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Angewandte Geographie Der Begriff des Geomarketing Für die diversen Einsatzmöglichkeiten eines GIS bei der Analy- se und Lösung von Marktproblemen hat sich im deutschen Sprachraum der übergeordnete Begriff Geomarketing gebildet, der alle Unternehmensaktivitäten, die sich der Hilfe eines Geographischen Informationssystems bedienen, umfaßt. Im anglo-amerikanischen Sprachraum findet eher die Bezeich- nung „GIS in Business“ eine vergleichbare Anwendung. Es ist schwierig, eine klare Definition des Begriffs Geomarke- ting zu liefern, da Geomarketing keinesfalls als isolierte Teil- disziplin des Marketings betrachtet werden kann. Vielmehr wird durch diesen Begriff integrativ der Raumbezug innerhalb des marktbezogenen Managementprozesses umfaßt. Bei der Einbindung raumrelevanter Informationen zur Unterstützung der Entscheidungen innerhalb des Prozesses gelangen geogra- phische Methoden, Instrumente und Modelle zur Anwendung. Marktsegmentierung Einen deutlichen Schwerpunkt macht dabei die sog. mikrogeo- graphische Marktsegmentierung aus. Hier kommen in starkem Maße soziodemographische Daten zur Anwendung. Eine wichtige Frage für den Kommunikations-Zweig des Mar- keting besteht darin, die potentiellen Kunden möglichst effizi- ent mit Produktwerbung zu erreichen. Dazu werden oft Markt- segmentierungen vorgenommen, um Zielgruppen voneinander abgrenzen zu können. Als Marktsegmentierung wird allgemein die Einteilung eines Ge- samtmarktes in Untergruppen verstanden. Die einzelnen Markt- segmente sollen dabei bezüglich ihrer Marktreaktionen intern homogen und untereinander heterogen erscheinen. Die Grund- idee des Konzepts geht dabei davon aus, daß die Konsumenten hinsichtlich ihrer Erwartungen und Wünsche an bestimmte Pro- dukte insgesamt keine homogene Gruppe bilden, sondern sich vielmehr in mehrere Kategorien einteilen lassen. Diese unter- schiedlichen Gruppen erfordern differenzierte Marktbearbei- tungsstrategien, die alle Bereiche des Marketing von der Produkt- gestaltung bis zum -absatz berühren. Aus einer durchgeführten Marktsegmentierung erwachsen für die Unternehmen Vorteile sowohl aus der Möglichkeit einer gezielteren Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Kunden als auch aus den Einsparungen durch Auslassung der Bearbeitung „uninteressanter“ Segmente. Die Ermittlung von Marktsegmenten, deren jeweilige Elemente gleiche oder zumindest ähnliche Reaktionen auf den Einsatz von Marketinginstrumenten aufweisen, stellt sich jedoch als sehr problematisch dar. Die für das Kaufverhalten relevanten individuellen Reaktionsfunktionen der Konsumenten lassen sich aufgrund ihrer Komplexität nämlich nicht operationalisie- ren. Statt dessen muß auf eine Reihe leichter erfaßbarer Ersatz- kriterien mit Bezug zum Kaufverhalten zurückgegriffen wer- den (FRETER 1983, 47ff.). Diese Kriterien müssen neben der Kaufverhaltensrelevanz, der Operationalität und der Zugäng- lichkeit auch noch die Anforderungen von Wirtschaftlichkeit und zeitlicher Stabilität erfüllen. Aus Kombinationen derarti- ger Segmentierungskriterien können sog. Konsumententypo- logien erstellt werden, die eine mehrdimensionale Beschrei- bung der Zielgruppen ermöglichen. In der Regel wird zwischen soziodemographischen, psychogra- phischen, verhaltensorientierten sowie makro- und mikrogeo- graphischen Segmentierungen unterschieden. Die mikrogeographische Marktsegmentierung nimmt eine be- sondere Stellung unter den Segmentierungen ein, da sie meh- rere Kriterien vereint, jedoch keine Konsumententypologie, sondern eine Raumtypologie generiert. Dabei bedient sie sich eines GIS-Instrumentariums. Die Qualität der Typologie hängt dabei unmittelbar von den zur Verfügung stehenden soziode- mographischen Daten und der Stufe der räumlichen Ebenen, auf denen sie zur Verfügung stehen, ab. Regionaltypologien Typisches Ziel einer mikrogeographischen Analyse ist das Er- stellen einer Regionaltypologie, bei der eine gewisse Zahl von STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 1/2003 ©Springer-Verlag 21 Heiße Luft oder harte Daten? Lars Mietzner a00000008 Dipl.-Geogr. Lars Mietzner Woldstedthof 8 30455 Hannover E-Mail: [email protected] Zur Aufbereitung bevölkerungsgeo- graphischer Daten für Marketing-Zwecke Geographische Informationssysteme (GIS) haben sich zu nützlichen Instrumenten des alltäglichen Geschäftslebens entwickelt und werden zunehmend auch zur Analyse von Marktproblemen verwendet. Die kommerziellen Anbieter dieser Systeme haben in enger Zusammenarbeit mit den Anbietern soziodemographischer Daten die privatwirt- schaftlichen Unternehmen als lukrativen Absatzmarkt für sich erschlossen. Dabei wurde nicht selten mit blumigen Versprechungen auf sich aufmerksam gemacht. Was sich dahinter verbirgt und welche Rolle die Qualität sozio- und bevölkerungsgeographischer Daten dabei spielt, soll im folgenden Beitrag durchleuchtet werden.

