslän-dern besteht. Mittlerweile haben wir die ersten offiziellen Mitglieder, von denen Madiama eines der Musterbei-spiele ist, denn natürlich gehört zu dem Projekt auch, dass man sich bemüht und sich den Gepflogenheiten in der Abteilung anpasst - was für manchen Asylbewerber noch eine zu große He-rausforderung ist. Doch der Anfang ist gemacht, und beide Seiten haben Spaß und lernen einander kennen.Wie jedoch ein noch so erfolgreiches Integrationsprojekt torpediert werden kann, dass einem Hören und Sehen vergeht, zeigt die folgende Episode 'in Echtzeit'. Sie hält der vollmundigen Re-gierungserklärung des Bayerischen Mi-nisterpräsidenten Horst Seehofer, "Un-sere Integrationspolitik orientiert sich

integration-in-echt.bayern.de

an der Würde des Menschen" und "Wir stehen für eine moderne Asylpolitik" * den Spiegel vor.Hier Kommentar im Originalton:

"Oh Mann, heute hatte ich zum ersten Mal so richtig Grund mich über die deutsche Asyl-Politik aufzuregen! Wir haben ein Projekt begonnen, um Asyl-bewerber in unseren Sportverein zu integrieren - ohne Kosten für sie natür-lich. Einer von ihnen ist beim American Football heimisch geworden und ist ein Musterbeispiel an Zuverlässigkeit und Einsatz. Für ihn ist es wiederum eine sinnvolle Beschäftigung, um aus dem drögen und deprimierenden Alltag in der Gemeinschaftsunterkunft auszu-brechen. Jetzt müssen die Footballer aber lei-der zu ihren Auswärtsspielen durch ganz Bayern reisen, ein Asylbewerber darf aber den Bezirk Unterfranken nicht verlassen. Kein Problem, denken wir uns, dann beantragen wir eben eine Ausnahmegenehmigung, da es ja schließlich um einen sinnvollen Beitrag zur Integration geht.

Nichts da! Heute sagten uns die Büro-kraten vor Ort, dass Sport ja nur dem persönlichen Vergnügen gelte und ein solcher Antrag kaum Aussichten auf Erfolg hätte. Auch der Einwand, dass es um deutlich mehr als nur Sport ginge, nämlich um den Zugang zur deutschen Kultur und den Kontakt der Deutschen mit Ausländern, wurde nicht nach-vollzogen. Unser Projekt sei ja kaum sinnvoll, da wir den zweiten Schritt vor dem ersten machten. Schließlich wüss-ten wir gar nicht, ob die Asylbewerber überhaupt hier blieben oder nicht.

Und genau dort kam die menschenver-achtende Einstellung durch, die leider zu viele Menschen gegenüber Asylbe-werbern vertreten. Wir können sie ruhig wie Dreck behandeln, denn am liebsten

wäre es uns ja sowieso, wenn wir sie so schnell wie möglich wieder abschieben könnten. Gerade der herabwürdigende Ton - auch mir gegenüber ("Was ma-chen Sie eigentlich hier?") - ist mir sauer aufgestoßen. Es geht nach wie vor um Menschen! Wir sperren sie in ehemali-gen, eingezäunten Barracken ein und zwingen sie dazu, vor sich hinzuvege-tieren. Aber wehe, sie benehmen sich einmal daneben! Wir guten aufrichti-gen Deutschen hätten ihnen dann doch schließlich alle Chancen gegeben...

Viele wollen einfach nur ehrlich arbei-ten - dürfen sie nicht, solange beim Ar-beitsamt auch nur ein Deutscher oder EU-Bürger dafür in Frage kommt. Sie wollen Familie besuchen - dürfen sie nicht ohne die Gnade einer Gestattung, wenn sie den Bezirk Unterfranken ver-lassen wollen. Sie dürfen nicht einmal gleichberechtigter Teil eines Sport-vereins werden. Aber, und das war ein weiterer Höhepunkt des Gesprächs, der Asylbewerber könnte ja schließlich weiterhin an den Heimspielen teilneh-men. Dass er sich zu 100 Prozent mit der Mannschaft identifiziert und da-her natürlich immer dabei sein möch-te - was die Mannschaft übrigens auch möchte - spielt dabei keine Rolle. Am kommenden Samstag ist das letzte Auswärtsspiel der Saison in Bamberg, keine hundert Kilometer von Würzburg entfernt, aber für einen unterfränki-schen Asylbewerber in einer anderen Galaxie, nämlich in Oberfranken. Mög-licherweise darf also unser Footballer nicht dabei sein...

