Helden Wie Wir German

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1. DER AUTOR UND SEIN WERK.Obwohl Thomas Brussig die Literaturszene erst 1995 betrat, ist er inzwischen einer der bekanntesten jungen deutschen Schriftsteller. Dank seiner erfolgreichen Romane gilt er als Ostexperte[1], als ostdeutscher Heimatsachverstndiger[2] und als Spezialist dafr [], leicht und witzig ber die DDR zu schreiben, ohne sie nostalgisch zu verniedlichen[3]. Er gehrt zu einer Generation, die zwar in der DDR geboren ist und ihre Jugend dort verbrachte, mit den Utopien und dem Aufbaupathos der Grndergeneration jedoch nichts mehr anfangen konnte. Diese Generationszugehrigkeit bietet ihm eine bevorzugte Perspektive auf die Wende[4] und ermglicht ihm, sich in seinen Romanen ironisch mit dem Thema auseinanderzusetzen[5].

Brussig wurde 1965 in Ost-Berlin geboren. Hier verbrachte er, mit Ausnahme der Wehrdienstzeit, seine ganze Jugend. Nach der Berufsausbildung als Baufacharbeiter (1981-1984) und dem Abitur (1984) bte er in der DDR verschiedene Aushilfsttigkeiten aus (u.a. als Mbeltrger, Museumspfrtner, Fabrikarbeiter und Hotelportier). Nach der Wende studierte er, ohne Abschluss, Soziologie an der Freien Universitt Berlin (1990-1993) und spter Dramaturgie an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Seitdem sein zweiter Roman Helden wie wir 1995 zu einem Bestseller wurde, ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Drehbuchautor ttig.

Brussigs erfolgreichstes Werk ist ohne Zweifel Helden wie wir. Dieser Bestseller fhrte ihn 1995 ins Licht der ffentlichkeit und machte ihn bei einem groen Publikum bekannt. Sein erster Roman Wasserfarben[6] war schon 1991 unter dem Pseudonym Cordt Berneburger erschienen. Wasserfarben erregte unmittelbar nach seinem Erscheinen bei Kritik und Publikum keine groe Aufmerksamkeit. Erst nach dem groen Erfolg von Helden wie wir wurde Brussigs Erstlingswerk entdeckt. In dem Roman, der Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. (1973) zum Vorbild hat, geht es um eine Bildungsgeschichte in mehreren Episoden. Der Protagonist Anton Glienicke erzhlt aus der Ich-Perspektive mit jugendlicher Melancholie, Skepsis und Wut seine letzten Monate vor dem Abitur an einer Ostberliner Elite-Schule. Im Mittelpunkt der Geschichte dieses konventionellen Bildungsromans steht die Selbstfindung des Protagonisten, der nach einer ersten Ablehnung des egoistischen Karrieredenkens, mit der Hilfe seines Bruders Leff zum Schluss seine Leidenschaft fr das Schreiben entdeckt und dadurch auch seinen Weg in die Gesellschaft findet. Die Handlung erstreckt sich von November 1986 bis Juni 1987 und bietet als Hintergrund einen kritischen Blick ber die Gesellschaft der DDR in den achtziger Jahren. Der Stoff von Wasserfarben erscheint, revidiert und umgestaltet, acht Jahre spter auch in Brussigs drittem Roman Am krzeren Ende der Sonnenallee (1999) wieder. Hier taucht eine ganze Clique von DDR-Jugendlichen als Protagonisten auf, die in Ostberlin unmittelbar an der Mauer wohnen. Micha, Mario, Brille, Wuschel und Dicke sind fnf Freunde, deren Trume mit den Idealen des Sozialismus gar nichts zu tun haben. Sie lieben Popmusik, interessieren sich fr den Existenzialismus, das Hippie-Leben und natrlich fr das schnste Mdchen der Schule, Miriam. In unterschiedlichen lustigen Episoden wird der Alltag dieser Jugendlichen beschrieben, der aus einer Mischung aus Heiterkeit, Rebellion und Orientierungslosigkeit besteht. Obwohl sie die strengen Regeln der geschlossenen DDR-Gesellschaft und ihre Prinzipien nicht als die eigenen anerkennen, knnen sie sich eigentlich auch in dem totalitren Staat sehr gut amsieren. Es gelingt ihnen, auch dank ihres Alters, sich einen eigenen heiteren Privatraum zu schaffen, in einem Staat, in dem es wenig zu lachen gibt[7]. Mit diesem Roman und mit dem gleichnamigen Film[8] verfestigte Brussig den Erfolg von Helden wie wir und etablierte sich in der Literaturszene als Fachmann fr die ostdeutschen Passagen der Geschichte[9].

