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ZUR Zeitschrift für Umweltrecht Das Forum für Umwelt- und Planungsrecht Aus dem Inhalt Aufsätze Wolfgang Kahl/Klaus Ferdinand Gärditz Das Grundrecht der Eigentumsfreiheit vor den Herausforderungen des europäischen Naturschutzrechts 1 Michael Uechtritz Die Umweltprüfung in der Raumordnung 9 Michael Sauthoff Die Strategische Umweltprüfung im Straßenrecht 15 Katrin Vogt Die Anwendung artenschutzrechtlicher Bestimmungen in der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung 21 Rechtsprechung Geschwindigkeitsbeschränkungen zu Lärmschutzzwecken, OVG Münster 28 Mit einem Praxishinweis von Wolfram Sedlak 29 Ausweisung von FFH-Gebieten und kommunale Selbstverwaltung, VerfGH Rheinland-Pfalz 30 Satzungsmäßiges Verbot von Müllschleusen, VGH München 34 Festsetzung von Trinkwasserschutzgebieten aus Vorsorgegründen, VGH München 36 Straßenplanung – Schutz des biologischen Landbaus, Hochwasserschutz und Artenschutz, OVG Lüneburg 38 Gesetzgebung Malte Kohls/Moritz Reese/Peter Schütte Neueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht 50 Rechtsprechung in Leitsätzen, Buchrezension, Buchneuerscheinungen, Termine Herausgeber Verein für Umweltrecht e.V. in Verbindung mit: Prof. Dr. Martin Beckmann Siegfried Breier Prof. Dr. Matthias Dombert Dr. Günther-Michael Knopp Prof. Dr. Hans-Joachim Koch Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff Dr. Frank Petersen Dr. Renate Philipp Michael Sauthoff Prof. Dr. Reinhard Sparwasser Prof. Dr. Michael Uechtritz Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl Prof. Dr. Andreas Voßkuhle Prof. Dr. Gerd Winter 1/2006 Jahrgang 17 · Seiten 1– 56 · E 10882 Nomos Immissionsschutz Naturschutz Klimaschutz Bodenschutz Gentechnik Energiewirtschaft Abfallwirtschaft Gewässerschutz Chemikaliensicherheit

Herausgeber Aus dem Inhalt - zur.nomos.de · Politik für eine umweltverträgliche Landwirtschaft Raschke/Fisahn GESETZGEBUNG Neueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht Malte Kohls/Moritz

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ZURZeitschrift für Umweltrecht

Das Forum für Umwelt- und

Planungsrecht

Aus dem Inhalt

AufsätzeWolfgang Kahl/Klaus Ferdinand GärditzDas Grundrecht der Eigentumsfreiheit vor denHerausforderungen des europäischen Naturschutzrechts 1

Michael UechtritzDie Umweltprüfung in der Raumordnung 9

Michael SauthoffDie Strategische Umweltprüfung im Straßenrecht 15

Katrin VogtDie Anwendung artenschutzrechtlicher Bestimmungenin der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung 21

Rechtsprechung

Geschwindigkeitsbeschränkungen zuLärmschutzzwecken, OVG Münster 28Mit einem Praxishinweis von Wolfram Sedlak 29

Ausweisung von FFH-Gebieten und kommunaleSelbstverwaltung, VerfGH Rheinland-Pfalz 30

Satzungsmäßiges Verbot von Müllschleusen,VGH München 34

Festsetzung von Trinkwasserschutzgebieten ausVorsorgegründen, VGH München 36

Straßenplanung – Schutz des biologischen Landbaus,Hochwasserschutz und Artenschutz,OVG Lüneburg 38

Gesetzgebung

Malte Kohls/Moritz Reese/Peter SchütteNeueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht 50

Rechtsprechung in Leitsätzen, Buchrezension,Buchneuerscheinungen, Termine

Herausgeber

Verein für Umweltrecht e.V.

in Verbindung mit:Prof. Dr. Martin BeckmannSiegfried BreierProf. Dr. Matthias DombertDr. Günther-Michael KnoppProf. Dr. Hans-Joachim KochProf. Dr. Gertrude Lübbe-WolffDr. Frank PetersenDr. Renate PhilippMichael SauthoffProf. Dr. Reinhard SparwasserProf. Dr. Michael UechtritzProf. Dr. Ludger-Anselm VersteylProf. Dr. Andreas VoßkuhleProf. Dr. Gerd Winter

1/2006Jahrgang 17 · Seiten 1– 56 · E 10882

Nomos

Immissionsschutz Naturschutz Klimaschutz Bodenschutz GentechnikEnergiewirtschaft Abfallwirtschaft Gewässerschutz Chemikaliensicherheit

ZUR 1/2006 | I

AUFSÄTZEDas Grundrecht der Eigentumsfreiheitvor den Herausforderungen des europäischen NaturschutzrechtsWolfgang Kahl/Klaus Ferdinand Gärditz 1

Die Umweltprüfung in der Raumordnung – zur Umsetzung der Plan-UP-RichtlinieMichael Uechtritz 9

Die Strategische Umweltprüfung im StraßenrechtMichael Sauthoff 15

Die Anwendung artenschutzrechtlicherBestimmungen in der Fachplanung und der kommunalen BauleitplanungKatrin Vogt 21

RECHTSPRECHUNG

E OVG MünsterGeschwindigkeitsbeschränkungen zu LärmschutzzweckenUrteil vom 1. Juni 2005 – 8 A 2350/04 28

Mit einem Praxishinweis von Wolfram Sedlak 29

E VerfGH Rheinland-PfalzAusweisung von FFH-Gebieten undkommunale SelbstverwaltungUrteil vom 11. Juli 2005 – VGH N 25/04 30

E VGH MünchenSatzungsmäßiges Verbot von MüllschleusenUrteil vom 22. September 2005 – 20 N 05.1564 34

E VGH MünchenFestsetzung von Trinkwasserschutz-gebieten aus VorsorgegründenUrteil vom 15. September 2005 – 22 N 05.1126 36

E OVG LüneburgStraßenplanung – Schutz desbiologischen Landbaus, Hochwasser-schutz und ArtenschutzUrteil vom 1. September 2005 – 7 KS 220/02 38

E OVG LüneburgZur Anpassung bestehender Deponienan die AbfAblVUrteil vom 20. Juli 2005 – 7 KS 113/02 41

E OVG HamburgAirbus-ErweiterungUrteil vom 2. Juni 2005 – 2 Bf 345/02 44

E OVG MünsterKeine Reduzierung des Immissions-schutzes durch BauleitplanungBeschluss vom 1. September 2005 – 8 A 2810/03 48

Rechtsprechung in Leitsätzen 50

I N H A LT

SchriftleitungProf. Dr. Wolfgang Köck (V.i.S.d.P.)UFZ – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbHUniversität LeipzigDr. Moritz ReeseUniversität HamburgDr. Sabine SchlackeUniversität Rostock

Redaktionsadresse: Zeitschrift für Umweltrecht e.V. Langenstr. 34 c 28195 Bremen Tel. 0421/56 64 744Fax: 0421/56 64 745E-Mail: [email protected]

Redaktion:Prof. Dr. Christian CalliessUniversität GöttingenMarkus DetjenUniversität HamburgProf. Dr. Andreas FisahnUniversität BielefeldDr. Jochen GebauerBundesministerium für Umwelt,Naturschutz und ReaktorsicherheitDr. Harald GinzkyUmweltbundesamtCarola GlinskiUniversität BremenDr. Ekkehard HofmannUniversität HamburgDr. Malte KohlsRechtsanwalt, HamburgStefan Kopp-AssenmacherRechtsanwalt, BerlinDr. Susan KrohnSachverständigenrat für Umweltfragen, BerlinDr. Silke R. LaskowskiUniversität HamburgChristian Maaß, MdHBVorsitzender des Umweltausschussesder Hamburgischen Bürgerschaft,HamburgDr. Antje NäckelMinisterium für Landwirtschaft,Umwelt und ländliche Räume,Schleswig-HolsteinDr. Peter SchütteRechtsanwalt, BremenProf. Dr. Bernhard W. WegenerUniversität ErlangenDr. Guido WustlichBerater des Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheitDr. Cornelia ZiehmRechtsanwältin, Hamburg,Deutsche Umwelthilfe, Berlin

Verlag:Nomos-VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5 c 76520 Baden-BadenTelefon (07221) 2104-0 Fax: (07221) 2104-27

Zeitschrift fürUmweltrechtDas Forum für Umwelt und Recht17. Jahrgang, S. 1- 56

ZUR 1/2006

Vorschau auf Heft 2/2006Vorgesehen s ind u.a .Die Anforderungen an den Verur-sachungsnachweis bei behördlicherInanspruchnahme des Verursacherszur Untersuchung bzw. Sanierungvon AltlastenThomas Schmitt/Claus Leitzke

Europarechtliche Grenzen derWerbung für regionale ProdukteKarpenstein

Politik für eine umweltverträglicheLandwirtschaftRaschke/Fisahn

GESETZGEBUNG

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtMalte Kohls/Moritz Reese/Peter Schütte 50

BUCHREZENSION

Joachim Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffungvon FFH- und Vogelschutzgebieten,Beiträge zur Raumplanung und zumSiedlungs- und WohnungswesenSabine Schlacke 53

RUBRIKEN

BUCHNEUERSCHEINUNGEN 54

TERMINE III

ZUR_1_06_Mantel 22.12.2005 12:41 Uhr Seite I

Die Eigentumsfreiheit ist im staatlichen wie im europäischen Recht alssozial gebundenes Grundrecht ausgestaltet. Belange des Naturschutzeskönnen daher grundsätzlich Belastungen privaten Eigentums im öffent-lichen Interesse rechtfertigen. Die verfassungsrechtliche Eigentumsdog-matik hat Mechanismen herausgebildet, das immanente Spannungsver-hältnis zwischen den öffentlichen Naturschutzbelangen und privatenNutzungsinteressen der Grundstückseigentümer durch Güterabwägungauszugleichen und Zumutbarkeitsgrenzen der Privatbelastung zu fixie-ren. Mit der zunehmenden Regelungsdichte des europäischen Natur-schutzrechts sieht sich der grundrechtliche Schutz der Eigentumsdogma-tik indes vor neue und nicht abschließend bewältigte Herausforderungengestellt.

A. Einführung

Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 19921 zur Erhal-tung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiereund Pflanzen in ihrer heute geltenden Fassung (Fauna-Flora-Habi-tat-Richtlinie, im Folgenden: FFH-RL) regelt ein komplexes, mehr-stufiges und verbundförmiges Verwaltungsverfahren zur Etablie-rung eines gemeinschaftsweiten Netzwerks besonders erhaltens-werter Schutzgebiete (»Natura 2000«). Die Aufnahme einesGrundstücks in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicherBedeutung (im Folgenden: Gemeinschaftsliste) kann dabei gravie-

Wolfgang Kahl/Klaus Ferdinand Gärditz

Das Grundrecht der Eigentumsfreiheit vor den Heraus-forderungen des europäischen Naturschutzrechts

1 ABlEG 1992, Nr. L 206, S. 7.2 Vgl. exemplarisch für unsere geographischen Breiten: Kommission, Ent-

scheidung vom 7.12.2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zurVerabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutungin der kontinentalen biogeografischen Region (2004/798/EU), ABlEG 2004Nr. L 382, S. 1. Es ist jedoch davon auszugehen, dass, wie schon bisher,Nachmeldungen fehlerhaft nicht berücksichtigter Gebiete folgen werden.

rende Folgen für die Zulässigkeit wirtschaftlicher Bodennutzungs-formen haben. Das darin enthaltene schwelende Konfliktpoten-tial hat bislang noch keine angemessene rechtliche Verarbeitungerfahren und könnte sich im Rahmen der Umsetzung der nun-mehr vorliegenden Gemeinschaftslisten2 endgültig entladen. Dervorliegende Beitrag wendet sich daher der Frage zu, wie es um dengrundrechtlichen Schutz insbesondere der wirtschaftlichen Nut-zungsinteressen der betroffenen Eigentümer bestellt ist, konkret inwelchem Umfang sich der sowohl nach nationalem Verfassungs-recht wie EG-Recht gebotene Eigentumsschutz verwirklichenlässt.

B. Eigentumsschutz und Entschädigungsansprüche im Gemein-schaftsrecht

Da im Rahmen des Vollzugs der FFH-RL in erster Linie (umgesetz-tes) Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist und auch die wesentli-chen Vorentscheidungen einer späteren Unterschutzstellung von

A U F S Ä T Z E

1/200617. Jahrgang • Seiten 1- 56

Zeitschrift fürUmweltrecht

Herausgeber: Verein für Umweltrecht e.V. Prof. Dr. Martin Beckmann, Rechtsanwalt, Münster; Siegfried Breier, EU-Kommission,Brüssel; Prof. Dr. Matthias Dombert, Rechtsanwalt, Potsdam; Dr. Günther-MichaelKnopp, Ministerialrat, Bayerisches Umweltministerium, München; Prof. Dr. Hans-Joachim Koch, Universität Hamburg; Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff, Richterin des Bun-desverfassungsgerichts, Karlsruhe; Dr. Frank Petersen, Ministerialrat, Bundesministeriumfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn; Dr. Renate Philipp, Richterin amBundesverwaltungsgericht, Leipzig; Michael Sauthoff, Vizepräsident des Oberverwal-tungsgerichts Greifswald; Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Rechtsanwalt, Freiburg; Prof. Dr.Michael Uechtritz, Rechtsanwalt, Stuttgart; Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl, Rechtsan-walt, Hannover; Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Universität Freiburg; Prof. Dr. Gerd Winter,Universität BremenSchriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Moritz Reese, Dr. Sabine Schlacke

ZUR 1/2006 | 1

ZURDas Forum für Umwelt- und Planungsrecht

ZUR_1_06_Innenteil 22.12.2005 12:46 Uhr Seite 1

A U F S Ä T Z E | Kahl/Gärd i tz , Das Grundrecht der E igentumsfre ihe i t

2 | ZUR 1/2006

beschränkt sich teilweise sogar auf die Feststellung eines legitimenZwecks (im konkreten Fall: Umweltschutz gem. Art. 2, Art. 3 Abs. 1lit. l, Art. 174 EGV) und der nicht offensichtlichen Untauglichkeitder Gemeinschaftsmaßnahme.19 Wo eine Angemessenheitsprü-fung stattfindet, ist die Auseinandersetzung mit dem Grad und derIntensität der individuellen Betroffenheit häufig unterentwickelt.Diese richterliche Zurückhaltung gilt vor allem bei komplexen,wirtschafts-, verkehrs- oder umweltpolitischen Sachverhalten miteiner Vielzahl kollidierender privater und öffentlicher Interessen.In Sonderkonstellationen wird vom EuGH höchstens die Notwen-digkeit von Härte- und Übergangsklauseln anerkannt.20 Dahernimmt es nicht wunder, dass die Berufung auf die Eigentumsfrei-heit gegenüber der EG noch in keinem Fall erfolgreich war,21 wasim Schrifttum zahlreiche, im Grundansatz berechtigte, kritischeReaktionen hervorgerufen hat.22 Gleichwohl dürfte die EuGH-Judikatur zur Eigentumsfreiheit nicht so defizitär sein, dass derSolange II- bzw. Bananenmarkt-Vorbehalt des BVerfG aktiviertwerden könnte.23

3 Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABlEG 2004 Nr. C 310 v. 16.12.2004, S. 1.4 Siehe EuGH, Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609 (2639), Tz. 17; Rs. 44/79, Slg. 1979,

3727 (3745), Tz. 17; aus dem Schrifttum stellvertretend: Calliess, in: Ehlers,Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 16, Rn. 4 ff.; Kin-green, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2.Aufl. 2002, Art. 6 EUV, Rn. 94; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht derEuropäischen Union, Stand: 1/2005, nach Art. 6 EUV, Rn. 144 ff.; Renge-ling/Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn. 808 ff.Eine ausdrückliche Regelung der Eigentumsfreiheit sieht nunmehr Art. 17Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABlEG 2000 Nr. C 364,S. 1) bzw. Art. II-77 VVE vor.

5 Vgl. EuGH, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491 (508), Tz. 14; Rs. 59/83, Slg. 1984, 4057(4079), Tz. 22.

6 Vgl. dazu eingehend Reininghaus, Eingriffe in das Eigentumsrecht nach Arti-kel 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK, 2002, S. 16 ff., 39 ff., 71 ff., 94 ff.;allgemein Rengeling/Szczekalla (Fn. 4), Rn. 513 ff.

7 Vgl. stellv. BVerfGE 58, 300 (331 ff.); 74, 264 (280); 79, 174 (191 f.); BVer-wGE 77, 295 (297 f.); 84, 361 (366).

8 EGMR, EuGRZ 1983, 523 (525), Tz. 63; Gelinsky, Der Schutz des Eigentumsgemäß Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechts-konvention, 1996, S. 56 ff.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskon-vention, 2. Aufl. 2005, § 25, Rn. 11; von Milczewski, Der grundrechtlicheSchutz des Eigentums im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, S. 134 f.;Peukert, in: Frowein/ders., EMRK, 2. Aufl. 1996, Art. 1 des 1. ZP, Rn. 26 ff.

9 EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727 (3746 f.), Tz. 20 ff.10 Vgl. zum Ganzen Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 111

ff., m. w. N.11 EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727 (3747), Tz. 23; Streinz, in: ders., EUV/EGV,

2003, Art. 17 GR-Charta, Rn. 6.12 EuGH, Rs. C-177/90, Slg. 1992, 35 (63 f.), Tz. 16 f.13 Kahl/Maier, in: Schmidt/Vollmöller, Kompendium Öffentliches Wirtschafts-

recht, 2. Aufl. 2004, § 1, Rn. 38.14 Vgl. dazu – zu Recht kritisch – m. w. N. aus der Rspr. Kingreen, in:

Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 106; Streinz, in: ders. (Fn. 11), Art. 17GR-Charta, Rn. 8.

15 Vgl. dazu nur Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 73 ff.m.z.w.N.

16 Vgl. exemplarisch EuGH, Rs. C-319/90, Slg. 1992, I-202 (218), Tz. 12; stän-dige Rspr.; Calliess, in: ders./Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Ver-trag, 2. Aufl. 2002, Art. 5 EGV, Rn. 46; Kischel, EuR 2000, 380 ff.; Renge-ling/Szczekalla (Fn. 4), Rn. 440 ff.; Streinz, in: ders. (Fn. 11), Art. 5 EGV, Rn.46; vgl. explizit Art. II-112 Abs. 1 S. 2 VVE.

17 EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (5069), Tz. 94.18 Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union

und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 1, 6. Aufl.2003, Art. 6 EU, Rn. 74; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 74.

19 EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (5086 f.), Tz. 89 f.; Rs. C-306/93,1994, I-5555 (5581), Tz. 21.

20 EuGH, Rs. C-68/95, Slg. 1996, I-6065 (6099 f.), Tz. 37 ff.21 Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 113.22 Vgl. nur Berrisch, EuR 1994, 461 (465 ff.); Caspar, DÖV 2000, 349 (359);

v. Danwitz, in: ders./Depenheuer/Engel, Bericht zur Lage des Eigentums,2002, S. 215 (281); Everling, CMLRev. 33 (1996), 401 (419 f.); Huber, EuZW1997, 517 (521); Nettesheim, EuZW 1995, 106 (106 f.); Pauly, EuR 1998, 242(253 ff.); Storr, Der Staat 36 (1997), 547 (552 f.); Streinz, Bundesverfassungs-gerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht,1989, S. 408; Tomuschat, in: Ossenbühl, Eigentumsgarantie und Umwelt-schutz, 1990, S. 47 (58); positiver dagegen: Kesel, in: Bruha/Nowak/Petzold,Grundrechtsschutz für Unternehmen im Binnenmarkt, 2004, S. 139 (163 ff.);Kischel, EuR 2000, 380 (398 ff.); Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, 1998, Art. 23,Rn. 78 f.; Weiler/Lockhart, CMLRev. 32 (1995), 51 ff., 579 ff.; Zuleeg, EuGRZ2000, 511 (513).

23 Vgl. BVerwG, NVwZ 2005, 1178 (1181); Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4),Art. 6 EUV, Rn. 74, 88 ff.

der Europäischen Kommission getroffen werden, kommt es ent-scheidend darauf an, welcher Eigentumsschutz, insbesondere Ent-schädigungsansprüche, gegenüber Handlungen von Gemein-schaftsorganen besteht.

I. Allgemeine Grundsätze der gemeinschaftsrechtlichen Eigentums-freiheit

Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte zu denallgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, die derEuGH zu wahren hat (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV, Art. I-2 S. 1, I-9 VVE3).Zur Bestimmung des Schutzumfanges der EG-Grundrechte wird bis-lang vor allem auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungender Mitgliedstaaten sowie die von diesen abgeschlossenen völker-rechtlichen Abkommen (in concreto: Art. 1 des 1. ZP zur EMKR)rekurriert4. Hinsichtlich des Eingriffs in die Eigentumsfreiheit diffe-renziert der EuGH5 zwischen einer – teilweisen bzw. vollständigen –Entziehung und der bloßen Einschränkung der Benutzung (vgl.auch Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, Art. II-77 Abs. 1 S. 2 und S. 3 VVE).Der Eigentumseingriff kann in unmittelbarer oder mittelbarer Formdurch eine Norm oder eine Einzelfallmaßnahme erfolgen6. EineEntziehung liegt zum einen vor, wenn eine formelle Enteignunggegeben ist, zum anderen – insoweit in Abweichung von der deut-schen Eigentumsdogmatik7 – aber auch dann, wenn eine sonstigeEigentumsbeschränkung den Eigentümer faktisch ebenso wie eineformelle Enteignung trifft (De-facto-Enteignung).8 In allen übrigenFällen handelt es sich dagegen um eine bloße Nutzungsregelung.

Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung stellt der EuGH anhandder Hinweise, die den Verfassungsnormen und der Verfassungs-praxis der Mitgliedstaaten zu entnehmen sind (vgl. auch Art. II-112 Abs. 4 VVE), fest, ob in einem der Mitgliedstaaten vergleich-bare Vorschriften grundsätzlich als unvereinbar mit dem Eigen-tumsrecht betrachtet werden.9 Das Eigentum genießt umsostärkeren Schutz, umso mehr es die Grundlage für die freie Entfal-tung der Persönlichkeit des Einzelnen in vermögensrechtlicherHinsicht bildet. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und dieSozialbindung steigen dagegen in dem Maße, in dem das Eigen-tum in einem sozialen Bezug steht, wie dies insbesondere bei demknappen und ökologisch relevanten Eigentum an Grund undBoden der Fall ist.10 In einem zweiten Schritt untersucht der EuGHkonkret, ob die Einschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohlentsprechen und ob sie nicht im Hinblick auf den verfolgtenZweck unverhältnismäßig sind oder das Eigentumsrecht in seinemWesensgehalt antasten.11 Eine Verletzung des Wesensgehalts wirdnur angenommen, wenn überhaupt keine alternative Nutzung derEigentumsposition verbleibt.12 Dagegen prüft der EuGH den Ver-trauensschutz bzw. den Dispositionsschutz hinsichtlich wohl-erworbener Rechte nicht als zusätzliche Schranken-Schrankeinnerhalb der Eigentumsfreiheit, sondern eigenständig und sepa-rat (vgl. auch Art. II-101 VVE), was zu einem mehrspurigen Schutz-konzept führt.13 Bei Gemeinschaftsakten soll aber kein wohlerworbenes Recht bzw. kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestandbestehen, soweit die gegenständliche Rechtsposition von vornher-ein unter dem Vorbehalt stand, durch Entscheidungen derGemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens verändert zuwerden.14 Im Zentrum der Prüfung15 einer möglichen Verletzungder EG-rechtlichen Eigentumsfreiheit steht der Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit i.w.S. als allgemeiner Rechtsgrundsatz desGemeinschaftsrechts.16 Dabei betont der EuGH die funktionell-rechtlichen Grenzen der Rechtsprechung im Verhältnis zumGemeinschaftsgesetzgeber.17 Dies führt insbesondere bei der Prü-fung der mit der wirtschaftlichen Betätigung zusammenhängen-den Grundrechte zu einer ungewöhnlichen Zurücknahme dergrundrechtlichen Kontrolldichte.18 Die Rechtfertigungsprüfung

ZUR_1_06_Innenteil 22.12.2005 12:46 Uhr Seite 2

II. Entschädigungsansprüche gegen die Europäische Kommission?

Hinsichtlich eigentumsbezogener Entschädigungsansprüche dif-ferenziert der EuGH danach, ob eine Entziehung oder eine Ein-schränkung der Benutzung des Eigentums vorliegt (vgl. Art. 1Abs. 1 S. 2, Abs. 2 des 1. ZP zur EMRK).24 Die Entziehung des Eigen-tums ist nur zulässig, wenn sie gesetzlich geregelt ist, im öffentli-chen Interesse liegt (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 des 1. ZP zur EMRK,25

Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh Art. II-77 Abs. 1 S. 2 VVE) und vor allemmit einer rechtzeitigen und angemessenen Entschädigung ver-bunden ist. Das Entschädigungserfordernis wird zwar – abwei-chend von Art. 1 des 1. ZP zur EMRK – erst durch Art. 17 Abs. 1 S. 2GRCh bzw. Art. II-77 Abs. 1 S. 2 VVE ausdrücklich angeordnet. Eswar aber schon bislang von der Rechtsprechung des EuGH26 undEGMR27 als – aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgende28 –materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer (auch faktischenbzw. materiellen) Entziehung anerkannt.29 Rechtsgrundlage fürden Entschädigungsanspruch ist in diesem Fall unmittelbar das alsallgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannte EG-Eigentumsgrund-recht.30 Auch hiernach ist zwar eine Entschädigung Rechtmäßig-keitsvoraussetzung, jedoch (in Abweichung von der deutschenEigentumsdogmatik31) nicht auch eine zugleich damit verbun-dene Entschädigungsregelung. Ebenso ist, auch wenn eine Ent-schädigung für sich gesehen nicht in jedem Fall eine Eigentum-sentziehung zu rechtfertigen vermag,32 die Rechtmäßigkeit desEigentumseingriffs nicht Voraussetzung eines Entschädigungsan-spruchs. Insoweit kann der Betroffene Eigentümer unabhängigvon der Frage der Rechtmäßigkeit des Eingriffs auf Entschädigungklagen,33 kann also nicht auf die Inanspruchnahme von Primär-rechtsschutz verwiesen werden. Bloße Nutzungsbeschränkungen,welche die wirtschaftliche Substanz des Eigentums unberührt las-sen, sind demgegenüber als Ausprägungen der Sozialbindung ent-schädigungslos hinzunehmen (vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 3 GrCh, Art. II-77 Abs. 1 S. 3 VVE).34

Die Einbeziehung des FFH-Gebietes in die Gemeinschaftslistestellt keine finale Entziehung des Eigentums dar, sondern istgrundsätzlich als bloße Nutzungsregelung zu werten, die bereitsausgeübte Nutzungen unberührt lässt und insoweit entschädi-gungslos hinzunehmen ist. Entschädigungsansprüche werdendaher allenfalls dann thematisch, wenn das Störungsverbot einensubstanziellen Eingriff in bereits getätigte Nutzungsrechte fordert,so dass die Beschränkungsregelung den Eigentümer faktischebenso trifft wie eine formelle Enteignung, sprich das Eigentumvöllig oder nahezu völlig entkernt bzw. zum nudum ius (»leereHülse«) und folglich zur reinen Last werden lässt. Selbst dannscheiden jedoch Ansprüche gegen die Gemeinschaft aus, da nurEigentumsbeeinträchtigungen durch Maßnahmen der Gemein-schaftsorgane selbst eine Entschädigungspflicht auslösen,35 dieBelastungswirkung also der Gemeinschaft unmittelbar zuzurech-nen sein muss.36 Bei einer – wie im Falle der FFH-Gebietsfestset-zungen gegebenen – Letztverursachung des eingetretenen Rechts-verlusts durch mitgliedstaatliche Behörden im Rahmen eigenver-antwortlichen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts fehlt es abergerade an einer Zurechenbarkeit zur Gemeinschaft.37 Nicht ent-scheidend kann es sein, dass in beiden Fällen Gemeinschaftsrechtangewendet wird,38 da die Entschädigungslast allgemein der Voll-zugsverantwortlichkeit und nicht der Regelungszuständigkeitfolgt. In Fällen einer bloß mittelbaren Veranlassung einer aus-gleichspflichtigen Maßnahme muss sich der mit dem Vollzugbetraute und mit einer etwaigen Entschädigungspflicht belasteteMitgliedstaat letztlich auf Regressansprüche gegen die Gemein-schaft verweisen lassen. Zwar wäre zu erwägen, ob sich der Zurech-nungszusammenhang auch dann konstruieren ließe, wenn dermitgliedstaatliche Vollzug inhaltlich abschließend durch Hand-

lungen der Gemeinschaftsorgane determiniert ist (»Quasi-Auto-matismus«). Letztlich kann dies vorliegend aber offen bleiben, daden Mitgliedstaaten bei der FFH-Gebietsfestsetzung eine weitrei-chende Vollzugsverantwortung verbleibt. Dies gilt insbesonderefür die hier zentrale Frage der Dispensbewilligung nach Art. 6Abs. 4 FFH-RL, die maßgeblich über die Gravität der letztlich ein-tretenden Nutzungsbeschränkung entscheidet.

Daneben ist ein auf Art. 288 Abs. 2 EGV gestützter Entschädi-gungsanspruch wegen außervertraglicher Haftung der Gemein-schaftsorgane zu erwägen. Ein solcher Anspruch setzt nicht dievorherige Erhebung einer Nichtigkeitsklage voraus, jedenfallssolange er sich auf Geldentschädigung beschränkt und nicht derSache nach (unter Umgehung der Klagefristen) auf Aufhebungeiner bestandskräftigen Entscheidung bzw. Folgenbeseitigunggerichtet ist.39 Auch hier kommt aber nur eine Haftung für Hand-lungen in Betracht, die Gemeinschaftsorganen unmittelbar zuge-rechnet werden können.40 Letztverursachende Handlungenmitgliedstaatlicher Organe im Rahmen des Gemeinschaftsrechts-vollzugs durchbrechen den erforderlichen Zurechnungszusam-menhang, jedenfalls wenn sie auf selbständigen und sachlichunabhängigen Entscheidungen beruhen.41 Angesichts der Media-tisierung der eigentumsrelevanten Eingriffe verbleibt als potentiell

24 Vgl. EuGH, Rs. 59/83, Slg. 1984, 4057 (4079), Tz. 21 f.25 Zur Auslegung der Rechtfertigungsvoraussetzungen i. S. d. Art. 1 Abs. 1 S. 2

des 1. ZP zur EMRK s. zuletzt grundlegend EGMR, EuGRZ 2004, 57 (63 ff.),Tz. 71 ff., 77 ff., 82 ff.

26 Deutlich EuGH, Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609 (2639), Tz. 19. Zum Entschädi-gungsanspruch auch bei Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes sieheKingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 118. Offen lassend EuG,Rs. T-113/96, Slg. 1998, II-125 (145), Tz. 57; unter dem Gesichtspunkt eineraußervertraglichen Haftung für rechtmäßiges Verhalten jedenfalls diskutie-rend EuG, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 (688), Tz. 59.

27 EGMR, NJW 2002, 45 (49 f.); EuGRZ 1988, 341 (346), Tz. 54; EuGRZ 1988,350 (357 f.), Tz. 120 f.; hierzu exemplarisch Danwitz, in: ders./Depen-heuer/Engel (Fn. 22), S. 215 (254 ff.); Gelinsky (Fn. 8), S. 108 ff.; Peukert,EuGRZ 1981, 97 (107 ff.); ders., in: Frowein/ders. (Fn. 8), Art. 1 des 1. ZP,Rn. 84; Reininghaus (Fn. 6), S. 209 ff.; Riedel, EuGRZ 1988, 333 ff.

28 Vgl. EGMR, EuGRZ 2004, 58 (64 f.), Tz. 82 ff.; NJW 2002, 45 (49); EuGRZ1988, 350 (357), Tz. 120.

29 Vgl. stellv. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 117 ff.30 A. A. wohl Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 121; v. Mil-

czewski (Fn. 8), S. 288 ff., die davon ausgehen, dass sich ein Entschädigungs-anspruch allein auf Art. 288 Abs. 2 EGV stützen lasse; ähnlich Penski/Elsner,DÖV 2001, 265 (270).

31 Für Enteignungen Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG; für sonstige (subsidiäre) Entschä-digungsregelungen zum Ausgleich unzumutbarer Belastungen sieheBVerfGE 58, 300 (324); 100, 226 (246).

32 Vgl. hierzu Reininghaus (Fn. 6), S. 212 ff., 218 f.; Rudolf, EuGRZ 1996, 573(575).

33 Vgl. auch EGMR, NJW 2003, 658 ff. Die Rechtswidrigkeit der Enteignungberücksichtigt der EGMR vor allem im Rahmen der Höhe der Entschädigung(NJW 2003, 1721 [1723 f.]).

34 Vgl. EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727 (3746), Tz. 19 f.; Calliess, in: Ehlers(Fn. 4), § 16, Rn. 26; Streinz, in: ders. (Fn. 11), Art. 17 GR-Charta, Rn. 19.

35 EuG, Rs. T-113/96, Slg. 1998, II-125 (145), Tz. 57; Rs. T-54/96, Slg. 1998,II-3377 (3404), Tz. 67.

36 Vgl. EuGH, Rs. 36/62, Slg. 1963, 619 (638); EuG, Rs. T-113/96, Slg. 1998, II-125 (145), Tz. 57; Rs. T-54/96, Slg. 1998, II-3377 (3404), Tz. 66 f.

37 Vgl. EuGH, Verb. Rs. 89 und 91/86, Slg. 1987, 3005 (3026), Tz. 18; EuG, Rs.T-54/96, Slg. 1998, II-3377 (3404), Tz. 67.

38 So wohl aber Streinz, in: ders. (Fn. 11), Art. 17 GR-Charta, Rn.11. Der bloßeUmstand, dass Gemeinschaftsorgane gehandelt haben, kann allerdings fürsich gesehen freilich nicht zu einer Relativierung des Vertrauensschutzesführen, zutreffend Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 4), Art. 6 EUV, Rn. 106.

39 Vgl. exemplarisch EuG, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 (688), Tz. 59; Cre-mer, in: Callies/Ruffert (Fn. 4), Art. 235, Rn. 6; Gellermann, in: Streinz (Fn.11), Art. 288, Rn. 24; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Art. 288EGV, Rn. 51 ff.; Ruffert, in: Calliess/ders (Fn. 4), Art. 288 EGV, Rn. 18.

40 Vgl. EuGH, Rs. C-472/00, Slg. 2003, I-7541 (7602), Tz. 25 (»unmittelbarerKausalzusammenhang”); Verb. Rs. 89 und 91/86, Slg. 1987, 3005 (3026),Tz. 17; EuG, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667 (688), Tz. 59; Rs. 113/96, Slg.1998, II-125 (144 f.), Tz. 54, 57; Berg, in: Schwarze (Fn. 39), Art. 288 EGV,Rn. 56; David, Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, 2003,S. 360; Hegels, EG-Eigenverwaltungsrecht und Gemeinschaftsverwaltungs-recht, 2001, S. 140; Middendorf, Amtshaftung und Gemeinschaftsrecht,2001, S. 28 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 580 f.

41 Aubin, Die Haftung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Mit-gliedstaaten bei gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Verwaltungsakten,1982, S. 143; Berg, in: Schwarze (Fn. 39), Art. 288 EGV, Rn. 64; Gellermann, in:Streinz (Fn. 11), Art. 288, Rn. 27; Ossenbühl (Fn. 40), S. 584 f.

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haftungsrechtlich relevantes Substrat letztlich nur eine fehlerhafteAufnahme eines Grundstücks in die Gemeinschaftsliste durch dieKommission. Allerdings werden Fehler in der naturschutzfachli-chen Tatsachenbeurteilung meist auf Ermittlungs- oder Begrün-dungsdefizite der mitgliedstaatlichen Behörden zurückzuführensein. Diese Behörden wird man, auch wenn sie, ohne selbst außen-wirksam-verbindliche Entscheidungen zu treffen, die Kommissi-onsentscheidung nur vorbereiten,42 aufgrund ihrer eigenständi-gen Verwaltungslegitimation und ihrer eigenverantwortlichenBeurteilungskompetenz kaum als funktionale Hilfsorgane derKommission ansehen können, deren Verhalten sich die Gemein-schaft zurechnen lassen müsste.43 Zudem wird es bei der unkriti-schen Übernahme naturschutzfachlicher Beurteilungsfehler, auchwenn man mit der h. M. ein Verschuldenserfordernis im Rahmendes Art. 288 Abs. 2 EGV verneint,44 an einem hinreichend qualifi-zierten Rechtsverstoß, also einer offenkundigen und erheblichenÜberschreitung der Befugnisse durch die Gemeinschaftsorgane,45

fehlen. Es verbleiben daher allenfalls Fälle einer offenkundigrechtsfehlerhaften oder objektiv rechtsmissbräuchlichen Anwen-dung der FFH-Auswahlkriterien durch die Kommission, was prak-tisch kaum von Relevanz sein dürfte.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Entschädigungsan-sprüche betroffener Grundstückseigentümer unmittelbar gegendie Gemeinschaft regelmäßig nicht in Betracht kommen werden.

C. Berücksichtigung von Eigentümerinteressen im FFH-Verwaltungsverfahren

Zur Gewährleistung eines angemessenen Eigentumsschutzes wirdes daher zunächst entscheidend darauf ankommen, ob und in wel-chem Umfang dem EG-Eigentumsgrundrecht in seiner Ausfor-mung als primäre Bestandsgarantie zur Geltung verholfen werdenkann.

I. Vorauswahl und Meldung der Schutzgebiete

Nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL wählen die Mitgliedstaaten46 anhandder in Anhang III FFH-RL genannten Kriterien geeignete Schutzge-biete aus, die einen natürlichen Lebensraum im Sinne derAnhänge I und II FFH-RL bilden und daher für eine Aufnahme indie Gemeinschaftsliste in Betracht kommen. Das zuständige Bun-desumweltministerium meldet nach Abstimmung mit den Länerndie Gebiete einschließlich erläuternder Informationen der Kom-mission (§ 35 Abs. 1 S. 2 und 3 BNatSchG). Eine Berücksichtigungwirtschaftlicher Interessen der Grundstückseigentümer ist im Rah-men der Vorauswahl durch die Mitgliedstaaten ausgeschlossen.Zwar sieht Art. 2 Abs. 3 FFH-RL ausdrücklich vor, dass die »auf-grund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen (…) den Anfor-derungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur Rechnung« tra-gen. Der EuGH hat jedoch in Fortführung seiner Rechtsprechung47

zur Vogelschutz-RL48 entschieden, dass die in Art. 4 Abs. 1 FFH-RL i. V. m. Anhängen aufgeführten und rein naturschutzfachli-chen Auswahlkriterien abschließend seien und einer Berücksichti-gung wirtschaftlicher oder sozialer Belange durch die Mitglied-staaten in der Auswahlphase entgegenstünden.49 Insoweit kanneine bereits ausgeübte Grundstücksnutzung allenfalls die natur-schutzfachliche Schutzwürdigkeit des Gebietes aufgrund etwaigerVorbelastungen in Frage stellen. Die Lösung von Eigentumsnut-zungskonflikten wird in spätere Stadien des Verfahrens verlagert,was auch aus der Sicht des primärrechtlichen Eigentumsschutzesgrundsätzlich nicht zu beanstanden ist, da die Gewährung einesangemessenen Eigentumsschutzniveaus insgesamt möglichbleibt.

II. Erstellung der Gemeinschaftsliste

Nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL erstellt die Kommission auf der Basisder ihr vorliegenden und mit Datenmaterial substanziierten Vor-schläge im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten den Entwurfeiner Gemeinschaftsliste, die nach erfolgter Beteiligung desHabitatausschusses nach Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Art. 21 FFH-RLdurch Kommissionsentscheidung (vgl. Art. 249 Abs. 4 EGV) ver-bindlich festgesetzt wird. Soweit mit der Festsetzung der Gemein-schaftsliste jedenfalls dem Grunde nach verbindlich über eine sichim Vollzug durch die Mitgliedstaaten aktualisierende Belastung derGrundstücke entschieden wird, gebietet es zwar der primärrechtli-che Eigentumsschutz, dass geschützte Eigentumsnutzungsinteres-sen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.50 Zu berücksichtigen istjedoch, dass Nutzungskonflikte nach dem Konzept der Richtliniein erster Linie im Vollzug über die Dispensregelung des Art. 6Abs. 4 FFH-RL aufgefangen werden sollen und regelmäßig auchkönnen.51 Es wird daher praktisch nur in seltenen Fällen erforder-lich sein, bereits von einer Einbeziehung eines Gebietes in dieGemeinschaftsliste abzusehen, zumal über die zwangsläufig einzel-fallbezogene Zumutbarkeit der Belastung kaum ohne Betrachtungder konkreten Situationsgebundenheit und etwaiger Alternativlö-sungen entsprechend Art. 6 Abs. 4 FFH-RL durch die sachnäherenstaatlichen Behörden entschieden werden kann. Eine Verlagerungdieser Fragen in den mitgliedstaatlichen Vollzug erscheint dahergrundsätzlich sachgerecht. Freilich mag es Fallkonstellationengeben, in denen ein Mitgliedstaat nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 1FFH-RL zwar zur Meldung verpflichtet war, jedoch von vornhereinabsehbar ist, dass sich der Gebietsschutz aufgrund einer unzumut-baren Einschränkung entgegenstehender Nutzungsinteressen mithoher Wahrscheinlichkeit nicht verwirklichen lassen wird. Da dieKommissionsentscheidung im Rahmen einer Gesamtbetrachtungeine Auswahl der geeignetsten Schutzgebiete treffen soll, ent-spricht es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vor allem Geeignet-heit und Erforderlichkeit), Grundstücke nicht unnötig mit letztlichobjektiv vermeidbaren Nutzungskonflikten zu belasten. Insoweitsollte die vorgesehene Abstimmung mit den Mitgliedstaaten dazugenutzt werden, die Auswahl auf diejenigen Gebiete zu konzentrie-ren, die auch im Ergebnis eine Durchsetzung legitimer öffentlicherNaturschutzinteressen erwarten lassen.

III. Festsetzung der Schutzgebiete

Die Einbeziehung eines Gebiets in die Gemeinschaftsliste löstnach Art. 4 Abs. 5 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ein an die Mit-gliedstaaten gerichtetes Verschlechterungs- und Störungsverbotaus. Dieses gebietet zunächst nur einen Erhalt des bestehendenZustandes, lässt also bereits vorhandene Grundstücksnutzungenprinzipiell unberührt.52 Auch gewisse Änderungen oder Erweite-rungen der bisherigen Nutzung im Rahmen des technischen Fort-

42 Vgl. VG Frankfurt a. M., NVwZ 2001, 1188 (1189); Ewers, NuR 2000, 361 (366);Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, 2. Aufl. 2003, § 32 BNatSchG, Rn. 17;Nies/Schröder, AgrarR 2002, 172 (182).

43 Vgl. hierzu Aubin (Fn. 41), S. 99 ff.; Ossenbühl (Fn. 40), S. 581; Middendorf(Fn. 40), S. 28 f.; zu den Zurechnungsproblemen in Fällen von Verwal-tungskooperation David (Fn. 40), S. 361 ff.

44 Vgl. Ossenbühl (Fn. 40), S. 605.45 Vgl. im Einzelnen EuGH, Rs. C-472/00, Slg. 2003, I-7541 (7602 f.), Tz. 26;

Koenig, EuZW 2005, 202 (204 f.); Ossenbühl (Fn. 40), S. 598 ff.46 Nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG die Behörden der Länder.47 EuGH, Rs. C-44/95, Slg. 1996, I-3805 (3856), Tz. 41 f.; Rs. C-355/90, Slg.

1993, 4221 (4277), Tz. 19. 48 Richtlinie 79/409/EWG des Rates v. 2.4.1979 über die Erhaltung der wild

lebenden Vogelarten (ABlEG 1979 Nr. L 103, S. 1).49 EuGH, Rs. C-371/98, Slg. 2000, 9235 (9262), Tz. 23 f. 50 I. E. im Hinblick auf Art. 2 Abs. 3 FFH-RL auch VG Frankfurt a. M., NVwZ

2001, 1188 (1189).51 Möstl, DVBl. 2002, 726 (729), sieht daher keinen Raum dafür, Belange nach

Art. 2 Abs. 3 FFH-RL im Rahmen der Listenerstellung zu berücksichtigen.52 Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 72.

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53 Vgl. Berner, Der Habitatschutz im europäischen und deutschen Recht, 2000, S. 208.54 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11, Rn. 204, m. w. N. zu den

einzelnen Bundesländern. 55 Voraussetzung einer Prüfpflicht ist freilich, dass überhaupt Anhaltspunkte

vorliegen, die eine Beeinträchtigung als denkbar wenigstens erscheinen las-sen, vgl. Möstl, DVBl. 2002, 726 (733).

56 Nur hierauf kommt es an, nicht auf eine festgestellte Gebietsbeeinträchti-gung, vgl. Epiney, UPR 1997, 303 (308); Gellermann, NuR 1996, 548 (553).Vgl. im Einzelnen Wolf, ZUR 2005, 449 (453).

57 Vgl. Ewers, NuR 2000, 361 (362); Kerkmann, Natura 2000: Verfahren undRechtsschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie, 2004, S. 237; Gellermann,(Fn. 52), S. 247; Nies/Schröder, AgrarR 2002, 172 (178); Stüer/Spreen, NdsVBl.2003, 44 (50, 52).

58 Vgl. Kerkmann (Fn. 57), S. 227 f.; Rengeling, Grundrechtsschutz in derEuropäischen Gemeinschaft, 1993, S. 189 ff.; Ruffert, EuGRZ 1995, 518(527 f.); Wentrup, Die Europäische Grundrechtscharta im Spannungsfeldder Kompetenzverteilung zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaa-ten, 2003, S. 52 f.