Übrigens: Dem Tod eines Familienmit-gliedes beizuwohnen sei auch schon ein Grenzfall, bei dem die Bewilligung eines Ausnahmeantrages zur Reise-freiheit in Deutschland grenzwertig wäre... Also, als Hinweis für alle, die mit

I. Über ein erfolgreiches Projekt für Teilhabe und Freundschaft - und seine Begegnung mit der bayerischen Asylpolitik

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09 / 2014 37

Asylbewerbern arbeiten: Ihr arbeitet nicht mit Menschen, sondern mit Un-termenschen. Alles Schmarotzer und

Eine Gemeinde im Speckgürtel von Würzburg, Juni 2014:Eine Unterstützerin der rund zwei dutzend Asylbewerber, die faktisch in Sichtweite des örtlichen Freibades untergebracht sind, möchte für sie an der Kasse eine ermäßigte Zehnerkarte (für Arbeitslose) erwerben. Asylbewer-ber seien bei ihnen nicht vorgesehen, mit dieser Antwort gibt sie sich nicht zufrieden. Der Bürgermeister der Ge-meinde, an den sie sich nun mit der Bit-te wendet, Asylbewerbern wie anderen arbeitslosen Schwimmbadgästen eine Ermäßigung zu gewähren, verweist sie an die Zuständigkeit des Landratsam-tes.

Die CSU-Fraktion im Gemeinderat spendet 30 Freikarten und auf Initiative eines 'grünen' Gemeinderatmitglieds kommt man lt. Pressemeldung vom 15.07.2014 zu folgendem Beschluss:

"Der Veitshöchheimer Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, als weiteren Ausnahmetatbestand für eine Ermäßigung der Gebühren in ge-meindlichen Einrichtungen wie dem Jüdischen Kulturmuseum, der Bücherei und vor allem dem Geisbergbad, auch örtliche Asylsuchende aufzunehmen."

Soweit löblich und wunderbar, wäre da nicht plötzlich diese spätsommerliche Wende: Veitshöchheimer Mitteilungen Nr. 31 vom 04. August 2014: "Änderungssat-zung zur Gebührensatzung über die Benutzung des Geisbergbades: Zur Klärung der Frage der Aufenthaltsbe-rechtigung von Asylbewerbern wird im Vollzug des GR-Beschlusses vom 8.7.2014 die Entscheidung zurückge-stellt".Wirklich schade! Dann im Oktober viel-leicht?

Heimfocus-Redaktion

II. Gut' Ding will Weile haben...

Parasiten, die den deutschen Volkskör-per aussaugen wollen! So lange die Ab-schiebung noch im Raum steht, nehmt

Stephan Rinke *http://www.bayern.de/Anlage10471951/Regierungserkl%C3%A4rung%20%22Bayern.%20Die%20Zukunft.%22.pdf

keinen Kontakt mit ihnen auf, denn das wäre ja eventuell alles umsonst.Armes Deutschland!"

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[email protected]

Fluchtgründe

angekommen?

Flucht

angekommen?angekommen?vierte Station

FluchtgründeFluchtgründezweite Station

FluchtFluchtFluchtdritte Station©Obligatorische Reise/Maneis

©Auf der Flucht 1/Maneis

AusstellungPorträtfotografien von Rashid Jalaei / Karikaturen von Maneis Arbab

„Weit weg ist näher, als du denkst“

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09 / 2014 39

Emigration

beginnt im KopfEmigration Emigration

beginnt im Kopfbeginnt im Kopferste Station

©Friedenstaube/Maneis

©Rohanis Schlüssel/Maneis

©Terrorist/Maneis

©Absturz/Maneis

©Auf der Flucht 2/Maneis ©Auf der Flucht 3/Maneis

©Gemeinschaftsunterkunft/Maneis ©GU /Maneis

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[email protected]