Heiße Luft oder harte Daten?

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Angewandte Geographie

Der Begriff des Geomarketing

Für die diversen Einsatzmöglichkeiten eines GIS bei der Analy-se und Lösung von Marktproblemen hat sich im deutschenSprachraum der übergeordnete Begriff Geomarketing gebildet,der alle Unternehmensaktivitäten, die sich der Hilfe eines Geographischen Informationssystems bedienen, umfaßt. Imanglo-amerikanischen Sprachraum findet eher die Bezeich-nung „GIS in Business“ eine vergleichbare Anwendung.Es ist schwierig, eine klare Definition des Begriffs Geomarke-ting zu liefern, da Geomarketing keinesfalls als isolierte Teil-disziplin des Marketings betrachtet werden kann. Vielmehrwird durch diesen Begriff integrativ der Raumbezug innerhalbdes marktbezogenen Managementprozesses umfaßt. Bei derEinbindung raumrelevanter Informationen zur Unterstützungder Entscheidungen innerhalb des Prozesses gelangen geogra-phische Methoden, Instrumente und Modelle zur Anwendung.

Marktsegmentierung

Einen deutlichen Schwerpunkt macht dabei die sog. mikrogeo-graphische Marktsegmentierung aus. Hier kommen in starkemMaße soziodemographische Daten zur Anwendung.Eine wichtige Frage für den Kommunikations-Zweig des Mar-keting besteht darin, die potentiellen Kunden möglichst effizi-ent mit Produktwerbung zu erreichen. Dazu werden oft Markt-

segmentierungen vorgenommen, um Zielgruppen voneinanderabgrenzen zu können.Als Marktsegmentierung wird allgemein die Einteilung eines Ge-samtmarktes in Untergruppen verstanden. Die einzelnen Markt-segmente sollen dabei bezüglich ihrer Marktreaktionen internhomogen und untereinander heterogen erscheinen. Die Grund-idee des Konzepts geht dabei davon aus, daß die Konsumentenhinsichtlich ihrer Erwartungen und Wünsche an bestimmte Pro-dukte insgesamt keine homogene Gruppe bilden, sondern sichvielmehr in mehrere Kategorien einteilen lassen. Diese unter-schiedlichen Gruppen erfordern differenzierte Marktbearbei-tungsstrategien, die alle Bereiche des Marketing von der Produkt-gestaltung bis zum -absatz berühren. Aus einer durchgeführtenMarktsegmentierung erwachsen für die Unternehmen Vorteilesowohl aus der Möglichkeit einer gezielteren Befriedigung derBedürfnisse ihrer Kunden als auch aus den Einsparungen durchAuslassung der Bearbeitung „uninteressanter“ Segmente.Die Ermittlung von Marktsegmenten, deren jeweilige Elementegleiche oder zumindest ähnliche Reaktionen auf den Einsatzvon Marketinginstrumenten aufweisen, stellt sich jedoch alssehr problematisch dar. Die für das Kaufverhalten relevantenindividuellen Reaktionsfunktionen der Konsumenten lassensich aufgrund ihrer Komplexität nämlich nicht operationalisie-ren. Statt dessen muß auf eine Reihe leichter erfaßbarer Ersatz-kriterien mit Bezug zum Kaufverhalten zurückgegriffen wer-den (FRETER 1983, 47ff.). Diese Kriterien müssen neben derKaufverhaltensrelevanz, der Operationalität und der Zugäng-lichkeit auch noch die Anforderungen von Wirtschaftlichkeitund zeitlicher Stabilität erfüllen. Aus Kombinationen derarti-ger Segmentierungskriterien können sog. Konsumententypo-logien erstellt werden, die eine mehrdimensionale Beschrei-bung der Zielgruppen ermöglichen.In der Regel wird zwischen soziodemographischen, psychogra-phischen, verhaltensorientierten sowie makro- und mikrogeo-graphischen Segmentierungen unterschieden.Die mikrogeographische Marktsegmentierung nimmt eine be-sondere Stellung unter den Segmentierungen ein, da sie meh-rere Kriterien vereint, jedoch keine Konsumententypologie,sondern eine Raumtypologie generiert. Dabei bedient sie sicheines GIS-Instrumentariums. Die Qualität der Typologie hängtdabei unmittelbar von den zur Verfügung stehenden soziode-mographischen Daten und der Stufe der räumlichen Ebenen,auf denen sie zur Verfügung stehen, ab.

