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Ausgabe 16| Juli 2013 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691. p Wir sind ein Zuwanderungsland! p Die Migrationscharta des Roten Kreuzes p Sprache und Bildung sind die Schlüssel p Gibt es das Recht auf Asyl wirklich? p Wo wir auf Zuwanderer angewiesen sind p Lernhäuser p Aufgabenhilfe p projektXchange p „Herzsprache“: Marketing für Migranten p Zuwanderer als Freiwillige im Roten Kreuz INTERVIEWS: Manuel Bräuhofer • . Inci Dirim • Christian Friesl • Stephan Kanhäuser & Bernhard Schneider • Georg Kapsch • Sebastian Kurz • Rüdiger Teutsch Zuwanderung & Integration in Österreich und im Roten Kreuz Willkommen!

Henri. Das Magazin, das fehlt

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Page 1: Henri. Das Magazin, das fehlt

Ausgabe 16| Juli 2013

DAS MAGAZIN, DAS FEHLT

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p Wir sind ein Zuwanderungsland! p Die Migrationscharta des Roten Kreuzes p Sprache und Bildung sind die Schlüssel p Gibt es das Recht auf Asyl wirklich? p Wo wir auf Zuwanderer angewiesen sind p Lernhäuser p Aufgabenhilfe p projektXchange p „Herzsprache“: Marketing für Migranten p Zuwanderer als Freiwillige im Roten Kreuz

InteRvIeWS: Manuel Bräuhofer • .Inci Dirim •

Christian Friesl • Stephan Kanhäuser & Bernhard Schneider • Georg Kapsch • Sebastian Kurz • Rüdiger Teutsch

Zuwanderung & Integration

in Österreich und im

Roten Kreuz

kommen

Willkommen!Willkommen!

Willkommen!

Page 2: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.post.at/co2neutral

█ Besser als super:█ █ Die Post tankt█ █ umweltfreundlich.█

█ Besser als super:█ █ Die Post tankt█ █ Besser als super:█ █ Die Post tankt█ █ umweltfreundlich.█

Die Österreichische Post hat bereits jetzt 265 Elektrofahrzeuge in ihrem Fuhrpark – und bis 2015 werden es über 1000 sein. Mit unserer rasant wachsenden Elektro-Flotte nehmen wir eine Vorreiterrolle ein und leisten einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Emissionen, Lärm und Energieverbrauch. Wenn’s wirklich wichtig ist, dann lieber mit der Post.

Page 3: Henri. Das Magazin, das fehlt

er Fremde, so der Soziologe Georg Simmel, ist nicht „der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern der, der heute kommt

und morgen bleibt“. Simmels „Exkurs über den Fremden“ ist im Jahr 1908 erschienen. Verstanden haben ihn viele bis heute nicht. Seit Jahrzehnten

ziehen mehr Menschen nach Österreich als das Land verlassen. Das simple Bekenntnis: „Ja, wir sind ein Zuwanderungsland“ hat sich aber auch für diese Ausgabe von henri – der dritten zum Thema Zuwanderung und Integration – noch immer kein hochrangiger Vertreter des offiziellen Österreichs abringen lassen.

Migration ist eines der beiden Zukunftsthemen Österreichs (das zweite ist die Bildung). Diese Aus-gabe von henri dokumentiert den heutigen Stand der Dinge und zeigt, wo die Reise morgen hingeht. Denn das Thema Migration wird noch immer nicht in seiner vollen Bedeutung gesehen – nicht im Roten Kreuz und nicht im Staat Österreich.

Heuer hat das Rote Kreuz seine Migrations- und Integrationscharta aktualisiert. Die Gründe: Einige unserer Forderungen aus dem Jahr 2009 sind erfüllt. Andere sind noch offen, und einige sto-ßen nach wie vor auf Unverständnis. Die Migrations- und Integrationscharta des ÖRK ist die Basis dieses henri. Anhand der zehn Punkte der Charta zeigen wir, was geschehen muss – und was im Roten Kreuz jetzt schon umgesetzt wird.

Vor zehn Jahren ist die Migrationsstudie des Roten Kreuzes erschienen. Seither sind wir nicht stillgestanden. In diesem henri finden Sie einen wenn auch aus Platzgründen unvollstän digen Ausschnitt unseres Engagements im Bereich Zuwanderung und Integration. Was Rotkreuz-Helfer für Zuwanderer tun – und wie Menschen mit Mig rationshintergrund zum Roten Kreuz finden, auch darüber berichtet dieses Heft. Aus Notwendigkeit, aus Weitsicht – und aus Liebe zum Menschen.

Univ.-Prof. DDr. Gerald SchöpferPräsident

„Ja, wir sind ein Zuwanderungsland!“Noch immer hat sich kein hochrangiger

Vertreter des offiziellen Österreichs dieses simple Bekenntnis abringen lassen

Deditorial

Ja zur Zuwanderung!

Page 4: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|20134

Herausgeber, Medieninhaber, verleger: Österrei chi sches Rotes Kreuz, Wiedner Hauptstraße 32, A-1041 Wien. Verlagsort: Wien. ZVR-Zahl: 432857691 henri informiert Entscheidungsträger, Mei nungs füh rer und andere Interessierte über Aktivitäten, Neuerungen, Ereignisse und Hintergründe im humanitä ren Geschehen. Gesamtleitung: Mag. Andrea Winter. Chefredaktion: Mag. Robert Demp fer, Tel.: +43-1-589 00-355, Fax: -159, E-Mail: robert.dempfer@rotes kreuz.at. Redak tion: Thomas Aistleitner, Mag. Diana Karabinova. Autoren und Mitarbeiter: siehe S. 82. Website: www.roteskreuz.at. Produktion: Wortbild Medien produk tion, Wien, Tel.: +43-1-523 69 49-16, Info-Media, Wien. Produk tions lei tung: Dr. Gottfried Fritzl. Grafische Gestaltung: Mag. Andrea Chadt. Bild redaktion: Mag. Nicole Rennhofer. titelillustration: iStockphoto.com/pagadesign. Fotos: Nadja Meister (S. 6, 9, 10, 18, 21, 22, 27–28, 30–31, 40, 46, 52, 65, 69, 71, 79–81); ÖRK/Markus Hechenberger (S. 3, 29, 35, 37/2, 61/2, 66); ÖRK/Reiner Riedler (S. 15, 74); ÖRK/Jürg Christandl (S. 34); ÖRK/Phillip Fickl (S. 43/2); ÖRK/Anna Stöcher (S. 49, 64, 74); ÖRK/Bernhard Schramm (S. 58); ÖRK/Alexander Haiden (S. 66); ÖRK/Strzyzowski (S. 17); ÖRK/LV OÖ/BS Vöckla bruck (S. 29); ÖRK/LV OÖ (S. 25, 73); ÖRK/LV NÖ (S. 37/2); ÖRK/LV Tirol (S. 49, 55); ÖRK/LV Tirol/Tobias Höllbacher (S. 45); ÖRK/LV Steiermark (S. 51, 70); ÖRK/LV Burgenland (S. 57); Kapsch AG (S. 11); Markus Prantl (S. 13); BMI/Alexander Tuma (S. 20); Sanja Biwald (S. 22); Steffi Prochnow (S. 23); Ing. Diethard Struggl (S. 33); Wikimedia Commons/Thomas Ledl (S. 47); Wiener Hilfswerk (S. 48); Brainworker (S. 59); Daniela Klemencic (S. 65, 75–76); Renée Del Missier (S. 61); Helge O. Sommer (S. 66); Andreas Tischler (S. 67, 68/2); Tahmouras Moshir (S. 39); S. Karadeniz (S. 63); Picturedesk.com (S. 12, 19, 43/2, 47, 49, 54, 77–78); Fotolia.com (S. 42); iStockphoto.com (S. 4, 5, 6, 8, 14, 16, 24, 32, 38, 41, 44, 48, 50, 53, 54, 56, 62, 72, 83); Privat (S. 14, 15/2, 25, 26, 48, 68/3). Lektorat: Karin Flunger, Mag. Sabine Wawerda. Druck: Holzhausen. Hinweis: Personenbezoge ne Bezeichnungen gelten glei cher maßen für weibliche und männliche Personen.

Imp

ress

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Bild

8 Integrationsfreundliches Klima! Art. 1 ÖRK-Migrationscharta 9 Maria-Clarissa Canete, Nachhilfe für Kinder 10 Statusbericht: Anpassung statt Assimilation 11 „Mehr Offenheit!“ – Interview mit Georg Kapsch 14 „Ich bin mehr als nur eins“ – Hybride Identitäten 15 Zwischen den Welten: Das Integrationsreferat in Wien-West

16 Integration braucht Sprachförderung! Art. 2 ÖRK-Migrationscharta 17 Ibrahima Fall, Rettungssanitäter 18 Statusbericht: Sprache als Schlüsselfaktor 19 „Deutsch ist die gemeinsame Basis“ – Interview mit Sebastian Kurz 21 Das Lernhaus Wien 22 Als Lernhelfer in einer Wiener Volksschule 23 Mitten in Favoriten: Hilfe bei Hausübungen

24 Mehrsprachigkeit im Unterricht! Art. 3 ÖRK-Migrationscharta 25 Dilorom Nazarova, Essen auf Rädern 26 Statusbericht: Mehrsprachigkeit als Potenzial 27 „Was sollen die Deutschen denken?“ – Interview mit

.Inci Dirim, Sprachforscherin

29 Lernhaus macht Schule – in Neunkirchen 30 „Mit der Vielfalt leben“ – Interview mit Rüdiger Teutsch (Bildungsministerium)

32 Soziale Vererbung überwinden! Art. 4 ÖRK-Migrationscharta 33 Taylor Kwong, Leiterin Jugendreferat 34 Statusbericht: Österreich muss aufholen! 35 „Er ist so cool!“ – projektXchange bringt Migrationsbotschafter in die Schule

39 Lasst sie arbeiten! Art. 5 ÖRK-Migrationscharta 39 Tahmouras Moshir, Behindertentransport 40 Statusbericht: Das Erbe der Gastarbeiter 41 Vom Bau ins IT-Büro: Wo Migranten arbeiten

6 GesPol – Gesellschaftspolitik im Österreichischen Roten Kreuz www.roteskreuz.at/gespol

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516|2013

Migration im ÖRK

44 Wohnen für alle! Art. 6 ÖRK-Migrationscharta 45 Helga Platzgummer, yo!vita 46 Statusbericht: Wenig Fläche, hohe Mieten 47 Kein Zurück: Wohnen Am Schöpfwerk 49 Neustart im Asyl: Wohnungssuche mit dem Roten Kreuz 50 Mehr Teilhabe! Art. 7 ÖRK-Migrationscharta 51 Réka Lukács, Besuchsdienst 52 Statusbericht: Kollaps ohne Zuwanderer 53 Stützen der Gesellschaft: Wir sind auf Zuwanderer angewiesen 55 Das Hygieneteam 56 Mediale Unterstützung! Art. 8 ÖRK-Migrationscharta 57 Dan Draghici, Notfallsanitäter 58 Statusbericht: Dragan, Ingenieur und Bankräuber 59 „Die Sprache des Herzens“ – Interview mit Manuel Bräuhofer, Ethnomarketing-Pionier 61 Täter und Kopftuch: Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen

62 Aktive Zivilgesellschaft! Art. 9 ÖRK-Migrationscharta 63 Serpil Karadeniz, Sanitäterin 64 Statusbericht: Abgesichert, gebildet, freiwillig 65 Die offene Tür auch zeigen: Zuwanderer wollen sich engagieren 67 MiA-Award: Die Erfolge der Frauen 69 „Ich bin ein Buddy“ 70 Vielfalt Steiermark 71 „Ali Reza ist ein Wiffzack!“ 72 Zuwanderung steuern! Art. 10 ÖRK-Migrationscharta 73 Fehrija Ramic, Sozialmarkt Perg 74 Statusbericht: Wir sind ein Zuwanderungsland 75 „Nicht jeder muss Deutsch können“ – Interview mit Christian Friesl, Industriellenvereinigung 77 Resettlement: Österreich macht nicht mit 79 Asylland Österreich? Gespräch mit Stephan Kanhäuser, Richter am Asylgerichtshof, und Bernhard Schneider, Österreichisches Rotes Kreuz

82 Back Issues

82 Autoren

83 Zuwanderung in Zahlen

Asylwerberheim Steyr 15

Netzwerk AsylAnwalt 15

Suchdienst 15

Integrationsreferat in Wien-West 15

Lernclubs des Roten Kreuzes Wien 21

Lernhaus Wien 23

Lernhaus Neunkirchen 29

Erste Hilfe mehrsprachig Vöcklabruck 29

projektXchange 37

Migrants Care 43

Niederschwellige Workshops Steiermark 43

Trauerrituale in Oberösterreich 43

Blutspenden-Aktionswoche in Wien 43

yo!vita 49

Winternotschlafstelle Innsbruck 49

Weltflüchtlingstag 20. Juni 61

Projekt „Familien Treffen“ 69

Inhalt

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16|20136

Im Jahr 2002 verabschiedeten die europäischen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften einen

Aktionsplan für den Bereich Migration. Dieser Plan enthält das Bekenntnis, Migranten und ihre Anliegen aktiv zu unterstützen und zu vertreten.

Die bundesweite Migrationsstudie des Österreichi-schen Roten Kreuzes (2003) versetzte das ÖRK in die Lage, zu entscheiden, wie es im Bereich Migration tätig wird. Heute verfügt das ÖRK über eine Abteilung für Migration im Generalsekretariat in Wien und über Migrationsbeauftragte in allen Bundesländern.

Das Rote Kreuz berät Migranten in rechtlich schwie-rigen Situationen, betreibt Unterkünfte für Asylwerber, unterstützt Zuwanderer ohne Krankenversiche rung, unterrichtet Schüler mit nicht deutscher Mutterspra-che, führt Familienangehörige wieder zusammen, be-müht sich um Mitarbeiter mit Migrationshintergrund und tritt für eine neue Zuwanderungspolitik ein. Mit projektXchange besuchen „Botschafter“ mit Migrati-onshintergrund österreichische Schulen.

Diese Ausgabe von henri zeigt einen Ausschnitt der Arbeit des ÖRK auf den Gebieten Zuwanderung und Integration.

Gesellschaftspolitik. Wir sagen nicht, was ankommt. Sondern worauf es ankommt. Die Stabsstelle für Gesellschaftspolitik im Österreichischen Roten Kreuz analysiert gesellschaftliche Trends und Entwicklungen und ihre Auswir-kungen auf die Arbeit sozialer und humanitärer Organisationen. Mit dem Ziel, die Lebensbedingungen von Menschen in Not und sozial Schwachen zu verbessern, arbeitet sie an der aktiven Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich nicht mit Korrekturen im Nachhinein zufriedengibt.henri ist das Magazin, in dem das ÖRK zu gesell-schaftspolitischen Themen Stellung nimmt und auch die Entwicklung und den Wandel im Österreichi-schen Roten Kreuz be-gleitet. Bisher erschienene Ausgaben sehen Sie auf Seite 82 dieses Heftes.Die gesellschaftspoliti-schen Inhalte des ÖRK im Internet: www.roteskreuz.at/gespol

GesPol im ÖRK

Zuwanderer im Mittelpunkt

Die Abteilung Migration im Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes: Diana Karabinova (Migrationsbeauftragte), Georg Strzyzowski (Freiwilliger), Bettina Lang (Assistenz), Brigitte Lendl (projektXchange), Minoo Amir-Mokri (Leitung), Markus Priller (projektXchange). nicht im Bild: Bernhard Schneider (stv. Leitung)

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[email protected] T +43 664 624 11 96

Wenn Wir landen, dann nichT hier!

Dass Mailings ankommen und nicht gleich den Papierkorb füllen, dafür sorgen wir mit unserer reich- haltigen Erfahrung im Bereich Analytik und Targeting. Wir wissen um die Eigenheiten einer heterogenen Zielgruppe und berücksichtigen diese mit individuellen Ansprachen, die für mehr Effizienz sorgen.

Wir lassen Mailings leben, indem wir sie nicht nur textlich, sondern auch bildlich persönlicher, eben auch erlebbarer machen. Für eine punktgenaue Kommunika-tion mit der Zielgruppe zu Ihrem gewünschten Thema. Wie wir das machen und wie das für Sie aussehen könnte, das erklären wir Ihnen gerne ausführlicher.

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Integrationsfreundliches Klima! Integration braucht nachhaltigeren Einsatz. Die Vermittlung von Sprache, Rechtsberatung oder Arbeit allein reicht in der Regel für die Integration nicht aus. Die wechselseitige Anerkennung betrifft nicht nur rechtlich fassbare Aspekte: Ebenso wichtig sind soziale Wertschätzung, Offenheit, gegenseitiger Respekt, ein gewisses Maß an Vertrauen und wechselseitige Toleranz. Ein solches integrationsförderndes gesellschaftliches Klima kann nicht gesetzlich verordnet oder behördlich erzwungen werden. Vielmehr ist dafür neben rechtlichen Rahmenbedingungen auch der Einsatz aller am Integrationsprozess beteiligten Akteure erforderlich.

Art. 1 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

1

www.roteskreuz.at/migrationscharta

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Mein Rotes Kreuz

Seit fast einem Jahr arbeite ich freiwillig als Nachhilfeunterstüt-zung im Integrationsreferat beim Roten Kreuz Wien mit. Migran-

ten verlassen oft nicht freiwillig ihre Heimat und müssen sich in einem fremden Land mit einer anderen Politik, Kultur, Mentalität, einem anderen Schulsystem, einer anderen Sprache auseinanderset-zen. Dies ist besonders für Kinder und Jugendliche oft nicht einfach.

Meine Nachhilfeschülerin ist ein sehr intelligentes Mädchen. Sie hat sich äußerst schnell und sehr gut in die österreichische Gesell-schaft integriert. Eine der er-staunlichsten Erfahrungen ist für mich, wie schnell sie als junges Mädchen eine fremde Sprache erlernen konnte und in den meisten Schulfächern die Note „sehr gut“ nach Hause bringt.

Neben dem Erlernen des Schulstoffs und der Unter-stützung bei administrativen Schulangelegenheiten haben wir uns auch hinsichtlich kul-tureller Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser kennengelernt, was sowohl interessant als auch lustig ist.

Der Austausch von Maril-lenknödel- und Kuchenrezep-ten und das gemeinsame Ver-naschen von Mozartkugeln kommen dabei nicht zu kurz.

Innerhalb kurzer Zeit ha-ben wir so eine Basis des Vertrauens zu einander geschaffen. Natür-lich ist es mir auch ein Bedürfnis, ihr die österreichische Kultur näher-zu bringen, da sie jetzt in Österreich lebt. Ich möchte gerne mit ihr in Zukunft gemeinsam österreichisch essen gehen und ihr eine kleine Führung durch die Innenstadt bieten.

Maria-Clarissa Canete hat philippinische Wurzeln.

NAMe Maria-Clarissa Canete

ALTeR 30

MeIN RoTeS KReUZ Nachhilfe für Kinder

IM RoTeN KReUZ SeI T September 2012

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Wien, Referat Integration & Migration

916|2013

„Die Kultur näherbringen“

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0sehr gut eher gut eher schlecht sehr schlecht

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anche Publikationen sind für die einen geschrieben,

doch eigentlich sollten die anderen sie auch lesen. Die einen, das sind die Zuwanderer nach Österreich. Ihnen möchte das Staatssekretariat für Inte-gration mit der Broschüre „Zusammen-leben in Österreich – Werte, die uns verbinden“ die Grundlagen des Zusam-menlebens erläutern.

Eine Auffrischung des Wissens über Werte wie Selbstbestimmung, Anerkennung, Respekt, Teilnahme oder Offenheit täte aber auch einheimischen Österrei-chern ganz gut. Denn bei ihnen herrscht Integrations-

pessimismus: Nur 4,3 % fin-den, dass die Integration von Migranten sehr gut ge-lingt. Allerdings nimmt die Zahl jener, die meinen, sie funktioniere sehr schlecht, ab (siehe Grafik). Insgesamt hat die Gesellschaft in den vergangenen Jahren gelernt, mit den durch Migration entstandenen gesellschaft-lichen Realitäten besser um-zugehen. Ein Klimawandel!

Zuwanderer teilen den Pessimismus der Einheimi-schen nicht. 87,1 % fühlen sich in Österreich „völlig“ oder „eher“ zu Hause. Jeder Fünfte ist mit der Lebenswei-se, den Werten und Zielen der Menschen im Land weit-gehend einverstanden, zwei Drittel im Großen und Ganzen. 13 % lehnen die Art, wie Menschen in Österreich ihr Leben führen, ab.

Beiden Bevölkerungsgruppen ist gemein: Die Ableh-nung ist unter Männern, Menschen ab 60 Jahren, Be-ziehern niedriger Einkommen und gering Qualifizier-ten am höchsten. Dort, wo eben am ehesten vermeint-

lich oder real die Gefahr besteht, den sozialen Status zu verlieren.

Insgesamt herrscht Uneinigkeit über den Begriff der Integration. Der Bevöl-kerungsforscher Heinz Fassmann hält unsere Gesellschaft für zu vielfältig für eine gemeinsame Vorstellung vom Guten und Erstrebenswerten. Grund-werte wie Demokratie, Meinungsfrei-heit, Men schen würde, Pluralismus und

Rechtsstaatlichkeit einzufordern hält er aber für not-wendig. Integrationsunwillige Zuwanderer, so Buch-autor Robert Dempfer („Wozu Ausländer?“), müssten verstehen: In einer aufnehmenden Gesellschaft ist ein

gewisses Maß an Anpassung notwendig. Integrations-unwillige Einheimische müssten einsehen: Die eigene Kultur ist nicht der Gipfel des Erreichbaren. Integra-tion bedeutet deshalb nicht Assimilation.

Minoo Amir-Mokri ist Leiterin der Abteilung Migration im Österreichischen Roten Kreuz.

„Integration bedeutet nicht Assimilation, aber Anpassung“

Integrationsfreundliches Klima

M

Wie gut funktioniert die Integration von Zuwanderern in Österreich? Antworten der Mehrheitsgesellschaft

Fühlen Sie sich in Österreich heimisch bzw. zu Hause?

Quelle: BMI

Minoo Amir-Mokri

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1116|2013

IntervIew: robert Dempfer

sterreich muss für Zuwanderer aus der Europäischen Union attraktiver werden,

meint Mag. Georg Kapsch. Er ist Präsident der Indus-triellenvereinigung (IV) und Vorstandsvorsitzender der Kapsch AG. In weltweit täti-gen Unternehmen wie der Kapsch Group, so der CEO, entwickle sich automatisch eine „interkulturelle Unter-nehmensphilosophie“.

Deshalb gebe es in inter na-tional agierenden Unterneh-men wenig Verständnis dafür, dass andere Bevölke-rungsgruppen Schwierigkeiten mit Migranten haben.

henri: Herr Präsident, ist Österreich ein Zuwanderungs-land?

GeoRG KAPSCH: Ja, und man soll das auch deutlich sagen. Der Anteil der Personen mit Zuwanderungsge-schichte ist in unserem Land in den vergangenen Jahr-

zehnten kontinuierlich gestiegen. Der-zeit liegt er bei 18,9 %.

Finden Sie das gut so?

Eine richtig gesteuerte Migrationspoli-tik verstärkt nicht nur die wirtschaft-liche Dynamik. Sie erhöht auch die Kom-petenzen der arbeitsfähigen Bevölke-rung in unserem Land. Im internationa-len Wettbewerb sind diese Talente und

Fähigkeiten unverzichtbar. Daher gilt es, sie zu fördern und zu fordern. Wir dürfen aber in unserer gesell-schaftspolitischen Verantwortung auch das Thema Asyl nicht übersehen.

„Wir müssen mehr Offenheit zeigen”

Fortschritte bei der Integration, aber Aufholbedarf bei Fremdenfreundlichkeit und Weltoffenheit sieht Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung.

„Wir sollten eine bessere Willkommenskultur zeigen

und Zuwandernde vom ersten Moment an

unterstützen”

Ö

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16|201312

In Krisenländern wie Spanien sind Deutschkurse aus-gebucht – aber die Migrationswilligen fahren dann nach Deutschland statt zu uns.

Das zeigt, dass wir in der innereuropäischen Migration nicht attraktiv genug sind. Wir müssen mehr Offenheit und Interesse an Menschen aus anderen Ländern zei-gen. Wir machen bei der Integration Fortschritte, bei der Zuwanderung aber noch zu wenig.

Die Haltung gegenüber den fast 20 % Zuwanderern, die schon in Österreich sind, hat sich verändert?

Da hat sich in den vergangenen beiden Jahren vieles zum Positiven verändert. Auch wegen des neuen Staatssekretariats für Integration. Chancen und He-rausforderungen der Integration werden aktiv ange-sprochen. Das trägt zur Versachlichung des Themas bei. Es hat sich in gewisser Weise auch ein gesellschaft-licher Wandel vollzogen: So gibt es immer mehr Unter-nehmen und Organisationen, die das Thema Migration und Integration aktiv aufgreifen. Dennoch sollten wir in der „Willkommenskultur“ besser werden. Es ist wichtig, dass sich Zuwandernde vom ersten Moment an durch In-formation, Beratung und Beglei-tung unterstützt fühlen.

Dass das Staatssekretariat im „Sicherheitsministerium“ angesiedelt ist, stört Sie nicht?

Wir haben dieses Staatssekreta-riat jahrelang gefordert, ebenso wie das Rote Kreuz. Wichtiger als wo es angesiedelt ist, ist die Frage, mit welchen Kompetenzen es ausgestat-tet wird. Sebastian Kurz ist es gelungen, dem Thema Integration einen hohen Stellenwert zu geben. Aber es stimmt, die Zuständigkeit für Zuwanderung ist in der Regierung kaum erkennbar und wird leider immer noch sehr stark unter dem Sicherheits aspekt gesehen.

Liegen auch deshalb Zuwanderer bei der Qualifikation hinter den Eingesessenen zurück?

Hier darf man nicht pauschalieren. Der Bildungsstan-dard von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist sehr heterogen. Während der Anteil von Menschen mit Studienabschluss höher ist als im Durchschnitt der österreichischen Bevölkerung, gibt es umgekehrt viele, deren Bildungsniveau im Schnitt nicht jenes der Mehr-heitsgesellschaft erreicht.

Aber die Vielfalt ist zur Alltagsrealität geworden, in Kindergärten, in Schulen ...

Diese Vielfalt ist offenbar noch nicht „angekommen“. Weder gesellschaftlich noch in der Ausbildung.

Wie würde die Industriellen-vereinigung das ändern?

Handlungsbedarf gibt es in den Bildungseinrichtungen, in der Aus- und Weiterbildung der Pä-dagogen, auch bei den Bildungs-wegentscheidungen der Kinder.

Wir sind der Meinung, dass potenzialorientierte Bildung Standard werden soll und dass Integration inhärenter Bestandteil jeglicher Bildungsreform sein muss.

Die Industriellenvereinigung unterstützt die Lernhilfe des Roten Kreuzes. Sollte man nicht besser von Einzelmaß-nahmen zu standardisierten Rahmenbedingungen kommen?

„Unternehmen verstehen schwer, warum Gruppen in der Bevölkerung Schwierigkeiten

mit Migranten haben”

„Gute Leute verlassen uns!“Die Industriellenvereinigung fordert eine neue Migrationsstrategie.Die Industriellenvereinigung (IV) hat zur Entwicklung der

„Rot-Weiß-Rot-Card“ beigetragen, um mehr qualifizierte Neuzu-wanderer aus Drittstaaten nach Österreich zu holen. Jetzt fordert die Interessenvertretung eine umfassende Migrations-strategie für Österreich, die neben qualifizierter Zuwanderung auch die Abwanderung Hochqualifizierter aus Österreich eindämmt. Diese Abwanderung ist für IV-Präsident Kapsch ein wesentlicher, aber bislang zu wenig beleuchteter Teil der Migrationspolitik. „Wir erleben hier einen Braindrain, wenn viele gut ausgebildete Menschen, die wir brauchen, das Land wieder verlassen.“

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1316|2013

Da gebe ich Ihnen Recht. Wir schätzen die vielen sinn-vollen und engagierten Projekte wie die Lernhilfe. Unser Ziel ist es aber, zu einer Politik der standardisier-ten Rahmenbedingungen zu kommen. Die Bildungs-karriere eines Kindes oder Jugendlichen darf nicht vom Glück der Teilnahme an einem guten Projekt abhängen oder von seinem sozialen Status.

Junge Asylwerber dürfen inzwi-schen eine Lehre machen. Sollten nicht überhaupt alle Asylwerber gleich nach ihrer Ankunft Zugang zum Arbeitsmarkt haben?

Erwerbstätigkeit ist für Asylwer-ber ein wichtiger Beitrag zur Integration und verhin-dert Kompetenzverlust. Daher sollte Asylwerbern aus gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen ein realistischer Zugang zum Arbeitsmarkt eingeräumt werden. Offenbar geht das nur schrittwei-se. Daher begrüßen wir die Neuerung, dass junge Asyl-werber bis zum 25. Lebensjahr die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit im Lehr beruf bekommen.

Eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer zeigt, dass Zuwanderer im Schnitt drei Sprachen sprechen. Wird diese Ressource von der Wirtschaft genützt?

Wir als Industrie leben von den Potenzialen und Talen-ten der Mitarbeiter. In einer international verflochte-nen, weltweit agierenden Wirtschaft müssen wir auf die spezifischen Kenntnisse qualifizierter Zuwanderer zurückgreifen und tun das auch. Mehrsprachigkeit und Sensibilität im Umgang mit unterschiedlichen Kultu ren tragen entscheidend zu unseren Exporterfolgen bei.