59 EuGH, Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609 (2639 f.), Tz. 19. Siehe auch BVerwG,NVwZ 2005, 1178 (1181).

60 Vgl. BVerwGE 110, 302 (310 f.); Gellermann, in: Rengeling, Handbuch zumeuropäischen und deutschen Umweltrecht, 2. Aufl. 2003, § 78, Rn. 35;Iven, NuR 1996, 373 (379); Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 42), § 34 BNatSchG,Rn. 13; Schink, GewArch 1998, 41 (51); Wolf, ZUR 2005, 449 (454).

61 Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, 2001,S. 83; Wrase, NuR 2004, 356 (357).

62 Vgl. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, S. 343;Freytag/Iven, NuR 1995, 109 (114); Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 42), § 34 BNat-SchG, Rn. 14; Gellermann, in: Rengeling (Fn. 60), § 78, Rn. 35; ders., NuR1996, 548 (554); Kerkmann (Fn. 57), S. 134; Niederstadt, NuR 1998, 515(524); Wrase, NuR 2004, 356 (357).

63 Vgl. BVerwGE 117, 149 (153).64 Krämer, EuGRZ 1995, 45 (49). 65 Vgl. Weihrich, DVBl. 1999, 1697 (1703).

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schritts sind zulässig, soweit sie sich nicht nachteilig auf die Erhal-tungsziele auswirken. Darüber hinaus sind jedoch auch Störungenunzulässig, soweit sie geeignet sind, den Charakter des Schutzge-bietes zu beeinträchtigen, was durchaus Anlass sein kann, inbereits bestehende Anlagen und deren Betrieb einzugreifen.53 Diessetzt freilich voraus, dass sich eine bereits zuvor vorhandeneStörung nicht lediglich perpetuiert, sondern die Gebietsqualitätüber den belasteten Status quo hinaus weiter beeinträchtigt.

Was das weitere Verfahren betrifft, weisen die Mitgliedstaatennach Art. 4 Abs. 4 FFH-RL zur Sicherung dieser Erhaltungszieledie festgesetzten Gebiete so schnell wie möglich als besondereSchutzgebiete aus. Gemäß § 33 Abs. 2 BNatSchG erklären diezuständigen Landesbehörden die gelisteten Gebiete zu geschütz-ten Teilen von Natur und Landschaft i. S. d. § 22 BNatSchG.Welcher Rechtsform sie sich hierzu zu bedienen haben, lässt dasBundesrecht offen. Die entsprechenden Landesgesetze sehen hierin erster Linie den Erlass einer Naturschutzgebietsverordnung vor(vgl. Art. 13b Abs. 1 i. V. m. Art. 7 Abs. 3 S. 1 BayNatSchG).54

Darüber hinaus sind konkrete Projekte vor einer Zulassung oderDurchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszieleneines Gebietes von gemeinschaftsweiter Bedeutung zu überprüfen(Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, § 34 Abs. 1 BNatSchG).55 Ergeben sichkeine relevanten Gefährdungen der Schutzziele, kann ein Projektzugelassen werden. Fällt die Verträglichkeitsprüfung hingegennegativ aus,56 kommt eine ausnahmsweise Projektzulassung nurnach Maßgabe des Ausnahmetatbestandes des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL in Betracht.

Hier stellt sich nun die Frage, welche Spielräume bestehen, imRahmen des mitgliedstaatlichen Vollzugs der FFH-RL den auchgemeinschaftsprimärrechtlich gebotenen Eigentumsschutz zuverwirklichen. Soweit Nutzungsbeschränkungen bereits eineabschließende gemeinschaftsrechtliche Ausformung erfahrenhaben, vermag sich demgegenüber Art. 14 GG hier nicht ent-scheidend auszuwirken. Da insbesondere die §§ 32 ff. BNatSchGletztlich nur gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzen,57

kommt es maßgeblich darauf an, welchen Eigentumsschutz dieFFH-RL als sekundäres Gemeinschaftsrecht zulässt. Der EuGH hatinsoweit anerkannt, dass der gemeinschaftlich gebotene Grund-rechtsschutz insbesondere für erworbene Eigentumspositionenauch von den Behörden der Mitgliedstaaten als Adressaten derGemeinschaftsgrundrechte58 beim Vollzug des Gemeinschafts-rechts zu beachten ist.59 In diesem Sinne enthält bereits die FFH-RLEinfallstore für die staatlichen Vollzugsbehörden, ausnahmsweiseund einzelfallbezogen Grundstücksnutzungen, die sich als mitdem Schutzziel unverträglich erweisen, durch Dispens zuzulassen.

1. Nicht-prioritäre Schutzgebiete

Im Hinblick auf nicht-prioritäre Gebiete, denen gegenüber prio-ritären Gebieten ein reduziertes Schutzniveau zukommt, siehtArt. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 3 BNatSchG die aus-nahmsweise Zulassung eines Projektes vor, soweit zwingendeGründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlichsolcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, dies erfordern (§ 34Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG) und zumutbare Alternativen, den verfolg-ten Zweck anderenorts oder mit geringeren Beeinträchtigungen zuerreichen, nicht gegeben sind (§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG).Ergänzend sind alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu tref-fen, um die Kohärenz des Netzwerks Natura 2000 zu schützen.

Ob wirtschaftliche und soziale Belange »zwingend« und damitvon hinreichender Gravität sind, öffentliche Naturschutzinteres-sen zurückzudrängen, beurteilt sich anhand einer einzelfallbezo-genen Abwägung, die den Schutzzielen der FFH-RL angemessenRechnung tragen muss.60 Dem Naturschutz wird hierbei ein hoher

Stellenwert eingeräumt,61 was sich im Hinblick auf die durchArt. 6, Art. 174 Abs. 2 EGV hervorgehobene Bedeutung desUmweltschutzes im Gemeinschaftsrecht prinzipiell auch primär-rechtlich radizieren lässt. Wirtschaftliche und soziale Belange sol-len sich daher nur im Falle eines deutlichen Übergewichts gegenü-ber den Interessen des Naturschutzes durchsetzen.62 Dabei darfnicht übersehen werden, dass bereits die Möglichkeit, wirtschaftli-chen Belangen überhaupt Rechnung zu tragen, eine auch eigen-tumsfreundliche Auflockerung etwa im Vergleich zu dem wesent-lich strengeren Regime der Vogelschutz-RL darstellt, das solcheAusnahmen von vornherein nicht kannte.63 Mit Art. 6 Abs. 4FFH-RL sollte diese Einseitigkeit gezielt vermieden werden.64

Unbeschadet dessen werden sich auch nach dem Regelungskon-zept der FFH-RL und unter Berücksichtigung der primärrechtlichvorausgesetzten Umwelt- und Sozialgebundenheit des EigentumsBelange des Naturschutzes regelmäßig durchsetzen, soweit nichtbereits getätigte und Vertrauensschutz genießende Investitionenhierdurch entwertet würden.

Auch gegenüber zwingenden wirtschaftlichen oder sozialenInteressen treten Belange des Naturschutzes im Übrigen nichtgenerell zurück. Es verbleibt vor allem die bereits erwähnte Pflichtder Alternativprüfung (§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG). Dass einemprivaten Vorhabenträger bereits aufgrund der konkreten Eigen-tumsverhältnisse aktuell keine Projektalternativen offen stehen,dürfte im Hinblick auf die von der FFH-RL eingenommenegroßräumig-gemeinwohlorientierte Gesamtbetrachtung65 für sichgesehen noch nicht durchgreifend sein, wenn jedenfalls ander-weitig Raum zur Projektverwirklichung in zumutbarer Weisebeschafft werden könnte. Angesichts der Abhängigkeit von plane-rischen Vorgaben und anderen rechtlichen Hindernissen werdenfreilich auch hier die praktischen Möglichkeiten regelmäßigbegrenzt sein. Zudem scheiden zumutbare Alternativlösungenregelmäßig dann aus, wenn sich ein Projekt lediglich als Fortset-zung einer bereits getätigten und in der rechtlichen sowie sozio-ökonomischen Beschaffenheit des Grundstücks angelegtenGrundstücksnutzung darstellt. Ein praktisches Beispiel hierfürwäre etwa die Fortsetzung einer unter hohen Investitionskostenbegonnenen Abgrabung oder die Erweiterung einer bestehendenAnlage entsprechend gewandelten wirtschaftlichen oder techni-

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66 BVerwGE 110, 302 (310 f.); Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (75); Iven,NuR 1996, 373 (378 f.); Kloepfer (Fn. 54), § 11, Rn. 183; Koch, EuropäischesHabitatschutzrecht und Rechte von Planungs- sowie Vorhabenträgern, 2000,S. 34; Niederstadt, NuR 1998, 515 (524); Schink, GewArch 1998, 41 (50); Schröd-ter, NuR 2001, 8 (14); Wrase, NuR 2004, 356 (357).

67 Brink/Krichbaum, DÖV 2000, 973 (979); Epiney, URP 1997, 303 (309); Frey-tag/Iven, NuR 1995, 109 (114); Gellermann, NVwZ 2001, 500 (504); Jarass,ZUR 2000, 183 (187); Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 42), § 34 BNatSchG, Rn. 13;Müller-Terpitz, NVwZ 1999, 26 (29); Schink, GewArch 1998, 41 (51); Wrase,NuR 2004, 356 (357).

68 So insbesondere Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Deutsch-land auf der Basis europarechtlicher Vorgaben, 1998, S. 129; Schrödter, NuR2001, 8 (15). Noch rigider Brink/Krichbaum, DÖV 2000, 973 (979 f.).

69 Vgl. nur Kahl, Jura 2002, 721 ff., m. w. N. 70 Siehe nur EGMR, NJW 1999, 3107 ff.71 In diesem Sinne auch Kühling, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungs-

recht, 2003, S. 583 (598).72 Vgl. zur objektiven Wertentscheidung der Gemeinschaftsgrundrechte

Ehlers, in: ders. (Fn. 4), § 13, Rn. 24; Gersdorf, AöR 119 (1994), 400 (402 ff.);Meyer, in: ders., Kommentar zur Charta der Grundrechte der EuropäischenUnion, 2003, Präambel, Rn. 6; Rengeling/Szczekalla (Fn. 4), Rn. 235; zurobjektiven Schutzpflichtendimension Jaeckel, Schutzpflichten im deutschenund europäischen Recht, 2001, S. 183 ff.; Kühling, in: v. Bogdandy (Fn. 71),S. 583 (602 ff.); Schilling, EuGRZ 2000, 3 (32 f.); Zur Ausstrahlungswir-kung der Gemeinschaftsgrundrechte auf den mitgliedstaatlichen VollzugNicolaysen, in: Bruha/Nowak/Petzold (Fn. 22), S. 15 (17), im Übrigen abereher zurückhaltend (19 ff.).

73 Zur primärrechtskonformen Auslegung Ehlers, in: ders. (Fn. 4), § 13,Rn. 24; Rengeling/Szczekalla (Fn. 4), Rn. 253 ff.; § 4, Rn. 274; Schilling,EuGRZ 2000, 3 (30). In diesem Sinne exemplarisch EuGH, Rs. C-25/02,EuZW 2003, 734 (735) = Slg. 2003, I-8349 (8382), Tz. 26.

74 Vgl. allgemein und zutreffend Nitschke, Harmonisierung des nationalen Ver-waltungsvollzugs von EG-Umweltrecht, 2000, S. 158 f. Vgl. auch zu deninhaltlichen Differenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit trotz paralle-ler Terminologie Calliess, in: ders./Ruffert (Fn. 4), Art. 5 EGV, Rn. 46.

75 Vgl. BVerwGE 110, 302 (313).76 BVerwGE 110, 302 (313 f.); Freytag/Iven, NuR 1995, 109 (113); Gellermann,

NuR 1996, 548 (554); Iven, NuR 1996, 373 (379); Niederstadt, NuR 1998,515 (524).

77 BVerwGE 110, 302 (314 ff.).78 Vgl. Freytag/Iven, NuR 1995, 109 (114); Iven, NuR 1996, 373 (379); Koch (Fn.

66), S. 38; Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 42), § 34 BNatSchG, Rn. 18; Schrödter,NuR 2001, 8 (16). Siehe auch Jarass, ZUR 2000, 183 (188).

79 Wrase, NuR 2004, 356 (358). 80 Gellermann, NuR 1996, 548 (554); Ramsauer, NuR 2000, 601 (609 f.); Winter,

ZUR 1996, 254 (255).81 Im Ergebnis wie hier Epiney, UPR 1997, 303 (309); dies. (Fn. 62), S. 344 m.

Anm. 147; Freytag/Iven, NuR 1995, 109 (114); Iven, NuR 1996, 373 (379);Jarass, ZUR 2000, 183 (188); Koch (Fn. 66), S. 37; Müller-Terpitz, NVwZ1999, 26 (29); Niederstadt, NuR 1998, 515 (525); Rengeling, UPR 1999, 281(287); Schrödter, NuR 2001, 8 (16); Wrase, NuR 2004, 356 (358).

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schen Bedürfnissen. Auch verweisen das BVerwG und die h. L. imZusammenhang mit der Pflicht zur Alternativprüfung (Art. 6Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL) mit Recht auf das gemeinschaftsrechtlicheVerhältnismäßigkeitsprinzip, das legitime sekundärrechtliche Ver-haltensanforderungen im Hinblick auf die Auswahl alternativerProjektvarianten auf wirtschaftlich zumutbare Optionen verengt.66

Problematisch erscheint, dass reine Privatinteressen nach h. L.im Kontext der »öffentlichen« Interessen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zunächst keine Rolle spielen sollen.67 Die gänzliche Ausblen-dung betroffener Individualrechtsgüter lässt sich indes bereits imHinblick auf den primärrechtlichen Eigentumsschutz nicht durch-halten. Insoweit bedarf es einer Korrektur auch durch Gesichts-punkte grundrechtlicher Zumutbarkeit, die im Richtlinientextallenfalls unvollkommen Ausdruck gefunden haben. Der gebo-tene Eigentumsschutz erfordert es daher, dass unter dem Gesichts-punkt wirtschaftlicher Interessen auch die privaten Belange derEigentümer wirtschaftlich genutzter Grundstücke angemesseneBerücksichtigung finden, da die abschließende Regelung des Art. 6Abs. 4 FFH-RL ansonsten den Ausweg der Härtefallausnahmegenerell und damit primärrechtlich unzulässig versperren würde.Eine Interpretation des Terminus »wirtschaftlich« allein im Sinnevolkswirtschaftlicher Zwänge68 wird diesen Vorgaben nichtgerecht. Freilich können die privatwirtschaftlichen und damit imgesellschaftlichen Raum anzusiedelnden Nutzungs- und Gewinn-erzielungsinteressen nicht schlichtweg in ein öffentliches Inter-esse umgedeutet werden, was mit der demokratisch-rechtsstaat-lich notwendigen Scheidung von Staat und Gesellschaft69 nurschwer in Einklang zu bringen wäre. Anderes gilt aber für die mitden privaten Interessen korrespondierenden Grundrechtsbindun-gen des Staates, zumal das gemeinschaftsrechtliche Vollzugsinter-esse die Mitgliedstaaten auch nicht von ihrer Bindung an dieEMRK befreit70 und daher ein evidentes Interesse an der Beachtungvölkerrechtlicher Pflichtenbindungen besteht.71 Darüber hinausbesteht ein öffentliches Interesse an der Verwirklichung einerobjektiv-grundrechtlich geprägten Werteordnung, die nichtbloßer Reflex der Summe »egoistischer« Privatinteressen, sondernals Ausdruck der in den Grundrechten ebenfalls enthaltenenobjektiven Wertentscheidungen zugleich Gemeinwohlbelang ist.Eine solche objektive Wertentscheidung liegt auch der Gemein-schaftsrechtsordnung zugrunde und erfährt durch Art. 17 GR-Charta bzw. Art. II-77 VVE eine verstärkte Sichtbarmachung.72 Mitanderen Worten: Die grundrechtliche Werteordnung und dieGrundrechtsbindung des Staates bilden die Grundlage, die ange-messene Berücksichtigung privater Nutzungsinteressen auch indas öffentliche Interesse zu rücken und dadurch eine Eröffnungdes Ausnahmetatbestandes hermeneutisch zu ermöglichen. Auchwenn Eigentümerinteressen nicht ausdrücklich Eingang in dieFFH-RL gefunden haben, ist eine grundrechtskonforme Ausle-gung73 im vorstehenden Sinne daher möglich und auch geboten.Nur so kann ein Verstoß des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL gegen dieprimärrechtliche Eigentumsgarantie, der bei einer generellen Aus-blendung grundrechtlichen Eigentumsschutzes eigentlich zu grei-fen wäre, vermieden werden. Ob freilich auch der EuGH dazu bei-tragen wird, Eigentumsschutz nicht nur nominell, sondern auchpraktisch wirkungsvoll durchzusetzen, mag man angesichts dernoch unterentwickelten gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts-dogmatik eher bezweifeln.74 Der sich allmählich durchsetzendeVerständniswandel und die zunehmende Sensibilität für Grund-rechtsfragen nicht zuletzt im Zusammenhang mit der GR-Chartabzw. Teil II VVE lassen jedoch die Hoffnung auf eine erhöhteBonität des europäischen Grundrechtsschutzes zu.

2. Prioritäre SchutzgebieteSoweit prioritäre Schutzgebiete betroffen sind, verengen sich dieexplizit benannten projektbezogenen Ausnahmegründe zunächstauf die Topoi Leben, Gesundheit, Umweltschutz und öffentlicheSicherheit (Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL, § 34 Abs. 4 S. 1 BNat-SchG).75 Diese Rechtfertigungsgründe werden eng ausgelegt76 undsollen überdies nur dann greifen, wenn sie die wesentliche Erwä-gung für die Zulassung eines Vorhabens sind.77 Andere zwingendeGründe des überwiegenden öffentlichen Interesses können nurnach Stellungnahme der Kommission Berücksichtigung finden. Anvorgenannte Ausnahmeregelung schließt § 34 Abs. 4 S. 2 BNat-SchG an, wonach hierunter auch Gründe wirtschaftlicher odersozialer Art fallen. Die entscheidende Behörde hat sich hierbei mitder Stellungnahme der Kommission differenziert auseinanderzu-setzen, ist an diese aber nicht inhaltlich gebunden.78 Wird keineEinigung erzielt, verbleibt der Kommission immer die Möglichkeit,ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EGV) einzuleiten.

§ 34 Abs. 4 S. 2 BNatSchG wurde als unvereinbar mit Art. 6Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL angesehen.79 Die FFH-RL habe eine absch-ließende Regelung hinsichtlich der Zulässigkeit störender Vorha-ben getroffen und eine Relativierung des Schutzes prioritärerLebensräume aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen im Hin-blick auf die immense Bedeutung des Gebietsschutzes geradenicht vorgesehen.80 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.81

Bereits seinem ausdrücklichen Wortlaut nach sieht Art. 6 Abs. 4UAbs. 2 FFH-RL eine Berücksichtigung »anderer« Belange desöffentlichen Interesses nach Stellungnahme der Kommission vor.

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trotz gewisser Defizite im Wesentlichen angemessenen grund-rechtlichen Eigentumsschutz. Dessen dogmatische Ausdifferen-zierung ist freilich eher unkonturiert geblieben und hat durch dieZurücknahme der Kontrolldichte durch den EuGH bislang kaumzur Etablierung eines berechenbaren Schutzniveaus beitragenkönnen. Für den hier thematischen Bereich des Naturschutzesbedeutet dies, dass angesichts der unbestreitbar hohen Wertigkeit,die das öffentliche Gut Umwelt auch und aus guten Gründen imGemeinschaftsrecht genießt, vor allem bei prioritären Schutzge-bieten einschneidende Eingriffe in bereits ausgeübte Nutzungs-rechte möglich und regelmäßig auch hinzunehmen sind. EineEntschädigungspflichtigkeit von Eigentumsentziehungen oderMaßnahmen mit vergleichbar schwerer Wirkung ist zwar im Prin-zip anerkannt, aktualisiert sich vorliegend indes mangels Verant-wortlichkeit der Gemeinschaftsorgane für den erst den entschädi-gungspflichtigen Tatbestand auslösenden Vollzug der FFH-RLregelmäßig jedenfalls nicht gegenüber der Gemeinschaft. Die Ent-schädigungsfrage verlagert sich somit weitgehend in das Recht derMitgliedstaaten.

D. Nationalrechtliche Entschädigungsansprüche gegen dieLänder

Zu prüfen bleibt daher, ob in Deutschland jedenfalls Entschädi-gungsansprüche gegenüber den Bundesländern als Rechtsträgerder jeweiligen Naturschutzbehörden, welche die FFH-RL außen-wirksam vollziehen, in Betracht kommen. Die Frage nach der Ent-schädigungspflichtigkeit naturschutzrechtlicher Eingriffe führtdabei unweigerlich in die tückischen Untiefen verfassungsrechtli-cher Eigentumsdogmatik, die seit der Entscheidung des BVerfGzum Rheinland-Pfälzischen Denkmalschutzgesetz (RhPfDSchG)91

erneut in Bewegung geraten ist. Dabei können hier aus Platzgrün-den lediglich die spezifischen Fragen im Zusammenhang mit FFH-Gebietsfestsetzungen behandelt und mögliche Lösungsansätze inknappen Grundzügen aufgezeigt werden.

Von praktischer Relevanz sind in erster Linie die naturschutz-rechtlichen Entschädigungsregelungen (vgl. etwa Art. 36 BayNat-SchG), da diese bislang dazu dienten, intensive Beeinträchtigun-gen eigentumsrechtlich geschützter Nutzungsinteressen unter-halb der Schwelle der Eigentumsentziehung abzufedern. In derfachgerichtlichen Rechtsprechung wurden diese sog. »salvato-rischen Klauseln« in Anlehnung an die Pflichtexemplarentschei-dung des BVerfG92 dahingehend ausgelegt, dass sie als finanzielleKompensationsmasse die Zumutbarkeit ansonsten unverhältnis-

Hierzu können auch wirtschaftliche oder soziale Belange gerech-net werden.82 Dies ergibt sich bereits explizit aus dem definitori-schen Vorgriff in UAbs. 1, dem rein klarstellende Bedeutungzukommt,83 was eine Wiederholung in UAbs. 2 entbehrlichmachte.84 Auch die Kommission hat mit Recht die Auffassung ver-treten, dass wirtschaftliche und soziale Gründe »andere« Belangeim Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL darstellen können,wenngleich sie deren Ausnahmecharakter betont.85 Eine Einbezie-hung insbesondere wirtschaftlicher Belange erscheint, wie obendargelegt, im Hinblick auf eine primärrechtskonforme Auslegungder FFH-RL ohnehin zwingend geboten. Zwar ließe sich theore-tisch argumentieren, dass die einschlägige und inhaltlich gestufteRegelung bereits Produkt einer vom europäischen Richtlinienge-ber getroffenen Abwägungsentscheidung sei.86 Überzeugenderscheint dies aber nicht, da der damit postulierte absolute Vor-rang der Naturschutzbelange ersichtlich weder den gemeinsamenVerfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten noch den überArt. 6 Abs. 2 EUV durch die EMRK angereicherten Grundsätzendes Gemeinschaftsrechts entspräche. Auch die hohe Bedeutung,die dem Schutz von Gebieten mit prioritärem Charakterzukommt, kann nicht den generellen Vorrang vor allen anderenBelangen beanspruchen.