Obwohl die Thematik Wende in den beiden Romanen Wasserfarben und Am krzeren Ende der Sonnenallee nicht direkt auftaucht, ist es doch konstant prsent: Mit Rckblicken auf das Leben in der Honecker-ra erzhlt Brussig von seiner eigenen Generation, die in der DDR aufwuchs, dabei aber schon auf dem Sprung ins vereinte Deutschland war, ohne es auch nur zu ahnen. Das Thema Wende bleibt bei ihm jedoch, heute wie 1995, im Mittelpunkt. Sein neuer Roman Wie es leuchtet[10] ist bereits erschienen: Laut Brussigs eigenen Worten wird erst dieses neue Buch zum wirklichen Wenderoman[11].

Weitere Werke von Brussig sind das Theaterstck Heimsuchung[12] und das satirische Fuballbuch Leben bis Mnner (2001)[13].

Besonders gro ist in Brussigs Werk der Einfluss der angloamerikanischen Protestliteratur. Zu seinen Lieblingsautoren gehren vor allem Jerome Salinger, Charles Bukowski, der Sexologe Philip Roth[14] und der Medienstar John Irving[15].

2. DIE STRUKTUR DES ROMANS.2.1. Kurzfassung des Inhalts.

Der Held des Romans, Klaus Uhltzscht, schildert kurz nach der Wende in einem Interview fr den New York Times Reporter Mr. Kitzelstein sein Leben in der DDR und erzhlt die Geschichte des Mauerfalls auf ganz neue Weise. Das Interview erweist sich allerdings sehr schnell als ein einseitiger Monolog von Klaus, der sich, berzeugt von seiner Rolle als zuknftiger Nobelpreistrger oder als Beendiger der Geschichte[16], schon von Kindheit an auf einen ffentlichen Auftritt vorbereitet hatte.

Die Erzhlung umspannt einen Zeitrahmen von seiner Geburt, die symboltrchtig mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Tschechoslowakei am 20. August 1968 zusammenfllt, bis zur ffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989. Durch die Beschreibung von Klaus Leben wirft Brussig einen kritischen, ironischen Blick auf die Geschichte der DDR der Honecker-ra.

Klaus, der immer zwischen Helden- und Witzfigur, zwischen Opfer und Tter schwankt, wchst in einer Familie auf, in der sich die Strenge und die Spieigkeit der DDR-Gesellschaft und ihrer Regierung widerspiegeln. Sein Vater ist ein Stasifunktionr, der seinen Sohn fr einen Versager hlt und niemals ein Wort mit ihm wechselt. Seine Mutter ist rztin und Hygieneinspektorin, ist von der Sauberkeit besessen und kontrolliert stndig ihren Sohn. Diese Kontrolle ist in erster Linie eine Kontrolle jeder kleinsten intimen Regung ihres Sohnes und wird auch im Erwachsenenalter fortgefhrt.

Kein Wunder, wenn Klaus in dieser Atmosphre von Zwang und (vor allem sexueller) Unterdrckung zunchst schlimme Minderwertigkeitsgefhle als Flachschwimmer, Totensonntagsfick, Toilettenverstopfer und Onanist mit legendr kleinem Pimmel und vier Bibliotheksausweisen entwickelt. Seine Kindheit verluft zwischen Allmachtsphantasien von seiner knftigen Karriere als Naturwissenschaftler oder als Retter des Sozialismus und der rauen Wirklichkeit als Mamashnchen und kleinem Besserwisser, der mit sich und den anderen nicht zurechtkommt. Besonders gestrt ist, aufgrund der repressiven Sexualerziehung seiner Eltern, sein Verhltnis zu Frauen, das in einer versuchten Vergewaltigung mndet.