Regionaltypologien

Typisches Ziel einer mikrogeographischen Analyse ist das Er-stellen einer Regionaltypologie, bei der eine gewisse Zahl von

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Heiße Luft oder harte Daten?Lars Mietzner

a00000008Dipl.-Geogr. Lars MietznerWoldstedthof 830455 HannoverE-Mail: [email protected]

Zur Aufbereitung bevölkerungsgeo-graphischer Daten für Marketing-Zwecke

Geographische Informationssysteme (GIS) haben sich zunützlichen Instrumenten des alltäglichen Geschäftslebensentwickelt und werden zunehmend auch zur Analyse vonMarktproblemen verwendet. Die kommerziellen Anbieterdieser Systeme haben in enger Zusammenarbeit mit denAnbietern soziodemographischer Daten die privatwirt-schaftlichen Unternehmen als lukrativen Absatzmarkt fürsich erschlossen. Dabei wurde nicht selten mit blumigenVersprechungen auf sich aufmerksam gemacht. Was sichdahinter verbirgt und welche Rolle die Qualität sozio- undbevölkerungsgeographischer Daten dabei spielt, soll imfolgenden Beitrag durchleuchtet werden.

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Wohngebietstypen definiert wird. Grundidee ist dabei die sog.Nachbarschafts-Affinität, die davon ausgeht, daß sich Personenmit ähnlichem sozialen Status und Lebensstil sowie, daraus re-sultierend, vergleichbarem Konsumverhalten in unmittelbarerNachbarschaft zueinander ansiedeln.Unter der Annahme, daß die Homogenität der Wohnbevölke-rung und damit des Konsumverhaltens mit zunehmenderräumlicher Nähe steigt, setzt die mikrogeographische Markt-segmentierung auf den Aggregationsniveaus Straße oder Stra-ßenabschnitt an. Eine gewisse Mindestgröße der Datenzellenist jedoch notwendig, um die datenschutzrechtlichen Anforde-rungen zu erfüllen. So werden auf der kleinsten Ebene desStraßenabschnitts in der Regel mindestens fünf Haushalte zueiner sog. Marktzelle aggregiert. Da diese Ebene jedoch bei flächendeckender Anwendung in der Bundesrepublik Deutsch-land zu einer Anzahl von mehreren Millionen Zellen führt, fürdie jeweils die Segmentierungskriterien erhoben werden müs-sen, werden meist größere Aggregate mit mehreren hundertHaushalten bzw. etwa 1.000 Personen verwandt.Die verwendeten Segmentierungskriterien setzen sich aus so-ziodemographischen Daten der Individualebene wie Alter, Na-tionalität, Beruf und Einkommen der Haushaltsvorstände so-wie flächendeckend erhobenen Daten zur Struktur der Bebau-ung und des wohnlichen Umfeldes zusammen. Ein zentralerUnterschied zu konventionellen Segmentierungen besteht dar-in, daß es sich gerade bei den Daten zum Wohnumfeld nichtum Daten aus Stichproben handelt, sondern um Vollerhebun-gen des gesamten Bundesgebietes. Ebenfalls als Vollerhebungfließen Daten des Kraftfahrtbundesamtes über die Typen unddas Alter der zugelassenen Fahrzeuge je Straßenabschnitt ein.Zur weiteren Anreicherung dieser Daten wird dann allerdingsauch auf die Verknüpfung mit Stichproben gesetzt. So könnenpsychographische Merkmale und Daten zum konkreten Kon-sumverhalten der Bewohner des Gebietes zur Anwendung ge-langen. Diese Daten stammen aus Unternehmensdatenbankenund geben die beobachteten Vorlieben der Bewohner bei Kata-logbestellungen, Preisausschreiben und Abonnements an. Obwohl gerade bei der Verknüpfung von Stichproben und räum-licher Segmentierung nach Ansicht des Autors noch methodi-scher Forschungsbedarf besteht, ist die mikrogeographischeMarktsegmentierung damit grundsätzlich in der Lage, alle klas-sischen Segmentierungsansätze zu integrieren und zusätzlichmit einem Ortsbezug zu versehen, wobei der Ort nicht nur inseiner Lage bestimmt wird, sondern operationalisiert über dasWohnumfeld sogar als weiteres Segmentierungskriterium dient.Analog zu den Konsumententypologien wird die Entwicklungentsprechender Regionaltypologien über faktorialanalytischeVerfahren erreicht. Dabei werden flächendeckend alle räum-lichen Einheiten (in der bereits erwähnten Größe von fünf bismehreren hundert Haushalten) in eine etwa 30 bis 50 Kategori-en umfassende Typologie eingeteilt.Diese Regionaltypologien sind das eigentliche Ziel jeder mikrogeographischen Marktsegmentierung und stellen dasProdukt der Anbieter solcher Segmentierungen dar. Bedingtdurch den hohen Aufwand bei der Erstellung werden mikro-geographische Marktsegmentierungen in aller Regel nicht an-hand produkt- oder branchenspezifischer Kriterien erzeugt,sondern stehen – einmal durchgeführt – zur Anwendung inden verschiedensten Branchen zur Verfügung. Obwohl die An-zahl der Anbieter flächendeckender Segmentierungen auf-

grund des hohen Aufwands sehr gering ist, entziehen sich diederzeit angebotenen Segmentierungen in Regionaltypologieneinem objektiven Vergleich. Der Grund hierfür ist in erster Linie darin zu suchen, daß die genauen Verfahren zur Erstel-lung der Regionaltypologien als Unternehmensgeheimnis be-handelt werden (SANDBERG 1994, 68). Entsprechend könnenauch die verwendeten Faktoren oftmals keiner näheren Unter-suchung in Hinsicht auf ihre Erklärungsrelevanz unterzogenwerden. MARTIN (1992, 62) stellt für das von ihm mitentwickelteSystem fest, daß sich der Beruf und das über Unternehmensda-tenbanken operationalisierte konkrete Konsumverhalten alsbesonders relevant herauskristallisiert haben. Andere Systemewiederum qualifizieren ihre Segmente hauptsächlich mit Hilfeder Gebäudestruktur. Obwohl sich zumindest die Klassen derRegionaltypologien bei den verschiedenen Anbietern rechtstark ähneln, kann aufgrund der methodischen Unterschiedebei der Datenanalyse die Einteilung ein und desselben Gebietesje nach Anbieter durchaus unterschiedlich ausfallen.