Welchen Beitrag leistet die Wirtschaft zur Integration von Zuwanderern? Wie halten Sie das bei Kapsch?

Die Kapsch Group ist in vielen Ländern der Welt tätig. Uns geht es wie vielen Unternehmen: Durch das inter-nationale Betätigungsfeld beschäftigen wir viele Men-schen mit Migrationsgeschichte, und es entsteht ganz automatisch eine interkulturelle Unternehmensphilo-sophie. Deswegen verstehen Unternehmen manchmal nur schwer, warum andere Gruppen in der Bevölke-rung Schwierigkei ten mit Migranten haben.

Die Kenntnisse von Zuwanderern werden aber oft nicht genützt, weil sie unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen.

Ein wesentlicher Schritt, um entsprechend ihrer Kom-petenz eingesetzt zu werden, ist die Erleichterung der Anrechnung von im Ausland erworbenen Qualifikati-onen durch einen One-Stop-Shop und durch einfachere Verfahren. Zusätzlich sollten auch nonformale und in-formell erworbene Kompetenzen anerkannt und die Nachqualifizierung erleichtert werden.

Für wie wirtschaftsfreundlich halten Sie Österreichs Zuwanderungspolitik seit der Einführung der RWR-Card?

Die RWR-Card ist ein zentrales Instrument, das aber eine Weiterentwicklung braucht. Vor allem brauchen wir mittelfristige Strategien: Welche Personen wollen

und brauchen wir? Deshalb unser Vorschlag für ein Zuwanderungs-konzept.

WIFO-Chef Karl Aiginger ant-wortet auf die Frage nach den Haupt-risiken für den Standort Österreich:

„Die Nicht integration der Migranten

und das zu geringe Bewusstsein, dass man im Forschungsbe-reich mehr machen muss.“

Das trifft grundsätzlich zu. Zuletzt sind aber eine Fülle von Projekten durchgeführt worden, um den Stellen-wert von Integration zu heben, oft durch Anregungen aus der Industrie. Wenn wir uns weiter so anstrengen, haben wir für die Integration viel getan. Dass sich Österreich im Forschungsbereich stärker engagieren muss, diese Meinung teile ich ebenfalls.

Wir stehen vor Nationalratswahlen. Erwarten Sie Pole-miken und einen Anti-Ausländer-Wahlkampf?

Jede fremdenfeindliche Aktion schadet Österreich und seiner Wirtschaft. Allerdings haben fremdenfeindliche Manöver in den vergangenen Wahlkämpfen nicht mehr wirklich genutzt. Ich hoffe daher auf einen Lerneffekt. Aber wie wir wissen, ist im Wahlkampf vieles möglich.

„Wir brauchen einen One-Stop-Shop für die

Anrechnung von im Ausland erworbenen Qualifikationen”

Page 14: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201314

von nIcole rennhofer

as Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft fördert

den sozialen Zusammenhalt. Was fördert oder hemmt das Gefühl der Zugehörigkeit zu Österreich bei jungen Staatsbürgern?

Diese Frage stellte eine Studie des For-schungsinstituts des Roten Kreuzes Wien, geleitet von der Psychologin und Sozial-forscherin Edith Enzenhofer. Gefragt wurden nur junge Österreicher mit und ohne Migrationshintergrund. Denn „wo steht geschrie-ben, dass jemand ohne Migrationshintergrund sich als Österreicher fühlt?“, so Enzenhofer.

Bildung und ArbeitDas Gefühl der Zugehörigkeit hat nicht nur mit Kultur und Herkunft zu tun, erläutert die Studienleiterin. „Wo sich etablierte Bevölkerungsgruppen ihrer Position si-cher fühlen und wo für Hinzugekommene Etablierungs-chancen vorhanden sind, ist der Umgang mit Zugehö-rigkeit entspannt – unabhängig vom ethnischen Hin-tergrund“, so die Studie. Umgekehrt stehen „brüchige Zugehörigkeiten und Gefühle des sozialen Ausschlusses durchwegs mit Bildungsbenachteiligung und Arbeits-marktproblemen in Zusammenhang“.

Damit ist auch klar: „Bildung hilft“, sagt Edith Enzen-hofer, „vor allem umsetzbare Bildung.“ Bei einem türkischen Studienteilnehmer, der eine höhere Schule absolviert hat, aber als Taxifahrer arbeitet, herrscht naturgemäß „Frustration“. Abwehr und Angst, den

Platz zu verlieren, finden sich „eher bei den ökonomisch schlechtergestellten Personen“. Ein Migrationshintergrund spielt dabei keine Rolle. Enzenhofer:

„Die Unterscheidung greift zu kurz, das Thema betrifft alle.“

Für jeden andersAuch die Anerkennung von Mehrspra-chigkeit als Kompetenz – und nicht als Handicap – stärkt das Zugehörigkeits-gefühl. Zudem nützt „ein gesellschaft-

liches Klima, in dem man sich nicht festlegen muss, eine Gesellschaft, in der man mehr sein darf als nur eines“, so Psychologin Enzenhofer. Gesprächspartner der zweiten und dritten Zuwanderer-Generation leiden oft unter der engen Zuschreibung „mit Migrationshin-tergrund“: In Österreich aufgewachsen, aber mit Wur-zeln in einer weiteren Kultur, fühlen sie sich mit mehre-ren Zugehörigkeiten durchaus wohl und wollen sich dafür nicht ständig rechtfertigen müssen.

Und keine PanikDass junge Menschen durch mehrere gefühlte Zugehö-rigkeiten den Bezug zur österreichischen Gesellschaft verlieren, bestätigt die Studie nicht. Im Gegenteil, die Jungen würden die Einflüsse ihrer vielfältigen Lebens-welten „zu ihrem ganz persönlichen Zugehörigkeits-verständnis verweben“. Dafür hat die Sozialforschung auch schon einen Begriff: „Hybride Identitä ten“ sind nicht nur in Bezug auf Zuwanderung inzwischen eher die Regel als die Ausnahme.

Mehr sein dürfen als einsD

Sozialforscherin enzenhofer: „Hybride Identitäten sind

nicht mehr die Ausnahme“

Eine Rotkreuz-Studie fragt, was die Zugehörigkeit zur österreichischen Gesellschaft und ihren Zusammenhalt fördert.

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1516|2013

A ls Leopold und Gabriele Ranftl Istanbul besuchten, waren sie von der muslimi-schen Gastfreundschaft be-eindruckt. Sie informierten sich über den Islam und stu-dierten den Koran.

Bei der freiwilligen Arbeit sehen sie sich als Vermittler zwischen zwei Welten. Leopold und seine Frau leiten

seit 2012 das Integrationsreferat des Roten Kreuzes in Wien-West.

Sie kümmern sich um Anwerbung und Betreuung von neuen freiwilligen Mitarbei-tern, Sensibilisierung für die Notwendig-keit von EH-Kursen, Hilfestellung bei Impf-straßen von Vereinen bis hin zur Aufklärung innerhalb des Roten Kreuzes in Fragen multikultureller Betreuung, vor allem bei der Betreuung muslimischer Mitmenschen.

Leopold und Gabriele Amina Ranftl sind außerdem Rettungssanitäter und Freiwilli-ge bei der Islamischen Glaubensgemein-schaft. Gabriele Amina Ranftl ist Praxisan-

leiterin, ihr Mann ist Einsatzfahrer im Kranken-transport.

Ein Kompetenzzentrum für Flüchtlingsbetreuung hat das Rote Kreuz Steyr entwickelt: Seit 2004 betreibt die Bezirksstelle im Stadtteil Gleink eine Unterkunft im ehemaligen Gasthof Hartlieb, in der bis zu 59 Personen aus Tschetschenien, Afghanistan und derzeit auch aus Syrien leben.

Es sind vor allem Familien, die, nach tragischen Er-eignissen in ihrer Heimat, in Steyr Aufnahme finden. Vor Eröffnung der Asylwerberunterkunft vor neun Jah-ren hatten die Rotkreuz-Mitarbeiter den Kontakt zu den Nachbarn gesucht. „Wir konnten anfängliche Bedenken wie die Angst vor mehr Lärm rasch aus-räumen“, ist Bezirksstellenleiter und Allgemein-

mediziner Dr. Urban Schneeweiß sichtlich stolz auf die erfolgreiche Arbeit. Bald nach dem Eintreffen der ers ten Flüchtlinge entstanden Freundschaften mit einigen „Alteingesessenen“.

Zwischen den Welten

Asylwerberheim Steyr

Leopold und Gabriele Amina Ranftl begründeten das Integrationsreferat der Bezirksstelle Wien-West des Roten Kreuzes Wien.

Ein Zentrum für Familien.

Gabriele Amina Ranftl

Leopold Ranftl

Netzwerk AsylAnwaltKostenlose Vertretung von mittellosen FlüchtlingenSeit 2002 ist das Österreichische Rote Kreuz Teil des Netz-werks AsylAnwalt, einer Kooperation von NGOs und UNHCR zur qualifizierten Rechtsvertretung von Flüchtlingen in Öster reich. Das Netzwerk AsylAnwalt besteht aus zehn auf Fremden- und Asylrecht spezialisierten Rechtsanwälten aus ganz Österreich und der Koordinationsstelle. 2012 hat das ÖRK bei 17 Gerichtsverhandlungen die Vertretung von Flüchtlingen durch engagierte Rechtsanwälte organisiert.

Wo ist meine Familie? Suchdienst Wer flüchtet, wird oft vom Liebsten getrennt: der eigenen Familie. Der Suchdienst des Roten Kreuzes unterstützt Menschen, die auf-grund von bewaffneten Konflikten, Katastrophen oder durch Migra-tion voneinander getrennt wurden, bei der Wiederherstellung des Kontaktes mit ihren Angehörigen. 2012 gingen beim Österreichi-schen Roten Kreuz mehr als 1600 Suchanfragen ein. So auch der Antrag von Frau H. aus Afghanistan, die auf der Flucht von ihrem 10-jährigen Sohn und ihrem Mann getrennt wurde. Der Sohn konnte bereits in Italien gefunden werden. Erhält eine Person in Österreich internationalen Schutz, hilft das Rote Kreuz bei der Familienzusam-menführung. So konnte Herr J. aus Somalia seine Frau und die Kinder nach vier Jahren wieder in die Arme schließen.

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Integration braucht Sprachförderung! Die auf die Erst- und Zweitsprache bezogene Frühsprachförderung von Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch stellt einen enorm wichtigen Bestandteil erfolgreicher Integration dar. Schüler müssen bei Schuleintritt ihre Muttersprache und die Unterrichtssprache Deutsch so weit beherrschen, dass sie dem Unterricht folgen können. Sprach-förderung ist nur im Rahmen eines integrierten Konzepts sinnvoll, das alle am Spracherwerbsprozess beteiligten Sprachen (Erstsprache, Zweitsprache/n, Fremdsprachen) berücksichtigt, da sich die in der Erstsprache erworbenen Sprachfähigkeiten unmittelbar auf alle anderen Sprachen auswirken. Angebote zur frühen Sprachförderung sollen durch verpflichtende Fördermaßnahmen ergänzt werden.

Art. 2 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

2

Page 17: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Das Rote Kreuz kenne ich bereits aus dem Senegal, aktiver Mitar-beiter bin ich allerdings erst, seitdem ich in Österreich lebe. Ich

habe mich schon in meiner Heimat sozial engagiert, dieses Engage-ment wollte ich in Österreich fortsetzen. Ich habe die Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Seit Kurzem engagiere ich mich au ßerdem für projekt Xchan ge (siehe Seite 37), um die Schülerinnen und Schüler in Österreich darüber zu informieren, was es be deu tet, als Flüchtling nach Österreich zu kommen.

Meine Anfangszeit als Asylwerber war von vielen Hindernissen und Unsicherheiten geprägt. Die Menschen glauben zum Beispiel, dass ein Asylwerber mehr Geld verdient als ein Pensionist. Ich versuche, gegen diese Vorurteile anzukämpfen und die andere Seite zu zeigen.

Es hat aber auch sehr viele Menschen gegeben, die mich unter-stützt und motiviert haben. Beim Roten Kreuz möchte ich von dieser Unterstützung etwas zurückgeben.

NAMe Ibrahima Fall

ALTeR 51

MeIN RoTeS KReUZ Rettungssanitäter

IM RoTeN KReUZ SeI T 2009

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Niederösterreich, Hainfeld

1716|2013

„Du musst zeigen, was du kannst und wer du bist“

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2005/062006/07

2007/082008/09

2009/102010/11

2011/12

Österreich

Wien

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20

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40

50

Stat

us

16|201318

ass Österreich ein Zuwande-rungsland ist, lässt sich auch

an der steigenden Anzahl von Schüle-rinnen und Schülern ablesen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. 210.788 Kinder und Jugendliche waren es im Schuljahr 2010/11.

Die häufigsten der rund 80 nicht deutschen Erstsprachen sind BKS (Bos-nisch/Kroa tisch/Serbisch) und Türkisch. Einerseits ist Mehr sprachig keit ein Gewinn und kein Nachteil (siehe Seite 26). Allerdings beherrscht eine beträchtliche Zahl von Schulanfängern die Unter richt s sprache Deutsch

nicht gut genug, um dem Unterricht folgen zu können. Das macht Schwierigkeiten.

Einerseits hat sich unser sprachhomogenes und früh selektierendes Schul sy s tem noch immer nicht auf den Alltag sprachlich in homo ge-ner Klassen ein gestellt.

Andererseits ver langen unsere Schulen den Eltern viel Engage ment ab. Wer zu Hause nie man den hat, der die Un terrichts sprache be-herrscht, bei Haus übungen und beim Lernen für Prüfun-gen hilft, der ver steht, was im Mitteilungs heft steht und an Eltern abenden teil nimmt, der bleibt zurück.

Projekte wie das Lern haus von Kurier Aid Austria (KAA) und Rotem Kreuz oder die Lernhilfe des Jugendrot-kreuzes können aushelfen. Aber auch noch so enga-gierte Einzel maßnahmen sind kein Ersatz für standar-disierte Maßnahmen, durch die alle Schülerinnen und Schüler Unter stüt zung im Bildungs system bekommen.

Wie Abhilfe zu schaffen wäre, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Staatssekretariat für In-

tegration setzt auf Deutsch-Vorschul-klassen und optimierten Spracherwerb schon im Kindergarten.

Das Rote Kreuz empfiehlt Sprach-förderung im Rahmen eines integrier-ten Konzepts, etwa durch den Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts.

In 23 Sprachen wird er bereits ange-boten – allerdings gibt es in Österreich

nicht einmal 500 Muttersprachen-Lehrerinnen und -Lehrer. Bei dieser Förderung werden alle am Sprach-erwerb beteiligten Sprachen berücksichtigt. Damit aus potenziell mehr sprachigen Kindern nicht wieder

einsprachige werden. Und weil die Beherrschung der Erstsprache Grundlage dafür ist, um richtig Deutsch lernen zu können. Wer eine Sprache gut beherrscht, lernt die nächste leichter: eine Erkenntnis, die seit den 1960er-Jahren pädagogisches Allgemeingut ist.

Christiane Gaar ist Migrationsbeauftragte des Roten Kreuzes Niederösterreich.

„Wer eine Sprache gut beherrscht, lernt die nächste leichter“

Sprache als Schlüsselfaktor

D

Schülerinnen und Schüler mit anderen erstsprachen als Deutsch in % (alle Schulen)

Quelle: BMUKK

Christiane Gaar

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1916|2013

„Deutsch ist die gemeinsame Basis“

Kinder sollen erst in die Schule eintreten, wenn sie sprachlich fit sind. Deutsch-Vorschulklassen und ein weiteres verpflichtendes Kindergartenjahr sollen das ermöglichen, fordert Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz.

IntervIew: robert DempferD as Thema Zuwanderung versachlichen und ihm den entsprechenden Stellenwert einräu-

men: Dafür hat das Rote Kreuz jahrelang ein Staats-sekretariat für Integration gefordert. Seit April 2011 ist Sebas tian Kurz Österreichs erster Staatssekretär für Integration. Das Staatssekretariat ist dem Innenminis-terium zugeordnet.

henri: Herr Staatssekretär, ist Österreich ein Zuwan de-rungsland?

SeBAStIAn KuRZ: Wir müssen drei Bereiche tren-nen: Integration, Zuwanderung und Asyl. Man muss wissen, worüber man gerade redet, und auch die entsprechenden Zahlen kennen.

In Österreich leben 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund ...

Das heißt: Ja, Integration ist ein relevantes Thema.

Im Bereich Asyl haben wir kleinere Zahlen, aber die meiste Aufregung.

Asyl ist auch der medial am häufigsten diskutierte Fall. Da geht es aber jährlich nur um 10.000 Asylanträge und 1000 Menschen, die einen positiven Asylbescheid be-kommen. Asylwerber machen also den kleinsten Teil der Zuwanderung aus.

Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten ist an Grundkennt-nisse der deutschen Sprache geknüpft. Das Rote Kreuz findet: Migranten könnten hier rascher Deutsch lernen.

Wer kommen will, soll Deutsch auf niedrigem Niveau im Heimatland lernen und dann hier weitermachen. Das ist für alle machbar und erleichtert einen erfolg-reichen Start in Österreich.

Im OECD-Bericht zur qualifizierten Zuwanderung ist Österreich aber weit abgeschlagen. Die Dänen kommen gut weg, weil sie Englisch als Arbeitssprache akzeptieren.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass Deutsch in Öster-reich unsere gemeinsame Basis ist. Wer in der Mitte der Gesellschaft leben will und et-was beitragen möchte, muss Deutsch können.

Unterrichtsministerin Clau-dia Schmid hat bei Ihrem Vor-schlag zu den Deutsch-Vorschul-

klassen eingelenkt. Wer soll die unterrichten? Die Rotkreuz-Forderung nach der Ausbildung „Deutsch als Zweitsprache“ für alle Lehrer ist noch nicht erfüllt.

Welches Personal dafür eingesetzt wird, überlasse ich den Experten. Ich glaube auch, dass man an den Stand-ort denken muss: In Wien ist eine solche Qualifikation

„Wer in der Mitte der Gesellschaft leben will, muss Deutsch können“

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AB DER 7. SCHULSTUFE

w w w. m y t o p i c . a t

das junge Magazin

Superhelden

retten die Welt

23. Jahrgang P.b.b. Verlagspostamt 6022 Innsbruck, 02Z031646M

Fotos: Sony Pictures, TOPIC

Heft 242 | Juli/August 2012

7mit

starken

PosterN

sicher so gut wie über-all nötig. In einer klei-nen Gemeinde auf dem Land kommt es auch auf andere Kompeten-zen an.

Bilinguale Schulmo-delle schneiden in Studien am besten ab. Sollte statt Crash-Kursen vor der Volksschule nicht der muttersprachliche Unterricht ausgebaut werden?

Es gibt genauso Studien, die das Gegenteil behaupten. Ich vertraue auf Pädagogen, die tagtäglich im Kinder-garten und in der Schule stehen und wissen, dass es ohne die Basis Deutsch nicht geht.

So werden aber aus mehrsprachigen Kindern wieder ein-sprachige.

Wenn es einen Unterricht gibt, der zusätzlich angebo-ten wird, bin ich der Erste, der das gut findet. Aber man kann das nicht an jeder Schule und in jeder Mutter-sprache ermöglichen. Deshalb: klarer Fokus auf Deutsch, Flexibilität dann, wenn ein Standort es er-möglichen kann.

Vier bis sechs Jahre dauert es, bis Kinder mit anderer Erstsprache als Deutsch das Niveau von Muttersprachlern erreichen. Sollten wir sechs Volksschuljahre haben und den Schulwechsel erst mit zwölf?

Wir sollten uns auf die Frühförderung im Kindergarten konzentrieren. Ein zweites verpflichtendes Kinder-gartenjahr für alle, die es brauchen, und die Vorschule wären hier gute Lösungen. Kinder sollen erst in die Schule eintreten, wenn sie sprachlich fit sind.

Auch bei der Ausbildung zum Kindergartenpädagogen sind Spracherwerb und Heterogenität aber nur am Rande ein-gebunden.

In Niederösterreich gibt es das Modell der interkultu-rellen Mitarbeiter. Das halte ich für eine gute Lösung. Was man aber beachten muss: In Wien hat schon jedes zweite Volksschulkind einen Migrationshintergrund. Diese Kinder werden später in unterschiedlichen Beru-fen arbeiten. Irgendwann wird man spezielle interkul-turelle Mitarbeiter also nicht extra ausbilden müssen. Sie werden sowieso vorhanden sein!

In Wien kann man neuerdings in den Fächern Türkisch oder BKS maturieren. Warum regt das die Leute so auf?

Weil jahrelang gegen einzelne Gruppen stark gehetzt wurde. Bei mir an der Schule war es auch möglich, im Fach Russisch zu maturieren. An anderen Schulen kann man in den Fächern Chinesisch oder eben auch Tür-kisch maturieren.

Seit Ihrem Amtsantritt ist beim Thema Integration viel weitergegangen. Worauf führen Sie das zurück?

Der wesentliche Punkt war ein neuer, rein sachlicher Zugang: Es geht nicht um Hautfarbe, Religion oder Herkunft, sondern um Menschen an sich und was sie hier in Österreich machen und weiterbringen. Ein wei-terer Punkt war die Trennung der Bereiche Zuwande-rung, Asyl und Integration. So können wir wirklich an Lösungen in den einzelnen Bereichen arbeiten.

Was ist als Nächstes geplant?

Wir arbeiten an der Willkommenskultur in Öster reich, also an der Frage, wie wir Zuwanderern begegnen. Wir haben eine „Rot-Weiß-Rot-Fibel“ erarbeitet. Sie soll vermitteln, welche Gesetze, Werte und Regeln es in Österreich gibt. Damit können sich Menschen, die neu nach Österreich kommen, besser orientieren und schneller in Österreich ankommen.

Lust auf LesenLeseerziehung im JugendrotkreuzMonat für Monat sollen die Zeitschriften des Jugendrotkreuzes Schüler neugierig machen: Mini-Spatzenpost, Spatzenpost, Kleines Volk, JÖ und TOPIC bereiten humanitäre und gesellschaftspolitische Themen altersgerecht auf. Ein Online-Lehrerservice bietet Anregungen, wie die Magazine im Unterricht eingesetzt werden können. Für die Leser von JÖ und TOPIC gibt es zusätzlich zum gedruckten Heft auch Angebote im Web.www.jugendrotkreuz.at/zeitschriften

Der Fokus muss auf Deutsch liegen, weil muttersprachlicher unterricht nicht überall möglich ist, sagt der Staatssekretär

„Wir sollten uns auf die Frühförderung

im Kindergarten konzentrieren“

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2116|2013

Der Schlüssel zu allemIn Lernhäusern beugt das Rote Kreuz Armut und sozialem Abstieg vor – mit Sprache und Bildung.

von thomas aIstleItnerOft kommt mir vor: Wie Sie die Nöte, mit denen das Rote Kreuz zu tun hat, auch drehen und wenden, am Ende kommen Sie immer bei Bildungsfragen an.“

Fredy Mayer, bis Mitte des Jahres 2013 Präsident des Öster reichischen Roten Kreuzes, hat statistisch ge-stützte Belege parat: „Besser gebildete Menschen sind weniger oft arbeitslos. Deshalb sind sie auch weniger armutsgefährdet. Sie sind produktiver. Bildung führt also zu höherem Wirtschaftswachstum und Wohl-stand. Sie integrieren sich leichter. Sie haben eine höhere Lebenserwartung, und das bei besserer Ge-sundheit und weniger Pflegebedarf.“

Und, nicht ganz unwichtig für die größte humanitäre Freiwilligenorganisation Österreichs: „Besser gebilde-te Menschen sind eher freiwillig engagiert.“

Gut ausgebildet„Sprache und Bildung sind der Schlüssel zu allem“, bestätigt Minoo Amir-Mokri, die die Migrationsab-

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teilung des Roten Kreuzes leitet. „Wer gut ausgebildet ist, findet auch einen Arbeitsplatz. Viele Probleme lösen sich dann von allein.“

Kinder aus bildungsfernen Familien dagegen drohen in einen fatalen Kreis-lauf zu geraten: kein Schulabschluss, keine Lehre, keine Arbeit, keine Steuer-leistungen. Dafür oft jahrelange Unter-

stützung durch Transferleistungen aus öffentlichen Mitteln. Damit es nicht so weit kommt, greift das Rote Kreuz bei den Jüngsten ein. Lernhäuser in Wien und Niederösterreich bieten Kindern aus bildungsfernen Familien Nachmittagsbetreuung und Freizeitangebot.

Hier ist RuheWerktags von 13 bis 17 Uhr gibt es moderne Pädagogik in Kleingruppen mit bis zu zehn Kindern, und das in lernfreundlicher Umgebung. Denn an der scheitert es oft in den Familien zu Hause. Viele Kinder haben dort aufgrund der beengten Wohnverhältnisse nicht die Ruhe, die nötig ist, um konzentriert zu arbeiten. Dazu kommt, dass viele berufstätige Eltern aus Überforde-rung in Sachen Lernmotivation ihrer Kinder auslassen.

Auch dagegen steuern die Lernhäuser. „Schwere Fälle“ sind hier die Minderheit. „Den meisten Kindern fehlt nur ein kleiner Schubser“, sagt Minoo Amir-Mokri.

„Ein Platz, wo sie in Ruhe lernen können, jemand, der ihnen bei der Hausübung etwas erklärt, der ihnen Zu-wendung gibt und ihr Selbstbewusstsein stärkt. Und schon funktioniert der Schulalltag besser!“

Farid und Enes beugen sich über ein Leserätsel. Die Kinder der 1b sollen aus einer Auswahl von Wörtern mit

„eu“ das richtige finden. Welches passt auf „trockenes Gras, im Winter lagert es in der Scheune, den Tieren schmeckt es gut“? Enes versteht die Angabe nicht. Farid versucht, ihn auf die richtige Spur zu bringen. Enes versteht immer noch nicht.

Farid holt noch einmal zur Erklärung aus, dann reißt ihm die Geduld: Er sagt zwei Sätze auf Türkisch, die ich nicht verstehe. „Ah! Heu!“, ruft Enes.

Da verstehe ich: Es gibt viele Wege, die zum Ziel füh-ren. Einer davon ist die Mehrsprachigkeit. Deshalb ist auch die Förderung der Erstsprache von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache wichtig.

Solche Dinge lernt man als Lesepate. Einmal in der Woche bin ich in der 1b und fördere Volksschulkinder mit Leseschwächen in Einzelbetreuung. Im Regelunter-richt ist das aus organisatorischen und personellen

Gründen nicht immer im notwendigen Ausmaß möglich. Deshalb hat der Wiener Stadtschulrat diese Initiative gestartet. Über 600 Lesepaten gibt es bereits in Wien.

Nach Erlebnissen wie dem mit Farid und Enes bin ich mir nicht immer sicher, wer stärker von wem profitiert: die Kinder von mir – oder ich von den Kindern.

Lesepaten werden übrigens laufend gesucht.

Interessenten melden sich bei Elisabeth Fuchs, Tel.: 01/40 00-16156 oder Erika Wagner, Tel.: 01/40 00-12158.

„Ah! Heu!“Meine Erlebnisse als Lesepate.

von robert Dempfer

Spielerisch lernen: ein Schubser in der Muttersprache

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2316|2013

M ontag, 15 Uhr. Die ersten Kinder treffen in der Bezirksstelle „Van Swieten“ ein. Die Be-zirksstelle befindet sich im 10. Wiener Gemeinde-bezirk Favoriten. Ömer und Adrian ziehen ihre Ja-cken aus und packen ihre Schultaschen aus. Nach und nach trudeln immer mehr Kinder ein.

„Die meisten kommen gleich nach der Schule zu uns. Heute sollen es insgesamt 14 Schüler wer-den“, erzählt Leiterin Elisabeth Heinrich.

An drei Nachmittagen pro Woche helfen Frei-willige Kindern zwischen sechs und 15 Jahren bei den Hausübungen, lernen mit ihnen und unter-stützen sie bei Lernschwierigkeiten. Das Ange-bot ist kostenlos, denn es richtet sich vor allem an Schüler aus Familien, die sich professionelle Nachhilfe schwer leisten können.

Mohammed ist heute wieder dabei. Von seinen Freunden wird er „Max“ genannt. Er wurde in Somalia geboren, lebt aber seit ein paar Jahren in Wien. Mittler-weile besucht er die fünfte Schulstufe, hat aber noch Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Konzen-triert schreibt er ein paar einfache Sätze in sein Heft. Max möchte noch viele neue Wörter lernen. Heute ist er sehr gesprächig, erzählt der freiwilligen Helferin von seiner Familie.

Großes Interesse im BezirkWährenddessen sitzt Bernd mit einem Schüler vor einem Globus und hört aufmerksam zu, wie der Junge über seine Heimatstadt Ankara erzählt. Karin, die seit einem Jahr Freiwillige beim Roten Kreuz ist, hilft den beiden Mädchen Eda und Kevser bei der Deutsch-Hausübung.

Karin erzählt, dass der Lernclub auf großes Interesse im Bezirk gestoßen ist. „In Favoriten gibt es viele Kin-der mit Migrationshintergrund, für die regelmäßige Lernunterstützung enorm wichtig ist.“ Werner ver-

sucht gerade, mit Eren Rechenaufgaben zu lösen. „Eren ist ein toller Kopfrechner! Ich brauche beim Rechnen länger“, lacht er und zwinkert Eren zu. Dieser grinst und freut sich, dass er alle Aufgaben gelöst hat.