Endstation

©Duldung/Maneis

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09 / 2014 41

Und plötzlich ist man alleine – auf dem Weg in das erhoffte Paradies verliert der Fliehende häufig nicht nur Hab und Gut und Menschenwürde, sondern auch seine Familie. Und ist es nicht der Verlust, der am meisten schmerzt? Man verlässt seine Heimat, alles was man kennt und liebt und stürzt sich in das Ungewisse und dann passiert es: Man verliert den Kontakt zu seinen Angehörigen. Was zurück bleibt ist die Einsamkeit und die Aussichtslosigkeit den verlo-renen Menschen wieder zu finden.

Wie zum Beispiel Nabila Karmi*, die heute in Deutschland wohnt und ur-sprünglich aus Syrien kam. Sie verließ mit Mann und Kindern ihre Heimat noch bevor der Konflikt im Land end-gültig eskalierte. Ihre Eltern blieben zurück. Während der Flucht verlor sie den Kontakt zu ihnen. Das Einzige, was Nabila Karmi gesichert wusste war, dass die Eltern nach einem Bom-benangriff auf ihr Haus geflohen wa-ren.

Doch eine Suche nach Menschen, die überall sein können und mit hoher Wahrscheinlichkeit im Aufenthalts-land nicht gemeldet sind, gleicht einer Suche nach einer Stecknadel im Heu-haufen.

Um diese ausweglose Situation zu än-dern hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) im Septem-ber 2013 ein Pilotprojekt gestartet, an dem sich achtzehn europäische Rot-kreuzgesellschaften beteiligen.

Die Organisation bedient sich hierbei des Internets und seiner mannigfa-chen Partnerorganisationen in den Ländern.

Doch was steckt hinter dem Projekt und wie funktioniert es? Menschen, die nach einem unfreiwilligen Kon-taktabbruch Familienangehörige in

einem der Länder Europas vermuten, können über den Suchdienst des Ro-ten Kreuzes ein Foto von sich als su-chender Person auf der Webseite des IKRK http://familylinks.icrc.org/euro-pe mit der Angabe veröffentlichen las-sen, welches Familienmitglied gesucht wird. Diese Seite ist für jedermann zu-gänglich, kann auch ausgedruckt wer-den und zum Beispiel in Asylheimen oder in Asyl-Beratungsstellen auf-gehängt werden. Im besten Fall sind die Suchanzeigen möglichst überall sichtbar. Denn nur so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesuch-te selbst oder Menschen, welche mit den Gesuchten im Kontakt stehen oder seinen Aufenthaltsort kennen, von der Suche erfahren. Der Gesuchte oder der Mittelsmann sollte sich über ein auf der Webseite eingerichtetes und an den einstellenden Suchdienst gerichtetes Rückantwortformular melden. Das Rote Kreuz bemüht sich dann um die Kontaktvermittlung.

Und tatsächlich hat diese Vorgehens-weise im Fall von Nabila Karmit ge-klappt. Die Syrierin fand das Angebot des Roten Kreuzes im Internet und

meldete sich beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Mit der Hilfe der Suchdienst-Beraterin wurde ein Foto der Frau mit den Sät-zen „I am looking for my family“ und

„Do you have information on this per-son“ auf der Seite des IKRK publiziert. Und tatsächlich, nach nur zwei Ta-gen meldete sich der Vater beim Suchdienst des DRK. Die Suchdienst-beraterin kontaktierte unmittelbar Nabila Karmit. Ein Telefonat wurde organisiert und das Unglaubliche war geschafft: Eine Familie war wieder vereint.

Falls Sie einen Angehörigen suchen oder eine Suche aufgeben wollen, wenden Sie sich bitte an eine Rot Kreuz Suchdienstberatungsstelle. Hier werden Sie ausführlich über das Projekt aufgeklärt und Ihnen wird bei der Erstellung einer Suchanfrage geholfen. Leider können in der Pilot-phase nur Volljährige oder Kinder ab 16 Jahren mit ihrer Einwilligung und der des Vormundes eine Suchanfrage aufgeben.