Im Ergebnis sind also auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2FFH-RL die Interessen privater Grundstückseigentümer zu berück-sichtigen, wenngleich den Belangen des Naturschutzes in der hiervorzunehmenden Güterabwägung ein besonderes Gewichtzukommt. Die Konsultationspflicht gegenüber der Kommissionstellt insoweit eine prozedurale Sicherung dar, die diesemUmstand Rechnung trägt und die gemeinschaftsrechtlichenSchutzziele vor einer Aushöhlung durch struktur- und wirtschafts-politische Entscheidungen der Mitgliedstaaten bewahren soll.

IV. Anhörung der Eigentümer

Aus der Betroffenheit der Grundstückseigentümer resultiertgrundsätzlich eine rechtsstaatliche Anhörungspflicht.87 Die FFH-RL enthält zwar diesbezüglich keine ausdrückliche Anordnung, siesteht einer Anhörung aber auch nicht im Wege, sondern stelltderen Ausgestaltung in das Ermessen der mit dem Vollzug betrau-ten Mitgliedstaaten.88 Nach allgemeinen Grundsätzen muss dieAnhörung in einem Verfahrensstadium stattfinden, in dem diedabei ermittelten Belange noch auf das Ergebnis der EntscheidungEinfluss haben können.89 Sie darf sich mithin nicht in einembloßen Anhörungs-Ritual erschöpfen, bei dem der Ausgang desVerfahrens ohne die jedes Verfahren konstituierende Ungewiss-heit bereits feststeht.90 Angesichts der dargestellten administrati-ven Systemvorgaben der FFH-RL muss eine Anhörung jedenfallsvor der endgültigen Kommissionsentscheidung über die Einbezie-hung des Gebiets in die Gemeinschaftsliste erfolgen. Praktischgesehen wird die Durchführung einer Anhörung aufgrund derSachnähe den Behörden der Mitgliedstaaten obliegen, die dannpotenziell entscheidungsrelevante Inhalte ex officio der Kommis-sion übermitteln (Art. 10 EGV). Die landesrechtlich vorgeseheneAnhörung der Grundeigentümer vor Erlass einer Naturschutzge-bietsverordnung (vgl. z.B. Art. 46 Abs. 3 S. 1 BayNatSchG)kommt in diesem Kontext demgegenüber ersichtlich zu spät, daetwaige Erkenntnisse von vornherein keinen Einfluss mehr auf dieverbindliche Auswahl der Gebiete durch die Kommission haben.

V. Zwischenbilanz

Der Befund zur Lage des Eigentums im Rahmen des Verfahrens zurAusweisung von FFH-Schutzgebieten fällt damit durchaus ambiva-lent aus. Einerseits gewährt das primäre Gemeinschaftsrecht einen

82 Jarass, ZUR 2000, 183 (188); Koch (Fn. 66), S. 37; Wrase, NuR 2004, 356 (358).83 Freiburg (Fn. 68), S. 129.84 Koch (Fn. 66), S. 37.85 Stellungnahme der Kommission v. 27.4.1995 betreffend Querung des

gemeinsamen Tales von Trebel und Recknitz durch die geplante AutobahnA 20, ABlEG 1995 Nr. C 178, S. 3 (5).

86 Vgl. insoweit zu Art. 4 Abs. 1 VRL: Generalanwalt Fennelly, Rs. C-44/95,Slg. 1996, I-3805 (3826, 3829), Nr. 50, 59; BVerwGE 117, 149 (156).

87 Siehe Kolodziejcok, NuR 2000, 674 (675); Nies/Schröder, AgrarR 2002, 172(174). Vgl. auch OVG Lüneburg, NuR 2001, 167 (168). Zum Recht aufAnhörung im Verwaltungsverfahren aus gemeinschaftsrechtlicher SichtEuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (485 ff.), Tz. 9 ff.; Rengeling/Szczekalla (Fn. 4),Rn. 1089, Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Band II, 1988, S. 1275 f.

88 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (65); Nies/Schröder, AgrarR 2002,172 (174).

89 In diesem Sinne auch Kolodziejcok, NuR 2000, 674 (675).90 Zum Begriff des Rituals in diesem Sinne Luhmann, Legitimation durch Ver-

fahren, 4. Aufl. 1997, S. 38 ff., 51 f.91 BVerfGE 100, 226 ff.; übernommen durch BVerwGE 112, 373 (376 ff.). 92 BVerfGE 58, 137 (145 ff.). Zur Genese des Instituts der ausgleichpflichtigen

Inhaltsbestimmung siehe Breuer, NuR 1996, 537 ff. insbesondere zum Natur-schutzrecht; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner GG, Band 1, 4.Aufl. 1999, Art. 14, Rn. 241 ff.; Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 241ff.; Ossenbühl, in: Festschr. Friauf, 1996, S. 391 ff.; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. I,2. Aufl. 2004, Art. 14, Rn. 132 ff.

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mäßiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne desArt. 14 Abs. 1 S. 2 GG herstellen können (»ausgleichpflichtigeInhaltsbestimmung«).93 Nur was über die Belastungen hinausgeht,die aufgrund der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2GG) ohnehin hinzunehmen sind, löst danach eine Entschädigungaus. Dies war nach bislang gefestigter Rechtsprechung bei einerNaturschutzgebietsfestsetzung nur dann der Fall,94 wenn generellnicht genügend Raum für einen privatnützigen Gebrauch ver-bleibt oder eine bereits ausgeübte Nutzung unterbunden wird.95

Im Übrigen werden naturschutzrechtliche Nutzungsbeschränkun-gen im Hinblick auf die Situationsgebundenheit des Eigentums,nunmehr zusätzlich verstärkt durch Art. 20a GG,96 als verhältnis-mäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen angesehen, dieentschädigungslos hinzunehmen sind.97 Ein bloßes Verschlechte-rungsverbot, wie es Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorsieht, dürfte danachregelmäßig keine Entschädigungsansprüche auslösen.98

Die Entscheidung des BVerfG zum RhPfDSchG scheint jedochauf den ersten Blick der Auslegung »salvatorischer Klauseln« alsAusgleichsregelungen im Rahmen gesetzlicher Inhalts- undSchrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) weitgehendden Boden zu entziehen.99 Das Gericht betont, den Grundsatz»Integritätsschutz vor Ausgleich«100 verwirklichend, den Vorrangdes Bestandsschutzes und sieht Regelungen, die sich daraufbeschränken, im Falle unverhältnismäßiger Eingriffe eine Ent-schädigung in Geld zu gewähren, als prinzipiell unzulänglich an.Dem Gesetzgeber obliege es vielmehr, Inhalts- und Schrankenbe-stimmungen so zu gestalten, dass sie unverhältnismäßige Bela-stungen, soweit möglich, real vermeiden und die Privatnützigkeitdes Eigentums erhalten. Hierzu wird der Gesetzgeber auf Über-gangsregelungen, Ausnahmen, Befreiungen und sonstige admini-strative Maßnahmen verwiesen.101 Erst wenn derartige Maßnah-men ausgeschlossen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwandmöglich seien, könne ein finanzieller Ausgleich, der außerhalbförmlich-finaler Enteignungen im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GGinsoweit nur noch subsidiär zulässig ist,102 in Betracht kommenoder die Einräumung eines Anspruchs des Eigentümers auf Über-nahme des Grundstücks durch die öffentliche Hand gebotensein.103 Das BVerfG erkennt das Problem, dass der Betroffene dieEntscheidung über die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegeneine Eigentumsbeeinträchtigung nur sinnvoll und in zumutbarerWeise treffen kann, wenn er weiß, ob ihm ein Ausgleich zusteht,und verlangt daher, dass im Rahmen der belastenden Maßnahmezumindest dem Grunde nach bereits über die Entschädigung ent-schieden wird.104

Ob daher beispielsweise die überkommene Regelung des Art. 36BayNatSchG den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen aneine Ausgleichsregelung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GGgenügt, erscheint nicht unproblematisch, da diese weder die vor-rangige Milderung der Belastung durch andere Maßnahmen vor-sieht, noch sicherstellt, dass mit der belastenden Maßnahmezugleich über den Ausgleich entschieden wird.105 Das BVerwG istdiesen Bedenken nicht gefolgt und hat die Auffassung vertreten,die mustergültige »klassische« Ausgleichsregelung des Art. 36BayNatSchG genüge den dargestellten Anforderungen des BVerfG.Das Naturschutzrecht, insbesondere die Bestimmungen über dieFestsetzung von Naturschutzgebieten, hielten inhaltlich sowohlhinreichend bestimmte als auch ausdifferenzierte Regelungenbereit, die dem Vorrang des Bestandsschutzes nach Art. 14 Abs. 1GG angemessen Rechung trügen.106 Die Forderung nach einerKoppelung von inhaltlicher Konkretisierung und Entschädigungs-regelung hält das BVerwG für nicht übertragbar auf Naturschutz-gebietsverordnungen. Das vom BVerfG auch für ausgleichspflich-tige Inhaltsbestimmungen postulierte Junktim sei allein auf Ver-waltungsakte zugeschnitten, durch die der Bürger unter den

93 Exemplarisch BVerwGE 84, 361 (368 f.); 94, 1 (7); BGHZ 128, 204 ff.; 126,379 ff.; 121, 328 ff.; BayVGH, BayVBl. 1995, 242 (245); VGH BW, NVwZ 1994,1024 (1028); BayObLG, NVwZ-RR 1989, 290 ff.; Axer, DVBl. 1999, 1533 (1536,1538); Berkemann, in: Umbach/Clemens, Mitarbeiterkommentar GG, 2002,Art. 14, Rn. 345 ff.; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 92), Art. 14,Rn. 245 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 27, Rn.79 ff.; Ossenbühl, in: Festschr. Friauf, 1996, S. 391 (403 f.); Rüfner, in: Festschr.Boujong, 1996, S. 643 (644 ff., 653).

94 Etwa BVerwGE 94, 1 (11); BVerwG, NuR 2000, 267; BayVGHE 53, 164(176 f.).

95 Vgl. BayVGHE 53, 164 (177 f.); ähnlich rigide BVerfG, NJW 1998, 367(368); BayVGH, BayVBl. 1995, 242 (245 f.).

96 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 367 (368); Berkemann, in: Umbach/Clemens(Fn. 92), Art. 14, Rn. 393; differenziert kritisch Axer, DVBl. 1999, 1533(1543 f.).

97 Exemplarisch aus der Rspr. BVerfG, NJW 1998, 367 ff.; BVerwGE 112, 373(377); 94, 1 (5 f.); 67, 93 (95 f.); 49, 365 (368); BGHZ 121, 328 ff.;BayVGHE 53, 164 (176 f.); BayVGH, BayVBl. 1995, 242 (245); OVGKoblenz, NVwZ-RR 1992, 174; OVG Lüneburg, NuR 2001, 167 (169); VGHBW, NVwZ 1994, 1024 (1028).

98 Vgl. insoweit auch OVG Koblenz, NVwZ-RR 1992, 174, wonach natur-schutzrechtliche Regelungen, die in erster Linie den Status quo erhalten sol-len, unbedenklich sind.

99 Dezidiert Maurer (Fn. 93), § 27, Rn. 83; Stüer/Thorand, NJW 2000, 3737 ff.;jedenfalls skeptisch Martin, BayVBl. 2000, 584 (587 f.); differenziert demge-genüber Depenheuer, in: v. Danwitz/ders./Engel (Fn. 22), S. 109 (203 ff.);Hendler, DVBl. 1999, 1501 (1503 f.); Külpmann, JuS 2000, 646 (650); Roller,NJW 2001, 1003 (1008).

100 Depenheuer, in: v. Danwitz/ders./Engel (Fn. 22), S. 109 (194 f.).101 BVerfGE 100, 226 (245).102 Papier, DVBl. 2000, 1398 (1403). Vgl. auch Appel, Entstehungsschwäche

und Bestandsstärke des verfassungsrechtlichen Eigentums, 2004, S. 264(»ultima ratio«); Berg, JuS 2005, 961 (965); Külpmann, JuS 2000, 646 (649).Das BVerfG (E 100, 226 [246]), stellt insoweit fest, dass die betroffene salva-torische Klausel des RhPfDG jedenfalls den Anforderungen an eine Aus-gleichsregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht genüge und lässtoffen, ob für diese Regelung noch ein Anwendungsbereich verbleibt.

103 BVerfGE 100, 226 (245 f.). 104 BVerfGE 100, 226 (246).105 Siehe Battis, NuR 2000, 421 (425); Brink/Krichbaum, DÖV 2000, 973 (976);

Papier, DVBl. 2000, 1398 (1406 f.).106 BVerwGE 112, 373 (377 f.). 107 BVerwGE 112, 373 (379). 108 So auch Hönes, NuR 2002, 324 (327).109 Zum Begriff Kimminich, NuR 1985, 1 ff.110 Depenheuer, in: v. Danwitz/ders./Engel (Fn. 22), S. 109 (204).

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Entscheidungsdruck gesetzt werde, ob er gegen eine belastendeMaßnahme Rechtsschutz in Anspruch nehmen wolle. Dieses Pro-blem stelle sich jedoch bei Rechtsverordnungen nicht, da sich derGrundeigentümer hier jederzeit auf deren Nichtigkeit berufenkönne.107 Dieser Versuch, die überkommene Dogmatik zur aus-gleichspflichtigen Inhaltsbestimmung fortzuführen, dürfte dennormativen Sinngehalt des bundesverfassungsgerichtlichenAnsatzes allerdings nur unvollkommen erfassen. Dem BVerfGging es in erster Linie darum, dass Vorkehrungen gegen unverhält-nismäßige Belastungen bereits auf der Stufe der Rechtssetzung zutreffen seien.108 Benötigt die Naturschutzbehörde als Normgeberzur Herstellung eines angemessenen Interessenausgleichs nochder Arrondierung durch eine Entschädigungsregelung, bleibt dasGesamtkonzept ohne diese unvollständig und verfehlt daher dieverfassungsrechtlich geforderte Pflicht zur Herstellung innererKohärenz.

Im Ergebnis kann dies hier jedoch offen bleiben, da für Entschä-digungsregelungen wie Art. 36 BayNatSchG jedenfalls im Rah-men des Vollzuges der FFH-RL nach Maßgabe der §§ 32 ff. BNat-SchG ein eigenständiger und verfassungskonformer Anwendungs-bereich verbleibt. Der Ansatz des BVerfG zielt ersichtlich aufInhalts- und Schrankenbestimmung, die in der Gestaltungsver-antwortung des zuständigen staatlichen Gesetzgebers bzw. kom-plementär der Verwaltung liegen, die den Vorrang des Bestands-schutzes konzeptionell zu verwirklichen haben. Es ist daher mitRecht eingewandt worden, dass sich unvorhersehbare und mithineiner legislativen Gestaltung entziehende Folgen von Eigentums-belastungen, die sich lediglich in Einzelfällen aktualisieren(»Zufallsenteignungen«),109 kaum anders als über subsidiäre Aus-gleichsbestimmungen auffangen lassen.110 Das Konzept desBVerfG wird darüber hinaus aber auch verfehlt, wenn bereits

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Prof. Dr. Wolfgang Kahl, M. A. Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht,Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle für das Recht der Nach-haltigen Entwicklung an der Universität Bayreuth, Universitätsstraße 30(B 9), 95447 Bayreuth, Email: [email protected]ätigkeitsschwerpunkte: Deutsches und europäisches Verfassungs- und Ver-waltungsrecht, insbesondere allgemeines Verwaltungsrecht, Wirtschafts-verwaltungs- und Umweltrecht, Hochschulrecht

Dr. Klaus Ferdinand GärditzAnschrift wie oben, Email: [email protected]ätigkeitsschwerpunkte: Verfassungsrecht, insbesondere Finanzverfas-sungsrecht; deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, insbesondereHochschulrecht, Naturschutzrecht, Polizeirecht; Völkerrecht

Aktuelle Veröffentlichungen: Kahl, Hochschule und Staat, 2004; Spracheals Kultur- und Rechtsgut (im Erscheinen, VVDStRL 65 [2006]); Hoch-schulräte – Demokratieprinzip – Selbstverwaltung, AöR 130 (2005),225 ff.; Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt, DerStaat 43 (2004), 167 ff.; Kahl/Gärditz, Rechtsschutz im europäischen Kon-trollverbund am Beispiel der FFH-Gebietsfestsetzungen, NuR 2005, 555 ff.;Gärditz, Studiengebühren, staatsbürgerliche Gleichheit und Vorteilsaus-gleich, WissR 38 (2005), 157 ff.Zu Einzelheiten siehe http://www.uni-bayreuth.de/departments/rw/lehr-stuehle/oer1/

Gemeinschaftsorgane die wesentlichen Vorentscheidungengetroffen und damit dem staatlichen Gesetzgeber die Gestaltungs-verantwortung abgenommen haben. Zwar ist Letzterer weiterhingehalten, die verbleibenden Spielräume auszufüllen. Die Möglich-keiten zu einer staatlich-autonomen Gestaltung sind indesbegrenzt und vollziehen sich im Wesentlichen nach gemein-schaftsrechtlichen Bewertungskriterien. Sieht man einmal von derFrage eines Dispenses nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ab, verbleibenden Mitgliedstaaten neben der Option der Enteignung im Sinnedes Art. 14 Abs. 3 GG im Wesentlichen nur noch die Möglichkei-ten einer Entschädigung oder Übernahme des Grundstücks, umdie Schwere einer gemeinschaftsrechtlich determinierten Nut-zungsbeschränkung abzufedern. Im Übrigen müssen die landes-rechtlichen Entschädigungsregelungen als Bestandteil des ein-schlägigen naturschutzrechtlichen Regelungskomplexes betrach-tet werden. Der Bundesgesetzgeber hat insbesondere in § 34BNatSchG für Projekte das differenzierte und gestufte Regelungs-konzept des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL nachvollzogen. Der rah-menrechtliche Charakter insbesondere des Bundesrechts (vgl.§§ 11 S. 1, 69 Abs. 1 BNatSchG) lässt nicht die eigentumsrechtli-che Gestaltungswirkung entfallen. Soweit sich die aktuell verblei-benden Handlungsoptionen auf ein bloßes Nachzeichnengemeinschaftsrechtlicher Vorgaben beschränken, wird man eineEntschädigungsklausel als Komplementierung eines bereits aus-differenzierten Regelungskonzeptes für verfassungskonformerachten müssen. Es wäre kaum sinnvoll, dem Gesetzgeber einezusätzliche Gestaltungsverantwortung aufzulasten, die er schonaus Rechtsgründen nicht auszufüllen vermag.

Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass im Falle einer wirt-schaftlich unzumutbaren Beschränkung der bisherigen Grund-stücksnutzung durch den Vollzug der FFH-RL grundsätzlich Ent-schädigungsansprüche nach den naturschutzrechtlichen General-klauseln gegeben sind.

E. Resümee

Resümierend hat die vorangegangene Analyse einmal mehr denBefund bestätigt, die Entwicklung einer kohärenten Grundrechts-dogmatik stecke auf Gemeinschaftsebene bislang zum Teil noch inden Kinderschuhen.111 Insbesondere entspricht die restriktiveEigentumsdogmatik des EuGH in manchen Bereichen, etwa derVerhältnismäßigkeitsprüfung, nicht völlig den Maßstäben desEGMR.112 Anhand des aktuellen Beispiels des Naturschutzrechtslässt sich belegen, dass die Herausforderungen, denen sich derSchutz der Eigentumsfreiheit im europäischen Verwaltungsver-bund stellen muss, noch eine Reihe bislang ungelöster Rechtsfra-gen enthalten. Obwohl das EG-Eigentumsgrundrecht schon bis-

her das durch Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane am häufig-sten betroffene Freiheitsrecht darstellt, zeigt sich hinsichtlich desEigentumsschutzes auf Gemeinschaftsebene ein eher enttäu-schendes Bild.113 Insoweit erscheint es geboten, die gemeinschafts-rechtliche Grundrechtsdogmatik fortzuentwickeln, die der rasan-ten Ausdifferenzierung des Sekundärrechts leider immer nochhinterherhinkt. Entscheidend wird es darauf ankommen, dasssich auch der EuGH mehr als bisher als »grundrechtlicher Integra-tionsmotor«114 begreift, individuelle Freiheit wirksamer auchgegenüber Gemeinschaftsrechtsakten verteidigt und dadurchletztlich die Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts fördert. ErheblicheBedeutung wird in diesem Zusammenhang auch Art. 52 GrChbzw. Art. II-112 Abs. 3 VVE zukommen, die bestimmen, dassGrundrechte der CrCh bzw. des Teils II des VVE, die Freiheiten derEMRK entsprechen, im Sinne gleicher Bedeutung und Tragweitewie die Konventionsrechte auszulegen sind. Letztlich dürfte diesin der Rechtspraxis, zusätzlich katalysiert durch einen etwaigenBeitritt der EU zur EMRK nach Art. I-9 Abs. 2 S. 1 VVE, auf eineBindung der Gemeinschaftsorgane an die Rechtsprechung desEGMR hinauslaufen.115

111 Kühling, in: v. Bogdandy (Fn. 71), S. 583 (597).112 Ress, ZaöRV 64 (2004), 621 (638).113 v. Danwitz, in: ders./Depenheuer/Engel (Fn. 22), S. 215 (281).114 Vgl. Skouris, in: Festschr. Tsatsos, 2003, S. 639 ff.115 v. Danwitz, ZG 2005, 1 (10 f., 15), mit der nicht unberechtigten Hoffnung, dass

dies zu einer Anhebung des grundrechtlichen Schutzniveaus führen werde.

Michael Uechtritz

Die Umweltprüfung in der Raumordnung – zur Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie

Mit dem Europarechtsanpassungsgesetz Bau hat der Bundesgesetzgeberdie Vorgaben der Plan-UP-Richtlinie nicht nur für die Bauleitplanung,sondern auch – rahmenrechtlich – für die Raumordnung fristgerecht um-gesetzt. Der Beitrag behandelt die rahmenrechtlichen Vorgaben für dieRaumordnung in den Ländern, speziell im Hinblick auf die neu einge-

führte Umweltprüfung. Eingegangen wird auch auf die ersten landes-rechtlichen Regelungen zur Implementierung der Vorgaben der Plan-UP-Richtlinie und der rahmenrechtlichen Vorgaben des ROG in den Bundes-ländern.