Eine Idee macht SchuleViele Initiativen beim Roten Kreuz gehen von motivier-ten, kreativen Einzelpersonen aus, können aber nur mit einem engagierten Team verwirklicht werden.

So hatte Universitätslektorin Linde Mühlgassner be-reits 2006 die Idee, an der Bezirksstelle „Bertha von Suttner“ im zweiten Bezirk einen Lernclub zu gründen. Die ersten Schützlinge sind bereits auf der Universität, und die gute Idee wurde weitergetragen.

Die ehemalige AHS-Lehrerin Elisabeth Heinrich star-tete Anfang 2012 den Lernclub in Favoriten, einem Bezirk, in dem der Anteil von Personen ausländischer Herkunft (im Ausland geboren bzw. mit ausländischer Staatsbürgerschaft) knapp unter 40 % liegt. Elisabeth koordiniert die Freiwilligen, spricht mit Leuten, die sich engagieren möchten, und sie steht im regen Aus-tausch mit Stadtschulrat, Eltern und Schülern.

Das Freiwilligenteam ist so bunt wie die Herkunftslän-der der Schüler. Maschinenbauingenieur José wurde in Zaragoza geboren und hilft den Kindern vor allem bei Physik und Mathematik, Werner ist Kindergruppenbe-treuer, Adrians Eltern stammen aus Kroatien und Ömer, der im Geschichteunterricht alles über seinen Wohn-bezirk Favoriten lernt, spricht zu Hause Türkisch.

An der Tätigkeit gefällt den Freiwilligen, dass die Kinder mit so viel Eifer und Neugierde dabei sind.

Spaß am Lernen und ein respektvolles Mitein-ander – mitten in Favoriten!

Mitten in FavoritenIn zwei Wiener Bezirken helfen Freiwillige Schülern bei den Hausübungen.

von K a rIn poIntner

Deutsch als ZweitspracheLernhilfe vom Roten Kreuz Wien.Seit 2006 unterstützen Freiwillige vom Roten Kreuz Wien den Spracherwerb von Kindern und Jugendlichen. Die Freiwilligen stehen oft auch mit der Schule in Kontakt. Zurzeit sind rund 150 Personen im Referat Integration & Migration des Wiener Roten Kreuzes als freiwillige Nachhilfeunterstützung kurz- und auch langfristig tätig.

nachhilfe ist teuer, das Rotkreuz-Angebot ist kostenlos

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16|201324

Mehrsprachigkeit im Unterricht berücksichtigen!Integration braucht Didaktik. Eine formale Ausbildung für

„Deutsch als Zweitsprache“ ist in der Lehrerausbildung aller Schularten anzubieten, der didaktische Umgang mit der Mehr sprachigkeit von Schülern muss als fixer Bestandteil der Ausbildung in jedes Lehramtsstudium integriert werden. Mehrsprachigkeit ist Potenzial und Ressource. Vor allem in Klassen mit mehrsprachigen Kindern ist der Einsatz von Lehrern mit Migrationshintergrund zu empfehlen. Diese sollten verstärkt ausgebildet und angeworben werden. Dies erscheint nicht nur aus pädagogischen Gründen sinnvoll. Der gesellschaftliche Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund sollte gerade auch unter den Pädagogen abgebildet werden. Die Sprachförderung für Kinder-garten- und Pflichtschulkinder sowie für Eltern mit Migrations-hintergrund soll durch zivilgesellschaftliche Maßnahmen ergänzt werden. Die öffentliche Hand soll die Finanzierung von einschlä-gigen Maßnahmen sicherstellen, welche von Organisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft, die über die nötige Expertise dafür verfügen, erbracht werden.

Art. 3 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

3www.roteskreuz.at/migrationscharta

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Mein Rotes Kreuz

Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Wir kommen aus Tadschi-kistan. Ich bin Russischlehrerin, ich kann sehr gut Russisch,

Tadschikisch, Farsi und auch schon etwas Deutsch.Beim Roten Kreuz bin ich seit drei Monaten und helfe bei „Essen

auf Rädern“. In dieser Tätigkeit finde ich meine Inspiration – denjeni-gen zu helfen, die Hilfe brauchen. Wie sagte Johann Wolfgang von Goethe: „Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich selbst.“

Ich liebe Österreich. Die erste Zeit war sehr hart, weil ich nicht

Deutsch verstanden habe. Ich bekam Hilfe von der Caritas: Notburga Trauner und Veronika Zweimüller lernten mit mir. Ich hatte schon zwei Deutschkurse. Ich danke ihnen. Ich liebe es, in Reichersberg zu leben, weil die Menschen keine Angst vor uns haben, sondern uns helfen, hier ein neues Leben zu finden.

NAMe Dilorom Nazarova

ALTeR 32

MeIN RoTeS KReUZ Essen auf Rädern

IM RoTeN KReUZ SeI T 2012

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Oberösterreich, Ried

2516|2013

„Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich selbst“

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BKS

Türkisch

Albanisch

RumänischArabisch

PolnischUngarisch

Englisch Tschetschenisch

Stat

us

16|201326

ie Forderung Nummer neun der Kindercharta des

Österreichischen Jugendrotkreuzes lautet: „Ich will Deutsch sprechen. Und meine erste Sprache.“ Denn jede Spra-che ist ein Gewinn. Und die sprachliche Vielfalt in Österreichs Schulklassen ist inzwischen Normalität. Deshalb sollen Kinder sowohl in Deutsch als auch in ihrer Erstsprache gefördert werden.

Sollten sie nicht lieber so rasch wie möglich Deutsch lernen? Das eine schließt das andere nicht aus. Wer eine Sprache gut beherrscht, lernt die

nächste(n) leichter. Die nöti-gen neuronalen Verbindun-gen sind schon vorhanden, sprachliche Konstrukte ebenso wie ein Wortschatz – und damit die Vorstellung von Gegenständen.

Diese zentrale Rolle der Erstsprache für die sprach-liche Entwicklung eines Kin-des ist spätestens seit den 1960er-Jahren Allgemeingut – zumindest unter Pädagogen. Ins allgemeine Bewusstsein ist sie noch nicht gerückt.

Selbst viele Eltern mit Mi-grationshintergrund meinen:

„Mein Kind soll Deutsch ler-nen. Es schadet, wenn es den muttersprachlichen Unter-richt besucht.“ Doch die Bra-chialmaßnahme, eine Erst-sprache zugunsten eines Neuanfangs in Deutsch „aus-zulöschen“, kann zu Semilingualismus (Halbsprachig-keit) führen: Das Kind lernt nicht richtig Deutsch, weil es seine Erstsprache nicht richtig beherrscht. Keine der beiden Sprachen ist dann richtig ausgebildet.

Während Volkes Stimme die Sprachenvielfalt immer noch als Problem ansieht, gilt sie für Arbeitgeber- und

Arbeitnehmerverbände längst als Kompetenz und Ressource.

Eine Studie der Arbeiterkammer ver-weist auf die erfreulich hohe Sprach-kompetenz von Zuwanderern. Drei Sprachen sprechen sie im Schnitt – mehr als eingesessene Österreicher. Gut für Betriebe, Export, Verwaltung, meinen auch die Wirtschaftsverbände.

Der Arbeitsmarkt verlangt Mehrspra-chigkeit. Nirgends ist sie einfacher und

günstiger zu fördern als in der Schule. In der Klasse er-fordert der Unterricht der mehrsprachigen Kinder al-

lerdings muttersprachliches Personal und didaktische Kenntnisse im Fach „Deutsch als Zweitsprache“. Und das ist in der Ausbildung der Pädagogen nicht ver-pflichtend. Das muss sich ändern!

Martina Mayr ist pädagogische Leiterin der Gruppe der Sechs- bis Zwölfjährigen des Lernhauses der

Kurier Aid Austria und des Roten Kreuzes Wien.

Ist Mehrsprachigkeit ein Problem – oder ein Potenzial?

Mehrsprachigkeit im UnterrichtD

Die häufigsten von rund 80 nicht deutschen erstsprachen unter Schülern in Österreich

Quelle: Statistik Austria

Martina Mayr

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2716|2013

„Was sollen dieDeutschen von uns denken?“

IntervIew: UrsUl a fr aIsl | fotos: na Dja meIster

ehr als 18 % aller Schüler in Österreich ver-wen den in ihrem Alltag neben Deutsch eine weitere Sprache. An der Universität Wien beschäftigt sich Prof. Dr.

.Inci Dirim mit Deutsch als Fremd- und Zweitspra-

che. Mit ihrer Professur am Institut für Germanistik ist die Erziehungs- und Sprachwissenschaftlerin Vorreite-rin für das Erkennen der Vorteile der Mehrsprachigkeit und die individuelle Sprachförderung.

henri: Frau Prof. Dirim, Sie beschäftigen sich mit Deutsch als Zweitsprache. Was heißt das konkret? .InCI DIRIM: Schon die Begriffe sind problematisch. Nehmen wir an, ein kleines Kind lernt, bevor es drei Jahre alt ist, von den Geschwistern, aus dem Fernsehen oder im Park Deutsch. Dann ist Deutsch seine Erst-sprache, auch wenn die Eltern zu Hause Türkisch spre-chen. Das Kind kommuniziert in mehreren Sprachen. Wenn es in die Schule kommt, wird eine nationalstaat-liche Sprachfestlegung – in Österreich Schuldeutsch – erwartet, die anderen Sprachen werden abgewertet.

Können Sie das mit einem Beispiel veranschaulichen?

In einer Grundschule in Hamburg war die Lehrerin

krank. Als Ersatz kam die Türkischlehrerin. Sie sagte zu einem Kind auf Türkisch: „Wie sieht es denn hier aus? Räum das weg, was sollen die Deutschen von uns den-ken?“ Damit hat sie dem Kind gesagt: „Wir gehören zu den Unterlegenen in dieser Hierarchie. So wirst du nie zu denen da oben gehören. Streng dich mal an!“

Wie hätte sich die Lehrerin verhalten sollen?

Sie hätte sagen können: „Lasst uns aufräumen, dann können wir besser arbeiten.“ Das setzt voraus, dass sie die symbolische und instrumentelle Bedeutung der Sprache hinterfragt und erkannt und sich mit den eige-nen Erfahrungen als Nicht-Native-Speaker auseinan-der gesetzt hat. Wichtig ist, dass sie die passenden pädagogischen Werkzeuge kennt. Sprachkenntnis allein qualifiziert nicht für den „Muttersprachunter-richt“. Interkulturelle Kompetenz bedeutet, dass man in der Lage ist, über die Instrumentalisierung von „Kul-tur“ hergestellte Hierarchisierungen zu erkennen und zu vermeiden. Da sind große Änderungen im Bewusst-sein und in der Ausbildung der Pädagogen gefragt.

Wie vermeidet man unreflektierte Zuschreibungen?

Interkulturelle Kompetenz bedeutet, keine Sprache zu benachteiligen. Warum fällt das selbst Sprachpädagogen so schwer? Inci Dirim plädiert für ein neues Verständnis von „Anderssein“.

M

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16|201328

Ich sehe immer wieder, dass Pädagogen andere unbe-wusst benachteiligen. Sie geben weiter, was sie selbst in der Schule erfahren haben. Im besten Fall ist das:

„Die gehören nicht zu uns, aber wir helfen ihnen.“ Das zementiert, von der Majorität ausgesprochen, dass „wir“ die deutschsprachige Mehrheit und die

„anderen“ eine anderssprachi ge Minderheit sind. Ich plädiere für ein neues Anderssein, das nicht über Ethnien funktioniert, wie Paul Mecheril und Susanne Arens geschrieben haben: „Jede ist anders anders.“

Warum gelingt es in Ländern wie Kanada besser, Kinder unabhängig vom elterlichen Bildungsgrad zu fördern?

In Kanada als Zuwanderungsland wird Mehrsprachig-keit in den Unterricht integriert. Kinder mit demselben Migrationshintergrund werden in Arbeitsgruppen zu-sammengesetzt, damit sie nicht mit dem Englischen kämpfen, sondern sich auf die Inhalte konzentrieren können. Fragen werden auch in Sprachen gestellt, die der Lehrer nicht versteht. Fragt ein Kind auf Chinesisch, übersetzen die anderen chinesischsprachigen Kinder und verdichten mit allen zusammen die Frage. So profi-tieren alle vom gemeinsamen Lernen.

Viele Experten halten es für wichtig, zunächst die Mut-tersprache perfekt zu beherrschen, um dann weitere Sprachen erwerben zu können. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Die Erstsprache kann, muss aber nicht die „Mutter-sprache“ sein. Kinder lernen oft mehrere Sprachen parallel. Eine Aufteilung in Erst- und Zweitsprache ist oft künstlich von außen gesetzt. Eine kausale Reihen-folge der Sprachen kann es im natürlichen Spracher-werb nicht geben. Das gilt nicht für den Fremdspra-chenunterricht, der aufbauend geplant und eingeführt

wird. Wichtig bei der Förde-rung ist das Vernetzen der Fä-cher. Studien haben ergeben, dass inhaltlich total abgekop-pelter Sprachunterricht die schulischen Fortschritte sogar behindern kann. Hilfreich ist die Förderung der Deutsch-kompetenz – begleitend wäh-rend der ganzen Ausbildungs-zeit bis eventuell zum Hoch-schulstudium.

Wenn man sich bei der Sprach förderung für Deutsch als Erstsprache entscheidet: Wie geht man am besten vor?

Mit einer individuellen Sprach-feststellung. Welche Sprachen spricht das Kind, wie gut spricht es sie? Welche Misch-

formen spricht es vielleicht? Wir lernen am besten, wenn wir weder unter- noch überfordert werden. Der Sprachstand muss bestimmt werden und die Norm, an der die Fortschritte gemessen werden. Es gibt nicht nur ein „Deutsch“. Das Deutsch eines mehrsprachigen Menschen mit Migrationshintergrund wird ein anderes sein als das Deutsch, das in einem monolingualen deutschsprachigen Haushalt in Wien gesprochen wird, und das ist wieder ein anderes Deutsch als in Hamburg, wo ich lange Jahre unterrichtet habe. Die Sprach-standsfeststellung ist die Basis für die Förderung.

Was wäre ein Maßstab für die Sprachentwicklung?

In Hamburg wurden die Ergebnisse der jährlichen Sprach standfeststellung als Maßstab für das nächste Jahr und für die Weiterentwicklung der Fördermaßnah-men genommen. Ich halte das für eine gute Lösung.

Und wie sieht Ihre Vision der Schule der Zukunft aus?

Dass es ein vernetztes Nebeneinander mehrerer Spra-chen gibt. Sozusagen ein Sprechen aus verschiedenen Positionen heraus, das zeigt, dass es Vielfalt gibt, ohne dass Machthierarchien zementiert werden.

Was braucht es dafür in Österreich?

Eine entsprechende Aus- und Fortbildung für Lehrende, damit sie mit den verschiedenen sprachlichen Voraus-setzungen auch umgehen können. Bei uns haben nur Lehramtsstudierende der Germanistik an der Uni Wien die Möglichkeit, sich mit Deutsch als Zweitsprache auseinanderzusetzen. Das Thema sollte in die Ausbil-dung aller Pädagogen – vom Kindergarten bis zur Hochschule – integriert werden.

„Ich plädiere für ein neues

Anderssein, das nicht über Ethien

funktioniert“

Page 29: Henri. Das Magazin, das fehlt

2916|2013

Bildung macht Spaß, öffnet Türen und ist Voraus-setzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesell-schaftlichen Leben. Deshalb hat sich das Rote Kreuz mit dem Verein Kurier Aid Austria zum Ziel gesetzt, Bildungsmaßnahmen für diejenigen zugänglich zu ma-chen, die am wenigsten Unterstützung erfahren.

Das Lernhaus bietet sozial benachteiligten Kindern, die herkömmliche Nachhilfe nicht in Anspruch nehmen können, kostenlose Lernunterstützung, um Kompeten-zen und Fähigkeiten zu stärken und zu verbessern.

Lernen steht hier für das Schließen von Wissens-lücken durch Hilfe bei den Hausaufgaben und gezielte Vorbereitungen auf Schularbeiten und Tests.

Es wird Wert auf die Vermittlung von sozia-len und interkulturellen Kompetenzen ge-legt. Durch spielerische, er leb nis orientierte Lernmethoden werden die Neugierde aufs Lernen und ein ver ant wor tungs bewuss ter Umgang mit den Mitmenschen vermittelt.

Weitere Standorte geplantNeben dem Standort in Wien (siehe Seite 21) können seit Kurzem auch Kinder in Nieder-öster reich an diesem Bildungs- und Integra-tionsprojekt teilnehmen.

Anfang Februar 2013 startete das erste nie-derösterreichische Lernhaus in Neunkirchen in den Räumen der Volksschule Steinfeld. Unterstützt werden die rund 15 Kinder drei-mal pro Woche von zwei hauptamtlichen

Pädagogen sowie von freiwilligen Mitarbeitern. Die Kinder werden durch Einzel- und Gruppenarbeiten in-dividuell gefördert. Die Finanzierung erfolgt in erster Linie durch den Verein Kurier Aid Austria (KAA) mit den Gründungsmitgliedern Raiffeisen, UNIQA, Österreichi-sche Bauwirtschaft, Kurier und Rotes Kreuz.

Darüber hinaus kommt Geld vom Land Niederöster-reich, der OMV, der WKO-Geschäftsstelle Bau und privaten Spendern. Dem Roten Kreuz als Trägerverein obliegt die Organisation. Neben dem Lernhaus Neunkirchen sind drei wei-tere Standorte in Nieder-österreich geplant.

Lernhaus macht Schule

von chrIstIane Ga a r UnD sonja Kellner

Kostenlose Lernbetreuung im ersten niederösterreichischen Lernhaus in Neunkirchen.

erste Hilfe in mehreren Sprachen Lernen für den Alltag in Vöcklabruck.In einer Kooperation mit dem Integrationsbüro Vöcklabruck haben 13 Frauen im Rahmen ihres Deutschkurses einen Erste-Hilfe-Kurs über alle Sprachbarrie-ren hinweg absolviert. Neben dem Erlernen der deutschen Sprache sind auch Wertschätzung und Anerkennung der Kompe-tenzen wichtige Bestandteile dieses Kurses. „Dass Erste Hilfe keine Grenzen beim Geschlecht, beim Alter und auch nicht bei der Sprache und Herkunft kennt, das zeigte dieser Kurs sehr eindrucksvoll. Beim Roten Kreuz ist uns sehr wichtig, dass alle Menschen helfen können. Daher sind unsere Mitarbeiter jederzeit sehr gerne bereit, auch spezielle Kurse abzuhalten“, lobt Mag. Gerald Schuster, Bezirksgeschäftsleiter des Roten Kreuzes in Vöcklabruck, diese Aktion.

Page 30: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201330

„Die Chancen der Vielfalt nützen“

IntervIew: thomas aIstleItner, robert Dempfer | fotos: na Dja meIster

ie Wahrnehmung der gesellschaftlichen Diversität und die Verbesserung der Chancengerechtigkeit durch inklusive Maßnahmen im Bildungssystem – so definiert Dr. Rüdiger Teutsch seine Aufgabe. Er ist Leiter der 2008 geschaffenen Abteilung „Diversität und Sprachen-politik, Sonderpädagogik und Inklusive Bildung und Begabungsförderung“ im Unterrichtsministerium.

henri: Herr Dr. Teutsch, ist Österreich ein Einwanderungs-land? RüDIGeR teutSCH: Ja. Und zwar eines mit einer sehr langen Einwanderungstradition.

Ist Österreich dafür zuständig, dass die Kinder in der Schule Deutsch lernen?

Das Wo ist nicht so sehr die Frage. Aus meiner Sicht sol-len Kinder Deutsch lernen von der Geburt weg bis zu-mindest zum Ende der Schulpflicht. Den Schwerpunkt sehe ich zwischen dem 3. und 10. Lebensjahr.

Deutsch ist die wichtigste Sprache?

Ich halte es für sinnvoll, dass wir die Kompetenzentwick-lung in der Bildungssprache Deutsch in den Mittel-punkt stellen. Ziel sollte sein, dass jedes Kind im Alter von etwa zehn Jahren über eine altersgemäße Bildungs-sprache verfügt. Es ist mir aber auch wichtig, dass die Erstsprachen der Kinder wertgeschätzt und gefördert werden. Schließlich sind auch Fremdsprachen von Bedeutung. Die Frage nach der wichtigsten Sprache führt immer zu einer Polarisierung, die dem komple-xen Prozess der Sprachentwicklung nicht gerecht wird. Sprachen sind aus vielen Gründen wichtig, nicht zu-letzt auch für Reflexion und gesellschaftliche Teilhabe. Zum Beispiel dafür, dass Jugendliche mit 16 Jahren ein Qualitätsmedium lesen und verstehen können ...

... und sich für die Entscheidungen in der Wahlzelle eine Meinung bilden können.

Mir geht es um Citizenship, um Teilhabe, Mitgestal tung und Verantwortung des Einzelnen in einer Gesellschaft.

Was bedeutet das im Unterricht?

Der Unterricht hat integratives Potenzial. Kinder kom-men zusammen, lernen zusammen, leben miteinander in einem öffentlichen Raum, einem gemeinsamen Bil-dungsraum. Wenn es eine Gruppe gibt, die eine Inten-sivsprachförderung braucht, dann soll sie die zusätz-lich bekommen. Ich glaube aber nicht, dass man eine Gruppe nur wegen mangelnder Deutsch kenntnisse getrennt unterrichten muss. Ich hätte jedenfalls alle diese SchülerInnen unter einem Dach.

Wie sehen Sie die Rolle der Eltern?

Die Aufgabe der Schule als Dienstleister liegt heute stärker in der Wahrnehmung der Eltern. Früher kamen die Vorgaben von der Schule. Heute sind Eltern selbstbewuss ter, legen den Finger auf die Problemzo-nen und verlangen von der Schule Leistungen.

Liegen unsere Probleme nicht eher bei Eltern, die sich zu wenig um die Kinder kümmern? Wo liegt das Problem, wenn ein Kind, das seit seiner Geburt in Österreich lebt, mit sechs Jahren bei der Einschulung nur gebrochen Deutsch spricht?

Ich würde die Probleme nicht der einen oder anderen Seite zuordnen. Wir müssen verstehen, warum manche Eltern ihre Kinder weniger fördern können als andere, warum manche Familien viele Bücher zu Hause haben und andere nicht. Wir müssen Eltern als Bildungspart-ner einladen, die Kommunikation mit ihnen und den Dialog zwischen Schule und Familien stärken.

Alle LehrerInnen sind auch SprachlehrerInnen, sagt Bildungsexperte Rüdiger Teutsch.

D

Page 31: Henri. Das Magazin, das fehlt

Können Sie das näher erklären?

Ich wünsche mir einen „Schulderlass“ zwischen den Institutionen. Wir sollten den Wechsel vom Kindergar-ten in die Volksschule nicht mehr Schnitt stelle nennen, sondern „begleiteten Übergang“.

Was unterscheidet einen Übergang von einer Schnittstelle?

Wenn ein Kind vom Kindergarten in die Schule kommt, könnte es ein Portfolio mitbringen, in dem es zeigt, was es kann. Bei der Schuleinschreibung könnten Schule und Kindergarten besser zusammenwirken und Fachleute aus der Sprachförderung und der Sonderpä-dagogik einbeziehen. Es geht um Diagnose und Förde-rung, nicht um Einordnung in separierte – scheinbar homogene – Gruppen.

Das Rote Kreuz fordert in Punkt 3 seiner Migrationschar-ta, dass das Fach „Deutsch als Zweitspache“ in der Lehrerfort-bildung aller Schularten ange-boten wird. Zurzeit gibt es die-ses Fach nur im Germanistikstudium. Nicht einmal für ange-hende Volksschullehrer ist es verpflichtend.

Das finde ich auch sehr wichtig. Als Schwerpunkt ha-ben wir solche Angebote natürlich in der Fort- und Wei-terbildung. An allen pädagogischen Hochschulen wer-den Seminare, Workshops oder Lehrgänge angeboten. In die PädagogInnenbildung wird dieses Thema auch Eingang finden. Mittelfristig gehe ich von der Vision aus, dass alle LehrerInnen – also zum Beispiel auch MathematikerInnen – auch SprachlehrerInnen sind.

Wie wichtig ist muttersprachlicher Unterricht? Man sagt, das Ausbilden der Erstsprache hilft beim Erlernen der Zweitsprache.

Ich trete sehr für den muttersprachlichen Unterricht ein. Aber nicht so sehr als Hilfsunterricht für Deutsch, sondern als eine eigene Kompetenz, die einen Wert an sich hat. Diese Kompetenz heißt Mehrsprachigkeit.

Wie sehen Sie Österreich im internationalen Vergleich?

Wenn ich Österreich mit Ländern vergleiche, die ein ähnliches Setting haben, sehe ich, dass Deutschland seine muttersprachlichen Lehrer aus anderen Ländern rekrutiert, die nur zum Unterrichten kommen und eher Kulturbotschafter ihrer Herkunftsländer sind, als dass sie in den interkulturellen Verständigungsprozess ein-greifen. Wir dagegen machen den muttersprachlichen Unterricht mit bei uns lebenden und bei uns ausgebil-deten Profis. Da hat Österreich ein gutes Modell.

Auch das Rote Kreuz unterhält Lernhäuser mit solchen muttersprachlichen Pädagogen.

Das ÖRK hat insgesamt einen sehr innovativen Ansatz. Es ist immer unter den ersten Helfern im Krisengebiet und versorgt die Menschen. Es schaut aber auch darauf, dass die Menschen aus der Krise wieder in ihre Lebensform hineinkommen. Im übertragenen Sinn passiert das auch in den Lernhäusern.

Ein Gedankenspiel: Sie haben ein Gesetz frei. Was wür-den Sie beschließen?

Ich wünsche mir eine durchgängige Sprachförderung vom 3. bis zum 18. Lebensjahr, in der Erstsprache, in der Bildungssprache und in Fremdsprachen. Verwirk-licht durch SprachberaterInnen, die in den Schu-len den Bedarf jedes einzelnen Kindes erkennen.

3116|2013

Mehr zur Mehrsprachigkeit www.schule-mehrsprachig.atDas Webportal www.schule-mehr sprachig.at vereint alle Angebote des Referats für Migration und Schule im Bildungsministerium zum Unterricht in mehrsprachigen Klassen. Neben der mehrsprachigen Zeitschrift „Trio“ finden sich Arbeitsblätter für den mutter-sprachlichen Unterricht, Empfehlungen zu mehrsprachigen Büchern und Spra-chensteckbriefe zu über 20 Sprachen.

„Wir müssen Eltern als

Bildungspartner einladen“

Page 32: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.roteskreuz.at/migrationscharta

16|201332

Soziale Vererbung überwinden! Integration braucht Bildungsförderung. Soziale Vererbung kann zu Wettbewerbsnachteilen für Kinder schon bei Schuleintritt führen. Große Gruppen von jungen Menschen (nicht nur mit Migrationshintergrund) verlassen die Schulen, ohne ihre Chance auf höhere Bildung und beruflichen Aufstieg zu realisieren. Damit verursachen sie auch hohe soziale Kosten. Um diese Entwicklung zu stoppen, muss an mehreren Punkten angesetzt werden: Allen Kindern soll die Betreuung in Ganztagseinrichtungen angeboten werden und, solange das Bildungssystem strukturell unverän-dert bleibt, ein zweites Kindergartenjahr für alle Kinder er möglicht werden. Wünschenswert wäre ein „Preschoo-ling“ für alle Kinder, das sie auf die Schule vorbereitet. In Schulen sollen Inklusionsbeauftragte mit besonderer Qualifikation im interkulturellen Bereich eingesetzt werden – als Ansprech personen für Eltern, Schüler und außerschulische Institutionen bei Migrationsthemen.

Art. 4 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

4

Page 33: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Meine Großeltern kommen aus Hongkong, sie wanderten nach England aus. Mein Vater und ich wurden in England geboren,

meine Mutter ist Kärntnerin. Mit vier Jahren kam ich nach Villach. Bald feiere ich mein Zehn-Jahres-Jubiläum beim Roten Kreuz.

Im September 2003 begann ich bei der Jugendgruppe. Natürlich wollte ich dann auch mit dem Rettungsauto als Sani-täterin mitfahren, deshalb begann ich mit dem Kurs.

Mich in den Dienst am Mitmenschen zu stellen macht mir große Freude, deshalb studiere ich auch Erziehungs- und Bildungs-wissenschaften an der Uni-versität Klagenfurt.

Auf unserer Rotkreuz-Dienststelle ist die Gemein-schaft auch sehr wichtig. Seit 2010 betreue ich unse-re Jugendgruppe, vor zwei Jahren habe ich zusätzlich das Jugendreferat über-nommen.

Besonders stolz war ich auf unsere Jugendgruppe beim Landesjugendlager. Aufgrund der Wetterbedin-gungen mussten wir unse-re Zelte evakuieren. Die Jugendgruppe der Bezirks-stelle Villach kümmerte sich liebevoll um die Ju-gendgruppen der anderen Bezirke, da deren Mitglie-der deutlich jünger waren als unsere.

NAMe Taylor Kwong

ALTeR 19

MeIN RoTeS KReUZ Leiterin Jugendreferat

IM RoTeN KReUZ SeI T 2003

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Kärnten, Villach

3316|2013

„Ich bin stolz auf unsere Gruppe!“

Page 34: Henri. Das Magazin, das fehlt

Österreich

Wien PflichtschuleLehre/BMSAHS/BHSHochschule u.Ä.