Aus Datenschutzgründen kann immer nur der Suchende von sich selbst ein Foto Online stellen.

Bei Interesse gehen Sie auf folgende Internetseiten:

Kontaktdaten der Suchdienstbera-tungsstellen des Roten Kreuzes in Deutschland unter www.drk-suchdienst.de

Am Projekt teilnehmende Länder:http://familylinks.icrc.org/europe/en/Pages/participating-countries.aspx

Aktuelle Suchanzeige:http://familylinks.icrc.org/europe/en/Pages/search-persons.aspx

* Name wurde geändert

Restoring Family LinksEin Pilotprojekt des Suchdienstes des

Roten Kreuzes

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Seit einigen Jahren steigen die Asyl-bewerberzahlen in Deutschland kon-tinuierlich an und erreichten im Jahr 2013 einen vorläufigen Höchststand. Dieser Herausforderung begegnen Bund und Länder mit verstärkten An-strengungen, die Asylbewerberinnen und Asylbewerber während der Zeit von der Einreise bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag zu unterstüt-zen. Von besonderer Bedeutung für die Asylbewerber ist es, sich möglichst schnell in ihrem neuen Lebensumfeld

im BfZ Schweinfurt

„Erstorientierung und Deutsch lernen für Asylbewerber”

Asylbewerberleistungsgesetz fallen und nicht mehr der Schulpflicht un-terliegen. Sie halten sich häufig erst seit kurzer Zeit in Deutschland auf und leben meistens in Gemeinschafts-unterkünften auf engstem Raum mit anderen Menschen aus den unter-schiedlichsten Kulturkreisen zusam-men. Ihre Aufenthaltsperspektive in Deutschland und ihre Zukunft sind un-gewiss. Die meisten von ihnen haben kaum soziale Kontakte und kämpfen gegen die Isolation. Dennoch müssen

zurechtzufinden. Das Land Bayern hat daher im Jahr 2013 in Zusammenar-beit mit dem Bundesamt für Migrati-on und Flüchtlinge ein Modellprojekt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen das Konzept „Erstorientierung und Deutsch lernen für Asylbewerber“ entwickelt wurde.

Zielgruppe sind primär Personen, über deren Asylverfahren noch nicht ent-schieden ist. Konkret sind das nach dem Gesetz Ausländer, die unter das

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09 / 2014 4343

„Die ganze Kunst der Sprache besteht darin,

verstanden zu werden.“

Konfuzius (551-479 v. Chr.)

sprachliche Wendungen dieser Sach-gebiete, die sie in einfachen Sätzen anwenden können. Dies soll den Asyl-bewerberinnen und Asylbewerbern die Eintrittsphase in Deutschland er-leichtern. Exkursionen zu nahe gele-genen Supermärkten und Ärzten, wie auch zu Behörden unterstützen die lokale Orientierung.

Die Zuteilung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgt frei nach Ab-stimmung mit der Heimleitung und der Asylberatung. Es gibt keine Zutei-lungsformulare, einzig eine Kopie des Ausweises und somit Nachweis der Aufenthaltsgestattung werden benö-tigt.

Über den Träger BfZ (Berufliches Fort-bildungszentrum) Schweinfurt laufen derzeit vier Deutschkurse „Erstorien-tierung und Deutsch lernen für Asyl-bewerber“. Drei von diesen Kursen habe ich besucht und war anfangs sehr gespannt darauf, was mich erwartet und wie es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ergeht. In allen drei Kur-sen wurde ich mit neugierigen Blicken und herzlich offen begrüßt.

Die Kurse werden in den Gemein-schaftsunterkünften der Asylbewer-berinnen und Asylbewerber gehalten. Aber nicht in allen Kursen herrscht ein Fünf-Tages-Rhythmus vor. In Bad Neustadt, Zeil am Main und in Schweinfurt lernen die Teilnehmer drei Tage die Woche Deutsch. Mit den vorhandenen Räumlichkeiten muss man zurechtkommen, d.h. man hat entweder Glück und es sind große Räume zur Verfügung oder jeder Zen-timeter eines Raumes wird genutzt. Generell geht es jedoch meist eng und gemütlich zu. Die Kursteilnehmerin-nen und -teilnehmer nehmen das ge-lassen. Probleme gibt es manchmal bei der Sitzordnung. Verwunderlich finde ich das nicht, denn es befinden sich zum Teil über neun Nationen in einem Raum. Diese vertreten ver-schiede Werte und Ansichten. So ist zum Beispiel ein „Sicherheitsabstand“ der Frauen zu einem ledigen Mann die Norm. Für die Lerneffektivität wäre es allerdings bedeutend besser, einen etwas schwächeren Teilnehmer zu ei-nem Stärkeren zu setzen. Es werden wohl Kompromisse zwischen Lehre-