Datenquellen

Datenquellen für die soziodemographischen Merkmale sind inerster Linie amtliche Statistiken und öffentliche Verzeichnissewie Adreß- und Telefonbücher. Ein wichtiges Hilfsmittel zurErmittlung von Altersstrukturen und Nationalitäten sind dabeiAnalysen der Vornamen der in den verschiedenen Datenban-ken registrierten realen Personen. Die Art des Wohnumfeldeswird entweder durch reale oder sog. elektronische Begehungenerhoben. Im Gegensatz zu den sehr personalaufwendigen rea-len Begehungen werden bei elektronischen Begehungen überDatenbanken mit Angaben zur Anzahl der privaten Haushaltean einer Adresse und die Art gewerblicher Nutzung eines Ge-bäudes auf Hausgröße, -typ und Wohnumfeld geschlossen.Immer wieder wurde auf Verkaufsveranstaltungen auch postu-liert, daß es möglich sei, bereits durchgeführte Stichprobenerhe-bungen psychographischer Merkmale mit den Wohnorten zuverknüpfen, also die Ergebnisse klassischer Marktforschung se-kundär zur räumlichen Differenzierung auf der Mikroebene her-anzuziehen. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, da die Art derStichprobenermittlung und mindestens notwendige Fallzahl fürderartige räumliche Verknüpfungen einen zu hohen Aufwanddarstellt. Deutlich wird das, wenn man sich allein die Kosten fürqualifizierte Interviews vor Augen führt, die in jeder Marktzellegeführt werden müßten, um Repräsentativität bzw. ernst zu neh-mende Schwankungsintervalle zu erlangen. Hier hilft auch nichtdie Konzentration auf ausgewählte Gebiete, denn eine Segmen-tierung darf eben per Definition nicht lückenhaft sein.Aus diesem Grund ist es methodisch durchaus umstritten, daßdie Datenanbieter das konkrete Konsumentenverhalten überKundendatenbanken verschiedener Unternehmen mit den ent-sprechenden räumlichen Einheiten verknüpfen. Neben demBestellverhalten und den Kaufdaten ergänzen hierbei frei-willige Selbstauskünfte der Kunden, die über Coupon-Anzeigen,Fragebögen oder Garantiekarten zusammengetragen werden,die Analysegrundlage.Sehr dünn erscheint auch das methodische Eis, auf das sich Datenanbieter begeben, die sogenannte Risiko- oder Bonitätsin-dizes anbieten. Dabei werden statistische Wahrscheinlichkeitenerrechnet, die das Kreditrisiko der Bewohner einer räumlichenEinheit angeben sollen. Personenbezogene Bonitätsdaten wer-

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den dazu auf der unter datenschutzrechtlichen Aspekten kleinst-möglichen Ebene (auch hier mindestens fünf Haushalte) anony-misiert und mit den konkreten Hausadressen dieser Mikrozelleverknüpft. Damit nun nicht im Extremfall in einem Haus mitfünf Mietparteien schon ein negativer Eintrag zu einer Bewertungführt, die ein „überdurchschnittliches Kreditrisiko“ anzeigt, werden diese Daten in der Regel Teil der Regionaltypologie.Bei den realen Begehungen vor Ort geben dagegen besondersdie Augenschein-Bewertungen der Wohnlage und des Einkom-mens Anlaß zur Skepsis. So ist nicht auszuschließen, daß Verzerrungen durch die individuellen Urteilsheuristiken derGutachter und auch durch die Reihenfolge der Begehungenentstanden sind. Beispielsweise wirkt nach der Begehung einesViertels im Extrembereich der Skalen jedes weitere Vierteldeutlich anders als bei umgekehrter Reihenfolge.

Theoretische Fundierung

Die plakativen Werbesprüche der kommerziellen Anbieter mikrogeographischer Analysesysteme wie etwa „gleich undgleich gesellt sich gern“ und „sage mir, wo Du wohnst, und ichsage Dir, wer Du bist“ dienen natürlich in erster Linie dazu,den potentiellen Kunden auf einen Blick zu verdeutlichen, wor-um es bei diesen Systemen geht. Die heuristische Verankerungdieser Sprüche (die ja nicht von den Anbietern ersonnen, son-dern lediglich aufgegriffen wurden) im Alltagsbewußtsein derBevölkerung macht jedoch klar, daß ein scheinbar allgemeinakzeptiertes Theoriegebäude im Hintergrund existiert. Wich-tigstes Element dieses Theoriegebäudes ist die Segregation derWohnbevölkerung eines Ortes. Geprägt wurde die Segregati-onsforschung von der sog. Chicagoer Schule. PARK/BURGESS