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punkt bei der Erörterung der bundesrechtlichen Rahmenregelun-gen. Ergänzend wird aufgezeigt, wie die Umsetzung dieser rah-menrechtlichen Vorgaben in den bereits novellierten Landespla-nungsgesetzen Bayerns8 und Nordrhein-Westfalens9 erfolgt ist.Ausgeklammert werden die Neuregelungen, die sich auf dieRaumordnung im Bund beziehen, speziell auch die Neuregelun-gen des § 18 a ROG zur Raumordnung in der ausschließlichenWirtschaftszone.10

B. Der Grundsatz: Obligatorische Umweltprüfung bei allenRaumordnungsplänen auf Landesebene

I. Änderung des § 7 Abs. 5 ROG

Die rahmenrechtlichen Vorgaben für die Umweltprüfung in derRaumordnung finden sich in § 7 Abs. 5 bis 10 ROG. Da Raumord-nungspläne auf Landesebene nach Art. 3 Abs. 2a Plan-UP-Richtlinieregelmäßig UP-pflichtig sind,11 bestimmt § 7 Abs. 5 S. 1 ROG, dassgrundsätzlich bei jeder Aufstellung und Änderung von Raumord-nungsplänen eine Umweltprüfung durchzuführen ist. Ein »Scree-

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A U F S Ä T Z E | Uechtr i tz , D ie Umweltprüfung in der Raumordnung

A. Vorbemerkung

Die Richtlinie 2001/42/EG1 über die Prüfung der Umweltauswir-kungen bestimmter Pläne und Programme (künftig Plan-UP-Richtlinie)2 hat das Ziel »im Hinblick auf die Förderung einernachhaltigen Entwicklung ein hohes Umweltschutzniveau sicher-zustellen und dazu beizutragen, dass Umwelterwägungen bei derAusarbeitung und Annahme von Plänen und Programmen einbe-zogen werden, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmte Pläneund Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswir-kungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden. GemäßArt. 3 Abs. 2a Plan-UP ist eine Umweltprüfung (u.a.) bei allen Plä-nen und Programmen in den Bereichen der Raumordnung oderBodennutzung durchzuführen, durch die der Rahmen für diekünftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der UVP-Richtlinie aufgeführten Projekte gesetzt wird oder bei denen ange-sichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Ver-träglichkeitsprüfung nach Art. 6 oder 7 FFH-Richtlinie für erfor-derlich erachtet wird.

Die Umsetzung dieser Richtlinie war vom deutschen Gesetzge-ber bis zum 21.7.2004 vorzunehmen. Für das Recht des Städtebausund der Raumordnung wurde die Aufgabe fristgerecht erfüllt. DasEAG Bau, mit dem der Bundesgesetzgeber für den Bereich der Bau-leitplanung und der Raumordnung die Vorgaben der Plan-UP-Richtlinie umgesetzt hat, ist zum 20.7.2004 in Kraft getreten.3

Da der Bund im Bereich der Raumordnung nur die Kompetenzbesitzt, Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zuerlassen, war diesem eine »Vollumsetzung« der Plan-UP-Richtliniefür die Materie der Landes- und Regionalplanung verwehrt. DerSchwerpunkt der Anpassung des nationalen Raumordnungsrechtsan die Vorgaben der Plan-UP-Richtlinie liegt also bei den Ländern,denen grundsätzlich eine unmittelbare Verpflichtung zur fristge-rechten Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie innerhalb ihresZuständigkeitsbereichs obliegt.4 Das Dilemma, dass die Länder dieAnpassung ihrer Landesplanungsgesetze sinnvoller Weise erstnach Festlegung der rahmenrechtlichen Vorgaben des Bundes vor-nehmen können, diese jedoch im Rahmen des EAG Bau erstunmittelbar vor Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getreten sind,wurde wie folgt gelöst: In § 22 ROG wird angeordnet, dass dieLänder ihre Anpassungspflicht hinsichtlich § 7 Abs. 5 bis 10 ROG(es handelt sich hierbei um die rahmenrechtlichen Bestimmun-gen, mit denen der Bundesgesetzgeber die Anforderungen derPlan-UP-Richtlinie bezüglich der Umweltprüfung in das ROGimplantiert hat) bis zum 31.12.2006 zu erfüllen haben und dassbis zu einer landesrechtlichen Umsetzung der Plan-UP-Richtliniedie §§ 7 Abs. 5 bis 10 und § 10 Abs. 2 Nr. 1 ROG unmittelbar anzu-wenden sind. Diese Vorgehensweise dürfte verfassungsrechtlichnicht zu beanstanden sein. Zwar hat das BVerfG in seinem Urteilzur Juniorprofessur strenge Voraussetzungen für die Zulässigkeitunmittelbar geltender und in Einzelheiten gehende Regelungenim Anwendungsbereich der Rahmengesetzgebung aufstellt.5

Es liegt vorliegend jedoch ein Ausnahmefall i.S.d. Art. 75 Abs. 2GG vor.6 Das vorstehend geschilderte Dilemma und die gesamt-staatliche Verantwortung von Bund und Ländern für die Umset-zung der Plan-UP-Richtlinie liefert einen rechtfertigenden Sach-grund.7 Zudem wird die Intensität des Eingriffs in die Gesetzge-bungskompetenz der Länder dadurch relativiert, dass dieunmittelbare Geltung der entsprechenden Bestimmungen desROG zeitlich befristet bzw. konditioniert ist – bis zum Erlass ent-sprechender landesrechtlicher Regelungen, die die Anforderungender Plan-UP-Richtlinie umsetzen.

Thema dieses Beitrags ist die Darstellung, welche neuen Anfor-derungen auf Grund der Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie dieRaumordnung künftig zu beachten hat. Dabei liegt der Schwer-

1 ABl. 2001 L 197, S. 30; zur Richtlinie siehe Platzer-Schneider, in: Hendler u.a., Diestrategische Umweltprüfung (sog. Plan-UVP) als neues Instrument des Umwelt-rechts, Schriftenreihe des Instituts für Umwelt und Technikrecht der UniversitätTrier, 2004, Band 76, S. 15 ff.; Lindemann, Die Richtlinie zur strategischenUmweltprüfung aus gliedstaatlicher Sicht, in: Hendler u.a., S. 61 ff.; Spanno-wsky, Rechts- und Verfahrensfragen einer »Plan-UVP« im deutschen Raumpla-nungssystem, UPR 200, 201 ff.; Schmidt/Rütz, Umsetzungsfragen bei der strategi-schen Umweltprüfung (SUP) in nationales Recht, DVBl. 2002, 357 ff.; Sheate,The Directive on Strategic Environmental Assessment, European EnvironmentalLaw Review, 2003, 331 ff.; Peters/Surburg, Die strategische Umweltprüfung beiPlänen und Programmen, VR 2004, 9 ff.; Schink, Umweltprüfung für Pläne undProgramme, NVwZ 2005, 615 und Erbguth/Schubert, Strategische Umweltprü-fung und Umweltverträglichkeitsprüfung – Neue Herausforderungen für dieKommunen?, DÖV 2005, 533 ff.

2 Im Folgenden werden – entsprechend der Richtlinie 2001/42/EG – die Ter-mini »Plan-UP-Richtlinie« und Umweltprüfung verwendet, obwohl imdeutschen Schrifttum überwiegend von der »strategischen« Umweltprüfungbzw. der »Plan-SUP« gesprochen wird; kritisch zu dieser Terminologie Ronel-lenfitsch, Die Plan-Umweltprüfung bei der Verkehrswegeplanung, in:Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 36, S. 35, S. 45 f.

3 Siehe hierzu Krautzberger/Stüer, Städtebaurecht 2004: Umweltprüfung undAbwägung, DVBl. 2004, 781 ff. und 914 ff.; Finkelnburg, Die Änderungendes Baugesetzbuches durch das Europaanpassungsgesetz Bau, NVwZ 2004,897 ff.; Schrödter, Umweltprüfung und Umweltüberwachung in der Bauleit-planung, NordÖR 2004, 317 ff.; Upmeier, Einführung zu den Neuerungendurch das Europaanpassungsgesetz Bau, BauR 2004, 1382 ff. und Uechtritz,Die Umweltprüfung in der Bauleitplanung, BauR 2005, Heft 12; Für die übri-gen Pläne und Programme, bei denen der Gesetzgeber die Einführung einerUmweltprüfung als erforderlich angesehen hat, ist dies durch das Gesetz zurEinführung einer strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung derRichtlinie 2001/42/EG (SUPG) vom 25.6.2005 geschehen, BGBl. I, S. 174;siehe hierzu Erbguth/Schubert, Das Gesetz zur Einführung einer StrategischenUmweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG),ZUR 2005, 524 ff.

4 Schreiber, Die Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie im Raumordnungsrecht –Eine Zwischenbilanz, UPR 2004, 50 f.

5 NJW 2004, 2807 ff.; siehe auch noch BVerfG, NJW 2005, 493 ff. – Studienge-bühren –.

6 So auch die Begründung des Gesetzentwurfs zum EAG Bau, BT-Drucks.15/2250, S. 73.

7 Degenhart, in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 75 Rn. 13; für Zulässigkeit auchSchreiber, UPR 2004, 50, 51; näher hierzu auch Runkel, Die rahmenrechtli-chen Vorschriften zur Plan-UP im Raumordnungsgesetz während ihrerunmittelbaren Anwendung, Vortragsmanuskript im Rahmen des Kursus desInstituts für Städtebau Berlin „Städtebau und Recht“ vom 26. bis 30.9.2005in Berlin; zweifelnd Erbguth, NuR 2004, EAGBauE: Änderungen desRaumordnungsgesetzes; NuR 2004, 91, 93 und Kment, Das geänderteRaumordnungsgesetz nach Erlass des Europarechtsanpassungsgesetzes Bau,NVwZ 2005, 886, 890.

8 BayLPlG vom 27.12.2004, BayGVbl Nr. 23/2004, S. 521; Zur Neufassungdes Bayerischen Landesplanungsgesetzes siehe auch Goppel/Schreiber,BayVBl 2005, 353 ff.

9 LPlG vom 3.5.2005, GV.NRW.2005, S. 430.10 Hierzu Schomerus/Busse, Strategische Umweltprüfung bei planerischen Aus-

weisungen für Offshore-Windparks in der deutschen ausschließlichen Wirt-schaftszone (AWZ), NordÖR, 2005, 45 ff. und Kment, NVwZ 2005, 886 f.

11 Hendler, Der Geltungsbereich der EG-Richtlinie zur strategischen Umweltprü-fung, NuR 2003, 2, 4 ff. und Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungs-plänen, 2004, S. 53; zur Beurteilung der Frage, inwieweit die Raumordnungauf Bundesebene eine Umweltprüfung erfordert, Uebbing, S. 53 ff.

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ning« im Einzelfall, entsprechend § 3a UVP-G ist daher entbehrlich.Den Ländern ist lediglich die Regelung gestattet, dass bei geringfügi-gen Änderungen von Raumordnungsplänen nur dann eine Umwelt-prüfung durchzuführen ist, wenn in einem Screening gemäß denKriterien des Anhangs II der Richtlinie festgestellt worden ist, dassdiese erhebliche Umweltauswirkungen haben. Diese Ausnahmeregelist durch Art. 3 Abs. 3 der Plan-UP-Richtlinie gedeckt.12

II. Landesrechtliche Umsetzung

Für die Landesgesetzgeber stellt sich die Frage, ob und in welchemUmfang sie von dieser rahmenrechtlichen Ermächtigung Gebrauchmachen wollen. Anders als im Bereich der Bauleitplanung dürfte esauf der Ebene der Landes- und Regionalplanung keine Möglichkeiteiner generellen Ausnahme entsprechend § 13 BauGB geben, dieSchwierigkeiten und Unsicherheiten im Einzelfall vermeidet. Es las-sen sich wohl kaum gemäß Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie abstrakte Aus-sagen für Änderungspläne formulieren (etwa durch die Festsetzungvon Schwellenwerten), wann lediglich eine »geringfügige« Ände-rung vorliegt. Dies spricht dafür, die grundsätzliche UP-Pflicht jed-weder Änderung von Raumordnungsplänen anzuordnen und einEntfallen der UP-Pflicht nur dann vorzusehen, wenn das Screeningim Einzelfall ergibt, dass im konkreten Fall keine erheblichen Um-weltauswirkungen zu erwarten sind.13

Diesen Weg hat der bayerische Gesetzgeber gewählt. Nach Art.12 Abs. 4 BayLPlG kann von der Erstellung des Umweltberichts beigeringfügigen Änderungen von Raumordnungsplänen abgesehenwerden, wenn nach den Kriterien des Anhangs II der Plan-UP-Richtlinie festgestellt worden ist, dass die Änderungen voraus-sichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben werden.Diese Feststellung ist unter Beteiligung der Behörden zu treffen, zuderen Aufgaben die Wahrnehmung der Belange gehört, die nachAnhang I f der Plan-UP-Richtlinie genannt sind. Die Erwägungen,die zu der Feststellung »keine erheblichen Umweltauswirkungen«geführt haben, sind in die Begründung des Entwurfs aufzuneh-men. Nach bayerischem Landesrecht ist also bei der Änderung vonRaumordnungsplänen die Vorprüfung durchzuführen, ob eineformalisierte Umweltprüfung mit der Erstellung eines Umweltbe-richts geboten ist.

Eine hiervon abweichende Regelung findet sich im Landespla-nungsgesetz NRW. Gemäß § 15 Abs. 1 LPlG NRW ist im Rahmender Aufstellung von Raumordnungsplänen (generell) eine Umwelt-prüfung durchzuführen. Die Änderung von Regionalplänen ist in §20 Abs. 6 behandelt. Danach kann die Änderung eines Regional-plans in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden,soweit nicht die Grundzüge der Planung berührt werden. Die Ver-einfachung kann sich auf die Abgrenzung des Kreises der Beteilig-ten und auf die Beteiligungsfrist beziehen. Ein Verzicht auf dieUmweltprüfung ist im vereinfachten Verfahren nicht vorgesehen.

Sofern die Länder (wie etwa Bayern) von der bundesrechtlichenErmächtigung Gebrauch machen, bei »geringfügigen Änderun-gen« eines Raumordnungsplans die Durchführung einer UP voneiner Prüfung im Einzelfall abhängig zu machen, stellt sich dieFrage, anhand welcher Maßstäbe das Vorliegen erheblicherUmweltauswirkungen zu bestimmen ist. Die Kommission selbsthat in ihrer Arbeitshilfe zur Umsetzung der Plan-UP konstatiert, dieVoraussage sei »kompliziert, insbesondere bei relativ weit gefassten… Plänen und Programmen, bei denen es schwierig sein dürfte, dieDurchführungsergebnisse zum Zeitpunkt der Annahme eines Plansoder Programms vorherzusehen«.14 Ein Raumordnungsplan wirdtypischerweise als »weit gefasster« Plan in diesem Sinne zu verste-hen sein. Die Kriterien des Anhangs II differenzieren im Bezug aufdie Merkmale des Plans oder Programms (Abs. 1) und die Merk-

male der Auswirkungen und der voraussichtlich betroffenenGebiete (Abs. 2). Für die Einzelfallprüfung dürfte es entscheidendauf die Merkmale der Auswirkungen ankommen (Wahrscheinlich-keit, Dauer, Häufigkeit und Umkehrbarkeit der Auswirkungen,deren kumulativen Charakter sowie deren Umfang und die räumli-che Ausdehnung); in Bezug auf die Schutzgüter kann auf die inAnhang I f. genannten Aspekte (biologische Vielfalt, die Bevölke-rung, die Gesundheit des Menschen, Fauna, Flora, Boden, Wasser,Luft, klimatische Faktoren, Sachwerte, das kulturelle Erbe einsch-ließlich der architektonisch wertvollen Bauten und der archäologi-schen Schätze, die Landschaft und die Wechselbeziehung zwischenden genannten Faktoren) zurückgegriffen werden.

Nicht selten dürfte sich auch die Frage stellen, wie eine Planände-rung zu beurteilen ist, die für einen Teilbereich alte Festlegungen (diefür sich genommen zweifelsfrei erhebliche Umweltauswirkungenhaben) übernimmt und Neuregelungen nur hinsichtlich solcherMaterien trifft, bei denen erhebliche Umweltauswirkungen verneintwerden können.15 Zumindest dann, wenn es sich um Festlegungen(Darstellungen) handelt, die bereits realisiert worden sind (und zwarim Sinne einer Projektrealisierung, nicht im Sinne einer Planung aufder nachgeordneten Ebene der Bauleitplanung oder auf der Ebeneder Fachplanung), dürfte eine UP-Pflicht zu verneinen sein. Die ent-sprechende Planänderung setzt dann nicht mehr den Rahmen fürGenehmigungen auf der nachfolgenden Projektebene. Sie ist auchnicht im Hinblick auf »voraussichtliche erhebliche Umweltauswir-kungen« im Sinne des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie UP-pflichtig, weilsie solche tatsächlich nicht zeitigen wird.

C. Zielabweichungs- und Raumordnungsverfahren

Die Novelle des ROG sieht keine Umweltprüfung beim Zielabwei-chungsverfahren gem. § 11 ROG bzw. beim Raumordnungsverfah-ren gem. § 15 ROG vor. Der Gesetzgeber geht – zu Recht – davonaus, dass für diese Verfahren keine Notwendigkeit besteht, aufGrund der Plan-UP-Richtlinie eine UP-Pflicht einzuführen. Das Zie-labweichungsverfahren bewirkt eine Durchbrechung des Plans imEinzelfall, stellt aber gerade keine Planänderung dar.16 Man wirdauch nicht behaupten können, die Distinktion zwischen Planände-rung und Plandurchbrechung im Einzelfall sei ein Spezifikum desdeutschen Planungsrechts, das gemeinschaftsrechtlich nicht dazuführen dürfe, dass eine UP-Pflicht entbehrlich sei. Schon die Defini-tion der Pläne und Programme in Art. 2a ROG zeigt, dass die Richt-linie das Zielabweichungsverfahren nicht erfasst.

Auch in Bezug auf das Raumordnungsverfahren ist eine Plan-UPgemeinschaftsrechtlich nicht erforderlich.17 Hier wird gleichfalls nicht

12 Schreiber, UPR 2004, 50, 54; siehe auch Uebbing, (Fn. 11), S. 77 und Jacoby, Diestrategische Umweltprüfung (SUP) in der Raumplanung, 2000, S. 457, 459; Ent-sprechend ist auch in § 14 b Abs. 1 Nr. 1 UVPG n.F. i.V.m. der Anlage 3 Nr. 1 klar-gestellt, dass Raumordnungspläne nach §§ 8, 9 ROG (Nr. 1.5) einer obligatori-schen Umweltprüfung unterliegen und – abweichend hiervon – eine konditio-nale Umweltprüfung nach Maßgabe einer Vorprüfung des Einzelfalls nurstattfindet, wenn „SUP-pflichtige Pläne oder Programme“ i.S.v. §§ 14 b Abs. 1, 14c UVPG n.F. nur geringfügig geändert werden; näher hierzu Erbguth/Schubert,ZUR 2005, 524, 527.

13 Uebbing (Fn. 11), S. 87; für die generelle UP-Pflicht auch Schreiber, UPR2004, 50, 54; Fraglich ist, wie sich die Rechtslage während der unmittelbargeltenden Kann-Vorschrift zum Verzicht einer obligatorischen Umweltprü-fung bei geringfügigen Änderungen von Raumordnungsplänen in den Län-dern darstellt, die noch keine Anpassung ihres Landesplanungsrechts vorge-nommen haben; für eine Entscheidungsbefugnis des Trägers der PlanungRunkel (Fn. 7).

14 Arbeitshilfe der Kommission »Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG desEuropäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswir-kungen bestimmter Pläne und Programme, Rn. 3.50.

15 Vgl. hierzu die Diskussionsbemerkung von Schmidt-Eichstedt, in: Hendleru.a. (Fn. 1), S. 138 f.

16 Uebbing (Fn. 11), S. 102 ff.17 Wie hier Uebbing (Fn. 11), S. 107 ff.; Hendler, Zum Begriff der Pläne und Pro-

gramme in der EG-Richtlinie zur strategischen Umweltprüfung, DVBl 2003, 227,234 und Schreiber, UPR 2004, 50.

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der Rahmen für eine nachfolgende Genehmigung gesetzt. Es erfolgteine Überprüfung eines bestimmten Vorhabens auf Plankonformität.Das Raumordnungsverfahren ist typischerweise ein besonders formali-sierter Teil des Genehmigungsverfahrens für Projekte. Das Ergebnis desRaumordnungsverfahrens bildet nicht den vorgelagerten Rahmen fürdie Projektgenehmigung, sondern zählt zu den Entscheidungsgrundla-gen, die im Genehmigungsverfahren zu beachten sind.

Von dieser Einschätzung gehen ersichtlich auch die bereitsnovellierten Landesplanungsgesetze aus. Weder Art. 29 BayLPlGnoch § 24 LPlGNRW sehen bei Zielabweichungsverfahren eineUmweltprüfung vor. Hinsichtlich des Raumordnungsverfahrens istzwar gemäß Art. 21 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BayLPlG die Vereinbarkeit desVorhabens mit den raumbedeutsamen und überörtlichen Belangendes Umweltschutzes Bestandteil des Verfahrens, eine formalisierteUmweltprüfung ist jedoch nicht erforderlich. § 29 Abs. 2 LPlGNRWstellt klar, dass die Feststellung der Raumverträglichkeit die Ermitt-lung, Beschreibung und Bewertung der raumbedeutsamen Auswir-kung des Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG genanntenSchutzgüter entsprechend dem Planungsstand einschließt. Auchdiese Bezugnahme auf die Schutzgüter des UVPG macht deutlich,dass das Raumordnungsverfahren systematisch dem Genehmi-gungsverfahren zuzuordnen ist, nicht dem Planungsverfahren,sodass sich die Frage von Umfang und Intensität der UVP (auf derZulassungsebene), nicht jedoch die Frage einer Plan-UP stellt.

D. Die Änderung der Planerhaltungsvorschriften

Auch die Änderung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 ROG steht im Zusammen-hang mit der Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie. Hier hat der Bun-desgesetzgeber die im Raumordnungsgesetz enthaltenen Planer-haltungsvorschriften an die europarechtlichen Erfordernisseangepasst, indem entsprechend § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB eineUnvollständigkeit der Begründung des Raumordnungsplans inBezug auf die die Umweltprüfung betreffenden Angaben von son-stigen Begründungsfehlern abgegrenzt wird.18 Nach der Neufas-sung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 ROG19 ist in Bezug auf die Angaben zurUmweltprüfung grundsätzlich jedwede Unvollständigkeit erheb-lich, sofern hier abwägungserhebliche Angaben fehlen.

Eine inhaltsgleiche Regelung findet sich in Art. 20 Abs. 1 BayLPlG.Einen anderen – problematischen – Weg hat der Gesetzgeber inNRW eingeschlagen: Gemäß § 23 LPlGNRW wird grundsätzlich jed-wede Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften bei derErarbeitung und Aufstellung des Regionalplans unbeachtlich, wennsie nicht schriftlich mit der Bezeichnung der Verletzung innerhalbeines Jahres nach Bekanntmachung der Genehmigung des Regio-nalplans geltend gemacht worden ist. Eine Differenzierung zwi-schen den – europarechtlich zwingenden – Anforderungen hin-sichtlich des Umweltberichts und sonstigen Verfahrens- und Form-vorschriften findet sich nicht. Lücken im Umweltbericht sind alsogrundsätzlich beachtlich – allerdings nur für die Dauer eines Jahres.Auch wenn nicht jedwede nationale Präklusionsvorschrift, die dieGeltendmachung europarechtlich bedingter Verfahrens- und Form-vorschriften ausschließt, unzulässig ist,20 bestehen im Hinblick aufdie knappe Jahresfrist des § 23 LPlGNRW Bedenken.