rin/Lehrer und Teilnehmerinnen/Teil-nehmern geschlossen.

Der Unterricht geht von 8°°-13°°Uhr. Ich war ein wenig amüsiert über den Tagesablauf der Kursteilnehmerinnen und -nehmer verglichen zu meinen et-was strikten Unterrichtserfahrungen. Es herrschte eine leichte Wohnzim-meratmosphäre, zum Teil ein regel-rechtes Kommen und Gehen. Mitten drin Handyklingeln oder Verlassen des Kurses wegen Behördengängen. Man befindet sich in einer Murmel-melodie verschiedener Sprachen, und zwischendrin deutsche Wörter, die leise vor sich hingesprochen werden. Die Unterrichtsstruktur ist durch vie-le Zwischenfälle ein wenig verzögert, doch das soll nicht heißen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht motiviert und willens wären. Sie sind bemüht, an ihren unterschiedlichen Vorkenntnissen anzuknüpfen oder gar erste Worte Deutsch zu lernen. Für den Lehrer ist es eine große Her-ausforderung, nach den unterschied-lichen Vorkenntnissen zu differenzie-ren.

Dieser bayernweite Modellkurs „Erstorientierung und Deutsch lernen“ finde ich einen guten Ansatz und als eine Chance für die Menschen, weiter-zukommen. Es gibt aber auch Schwie-rigkeiten und Härten, die den Alltag der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie auch der Lehrerinnen und Lehrer erschweren. Alltäglich ist wohl die Ge-fahr der Abschiebung für diejenigen Kursteilnehmer, die in das Asylver-fahren aus verschiedenen Gründen nicht aufgenommen bzw. abgelehnt werden. So wurde zum Beispiel eine Woche vor meinem Besuch in ei-ner Gemeinschaftsunterkunft eine tschetschenische Familie getrennt. Der Vater wurde in sein Herkunftsland abgeschoben, in Deutschland bleiben vorerst seine Frau und drei Kinder.

Es ist nicht immer leicht für die Kurs-leiterin und den Kursleiter, Struktur in den Unterrichtsalltag zu bringen und auch durchzuziehen. Da wäre der unterschiedliche Tagesablauf der Teil-nehmerinnen und Teilnehmer; unter-schiedliche Mentalitäten und Zeitauf-fassungen lassen die ein oder andere Pause etwas länger werden. Da wird

sich die Asylbewerber während dieser Zeit im unmittelbaren Lebensumfeld orientieren und in typischen Alltags-situationen auf Deutsch verständlich machen.

Hinsichtlich ihrer Lern- und Bildungs-voraussetzungen können sich die Teil-nehmenden eines Kurses sehr stark voneinander unterscheiden. Das Spektrum reicht dabei von Menschen, die nicht alphabetisiert sind bzw. das lateinische Schriftsystem nicht be-herrschen bis hin zu solchen, die in ihrem Heimatland höhere Bildungsab-schlüsse erworben und in hochqualifi-zierten Berufen gearbeitet haben.

Übergreifendes Ziel der Kurse ist es, Asylbewerberinnen und Asylbewer-ber in ihren speziellen Lebenssituatio-nen zu unterstützen. Sie erhalten die Möglichkeit, landeskundliches Wissen zur Erstorientierung verbunden mit einfachen Deutschkenntnissen zu er-werben.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen sich die Kursteilnehmenden Kennt-nisse über Themengebiete aneignen, die für sie von besonderer Wichtigkeit sind, wie z.B. über Einrichtungen ihrer Umgebung incl. Behörden, Regelun-gen der medizinischen Versorgung so-wie Grundstrukturen des Zusammen-lebens und des Alltags in Deutschland. Sie erlernen dabei Grundbegriffe und

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schon einmal Tee gekocht oder mit der Familie in den Herkunftsländern ge-sprochen. Doch in dieser besonderen Atmosphäre, in der gelehrt und ge-lernt wird, herrscht eine wunderbare Vielfalt und ein in sich eigen wirkender Rhythmus!