Stat

us

16|201334

ie Lebenschancen von Menschen sind durch das

bestimmt, was sie als Kinder erleben, und zwar noch bevor sie mit dem Schul-system in Berührung kommen. Des-halb diktiert der soziale Status der Eltern noch immer den Bildungserfolg, das Einkommen und die Berufsaus-sichten ihrer Kinder. So definiert der Soziologe Gøsta Esping-Andersen kurz und bündig das Phänomen der „sozia-len Vererbung“.

Zwar erreichen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Menschen in Österreich höhere Bildungsabschlüs-se – egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Insgesamt also steigt das Bildungsniveau der Bevölke-rung. Anders sieht es bei der Bildungsmobilität – beim Bildungsaufstieg – aus: Sie ist in Österreich gering, an der „Erblichkeit“ von Bildung hat sich nichts geändert.

Laut dem aktuellen öster-reichischen Bildungsbericht erreichen 53 % der Kinder aus Akademikerhaushalten einen Hochschulabschluss, aber nur 5 % der Kinder, de-ren Eltern höchstens einen Pflichtschulabschluss haben.

Der Zusammenhang gilt auch umgekehrt: 32 % der Kinder, deren Eltern nur ei-nen Pflichtschulabschluss haben, erreichen selbst nur einen solchen. Aber nur 5 % der Akademikerkinder beenden ihre Schullaufbahn mit höchstens einem Pflichtschulabschluss. Der richti-ge Kindergarten und die richtige Schule könnten hier vieles ausgleichen (siehe Seite 21).

Die Wirkung der sozia len Herkunft ist in Gesellschaf-ten wie Großbritannien und den USA, die weniger Chancengleichheit bieten, ausgeprägter als in skandi-

navischen Ländern. Österreich, vor al-lem Wien, hat einiges aufzuholen.

Ein Vergleich der Bildungsabschlüsse aus dem future.monitor (www.futu re monitor.at) zeigt: Zwar ist der Anteil der Menschen mit Hochschulabschluss in der Bundeshauptstadt höher als im Rest des Landes. Dafür verfügt nahezu jeder vierte Bewohner Wiens nur über höchstens einen Pflichtschulabschluss, österreichweit knapp jeder Fünfte.

„Für die Gesellschaft insgesamt ist es wichtig, dass die künftigen Generationen kompetent und produktiv sind. Einfach, weil sie zahlenmäßig so klein sein wer-den, aber enorme transferabhängige Bevölkerungs-

gruppen mittragen müssen“, sagt Gøsta Esping- Andersen. „Wir können uns eine zukünftige Erwerbs-bevölkerung nicht leisten, die zu 20 bis 30 % aus funktionalen Analphabeten oder Menschen ohne Sekundarschulbildung besteht.“

Michael Opriesnig ist stv. Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes.

Österreich muss aufholen!

Soziale Vererbung

D

Mehr Hochschulabgänger in Wien, aber auch mehr Menschen mit höchstens Pflichtschulabschluss

Quelle: www.futuremonitor.at

Michael opriesnig

Page 35: Henri. Das Magazin, das fehlt

3516|2013

„Er ist so cool!“

von K a rIn poIntner fotos: ma rKUs hechenberGer

uf der Tafel stehen persische Schriftzeichen. Ge-duldig schreibt Stadtplanerin Shams Asadi die Namen der Schüler auf Farsi auf. Mit der 1a der Tourismusschule Wien 21 spricht die gebürtige

Iranerin über ihre Liebe zu Wien und ihre berufliche Karriere. „Müssen alle Frauen ein Kopftuch tragen?“

„Dürfen sich Mädchen schminken?“ „Wie sieht eine Schule im Iran aus?“ Die Schüler wollen wissen, wie Shams ihre neue Heimat sieht und wie sich das Leben im Iran vom österreichischen Alltag unterscheidet.

Zuwanderung und Integration stehen im Mittelpunkt von projektXchange. Die Begegnung mit „Integrations-botschaftern“ – unter ihnen bekannte Gesichter wie Arabella Kiesbauer und Ivica Vastic – soll bei Jugend-lichen Verständnis für konfliktreiche Themen wecken.

Der Rotkreuz-TrommlerUnterdessen sind Kella Wala und Melih Gördesli in einer Klasse eingetroffen. Kella, der seit 2011 beim Wiener Roten Kreuz arbeitet, hat eine Trommel mitge-bracht. Der graubärtige Rastafari singt den Schülern ein traditionelles Spiritual aus seiner Heimat vor. Die Klasse ist begeistert von seiner Offenheit und relaxten Art. „Er ist so cool!“, staunt ein Mädchen.

Der 52-Jährige erzählt, wie er als Freiwilliger zum Roten Kreuz kam. Kella ist Betreuer in der Wiener Woh-nungslosenhilfe. Mit seinem Auftreten in Rotkreuz-Uniform, seiner Hautfarbe, seinem Akzent und der Trommel bringt er einige Vorstellungen ins Wanken.

Die Klasse hört gespannt zu, als Kella erzählt, wie es ihn von der Karibikinsel St. Lucia nach Wien verschla-gen hat. Gerührt meint der frühere Biobauer, dass er stolz ist, bei projektXchange mitzumachen. Er erklärt, dass man in Österreich so viele Chancen hat, die man nutzen sollte, oder wie er es formuliert: „If you don’t use it, you will lose it!“ Auch Rassismus ist ein Thema:

„Leute, die mich ,Nigger‘ nennen, grüße ich ganz be-

sonders freundlich.“ Die Schüler staunen. „Bei uns in St. Lucia ist das nämlich kein Schimpfwort!“, lacht Kella. Vieles, was er erzählt, ist von einer schlichten Weisheit. Die Jugendlichen nicken zustimmend, klat-schen bewundernd und hören aufmerksam zu.

Klassensprecher Manuel Kernthaler, selbst bei der Rotkreuz-Jugend: „Kellas Worte haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ich finde, dass er ein typischer Rotkreuzler ist, denn man merkt, dass er gerne für an-dere da ist und ihnen in Notsituationen hilft.“

Wo ist der Türke? Auch Melih Gördesli besucht mit projektXchange Schu-len: „Ich zähle zu den jüngsten Autoren in Österreich mit türkischem Migrationshintergrund und engagiere mich für Gleichbehandlung und gegen Rassismus.“

Als sich Melih vorstellt, sind viele Schüler überrascht. „Du schaust gar nicht wie ein Türke aus!“, sagt einer.

Und schon ist der Bann gebrochen und die Runde diskutiert über Vorurteile, Identität und Heimat.

Einer der Jungen schüttelt den Kopf. „Die Türken, die ich kenne, sind aggressiv und prügeln sich oft.“

„Gemma in den Schulhof!“, erwidert Melih und krem-pelt sich zwinkernd die Ärmel hoch. Alle lachen.

Melih erzählt, dass er in Österreich immer „der Tür-ke“ ist, obwohl er in Deutschland geboren wurde und österreichischer Staatsbürger ist. Auch in der Türkei wird er nicht als Einheimischer gesehen, obwohl er flie-ßend Türkisch spricht. „Der Charakter eines Menschen ist wichtiger als seine Nationalität!“, sagt der Integrati-onsbotschafter. Melih erzählt, wieso er seine Bücher

„Ohne Heimat“ und „Integration“ genannt hat.Als zwei Stunden zu Ende sind, geht die Diskussion

erst richtig los. Die Schüler wollen sogar ihre Freistun-de opfern. Als Dank erhalten die beiden Gäste Geschen-ke. Kella bekommt eine Schatztruhe mit exotischen

projektXchange will Verständnis, Offenheit und Toleranz stärken. Das Ziel: die Über-windung der „Angst vor dem Fremden“. Die Methode: Schulbesuche mit „Integrationsbotschaftern“.

A

Fortsetzung auf Seite 37

Page 36: Henri. Das Magazin, das fehlt

vielseitig + aktuellSchülerzeitschriften für den Unterricht

Bestellmöglichkeit und Unterrichtsmaterialien zu den Zeitschriften

www.lehrerservice.at

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monatlich an Schulen

2. Schulstufe1. Schulstufe 3. + 4. Schulstufe ab der 5. Schulst. ab der 7. Schulst.

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JÖ-Jugendmagazin

TOPIC

Page 37: Henri. Das Magazin, das fehlt

Bio früchten, Melih eine selbst gebackene Sachertorte. „Kellas Ratschläge und Weisheiten inspirieren mich sehr. Und Melih hat trotz einiger Misserfolge so viel im Leben erreicht. Er hat nie aufgegeben, das hat mich beeindruckt!“, sagt Klassensprecher Manuel.

„Wir wür den die beiden gerne wiedersehen!“

3716|2013

Besuch in Wolkersdorf

von sUsanne müllebner, nms-lehrerIn

Begegnungen in der Schule.Das innovative Schulprojekt projektXchange hat im Jahr 2012 mehr als 170 Begegnungen und Schulbesuche durchgeführt und dabei ca. 5000 Schüler erreicht. Für projektXchange enga-gieren sich rund 250 freiwillige Botschafter und Botschafte-rinnen der Integration. projektXchange wird durch den Europä-ischen Integrationsfonds, das Bundesministerium für Inneres, das Land Niederösterreich und das Land Oberösterreich kofinanziert.

Das Rote Kreuz bot uns die kostenlose Möglichkeit, zwei „Botschafter“ in unsere Schule einzuladen, die uns an ihrer Lebensgeschichte teilhaben ließen.

Wir erfuhren in einem einführenden Spiel einige Daten und Fakten über die Flucht nach Österreich und den Asylbegriff. Dann berichteten die Bosnierin Nermi-na Tahirovic und Ali Ashgari aus Afghanistan von ihren Beweggründen, nach Österreich zu flüchten, über die Flucht selbst, die erste Zeit in Österreich und ihr jetzi-ges Leben in einer neuen, völlig fremden Heimat.

Die Kinder stellten Fragen, und die Botschafter versuch ten, alle Anfragen alters- und wahrheitsgemäß zu beantworten.

Wir Lehrkräfte sahen bei vielen Kindern großes Inte-resse und Betroffenheit. Die Jugendlichen meinten, dass sie jetzt über Flüchtlinge ganz anders denken würden, als ihnen das viele Medien weismachen wollen.

Wir danken dem Roten Kreuz für das Engagement und den Botschaftern für die Offenheit, uns an ihren Erfahrungen mit diesen vielen Facetten teilhaben zu lassen.

projektXchange in den 3. Klassen der NMS.

nermina tahirovic (Bildmitte) erzählte von ihrer Flucht

Besuch von pXc: nach zwei Stunden geht die Diskussion erst richtig los

Page 38: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.roteskreuz.at/ migrationscharta

16|201338

Page 39: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Als Asylwerber aus dem Iran bin ich vor vier Jahren nach Öster-reich gekommen und studiere Informatik in Salzburg. Ich fühle

mich hier heimisch und möchte etwas für die Gesellschaft tun. Sobald ich gut Deutsch konnte, haben mich die Menschen in Öster-

reich herzlich aufgenommen. Hier habe ich mich entschlossen, zum Christentum zu konvertie-ren. Aus einer Kultur kom-mend, in der die Generati-onen eng verbunden sind und alten Leuten Respekt entgegengebracht wird, entschloss ich mich, als Freiwilliger zu arbeiten.

Ich verstehe mich mit äl-teren Menschen besonders gut. Beim letzten Einsatz umarmte ich spontan und herzlich einen sehr alten, gebrechlichen Mann. Dem Mann kamen die Tränen und er sagte, so etwas sei ihm noch nicht passiert!

Für mich ist Freiwilligen-arbeit ein Vergnügen. Ne-ben den Einsätzen beim ÖRK unterrichte ich beim Hilfswerk Mathematik und Deutsch für Asylwerber. Ich habe aus meinem Land Tür-kisch, Aserbaidschanisch und Englisch als Zusatz-kompetenzen mitgebracht und sehe, dass ich diese Sprachen in Österreich ein-setzen kann, um andere zu erreichen und um zu helfen.

NAMe Tahmouras Moshir

ALTeR 27

MeIN RoTeS KReUZ Behindertentransport

IM RoTeN KReUZ SeI T 2013

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Salzburg, Salzburg-Stadt

www.roteskreuz.at/ migrationscharta

3916|2013

Integration braucht Erwerbstätigkeit! Ein wichtiger Integrationsfaktor für Migranten im Erwerbsalter ist die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Auch Asylsuchenden ist der uneinge-schränkte Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen. Migranten sind in über-proportionalem Ausmaß nicht ihrer Qualifikation entsprechend beschäf-tigt. Dieser Dequalifizierung soll auch durch verbesserte, erleichterte und raschere Verfahren zur Anerken-nung von im Ausland erworbenen Qualifikationen vorgebeugt werden.

Art. 4 der Migrations- und Integrationscharta des

Österreichischen Roten Kreuzes

„Ich möchte etwas für die Gesellschaft tun“5

Page 40: Henri. Das Magazin, das fehlt

MännerInsgesamt Frauen

10

0

Insgesamt

Kein Migrations-

hintergrund Mit Migrations-

hintergrund EU/EWR/

Schweiz Ehem. Jugoslawien

(ohne Slowenien) Türkei

20

30

40

50

60

70

80

80

72%

78%

67%

74%

79%

69%

65%

73%

58%

69%

76%

64% 66%

72%

61% 59%

73%

45%

Stat

us

16|201340

or 50 Jahren hat Österreich die ersten Gastarbeiter angewor-

ben: 1964 wurde das erste Abkommen mit der Türkei geschlossen, 1966 mit dem ehemaligen Jugoslawien. Gesucht wurden gezielt niedrig qualifizierte Ar-beitskräfte – den Bedürfnissen des da-maligen Arbeitsmarktes entsprechend.

Das Ziel war es nicht, Ausländer lang - fris tig nach Österreich zu holen. Die Beschäftigungsverhältnisse vor allem im Baugewerbe und am Fließband sollten kurz sein.

Doch es kam anders: Viele Gastarbeiter kehrten nicht in ihre Heimatländer zurück, sondern blieben und holten ihre Familien nach. Das Erbe der Gastarbei-

ter schlägt bis heute durch. Viele ihrer Nachkommen ha-ben den sozialen Aufstieg nicht geschafft, sind wieder nur niedrig qualifiziert, doch der Arbeitsmarkt hat sich ver-ändert: Niedrig qualifi zier te Jobs sind in Niedrig lohn län-der abgewandert. Auch aus diesem Grund sind Zuwan-derer mit türkischem Migra-tionshintergrund rund dop-pelt so häufig arbeitslos wie Österreicher.

Migranten stehen generell in geringerem Maß im Er-werbsleben. Im Jahr 2011 lag die Erwerbsquote von Per-sonen ohne Migrationshin-tergrund (Alter: 15 bis 64 Jah-re) bei 74 %, jene von Perso-nen mit Migrationshinter-grund bei 65 %. Auch die niedrige Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen (58 % im Vergleich zu 69 % bei den Österreicherinnen) drückt die Erwerbsquote.

Doch diese Altlasten werden leichter. Der größte Teil der Zuwanderer nach Österreich stammt heute aus an-deren Mitgliedsstaaten der EU (bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums EWR und der Schweiz), und von

ihnen sind 69 % erwerbstätig. Immigra-tion aus Drittstaaten wird mittlerweile stärker gesteuert: Für den Erwerb einer

„Rot-Weiß-Rot-Card“, die Arbeit und Aufenthalt in Österreich ermöglicht, müssen Zuwanderungswillige Qualifi-kationen nachweisen, die auf dem Ar-beitsmarkt nachgefragt werden.

Damit hat Österreich 50 Jahre nach der Ankunft der ersten Gastarbeiter wieder eine arbeitsmarktorientierte

Migrationspolitik. Auch der Bildungsstand der Kinder der Gastarbeiter nähert sich der inländischen Bevölke-rung an, was auch eine bessere Qualifizierung für den Arbeitsmarkt bedeutet. Doch diese Entwicklung ist

langsam. Die Mehrheitsgesellschaft muss sich fragen lassen: Warum hat sie nicht früher Maßnahmen ge-setzt, die den Kindern von Zuwanderern bessere Chan-cen geben, mehr Bildung zu erreichen und damit ihr Leben besser abzusichern?

Thomas Aistleitner ist Journalist und henri-Redakteur.

Das Erbe der Gastarbeiter

Arbeitsmarkt

V

erwerbsquote nach Geschlecht und Migrationshintergrund

Quelle: Statistik Austria, BMI

thomas Aistleitner

Page 41: Henri. Das Magazin, das fehlt

4116|2013

Die Rechnung ist einfach: Wenn in Ländern wie Österreich die Geburtenzahlen sinken und das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt,

dann sinkt die Anzahl an poten-ziellen Arbeitskräften. Immer mehr Menschen befinden sich in Pension – die von immer weniger arbeitenden Menschen finan-ziert werden muss. Da ein Ende dieses demografischen Wandels erst um das Jahr 2050 in Sicht ist, muss sich Österreich anderswo nach Arbeitskräften umsehen: Dies ist eine von mehreren Maßnahmen, da-mit die Wirtschaft wachsen und der Wohlstand der Be-völkerung bewahrt werden kann.

„Wir brauchen neue Zuwanderer“Das Durchschnittsalter von in Österreich geborenen Staatsbürgern beträgt heute knapp 42 Jahre. Men-schen mit Migrationshintergrund, die in Österreich le-ben, sind im Durchschnitt sieben Jahre jünger. Zuwan-derung schwächt also die Alterung der Bevölkerung ab.

„Wir brauchen deshalb immer neue Zuwanderer“, so das Resümee von Bevölkerungswissenschaftler Heinz Fassmann. Und Dietmar Hoscher, Vorstandsdirektor

der Casinos Austria, merkt an: „Es ist an der Zeit, dass wir alle Integration nicht als Pflicht sehen, sondern als Gewinn.“

In der breiten Bevölkerung herrscht dagegen weiter-hin Skepsis. Zuwanderer nähmen den Einheimischen

die Arbeitsplätze weg, heißt es da. Aber das stimmt nur teilwei-se. Der Großteil der Migranten konkurriert auf dem Arbeits-markt kaum mit Einheimischen, sondern ist in Berufen tätig, die Eingesessene ohnehin nicht aus-üben wollen. Oder sie verfügen

über Qualifikationen, die Österreichern fehlen.

Problem Dequalifikation„Hoch entwickelte Ökonomien schaffen nicht nur hoch entwickelte Jobs, sondern auch solche, für die nur niedrige Qualifikationen nötig sind“, weiß der Wirt-schaftsautor Philippe Legrain.

In Berufssparten, die nur eine niedrige Qualifikation erfordern, ist der Anteil an Migranten überproportio-nal groß. 37 % aller Angestell ten von Unternehmens-dienstleistern wie Reinigungsfirmen sind Migranten. Andere Branchen mit höherer Qualifikation wiederum

– zum Beispiel Pflege- und Betreuungsdienste – sind schon mehr oder weniger von Migranten abhängig.

Die meisten Migranten arbeiten in Berufen, die Einheimische nicht ausüben wollen. Oder sie verfügen über Qualifikationen, die Österreichern fehlen.

von nIno DUIt

„Die größte Zuwanderergruppe

aus der EU in Österreich sind

die Deutschen, gefolgt von den

Rumänen und Ungarn“

Vom BaU ins iT-BüRo

Page 42: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201342

Umgekehrt arbeiten viele Zuwanderer unter ihrer Qua-lifikation. Viele Migranten haben in ihrem Heimatland einen höheren Abschluss. Seine Anerkennung in Öster-reich gestaltet sich schwierig. Neben hohen Kos ten gibt es formale Probleme mit der Vergleichbarkeit zu einer österreichischen Ausbildung. Deshalb arbeiten viele Zuwanderer in Berufen, die weit unter ihrem Aus-bildungsniveau liegen: Ärzte als Pfleger, Techniker als Taxifahrer. Jeder dritte Migrant in Österreich hat einen Job unter seinem Ausbildungsniveau.

Die, die schon hier sindZumindest bei Zuwanderern der zweiten und dritten Generation – den Nachkommen der Gastarbeiter in Österreich – ändert sich das nun langsam, sie streifen die alten Rollenmuster ab: Als Architekten planen sie heute die Häuser, die ihre „Väter und Großväter seiner-zeit gebaut und ihre Mütter und Großmütter geputzt hätten“, formuliert es das Magazin „biber“.

Türkische und exjugoslawische Zuwanderer sind zwar noch immer überwiegend Arbeiter. In diesen beiden Herkunftsgruppen ist die Arbeitslosigkeit fast doppelt so hoch wie unter Österreichern. Aber die berufliche Stellung der zweiten Migranten-Generation – also der Kinder der ersten Gastarbeiter – gleicht sich an jene der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund an.

Paradox ist die Situation an Österreichs Universitä-ten. „Österreich kann als Land bezeichnet werden, in

dem zwar viele Ausländer studieren, aber nur wenige hochqualifizierte Migranten leben“, heißt es im Öster-reichischen Forschungs- und Technologiebericht. Im-merhin: Der Anteil an Universitätsabgängern mit Mi-grationshintergrund liegt bei 20 % – im Vergleich zu 14 % Akademikern ohne Migrationshintergrund.

Kommen und bleibenDer Bedarf an topausgebildeten Migranten wird nicht sinken, meint Bevölkerungswissenschaftler Fassmann:

„Wir brauchen eine qualifikationsorientierte Zuwande-rung.“ Politisch steuerbar ist diese nur mehr für Zu-wanderer aus Nicht-EU-Staaten, die Möglichkeit dazu ist seit 2012 durch die „Rot-Weiß-Rot-Card“ gegeben (siehe Interview auf Seite 75).

Für Zuwanderer aus EU-Ländern, wo Reise- und Nie-derlassungsfreiheit für alle Bürger gelten, bleibt nur: Österreich muss ein möglichst attraktives Zuwande-rungsland sein, damit sie kommen und bleiben.

Während die Wirtschaft murrt, dass das noch nicht der Fall wäre, sind die Zahlen ermutigend: Die größte Zuwanderer-Gruppe in Österreich aus der EU sind seit Jahren die Deutschen, gefolgt von den Rumänen und den Ungarn.

Arbeit für AsylwerberEin Wiener Asylwerber darf nicht im Marchfeld Gurken ernten.Nach derzeitiger Gesetzeslage können Asylwerber theoretisch nach einer Frist von drei Monaten nach Asylantragstellung einer Beschäftigung nachgehen. In der Praxis ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber aufgrund eines Erlasses des Wirtschaftsministeriums aber neben der „neuen Selbstständig-keit“ auf Saison- und Erntebeschäftigung begrenzt. Selbst das ist problematisch: Weil Zuwanderer das Bundesland, dem sie in der Grundversorgung zugewiesen sind, nicht verlassen dürfen, kann ein Asylwerber in Wien nicht im Marchfeld Gurken ernten. Zudem gilt eine Zuverdienstgrenze von knapp 100 Euro. Asyl-werber, die diese überschreiten, verlieren ihr Quartier.Das Rote Kreuz fordert daher: Asylwerbern soll für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Nach einer Frist von drei Monaten nach Einbringen des Asylantrags sollen sie einen tatsächlich realisierbaren Zugang zum Arbeitsmarkt mittels einer befristeten Beschäftigungsbewilligung erhalten. Das ermöglicht Asylwerbern, ein legales Einkommen zu erwirt-schaften, damit sie nicht in Schwarzarbeit abrutschen oder sich nach jahrelangem Fernbleiben vom Arbeitsmarkt dequalifizie-ren. Sie könnten so selbst zu ihrem Unterhalt beitragen und müssten nicht von der staatlichen Grundversorgung leben. Wenn Asylwerber für ihren Unterhalt aufkommen, würde auch ihre Akzeptanz in der Bevölkerung steigen. Laut einer Umfrage aus dem Jänner 2013 befürworten in Österreich 67 % der Bevölkerung den unbeschränkten Arbeitsmarktzugang für Asylwerber.

37 % aller angestellten von

Unternehmensdienstleistern –

wie Reinigungsfirmen – sind

migranten

Page 43: Henri. Das Magazin, das fehlt

4316|2013

WorkshopsGesundheit und Freiwilligenarbeit.Das Rote Kreuz Steiermark veranstaltet einmal im Quartal niederschwellige Workshops für Vereine, die Migranten betreu-en. Die Inhalte umfassen vor allem die Bereiche Gesundheit und Freiwilligenarbeit. Workshop-Themen bisher waren „Notruf – wie mache ich ihn richtig“ oder „Freiwilliges Engagement leicht gemacht“. Das Ziel dieser sehr gut besuchten Veranstaltungen ist die Informationsweitergabe an Migranten, andererseits ermögli-chen sie den Teilnehmern auch, einen Einblick in die Arbeit des Österreichischen Roten Kreuzes zu gewinnen, und öffnen somit die Tür für deren Engagement.

TrauerarbeitRituale verschiedener Religionen.Während des elftägigen Hospizlehrgangs des Roten Kreuzes Oberösterreich be-schäftigt sich ein Modul intensiv mit den Fragen der Religionen und dem Umgang mit Tod und Trauer in verschiedenen Religionen. Die Teilnehmer werden über die seelsorgerischen Dimensionen der Kirchen, Abschiedsrituale, Trauerpflege, Trauergeleit und Trauerrituale der verschiedensten Religionen in Kenntnis gesetzt, um die begleitenden Rituale und ihre Bedeutung besser verstehen zu können.

mehr als 15 Migrantenvereine beteiligten sich an der Aktionswoche. Sie war primär an Migranten

der türkischen und exjugoslawischen Community ge richtet, den stärksten Migrantengruppen in Öster-reich (neben der deutschen). Ziel der Aktion war es, in Österreich lebende Menschen mit Migra tions hin ter-grund über die Bedeutung der Blutspende zu informie-ren und zum Blutspenden zu motivieren.

Ein erwünschter Nebeneffekt war, die verschiede nen Leistungsbereiche des Roten Kreuzes kennenzu lernen

und sich über die Möglichkeit der Freiwilligen-arbeit im ÖRK zu informieren.

Es ist schwer, in einem fremden Land am Arbeits-markt Fuß zu fassen, ohne die Sprache zu beherr-

schen oder gute Kontakte zu haben. Das Projekt „migrants care“ des Österreichischen Roten Kreuzes kümmert sich um Menschen mit diesem Problem.

„migrants care“ ist ein Projekt von Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotem Kreuz und Volkshilfe. Es wird aus

Mitteln des Staatssekretariats für Integration finanziert. Ziel des Projekts ist es, Menschen mit nicht deutscher Muttersprache auf die Ausübung von qualifizier ten Pflegeberufen vorzubereiten bzw. sie in qualifizier te Pflege- und Gesundheitsberufe zu bringen.

Im Rahmen der gemeinsamen Projektarbeit werden Interessierte über die Möglichkeiten von Dienstleis-tungsberufen in Pflege und Betreuung informiert, per-sönlich beraten und gegebenenfalls vorqualifiziert.

In weiterer Folge soll es den Teilnehmern des Projekts ermöglicht werden, in die Pflege-Regelausbildung des AMS übernommen zu werden.

Die Ausbildung läuft im Ausbildungszentrum des Roten Kreuzes Wien mit 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (9 Frauen und 7 Männer).

Aktionswoche für Migranten.

Vorqualifizierung für Pflege- und Betreuungsberufe.

Birsen Yetişti (r.), Freiwillige der Abteilung Migration, freut sich über die zahlreiche teilnahme

17 teilnehmer wurden auf Pflegeberufe vorbereitet

„BlUTsPEnDEn VERBinDET!“

migRanTs caRE

Page 44: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.roteskreuz.at/migrationscharta

16|201344

Wohnen für alle!Integration braucht Zugang zu leistbarem Wohnraum und ein respektvolles Miteinander. Demografische Veränderungen und neue Lebensstile erhöhen den Bedarf an Wohnraum und bringen neue Wohnbedürfnisse mit sich. Investitionen in geförderten Wohnbau und die Entwicklung einer kommunalen Integrationspolitik stärken den Bereich Wohnen als Ort der Gemeinschaftsbildung. Benachteiligte bzw. Gruppen mit speziellen Bedürfnissen (anerkannte Flüchtlinge, sozial schwache Familien) brauchen eine institutionelle Förderung im Wohnbereich, den Zugang zu leistbaren Wohnformen und eine Einbindung in das gemeinschaftliche Leben. Nachbarschaftliche Initiativen sollen unterstützt werden. Migranten ohne österreichische Staatsbürger-schaft haben oft keinen Zugang zu Gemeindewohnungen und geförderten Eigentumswohnungen. Die volle wohnrechtliche Gleichstellung der ausländischen Bevölkerung sollte angestrebt werden.

Art. 6 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

6

Page 45: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Seit dem Start von yo!vita bin ich dabei. Ich finde es sehr

wichtig, dass sich yo!vita der Flüchtlingsbetreuung für Ju-gendliche annimmt und mit dem Heim einen Zufluchtsort schafft, an dem sie zur Ruhe kommen können und sich auf ein Leben in Freiheit und ohne Angst vorbe-reiten dürfen.

Wir Betreuer bauen im Laufe der Zeit ein Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen auf. Es ist schön, zu sehen, wie sie vom Zeitpunkt ihres Einzugs an bei uns zu selbstbewussten Men-schen heranwachsen. Zu Beginn sind sie oft verängstigt und schüchtern. Durch Unterstüt-zung, Beratung und Betreuung lernen sie, sich in ihr neues Um-feld zu integrieren, und entwi-ckeln sich weiter. Diese Erfolge motivieren und bestärken mich.