E. Die Umweltprüfung bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen

I. Untersuchungsgegenstand

Entsprechend den Regelungen des EAG zur Bauleitplanung ver-langt § 7 Abs. 5 ROG n.F., dass bei Aufstellung und Änderung von

Raumordnungsplänen ein Umweltbericht zu erstellen ist, der dievoraussichtlichen erheblichen Auswirkungen, die die Durch-führung des Raumordnungsplans auf die Umwelt hat, sowieanderweitige Planungsmöglichkeiten darzustellen und zu bewer-ten hat. Dieser Umweltbericht ist Grundlage für die gemein-schaftsrechtlich gebotene und im ROG geregelte Behörden- undÖffentlichkeitsbeteiligung. Rahmenrechtlich ist bestimmt, dassder Umweltbericht als gesonderter Teil in die Begründung derRaumordnungspläne aufgenommen werden kann. Dem Landes-gesetzgeber steht es also frei, ob der Umweltbericht entsprechendder Regelung des § 2 a BauGB als gesonderter Teil Bestandteil derBegründung ist21 oder ob der Umweltbericht als eigenständigesDokument neben die Begründung des Raumordnungsplans tritt.Im bayerischen Landesplanungsgesetz ist in Art. 12 Abs. 1bestimmt, dass der Umweltbericht gesonderter Bestandteil desBegründungsentwurfs ist. Der Gesetzgeber in NRW hat in § 15 Abs.1 LPlG die Regelung des Rahmenrechts übernommen und formu-liert, dass der Umweltbericht Teil der Begründung des Raumord-nungsplans sein kann. In NRW obliegt es also dem jeweiligen Pla-nungsträger, wie er das Verhältnis von Planbegründung undUmweltbericht ausgestaltet.

Gerade in Bezug auf Raumordnungspläne besteht erheblicheUnsicherheit, ob sich der Umweltbericht mit dem gesamten Pla-ninhalt auseinandersetzen muss oder ob – einschränkend – aufdem Grundgedanken der Plan-UP-Richtlinie zurückgegriffen wer-den kann, dass die Plan-UP im Grundsatz deshalb stattfinden soll,weil sie einen Rahmen für UVP-pflichtige Projekte gemäß denAnhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG setzt.22

Weitgehend besteht aber Einigkeit, dass eine Umweltprüfung nurin Bezug auf die steuernden Aussagen der Raumordnungspläne fürdie Siedlungs- und Freiraumstruktur geboten ist.23 Gegenstand derUmweltprüfung sind also grundsätzlich die umwelterheblichenZiele und Grundsätze.24 Auch Letzteren kommt eine steuernde bzw.rahmensetzende Funktion zu, da sie auf der nachfolgenden Pla-nungsstufe in der Abwägung zu berücksichtigen sind. Einschrän-kend gilt, dass es sich sowohl bei den Zielen als auch bei denGrundsätzen um räumlich hinreichend konkretisierte Inhalte han-deln muss, da andernfalls eine Aussage zu den erheblichen Umwelt-auswirkungen kaum getroffen werden kann.25 Eindeutig sind dem-nach Standortausweisungen für raumbedeutsame Anlagen i.S.d. § 7Abs. 2 Nr. 3 ROG sowie die Festsetzung von Vorrang-, Vorbehalts-und Eignungsgebieten »prüffähig«. Die Ermittlung der erheblichenUmweltauswirkungen bei der Festlegung eines Vorranggebietes fürdie Windkraftnutzung bereitet im Grundsatz ebenso wenig Schwie-rigkeiten, wie eine Festlegung von Flächen für Infrastrukturvorha-ben, z. B. eine Autobahntrasse oder eine Flughafenerweiterung.Generell gilt: Die Anforderungen an die Aussagenschärfe bzw.

18 Zur entsprechenden Regelung in Bezug auf die Unvollständigkeit des Umweltbe-richts bei der Begründung von Bauleitplänen, Quaas/Kukk, Neustrukturierungder Planerhaltungsbestimmungen in §§ 214 ff. BauGB, BauR 2004, 1541, 1546f. und Uechtritz, Die Änderungen im Bereich der Fehlerfolgen und der Planerhal-tung nach §§ 214 ff. BauGB, ZfBR 2005, 11, 13.

19 Umfassend zur Planerhaltung im Recht der Raumordnung (auf der Basis des§ 10 ROG a.F.) Wiggers, Planerhaltung im Recht der Raumordnung, 2003.

20 Siehe hierzu Stüer/Rieder, Präklusion in der Fachplanung und Europarecht,EurUP 2004, 139 ff.; Siegel, Die Behördenpräklusion und ihre Vereinbarkeitmit dem Verfassungsrecht und dem Gemeinschaftsrecht, DÖV 2004, 589ff.; Nationale Unbeachtlichkeits-, Heilungs- und Präklusionsvorschriftenund Europäisches Recht 2005, S. 41 ff., S. 65 ff.

21 Hierzu Kment, NVwZ 2005, 886, 887, der betont, hierdurch sei klargestellt,dass der Umweltbericht nicht „konturlos“ in der Begründung aufgehendürfte.

22 Dies betonen z. B. Schmidt-Eichstedt in: Hendler u.a. (Fn. 1), S. 81, 97 undUebbing (Fn. 11), S. 66; zur rahmensetzenden Wirkung i.S.d. § 14 b Abs. 3UVPG siehe auch Erbguth/Schubert, ZUR 2005, 524, 526.

23 Uebbing (Fn. 11), S. 267; Weick, Erste Erfahrungen mit der Umweltprüfung inder Regionalplanung, in: Spannowsky/Krämer, Die aktuellen Änderungendes BauGB sowie des ROG 2004 und ihre Auswirkungen auf die Praxis, 2005,S. 76 sowie die Diskussionsbemerkung von Hendler, in: ders. (Fn. 1), S. 135.

24 Weick (Fn. 23), S. 71, 76 und Hendler, NuR 2003, 2, 9.25 Weick (Fn. 23), S. 73, 76.

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Uechtr i tz , D ie Umweltprüfung in der Raumordnung | A U F S Ä T Z E

Untersuchungstiefe des Umweltberichts korrespondiert mit derMaßstabsschärfe des jeweils einschlägigen Raumordnungsplans.26

Genauer: mit dessen jeweiligen Inhalten, soweit diesen eine rah-mensetzende Funktion zukommt. Allgemeine raumfunktionelleAussagen können nur insoweit auf erhebliche Umweltauswirkun-gen überprüft werden, als diese bei der Planaufstellung erkennbarsind. Anders verhält es sich bei der Festlegung konkreter Siedlungs-entwicklungen und Achsen oder bei der raumordnerischen Siche-rung von Standorten und Trassen für Infrastrukturvorhaben.27

Umstritten ist die Frage, ob Ausweisungen zum Schutz und zurEntwicklung von Freiraumfunktionen (z.B. die Festlegung einesGrünzugs) im Hinblick auf erhebliche Umweltauswirkungen zuprüfen sind. Dies wird teilweise mit der Erwägung verneint, dassnur »Nutzungsausweisungen« prüfpflichtig sind.28 Es geht um dieFrage, inwieweit also auch (für die Umwelt) »positive« Ausweisun-gen die dem Umweltschutz dienen, erhebliche Umweltauswirkun-gen besitzen können.

Da die Richtlinie generell davon ausgeht, dass erheblicheUmweltauswirkungen (und nicht ausschließlich solche mit nega-tiven Auswirkungen) einer Umweltprüfung zu unterziehen sindund die entsprechenden Ausweisungen auch für die Nutzungsver-teilung im Raum Bedeutung besitzen (im Sinne einer Verdrängungvon Anlagen, die ihrerseits erhebliche »negative« Umweltauswir-kungen haben), erscheint die Annahme, »positive« Festlegungenseien nicht prüfpflichtig, unzutreffend.29 Eine andere Frage ist es,welche Reichweite in diesem Fall die Umweltprüfung besitzt. Sowird im Hinblick auf den Gedanken der »Verdrängung« umwelter-heblicher Nutzungen aus dem Bereich, für den eine Grünzäsurfestgesetzt wird, im Regelfall kaum eine Prüfung der Umweltaus-wirkungen für die »verdrängten« Projekte in Betracht kommen, daes insoweit an der hinreichenden räumlichen und gegenständli-chen Konkretisierung fehlen dürfte.

II. Die Alternativenprüfung

Hervorzuheben ist, dass die von der Plan-UP-Richtlinie geforderteAlternativenprüfung auf der Ebene der Raumordnung regelmäßigbesondere Bedeutung besitzt.30 Die Bedeutung der Alternativenprü-fung nimmt mit dem Grad der Höherstufigkeit der Planungsebenezu. Da – auch nach gemeinschaftsrechtlichem Verständnis – nurdie Prüfung von Alternativen im Plangebiet gefordert ist, kommtder Alternativenprüfung auf der nachgeordneten Planungsebene,vor allem auf der Ebene der Bebauungsplanung, regelmäßig nureine eingeschränkte Bedeutung zu. Umgekehrt besteht auf derEbene der Raumordnung der Gestaltungsfreiraum des Plangebers,der sich – im Hinblick auf die Umweltauswirkungen – klarmachenmuss, welcher Teilraum für Standortfestlegungen zu wählen ist. ZurVermeidung von Missverständnissen ist zu betonen, dass auch aufder Ebene der Raumordnung keine Notwendigkeit besteht, Alter-nativen im Hinblick auf die allgemeine planerische Zielvorstellungzu untersuchen. Es geht um Varianten der planerischen Zielset-zung, nicht um die Alternative für den Plan selbst.31 Deutlich wirddies auch in den Formulierungen, die sich in Art. 12 Abs. 2 BayLPlGund § 15 Abs. 1 LPlGNRW finden. So formuliert Art. 12 Abs. 2 BayL-PlG, dass vernünftige Alternativen unter Berücksichtigung der Ziel-setzungen des Raumordnungsplans zu ermitteln sind; ähnlich istdie Formulierung in § 15 Abs. 1 LPlGNRW.

F. Das Konsultationsverfahren

Zur Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie an das Konsultati-onsverfahren im Rahmen der Umweltprüfung (vgl. Art. 6 Plan-

UP-Richtlinie) bedurfte es im ROG nur einer punktuellen Ände-rung. § 7 Abs. 6 ROG sieht nunmehr generell eine Öffentlichkeits-beteiligung vor.32 Bekanntlich stellte § 7 Abs. 6 ROG a.F. dieÖffentlichkeitsbeteiligung in das Ermessen des Landesgesetzge-bers. Mit der nunmehr ab 21.7.2004 bestehenden obligatorischenÖffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Raumplanung sindauch die Bedenken beseitigt, die das BVerwG im Zusammenhangmit § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB gegen raumordnerische Festlegungengeäußert hatte, die unmittelbar den privaten Grundstückseigentü-mer bindende Bodennutzungsregelungen treffen.33

In Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgaben des § 7 Abs. 6ROG enthalten die inzwischen erlassenen Landesplanungsgesetzenähere Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Erarbei-tung der Raumordnungspläne. So verlangt Art. 13 Abs. 2 BayLPlG,dass der Entwurf des Regionalplans bei der zuständigen höherenLandesplanungsbehörde für einen angemessen Zeitraum vonmindestens einem Monat auszulegen ist. In Nordrhein-Westfalenist die Öffentlichkeitsbeteiligung »breiter« angelegt. § 14 Abs. 3LPlG verlangt die öffentliche Auslegung des Entwurfs desRaumordnungsplans (zusammen mit der Begründung und demUmweltbericht) nicht nur von den Bezirksplanungsbehörden,sondern auch von den Kreisen und kreisfreien Städten, auf derenBereich sich die Planung erstreckt und zwar für die Dauer von min-destens zwei Monaten. Dieser »Standard« der Öffentlichkeitsbetei-ligung kann i.S.d. rahmenrechtlichen Vorgabe des § 7 Abs. 6 ROGals »frühzeitig und effektiv« qualifiziert werden.

G. Die Abschichtungsproblematik

I. Verhältnis Regionalplanung und Raumordnung auf Landesebene

Die Abschichtung auf der Ebene der Raumordnung behandelt § 7Abs. 5 S. 7 ROG. Die Länder können vorsehen, dass bei Regional-plänen die Umweltprüfung auf zusätzliche oder andere erheblicheUmweltauswirkungen zu beschränken ist, wenn der Raumord-nungsplan für das Landesgebiet, aus dem die Regionalpläne ent-wickelt werden, bereits eine Umweltprüfung enthält. Eine entspre-chende Regelung findet sich in Art. 12 Abs. 5 BayLPlG und in§ 15 Abs. 4 LPlG NRW. Da bei Raumordnungsplänen auf Landese-bene bisher keine Umweltprüfung durchgeführt wurde, gewinnendie entsprechenden landesrechtlichen Regelungen erst für dieZukunft Bedeutung.

26 Bäumler, Landesrechtliche Konsequenzen der Plan-UP-Richtlinie aus Sicht desInnenministeriums Rheinland-Pfalz, in: Spannowsky/Krämer (Fn. 23), S. 151, 154.

27 Vgl. Hendler, NuR 2003, 2, 8; zur rahmensetzenden Wirkung der raumord-nungsplanerischen Festlegung Zentraler Orte siehe Spannowsky, UPR 2000,201, 204.

28 In diesem Sinne Pietzcker/Fiedler, Die Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie imBauplanungsrecht, DVBl 2002, 929, 930 mit Blick auf »negative« bauleitpla-nerische Ausweisungen, etwa von Grünflächen oder Flächen für Land- undForstwirtschaft; siehe hierzu auch Hendler, NuR 2003, 2 und Uebbing (Fn. 11),S. 58 ff.

29 Wie hier Uebbing (Fn. 11), S. 59 und Hendler NuR 2003, 2, 3; siehe auch dieAussagen in der Arbeitshilfe der Kommission (Fn. 14), Rn. 4.55 f.; abwei-chend für Ausweisungen zum Schutz und zur Entwicklung von Freiraum-funktionen wie Grünzüge, Vorrang-/Vorbehaltsgebiete für Art- und Biotop-schutz Weick (Fn. 23), S. 73, 76.

30 Hierzu Jacoby (Fn. 11), S. 351 ff.; siehe ferner Uebbing (Fn. 11), S. 164 ff.31 So zutreffend Uebbing (Fn. 11), S. 166; erforderlich ist auch nicht, regelmäßig

die beste ökologische Alternativvariante zu untersuchen Ginzky, Die Richtli-nie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Pro-gramme, UPR 2002, 47, 50 und Uebbing, S. 167.

32 In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, der Begriff der Öffentlichkeitsei i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Plan-UP-Richtlinie zu verstehen. Er schließe die Teileder Öffentlichkeit ein, die vom Entscheidungsprozess der Umweltprüfungbetroffen sind oder betroffen sein werden oder ein Interesse daran haben(BT-Drucks. 15/2250, S. 71). Der Gesetzeswortlaut enthält aber keinenAnhaltspunkt dafür, dass hiermit eine Einschränkung der gemeinschafts-rechtlich nicht zwingend gebotenen Öffentlichkeitsbeteiligung unabhängigvom Entscheidungsprozess der Umweltprüfung intendiert ist; so auchKment, NVwZ 2005, 886, 887.

33 BVerwG, BauR 2001, 41.

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Auch wenn das Gesetz nur die Abschichtung im Verhältnis derhöherstufigen Landesplanung zur nachgeordneten Regionalpla-nung anspricht, gilt generell, dass auch umgekehrt, im Verhältnisder niederstufigen zur höherrangigen Planung, auf Erkenntnissezurückgegriffen werden kann, die im Rahmen der Umweltprüfungauf der nachgeordneten Ebene gewonnen worden sind – auchwenn dies keine »Abschichtung« im eigentlichen Sinne darstellt.34

Hat künftig eine Umweltprüfung im Rahmen der Fortschreibungeines Regionalplans stattgefunden, so können die entsprechendenErkenntnisse bei einer nachfolgenden Änderung eines Raumord-nungsplans auf Landesebene verwertet werden. Gleiches gilt auchim Verhältnis Flächennutzungsplanung/Bebauungsplanung.

II. Verhältnis Raumordnungsplanung und Zulassungsentscheidung

Die Abschichtungsproblematik im Verhältnis Raumordnungs-pläne und Zulassungsverfahren (unter Berücksichtigung einesRaumordnungsverfahrens) hatte der Gesetzgeber des EAG-Bau in §16 UVPG geregelt. § 16 Abs. 1 UVPG i. d. F. des EAG-Bau enthieltzunächst – eigentlich überflüssig, da entsprechendes auch mitunmittelbarer Wirkung für die Länder im ROG geregelt ist – dieAussage, dass bei der Aufstellung und Änderung von Raumord-nungsplänen eine Umweltprüfung durchzuführen ist.35 In § 16Abs. 3 ROG fand sich eine Abschichtungsregelung dahingehend,dass sich eine im Zulassungsverfahren erforderliche UVP aufzusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungenbeschränken kann, die noch nicht bei der Aufstellung und Ände-rung des Raumordnungsplanes berücksichtigt worden sind.

Auch in Bezug auf das Raumordnungsverfahren enthielt dasEAG-Bau Änderungen. Wie bereits dargelegt, besteht zwar imRaumordnungsverfahren keine Prüfpflicht. Dennoch bestimmte§ 16 Abs. 2 UVPG i. d. F. des EAG-Bau, dass im Raumordnungsver-fahren die raumbedeutsamen Umweltauswirkungen eines Vorha-bens entsprechend dem Planungsstand ermittelt, beschrieben undbewertet werden sollen.36 § 16 Abs. 1 UVPG a.F. stellte es den Län-dern frei, ob und wie in einem Raumordnungsverfahren oder ineinem anderen raumordnerischen Verfahren die raumbedeutsa-men Umweltauswirkungen geprüft werden.37 § 16 Abs. 4 und 5UVPG i. d. F. des EAG-Bau regelten die Abschichtungswirkungeines vorgeschalteten Raumordnungsverfahrens für ein nachfol-gendes Zulassungsverfahren.

Diese Änderungen des UVPG durch Art. 3 des EAG-Bau hattennur kurzen Bestand. Mit dem Gesetz zur Einführung einer strategi-schen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie2001/42/EG (SUPG) wurde § 16 UVPG erneut geändert. Nach § 16Abs. 1 UVPG n.F. ist den Ländern nunmehr aufgegeben, für dasRaumordnungsverfahren bei den in der Anlage I aufgeführtenVorhaben zu regeln, unter welchen Voraussetzungen eine UVPerforderlich ist, sowie das Verfahren für die Durchführung derUVP. Dies stellt eine Rückkehr zur bisherigen Rechtslage dar. § 16Abs. 2 UVPG n.F. enthält die Abschichtungsregelung, dass imnachfolgenden Zulassungsverfahren die Prüfung der Umweltver-träglichkeit auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswir-kungen des Vorhabens beschränkt werden kann. Mit dieser Neure-gelung wird – systematisch zutreffend – das Raumordnungsverfah-ren als (vorgelagerter) Teil der Projektzulassungsentscheidungbehandelt.

H. Monitoring in der Raumordnung

Auch auf der Ebene der Raumordnung ordnet das ROG in § 7 Abs.10 ein Monitoring an. Hiermit wird die Vorgabe des Art. 10 Plan-UP-Richtlinie umgesetzt.38 Entsprechend dem rahmenrechtlichen

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A U F S Ä T Z E | Uechtr i tz , D ie Umweltprüfung in der Raumordnung

Charakter enthält sich der Bundesgesetzgeber näherer Vorgabenzur Art und Weise des Monitoring. Den Ländern verbleibt hier alsoerheblicher Spielraum.39 Die bisherigen landesgesetzlichen Rege-lungen sind allerdings knapp gefasst. So weist § 14 Abs. 7 LPlG-NRW den Bezirksplanungsbehörden die Raumbeobachtung imRegierungsbezirk zu. Im Rahmen der Raumbeobachtung sind auchdie erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Regional-pläne auf die Umwelt zu überwachen, um insbesondere frühzeitigunvorhergesehene negative Auswirkungen zu übermitteln und inder Lage zu sein, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Nochknapper ist die Regelung im BayLPlG: Dessen Art. 27 behandelt all-gemein die Raumbeobachtung. Danach ist den Landesplanungs-behörden aufgegeben, fortlaufend die raumbedeutsamen Tatbe-stände und Entwicklungen zu erfassen, verwerten und zu überwa-chen.

Hinsichtlich Gegenstand und Tiefe des Umweltmonitoring aufder Ebene der Raumordnung ist – ähnlich wie in Bezug auf denFlächennutzungsplan40 – der rahmensetzende Charakter dieserhochstufigen Planung, die regelmäßig auf Umsetzung durch nach-folgende Pläne angelegt ist, zu beachten. Andere Anforderungenergeben sich dort, wo die Raumordnung nicht nur eine rahmen-setzende Funktion erfüllt, sondern unmittelbar eine umwelter-hebliche Steuerungsaufgabe wahrnimmt – wie etwa bei der Dar-stellung von Vorrangflächen für Windkraftanlagen.

I. Fazit

Die Einführung der Umweltprüfung in die Raumordnung, die derBundesgesetzgeber mit der Novellierung des Raumordnungsgeset-zes im Zuge des EAG Bau eingeleitet hat und die nunmehr von denBundesländern durch Anpassung der Landesplanungsgesetzeumzusetzen ist, stellt die Raumordnung vor neue Herausforderun-gen. Es bleibt abzuwarten, wie diese von der Planungspraxis ange-nommen und bewältigt werden, damit die Einführung der forma-lisierten Umweltprüfung in die Raumordnung nicht lediglicheinen höheren Aufwand erzeugt, sondern einen Beitrag zu einernachhaltigen Raum- und Ressourcennutzung leistet.

34 Uebbing (Fn. 11), S. 269 f.; zur Frage einer Abschichtung im Verhältnis zur Fach-planung, Uebbing, a.a.O., S. 278.

35 Kritisch hierzu Schreiber, UPR 2004, 50, 52.36 Ablehnend Schreiber, UPR 2004, 50, 53.37 Vgl. Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, Kommentar, 2. Auflage 2002, § 16

Rn. 20.38 Zum Verständnis der Kommission, welche gemeinschaftsrechtlichen Anfor-

derungen an das Monitoring bestehen, siehe die Arbeitshilfe der Kommis-sion (Fn. 14), Rn. 8.

39 So auch Kment, NVwZ 2005, 886, 888.40 Siehe hierzu Mitschang, Erste Erfahrungen mit der Umweltprüfung in der

Flächennutzungsplanung, BauR 2005, 334 ff.