Ein weiterer großer Punkt ist die im-

kommt, dass dieses Modell in 6 Modu-len aufgeteilt ist, die nicht aufeinander aufbauen, d.h. dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor und nach jedem Modul entweder ein- oder aussteigen können. Ein weiterer Differenzierungs- aspekt, der den Ablauf eines Kurses ein wenig erschwert.

sehr wichtig sind. Es wäre wirklich hilf-reich und notwendig eine verlässliche und stets präsente Ansprechperson vor Ort zu haben, die sich dieser Be-dürfnisse und Fragen annimmt. Oft hat der beauftragte Asylsozialarbeiter mehrere Unterkünfte im Umkreis zu betreuen und auch der Hausmeister ist nur wenige Stunden in der Woche vor Ort!

Wichtig finde ich auch den Einbezug ehrenamtlicher Lehrender. Diese sind zwar im Konzept miteinbegriffen, in der Umsetzung allerdings nur sehr selten zu finden. Es können Ehren-amtliche mit in den Kurs einbezogen werden, die zum Beispiel Hausaufga-benbetreuung machen oder den Kurs nach Beendigung des Durchlaufes übernehmen. Dies sollte jedoch pub-lik gemacht und Ehrenamtliche aktiv angeworben und weiterhin begleitet werden, um eine gewisse Nachhaltig-keit zu gewährleisten. Denn noch so gutmeinende Ehrenamtliche geben oft nach kurzer Zeit frustriert wieder auf, weil sie sich mit der Aufgaben al-leingelassen sehen und sich so über-fordert fühlen. Nachhaltiger Erfolg braucht Kontinuität und gute perso-nelle Ressourcen, professionelle wie auch ehrenamtliche.

Das bayernweite Modellprojekt wird bis zum 31.08.14 vom Staatsministe-rium für Arbeit und Soziales Bayern getragen, danach wird dieses Projekt über eine andere Finanzierung laufen. Dies bedeutet für die laufenden Kurse, dass sie bis Ende August fertig sein müssen.

Katja KöderStudentin der Sozialen Arbeit an der

Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, FHWS

mense Differenzierungsleistung, die geleistet werden muss. Die Teilneh-merinnen und Teilnehmer haben un-terschiedlichste Sprachvorkenntnisse. Die Differenz reicht von Analphabe-ten oder der lateinischen Schrift nicht mächtigen Teilnehmerinnen und Teil-nehmern bis hin zu hochqualifizier-ten Absolventinnen und –en. Hinzu

Das alltägliche Leben in einer Gemein-schaftsunterkunft ist oft überschattet von Problemen und Ängsten der Men-schen. Manchmal hatte ich das Gefühl, das die Kursleiterin der Kursleiter das sogenannte „Mädchen für alles“ ist. Es fallen viele organisatorische Dinge an, die nichts mit dem Kurs zu tun haben, dennoch für die jeweiligen Menschen

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Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages lud am 2. Juli 2014 Sachverständige von Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen sowie Agenturen der Euro-päischen Union zu einer öffentlichen Anhörung. Vorgestellt und diskutiert wurden Expertisen sowie Gestaltungsmög-lichkeiten des nationalen und europäischen Asyl- und Mig-rationsgeschehens.

Ein Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert und weiterer Abgeordneter der Linksfraktion zum Thema „Massensterben an den EU-Außengrenzen been-den – Für eine offene, solidarische und humane Flüchtlings-politik der Europäischen Union“ (BT-Drucksache 18/288) lag der 19.Sitzung des Bundestagsinnenausschusses zu-grunde. Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, zusätzliche legale Einreisemöglichkeiten für Asylsuchende zur Durchführung eines Asylverfahrens zu schaffen. Zudem sollten Asylsuchende entgegen der gel-tenden Dublin-Verordnung ihr Zielland innerhalb der EU frei wählen können. Dabei „entstehende Ungleichgewichte bei der Aufnahme sollen entsprechend der Größe und Wirt-schaftskraft der Mitgliedstaaten und vor allem auf finanzi-eller Ebene ausgeglichen werden“, wie es im Antrag heißt.

Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs beim Sach-verständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), kritisierte die im Antrag formulierte Idee einer freien Wahl des Aufnahmelandes. Diese könne einer weiteren Angleichung der Standards im Asylverfahren in der EU entgegenstehen und stattdessen dazu führen, dass Qualitätsstandards auf ein Minimum herabgesenkt werden. Mitgliedstaaten könnten mithilfe niedriger Qualitätsstan-dards versuchen, Asylsuchende zu einer Weiterwanderung in Mitgliedstaaten mit höheren Standards zu bewegen. ¹

Schneider stellte alternativ ein Modell zur Berechnung von Aufnahmequoten innerhalb der EU vor, um Kriterien für eine fairere Lastenverteilung zu schaffen. Das Modell be-zieht in unterschiedlicher Gewichtung die Faktoren Wirt-

EU-Flüchtlingspolitik: Diskussion über legale Einreisemöglichkeiten, Lastenverteilung und Rückführungspolitik aus dem Newsletter Migration und Bevölkerung 06/Juli 2014des "Netzwerkes Migration in Europa"

schaftskraft, Bevölkerungsgröße, Fläche und Arbeitslo-sigkeit mit ein, woraus sich eine Aufnahmequote für jeden Mitgliedstaat errechnen lässt. Im Jahr 2013 hätte beispiels-weise Deutschland 15,8% aller Asylantragssteller in der EU aufnehmen müssen, Frankreich 13,1%, das Vereinigte Kö-nigreich 11,5%, Italien 10,8% usw.

Wendet man dieses Modell auf die rund 1,3 Mio. Schutzsu-chenden an, die im Zeitraum von 2008 bis 2012 in der EU aufgenommen wurden, kommt man zu dem Ergebnis, dass insbesondere Schweden (+266%), Belgien (+199%), Grie-chenland (+139%), Österreich (+124%) und Zypern (+90%) ihre Quote übererfüllt haben. Schwedens „fairer“ Anteil hätte laut Modell für den Fünfjahreszeitraum 42.000 Asyl-bewerber betragen; tatsächlich nahm Schweden aber fast 154.000 Asylbewerber auf. Deutschland verfehlte laut Mo-dell seine „faire“ Quote im selbigen Zeitraum um circa 2% (fairer Anteil gemäß Quote: 205.974 Aufnahmen; de facto Asylanträge: 201.350). Andere Mitgliedstaaten verfehlten im selben Zeitraum ihre Quote allerdings wesentlich deutli-cher, so etwa Estland und Portugal (je circa -96%), Lettland (-91%), Slowenien (-87%) und Spanien (-85%). ²

Steffen Angenendt, Wissenschaftler im Forschungsbereich „Globale Fragen“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), führt die Verteilungsungleichheit unter anderem auf die noch unzureichende Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zurück. ³

Es bestünden weiterhin umfassende Qualitätsunterschie-de im Asylverfahren der einzelnen Mitgliedstaaten, die es zu beheben gelte. Ein faires Lastenverteilungsmodell kön-ne dabei helfen, einen verlässlichen Vergleichsrahmen für das Qualitätsmanagement und die Anerkennungsquoten in den einzelnen Mitgliedstaaten zu schaffen. Zudem müss-ten laut Angenendt verstärkt legale Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge geschaffen werden, etwa durch humanitäre Visa sowie Botschafts- und Resettlement-Verfahren, um weitere Katastrophen auf gefährlichen irregulären Einrei-

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[email protected]