(1925) legten in den zwanziger Jahren mit ihren Untersuchun-gen der sozialen Stadtstruktur Chicagos die Grundsteine fürModelle der Sozialökologie. Segregation ist danach das aus dersozialen Struktur entstehende räumliche Abbild derselben. Dieräumlich sichtbare Segregation umfaßt somit verschiedene,sich überlagernde Dimensionen wie

•den ökonomischen Status, unter den auch die komplexeKonstruktion des Sozialstatus, der sich wiederum u.a. ausBeruf und Bildung zusammensetzt, gefaßt wird,

• den ethnischen Status, dessen Bedeutung in Deutschland(noch) nicht so groß ist wie beispielsweise in den USA sowie

•den Familienstatus, der sich in erster Linie über das Lebens-zyklus-Konzept erklärt und somit die demographische Dimension vertritt.

Die räumliche Verteilung der einzelnen Dimensionen folgt da-bei jeweils eigenen Mustern. Der Einfluß des Konstrukts Le-bensstil auf die Segregation wird zwar von Autoren wie DANG-SCHAT (1994, 445) postuliert, konnte jedoch bisher für eine em-pirische Prüfung nicht in befriedigender Weise operationali-siert werden. Dabei ist gerade der Lebensstil, der sich nicht zu-letzt auch in demonstrativem Konsum äußert, für die wer-bungtreibende Wirtschaft von hohem Interesse.

Raumstruktur als Marktstruktur

Ziel einer sozialgeographischen Analyse der Raumstruktur istimmer die Identifikation sozialräumlicher Einheiten, deren Be-wohner in bezug auf die untersuchten Variablen ein gewisses

Maß an Homogenität in der Merkmalsausprägung aufweisenund sich so statistisch deutlich von anderen differenzieren. Fürden Bereich des Geomarketing sind Analysen der Entwicklungdabei von geringerer Bedeutung als Darstellungen des Statusquo. Auch wird im Marketing die Segregation eher als Markt-struktur statt als Raumstruktur interpretiert. Zwar werden aufdie mikrogeographische Marktsegmentierung nicht explizit dieTheorien der soziologischen Stadtforschung übertragen, dieangewandten Methoden und zugrundeliegenden Modelle sindjedoch identisch. Während in der Raumplanung versucht wird,mit Hilfe dieser Methoden soziale Segregation und Kausalitä-ten zu erkennen, um beispielsweise rechtzeitig entsprechendeMaßnahmen zur Stadtentwicklung, die eine bessere sozialeDurchmischung schaffen, ergreifen zu können, erhofft sich dieWerbewirtschaft das genaue Gegenteil. Denn je größer dasMaß an sozialer Segregation, desto besser sind die potentiellenKunden auf bestimmte Gebiete konzentriert und damit an-sprechbar, ohne die Namen, Adressen und sonstigen Merkmaleder Individuen kennen zu müssen. Weiterhin unterstellt diemikrogeographische Marktsegmentierung, daß die Interaktiondes Individuums mit seiner sozialen Umwelt verhaltensbestim-mend ist. Die Annahme der Existenz solcher sozialräumlichenKontexteffekte impliziert, daß sich bestimmte Verhaltensmu-ster der Bewohner allein aufgrund der Kenntnis ihres Wohn-umfeldtyps prognostizieren lassen (MARTIN 1992, 36).Kritik an der Segregationsforschung kann bekanntlich zum einen an der Auswahl der einbezogenen Variablen und zumanderen an der oft durch die amtlichen Statistiken vorgegebe-nen räumlichen Differenzierungsebene ansetzen, da beides die Ergebnisse massiv beeinflussen kann.Weiterhin ist für jede Art der praktischen Nutzung von Ergeb-nissen der Segregationsforschung die Tatsache problematisch,daß sich gesellschaftliche Veränderungen erst mit einer deutli-chen Verzögerung in räumlichen Mustern niederschlagen(MARTIN 1992, 45). Dieser cultural lag genannte Effekt rührt da-her, daß die selektive Migration, die als Transportmechanis-mus von der sozialen Struktur zum räumlichen Abbild dieserStruktur dient, viele Jahre benötigt. Auch ist davon auszuge-hen, daß hierzulande die aus dem gesellschaftlichen Wandelfolgenden Veränderungen in der Struktur der Siedlungen umeiniges langsamer vonstatten gehen als in den USA mit ihrerdeutlich höheren sozialen und räumlichen Mobilität. Bei An-wendungen im Marketing sollte man sich des cultural lag be-wußt sein. Problematisch wird es jedoch erst, wenn das Marke-ting über seine Zielgruppendefinition bereits auf gesellschaft-liche Veränderungen reagieren will, die noch keine räumlicheUmsetzung erfahren haben.

Und was ist mit dem ländlichen Raum?

Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die sozialökologischenModelle für den städtischen Lebensraum entwickelt wurdenund somit eine Übertragung in anders strukturierte Räumeproblembehaftet ist, was sich auch in der Tatsache äußert, daßdie Regionaltypologien im ländlichen Raum deutlich wenigerdifferenzieren oder gar keine Aussage treffen können.Einer der Gründe dafür liegt natürlich darin, daß sich die öko-nomischen und kulturellen Aktivitäten außerhalb von Städteneben nicht räumlich in einem Zentrum konzentrieren, sondernauf mehrere Grund- oder Mittelzentren verteilt sind. Auch

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dürfte die Standortmobilität der Haushalte im ländlichenRaum allein durch die größere Eigenheimquote deutlich gerin-ger sein als bei großen Mieterquoten. Eine weitere, außerhalbder Großstädte schwer zu erfüllende Annahme ist die des Auf-tretens sog. Nachbarschaftseffekte, da diese erst ab einem ge-wissen Maß an Bevölkerungsdichte und somit physischer Näheder sozialen Individuen wirksam werden. Und auch die Ausbil-dung erkennbar differenzierter sozialer Gruppen braucht einekritische Masse an potentiellen Mitgliedern, um die entspre-chenden sozialen Netzwerke und Institutionen aufbauen zukönnen (FRIEDRICHS 1995, 20).Trotz einer immer weiter fortschreitenden Urbanisierung derLebensweise (Stadt-Land-Kontinuum) muß man sich an dieserStelle also zumindest außerhalb der Ballungsräume deutlichvon der Vorstellung der auf die Großstädte angewendeten so-zialökologischen Modelle zur Segregation lösen. Die zu tref-fenden Aussagen sind in diesem Fall weitgehend auf rein de-skriptive Merkmale beschränkt, während Rückschlüsse auf dasVerhalten der Einwohner bzw. Haushalte nur in sehr begrenztemUmfang möglich sind. Den Anbietern mikrogeographischerMarktsegmentierungssysteme ist daher vorzuwerfen, daß sie aufdiese Tatsache nicht aufmerksam machen, sondern vielmehr vor-spiegeln, die Qualität der durch die Analysen zu treffenden Aus-sagen sei über das gesamte Bundesgebiet gleich. Gleich ist abernur die Methodik der Sozialraum- oder Faktorenanalyse, diezur empirischen Identifikation der in sich homogenen Wohnge-biete verwendet wird. Die Qualität der Aussagen ist jedoch indirektem Maße von der Gemeindegröße bzw. Bevölkerungs-dichte abhängig. So steigt mit der Größe einer Stadt die interneDifferenzierung (FRIEDRICHS 1995, 149) und in Orten mit weni-ger als 10.000 Einwohnern dominiert in der Regel die demogra-phische Segregation gegenüber der sozialen.Die Gemeindegröße ist damit entscheidender als die Bevölke-rungsdichte. Insofern kann vermutet werden, daß bei der flä-chendeckenden Anwendung der Methoden in den ländlichenRäumen Artefakte geschaffen werden.

Weißt Du wieviel Haushalte ...?

Ein besonderes Problem für das Geomarketing stellt die An-zahl der Haushalte dar.Eine möglichst genaue Information über die Zahl der Haus-halte innerhalb eines bestimmten Gebietes wird zur Berechnungder Auslieferungsmengen und damit der Preise für direkt ver-teilte Werbung benötigt. Die für eine Direktverteilung relevan-te Anzahl der Haushalte ergibt sich faktisch aus der Anzahl derBriefkästen bzw. Klingelschilder innerhalb des Verteilgebietesabzüglich der sog. Werbeverweigerer, die mit entsprechendenHinweisen auf ihren Briefkästen die Annahme direktverteilterWerbemittel ablehnen. Beide Zahlen wären damit für die An-bieter der entsprechenden Leistungen, wie Direktverteilungs-organisationen und Verlage von sog. Anzeigenblättern, von hohem Wert.Die Zahl der Haushalte in den amtlichen Statistiken stimmtnicht mit der Zahl der Familien überein, da es in den amtlichenStatistiken bei den Haushalten zu Doppelzählungen kommenkann. Zudem können sowohl Einzeluntermieter als auchWohngemeinschaften Haushalte bilden. Die Definition desHaushalts als wirtschaftliche Einheit findet verständlicherwei-se auch in der Konsumgüterindustrie Verbreitung, denn es

existiert eine ganze Reihe von Produkten, die maximal einmalpro Haushalt benötigt werden oder bei deren Anschaffung derHaushalt als wirtschaftliche Einheit auftritt. Trotzdem könnendie werbungtreibenden Wirtschaftsunternehmen prinzipiellauch mit einer sehr viel pragmatischeren Methode, wonachBriefkästen oder Klingelschilder einen Haushalt definieren,auskommen. Dieser wichtige Unterschied kann bei Primärer-hebungen von erheblichem Nutzen sein.Es herrscht also ein großes wirtschaftliches Interesse an der ex-akten Anzahl der Haushalte in der Bundesrepublik. Besondersgesucht sind dabei kleinräumigere Differenzierungen auf undunterhalb der Gemeindeebene.Dennoch scheint niemand diese Zahlen zu kennen oder zu-mindest bereit zu sein, sein Wissen mit anderen zu teilen, sodaß sich auch ein Markt für Schätzungen entwickelt hat.Da die amtliche Statistik die Zahl der Haushalte auf Gemeinde-ebene nur in Großzählungen ermittelt, stammen hier die letz-ten verläßlichen Daten aus der Volkszählung von 1987. Seitherhat sich die Zahl der Haushalte allein in den alten Bundeslän-dern jedoch um etwa 3,5 Mio. erhöht. Eine Fortschreibung derHaushaltszahlen erfolgt nur durch die jährliche einprozentigeStichprobe des Mikrozensus. Dabei wird die dort ermittelteZahl der durchschnittlichen Haushaltsgröße mit der Bevölke-rungsfortschreibung verbunden. Bereits nach der Volkszäh-lung vom Mai 1987 stellte sich heraus, daß die Differenz zu denim März 1987 ermittelten Mikrozensusergebnissen für die Ge-samtzahl der Haushalte auf Bundesebene 3% betrug (WEDEL