Das Rote Kreuz Tirol bietet in Zusammenarbeit mit dem Land Tirol unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bis zur Voll-jährigkeit einen geschützten Rahmen zur persönlichen Entfaltung, zur Verarbeitung traumatischer Erlebnisse und zur Entwicklung rea-listischer Zukunftsperspektiven (siehe Seite 49).

NAMe Helga Platzgummer

ALTeR 44

MeIN RoTeS KReUZ Unterstützung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (yo!vita)

IM RoTeN KReUZ SeI T 2009

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Tirol, Stift Fiecht

4516|2013

„Wir bieten minderjährigen Flüchtlingen ein neues Umfeld“

Page 46: Henri. Das Magazin, das fehlt

0 1 2 3 4 5 6 7 8

Insgesamt

Kein Migrationshintergrund

Mit Migrationshintergrund

Erste Generation

Zweite Generation

EU-Staaten vor 2004 EWR/Schweiz

EU-Beitrittsstaaten 2004/2007

Ehem. Jugoslawien (ohne Slowenien)

Türkei

Sonstige Staaten

2 %

1 %

5 %

6 %

3 %

1 %

5 %

8 %

7 %

4 %

Stat

us

16|201346

eig mir deine Wohnung – und ich sage dir, woher du

kommst. Wie und wo Menschen woh-nen, zeigt buchstäblich ihren Platz in der Gesellschaft an. Weil die Position auf dem Wohnungsmarkt eng an die Stellung auf dem Arbeitsmarkt gekop-pelt ist, wohnen Zuwanderer in Öster-reich im Schnitt schlechter als Einge-sessene. 44 m2 Wohnfläche pro Kopf stehen Personen ohne Migrationshin-tergrund zur Verfügung, 31 m2 sind es bei jenen mit Migrationshintergrund.

Umgekehrt ist die Wohnkostenbelastung, also der Anteil des Haushaltseinkommens, der für das Wohnen

ausgegeben werden muss, überdurchschnittlich hoch. Fast ein Fünftel der Gesamt-bevölkerung gibt mehr als ein Viertel des Einkommens für Wohnkosten aus. Bei auslän-dischen Staatsangehörigen sind es jedoch 35 %. Beson-ders belastet sind türkische Staatsangehörige mit 44 %.

Zuwanderer leben außer-dem häufig in Wohnungen,

„in denen kein normaler Mensch freiwillig bleiben würde“ (so eine türkisch-stämmige Beamtin).

Zwar wohnen nur noch 2 % der Bevölkerung in solchen Substandard-Unterkünften der Kategorie D (keine Toilet-te, kein Fließwasser in der Wohnung). Zuwanderer der ersten Generation und Menschen mit Wurzeln im ehe-maligen Jugoslawien und in der Türkei sind dort aber häufiger anzutreffen als eingesessene Österreicher (1 %). Sie verfügen außerdem öfter als Eingesessene über befristete Mietverträge und wohnen seltener in Eigenheimen.

Angesichts steigender Mieten vor allem in Ballungs-

räumen bleibt die Wohnsituation eine Herausforderung, denn genau dorthin zieht es einen Großteil der Zuwanderer

– vor allem nach Wien. Fast 40 % aller Menschen mit migran-

tischen Wurzeln leben in der Bundes-hauptstadt. In manchen Bezirken liegt der Ausländeranteil über 25 % (z. B. im 15. Bezirk über 32 %).

Ghettos gibt es nicht, „kleinräumige Segregation“ schon, sagt der Migrati-

onsforscher Christoph Reinprecht. „Die klassischen Wohnbauten, in denen die ärmeren Schichten wohnen

– und heute sind das häufig die, die zuwandern –, sind über die Stadt verteilt.“

Die übrigen rund 60 % der in Österreich lebenden Migranten konzentrieren sich auf vergleichsweise wenige Gemeinden: In nur 10 % aller österreichischen Kommunen leben 80 % aller Personen ausländischer Herkunft.

Anahita Shoaiyan ist Leiterin des Referats Integration & Migration, Rotes Kreuz Wien.

Weniger Wohnfläche, teurere Mieten

Wohnen

Z

Haushalte in Substandardwohnungen nach Migrationshintergrund

Quelle: Statistik Austria

Anahita Shoaiyan

Page 47: Henri. Das Magazin, das fehlt

D ie zehn Jahre alte Jelena will – wenn sie groß ist – eine schöne Wohnung haben, mit vielen Pflanzen und einem Balkon. Heute träumt sie davon, dass ihre Eltern und viele ihrer Freundinnen im selben

Haus leben und sie überall willkommen ist. Baris ist 15, sein Bruder ist 20 und sucht derzeit eine

Wohnung. „Die Vermieter wollen keine Ausländer, und es ist ihnen total egal, dass wir hier geboren sind“, erzählt der Bursche. Es ist ein grauer, stürmischer Tag im Gemeindebau Am Schöpfwerk im Süden Wiens.

„Ich will bald von zu Hause ausziehen und mein eigenes Ding machen, auf eigenen Beinen stehen und so.“

Baris wohnt mit seiner Familie seit seiner Geburt hier. Seine Familie, das sind seine Eltern, sein Bruder Izmet und die Schwestern Ilke und Shirin. Seine Freunde ha-ben, wie Baris, türkische Wurzeln. Baris hat nur eine Heimat: Wien. Das Dorf seiner Eltern kennt er aus Er-

zählungen und von wenigen Besuchen. Mit seinen Freunden geht er Fußball spielen nahe der U-Bahn- Station. Es gibt eine große Grünfläche in der Wohn-anlage Am Schöpfwerk, den Hügelpark. Aber wie der Name schon sagt – für Fußball eignet er sich nicht.

20 Sprachen im SchöpfwerkDas Neue Schöpfwerk ist eine kommunale Wohnsied-lung aus den 1980er-Jahren und liegt im 12. Wiener Gemeindebezirk. Die annähernd 5000 Bewohner spre-chen rund 20 Muttersprachen.

Zwei 16-stöckige Hochhäuser ragen auf, die anderen Häuser der Anlage, alle mit Balkon oder Terrasse, sind nur wenige Stockwerke hoch. Angeordnet sind sie in Höfen. In der Mitte stehen ein bis zwei Spielgeräte für Kinder. Die Aufteilung der Wipptiere, Rutschen und

4716|2013

Am Schöpfwerk: Hier wohnen 5000 Menschen

Wie Migranten leben und warum sie trotz aller Hindernisse auch im Alter in Österreich bleiben wollen. Ein Besuch in der Wohnsiedlung Am Schöpfwerk.

von petr a GrIessner

Es gibt kein Zurück

Page 48: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201348

Schaukeln soll allzu großen Lärm ver-hindern.

Es gibt einen Kindergarten, Kin-dertagesheime, eine Volks schule mit Hort, ein Jugendzentrum, ein Nach-barschaftszentrum des Wiener Hilfs-werks, das Stadtteilzentrum Basse-na, eine Bücherei, zwei Geschäfte und für die beiden größten Religi-onsgruppen eine katholische Kirche und ein islami sches Gebetshaus. Steigt man in die U-Bahn, erreicht man in knapp 30 Minuten den Wiener Stephansplatz.

Nebeneinander, miteinanderAngela Huber ist die Leiterin des Nachbarschaftszen-trums „Am Schöpfwerk“ des Wiener Hilfswerks. Die

29-jährige Sozialarbeiterin arbeitet mit einem dreiköp-figen Team aus Sozialarbeitern und einer Kranken-schwester. „Hier kann alles passieren“, sagt die gebür-tige Wienerin.

Hier finden Gesprächsrunden auf Deutsch statt, Nordic-Walking-Ausflüge werden angeboten und im Sommer wird gemeinsam ein Garten be wirt schaf tet.

„Kinder sind ein guter Anknüpfungspunkt, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen“, so Huber. „Dann geht es darum, Vertrauen aufzubauen und Beziehungs-arbeit zu leisten. Wenn das gelingt, erfahren wir von den Anliegen der Menschen hier, von Problemen und Sorgen. Daraus entstehen neue Angebote.“

Sehr erfolgreich ist die Lernhilfe, in deren Rahmen gleichzeitig ein Generationenaustausch stattfindet.

An zwei Nachmittagen pro Woche helfen Freiwillige, meist Menschen über 55 mit Tagesfreizeit, Volks-schulkindern bei den Hausaufgaben. Rund 20 Kinder kommen jede Wo-che zur Lernhilfe.

Am Schöpfwerk gibt es im Vergleich zu anderen Wiener Gemeindebauten größere Wohnungen, da-

rum leben hier viele Fami-lien mit mehreren Kindern,

auch Migran ten der zweiten Generation. Nicht immer klappt das Zusammenleben problem-

los: Zerstörte Briefkästen, beschmierte Wände und immer wieder Lärm. „Wir vom Nachbarschaftszentrum versuchen zuzuhören und ‚dahinterzuschauen‘: Ein 70-Jähriger, der sich über Kinderlärm beschwert, ist oft einfach nur einsam und wünscht sich Gesellschaft. Viele Konflikte kommen aus der Angst und aus dem Nicht-Kennen“, ist Angela Huber überzeugt.

Neue Vergabe Eine wissenschaftliche Erhebung im Auftrag des Staatssekretariats für Integration soll klären, wie die Gemeinden Österreichs hinsichtlich der Wohnversor-gung von Haushalten mit und ohne Migrationshinter-grund dastehen. Diese Daten sind Voraussetzung für die Schaffung eines Vergabeverfahrens, das nach sozia len und ethischen Kriterien erfolgen und Konzen-trationen vermeiden soll. Es ist hoch an der Zeit, denn die Zehntausenden Gastarbeiter sind nicht in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Laut einer aktuellen Studie wollen nur 17 % zurück in ihr Herkunftsland.

Die Mehrheit der Älteren fühlt sich in Öster reich heimisch, obwohl sie unter schlechte ren Bedingungen leben als eingesessene Öster reicher. Die Nähe zur Familie gibt den Ausschlag, die alte Heimat hat sich verändert und so richtig sind sie dort nicht mehr zu Hause. Für die zweite und dritte Generation gibt es ein „Zurück“ ohnehin nicht.

Raum zum LebenWo und wie wohnen Migranten?2011 lag die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf bei rund 44 m2. Personen mit Migrationshintergrund stand hingegen mit 31 m2 pro Kopf rund ein Drittel weniger Wohnfläche zur Verfügung. Ein Drittel der Bevölkerung Wiens hat migrantische Wurzeln. In nur 10 % der österreichischen Gemeinden leben 80 % der Bevölkerung ausländischer Herkunft.

Konflikte kommen aus der Angst und dem nicht-Kennen

Angela Huber, Sozialarbeiterin und Leiterin des nachbarschaftszentrums

Page 49: Henri. Das Magazin, das fehlt

Im Jahr 2012 wurden 3680 Asylwer-ber als Flüchtlinge im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich anerkannt. Ab Erhalt des positiven Bescheides bleiben

vier Monate Zeit, um das staatliche Grundversorgungsquartier zu verlassen. Das Österreichi sche Rote Kreuz hilft beim Start in ein neues Leben.

Das Rote Kreuz mietet Wohnungen und überlässt sie – in Absprache mit dem Vermieter – den Flüchtlingen. Die Mieter werden vom Roten Kreuz betreut

– bei der Arbeitssuche, bei Amtswegen und in der Schule. In Wien fanden so viele Familien wieder Stabilität.

Steyr macht auf diesem Gebiet eben seine ersten Schritte, und sie gelingen. Im September 2012 ist die erste Flüchtlingsfamilie aus dem Asylwerberheim in eine Startwohnung über siedelt.

Familie Asludinov stammt aus Tschetschenien. 2004 waren Saulaudin und seine Frau Tuki mit ihrer Tochter vor dem Krieg geflohen. Fünf Jahre später stand die Schwiegertochter mit den drei Enkelkindern und einer schlechten Nachricht vor der Tür: Ihr Mann war tot. Bei

einem Autounfall getötet, sagen die Behörden. Seit zwei Jahren gilt die Mutter der Kinder als verschollen. Die Großeltern haben die Obsorge bekommen.

Die eigene Wohnung bedeutet einen Neuanfang. „In der Schule sind die Kinder sehr gut“, freut sich Be-treuer Michael Silber. Die 17-jährige Tante hat ei-ne Ausbildung zur Krankenschwester begonnen.

4916|2013

Heimat verloren – Heimat gefunden„Das Leben im Heim ist jung, bunt und lebendig. Alle Bewohner finden hier Zuflucht und ein sicheres Dach über dem Kopf.“ Tobias Höllbacher leitet das Projekt yo!vita: Im Tiroler Stift Fiecht betreut das Rote Kreuz (in Zusammenarbeit mit dem Land Tirol und dem Bundesministerium für Inneres) 15 unbe-gleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie kommen aus Afghanis-tan, dem Irak, Somalia, Pakistan und Syrien. „Sie kommen allein in einen komplett fremden Kulturkreis und hoffen auf eine Zukunft“, sagt Höllbacher. „So vieles ist neu und ungewohnt: Kalender, Währung, Verkehrsregeln, Mülltrennung – und die Sprache.“ Ein achtköpfiges Rotkreuz-Team, unterstützt von Freiwilligen und Zivildienstleistenden, sorgt dafür, dass die Jugendlichen Deutsch lernen, eine Ausbildung erhalten und sich in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden.

Winternotschlafstelle Die Freiwillige Rettung Innsbruck bietet Obdachlosen ein Quartier.Kalte Winternächte in Inns-bruck, –20 Grad sind keine Seltenheit. Familien aus dem Südosten Europas suchen eine Unterkunft. Diese Menschen werden von der Aussicht auf ein besseres Leben in den EU-Ländern angezogen und scheitern.Stefan Biebel und Thomas Schmid sind verantwortlich für die Winternotschlafstelle und kümmern sich um die Organisation. Ines Obser, Antonia Hablitzel und Marion Stöbich unterstützen die Menschen, die in der Notschlafstelle Unterschlupf suchen, bei der Bewältigung ihrer sozialen und psychischen Probleme. Getreu den ÖRK-Grundsätzen wird jeder aufgenommen, der Hilfe zur Übernachtung braucht. Finanziert wird das Projekt durch die Tiroler Landesregierung und die Stadt Innsbruck.

Das Rote Kreuz hilft anerkannten Asylberechtigten bei der Wohnungssuche.

von chrIstIan hrUbes

Neustart im Asyl

„Startwohnungen“ auch in Wien: Medina (l.) und Kheda gehören zu den besten Schülerinnen ihrer Klasse

Page 50: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.roteskreuz.at/migrationscharta

16|201350

Mehr Teilhabe!Integration braucht Teilhabe. Österreich wird aufgrund seiner demografischen Entwicklung ein Zuwanderungs-land bleiben. Viele öffentliche Einrichtungen spiegeln diese Tatsache nicht ausreichend wider. Deshalb sollen sie ihre Angebote an eine durch Zuwanderung veränder-te Situation anpassen. Wichtige Bereiche sind das Sozial- und Gesundheitswesen sowie die staatliche Verwaltung (z. B. Polizei, Sozialeinrichtungen, Arbeitsmarktservice), die Bildungseinrichtungen, aber auch private Anbieter von Gesundheits- und sozialen Diens ten sowie Pflege und Betreuung. Der Zugang zu diesen Tätigkeitsberei-chen soll erleichtert werden. Der Bereich kultursensible Pflege für pflegebedürftige Migranten soll ausgebaut und bedarfsorientiert entwickelt werden.

Art. 7 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

7

Page 51: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Freiwillige Arbeit war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, da ich seit meiner Kindheit Pfadfinderin bin. Als ich aus Ungarn

nach Graz übersiedelte, wollte ich etwas Nützliches für die Gesell-schaft tun. Ein Freund wies mich darauf hin, dass es beim Roten Kreuz verschiedene Möglichkeiten freiwilliger Arbeit gibt.

Ich hatte am meisten Lust darauf, Besuchs- und Begleitdienst bei älteren Leuten zu leisten, weil es etwas ganz anderes ist, als in einer Jugendorganisation wie den Pfadfindern tätig zu sein.

Es ist ein sehr gutes Gefühl, jemandem Freude zu machen. Meine Klientin, Frau R., hat keine Verwandten in Graz, deshalb freut sie sich besonders, wenn ich zu Besuch komme. Sie ist immer sehr nett und bereit, Spaß zu machen, und wenn ich einen deutschen Ausdruck nicht kenne, erklärt sie ihn mir immer geduldig.

NAMe Réka Lukács

ALTeR 27

MeIN RoTeS KReUZ Besuchsdienst

IM RoTeN KReUZ SeI T 2012

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Steiermark, Graz-Stadt

5116|2013

„Freiwillige Arbeit ist ein Teil meines Lebens“

Page 52: Henri. Das Magazin, das fehlt

80

100

60

40

20

0Gesamtbevölkerung öffentlicher Dienst

kein MigrationshintergrundMigrationshintergrund

Stat

us

16|201352

piegeln öffentlicher Dienst und Gesundheitssystem die

Zusammensetzung der Bevölkerung wider? 18,6 % der österreichischen Bevölkerung haben Migrationshinter-grund. Wie viele Zuwanderer sind im öffentlichen Dienst beschäftigt?

Die Frage ist nicht so einfach zu be-antworten. Das Bundes-Gleichbehand-lungsgesetz untersagt die Erhebung der ethnischen Herkunft der Bediens-teten. Die Statistik Austria schätzt: Von den 278.400 Beschäftigten haben 20.800 Migrationshintergrund –

das sind 7,5 %, davon zwei Drittel Frauen und ein Drit-tel Männer. Es fehlen Daten, in welchen Positio nen Mi-granten beschäftigt sind.

Warum Zuwanderer unter-repräsentiert sind, begrün-det Otto Aiglsberger von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD): Ers tens sei für Posten in der hoheitlichen Verwaltung die österreichi-sche Staatsbürgerschaft er-forderlich. Zweitens: „Eine Durchmischung gibt es nur, wenn jemand in Pension geht und neue Mitarbeiter kommen. Derzeit gibt es je-doch einen Aufnahmestopp.“

Laut „Nationalem Aktions-plan Integration“ (NAP) soll sich die Situation trotzdem ändern. Und es gibt auch ei-nige, wenn auch bescheidene Ansätze.

Die Stadt Wien hat 2004 eine Abteilung für Integrati-on und Diversität geschaffen. Sie steht erst am Beginn der Umsetzung ihres Ziels, den Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung in ihrer Beschäftigtenstruktur widerzuspiegeln. Die Polizei

sucht seit 2007 aktiv nach Zuwande-rern. Der Anteil der Polizeischüler mit Migrationshintergrund hat sich seither von 1 % auf 7 % erhöht.

Im Bildungsministerium beschäftigt man sich mit dem Thema (siehe Seite 30). Denn die Schulen brauchen mehr spra-chige Lehrer. Zurzeit unterrichten 400 muttersprachliche Pädagogen 30.000 Kinder in insgesamt 22 Sprachen.

Fest steht: Ohne Zuwanderer würden Gesundheits- und Pflegesystem kollabieren. 20 % des Pflegepersonals haben ihre Ausbildung außerhalb

Öster reichs gemacht. Zwei Drittel des Personals in der mobilen Pflege haben Migrationshintergrund. Von der Heimhilfe bis zur Krankenschwester: Unser Pflege- und Gesundheitssystem steht und fällt mit Zuwanderern.

Diana Karabinova ist Mitarbeiterin der Abteilung Migration im Österreichischen Roten Kreuz.

Gesundheit, Pflege: Kollaps ohne Zuwanderer

Öffentlicher DienstS

Anteil von Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung – und im öffentlichen Dienst

Quelle: Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen

Diana Karabinova

Page 53: Henri. Das Magazin, das fehlt

5316|2013

ine Vielzahl an Schulen muss kollektiv zusper-ren, da nicht genug Klassen zustande kom-men. Die Suche nach einem Taxi gestaltet sich

unmöglich: Neun von zehn Taxifahrern haben einen Migrationshintergrund. Der Italiener ums Eck und das chinesische Restaurant sind geschlossen. Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper, verabschiedet sich und nimmt 100 Tänzerinnen und Tänzer mit, wel-che die Anforderung „Wiener Blut“ nicht erfüllen.

Der Pfarrer mit Wurzeln in Bangladesch hält seine letzte Predigt. In Pflegeheimen finden sich nicht mehr ausreichend Hilfskräfte, im Krankenhaus läuft alles aus dem Ruder. Wenig später brechen das Pensions- und das Sozialsystem zusammen ...

Wozu einen Unterschied machen?Wie stark Österreich auf Zuwanderer angewiesen ist, mag vielleicht nicht jeden überraschen. Originell war die Idee trotzdem. In der „Report“-Dokumentation

„Öster reich ohne Ausländer“ (gesendet am 6. April 2010) spielt die ORF-Journalistin Münire Inam eine Fiktion durch: Was wäre, wenn alle Menschen mit Mi-grationshintergrund Österreich von heute auf morgen verlassen würden?

Die Dokumentation zeigt: Während Zuwanderer in der Öffentlichkeit noch immer in erster Linie mit einem Sicherheitsrisiko verbunden werden, führen die aller-meisten von ihnen ein normales Durchschnitts leben.

Sie kommen in der defizitorientierten Integrations-debatte aber nicht vor, weil sie längst so sehr Bestand-teil des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens sind, dass sich die Frage stellt: Wozu ist die Unterschei-dung in Inländer, Ausländer oder „Personen mit Migra-tionshintergrund“ im Alltag überhaupt noch gut?

Migranten-FahndungVor allem im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst geht ohne Zuwanderer nichts mehr. Das gilt für ganz Österreich, aber besonders für Wien, wo der Anteil an Zuwanderern je nach Zählweise bei bis zu 40 % liegt.

In den meisten öffentlichen Einrichtungen ist man auf sie angewiesen, und wo man es nicht ist, hat man nun ihre Vorzüge erkannt: Die Wiener Polizei macht aus der fremdländischen Herkunft einen Bewerbungs-vorteil. In einem Flyer wird gefragt: „Bist du jung? Hast du Migrationshintergrund? Suchst du eine berufliche Herausforderung?“ Polizeigeneral Karl Mahrer: „Jeder

von paUl hafner

Österreich bleibt ein Zuwanderungsland. Öffentlicher Dienst und Gesundheitswesen reagieren bereits auf diese Tatsache.

Stützen der Gesellschaft

E

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16|201354

Mensch, der andere kulturelle oder religiöse Einflüsse einbringen kann, ist gut für die Polizei.“

Vorurteilen und Sorgen entgegnet er verständnisvoll, aber bestimmt: „Wir wollen keine Multikulti-Polizei. Etwa eine Gruppe türkischstämmiger Polizisten, die in einem Auto sitzen und gemeinsam irgendwelche Berei-che bestreifen. Denn Vielfalt heißt Mischung.“

Migranten in der Polizei – schön und gut, aber not-wendig? Ja, meint Konrad Kogler, Sicherheitsgeneral-direktor im Innenministerium, und verweist auf die Ge-fahr von Parallelgesellschaften, die sich zwangsläufig bilden, wenn Bevölkerungsgruppen nicht auch in der Verwaltung entsprechend repräsentiert werden. „Es gibt Bürger, in deren Herkunftsstaaten das Vertrauen in die Polizei nicht so hoch ist. Wir wollen nicht, dass Probleme nur innerhalb der Community gelöst wer-den“, führt er weiter aus und begegnet damit Vorwür-fen, nach denen die Suche nach Migranten ein bloßer PR-Gag oder eine Anbiederung sei.

OP-Schwestern gesuchtDer Migrantenanteil unter den Polizeischülern hat sich binnen fünf Jahren von einem auf 7 % gesteigert – und doch gibt es die eine oder andere Hürde. „Viele schei-tern leider am Deutschtest“, sagt Mladen Mijatovic, der als Kind aus Ex-Jugoslawien nach Wien emigriert ist und im Integrationsreferat der Wiener Polizei arbei-tet. „Ich habe einen Draht zu meiner Community, die Leute sind mir gegenüber aufgeschlossener.“ Seine Kollegin, die rumänische Revierinspektorin Gordane

Mircioane, stimmt zu, betont aber, dass man jeden Bürger „gleich behandelt. Die einzige Frage ist, ob ich mich mit der Person verständigen kann“ – und da seien Sprachkenntnisse durchaus von Vorteil.

Das sind sie auch in Österreichs Spitälern und bei der Pflege und Betreuung. Wer bei Ersteren nur an das Reinigungspersonal denkt, irrt: Österreich sucht der-zeit etwa händeringend nach OP-Schwestern. In der Pflege und Betreuung liegt der Prozentsatz der Mitar-beiter mit Migrationshintergrund bereits bei über einem Drittel.

Die Stadt Wien hat sich zum Ziel gesetzt: Der ge-samte öffentliche Dienst soll die Bevölkerungszusam-mensetzung der Stadt widerspiegeln. In der Bundes-hauptstadt gehen zwar mehr Menschen mit Migrations-hintergrund einer Beschäftigung nach als solche ohne.

Aufholbedarf gibt es dennoch, zum Beispiel im Kindergarten und in den Schulen. Laut einer Studie der Donau-Uni Krems sprechen lediglich 2,7 % der Schüler an Bildungsanstalten der Kinderpädagogik (BAKIP) eine andere Umgangssprache als Deutsch. Den Anteil der Studenten mit Migrationshintergrund an der Päda-gogischen Hochschule Wien schätzt die PH-Professo-rin Elisabeth Furch auf etwa 20 %.

„Wir brauchen immer neue Zuwanderer“Zuwanderer stützen nicht nur als Arbeitskräfte das Gesundheits- und Sozialsystem. Entgegen einem ver-breiteten Vorurteil gibt es „ein Übergewicht an Studi-en, die schließen lassen, dass Zuwanderer Nettozahler der öffentlichen Haushalte sind“, sagt der Migrations-forscher Heinz Fassmann. Seine Kollegin Gudrun Biffl bestätigt: „Heute zahlen Ausländer mehr in das Sozial-system ein, als sie herausbekommen.“ Einfach, weil sie im Schnitt jünger und daher eher erwerbstätig sind.

Aber auch Migranten sind die Pensionisten von mor-gen. „Um das Sozialsystem in Balance zu halten“, so Heinz Fassmann, „brauchen wir daher immer neue Zuwanderer.“

Die Prognosen sind also eindeutig: Österreich wird weiterhin ein Einwanderungsland bleiben.

„ein Migrantentaxi, bitte!“ neun von zehn taxifahrern haben Migrationshintergrund

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5516|2013

heder M. ist bald sieben Jahre in Österreich. Er hat seine Heimat, den Irak, verlassen. Die Feindschaf-ten zwischen den religiösen Gruppen hatten für ihn und seine Frau lebensbedrohliche Ausmaße angenom-men. Auf seinen Asylantrag erhielt Kheder einen nega-tiven Bescheid. Auf das Ergebnis seiner Berufung war-tet er nun schon sehr lange. Kheder lebt in einem Flüchtlingsheim in der Nähe von Innsbruck.

Esmaeil H. ist mit seiner Frau vor drei Jahren aus dem Iran nach Österreich gekommen. Er musste wegen sei-ner Konflikte mit dem Regime im Iran fliehen. Esmaeil war in seiner Heimat als Bankkaufmann tätig und kann inzwischen schon gut Deutsch. Auch er hat beim Asyl-verfahren einen negativen Bescheid erhalten und war-tet auf eine Berufungsverhandlung. Wie Kheder lebt er mit seiner Frau im Flüchtlingsheim.

Christian Zündorf kommt aus Gera in Thüringen und lebt seit sechs Jahren in Österreich. Er wurde vom Deutschen Roten Kreuz zum Rettungsassistenten aus-gebildet und ist seit fünf Jahren angestellter Mitarbei-ter der ÖRK-Bezirksstelle Innsbruck-Land.

Christian ist Hygienebeauftragter der ÖRK-Bezirks-stelle Innsbruck-Land. Unter seiner Anleitung helfen Kheder und Esmaeil als Hygieneteam in der Ortsstelle Zirl. Sie sind als freiwillige Mitarbeiter zuständig für die Desinfizierung der Einsatzfahrzeuge.

Ausbildung und KennenlernenChristian und sein Freund Martin Klingenschmid, Leiter der GSD der Bezirksstelle, und die Flüchtlingsbe-treuerin Ingrid Jenewein hatten nach einer Beschäfti-

gung für Asylwerber gesucht, die sie in Kontakt mit Einheimischen bringt. So entstand das „Hygieneteam“.

Christians Plan beschränkt sich nicht auf die Ausbil-dung der Menschen aus dem Flüchtlingsheim, sondern schließt auch seine einheimischen Kollegen ein. Es geht um Kennenlernen, um den Abbau von Barrieren und darum, von den Fähigkeiten anderer zu lernen.

Eineinhalb Monate nach Ausbildungsbeginn began-nen Esmaeil und Kheder mit ihrer Tätigkeit im Hygiene-team. Die Ausbildung nahm insgesamt knapp sechs Monate in Anspruch. Nun arbeiten sie jeden Tag abends in der Ortsstelle, um die Fahrzeuge für neue Einsätze bereit zu machen. Esmaeil hat inzwischen auch eine Sanitäterausbildung absolviert. Er freut sich darauf, demnächst auch als Rettungssanitäter seinen Dienst als freiwilliger Mitarbeiter des Österreichi-schen Ro ten Kreuzes zu leisten.

von walter Daser

Was haben der Iraker Kheder, der Iraner Esmaeil und der Deutsche Christian gemeinsam? Sie sind in der Ortsstelle Zirl des Roten Kreuzes Tirol für die Desinfektion der Einsatzfahrzeuge zuständig.