Prof. Dr. Michael Uechtritz Rechtsanwalt, Gleiss Lutz, Rechtsanwälte Berlin/Frankfurt/Mün-chen/Stuttgart, Maybachstraße 6, 70469 Stuttgart.Tätigkeitsschwerpunkte: Öffentliches Bau- und Planungsrecht, Umwelt-und Naturschutzrecht.Aktuelle Veröffentlichungen: Hoppe/Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kom-munale Unternehmen; Die Änderungen im Bereich der Fehlerfolgen undder Planerhaltung nach § 214 ff. BauGB, ZfBR 2005, 11 ff. undUechtritz/Otting, Das »ÖPP-Beschleunigungsgesetz«, NVwZ 2005,S. 1105 ff.

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Die Einführung der Strategischen Umweltprüfung – SUP – im Verkehrs-sektor war politisch äußerst umstritten.1 Der vom Bundesrat geforderten1:1-Umsetzung der SUP-Richtlinie2 in deutsches Recht ist der Bundesge-setzgeber allein schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht gefolgt.Der Beitrag erörtert die Neuregelungen in Bezug auf die Bundesverkehrs-wegeplanung, analysiert wesentliche Einzelfragen und geht auf die Be-deutung für landesrechtliche Straßen ein.

A. Die SUP in den einzelnen Verfahrensstufen der Bundesfernstraßenplanung

I. Grundlagen

Die Planung überörtlicher öffentlicher Straßen findet in einemmehrstufigen Planungsprozess statt. Die Planungsstufen stehenzum einen in einem zeitlichen und funktionalen Zusammenhang.Sie betreffen aber zugleich Gesamtplanungen und Fachplanun-gen. Schließlich können sie auch in einem Konkurrenzverhältniszueinander stehen.3 Dies hängt, namentlich bei Bundesfern-straßen, auch mit den kompetenzrechtlichen Vorgaben desGrundgesetzes (Art. 90 Abs. 2 GG) zusammen.4 Die Einführung derSUP stand vor dem Problem, die rechtliche und planerischeBedeutung der jeweiligen Stufen zu analysieren und zu prüfen, obaus (europa-)rechtlich zwingenden Gründen oder auch politischoder sachlich-fachlichen Erwägungen heraus die SUP für einzelneStufen vorgesehen werden soll. Den tatsächlichen Ablauf der Pla-nungen von Bundesfernstraßen hat der Präsident des Bundesrech-nungshofs beschrieben.5

II. Regelung im SUPG 20056 – Überblick

1. Gesetzestext

– § 14b Abs. 1 S. 1UVPG: SUP-Pflicht in bestimmten Plan- oderProgrammbereichen und im Einzelfall

Eine Strategische Umweltprüfung ist durchzuführen bei Plänenund Programmen, die in der Anlage 3 Nr. 1 aufgeführt sind.

In Nr. 1.1. der Anlage 3 Nr. 1 sind genannt: Verkehrswegepla-nungen auf Bundesebene einschließlich Bedarfspläne nach einemVerkehrswegeausbaugesetz des Bundes.

– § 19b UVPG: Strategische Umweltprüfung bei Verkehrswege-planungen auf Bundesebene

(1) Bei Bedarfsplänen nach Nummer 1.1 der Anlage 3 ist eineStrategische Umweltprüfung nur für solche erheblichen Umwelt-auswirkungen erforderlich, die nicht bereits Gegenstand einerStrategischen Umweltprüfung im Verfahren zur Aufstellung oderÄnderung von anderen Plänen und Programmen nach Nummer1.1 der Anlage 3 waren.

(2) Bei der Verkehrswegeplanung auf Bundesebene nach Num-mer 1.1 der Anlage 3 werden bei der Erstellung des Umweltbe-richts in Betracht kommende vernünftige Alternativen, die dieZiele und den geographischen Anwendungsbereich des Plans oderProgramms berücksichtigen, insbesondere alternative Verkehrs-netze und alternative Verkehrsträger ermittelt, beschrieben undbewertet.

(3) Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungs-wesen wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesmini-sterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durchRechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates für das Ver-

fahren der Durchführung der Strategischen Umweltprüfung beiPlänen und Programmen nach Nummer 1.1 der Anlage 3 beson-dere Bestimmungen zur praktikablen und effizienten Durch-führung zu erlassen über

1. die Einzelheiten des Verfahrens zur Festlegung des Untersu-chungsrahmens nach § 14f im Hinblick auf Besonderheiten derVerkehrswegeplanung,

2. das Verfahren der Erarbeitung und über Inhalt und Ausgestal-tung des Umweltberichts nach § 14g im Hinblick auf Besonderhei-ten der Verkehrswegeplanung,

3. die Einzelheiten der Beteiligung von Behörden und derÖffentlichkeit nach den §§ 14h bis 14j, unter Berücksichtigung derVerwendungsmöglichkeiten von elektronischen Kommunikati-onsmitteln,

4. die Form der Bekanntgabe der Entscheidung nach § 14l, unterBerücksichtigung der Verwendungsmöglichkeiten von elektroni-schen Kommunikationsmitteln,

5. die Form, den Zeitpunkt und die Berücksichtigung von Ergeb-nissen der Überwachung nach § 14m.

(4) Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-sen wird ferner ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesmi-nisterium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durchRechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestim-men, dass die Länder zur Anmeldung von Verkehrsprojekten fürPläne und Programme nach Nummer 1.1 der Anlage 3 bestimmtevorbereitende Prüfungen vorzunehmen und deren Ergebnisse odersonstigen Angaben beizubringen haben, die für die Durchführungder Strategischen Umweltprüfung notwendig sind.

– § 14 f Abs. 3 UVPG: Festlegung des UntersuchungsrahmensSind Pläne und Programme Bestandteil eines mehrstufigen Pla-

nungs- und Zulassungsprozesses, soll zur Vermeidung von Mehr-fachprüfungen bei der Festlegung des Untersuchungsrahmensbestimmt werden, auf welcher der Stufen dieses Prozessesbestimmte Umweltauswirkungen schwerpunktmäßig geprüft wer-den sollen. Dabei sind Art und Umfang der Umweltauswirkungen,fachliche Erfordernisse sowie Inhalt und Entscheidungsgegen-stand des Plans oder Programms zu berücksichtigen. Bei nachfol-genden Plänen und Programmen sowie bei der nachfolgendenZulassung von Vorhaben, für die der Plan oder das Programmeinen Rahmen setzt, soll sich die Umweltprüfung auf zusätzlicheoder andere erhebliche Umweltauswirkungen sowie auf erforderli-che Aktualisierungen und Vertiefungen beschränken.

Michael Sauthoff

Die Strategische Umweltprüfung im Straßenrecht

1 Zu den sachlichen Vorteilen einer SUP in der Verkehrswegeplanung vgl. nurStein, Methodische Ansätze zur der Strategischen Umweltprüfung in der Ver-kehrsplanung in Deutschland, in: SUPport – Strategische Umweltprüfung, Wien2003 S. 36 ff.; zur Entwicklung der Gesetzgebung Sangenstedt, Die SUP-RL: Standder Umsetzung in Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Fachplanungs- undRaumordnungsrechts 2004, Vorträge auf den Sechsten Speyerer Planungsrechts-tagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 10. bis 12. März 2004 S. 245ff; Hendler, Die SUP-RL: Bedeutung für die Verkehrswegeplanung in Ziekow a.a.O.S. 276 ff

2 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prü-fung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (Abl. EG vom21.7.2001 – Nr. L 197/30).

3 Durner, Konflikte räumlicher Planungen, Tübingen 2005, S. 68 f.4 Zur Problematik der Auftragsverwaltung bei den Bundesfernstraßen Grupp

(Hrsg.), Rechtsfragen der Bundesauftragsverwaltung bei Bundesfernstraßen, Be-richte der Bundesanstalt für Straßenwesen – Heft S 28, Bergisch-Gladbach 2002;Präsident des Bundesrechnungshofs, Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirt-schaftlichkeit in der Verwaltung zur Neuordnung der Verwaltung im Bundes-fernstraßenbau

5 Präsident des Bundesrechnungshofs (Fn. 4) S. 23 ff.6 G. v. 25.6.2005 – BGBl. I. S. 1746; Neubekanntmachung des UVPG BGBl. I 2005

S. 1758

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2. Regelungskonzept für die Verkehrswegeplanung7

Der Begriff »Verkehrswegeplanung« umfasst den Bundesverkehrs-wegeplan sowie vergleichbare Verkehrsträger übergreifende Pläneund Programme auf Bundesebene, welche Grundlage für Neu- undAusbauvorhaben im Verkehrssektor sind, z. B. Anti-Stau-Pro-gramme, sowie Bedarfspläne nach einem Verkehrswegeausbauge-setz des Bundes. Darunter fällt zum Beispiel der Bedarfsplan fürStraßen nach dem Fernstraßenausbaugesetz. Mit der Bezeichnung»Verkehrswegeplanungen auf Bundesebene« wurde bewusst einoffener Begriff verwendet, um auch künftigen Entwicklungen undneuen Instrumenten auf diesem Gebiet Rechnung tragen zu kön-nen. Voraussetzung ist, dass es sich um eine Planung des Bundeshandelt, die die Merkmale des § 2 Abs. 5 UVPG erfüllt. Diese Ver-kehrswegeplanungen auf Bundesebene sind Rahmen setzend fürUVP-pflichtige Verkehrsvorhaben nach Nr. 7 und 8 des Anhangs Isowie Nr. 10 lit. c bis h des Anhangs II der UVP-Richtlinie (Nr. 14der Anlage 1 des UVPG). So gehen aus dem Bundesverkehrswege-plan als höchststufiger Plan innerhalb der Hierarchie der Verkehrs-planung die Bedarfspläne hervor, welche ihrerseits Vorgaben fürdie Linienbestimmung und das anschließende Zulassungsverfah-ren auf Projektebene enthalten.

III. Bundesverkehrswegeplan (BVWP)

Der BVWP ist das Ergebnis der Bundesverkehrswegeplanung. Erwird als Investitionsrahmenplan für einen überschaubaren Zeit-raum (i. d. R. ca. 10 Jahre) von der Bundesregierung aufgestellt undvom Bundeskabinett beschlossen. Es gibt keine Rechtsvorschrif-ten, etwa über das Aufstellungsverfahren, den Rechtscharakter, dieRechtsverbindlichkeit oder sonstige Aspekte des Plans, auch nichtüber eine Anpassungspflicht.

Der gesetzlichen Regelung liegt die Auffassung zu Grunde,8 dassder BVWP – wie auch die Bedarfsplanung - von der Ministerialver-waltung – einer Behörde im Sinne von § 2 Abs. 5 UVPG und Art. 2lit. a der SUP-Richtlinie – aufgrund von Rechts- und Verwaltungs-vorschriften durchgeführt. Auch setzen beide Planungen einenRahmen für UVP-pflichtige Verkehrsvorhaben nach den Nr. 7 und8 des Anhangs I sowie Nr. 10 lit. c bis h des Anhangs II der UVP-Richtlinie (Nr. 14 der Anlage 1 des UVPG) wird. Der Bundesver-kehrswegeplan als höchststufiger Plan innerhalb der Hierarchieder Verkehrsplanung sowie die Bedarfspläne enthalten Vorgabenfür die Linienbestimmung und das anschließende Zulassungsver-fahren auf Projektebene.9

Nach bisherigem Recht bestand eine UVP-Pflicht für alle Bun-desverkehrswege entsprechend der Fachgesetze sowie dem UVPGauf der Ebene der Linien- bzw. Standortbestimmung meist im Zugevon Linienbestimmung, dem Raumordnungsverfahren sowie derkonkreten Projektplanungen im Zuge der Planfeststellung. Zu die-sem Zeitpunkt ist jedoch die Rahmen setzende Entscheidung überdie grundsätzliche Sinnhaftigkeit und die Wahl des Verkehrsträ-gers bereits gefallen und kann nicht mehr beeinflusst werden. Hiersetzt die SUP-Pflicht an: Auf der Ebene der BVWP werden geradediese Rahmen setzenden Entscheidungen über die grundsätzlicheSinnhaftigkeit und die Wahl des Verkehrsträgers für einzelne Pro-jekte getroffen, die anschließend der UVP im Linienbestimmungs-verfahren unterzogen werden.10

Die SUP auf der Ebene der Erstellung des BVWP soll sich auf dieGrundlagen für die Bewertung der Projektvorschläge sowie auf dieBedarfseinstufung der einzelnen Projekte beziehen. Die SUP sollhier Umweltbelange bei der Bestimmung der Ziele des BVWP, beider Aufstellung und Auswahl der Verkehrsszenarien sowie der Pro-jektvorschläge prüfen. Dabei sind in die Entscheidung über Ziele,Szenarien und Projektvorschläge jeweils vernünftige Alternativeneinzubeziehen. Dies schließt auch Verkehrsträger übergreifende

Alternativen und Nullvarianten zu einzelnen Projektvorschlägenund im Idealfall auch verschiedene Verkehrsnetzalternativen ein.11

Nur auf dieser Stufe kann eine Verkehrsträger übergreifendeBewertung erfolgen, die auch den Aspekt der Nachhaltigkeitberücksichtigt, da nach dem bundesdeutschen Rechtssystem dienachfolgenden Planungsschritte nach getrennten Fachplanungs-gesetzen und separierten Verfahren durchgeführt werden. Nur imZuge der SUP können auf der Gesamtplanebene folgende Fragenbeantwortet werden:– Welche Umweltauswirkungen resultieren aus einer Realisie-

rung aller geplanten Vorhaben (Netzbetrachtung)? – Erfolgte auf einzelnen Relationen eine Prüfung Verkehrsträger

übergreifender Alternativen?– Erfolgt der mit Aufnahme in den BVWP erteilte »uneinge-

schränkte Planungsauftrag« für das entsprechende Verkehrs-projekt vor dem Hintergrund einer Prüfung der zu erwartendenwesentlichen Umweltauswirkungen?

Nach § 19 Abs. 3 UVPG können im Rahmen einer Rechtsverord-nung bestimmte vorbereitende Prüfungen für Verkehrsprojekte imBVWP, die für die Durchführung der SUP notwendig sind, mitZustimmung des Bundesrates auf die Länder verlagert werden.Dies dient – so die Regierungsbegründung12 – dem kooperativenZusammenwirken von Bund und Ländern bei der Vorbereitungder Verkehrswegeplanung auf Bundesebene. Auf diese Weise sollfür die Verkehrswegeplanung des Bundes eine ausreichende undharmonisierte Informationsgrundlage geschaffen werden. Durchdie von den Ländern beigebrachten Module kann der Ermittlungs-und Prüfaufwand sachgerecht der projektnäheren Ebene zugeord-net werden. Die Gesamtaufstellung des Plans und die Gesamtbe-wertung der Umweltauswirkungen verbleiben jedoch beim Bund.Damit soll den Besonderheiten der Verkehrswegeplanungen aufBundesebene Rechnung getragen werden.13

Die politische Bedeutung der SUP bereits auf dieser Ebene wirdauch noch darin deutlich, dass die Umweltbelange während desLinienfeststellungs- oder Raumordnungsverfahrens, jedenfalls desPlanfeststellungsverfahrens, aufgearbeitet werden müssen. Schei-tert ein Konzept dann auf einer dieser tieferen Planungsstufen,kann dies als eine Desavouierung des Bundeskabinetts oder Bun-desgesetzgebers wahrgenommen werden.

IV. Bedarfspläne

1. Inhalt und VerfahrenDie Verkehrsprojekte des Bundesverkehrswegeplans werden aufder Grundlage von § 5 Fernstraßenausbaugesetz – FStrAbG14 – inBedarfspläne übertragen. Die Bedarfspläne selbst haben somit

7 Dazu BT-Drs. 15/3441 S. 42.8 Ob der BVWP zwingend einer SUP unterworfen werden muss, war auch in der

Wissenschaft umstritten, weil in Frage gestellt wurde, ob er auf Grund vonRechts- oder Verwaltungsvorschriften erstellt wird. Dies bejahend Sangenstedt(Fn. 1) S.259 f.; Hendler (Fn. 1) S. 273 ff.; Stüer, Strategische Umweltprüfung inder Verkehrswegeplanung, Landes- und Regionalplanung, UPR 2003, 97 (100);verneinend Ronellenfitsch, zit. nach Hendler (Fn. 1) S. 274 Fn. 15; jedenfalls ausfachlicher Sicht befürwortend Stüer a.a.O. UPR 2003, 97 (101 f.); vgl. auch Stein(Fn. 1) S. 36

9 BTag-Drs. 4236 S. 7 f.; ebenso Surburg, Die neue EU-Richtlinie über die Strategi-sche Umweltprüfung und deren Auswirkungen auf die Verkehrsplanung, SVT2002, 537 (540)

10 Siehe UVP-Gesellschaft e.V. in: Öffentliche Anhörung des Umweltausschusses desBTag am 29. September 2004 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung ei-ner Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG(SUPG) – Ausschussdrucksache 15(15)305 S. 4

11 So zu Recht Bunge, BTag – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit 15. WP, Antworten auf den Fragenkatalog der Fraktionen der SPD,CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zur öffentlichen Anhörung am29.09.2004 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer StrategischenUmweltprüfung zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG) – Drucksache15/3441 (http://www.bundestag.de/parlament/gremien15/a15), Antwort zu Fra-ge 10 S. 7 f.

12 BT-Drs. 15/3441 S. 3913 BT-Drs. 15/4236 S. 714 In der Fassung der Bekanntmachung vom 20.1.2005 (BGBl. I S. 201)

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Gesetzesqualität. Sie enthalten die mit dem BVWP nahezu identi-schen Angaben zu Neu- und Ausbauvorhaben mit einer Differen-zierung nach vordringlichem und weiterem Bedarf sowie eine ver-einfachte Darstellung der Linienführung. Die Realisierung der Ein-zelprojekte erfolgt nach Maßgabe der jährlich zur Verfügungstehenden Haushaltsmittel (§ 2 FStrAbG). Spätestens nach Ablaufvon jeweils fünf Jahren prüft das Bundesministerium für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen, ob die Bedarfspläne der zwischenzeit-lich eingetretenen Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung anzu-passen sind (z. B. § 4 S. 1 FStrAbG). Der Überprüfung folgt eineförmliche Entscheidung über die Überarbeitung von Bundesver-kehrswegeplan und Bedarfsplänen. Im Rahmen der Bundesver-kehrswegeplanung sind die Bedarfspläne aufeinander abzustim-men. Bedarfspläne und deren Anpassungen werden als Anlage zuden entsprechenden Ausbaugesetzen in einem Gesetzgebungsver-fahren verabschiedet (§ 4 S. 2 FStrAbG).

2. Rechtswirkungen15

Die in den Bedarfsplan aufgenommenen Bau- und Ausbauvorha-ben entsprechen den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG.16 Ob dasVorhaben im Sinne des Art. 14 GG zum Wohle der Allgemeinheiterforderlich ist, bedarf hier noch nicht einer abschließenden Prü-fung. Der Bedarfsplan enthält zwar gewisse Weichenstellungen,durch ihn wird die abschließende Zulassungsentscheidung aber inkeiner Weise grundstücksbezogen vorgeprägt oder gar vorwegge-nommen. Seine Wirkung erschöpft sich darin, dass der Gemein-wohlbezug in der Form einer politischen Leitentscheidung aufeiner ersten Stufe konkretisiert wird.17

Die Feststellung des Bedarfs ist für die Linienbestimmung nach§ 16 FStrG und für die Planfeststellung nach § 17 FStrG verbindlich(§ 1 Abs. 2 FStrAbG). Dies hindert die Planungsbehörde daran, denVerkehrsbedarf im Rahmen des Abwägungsgebots zu verneinen.18

Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf das gerichtliche Verfah-ren.19 Zwar ist der Bedarfsplan als globales und grobmaschiges Kon-zept nicht detailgenau. Er lässt – entsprechend dieser Unbestimmt-heit – für die Ausgestaltung im Einzelnen dem nachfolgenden Plan-feststellungsverfahren noch weite planerische Spielräume.20 DieBindungswirkung erstreckt sich aber auf die darin vorgeseheneDimensionierung der Straße21 und festgestellte Netzverknüpfung.22

Das gilt auch, wenn der Bedarfsplan nicht fristgerecht angepasstworden ist. Solange der Gesetzgeber an einer Bedarfsfeststellungfesthält, ist sie verbindlich, auch wenn sie deutlich mehr als fünfJahre zurückliegt, es sei denn, dass sich die Verhältnisse in der Zwi-schenzeit so grundlegend gewandelt haben, dass sich die ursprüng-liche Bedarfsentscheidung nicht mehr rechtfertigen lässt.23

3. Politische Entscheidung über SUP

Grundsätzlich sollte nach Auffassung des Regierungsentwurfs desBundestags auch der Bedarfsplan SUP-pflichtig sein.24 Es werdendie gleichen Erwägungen wie für den BVWP ins Feld geführt. Daaber bei der Aufstellung und bei wesentlichen Änderungen desBVWP zwingend eine SUP durchgeführt werden soll, ist für dieBedarfspläne eine gesonderte SUP nur durchzuführen, soweit dieerheblichen Umweltauswirkungen nicht bereits Gegenstand einerSUP beim BVWP waren. Werden bei der Ausarbeitung der Ent-würfe der Bedarfspläne wesentliche Änderungen gegenüber denFestlegungen des BVWP vorgenommen, muss daher für dieseÄnderungen eine SUP durchgeführt werden.25 Nach Auffassungdes Bundesrats26 fallen auch die Bedarfspläne nicht in den Anwen-dungsbereich von Art. 2a der Richtlinie 2001/42 EG.27

4. Bewertung

Das Gesetz sieht nun die SUP auch für den Bedarfsplan vor. In derPraxis wird der BVWP in der Umsetzung für die einzelnen Verkehr-

sträger in die Bedarfspläne nicht mehr wesentlich geändert. Inso-fern tritt dann, wenn eine ordnungsgemäße SUP bei der Erstellungdes BVWP durchgeführt worden ist, bei Anwendung der Abschich-tungsregelung des § 14 f Abs. 3 UVPG kein wesentlich zusätzlicherAufwand bei der Erarbeitung des Bedarfsplans für Bundesfern-straßen mehr hinzu.