1989, 274). Nach den durch die Wiedervereinigung ausgelöstenBinnenwanderungen und den Jahren starker Zuwanderung ausLändern außerhalb der EU kann davon ausgegangen werden,daß die heute ausgewiesenen Zahlen des Mikrozensus nichtden Anforderungen der Unternehmen genügen, zumal keineAusweisung auf der Gemeindeebene erfolgt. Gerade auf dieserkleinräumigen Ebene dürften sich aber höchst unterschiedli-che Entwicklungen abgespielt haben.Eine echte Anpassung der über den Mikrozensus fortgeschriebe-nen Zahl der Haushalte an die 1987 erhobenen Daten hat nachAuskunft des Statistischen Bundesamtes nie stattgefunden.Offensichtlich stellt die Deutsche Post AG die einzige Institutionin Deutschland dar, die tatsächlich flächendeckend über detail-lierte, kleinräumige Angaben zur Anzahl der Briefkästen bzw.Klingelschilder und damit näherungsweise auch der Haushalteverfügt. Aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages bestehen beider Post AG keine datenschutzrechtlichen Bedenken, zumin-dest die Adressen aller Häuser mit der Zahl der darin wohnen-den Haushalte zu sammeln. Neben der reinen Anzahl, die ja fürlogistische Zwecke bei der Direktverteilung von Werbematerialbereits von hohem Nutzen ist, verfügt die Post AG also flächen-deckend über zusätzliche Informationen, die eine genauerePlanung der Verteilung ermöglichen. Da die Post AG ihr Wis-sen jedoch zu Recht als strategischen Vorteil im Wettbewerbbetrachtet, tritt sie zumindest mit diesen speziellen Informa-tionen nicht als Anbieter auf dem Datenmarkt auf.

Datenschutz

Das sog. Volkszählungsurteil des Ersten Senats des Bundesver-fassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 gilt als richtungwei-send für die Entwicklung des Datenschutzes in der Bundesre-publik. Besonders deutlich wird die Tragweite, die das Urteil

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auch und gerade 20 Jahre danach noch besitzt durch eindring-liche Warnungen wie „Wer nicht mit hinreichender Sicherheitüberschauen kann, welche ihn betreffende Informationen inbestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind,und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nichteinigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheitwesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zuplanen oder zu entscheiden“ (BVerfGE 65, 1, 43). Der Hinweisdarauf, daß Einzelangaben „vor allem beim Aufbau integrierterInformationssysteme (...) mit anderen Datensammlungen zueinem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeits-bild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessenRichtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann“(BVerfGE 65, 1, 42), betrifft integrierte Geomarketing-Systememit ihrer Möglichkeit der Verbindung verschiedener Daten-banken direkt. So ist es ja gerade das Ziel einer Anreicherungvon Adreßlisten, durch die im Zuge einer mikrogeographi-schen Marktsegmentierung entstandenen Attribute ein (kauf-)verhaltensrelevantes Persönlichkeitsbild zu erzeugen, indemden unter bestimmten Adressen wohnenden Personen vermu-tete Eigenschaften zugeordnet werden (SCHINEIS 1989, 145ff.).Die Richtigkeit dieser Vermutungen wird systeminhärent sehrstark streuen, so daß davon ausgegangen werden muß, daß einnicht unerheblicher Anteil der auf diese Weise entstehendenPersönlichkeitsbilder inkorrekt ist.