Das Hygieneteam

K

Die Ausbildung dauerte insgesamt sechs Monate

Kheder, Christian und esmaeil sind das Hygieneteam (v. l.)

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www.roteskreuz.at/migrationscharta

5616|2013

Unterstützung durch Medien! Integration braucht mediale Unterstützung. Migranten sind Teil des gesellschaftlichen Alltags in allen Lebensbereichen. Diesen Umstand sollen Berichterstattung und Unterhaltungssendungen sowie die Zusammensetzung der Redaktionen widerspiegeln. Medien könnten zu einem Paradigmenwechsel in der öffentlichen Meinung beitragen, indem sie stärker als bisher die positiven Auswirkungen aufzeigen, die Migration auf Gesellschaft und Wirtschaft hat – damit Zuwanderung in der öffentlichen Meinung als Potenzial und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird.

Art. 8 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

8

Page 57: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

D an flüchtete im August 1989 im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern aus Rumänien nach Österreich. Nach einem kurzen Auf-

enthalt in Traiskirchen wurde die Familie in eine Pension in der süd-burgenländischen Gemeinde Stinatz übersiedelt. Dan besuchte die Hauptschule und schloss die dreijährige Hotelfachschule mit Erfolg ab. Er jobbte als Saisonkellner in Kärnten und Tirol.

„Der Rotkreuz-Ball der Bezirksstelle Güssing in Moschendorf war ein Schlüsselerlebnis für mich. Der Zusammenhalt, die Freundlichkeit und die Akzeptanz der Rotkreuz-Mitarbeiter mir gegenüber haben mich begeistert“, erzählt Dan. Er wurde freiwilliger Rettungssanitä-

ter und ist nun Notfallsanitäter an der Bezirksstelle Güssing. Er ist für die First-Responder-Gruppe des Bezirkes verantwortlich und gilt als sehr engagierter und beliebter Rotkreuzler.

„In meiner Tätigkeit habe ich die volle Erfüllung gefunden. Die Grundsätze und das Leitbild des Roten Kreuzes begeistern mich, und ich danke allen, die mir geholfen haben.“

NAMe Dan Draghici

ALTeR 38

MeIN RoTeS KReUZ Notfallsanitäter, Rufhilfe, FR

IM RoTeN KReUZ SeI T 2008

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Burgenland, Güssing

5716|2013

„Der Zusammenhalt im Roten Kreuz begeistert mich“

Page 58: Henri. Das Magazin, das fehlt

jüdisch

türkisch afrikanisch

arabisch/muslimisch

BKS

bulgarisch

chinesisch

lateinamerikanischpakistanisch

persischpolnisch

russisch

Roma/Sinti

206

5

5

22

8

4217

3

5

Stat

us

16|201358

edien formen das Bild, das wir von der Welt

haben. So stark, dass sie bewusstseins-bildend wirken. Menschen, die häufig Krimis sehen, fürchten sich stärker da-vor, zu Verbrechensopfern zu werden. Auch wenn die Kriminalitätsrate dort, wo sie leben, minimal ist.

Medien haben sich geradezu auf das Schrille, Spektakuläre und Abnormale spezialisiert. Die Mehrheit der Zuwan-derer, die ein ganz normales Durchschnittsleben führt, kommt in der Berichterstattung kaum vor. Nicht der Ingenieur Dragan steht in der Zeitung – sondern der

Bankräuber Dragan. Über das Thema Migration, so ei-ne Dissertation der Universi-tät Wien, wird hauptsächlich in „Problem-Kontexten“ be-richtet: Konflikt, Kriminali-tät, Bedrohung, Angst, Asyl.

Das bestätigen 40 Chefre-dakteure und Geschäftsfüh-rer österreichischer Medien-betriebe, die für diese Ab-schlussarbeit befragt wur-den. Die Hälfte von ihnen geht davon aus, dass Mas-senmedien negativen Ein-fluss auf den Integrations-prozess haben, weil sie sich meist den bedrohlichen Aus-wirkungen der Zuwande-rung widmen.

Die Sichtbarkeit von Inge-nieur Dragan im TV hätte den umgekehrten Effekt, meint der Kommunikations-forscher Fritz Hausjell: „Die Wahrnehmung, dass ge-sellschaftlicher Aufstieg möglich ist, ist nicht zu unter-schätzen.“

An der Sichtbarkeit fehlt es aber auch in den Re dak-tio nen der Zeitungen und des ORF. Der Anteil der Re-dakteure und Moderatoren mit Migrationshintergrund

beträgt laut einer unveröffentlichten Studie gerade einmal 0,5 %.

Kein Wunder, dass in Österreich nicht weniger als 70 spezielle Ethnome-dien von 13 ethnischen und religiösen Communitys erscheinen. Am aktivsten ist die türkische Community mit 20 austro-türkischen Medien. Das größte ist die monatliche „Gazete Bum“ (60.000 Exemplare). Obwohl die exju-goslawische Community in Österreich

größer ist als die türkische, gibt sie nur fünf Rundfunk- und Printmedien in BKS und deutscher Sprache heraus. Am auflagenstärksten ist das Monatsmagazin „Kosmo“

(120.000 Exemplare). 80 % der türkischstämmigen Migranten nutzen täglich muttersprachliche Sender. Auch jeweils 37 % der Zuwanderer aus dem ehema-ligen Jugoslawien und Osteuropa schalten täglich bei Programmen aus ihrem Herkunftsland zu.

Andrea Winter ist Bereichsleiterin Marketing und Kommunikation im Österreichischen Roten Kreuz.

Dragan, Ingenieur und Bankräuber

bewusstseinsbildung & Medien

M

ethnomedien in Österreich (Print, online, Rundfunk)

Quelle: M-MEDIA, Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen

Andrea Winter

Page 59: Henri. Das Magazin, das fehlt

5916|2013

anuel Bräuhofer hat 2007 „brainworker“, die erste Diversity-Marketingagentur Öster-reichs, gegründet. Als Ethnomarketing-Pio-

nier weiß der Kommunikationsprofi über die optimale Ansprache der Migranten-Communitys Bescheid und darüber, was es heißt, interkulturell kompetent zu sein.

henri: Ist Österreich ein Zuwanderungsland?

MAnueL BRäuHoFeR: Österreich ist historisch schon immer ein Schmelztiegel der unterschiedlichs-ten Kulturen gewesen. Dank der Attraktivität des Standortes im Herzen von Europa ist Österreich ein wunderbarer Platz, um zu leben und zu arbeiten. Dies führt dazu, dass im-mer mehr Menschen aus allen Nationen Österreich als Lebensmittelpunkt wählen. Darüber hinaus bemühen sich Wirtschaft und Politik um eine sogenannte „qualifizierte“ Zuwande-rung von Fach- und Schlüsselkräften. Kurz gesagt, Österreich war immer schon ein Zuwanderungsland und wird es auch in Zukunft bleiben.

Und hier knüpft Ethnomarketing an?

Ethnomarketing ist eine Spezialdisziplin der Diversity- Ansätze. Ethnomarketing fokussiert auf den Teilbe-reich der ethnischen Herkunft. Kurz gesagt: Man möchte mit einem Produkt oder einer Dienstleistung eine bestimmte Zielgruppe – in diesem Fall Migranten

– optimal ansprechen. Es handelt sich dabei um keine homogene Gruppe. Auch hier müssen Dimensionen wie Bildungsgrad, Sprachkompetenzen und Generati-onenzugehörigkeit berücksichtigt werden. Die Haupt-frage ist also: Wen spreche ich wie an?

Haben österreichische Unternehmen Migranten bereits als wichtige Konsumentengruppe erkannt?

In Frankreich und Großbritannien beschäftigen sich Unternehmen schon längst mit dem Thema. Bei uns ist

Ethnomarketing erst seit 2008 en vogue. Wir haben seit unserer Gründung viel Sensibilisierungsar-beit betrieben. Die ersten Reaktio-nen darauf waren immer: „Wozu brauche ich das?“, und dass sich die Migran ten gefälligst an uns anpas-sen sollen.

Müssen Sie noch immer Aufklärungsarbeit leisten?

Wir müssen immer wieder erklären, wieso es sich aus-zahlt, bei der Werbung auf Migranten zuzugehen. Migranten sind mit einem jährlichen Kaufkraftvolu-men von 20 Milliarden Euro eine attraktive Zielgruppe. Immerhin haben rund 19 % der österreichischen Bevöl-kerung Migrationshintergrund. 1,6 Millionen Men-schen kann und darf man einfach nicht übersehen!

Die Gewinne warten abseits der Massenmärkte?

Momentan wird diese Zielgruppe von den meisten Fir-men völlig ignoriert, Migranten werden nicht speziell

Werbung und Marketing entdecken

interkulturelle Zugänge. Manuel Bräuhofer

war der Erste.

IntervIew: K a rIn poIntner | fotos: br aIn worKer

Die Sprache des Herzens

M„Die sogenannte ,Herzsprache‘

spricht das kulturelle Gedächtnis und die Emotionen an“

Page 60: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201360

angesprochen. Damit werden nicht nur potenzielle Kunden vernachlässigt, sondern es wird auch die Chance vertan, innovativ und weitsichtig zu agieren.

Wieso weitsichtig?

Als Erster einen Markt zu erschließen und eine Strate-gie zu verfolgen kann äußerst profitabel sein. Außer-dem haben die Communitys eine hohe Bereitschaft zur Weiterempfehlung. Ethnomarketing bietet die Chance, auf meinungsbildender Ebene eine Vorreiterrolle ein-zunehmen. Es zeigt, dass ein Unternehmen Verantwor-tung für die gesellschaftliche Entwicklung übernimmt

und Toleranz ein gelebter Wert ist.

Es geht also um interkul-turelle Öffnung?

Ja, Migranten sind nicht nur die Konsumenten der Zu-kunft, sondern auch das Personal von morgen und

zudem eine wichtige Säule für die Erhaltung unseres Sozialsystems. Momentan sind die meisten Migranten auf der untersten Unternehmensebene zu finden. Die Entscheidungsträger müssen sensibilisiert werden und sollten sich aktiv dafür einsetzen, Migranten in die obersten Führungsebenen zu bringen.

Stichwort Sensibilisierung. Können Diversity-Trainings ein Schritt in diese Richtung sein?

Für eine erfolgreiche Verständigung mit Gesprächs-partnern aus anderen Kulturen ist das Verständnis der Normen und Regeln anderer Kulturkreise enorm wich-tig. Daher sollten Büromitarbeiter genauso wie die Führungsebene bezüglich interkultureller Kompetenz geschult werden, denn vielfältige Menschen brauchen vielfältiges Wissen.

Es heißt oft, dass Ethnomarketing Integrationsbestre-bungen untergräbt und dadurch Parallelstrukturen forciert werden.

Im Gegenteil! Im Kern geht es darum, Migranten Wert-schätzung entgegenzubringen. Sicher, Ethnomarke-ting zielt auch auf das Geschäft ab. Aber wir sehen auch ganz klar, dass sich die Communitys besonders dann öffnen, wenn man auf sie zugeht und ihre Bedürf-nisse auch einmal im Vordergrund stehen dürfen.

Viele Firmen denken, dass es ausreicht, bestehende Wer-bungen in die jeweiligen Community-Sprachen zu übersetzen. Nach dem Motto: Schalten wir einfach eine Werbung in einem Migranten-Medium und schauen wir, was passiert.

Übersetzungen alleine sind zu wenig. Ethnomarketing arbeitet stark mit Symbolen und Gesten. Wenn in einer

Bankfiliale Türkisch gesprochen wird, ist das natürlich auch ein starkes Zeichen. Aber mit Sprache ist nicht nur die Muttersprache, sondern auch die sogenannte

„Herzsprache“ gemeint. Das ist jene Sprache, die das „kulturelle Gedächtnis“ und die Emotionen anspricht. Diese Emotionen werden durch Symbole, aber auch kleine Gesten der Wertschätzung – wie etwa Glück-wünsche zu bestimmten interkulturellen Feiertagen – hervorgerufen.

Wie kann das Rote Kreuz als Freiwilligenorganisation Diversity-Ansätze für sich nutzen?

Das Rote Kreuz kann Mitarbeiter aus den Communitys für seine Arbeit einsetzen. Dadurch werden Klienten und Kunden mit vielfältigem Hintergrund ihrer Kultur entsprechend angesprochen. Dies führt zu einem ver-trauensvollen Umgang sowohl intern als auch extern. Und schließlich kann das gesamte Unternehmen von diesem Wissen profitieren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Mitarbeiter im Pflegebereich sollten wissen, wieso ein türkischstämmiger Klient nicht von weiblichem Pflege-personal gewaschen werden möchte. Gegenseitiger Dialog ist das Um und Auf!

Wir sollten also voneinander lernen?

Es geht einerseits um das Aneignen von interkulturel-ler Kompetenz, andererseits um Wertevermittlung. Migranten sollen über unsere Regeln, unsere Normen und Codes, auf die wir uns in der österreichischen Gesellschaft geeinigt haben, Bescheid wissen, ohne dabei ihre Herkunft und die anerzogenen Werte ver-leugnen zu müssen.

Was verbindet Sie persönlich mit dem Roten Kreuz?

brainworker hat gemeinsam mit dem ÖRK die Aktions-woche „Blutspenden verbindet“ konzipiert. Mit dieser Initiative wurden Menschen mit Migrationshintergrund über die Wichtigkeit der Blutspende informiert und zum Blutspenden motiviert. Außerdem bin ich Integrationsbotschafter für projektXchange.

buchtipp Manuel Bräuhofer, Roxanna Yadollahi-FarsaniEthnomarketing in Österreich – das PraxishandbuchDas Buch dient dem Leser als kompetentes Nachschlagewerk und Inspirationsquelle und bietet durch zahlreiche Case Studies wichtige Informationen aus erster Hand zur direkten Umsetzung in der Praxis.

„Wir müssen immer wieder erklären, wieso

es sich auszahlt, in der Werbung auf

Migranten zuzugehen“

Page 61: Henri. Das Magazin, das fehlt

6116|2013

ie viele Menschen montenegrinischer Herkunft leben in Österreich? Wer oder was ist Nowruz?

Wie viele Schüler mit nicht deutscher Erstsprache gibt es in Österreich? Welche Herkunftsländer führen bei binationalen Ehen? Und vor allem: Wer will das wissen?

Journalisten wollen es wissen. Viele Zahlen, Daten, Fakten zu den komple-xen Themen Zuwanderung und Inte-gration sind oft trotz Internet nur auf-wendig zu recherchieren.

Dass man Journalisten unterstützt und das zu akku-raterer Berichterstattung führt: Diese Idee stand am Anfang der „Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen“. Vor zwei Jahren wurde sie gegründet – mit Un-terstützung von AK, IV, dem Verein Wirtschaft für Integration, der Cari-tas, W24 und der Wiener PR-Agentur The Skills Group. Co-Initiator Edward Strasser: „Es kursieren oft falsche Zahlen. Die Medien-Servicestelle un-terstützt Journalisten bei ihrem Wunsch nach quali-tativ hochwertiger Information.“

Dazu bietet die Medien-Servicestelle Recherchen, bereitet Daten und Studien zu aktuellen Themen journalistisch auf und stellt in ihrer „Integrations-Bibliothek“ Studien, Statistiken und Forschungsar-beiten zur Verfügung (www.medienservicestelle.at).

Gegen KlischeesSchon 2010 hat die Kommunikationsforscherin Karin Zauner belegt, dass Berichterstattung zum Thema Migration in Österreich vor allem zu den Themen Konflikt, Kriminalität, Bedrohung und Angst statt-findet. In der öffentlichen Diskussion sind Migran-

ten entweder Täter, Opfer oder integrationsunwillige Kopftuchträgerinnen.

Mit seinem Angebot will das Portal ein Gegengewicht zu Stereotypen und Klischees bilden. „In den Re-daktionen ist das Bedürfnis da, das Thema differenzierter zu behandeln. Unsere Leistung wird von den Me-dien rege nachgefragt“, bilanziert Žarko Radulovic, Chefredak-teur der Medien-Servicestelle.

„Journalisten brauchen gesicherte Fakten.

Wir bieten sie“

Edward Strasser

Ein Recherche-Service für Journalisten soll die Berichte über Migranten versachlichen.

von thomas aIstleItner

Täter und KopftuchW

Weltflüchtlingstag 20. JuniKampagnen zur Bewusstseinsbildung. Jedes Jahr wird der Weltflüchtlingstag zum Anlass genommen, um an die Not der Flüchtlinge zu erinnern und innerhalb der eigenen Organi-sation und mit Partnern auf die Lage der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Oft werden die Flüchtlinge, die unter uns leben und auch für das Rote Kreuz als Freiwillige oder Hauptberufliche arbeiten, nicht wahrgenommen (siehe Freiwilligenporträts). 2012 war der Schwerpunkt unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Kindern auf der Flucht gewidmet. Dazu wurde der Film „Little Alien“ der österreichischen Regisseurin Nina Kusturica gezeigt. 2013 stand das Thema „Zugang zu internationalem Schutz“ im Mittelpunkt des Weltflüchtlingstags.

Page 62: Henri. Das Magazin, das fehlt

www.roteskreuz.at/migrationscharta

16|201362

Die Zivilgesellschaft öffnen! Integration braucht eine aktivere Zivilgesellschaft. Die Institutionen und Initiativen der Zivilgesellschaft sind ideale Orte der Integration, vom Spracherwerb über den Abbau von Stereotypen und Vorurteilen. In den Organisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft sollen verstärkt Integra-tionsbegleitung und Qualifizierungsmaßnahmen stattfinden. Dabei ist auch die Jugendarbeit gefordert. Gesetzliche und institutionelle Rahmenbedin-gungen, welche die berufliche oder die freiwillige Mitarbeit von Migranten fördern, sind weiterzuentwickeln. Die Willkommenskultur in Öster-reich ist zu stärken – damit wird Österreich auch für qualifizierte Zuwanderer mit Migrationshintergrund attraktiver.

Art. 9 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

9

Page 63: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Bei einem Erste-Hilfe-Kurs wollte

Serpil Karadeniz ihre Kenntnisse auffri-schen und entdeckte dabei ihr medizini-sches Interesse. So ist sie nun seit 2009 frei-willig beim Rettungs-dienst tätig. Derzeit absolviert sie eine Weiterbildung zur Lehrbeauftragten in Erster Hilfe.

Manchmal ist es für sie schwierig, als be-rufstätige Mutter Ar-beit, Familie und das Rote Kreuz unter ei-nen Hut zu bringen. Jedoch ist Serpil Kara-deniz bei mindes tens zwei Einsätzen pro Monat dabei.

Sobald die Patien-ten merken, dass sie ihre Muttersprache Türkisch beherrscht, sind sie verblüfft und erleichtert, sodass sie ihr oft ihre ganze Krankheitsgeschichte von Kind auf erzählen.

„Menschen mit Migrationshintergrund sind für freiwillige Tätigkei-ten offen. Vielleicht sollten diese Bevölkerungsgruppen auch stärker beworben werden, damit ihnen klar wird, dass sie in den Orga ni sa tio-nen gerne gesehen sind“, sagt Serpil Karadeniz.

NAMe Serpil Karadeniz

ALTeR 38

MeIN RoTeS KReUZ Sanitäterin, EH-Trainerin i. A.

IM RoTeN KReUZ SeI T 2009

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Vorarlberg, Lustenau

6316|2013

„Ich kann mit Patienten in ihrer Sprache sprechen“

Page 64: Henri. Das Magazin, das fehlt

Österreich

EU-15 (ohne Österreich)

EU-27

Ex-Jugoslawien

Türkei

formell informell

10

0

20

30

40

5045

35

25

15

5

Stat

us

16|201364

as Thema „Zuwanderer als freiwillige Mitarbeiter“ ist

in Österreich wissenschaftlich nicht gut untersucht, aber eines wissen wir: Menschen, die sich freiwillig engagie-ren, haben ihr Auskommen und weisen eine gewisse Bildung auf. Das gilt für die eingesessene Bevölkerung genauso wie für zugewanderte Menschen.

Womit das wesentliche Zugangshin-dernis für Migranten zu Organisatio-nen der Freiwilligenarbeit benannt ist: Vor allem die prekäre berufliche und finanzielle Situation führt dazu, dass sie häufig eher informell tätig sind: in der Selbst- und Nachbarschaftshilfe, weil das familiär-verwandt-

schaftliche und ethnische Selbsthilfepotenzial der Exis-tenzbewältigung dient. Viele Zuwanderer sehen diese Tätigkeiten auch nicht als

„informelles Ehrenamt“ an, sondern als Notwendigkeit für das eigene Überleben.

Auf der anderen Seite er-richten auch bereits eta-blierte Freiwilligenorganisa-tionen Barrieren. Nicht nur soziale, auch gesetzliche: Bis vor einem Jahr waren Per-sonen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in zwei österreichischen Bun des län-dern nicht zur Mitgliedschaft bei der Freiwilligen Feuer-wehr zugelassen.

Die soziale Abschließung der Mainstream-Organisa ti-o nen spiegelt sich bei den Zuwanderern wider: Starke Orientierung an der eigenen Kultur, traditionelle Werteorientierung und Rollenbilder bei fehlen den Brückenkontakten in die Mehrheitsgesellschaft verhin-dern freiwilliges Engagement.

Die Lösung liegt im „Nahtstellen-Management“ zwi-schen etablierten und migrantischen Formen der Frei-

willigenarbeit. Darum kümmern sich unter anderem die Migrationsbeauf-tragten in allen Bundes ländern.

Die bessere Zusammenarbeit bei der Freiwilligkeit nützt allen: Zuwanderer werden mit der Aufnahmegesellschaft vertraut, knüpfen Kontakte und erwer-ben Fähigkeiten, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Ihr En-gagement kommt dem Gemeinwesen zugute.

Migranten können ein Gewinn für soziale Organisa-tionen sein, weil sie Kompetenzen mitbringen, die auch die Helfer benötigen. Etablierte Organisationen lernen, mit der Vielfalt in unserer Gesellschaft umzu-

gehen. Barrieren im Zugang zur formellen Freiwilligen-arbeit sind keine österreichische Besonderheit. Einige europäische Länder setzen bereits Maßnahmen, um Zuwanderer als Freiwillige zu gewinnen. Hier liegt noch Arbeit vor uns.

Werner Kerschbaum ist Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes.

Abgesichert, gebildet, freiwillig

Zivilgesellschaft

D

Freiwilliges engagement nach Geburtsland in %

Que

lle: F

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ASK

Werner Kerschbaum

Page 65: Henri. Das Magazin, das fehlt

6516|2013

as Rote Kreuz hat von Vielfalt immer profi-tiert. Unter seinen Freiwilligen arbeiten Aka-demiker und Pensionisten genauso im Team

wie Schulabbrecher, Jugendliche, Studenten, Frauen, Männer, Arbeitslose ...

Allen geht es darum, Talente, Interessen und Motiva-tion für Menschen, die Hilfe brauchen, einzusetzen. In-zwischen wirbt das Rote Kreuz ver stärkt um Menschen mit Migrationshintergrund. Sie sollen ihre Erfah-rungen, ihr Wissen und ihre kulturellen Besonder-heiten als freiwillige Helfer einbringen. Aber finden sie den Weg zum Roten Kreuz? Oder ist es so, wie ein Ret-tungskommandant es ausdrückt: „Wir sagen: Die Tür ist offen. Aber zeigen wir auch, wo die Tür ist?“

Sport und ReligionBeim Roten Kreuz arbeiten rund 60.000 Männer und Frauen als Freiwillige. Sie leisten mehr als 10,6 Millio-nen Einsatzstunden pro Jahr. Wie viele Migrationshin-

tergrund haben, darüber gibt es kei-ne Zahlen. (Dafür müsste man bei der Einstellung die Geburtsorte der El-tern abfragen.) Erfahrungen und Begegnun gen zeigen, dass Zuwande-rer in der formellen Freiwilligenarbeit eher die Ausnahme sind.

Christoph Reinprecht von der Uni-versität Wien erklärt diesen Eindruck: So wären Menschen mit Migrations-hintergrund zwar nicht weniger enga-giert als die autoch thone Bevölke-rung. „Allerdings sind die neuen Ös-terreicher vermehrt im informellen Sektor zu finden, also zum Beispiel in der privaten Nachbarschaftshilfe oh-ne institutionellen Rahmen“, so der Soziologe. Im formellen Sektor, bei

ÖSTERREICHS ZUWANDERER WÜRDEN SICH HäUFIGER FREIWILLIG ENGAGIEREN – MAN MÜSSTE SIE NUR FRAGEN.

von K a rIn poIntner

Drei nationen unter dem Zeichen des Roten Kreuzes: Ismail Simsek, Apinya Fraisl und Ying Wang (v. r.) mit

türkischen, thailändischen und chinesischen Wurzeln sind im Rettungsdienst und in der Pflege und Betreuung tätig

Die offene Tür auch zeigen!

D

„Zuwanderer engagieren sich

eher privat als in der

formellen Freiwilligenarbeit“

Christoph Reinprecht

Page 66: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201366

traditionellen Hilfsorganisationen, sind sie unterreprä-sentiert. Hier dominiert ihr Engagement in Gemein-schaften aus den Bereichen Kultur, Freizeit, Religion und Sport. Letzterer ist in der exjugos lawischen Com-munity verbreitet, während Akti vi tä ten im Rahmen von religiösen Gemeinschaften häufi ger von türkisch-stämmigen Zuwanderern ausgeübt werden.

Traditionelle Ehrenämter im Rettungsdienst oder in sozialen Diensten wurden in einer Befragung der Statis tik Austria von Migranten kaum genannt.

StolpersteineDabei haben gerade diese Bereiche Potenzial für frei-willig engagierte Migranten. Vorausgesetzt, es werden Hindernisse und Hürden abgebaut – bei allen Beteilig-

ten. Stolpersteine sind neben mangelnder Sprach-kenntnis das Fehlen eines Netzwerks von Vermittlern und Vorbildern aus den Freiwilligenorganisationen. Bezahlte Arbeit hat aus existenziellen Gründen oft Priorität. Auch die Angst, mit Vorurteilen konfron-tiert zu werden, spielt eine Rolle.

Einige Gründe für das Nicht-Engagement sind identisch mit jenen der autochthonen Österreicher: zu große Auslastung durch Beruf/Familie, mangeln-des Selbstvertrauen für eine freiwillige Tätigkeit, das Gefühl, noch nicht aufgefordert oder gefragt worden zu sein.

Angesichts des steigenden Anteils von Migranten an der Gesamtbevölkerung – in Wien fast 40 % –, können es sich die Freiwilligenorganisationen gar nicht mehr leis ten, diese Gruppe zu ignorieren. Ziel-

gruppenorientierte, persönliche Ansprache ist hier ein notwendiger erster Schritt. Das kann neben Informa-tion in der Sprache der anvisierten Migrantengruppe bedeuten, dass neue kreative Anwerbungsmethoden erarbeitet werden müssen. Dafür sind Kenntnisse über die Einstellung der Migranten gegenüber freiwilligem Engagement wichtig. Vielfalt muss als eine für beide Seiten vorteilhafte Situation gefördert werden.

Von Migranten lernen und sich öffnenDas Rote Kreuz kann von engagierten Migranten ler-nen und von ihren Fertigkeiten, Kompetenzen und ihrer Kreativität profitieren. Alle Freiwilligen wollen Klarheit über ihre Aufgaben, Tätigkeitsanforderungen und Ziele. Freiwilligentätigkeit in Migranten-Selbst-organisationen oder im Bereich der Nachbarschafts-hilfe sollte als wichtige Fähigkeit geschätzt werden, genauso wie Mehrsprachigkeit und das Wissen über eine andere Kultur.

Gelungene ÖffnungAls Vorbild für die interkulturelle Öffnung kann eine Initiative des Deutschen Roten Kreuzes gelten (siehe Kasten). Schon seit 1998 arbeiten die deutschen Kolle-gen an der Öffnung aller DRK-Dienste und -Angebote für Migran ten – und das mit viel Erfolg, auch wenn es Zeit gebraucht hat.

Das macht es deutlich: Integration von Zuwanderern als freiwillige Helfer wird nicht nur durch einmalige Projekte verwirklicht. Sondern vor allem auch durch langfristiges und kontinuierliches Engagement der Organisationen.

Zuwanderer als Freiwillige Interkulturelle Öffnung beim Deutschen und Österreichischen Roten Kreuz

„Integration junger Musliminnen und Muslime durch Ehrenamt in gemeinnützigen Organisationen am Beispiel des ÖRK“. Empfehlungsbericht: www.roteskreuz.at/handbuch

„INVOLVE – Beteiligung von Drittstaatsangehörigen an freiwilligem Engagement als Mittel zur Integrationsförde- rung“. Projektbericht: http://oerk.at/a58

Mehrsprachigkeit und Wissen über andere Kulturen nützen den Helfern

Page 67: Henri. Das Magazin, das fehlt

6716|2013

ine junge Frau sollte nach der Vorstellung ihres Vaters Königin von Ungarn werden. Die in Ungarn studierte Tanzpädagogin landet jedoch 1971 als Hausbesorgerin am Mexiko-

platz im 2. Wiener Gemeindebezirk. Aber: Sie ist mit ihrer großen Liebe nach Wien gekommen, hat ein öster reichisches Visum im Reisepass, und die Sprache lernt sie in Gesprächen mit den Mietern.