Nach der Schule wird er, wie sein Vater, Mitarbeiter der Staatssicherheit; seine Aufgaben reichen von der Observation bis zum Einbruch und zur Kindsentfhrung. Das Bild der Stasi, das in den unterschiedlichen Episoden hervorgerufen wird, ist meistens sehr harmlos und komisch[17]. Nebenbei widmet Klaus seine Freizeit der Entwicklung immer neuer Perversionen, die, seiner Meinung nach, zum Weltsieg des Sozialismus ber den Kapitalismus beitragen sollen. Mit einer Blut- und Serumtransfusion rettet er im Sommer 1989 sogar dem kranken Erich Honecker das Leben. Vollkommen fassungslos[18] erlebt er den Herbst 89, die Protestbewegungen und die letzten Monate der DDR. Klaus ist jedoch bei der groen Kundgebung am Alexanderplatz vom 4. November 1989 anwesend: Als Christa Wolf, von Klaus mit der Eislauftrainerin Jutta Mller verwechselt, ihre berhmte Rede hlt, fhlt er sich von jener Sozialismustmelei[19] irritiert und will auf die Bhne steigen, um seine Meinung zu sagen. Im Gedrnge strzt er und verletzt sich an seinem Glied. Infolge der notwendigen Operation vergrert sich sein Glied dermaen, dass er damit einige Tage spter, am 9. November, als Exhibitionist die Grenzsoldaten erschrecken kann. Dieser exhibitionistische Akt des Protagonisten fhrt zum Mauerfall. An der Wende war, Klaus Geschichte nach, nicht das ostdeutsche Volk durch seine Proteste und seine Zivilcourage beteiligt, sondern ausschlielich sein bergroes Glied. Er ist das Missing link der jngsten deutschen Geschichte[20].

2.2. Das fingierte Interview: Aufbau und Erzhlperspektive.

Obwohl normalerweise fr den Aufbau und die Erzhlperspektive eines Textes sehr unterschiedliche Analysen in verschiedenen Kapiteln notwendig wren, habe ich mich entschlossen, sie hier nebeneinander zu stellen. In Helden wie wir sind Aufbau und Erzhlperspektive sehr eng mit einem literarischen Mechanismus verknpft, der von Brussig verwendet wird, um, meiner Meinung nach, Verfremdung und ironische Distanz[21] zu schaffen.

Der Autor lsst die Geschichte von der Hauptfigur Klaus in einem fingierten Interview erzhlen; wie ich schon im Kapitel 5.2.1 erwhnt habe, erweist sich das Interview sehr schnell als ein Monolog des Protagonisten. Der Ansprechpartner von Klaus, der Journalist Mr. Kitzelstein, ist zwar die ganze Zeit als Figur anwesend, stellt jedoch keine Fragen und kommt niemals zu Wort[22]. Klaus kann damit das Interview als Sprechprobe betrachten, in der er endlich seinen Gedanken freien Lauf lassen und seine Geschichte erzhlen kann, ohne von irgendjemandem zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Es wird die berhmteste Sprechprobe der Menschheitsgeschichte! [] Ich darf alles sagen, was mir in den Sinn kommt, ohne dass ich dafr festgenagelt werden kann ist ja nur eine Sprechprobe.[23]

Nur weil er sich einreden kann, es handle sich bei seiner Konfession um eine Sprechprobe, kann Klaus seine Geschichte ohne Hemmungen erzhlen; fr eine schriftliche Autobiographie ist ihm sein Leben zu peinlich[24]. Eine besondere Rolle spielt innerhalb des Interviews auch das Diktiergert, das zwischen Klaus und seinem Ansprechpartner liegt: genau dieses Gert verstrkt fr Klaus den sprechprobenhaften Charakter des Interviews.

Die Wirkung dieser Erfindung auf den Aufbau des Textes ist klar sichtbar: Helden wie wir ist in sieben Kapitel unterteilt, die durch das fingierte Interview Tonbnder genannt werden. Im ersten Kapitel[25] wird das inszenierte Interview eingefhrt und dessen literarischer Mechanismus in Gang gesetzt. In den restlichen Kapiteln werden rckblickend unterschiedliche Episoden aus Klaus Leben beschrieben. Die Episoden sind chronologisch geordnet und reichen von seiner Kindheit (Das 2. Band: Der letzte Flachschwimmer[26] ) bis zur ffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 (Das 7. Band: Der geheilte Pimmel[27] ).

Die Umschreibung der Kapitel als Tonbandaufnahmen ist in der fiktiven sowie in der autobiographischen Literatur nichts Neues[28], wird jedoch bei Brussig unkonventionell benutzt. Wenn einerseits die Tonbandaufnahmen der Geschichte einen dokumentarischen Anschein[29] geben, sind sie andererseits fr den Ostexperten Brussig eng mit der Aktivitt der Staatssicherheit verbunden. Diese Kombination verleiht auch dem Aufbau des Textes eine ironische Konnotation.

Subtiler ist im Gegensatz dazu die Wirkung auf die Erzhlperspektive. Die fiktive Figur Klaus Uhltzscht erzhlt in der Ich-Form rckblickend die Geschichte des Mauerfalls: Was aus dieser Erzhlung entsteht, ist nicht eine Chronik, sondern Klaus eigene Interpretation der historischen Ereignisse. Die Authentizitt der Fakten wird, auch dank dieser besonderen Erzhlperspektive, durch Brussigs Parodie und damit durch Fiktion ersetzt.