Kredit-Risiken

Problematisch wird es spätestens dann, wenn ein Finanzdienst-leister aufgrund des mit der Adresse des Betroffenen verbun-denen Attributs „überdurchschnittliches Kreditrisiko“ ein hohes Ausfallrisiko unterstellt und deshalb günstige Kredit-konditionen oder gar den kompletten Kredit verweigert. DiesesBeispiel ist im Zuge der anhaltenden Marktentwicklung zu sog.Direktbanken mit Abwicklung über Online-Verbindungen undbei Internet-Handelsfirmen keine Zukunftsmusik sondern Geschäftsalltag.Da GIS in Verbindung mit mikrogeographischen Marktseg-mentierungen von den Anbietern zunehmend auch für Anwen-dungen im Bereich Risikomanagement vermarktet werden,zeigt sich an dieser Stelle, wie schwierig die Abgrenzung derschutzwürdigen Interessensphäre des Individuums ist.Interessant ist unter diesem Aspekt auch die dem Autor vorlie-gende Mustervertragsklausel, nach der sich ein auf dem deut-schen Markt nicht eben unbedeutender Wiederverkäufer einesderartigen Kredit-Risiko-Index tatsächlich zusichern läßt, daßin dem Fall, daß eine Kunden-Adresse zu einem Cluster mitnegativem Risikoindex gehört, der Inhaber der Adresse nichtautomatisch von einem Waren- oder Dienstleistungsbezug aus-geschlossen werden darf. Hier bekommt man offensichtlichdoch Angst vor den Geistern, die man rief bzw. verkauft. Fürden Endverbraucher bedeutet eine derartige Absicherung der Anbieter gegenüber den kommerziellen Nutzern solcherDaten (i.e. Banken und Versandhandelshäuser) nur, daß er imZweifelsfalle nie erfahren wird, warum er tatsächlich von einerLeistung ausgeschlossen wird.Im Volkszählungsurteil des BVerfG heißt es: „Wer unsicher ist,ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als In-formation dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergege-ben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltenswei-

sen aufzufallen“ (BVerfGE, 65, 1, 44). Zwar beziehen sich diegenannten abweichenden Verhaltensweisen in dem Urteil be-sonders auf die staatliche Erfassung von Daten im Zusammen-hang mit gesellschaftspolitischen Aktivitäten, etwa der Teil-nahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative, könnenaber ebensogut auf privatwirtschaftliche Datensammlungenübertragen werden. Wenn etwa befürchtet werden muß, durchdie Wohnstandortwahl wegen der mit der Adresse verbunde-nen negativen Attributausprägungen Nachteile zu erleiden,wird der Betroffene diesen Umstand in seine Wohnstandort-wahl einbeziehen, was in letzter Konsequenz sogar zu einerweiteren Verstärkung sozialer Segregationsprozesse führenkönnte. Schlimmstenfalls könnte eine Stigmatisierung, die allein auf einer von Dritten durchgeführten Bewertung derQualität des Wohnumfeldes beruht, zu einer neuen Art derDiskriminierung führen. Der von den Anbietern mikrogeogra-phischer Marktsegmentierungssysteme immer wieder plakativeingesetzte Satz „Sage mir, wo Du wohnst, und ich sage Dir,wer Du bist“ erhält in diesem Zusammenhang einen nach-denklich stimmenden Beiklang.Zwar ist durch die Volkszählungsdiskussion in der Bundesre-publik bereits im Vorfeld der privatwirtschaftlichen Nutzungvon Konsumentendatenbanken ein Problembewußtsein ge-schaffen worden, das sich in anderen Industrieländern erst zuentwickeln begann, als derartige Datenbanken bereits im täg-lichen Einsatz waren. Besonders in den USA ist auf diese Weiseeine Situation entstanden, die es schwierig macht, gesetzlicheRegelungen zu schaffen, die eine bereits weit entwickelte Branche stark einschränken würden.

Fazit

Als Abschluß des in diesem Beitrag versuchten Überblicks läßtsich formulieren, daß die von der Geographie geschaffenenGrundlagen erfolgreich durch kommerzielle Anbieter adaptiertwurden, denen es gelungen ist, einen Markt für mikrogeogra-phische Daten und Analysen aufzubauen. Die Geographie istnun aufgefordert, an dieser Erfolgsgeschichte weiter mitzu-schreiben und das Feld der mikrogeographischen Segmentie-rung nicht allein den kommerziellen Anbietern und Mathema-tikern zu überlassen, sondern Methodik und theoretischen Unterbau im kritischen Dialog weiterzuentwickeln, damit kei-ne heiße Luft verkauft wird.

LiteraturBUNDESVERFASSUNGSGERICHT (1983): Entscheidungen 65, 1 – Volkszäh-

lung. KarlsruheDANGSCHAT, J. (1994): Segregation - Lebensstile im Konflikt, soziale

Ungleichheiten und räumliche Disparitäten. – In: DANGSCHAT,J./BLASIUS, J. (1994) (Hrsg.): Lebensstile in den Städten. Konzepteund Methoden, 426–445, Opladen

FRETER, H. (1983): Marktsegmentierung. Kohlhammer-Edition Marke-ting. Stuttgart u.a.

FRIEDRICHS, J. (1995): Stadtsoziologie. OpladenMARTIN, M. (1992): Mikrogeographische Marktsegmentierung. Wies-

badenMEFFERT, H. (1998): Marketing: Grundlagen marktorientierter Unter-

nehmensführung: Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele; 8. vollständig neubearbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden

STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 1/2003 ©Springer-Verlag 25

Angewandte Geographie

STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 1/2003 ©Springer-Verlag

PARK, R. E.; BURGESS, E. W. (Hrsg.) (1925): The City. Chicago.SANDBERG, B. (1994): Mikrogeographische Marktsegmentierung –

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Dipl.-Geogr. Lars Mietzner, Jg. 1969, Studium der Sozialökonomieund Geographie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1999bis 2002 im Markt-Media-Service der Verlagsgesellschaft MadsackGmbH & Co. KG u.a. zuständig für Geomarketing und Datenevaluie-rung, seit 2003 Leiter des Verkaufscontrollings der Verlagsgesell-schaft Madsack.

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