Eine zweite junge Frau kommt Ende der 1980er-Jahre nach Österreich. Sie lässt eine Kindheit mit viel Bruta-lität und schrecklichen Erlebnissen in Brasilien hinter sich und beginnt in Wien bei null. Aber: Sie hat viel Überlebensenergie, macht eine Lehre als Kosmetikerin und findet den Weg in die Selbstständigkeit.

Eine dritte junge Frau ist wohlbehütet in Istanbul aufgewachsen, besucht die renommierte österreichi-sche Schule St. Georgs-Kolleg, überzeugt ihre Eltern und kommt 2002 nach Wien, um zu studieren. Mit dem Zulassungsbescheid für das Psychologiestudium sowie ausgezeichneten Deutschkenntnissen scheint alles perfekt! Zumindest am Anfang.

Was haben Katalin Zanin, geboren in Budapest, Sue-li Menezes, geboren im Amazonasdschungel, und Nil-gül Sahinli, geboren in Istanbul, gemeinsam? Alle drei waren für den MiA-Award in der Kategorie „Gesell-schaftliches und humanitäres Engagement“ nominiert.

Wenn es einen Preis gibt, der speziell an Frauen verlie-hen wird, bedeutet das, Frauen leisten mehr als Män-ner? Oder werden ihre Leistungen nicht ausreichend honoriert? Oder haben sie mit mehr Hürden zu kämp-fen, wenn sie so viel wie Männer erreichen wollen?

„Oft arbeiten wir Frauen und leisten viel mit einer Selbstverständlichkeit, und so werden unsere Leistun-gen auch angenommen, ganz selbstverständlich. Bei der Arbeit stand ich immer in der ersten Reihe, aber bei Anerkennung und Belohnung stets ganz hinten“, resü-miert die Preisträgerin Katalin Zanin.

Die Nationalratsabgeordnete Christine Marek hat MiA gegründet: „Die MiA-Frauen haben auf ihrem Weg zahlreiche Hürden bewältigt, einerseits als Migrantin-

DER MIA-AWARD ZEICHNET FRAUEN MIT INTERNATIONALEN WURZELN FÜR BESONDERE LEISTUNGEN AUS. SEIT DEM JAHR 2013 AUCH IN DER KATEGORIE

„GESELLSCHAFTLICHES UND HUMANITäRES ENGAGEMENT“. HENRI STELLT DIE NOMINIERTEN VOR – UND DIE PREISTRäGERIN.

von DIana K a r a bInova

Die Erfolge der Frauen

EBettina Glatz-Kremsner, vorstandsdirektorin der Österreichischen Lotterien und Gastgeberin der MiA-Gala 2012, mit Bundespräsident Heinz Fischer

Page 68: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201368

nen, andererseits als Frauen – denn Frauen haben es nach wie vor in vielen Bereichen schwerer und stellen ihr Licht zu oft unter den Scheffel.“ Durch Frauen wie die MiA-Preisträgerinnen ist Österreich „ein Stück weit besser geworden“, betont Christine Marek.

Dudu Küçükgöl, Mitinitiatorin von MiA, teilt diese Meinung: „Frauen mit und ohne Migrationshintergrund erbringen wertvolle Leistungen für unsere Gesell-schaft: Sie setzen sich für andere ein, arbeiten oft auch, ohne dafür anerkannt oder bezahlt zu werden.“ Ein Preis wie MiA ehrt ihre Leistungen, „weil ihre Arbeit oft nicht sichtbar ist, keine Erwerbsarbeit oder eine Arbeit mit hohem gesellschaftlichen Ansehen ist“.

Das Rote Kreuz als MiA-PateSeit 2013 engagiert sich das ÖRK mit der Caritas als Pate für den Preis „Gesellschaftliches und humanitä-

res Engagement“. Entscheidend für die Nominierung zu diesem Preis ist das freiwillige Engagement im sozi-alen Bereich. Auch die Integrationshürden spielen bei der Auswahl der Preisträgerin eine Rolle. Deswegen ist es dem Roten Kreuz ein Anliegen, diesen Preis Frauen mit migrantischen Wurzeln zu verleihen.

Die Mutterrolle als SchlüsselHeuer überreichte Auma Obama, MiA-Gast aus Deutschland und Gründerin des Vereins „Starke Stim-men“, die Trophäe der Preisträgerin Katalin Zanin.

„Alle Frauen von MiA haben etwas Gemeinsames: Sie sind vollkommen integriert – wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial. Besonders ihre Rolle als Mutter ist der Schlüssel zu Integration. Die Mütter filtern die Themen, wie Identitätsfragen, die bei Jugendlichen aus Migrantenfamilien die wichtigsten sind.“ Die Schwester des US-Präsidenten betonte das Thema Sprache als besonders prägend für die Identität der Jugendlichen und unterstrich die Wichtigkeit der Muttersprache für die Identitätsbildung.

Auch Katalin Zanin sprach mit ihren Kindern Ungarisch – und ist stolz auf ihre tschechische Schwiegertochter: „So ist unsere Familie um eine Sprache reicher geworden!“

MiA und projektXchangeBrigitte Lendl, pXc-Mitinitiatorin, freut sich aus gutem Grund jedes Jahr besonders über die MiA-Gala: „Hier kann ich großartige Frauen gewinnen, die wie ich überzeugt sind, dass niederschwellige Arbeit mit Jugendlichen eine erfolgreiche Strategie ist.“ Umgekehrt wurden einige projektXchange-Botschafterinnen für den MiA-Award nominiert.

Sebastian Kurz, Christine Marek, Auma obama (v. l.)

Die NominiertenHumanitäres und gesellschaftliches Engagement

Katalin Zanin leistete „Erste Hilfe“ für Österreich im Bereich kreative Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Sie gründete 1979 den Verein „Ich bin O.K.“, für den sie sich 25 Jahre lang ehrenamtlich engagierte. Mit dem Verein „Ich bin O.K.“ ist es ihr gelungen, Menschen mit Behinderung gleichwertig neben Men-schen ohne Behinderung zu stellen, sodass es beiden möglich ist, überzeugt zu behaupten, „ich bin ok“. Dafür hat sie den MiA-Award für humanitäres und gesellschaftliches Engagement bekommen.

Sueli Menezes ist durch ihre Bücher „Amazonaskind“ und „Ama-zonasfrau“ in Österreich bekannt. Sie gründete den Verein „Vitoria regia“ und widmete sich der Aufgabe, Straßenkinder sowie arme und kranke Kinder in ihrem Heimatland Brasilien zu unterstützen. In Österreich setzt sie sich für den Verein „Kumplgut“ ein, der krebskranken Kindern einen Aufenthalt am Erlebnisbauernhof finanziert.

Nilgül Sahinli arbeitet seit 2004 als Freiwillige im Haus der Aids-hilfe Wien. Sie setzt sich für die Gleichstellung von HIV-positiven Menschen ein. Als Freiwillige und Psychologin hält sie Vorträge und Workshops speziell für türkische Frauen.

Preisträgerin Katalin Zanin (r.) mit Auma obama

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ls freiwilliger Rotkreuz-Lernbuddy ist man im Rahmen des Programms Familientreffen/Famili-enzusammenführung unterwegs, um es Kindern

auf ihrem schwierigen Weg in die österreichische Ge-sellschaft leichter zu machen. In erster Linie geht es um Hilfe beim Erlernen der deutschen Sprache, aber auch Rat und Tat im Alltag sind gefragt.

Nun bin ich seit über einem Jahr ein aktiver Buddy und kann eine positive Bilanz ziehen. Auch ich bin ein Zuwanderer: Ich kam vor 30 Jahren nach Österreich. Ich bin Norweger und mit einer Österreicherin verhei-ratet. Einmal pro Woche besuche und betreue ich eine Familie aus Afghanistan. Ich werde sehr herzlich aufge-nommen und bemühe mich, den Jugendlichen von zehn bis 19 Jahren nicht nur Deutsch näherzubringen, sondern lerne auch Englisch und Mathe mit ihnen.

Was bekomme ich dafür? Sehr viel mehr, als ich ge-dacht habe! Ich bemerke ständig Fortschritte in der Sprache, einen guten Willen, etwas anzunehmen. Mit Freude sehe ich, dass sich hier junge, aufgeweckte Menschen in ihrem neuen Heimatland eine Zukunft erarbeiten, die für alle erfreulich ist. Natürlich muss ich mich vorbereiten, zum Beispiel in Mathe, aber das macht ja auch Spaß nach so vielen Jahren Schulabsenz!

Wenn ich von meiner Tätigkeit erzähle, bekomme ich meistens aufmunternde Worte zu hören. Nur hie und da höre ich aus kleinkarierten Zeitungen nachge-plapperte Sätze wie „Was, so viele Kinder? Zahlen wir das alles? Tragen die Kopftücher?“

Doch ich habe in Schulungen durch das Rote Kreuz erfahren, wie unsere Rechtslage ist. Es handelt sich um Menschen, die auf der Grundlage der Genfer Konven-

tion, des EU-Rechts und des österreichischen Asyl-rechts Bleiberecht gewährt bekommen haben.

Für mich geht es darum, das Potenzial dieser Men-schen zu fördern, damit es uns allen zugute kommt. Es ist ein sozialer Beitrag, wenn sich Kinder einer Zuwan-dererfamilie Wissen aneignen und Berufe erlernen, in denen sie in unserem Land benötig te Dienste leisten.

Ich freue mich auf den nächsten Besuch bei „meiner Familie“ und lese mit Rührung die Aufsätze, die mir die Kinder in deutscher Sprache abliefern. Ich bin glück-lich, dazu beizutragen, dass „meine Kinder“ wertvolle Mitglieder der Gesellschaft werden.

Hans-Patter Friis, 67, ist seit 2012 Buddy beim Referat

Integration & Migration im Roten Kreuz Wien.

von h ans-patter frIIs

„Ich bin ein Buddy“

A

JUNGE, AUFGEWECKTE MENSCHEN ERARBEITEN SICH EINE ZUKUNFT IN IHRER NEUEN HEIMAT. UND ICH HELFE IHNEN DABEI!

„Familien Treffen“Das Rote Kreuz bringt Familien zusammen. Das Rote Kreuz hilft Flüchtlingen bei der Familienzusammen-führung und dem Nachholen von Familienmitgliedern. Zusätz-lich helfen professionelle Integrationsberater und freiwillige Mitarbeiter, sogenannte „Buddies“, im Rahmen des Projekts

„Familien Treffen“. 66 freiwillige Buddies begleiten derzeit wiedervereinte Fami-lien bei ihren ersten Schritten in Österreich. Unterstützung beim Zurechtfinden im österreichischen Alltag erhält zum Beispiel die Familie von Herrn R. Er kam 2009 aus politischen Gründen mit seinen beiden minderjährigen Töchtern von Afghanistan nach Österreich. Nachdem Herrn R. und seinen Töchtern Asyl gewährt worden war, konnte er mit Rotkreuz- Hilfe seine Frau und seine beiden minderjährigen Söhne 2011 nach Österreich nachholen.

Page 70: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201370

as Rote Kreuz in der Steiermark bemüht sich aktiv darum, mehr Migranten zur Mitarbeit

zu gewinnen. Wie das funktioniert, zeigt die Geschich-te von Nataliia aus der Ukraine. Bei einem Deutsch-kurs stellte eine Sozialarbeiterin des Roten Kreuzes die Organisation und das Thema „Freiwilliges Engage-ment“ vor. Die Idee der freiwilligen Mitarbeit hat Nata-liia auf Anhieb gefallen.

Neue KollegenDass es im Roten Kreuz so viele verschiedene Möglich-keiten zur Mitarbeit gibt, hat Nataliia erstaunt. Den Besuchsdienst fand sie am interessantesten. Schon wenige Tage später hat Nataliia bei einer Teamsitzung ihre neuen Kollegen kennengelernt. Seither ist sie als

freiwillige Mitarbeiterin mit vollem Engage-ment dabei. Die ältere Dame, die sie besucht, ist sehr dankbar, dass Nataliia einmal pro Woche abwechslungsreiche Stunden mit ihr verbringt. Sie meint: „Es müsste mehr Men-

schen wie Sie geben. Und ich brauche doch nicht viel. Wenn ich jemanden zum Reden und

Spazierengehen habe, bin ich glücklich.“

Deutsch im Roten KreuzNataliias Geschichte ist eine von vielen. Das Rote Kreuz kooperiert in der Steiermark eng mit Organi-sationen, die Migranten unterstützen. So gelingt die Kontaktaufnahme zu zugewanderten Men-schen sehr gut. Ist der erste Kontakt einmal ge-knüpft, erhalten die zukünftigen Mitarbeiter dort Unterstützung, wo sie sie benötigen. Manche füh-len sich beispielsweise nicht sicher genug in ihren Deutschkenntnissen, um sofort als Freiwillige im Roten Kreuz anzufangen. Deshalb bietet das Rote Kreuz Steiermark spezielle Vorbereitungskurse an, in denen die neuen Mitarbeiter den nötigen Wort-schatz für ihre Tätigkeit beim Roten Kreuz lernen.

KarriereticketJedes Jahr vergibt der Österreichische Integrations-fonds das „Karriereticket“ an Migranten, die sich durch besondere Leistungen und soziales Engagement auszeichnen. Das Rote Kreuz Steiermark hat seinen freiwilligen Mitarbeiter Kwasi Osei-Tutu für diesen Preis nominiert. Der Medizinstudent mit Wurzeln in Ghana ist Rettungssanitäter in Graz-Stadt und Integra-tionsbotschafter für projektXchange (siehe Seite 37).

Es blieb nicht bei der Nominierung: Kwasi Osei-Tutu überzeug te die Jury und gewann das Karriereticket 2012. Beim Roten Kreuz ist er weiterhin tätig: „Hier gibt es Menschen, die aus freiem Willen ihre Zeit für das Wohlergehen ihrer Mitmenschen zur Verfügung stellen. Da mache ich sehr gerne mit!“

WIE MIGRANTEN IM ROTEN KREUZ STEIERMARK DEN WEG ZUR FREIWILLIGEN MITARBEIT FINDEN.

von K a rIn ploDer UnD mIr jam rIener

Vielfalt Steiermark

D

Mitarbeiter des Roten Kreuzes Steiermark: Kwasi Osei-Tutu (r.) gewann das Karriereticket für integrative und soziale Leistungen

Page 71: Henri. Das Magazin, das fehlt

7116|2013

eit einem Jahr helfe ich Ali Reza bei seinen Deutschhausübungen und beim Verständnis der

Angaben seiner Mathematikhausaufgaben. Zu Beginn sahen wir uns dreimal die Woche. Jetzt reicht einmal in der Woche. Ali spricht mittlerweile gut Deutsch und versteht fast alles. In Mathematik ist er ein richtiger Wiffzack.

Ali wohnt mit seinen Eltern und seinen vier jüngeren Geschwistern in einer Einzimmerwohnung. So habe ich relativ schnell alle Familienmitglieder kennengelernt und gesehen, woran es ihnen fehlt: Kinderspielsachen, Kinderbücher, Kleidung … Heute spielen wir zu fünft Domino, Memory und lesen Pauli-Bücher und den Struwwel peter. Wir haben auch schon einige Ausflüge

ins Naturhistorische Museum, ins Technische Museum und in den Zoo gemacht. Jetzt haben auch Ali und seine Geschwister endlich Elefanten gesehen.

Alis Vater möchte Installateur werden. Zuerst muss er jedoch gut Deutsch lernen. Ich unterstütze ihn da-bei, so gut ich kann. Der Deutschkurs ist jedoch leider von den Anforderungen her der helle Wahnsinn und völlig praxisfremd.

Letzte Woche war meine ganze Familie zu einem herrlichen afghanischen Abendessen eingeladen. Wie unter Freunden.

Christian Mautner-Markhof ist seit Mai 2012 freiwilliger Mitarbeiter beim Referat Integration

und Migration im Roten Kreuz Wien.

WIR LERNEN DEUTSCH UND MATHE, MACHEN AUSFLÜGE UND ESSEN ZUSAMMEN.

von chrIstIan maUtner-ma rKhof

„Ali Reza ist ein Wiffzack!“

S

Page 72: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201372

www.roteskreuz.at/migrationscharta

Zuwanderung steuern!Integration braucht Steuerung. Die Einführung der Rot-Weiß-Rot-Card war ein wichtiger Schritt in Richtung gesteuerte Zuwanderung. Damit sie ihre volle Wirkung entfalten kann, sollen die österreichischen Außenhandels-stellen und ähnliche Einrichtungen im Ausland verstärkt um Zuwanderer werben. In Österreich sind zu ihrer Betreuung als „One-Stop-Shops“ angelegte Welcome-Center einzurichten. Diese Maßnahmen sind durch einen Internet-Auftritt Österreichs nach dem Vorbild Kanadas und Australiens zu ergänzen. Die Teilnahme Österreichs am Resettlement für besonders schutzbedürftige aner-kannte Flüchtlinge im Rahmen des gemeinsamen EU-Resettlement-Programms ist notwendig und soll rasch umgesetzt werden.

Art. 10 der Migrations- und Integrationscharta des Österreichischen Roten Kreuzes

10

Page 73: Henri. Das Magazin, das fehlt

Mein Rotes Kreuz

Als ich 1992 von Bosnien nach Österreich gekommen bin, habe ich viel Hilfe bekommen. Heute bin ich Österreich sehr dankbar,

dass ich hier eine neue Heimat gefunden habe. Ich lebe mit meinem Sohn in Perg, einer kleinen Stadt, in der ich mich sehr wohlfühle. Nachdem das Rote Kreuz den Sozialmarkt eröffnet hat, bin ich dem Aufruf zur Mitarbeit gerne gefolgt. Zuerst war ich skeptisch, ob das Rote Kreuz mich überhaupt nehmen wird. Aber ich bin gleich mit

offenen Armen aufgenommen worden, und das hat mir gutgetan. Jetzt kann ich auch einen Beitrag zum Gelingen der Gesellschaft leis-ten und meine Dankbarkeit beweisen. Beim Sozialmarkt sind wir rund 90 Freiwillige. Hier konnte ich neue Freunde finden. Die Arbeit gefällt mir und fordert mich. Das Rote Kreuz ist wie meine zweite Familie. Es haben sich sehr gute Freundschaften entwickelt. Immer wenn es notwendig ist, helfen mir die Kollegen und ich bin auch für sie jederzeit da. Für mich geht’s bei der freiwilligen Arbeit nicht nur um Leistung und Hilfe, sondern ich bekomme auch vieles zurück.

Freiwillige Stunden von Fehrija Ramic: 2012: 432; 2011: 454; 2010: 402

NAMe Fehrija Ramic

ALTeR 53

MeIN RoTeS KReUZ GSD-Mitarbeiterin, Freiwillige im Sozialmarkt Perg

IM RoTeN KReUZ SeI T 2009

LANDeSVeRbAND/DIeNSTSTeLLe Oberösterreich, Perg

7316|2013

„Ich möchte einen Beitrag leisten“

Page 74: Henri. Das Magazin, das fehlt

100.000

80.000

60.000

40.000

20.000

0

-20.000

-40.000196

1196

4196

6196

8197

0197

2197

4197

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8198

0198

2198

4198

6198

8199

0199

4199

6199

82000

20022004

20062008

2011

Stat

us

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as ist ein Zuwanderungs-land? Eine gängige Defi-

nition lautet: ein Land, in das über einen längeren Zeitraum mehr Men-schen zu- als abwandern. Für Öster-reich ist das seit dem Beginn der 1960er-Jahre der Fall.

Die Art der Zuwanderung hat sich in jüngster Zeit stark verändert. Erster Faktor dafür ist Österreichs Mitglied-schaft in der EU. EU-Bürger dürfen in jedem anderen Land der Union arbeiten und wohnen. Die größte Zuwanderergruppe aus der EU in Öster-

reich sind die Deutschen, gefolgt von den Rumänen.

Zweiter Faktor: Seit 2012 hat Österreich wieder eine arbeitsmarktbezogene Poli-tik der Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern. Es gelten nicht mehr „Quoten“ (also eine bestimmte Anzahl an Zuwanderern), sondern Kri-terien: Um eine „Rot-Weiß-Rot-Card“ zu erhalten, also in Österreich leben und ar-beiten zu dürfen, müssen Zu wanderer bestimmte Qua-lifikationen und Sprach-kenntnisse mitbringen.

Ein dritter Faktor ist die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Strahlkraft der österreichischen Wirtschaft reicht bis in die krisengeschüttelten Länder Süd-europas und nach Irland. Die Statistik Austria schätzt, dass sich die Zahl der Zuwanderer aus Griechenland, Spanien, Portugal und Irland im Jahr 2011 von 1400 auf 2800 verdoppelt hat.

Für den Bevölkerungsforscher Rainer Münz ist das noch nicht das Ende vom Lied. „Im Schnitt reift die Ent-scheidung fürs Auswandern zwei bis drei Jahre“, sagt

er. „Dann beginnen die Leute die Spra-che zu lernen, weil sie ohne sie gar nicht arbeiten können.“ Tatsächlich re-gistrieren Sprachinstitute im Ausland neuerdings eine höhere Nachfrage nach Deutschkursen.

Vor allem junge Uni-Abgänger sehen ihre Zukunft im Ausland. „Wir reden hier nicht von Putzfrauen, sondern von Ärzten, Krankenschwestern, Rechtsan-wälten und Staatsbeamten“, sagt Rai-

ner Münz. „Die wollen etwas tun, das ihrer Qualifikati-on entspricht.“ Was gut für die Aufnahmegesellschaf-

ten ist, löst in den Herkunftsländern Sorge aus. Dass Spanien die gut ausgebildeten Jungen abhandenkom-men, bezeichnet die spanische Arbeitsministerin als

„fuga de cerebros“ – „Flucht der Gehirne“. In den letz-ten Jahren haben zwischen 100.000 und 400.000 Hoch-schulabsolventen Spanien verlassen.

Robert Dempfer ist Leiter der Stabsstelle Gesellschaftspolitik im Österreichischen Roten Kreuz.

Seit 50 Jahren wandern in Österreich mehr Menschen zu als ab

Zuwanderung

W

nettozuwanderung nach Österreich (Zuzüge minus Wegzüge), 1961–2011

Quelle: Statistik Austria, BMI

Robert Dempfer

Page 75: Henri. Das Magazin, das fehlt

7516|2013

Ö sterreich fehlen 50.000 Fachkräfte, sagt die Wirtschaft. Mithilfe der „Rot-Weiß-Rot-Card“ (RWR-Card) sollen qualifizierte Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten ins Land kommen. Die Karte mar-

kiert einen Paradigmenwechsel in der Zuwanderungspolitik: Bis 2012 durfte jährlich eine bestimmte Anzahl an Zu-wanderern aus Nicht-EU-Ländern nach Österreich kommen. Seit 2012 wird da-rauf geachtet, welche Qualifikationen sie mitbringen. Was an der RWR-Card nachgebessert gehört, weiß Univ.-Prof. Dr. Christian Friesl, Bereichs-leiter Gesellschaftspolitik in der Bundesorganisation der Industriellenvereinigung (IV).

henri: Herr Dr. Friesl, ist Österreich ein Zuwanderungs-land?

CHRIStIAn FRIeSL: Österreich hat sich in den ver-gangenen fünfzig Jahren vom Aus- zum Einwande-rungsland entwickelt. Das hat viel mit Arbeitsmigrati-on zu tun, aber auch mit den politischen Veränderun-gen bei unseren südlichen und östlichen Nachbarn.

Wird das in Zukunft so bleiben?

Ja. Wir brauchen ein vernünftiges Maß an Immigration für Wirtschaft und Gesellschaft, für Innovation und Kreativität, für kulturellen und materiellen Wohlstand.

Die Rot-Weiß-Rot-Card ersetzt für Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten Quoten durch Kriterien. Ist das sinnvoll?

Ja, wir – und im Übrigen auch das Rote Kreuz – haben uns aus wirtschafts- und aus gesell-schaftspolitischen Gründen dafür stark-gemacht. Das neue System berücksich-tigt besser, welche Qualifikationen in Österreich gebraucht werden. Damit sind potenzielle Zuwanderer darüber informiert, was von ihnen erwartet wird,

und können ihre Chancen einschätzen.

Das Modell orientiert sich nicht mehr an der Anzahl der Zuwanderer ...

... genau, sondern am Arbeitsmarkt und an konkreten Menschen mit ihren Qualifikationen. Für die Bevölke-rung bringt das System Klarheit und Transparenz da-hingehend, wer warum nach Österreich zuwandern darf.

Im Jahr 2012 sind statt der erwarteten 8000 Zuwande-rer über die RWR-Card nur 1500 gekommen. Was ist da schiefgelaufen?

Ich weiß nicht, wer die 8000 Personen als Ziel formu-liert hat, wir waren es nicht. Ein Systemwechsel braucht Zeit. Wir rechnen mittelfristig mit 5000 Zuwanderern pro Jahr über diese Schiene. Dieses Ziel ist erreichbar,

„Nicht jeder muss Deutsch können“

EU-Bürger dürfen in Österreich leben und arbeiten. Die „Rot-Weiß-Rot-Card“ soll auch qualifizierte Zuwanderer aus Drittstaaten anlocken.

IntervIew: robert Dempfer

„Deutschkurse sind die größten Hürden für Drittstaatsangehörige“

Page 76: Henri. Das Magazin, das fehlt

Wie die „Rot-Weiß-Rot-Card“ funktioniert

Spitzenkräfte

Definition

Arbeitsmarkt-bezogene Kriterien

Grund-sätzliches

Mangelberufe „Ersatzkraftverfahren“

Besonders hoch qualifizierte Zuwanderer, Manager, Forscher etc.

Keine

Familiennachzug sofort nach Arbeitsaufnahme

seit Mai 2011 möglich seit Mai 2012 möglich

keine Quote

Familiennachzug 3 Monatenach Arbeitsaufnahme

Arbeitskräfte in Berufen, an denen hoher Bedarf besteht

Mangelberufe werden perVerordnung festgelegt

Am österr. Arbeitsmarktkann keine Ersatzkraftgefunden werden

Ersatzkraftverfahren mussdurchgeführt werden

Arbeitsplatzangebot muss vorliegen

Bestimmter Mindestverdienst, um Lohndumpingzu vermeiden

Säule 1Säule 2

Säule 3

16|201376

es braucht aber Reformen. Die RWR-Card selbst muss einfacher und schneller werden. Darüber hinaus braucht es die Einbettung in eine Zuwanderungsstra-tegie, welche die qualitative und quantitative Ausrich-tung der Zuwanderung steuert: Welche Personen sol-len kommen? Mit welchen Qualifikationen? Woher? Was bieten wir ihnen? Wie binden wir die Bevölkerung ein? Ein solches Konzept ist noch zu entwerfen und zu kommunizieren.

Ist die RWR-Card nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Das Ersatzkraftverfahren und die Verordnung bei den Man-gelberufen gibt es ja immer noch.

Jetzt geht es um Menschen und nicht um Quoten. Das Ersatzkraftverfahren war eine Bedingung der Arbeit-

nehmerseite. Zu deren Job gehört es, sich um die Ar-beitsmöglichkeiten jener zu kümmern, die schon in Österreich sind. Die RWR-Card und das 3-Säulen-Mo-dell sind aber auf jeden Fall eine wesentliche Neuerung und in Europa einzigartig.

Wer eine RWR-Card will, muss brutto 2.000 Euro verdie-nen. Das ist viel.

Das sehen wir im Bereich der Studienabsolventen so. Für sie ist es schwierig, innerhalb kürzester Zeit ein entsprechendes Jobangebot nachweisen zu können. Daher sollten sowohl die Bezugsgrenze als auch die sechsmonatige Frist für die Jobsuche flexibler werden.

Der Bachelor wird bei der RWR-Card nicht als akade-mischer Abschluss gewertet. Sollte sich das nicht ändern?

An den österreichischen Hochschulen etabliert sich zunehmend das Bologna-Studiensystem, in dem das

Bachelor-Studium ein vollwertiger akademischer Ab-schluss ist. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum Absolventen dieser Studienform nicht in die Systematik

der RWR-Card aufgenommen werden. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen.

Wer zuwandern will, muss Deutsch können. Muss man Top-Wissenschaftler mit Deutschkursen quälen?

Es ist sicher hilfreich, wenn Zuwanderer bereits eini-germaßen Deutsch können, wenn sie nach Öster-reich kommen. Wir wissen aber auch, dass die Rege-lung eine der größten Hürden für Drittstaatsangehö-rige ist. Und wir müssen aufpassen, dass wir das Thema „Deutsch lernen“ nicht zu sehr dogmatisie-ren. Nicht jeder muss Deutsch können. Deshalb sind Ausnahmen für manche Gruppen sinnvoll.

Was muss noch geschehen? Eine bessere Bewerbung Österreichs im Ausland?

Ja. Talente sollen den österreichischen Standort auf dem globalen Innovationsatlas wahrnehmen und

Österreich für ihr Arbeitsleben in Betracht ziehen. Da-für braucht es eine intensivere Informationspolitik in für Österreich besonders interessanten Regionen. Die Frage, aus welchen Märkten wir zukünftig Arbeitskräf-te, Experten und Fachkräfte gewinnen, wird immer wichtiger. Auch das soll eine Zuwanderungsstrategie klären. Wir müssen daran arbeiten, im Ausland als Zuwanderungsland wahrgenommen zu werden.

Hat sich die österreichische Willkommens-Kultur gegen-über Zuwanderern in den letzten Jahren verbessert?