©UNHCR, F.Noy©UNHCR, Jared J. Kohler, syrische Flüchlinge

serouten zu verhindern. Der geschäftsführende Direktor des Europäischen Unter-stützungsbüros für Asylfragen (EASO) Robert K. Visser be-kräftigte die Kritik an den Qualitätsdefiziten in einzelnen Mitgliedstaaten, wies zugleich aber auf die in Zusammen-arbeit mit EASO verbesserte Qualität der Asylverfahren in EU-Staaten wie Bulgarien oder Griechenland hin. Kay Hailbronner, Professor für Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz, schlug vor, dass im Fall eines überforderten Asylsystems in einzelnen EU-Mitgliedstaa-ten zukünftig die EU die Durchführung des Asylverfahrens für den jeweiligen Staat (temporär) ergänzen oder ersetzen solle. Desweiteren wies er die im Antrag der Linksfraktion geübte Kritik an einer Abschottungspolitik der EU zurück;

im Gegenteil sei in den vergangenen Jahren das GEAS „er-heblich zugunsten der Asylsuchenden“ ausgebaut worden und „die Attraktivität der EU als Zielland erheblich gestie-gen“. Systemdefizite machte Hailbronner hingegen bei einer unzureichenden (zwangsweisen) Rückführung abge-lehnter Asylantragsteller aus. Positiv hob er wiederum den Ausbau der Außengrenzkontrollen unter der Leitung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervor. Für die Funktionsfähigkeit und Glaubwürdigkeit des Systems sei-en Grenzüberwachung und -kontrolle unverzichtbar.

Im Antrag der Fraktion DIE LINKE heißt es hingegen, Frontex gehöre aufgelöst, da die Grenzschutzagentur die

„perfektionierte Grenzabschottung und Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr in Drittländer“ vorantreibe. Der Ge-schäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt stellte infra-ge, ob sich Frontex nicht indirekt mitschuldig an illegalen Zurückweisungen (sogenannten Pushbacks) von Asylsu-chenden mache, indem es mithilfe des Grenzüberwa-chungssystems Eurosur Informationen an einzelne Grenzschutzbehörden liefere, die diese für Pushback-Aktionen missbrauchten.

Der Leiter der Abteilung für operative Einsätze bei Frontex Klaus Rösler entgegnete der Kritik, dass sich durch die steigende Anzahl Frontex-koordinier-ter Grenzkontrollen und dem damit einhergehenden Monitoring vielmehr das Bewusstsein für den Grund-rechteschutz bei bestimmten Grenzschutzbehörden

verbessert habe. Rösler merkte allerdings an, dass sich die Frontex-Einsätze vor allem auf die Hauptmigrationsrouten konzentrieren, während beispielsweise große Teile der tür-kisch-griechischen Seegrenzkontrollen weiter ausschließ-lich durch die Grenzstaaten organisiert und durchgeführt werden.

Unabhängig vom Antrag der Linksfraktion hatte in diesem Zusammenhang die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem am 9. Juli vorgestellten Bericht die hohen Kosten von mindestens 2 Mrd. Euro kritisiert, die die Grenzschutzmaßnahmen der EU allein zwischen 2007 und 2013 verursacht haben.

Janne Grote

http://www.migration-info.de/artikel/2014-07-17/eu-fluechtlingspolitik-diskussion-ueber-legale-einreisemoeg-lichkeiten

¹ http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATI-ONEN/2014/Stellungnahme_EU-Fluechtlingspolitik.pdf

² http://www.svr-migration.de/content/wp-content/up-loads/2013/11/EU-Fluechtlingspolitik-SVR-FB.pdf

³ http://migration-info.de/artikel/2013-04-26/eu-einigung-asylrecht

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09 / 2014 47

Impressum 5.Jahrgang, 1.Ausgabe, 09 / 2014

Redaktion: Addis MulugetaRedaktionskontakt: [email protected]

Erscheinungstermin: 01.09.2014Erscheinungsweise: vierteljährlichAuflage: Exemplare 2500

Herausgeber: Eva Petelerc/o Ausländer-und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg Rückermainstr.2 97070 Würzburg

Fotos: Redaktion, DiverseTitelbild: ©Daniel SchubertLayout: Maneis Arbab, Anette HainzDruck und Produktion: flyeralarm GmbH

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www.fortresseurope.blogspot.com

www.amnesty.de

www.vivovolo.de

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Buchhandlung Neuer Weg, Sanderstraße

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