In den vergangenen beiden Jahren hat sich bemerkens-wert viel Positives getan, auch durch die Arbeit von Staatssekretär Sebastian Kurz. Allerdings wissen wir, dass die Österreicher gegenüber vielem skeptisch sind, was mit Fremdem und Fremden zu tun hat. Hier an Offenheit zu gewinnen und internationaler zu werden, das bleibt eine wichtige Aufgabe.

Quelle: APA, Sozialpartner

„Die Rot-Weiß- Rot-Card muss einfacher und

schneller werden“

Page 77: Henri. Das Magazin, das fehlt

7716|2013

O ktober 2012, Austria Presse Agentur (APA): „Der Oktobermorgen markiert den Neuan-fang für die Flüchtlinge aus dem Irak: 15 von ihnen sind in Wien-Schwechat ange-kommen. Sie gehören zu Flüchtlingen un-

ter besonderem Schutz der Vereinten Nationen. Gemäß dem von der Landeshauptleute-Konferenz

angenommenen Ansiedlungsprogramm ,Resettlement‘ sollen sie in Österreich eine neue Heimat finden‘, sagte Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Die Innenministerin empfing die Neuankömmlinge gemeinsam mit der National ratsabgeordneten Alev Korun (Grüne) und mit Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP).

Die Flüchtlinge gehören zu insgesamt 90 Schutz-suchenden, die in Österreich bis zum Jahr 2014 ein neues Zuhause finden werden. Die vier Familien wer-den nach Vorarlberg, Salzburg, Kärnten und in das Burgenland ziehen ...“ Wirklich?

15 Länder sind dabeiDie Meldung stimmt. Nur Ort und Namen nicht. Die Flüchtlinge waren in Hannover angekommen und wur-den vom Bundesinnenminister, vom niedersächsischen Innenminister (beide CDU) sowie von der grünen Inte-grationsministerin empfangen. Leben werden sie in den Bundesländern Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Auch das Resettlement-Programm des UN-

Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) gibt es. Es ist für Flüchtlinge in besonderen Notlagen gedacht, die nicht mehr in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Sie müssen bereits im Erstzufluchtsstaat als Flücht-linge anerkannt sein und dort nicht dauerhaft bleiben können. Zusätzlich muss besondere Schutzbedürftig-keit vorliegen. Von dem Staat, in dem sie Zuflucht ge-funden haben, reisen sie dann in einen anderen weiter, der ihrer dauerhaften Niederlassung zugestimmt hat.

Heuer werden 181.000 Flüchtlinge – weniger als 2 % der globalen Flüchtlingsbevölkerung – einen Ansied-lungsplatz benötigen. Weltweit stehen 86.000 Plätze pro Jahr zur Verfügung, hauptsächlich in den USA, in Kanada und in Australien.

In der EU findet das Programm in 15 Ländern statt, darunter in Schweden, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Deutschland und den Niederlanden. In Öster-reich gibt es zurzeit kein Resettlement-Programm.

Majida aus MainzDie EU möchte Flüchtlinge in Europa ansiedeln. Viele Mitgliedsstaaten – darunter Österreich – machen nicht mit.

von robert Dempfer

Weltweit gibt es jährlich 86.000 Resettlement-Plätze, 181.000 würden benötigt

neustart in Deutschland: Resettlement-Flüchtlinge aus dem Irak

Page 78: Henri. Das Magazin, das fehlt

20022003

20042005

20062007

2008 20092010 2011 2012

40.000

35.000

30.000

25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

0

16|201378

„Während die USA im Jahr 2011 rund 43.000 Resettle-ment-Flüchtlingen Niederlassung gewährt haben, gab es in der gesamten EU nur 4000 Plätze“, sagt Diana Karabinova von der Abteilung für Migration des ÖRK. In Anbetracht der ressourcenreichen EU sieht sie auch ein Miss verhältnis zu ärmeren Ländern: „Die Ent wick-lungs länder übernehmen vier Fünftel aller Flüchtlinge, die unter das Mandat von UNHCR fallen“, weiß die Expertin. „Nur ein kleiner Teil kommt nach Europa.“

So wie eine irakische und eine eritreische Familie, die in den deutschen Städten Beuern und Gießen eine neue Heimat finden. Im September 2010 beschloss die

Stadtverord-netenversammlung, die Flüchtlin ge „aufzuneh-men und best möglich zu integrie-ren“. Mehr als 100 Bürger beider Städte helfen den Neuankömmlingen als Paten bei Formali-täten und im Alltag. Hilfsorganisationen kümmern sich ebenfalls um die Integration der Verfolgten.

Eine Stadt sagt jaAuch Majida, ihr Mann Atheer und ihre drei Kinder aus dem Irak fühlen sich wieder sicher. Sie sind die erste Familie, die in Mainz im Zuge des Resettle-ment-Programms Zuflucht gefunden hat.

Seit 2008 haben sich in ganz Deutschland lokale Initiativen, NGOs und Einzelpersonen unter dem Motto „Save me – eine Stadt sagt ja“ für die Aufnah-me von Flüchtlingen über das Resettlement-Pro-

gramm eingesetzt. Die Kampagne überzeugte mehr als 50 Städte (www.save-me-kampagne.de).

Weniger AsylanträgeEinen solchen Neuanfang für Flüchtlinge soll es in Österreich erst geben, wenn die Zahl der Asylanträge sinkt, verlautet es aus dem Innenministerium (BMI).

Seit 2002 wurden in Österreich 215.000 Asylanträge gestellt, rund 50.000 davon – das sind 23 % – wurden positiv beschieden. Österreich liege bei der Pro-Kopf-Belas tung an vierter Stelle unter den 27 EU-Mitglie-dern und leiste damit „auch proportional einen wesentlichen und hohen Anteil am internationalen Flüchtlingsschutz“, so das BMI. „Sollte es in nächster Zeit zu einer nachhaltigen Reduktion der Asylanträge

kommen, sodass die Zahl sich dem EU-Durchschnitt annähert, kann es zu einer Neubewertung der Situation hinsichtlich

der Teilnahme an Resettlement-Aktivitäten kommen.“

FluchtErstzufluchtsland

gemeinsame Resettlement Strategie Lobbying

für Resettlement

Vorbereitung AufnahmegemeindenMobilisierung Zivilgesellschaft

Identifizierung für Resettlement

Auswahl der Resettlementflüchtlinge

Vorbereitung der Reise

Ankunft in Österreich Erstbetreuungsphase

Integration in Aufnahmegemeinden

Wer dafür ist Die ARGE Resettlement Österreich Die EU nimmt am Resettlement-Programm des UN-Flüchtlingshoch-kommissariats teil, aber nur wenige Mitgliedsstaaten machen mit. Die ARGE Resettlement Österreich (UNHCR, Rotes Kreuz, Diakonie, Caritas, IOM) möchte das ändern. Sie erarbeitet Vorschläge für die Umsetzung eines Resettlement-Programms und setzt sich für die Durchführung von Resettlement in Österreich ein. Kontakt: [email protected] Folder: www.roteskreuz.at/resettlement-folder

Quelle: BMI

Asylanträge gesamt und positiv erledigte Anträge

Kein Bild aus Österreich: Resettlement erst bei weniger Asylanträgen

Page 79: Henri. Das Magazin, das fehlt

7916|2013

D as Recht, Asyl in Anspruch zu nehmen, ist in der gesamten EU verbrieft. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten, in ein EU-Land einzureisen, um dort um Asyl anzusuchen, immer stärker reduziert. Zwar gelten in

der Union Mindeststandards im Verfah-ren für Asylwerber. Doch die Asylgesetz-gebungsmacht ist bei den National-staaten angesiedelt, und die üben sie völlig unterschiedlich aus.

Dr. Bernhard Schneider, Leiter des Be-reichs Recht und Migration im Österrei-chischen Roten Kreuz, und Mag. Ste-phan Kanhäuser, Richter am Asylgerichtshof, über die Asylpraxis in der EU und die fehlende Möglichkeit für Asylwerber, legal nach Österreich einzureisen.

henri: Wie sieht es in Österreich mit dem Asylwesen aus? Werden die Hindernisse für Flüchtlinge immer höher?

StePHAn KAnHäuSeR: Die Zahl der Anträge ist steigend. Allerdings hat der Zugang zum Asylsystem

oder zum Antrag auf internationalen Schutz nichts mit der legalen oder illegalen Einreise zu tun. Die Grenz-sicherung des Schengen-Raums ist eine politische An-gelegenheit. Rechtlich gilt: Wie auch immer Sie nach Österreich kommen, mit oder ohne Visum, legal oder

illegal über Schlepper – das grundsätz-liche Recht, um Asyl zu werben, bleibt davon unberührt. BeRnHARD SCHneIDeR: Auch wenn das rechtlich zutrifft, gibt es in Europa Staaten, wo es für die Gewährung von Asyl einen Unterschied macht, ob Sie le-gal oder illegal eingereist sind. Öster-

reich liegt da im Mittelfeld, es hat sozusagen eines der besseren Systeme. Dennoch machen wir es den Men-schen so schwer wie möglich, nach Österreich zu kom-men. Früher konnte man in seinem Heimatland in der österreichischen Botschaft um Asyl ansuchen. Das hat zwar nicht sehr gut funktioniert, aber die Möglichkeit bestand. Derzeit sehen wir, dass eine Einreise auf le-galem Weg praktisch ausgeschlossen ist, wenn man

Das Recht auf AsylÖsterreich steht zum Recht auf Asyl. Doch diesen Schutz vor Verfolgung überhaupt in Anspruch zu nehmen wird für Flüchtlinge immer schwieriger. Was sagen ein Asylrichter und ein Rotkreuz-Experte dazu?

moDer atIon: robert Dempfer

„Wie auch immer man nach Österreich kommt,

legal oder illegal, das Asylrecht bleibt davon

unberührt“Stephan Kanhäuser

Page 80: Henri. Das Magazin, das fehlt

16|201380

nicht nachweisen kann, dass man vermögend ist und auf jeden Fall wieder zurückreisen wird.

Österreich steht also zum Recht auf Asyl, will es aber niemandem einräumen?

SCHneIDeR: Wir geben den potenziellen Asylwer-bern formal das Recht, aber wir hindern sie daran, es einzufordern.KAnHäuSeR: Wie kann man denn legal nach Öster-reich einreisen? Dafür brauchen Sie Visum, Antrag, Fa-milienzusammenführung, Vermögensnachweis etc. Von einer Person, die wirklich auf der Flucht ist und Schutz in Österreich sucht, kann ich das ja gar nicht verlangen. Wenn eine tatsächliche Bedrohung im Her-kunftsland vorliegt, ist dieser Verwaltungsaufwand für diese Person gar nicht zu schaffen. Ähnliches gilt für ei-nen Antrag im Ausland: Ich kann mir schwer vorstellen, dass ein Tschetschene von der Russischen Föderation aus um Asyl in Österreich im Wege der Botschaft an-sucht. Ich bin im Gegenteil froh, dass in Österreich die Asylbehörden mittlerweile qualitativ gut arbeiten.

Was genau macht Sie an der Behördenarbeit froh?

KAnHäuSeR: Aus meiner Sicht wurde die Qualität der Vollziehung seit 2008 stark verbessert. Wir haben bessere Begründungen, wir haben insgesamt qualita-tiv bessere Bescheide, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Instanz. Wir werden dafür auch vom UNHCR immer wieder gelobt. Ich sehe manchmal Ent-

scheidungen anderer Staaten, ich sehe die Judikatur des EuGH, und ich sehe hier eine härtere Vorgangswei-se als bei uns. Ich sehe menschenunwürdiges Warten auf Entscheidungen und viel weniger Integrationsmög-lichkeiten für Asylwerber in anderen Staaten.SCHneIDeR: Derzeit versuchen alle notgedrungen, illegal einzureisen, und werden dafür staatlicherseits als Kriminelle abgestempelt.KAnHäuSeR: Es gibt eine legale Möglichkeit, die Fa-milienzusammenführung nach dem Dublin-Verfahren. SCHneIDeR: Das geht nur, wenn schon jemand aus der Familie legal in Österreich ist. Habe ich hier nie-manden, muss ich es illegal versuchen und brauche ei-nen Schlepper. Wen selektiere ich da? Die Verwund-barsten, die Schwächsten, die Kranken? Oder die, die Geld und Ressourcen und ein gutes Netzwerk haben? Unser Asylwesen macht es denen am schwersten, die

am dringendsten Asyl brauchen. Wir haben in Europa Menschen, die seit Jahren in Flüchtlings-lagern sitzen.

Was für einen Status haben diese Menschen?

SCHneIDeR: Sie haben vom UNHCR schon lange Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. Den erkennt Österreich zwar nicht an, aber kann man jemandem, der vom UNHCR geprüft wurde, nicht wenigstens das Recht geben, zu kommen und um Asyl anzusuchen?

Glossar UNHCR: United Nations High Commissioner For Refugees, Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen

Dublin-Verordnung: Regelt die Zuständigkeit für Asylverfahren in den 30 Dublin-Staaten (27 Mitgliedsländer der EU, Norwegen, Island und Schweiz). Für Asylverfahren ist jeweils das Dublin-Land zuständig, das ein Asylwerber zuerst betreten hat. Die Verordnung sieht vor, dass jedes Asylgesuch nur von einem Dublin-Staat behandelt wird. So soll vermieden werden, dass eine Person mehrere Asylgesuche in unterschied-lichen Dublin-Staaten einreicht.

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): Katalog von Grundrechten und Menschenrechten, über deren Umsetzung der Europäische Gerichtshof für Men-schenrechte in Straßburg wacht.

Genfer Flüchtlingskonvention (GfK): Das 1951 verabschiedete „Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen“ ist bis heute das wichtigste internationale Rechtsdokument zum Schutz von Flüchtlingen. Die Konvention legt fest, wer ein Flüchtling ist, welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte er von den Unter-zeichnerstaaten erhalten sollte.

„Wir machen es Menschen so schwierig

wie möglich, nach Österreich zu kommen“

Bernhard Schneider

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KAnHäuSeR: Wenn der UNHCR die Flüchtlings-eigenschaft einer Person feststellt, wird sie zwar nicht automatisch aner-kannt. Aber meistens gibt es dazu gute Papiere als Grundlage, die man berücksichtigen wird. Die Frage ist, in welchem Land der UNHCR das festgestellt hat. Wenn in diesem Land ein menschenwürdiges Leben im Sinne der Menschenrechtskonvention möglich ist, dann muss ein Asylantrag in Österreich nicht sein. SCHneIDeR: Und wenn das nicht der Fall wäre?KAnHäuSeR: Dann wäre die Politik am Zug, sie müsste es ermöglichen.SCHneIDeR: Dem Roten Kreuz fehlt auch ein Rechts-schutz für jemanden, der glaubt, dass ihm die Einreise zu Unrecht verweigert wurde. Wohin kann ich mich wenden, wenn ich zu Unrecht nicht einreisen darf?KAnHäuSeR: Wenn eine ausgesprochene Auswei-sung unrechtmäßig war, gibt es die Möglichkeit der legalen Wiedereinreise, allerdings erst nach einem abgeschlossenen Verfahren. Wenn gar kein Verfahren offen ist, kann ich mir das kaum vorstellen.SCHneIDeR: Es wäre aber sehr notwendig. Ohne Rechtsschutz ist man dem Goodwill der Staaten völlig ausgeliefert. Von einem Recht auf Asyl kann man dann eigentlich nicht mehr sprechen. Ich sehe das aber auch als gesamteuropäisches Problem.KAnHäuSeR: Steht das Rote Kreuz für ein einheit-liches europäisches Asylrecht und für eine Behörde?SCHneIDeR: Ein einheitliches europäisches Asyl-system wird es erst geben, wenn es nicht nur EU-Richt-linien gibt, sondern eine zentrale entscheidungsbe-fugte Instanz. Wir sehen den Bedarf, die Asylfrage ein-heitlich zu regeln. Allerdings so, dass es das Recht auf Asyl wirklich gibt. Und dass jemand, dem der Zugang dazu verweigert wird, der also daran gehindert wird, einen Asylantrag zu stellen, entschädigt wird.

In den letzten Jahren ist zunehmend von Umweltflücht-lingen die Rede. Ein Asylgrund der Zukunft?

KAnHäuSeR: Das kann ich mir nicht vorstellen. Möglicherweise wird das ein Teil der Menschenrechts-konvention, wenn in Ländern wirklich das Leben men-schenunwürdig ist. Aber für Asyl muss die Person un-mittelbar mit dem Tod bedroht sein. Der Klimawandel, die Ausbeutung der Kontinente sind meines Erachtens kein Thema für die Flüchtlingskonvention.SCHneIDeR: Ich denke, dass sich die Fluchtgründe in Zukunft ändern werden. In Schweden ist das etwa bereits der Fall. Aber dazu gibt es noch keinen allge-meinen Konsens. Derzeit wünscht sich das Rote Kreuz, dass die geltende Rechtslage korrekt umgesetzt wird und dass jeder Mensch, der sich darum bemüht, den

ihm zustehenden Zugang zu einem Asylver-fahren bekommt.

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„Der Klimawandel ist kein Thema für die

Flüchtlingskonvention“Stephan Kanhäuser

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14 Der Preis des Alter(n)sVom Umgang mit Älteren und Pflegebe-dürftigen: Was sich in Österreich ändern muss und wie wir ein lebenswertes Leben bis zum Ende finanzieren können.

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15 Junge WünscheKinder brauchen mehr als nur Rechte! Die Kindercharta und die Jugendcharta des Österreichischen Jugendrotkreuzes: 20 Punkte, die uns wichtig sind.

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13 Leitbild„Wir sind da, um zu helfen.“ Das Leitbild des Österreichischen Roten Kreuzes in Reportagen, Diskussionen und aus der persönlichen Sicht der Mitarbeiter.

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12 Das Recht auf humanitäre HilfeInternationale Hilfe ist eine Verantwortung und eine Investition. Beispiele aus aller Welt zum Engagement des Österreichi-schen Roten Kreuzes.

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Die Missgunst der AltenSozialdienst für Junge und Alte?

25.000 Jugendliche pflegenFrauen: Warum früher in Pension?

Oma & Opa werden „babyfit“Im Alter am Abgrund: Gastarbeiter

Christa & Gerti, Freiwillige im HospizSenioren-WG: Zusammen ist man weniger allein

IntervIeWS: Konrad Paul Liessmann, Klaus Malle, Fredy Mayer, Wolfgang R. Mayr, Birgit Meinhard-Schiebel, Katharina Pils, Richard David Precht, Josef Wöss

Ausgabe 14| 2012

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Der Preis des Alter(n)s

Ausgabe 15| 2013

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p Wie viel Computer braucht das Kind? p Mehrsprachigkeit: Generation Deutsch plus p Verkehr: Der erste Schulweg p Die kindliche Arbeitswoche p Facebook: Digitale Nachbarn p „Fehler sind Rohstoffe!“ p ProjektXchange p jugendservice p Letzter Ausweg jugendheim p Dilemmageschichte

INTERVIEWS: Andrea Gerstenberger Christina Hager • Philipp Ikrath • Belinda Mikosz • Bettina Weidinger • Manfred Zentner

Junge Wünsche

www.jugendrotkreuz.at/kindercharta

das sagt

die Jugend!

Die Kindercharta und die jugendcharta des Österreichischen jugendrotkreuzes

Starke Partner– starke Visionen

Vor über 75 Jahren entwickelte der japanische Wissenschaftler Dr. Minoru Shirota Yakult.

Seine Vision war es, die von ihm entdeck-ten Milchsäurebakterien (Lactobacillus casei Shirota) allen Menschen in einer einfachen, handlichen und preiswerten Form zugänglich zu machen. Auf dieser Basis entwickelte er das fermentierte Getränk Yakult, auf das Millionen Menschen weltweit seit über 75 Jahren vertrauen.

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Menschen zu dienen, die Yakult und das Österreichische Rote Kreuz verbindet. Yakult unterstützt das Rote Kreuz daher seit vielen Jahren bei gesellschaftlich relevanten Themen.

2012 fördert Yakult wieder ein Blutspende- projekt, um die österreichweite Versorgung aufrecht zu erhalten. Informieren Sie sich jetzt über die Blutspendezentralen des Roten Kreuzes in ganz Österreich, auf: www.roteskreuz.at

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So leben wir unser Leitbild: Reportagen aus den Bundesländern p Besondere Dienststellen:So bunt ist das Rote Kreuz pFührung: Begeisterung oder Frust? p Das Leitbild hat Zukunft: Neue Aufgaben, neue Leistungen p Mein Rotes Kreuz: Mitarbeiter über ihr Leitbild

INteRvIewS: Gerald Czech, Markus Jarnig, Werner Kerschbaum, Michael Opriesnig, Ruth Simsa, Susanne Widhalm

Ausgabe 13| 2012

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Helfertypen: Die Motive der NGOs p Helfen als Imagefrage: Die UnternehmenDie Spendenformel: Das Kalkül der Medien p Krieg auf Rechnung: Die privaten SöldnerHass auf die Helfer: Die Grenzen der Hilfe p Helfen zum Überleben: Die großen Einsätze

INtERvIEwS: Jonathan Benthall, Walter Feichtinger, Wolfgang Kopetzky, Peter Rabl, Werner Raza, Max Santner, Martina Schloffer, Peter Vitouch, Andreas Wigger

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HUMANITÄREDas Recht auf ...

... ist Verantwortung und Investition [nicht Mildtätigkeit und Erbarmen]

Back issueshenri zum Nachbestellen. Kostenlos, solange der Vorrat reicht. Kein Nachdruck.

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10 FremdIntegration: Die neuen Österreicher in der Schule, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft. Wer profitiert vom anderen, wer ist Nettozahler?

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11 PerspektivenWohlstand und Sozialstaat erhalten – geht das noch? Welche Maßnahmen sind dazu nötig? Und wie setzt das Rote Kreuz in ganz Europa sie um?

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7 Migration und IntegrationÖsterreich hat Angst vor Zuwanderern. Anderswo sind sie willkommen. henri 7 schlägt vor, wie Migration und Integration geplant und gesteuert werden können.

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8 Alle wollen. Alle nehmen. Wer gibt?Die vielen Gesichter der freiwilligen Hilfe. Menschen, die helfen, weil sie es für sich und andere tun. Die interessantesten Projekte aus ganz Österreich.

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9 Was wir sehen. Was wir tunHumanitäre Hilfe und Entwicklungs- zusammenarbeit, Armut und Klimawandel: Die neuen Wege der Rotkreuz-Bewegung.

Back Issues von henri kostenlos bestellen:

E-Mail: [email protected]

Tel.: 01/589 00-356henri online lesen: http://henri.roteskreuz.at

Ausgabe 10|2010

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Die neuen Österreicher 1 Integration: Wirtschaft prescht vor 1 Sprache: Getürktes Deutsch 1

Was ist los mit dem Islam? 1 Sind Zuwanderer Nettozahler? 1 Prostitution: 100 Euro nach

Bulgarien 1 Schule: Sparen statt Lernen 1 Frühstück in Südkärnten 1 Der Pilot in der Volksschule

INtErVIEWS: Carla Baghajati, Brigitta Busch, Christopher Caldwell, Heinz Fassmann, Wolfgang Kopetzky, Georg Kraft-Kinz, Svetlana Puljarevic, Ali Rahimi, Christoph Reinprecht

Ausgabe 8|2009

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Alle wollen. Alle nehmen. Wer gibt?

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1 Die Krise der Zivilgesellschaft 1 Biologie der Freiwilligkeit1 Die Zukunft der Rettung 1 Team Österreich – Kufstein kostenlos – Corporate Volunteering 1 InTeRVIews: Fredy Mayer – Ruth simsa – Christoph Redelsteiner 1 Blut: sicherheit durch Freiwilligkeit 1 schüler als sanitäter in Bad Ischl 1 Land Rover Challenge

FReIwILLIge hILFe – DeR MoToR unseRes ZusaMMenLeBens

Ausgabe 9|2010

Was wir tun

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Was wir sehen

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Die Welt der Uhrmenschen

Die Bluthunde der Geschichte

Diversity: Frauen im Krieg

IntervIeWs: Yves Daccord thomas Gebauer Wolfgang Kopetzky ralf Leonhard Dirk Messner Peter niggli Max santner Michael spindelegger

Armut und Klimawandel

Humanitarian Diplomacy

eZA: Österreich zahlt zu wenig

Das Geld der Migranten

HUMAnItäre HILFe UnD entWIcKLUnGsZUsAMMenArBeIt

MICHAeL ACHLeItneR, 39, Journalist in Wien

tHoMAS AIStLeItneR, 48, Journalist in Wien

WALteR DASeR, 67, Migrationsbeauftragter des Roten Kreuzes Tirol

RoBeRt DeMPFeR, 46, Leiter der Stabsstelle Gesellschafts-politik im Österreichischen Roten Kreuz, Chefredakteur von henri

nIno DuIt, 19, Journalist und Zivildienstleistender im Generalsekretariat des ÖRK

uRSuLA FRAISL, 44, Mitarbeiterin im Bereich Marketing und Kommunikation im Österreichischen Roten Kreuz

CHRIStIAne GAAR, 27, Migrationsbeauftragte im Roten Kreuz Niederösterreich

PetRA GRIeSSneR, 33, Mitarbeiterin im Bereich Marketing und Kommunikation im Generalsekretariat des ÖRK

PAuL HAFneR, 21, Student der Publizistik in Wien

CHRIStIAn HRuBeS, 35, Bereich Migration im Roten Kreuz Oberösterreich, Bezirksstelle Steyr, Leiter der Flüchtlingsunterkunft

DIAnA KARABInovA, 43, Mitarbeiterin im Bereich Migration im Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes

SonjA KeLLneR, 43, Pressesprecherin des Roten Kreuzes Niederösterreich

KARIn PLoDeR, 43, Migrationsbeauftragte des Roten Kreuzes Steiermark

KARIn PoIntneR, 28, Projektassistentin Freiwilligkeit beim Roten Kreuz Wien

nICoLe RennHoFeR, 32, Journalistin in Wien

MIRjAM RIeneR, 24, Sozialarbeiterin, Abteilung Migration des Roten Kreuzes Steiermark

... und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Österreichischen Jugendrotkreuzes und des Österreichischen Roten Kreuzes aus allen Bundesländern. Danke für euer Engagement!

autoren dieser ausgabe

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Weltweit gibt es 200 Millionen Migranten, die ihr Heimatland verlassen. 130 Millionen ziehen von einem Entwicklungsland in ein anderes.

70 Millionen ziehen von einem Entwicklungsland in ein entwickeltes Land.

Die Staaten der Welt leisten jährlich Entwicklungshilfe für 100 Milliarden US-Dollar. Migranten überweisen pro Jahr 400 Milliarden US-Dollar an ihre zu Hause gebliebenen Familien („Remittances“).

1,569 Millionen Menschen in Österreich haben Migrationshintergrund – das ist jeder Fünfte. Jeder dritte Migrant ist in Österreich geboren.

35,5 % der Wienerinnen und Wiener haben Migrationshintergrund.

523.000 Migranten stammen aus einem anderen EU Staat, 512.000 haben exjugoslawische Wurzeln, 282.000 Migranten türkische.

Von 1961 bis 2011 hat die Einwohnerzahl Österreichs durch Zuwanderung um 904.000 Personen zugenommen.

In Österreich lebende Migranten überweisen jährlich 780 Millionen Euro in ihre Heimatländer.

42 Jahre alt ist der Durchschnittsösterreicher, ausländische Staatsangehörige sind im Schnitt 35 Jahre alt.

Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Erwerbspersonen sofort sinken. 2030 wären es mit 4.230.000 Personen um eine Million oder 18 % weniger als heute.

Österreicherinnen bekommen im Durchschnitt 1,3 Kinder. Türkischstämmige Frauen in Österreich bekommen im Schnitt zwei Kinder.

58 % der 4½- bis 5½-jährigen Kinder mit nicht deutscher Erstsprache benötigen sprachliche Fördermaßnahmen. 10 % der 4½- bis 5½-jährigen deutschsprachigen Kinder haben kein altersgemäßes Sprachniveau.

Langzeitarbeitslosigkeit ist bei ausländischen Staatsangehörigen geringer als bei Österreichern (1,1 % gegenüber 2,2 %).

Allein in Wien arbeiten 53.000 Menschen mit Migrationshintergrund im Gesundheitsbereich:

6300 Ärztinnen und Ärzte und 16.300 Personen in der Pflege und Betreuung.

Drei Sprachen sprechen Zuwanderer im Durchschnitt, 40 % von ihnen sogar vier oder fünf.

Bewegte Welt

Quellen: Statistik Austria, Arbeiterkammer, BMUKK, BMI, Staatssekretariat für Integration

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Yakult und das Rote Kreuz –eine starke Partnerschaft.

Vor über 75 Jahren entdeckte der Wissenschaf-ter Dr. Shirota die später nach ihm benannten Lactobacillus casei Shirota Milchsäurebakterien. Seine Vision war es, diese Milchsäurebakterien in Form eines erfrischend und fruchtig schmecken-den Drinks zugänglich zu machen. Yakult passt zu einem aktiven Lebensstil.

Yakult. Jeder Tag, ein guter Tag.

Es ist die Philosophie, dem Wohlergehen der Menschen zu dienen, die Yakult und das Rote Kreuz verbindet. Yakult unterstützt das Rote Kreuz daher seit vielen Jahren bei gesellschaft-lich relevanten Themen. Auch 2013 fördert Yakult wieder ein Blutspendeprojekt, um die österreichweite Versorgung aufrecht zu erhalten.

Als Dankeschön und kleine Erfrischung erhalten Sie nach einer Blutspende gratis ein Fläschchen Yakult.