V. Raumordnungsverfahren

Nach § 1 RoV28 soll für den Bau einer Bundesfernstraße, die derEntscheidung nach § 16 FStrG bedarf, ein Raumordnungsverfah-ren durchgeführt werden, wenn das Vorhaben im Einzelfall raum-bedeutsam ist und überörtliche Bedeutung hat. Durch dasRaumordnungsverfahren wird gem. § 15 Abs. 1 ROG festgestellt,ob raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen mit den Erfor-dernissen der Raumordnung übereinstimmen und wie raumbe-deutsame Planungen und Maßnahmen unter den Gesichtspunk-ten der Raumordnung aufeinander abgestimmt oder durchgeführtwerden können (Raumverträglichkeitsprüfung). Im Raumord-nungsverfahren sind die raumbedeutsamen Auswirkungen derPlanung oder Maßnahme auf die in den Grundsätzen des § 2 Abs.2 ROG genannten Belange unter überörtlichen Gesichtspunktenzu prüfen. Diese Feststellung schließt die Prüfung vom Träger derPlanung oder Maßnahme eingeführter Standort- oder Trassenal-ternativen ein. Das Ergebnis ist gem. § 4 Abs. 3 bis 5 ROG in derAbwägung nach § 17 Abs. 1 FStrG zu berücksichtigen. Dieraumordnerische Beurteilung ist daher nach der Rechtsprechungdes BVerwG lediglich eine gutachterliche Stellungnahme.29

§ 16 Abs. 1 UVPG bestimmt nunmehr, dass für das Raumord-nungsverfahren bei in der Anlage 1 aufgeführten Vorhaben dieLänder regeln, unter welchen Voraussetzungen eine UVP erforder-lich ist, sowie das Verfahren für deren Durchführung. Die Länderhaben somit einen Regelungsauftrag, der die Vorgaben der §§ 14o,19a Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 UVPG berücksichtigen muss.

Damit ist einerseits bestimmt, dass keine SUP, sondern allenfallseine UVP durchgeführt wird, und andererseits ist es auch für denBereich der Bundesfernstraßenplanung den Ländern überlassen zubestimmen, ob überhaupt eine UVP vorgesehen wird und diesenicht vielmehr ganz auf das Planfeststellungsverfahren (oder dasLinienfeststellungsverfahren) verlagert wird. Beide Konsequenzenerscheinen bedenklich.30 Das Raumordnungsverfahren hat eineGelenkfunktion zwischen Gesamt- und Projektplanung.31 Je nachPlanungsstand ist daher in der Sache eher eine SUP oder eine UVP

15 Zum Folgenden Sauthoff, Straßenplanung in Ziekow (Hrsg.), Praxis des Fachpla-nungsrechts, Köln 2005 Rn. 1310 ff.

16 BVerwG, U. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94 – BVerwGE 98, 339 (345ff.); BVerwG, U. v.25.01.1996 – 4 C 5/95 – BVerwGE 100, 238 (254); BVerwG, U. v. 21.03.1996 – 4C 19/94 – BVerwGE 100, 370 (380); BVerwG, U. v. 12.12.1996 – 4 C 29/94 – BVerwGE 102, 331; BVerwG, U. v. 18.06.1997 – 4 C 3/95 – NVwZ-RR 1998, 292;BVerwG, U. v. 19. 5. 1998 – 4 C 11-96 – NVwZ 1999, 528

17 BVerwG, U. v. 27.10.2000 – 4 A 18/99 – BVerwGE 112, 140 18 BVerwG, U. v. 25.01.1996 – 4 C 5/95 – BVerwGE 100, 238.19 stRspr. des BVerwG; vgl. etwa BVerwG, U. v. 08.06.1995 – BVerwG 4 C 4.94 – BVer-

wGE 98, 393 (345 ff.); U. v. 19.03.2003 – BVerwG 9 A 33.02 – Buchholz 407.4 §17 FStrG Nr. 173 S. 157.

20 vgl. BVerwG, U. v. 21.03.1996 – 4 C 19/94 – BVerwGE 100, 370 (385) 21 BVerwG, U. v. 26. 3. 1998 – BVerwG 4 A 7/97 – LKV 1999, 26; vgl. BVerwG, U. v.

21.03.1996 – BVerwG 4 C 19/94 – BVerwGE 100, 370 (385) 22 BVerwG, U. v. 11.01.2001 – BVerwG 4 A 13/99 – NVwZ 2001, 1154 unter Hinweis

auf BVerwG, U. v. 12.12.1996 – BVerwG 4 C 29.94 – BVerwGE 102, 331 (343 f.) 23 BVerwG, U. v. 18.06.1997 – BVerwG 4 C 3.95 – NVwZ-RR 1998, 29224 Siehe oben bereits die Ausführungen zum BVWP; BT-Drs. 15/4236 S. 7 f.; eben-

so Hendler (Fn. 1) S. 27725 BT-Drs. 15/3441 S. 3926 BR-Drs. 52/05 S. 1227 Ebenso Stüer (Fn. 8) UPR 2003, 97 (100)28 Raumordnungsverordnung vom 13.12.1990 (BGBl. I S. 2766), zuletzt geän-

dert durch G. v. 18.06.2002 (BGBl. I S. 1914, 1921)29 BVerwG, B. v. 30.8.1995 – 4 B 86/95 – UPR 1995, 448; U. v. 20.1.1984 – 4 C 43/81

– BVerwGE 68, 311 30 Vgl. auch Bunge/Nesemann in: Storm/Bunge, Handbuch der Umweltverträglich-

keitsprüfung Gliederungsnummer 0507 S. 25.31 Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. Baden-Baden 2000 § 7 Rn. 33.

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angebracht. Misslich ist auch, dass trotz des oben geschilderteninterdependenten Zusammenwirkens von Bundes- und Landes-behörden von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Ver-fahrensanforderungen bestehen können.

VI. Linienbestimmung

1. Inhalt und Verfahren32

Der Planfeststellung – mit Ausnahme der Planung von Ortsdurch-fahrten – vorgelagert ist die Linienbestimmung (§ 16 Abs. 1 S. 1FStrG ). Sie ist die Festlegung des Anfangs- und Endpunktes sowiedes grundsätzlichen Verlaufs der Trasse, insbesondere ihrer unge-fähren Lage zu nahe gelegenen oder berührten Ortschaften,schutzbedürftigen Bereichen (z. B. Wohngebieten und sonstigenGebieten i. S. d. § 50 ImSchG), zu Wasserschutzgebieten oder zuSchutzgebieten nach Naturschutzrecht. Gesetzlich vorgeschriebenist die vorherige Benehmensherstellung mit den Landesplanungs-behörden. Die Linienbestimmung muss nach § 16 Abs. 2 FStrGdem planerischen Abwägungsgebot genügen und dabei, obwohlim Gesetz nicht erwähnt, die privaten Belange berücksichtigen,soweit sie in diesem Planungsstadium bereits erkennbar sind undihre Beeinträchtigung durch die nachfolgende Feinplanung nichtmehr beseitigt werden kann. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung istnur vorgeschrieben, wenn sie nach § 15 Abs. 2 UVPG erforder-lich ist.33

Die Linienbestimmung bindet zwar die im Auftrag des Bundesdie Bundesfernstraßen verwaltenden Landesbehörden (Art. 90Abs. 2 GG), die bestimmte Linienführung und Planung der Bear-beitung des Bauentwurfs und der Planfeststellung zu Grunde zulegen. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist sie keine Recht-mäßigkeitsvoraussetzung der Planfeststellung34 und hat als behör-deninterner Vorgang keine Rechtswirkung nach außen, so dass sieauch kein Verwaltungsakt ist.35 Ihre Rechtmäßigkeit ist aber alseine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Planfeststellung inzi-dent zu prüfen.36 Das Planfeststellungsverfahren ist zwar imInnenverhältnis grundsätzlich an die mit der Linienbestimmunggetroffene Planungsentscheidung gebunden. Übernimmt sie einedefizitäre Linienbestimmung, so überträgt sie den Fehler in diePlanungsentscheidung.37 Wenn sie aber eigene Erwägungen ange-stellt hat, ist die Vorabbindung nicht (mehr) entscheidungserheb-lich.38

2. SUP- oder UVP-Pflichtigkeit,39 Politische Entscheidung über SUP

Es war vertreten, dass auch Linienbestimmungsverfahren fürBundesfernstraßen der SUP-Pflicht unterfallen, weil der Bund zurSicherung seines Einflusses auf die Trassenführung von Bundes-fernstraßen verpflichtet sei, ein Linienbestimmungsverfahrendurchzuführen.40 Es ist bei der UVP-Pflichtigkeit nach § 15 Abs. 1S. 1 UVPG geblieben. Dies ist angesichts der Rechtsprechung desBVerwG konsequent.

§ 15 Abs. 1 S. 2 UVPG regelt nun die Abschichtungsmöglichkeitgegenüber dem Raumordungsverfahren. Mit der Änderung derbisherigen Formulierung soll lediglich klargestellt werden, dass dieDurchführung der UVP für die Linienbestimmung nur durch eineUVP in einem Raumordnungsverfahren ersetzt werden kann,wenn hierfür die gleichen Anforderungen für die Prüfung vonTrassenalternativen gelten. Hierdurch werden keine inhaltlichenÄnderungen in der Durchführung der UVP geschaffen.41 Nach § 15Abs. 1 S. 3 UVPG sind in die Prüfung der Umweltverträglichkeitbei der Linienbestimmung alle ernsthaft in Betracht kommendenTrassenvarianten einzubeziehen.42

B. Wichtige Detailfragen des Verfahrens der Umweltprüfung

I. Abschichtung

1. Relevanz

Die auf den verschiedenen Planungsebenen jeweils durchzu-führenden Umweltprüfungen koordiniert § 14f Abs. 3 S. 3 UVPG,der eine Abschichtungsnorm enthält. Diese soll den Schwerpunktder Prüfung auf die verschiedenen Planungsebenen verteilen undsomit insbesondere helfen, Mehrfachprüfungen zu vermeiden.Auf den verschiedenen Planungs- und Entscheidungsebenen mussnicht jeweils eine umfassende Untersuchung aller Umweltauswir-kungen erfolgen. § 14f Abs. 3 S. 3 UVPG ist daher auch auf dasgestufte Planungs- und Zulassungsverfahren im Rahmen der Reali-sierung von Bundesfernstraßen anzuwenden. Dabei werden nichtnur die verschiedenen Planungs- und damit SUP-Ebenen mitein-ander in Einklang gebracht, sondern diese auch mit dem Zulas-sungsverfahren nach §§ 17 ff. FStrG und damit dem UVP-Verfah-ren verzahnt. Mit Ende des Planungsverfahrens und dem Beginndes Zulassungsverfahrens, zu dem nach der Entscheidung desGesetzgebers insoweit auch das Raumordungs- und Linienbestim-mungsverfahren gehören, geht der Anwendungsbereich der SUPin den der UVP über. Durch diese Vorgehensweise werden in sinn-voller Weise Doppelprüfungen vermieden. Außerdem werden jenach Konkretisierungsgrad der Planungs- oder Zulassungsent-scheidung Spielräume eröffnet, um die Prüfanforderungen in ihrerDetailliertheit an die Entscheidung anzupassen.

2. Abschichtungsmodell

Denkbar wäre folgende Aufgabenabschichtung43:– Die SUP auf der Ebene der Erstellung des Bundesverkehrswege-

plans sollte sich auf die Grundlagen für die Bewertung der Pro-jektvorschläge sowie auf die Bedarfseinstufung der einzelnenProjekte beziehen. Die SUP hat auf dieser Planungsebene dieAufgabe, Umweltbelange bei der Bestimmung der Ziele desBVWP, bei der Aufstellung und Auswahl der Verkehrsszenariensowie der Projektvorschläge zu prüfen. Dabei sind in die Ent-scheidung über Ziele, Szenarien und Projektvorschläge jeweilsvernünftige Alternativen einzubeziehen. Dies schließt auchVerkehrsträger übergreifende Alternativen und Nullvariantenzu einzelnen Projektvorschlägen und im Idealfall auch ver-schiedene Verkehrsnetzalternativen ein. Bei der Betrachtungdes Netzzusammenhangs ist es auf dieser Ebene möglich, Ver-kehre effektiv auf alternative Verkehrsträger umzulenken. Dieerforderlichen Handlungsmöglichkeiten für großräumigeÄnderungen im Bundesverkehrswegenetz sind nur auf derBVWP-Ebene gegeben, werden bislang jedoch nicht ausrei-chend genutzt.44

– Fachlich, aber auch rechtlich bestehen enge Zusammenhängezwischen dem BVWP und den Bedarfsplänen, die sich aus dem

32 Zum Folgenden Sauthoff (Fn. 15) Rn. 1305 ff.33 BVerwG 10. 4. 1997 – 4 C 5/96 – BVerwGE 104, 236 34 BVerwG, B. v. 15.05.1996 – 11 VR 3.96 – UPR 1996, 353; BVerwG, B. v. 29.01.2001

– 4 B 87/00 – JURIS; a.A. etwa 35 BVerwG, U. v. 26.06.1981 – 4 C 5.78 – BVerwGE 62, 342; kritisch: Steinberg/Berg/

Wickel (Fn. 31) § 7 Rn. 75 ff.; Sauthoff, Bindungen der Gemeinden an überörtli-che Planungsverfahren und Planungen aus spezifisch fachplanerischen Vor-schriften in Ziekow (Hrsg.), (Fn. 1) S. 127 ff (156 ff)

36 BVerwG, U. v. 08.06.1995 – 4 C 4/94 – NVwZ 1996, 38137 Zu alledem BVerwG, Urt. v. 10. 04. 1997 – BVerwG 4 C 5/96 – BVerwGE 104, 236 38 BVerwG, U. v. 05.12.1986 – BVerwG 4 C 13/85 – BVerwGE 75, 21439 Vgl. Surburg (Fn. 9) SVT 2002, 537 (543)40 Hendler (Fn. 1) S. 281.41 BTag-Drs. 15/3441 S. 1342 Dazu im Einzelnen unten.43 Siehe Bunge in: Öffentliche Anhörung des Umweltausschusses des BTag am

29. September 2004 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strate-gischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG)– Ausschussdrucksache 15(15)305 S. 8

44 Bunge (Fn. 43) S. 8

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Ersteren bedingen. Beide Pläne lassen sich formal rechtlichunterscheiden, obwohl sie sachlich und fachlich in ihrer Auf-stellung und Ausarbeitung eng miteinander verknüpft sind. Fürbeide Pläne ist der Aspekt der Abschichtung von Untersu-chungsinhalten relevant, da sie in einer gemeinsamen Plan-und Programmhierarchie stehen. Wird der BVWP also bereitseiner Umweltprüfung unterzogen, so beschränken sich gemäßArt. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 2 SUP-Richtlinie weitere Umwelt-prüfungen im Rahmen der Plan- und Programmhierarchie derVerkehrswegeplanung auf zusätzliche umweltbezogene Ent-scheidungserfordernisse. Soweit keine Mehrfach-, sondern eineechte Zusatzprüfung vorzunehmen ist, geschieht dies auf derEbene der Bedarfsplanung bezüglich der dort (noch) zu treffen-den Entscheidungen. Somit gilt: Wird der BVWP nicht einereigenen SUP unterzogen, dann ist das, was er als »Grundlage«in die Ausarbeitung des Bedarfsplans einbringt, Gegenstand derSUP des Bedarfsplans.45

– Bei der Linienbestimmung wird das einzelne Verkehrsprojekt,dessen Bedarf durch die Bedarfspläne festgestellt worden ist,konkretisiert. Die UVP im Linienbestimmungsverfahrenbezieht sich auf die Bewertung der Umweltverträglichkeit ver-schiedener Trassenvarianten eines Verkehrsprojektes. Bisherhat die Linienbestimmung – als Teil des Planungs- und Ent-scheidungsprozesses für Bundesfernstraßen und Bundeswasser-straßen – den Zweck, den ungefähren Verlauf einer Trasse zubestimmen. Ähnliches gilt für das Raumordnungsverfahren.Damit geht es auf dieser Stufe gegenwärtig in der Regel nicht(mehr) um Verkehrsträger übergreifende Alternativen. Dabeisollte es bleiben: Sonst gäbe man den Vorteil der »Abschich-tung« (und damit den der Reduktion von Komplexität) wiederauf, den die Aufteilung in BVWP einerseits, Linienbestim-mung/Raumordnungsverfahren andererseits bietet, auf.46

Zudem würde eine Verkehrsträger übergreifende Alternativen-betrachtung auf der Planungsebene der Linienbestimmung zuspät einsetzen. Bereits auf übergeordneter Planungsebene isteine angemessene Netzprüfung unter Einbeziehung aller Ver-kehrsmittelvarianten (im optimalen Fall auch unter Annahmeverkehrspolitischer Maßnahmen) durchzuführen, die danneine übergreifende Betrachtung auf der Ebene der Linienbe-stimmung obsolet erscheinen lässt.

Wenn allerdings Verkehrsträger übergreifende Alternativennicht in ausreichendem Maße auf BVWP bzw. Bedarfsplanebenegeprüft werden, dann sind Prüfungen von Trassenvarianten nichtausreichend; das bedeutet aber nicht, dass diese auf dieser Stufeentgegen der Entscheidung des Gesetzgebers noch geprüft werdendürfen.47

Dalkmann hat darauf hingewiesen, dass eine merkliche Verein-fachung im Rahmen der Aufstellung des BVWP durch die Stärkungder Bundeskompetenzen zu erlangen wäre. Eine entsprechendeintegrierte Verkehrsträger übergreifende Netzplanung könnte dasaufwendige Verfahren durch die Projekteinreichung der Länderablösen und zugleich eine SUP integrieren. Grundlage hierfürwäre allerdings eine Entscheidung in der Föderalismusdebatte.48

II. Alternativenuntersuchung

1. Regelung

Nach § 19 b Abs. 2 UVPG werden bei der Verkehrswegeplanung aufBundesebene nach Nr. 1.1 der Anlage 3 bei der Erstellung desUmweltberichts in Betracht kommende »vernünftige Alternati-ven«, die die Ziele und den geographischen Anwendungsbereichdes Plans oder Programms berücksichtigen, insbesondere alterna-tive Verkehrsnetze und alternative Verkehrsträger ermittelt,beschrieben und bewertet.

Die Forderung des BUND, auf eine Einschränkung (»vernünf-tig«) der Alternativen zu verzichten, hat der Gesetzgeber nicht auf-gegriffen. Es erscheint aber auch fraglich, ob nicht die Maßstäbeunter Nr. 1 in der Sache etwas anderes regeln, als was unter demBegriff der »vernünftigen« Alternative zu verstehen ist, nämlicheine solche, die ernsthaft in Betracht kommt. So geht auch dasBVerwG für das Abwägungsgebot nach § 17 Abs. 1 FStrG davonaus: »Ernsthaft in Betracht kommende Alternativtrassen müssensoweit untersucht werden, bis erkennbar wird, dass sie nicht ein-deutig vorzugswürdig sind«.49 Das eigentliche Problem liegt darin,nicht das Ziel so eng zu fassen, das nur das ins Auge gefasste Pro-jekt »passt«.

2. Inhalt der PrüfungMaßgebend ist § 19 b Abs. 2 UVPG. Aus Sicht der Planung der ein-zelnen Verkehrsprojekte wird der Alternativenumfang bestimmtvom Projekttyp und den örtlichen Voraussetzungen. So ist beigrößeren Fernstraßenprojekten auch der Ausbau von Schienenver-bindungen als Alternative zu betrachten, bei Straßenprojekten inVerdichtungsräumen der Ausbau des ÖPNV. Dieser umfassendeAlternativenbegriff korrespondiert mit dem umfassenden Ver-ständnis der Umweltauswirkungen, wie es in Anhang I lit. b) derSUP-Richtlinie und in § 19 b Abs. 2 UVPG zum Ausdruck kommt.50

Dabei werden folgende Typen von Alternativen unter-schieden51:– System-Alternativen: Was soll gebaut werden (z.B. Schiene oder

Straße)?– Technische Alternativen: Wie soll gebaut werden (z.B. in Hoch-

oder Tieflage)?– Standort-Alternativen: Wo soll gebaut werden (z.B. östlich oder

westlich des Ortes)?– Null-Variante darf nicht aus dem Auge verloren werden.

3. Gegenwärtiger StandAllerdings ist zu sehen, dass für den BVWP 2003 weder eine Ver-kehrsträger übergreifende Netzanalyse durchgeführt wurde nochwurden bei der Bewertung der Einzelprojekte außer der Nullvari-ante (die als Bezugsfall diente) die jeweils in Betracht kommendenAlternativen berücksichtigt. Die Begründung zum 5. FStrAbÄndGselbst stellt fest, dass ausgewogene Lösungen erst in den nachfol-genden Planungsverfahren auf einer umfassenden Interessensab-wägung zu finden sind.52 Für Projekte, die auf Grund ihres hohenökologischen Risikos einen naturschutzfachlichen Planungsauf-trag erhalten haben, soll auch untersucht werden, inwieweit »diebisherigen Planungen oder aber Alternativplanungen, vor allemder Ausbau des vorhandenen Straßennetzes, verwirklicht werdenkönnen.«53

Da weder das Raumordnungs- noch das Linienbestimmungsver-fahren Verkehrsträger übergreifende Alternativuntersuchungen

45 Siehe Köppel et.al., Anforderungen der SUP-Richtlinie an Bundesverkehrswege-planung und Verkehrsentwicklungsplanung der Länder, Forschungsbericht 20296 185 UBA-FB 000593 (http://www.umweltbundesamt.de), S. 31 ff.

46 Bunge (Fn. 11) S. 9; ebenso Hendler in: Öffentliche Anhörung des Umweltaus-schusses des BTag am 29. September 2004 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ein-führung einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie2001/42/EG (SUPG) – Ausschussdrucksache 15(15)305* S 4

47 Dalkmann in: Öffentliche Anhörung des Umweltausschusses des BTag am 29.September 2004 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Strategi-schen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG) –Ausschussdrucksache 15(15)305* S. 3

48 Dalkmann (Fn. 47) S. 949 BVerwG, U. v. 25.01.1996 – BVerwG 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (250) – A 60;

U. v. 26.03. 1998 – BVerwG 4 A 7.97 – UPR 1998, 382 – A 241/ Schwerin; B. v.26.06. 1992 – BVerwG 4 B 1 – 11.92 – DVBl 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572.

50 Vgl. BUND Anhörung (Fn. 11) S. 10. 51 Stern, Ansätze zur Methodik der Strategischen Umweltprüfung – Verfahrensab-

lauf und Leistungsbild; Landesbetrieb Straßenbau NRW S. 3 ff.52 vgl. BT-Drs. 15/1657, S. 1253 BT-Drs. 15/1657, S. 21

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ermöglichen, da sie fachspezifisch durchgeführt werden,54 bleibtdieser Gesichtpunkt bis zu einer erneuten Überarbeitung desBVWP ausgeblendet. Im Übrigen müssen im Linienbestimmungs-und Raumordungsverfahren wie auch im Planfeststellungsverfah-ren die ernsthaft in Betracht kommenden Alternativtrassen soweituntersucht werden, bis erkennbar wird, dass sie nicht eindeutigvorzugswürdig sind.55

4. Insbesondere: Linienbestimmung

Nach § 15 Abs. 1 S. 3 UVPG sind in die Prüfung der Umweltver-träglichkeit bei der Linienbestimmung alle ernsthaft in Betrachtkommenden Trassenvarianten einzubeziehen. Damit ist derGesetzgeber nicht der Anregung gefolgt, es müssten auch auf die-ser Stufe u. U. »vernünftige Alternativen« geprüft werden.

Dieser Auffassung liegt der Ausgangspunkt zu Grunde, für dieLinienbestimmung von Verkehrsprojekten sei die Beschränkungauf die Prüfung ernsthaft in Betracht kommender Trassenvarian-ten nicht zulässig, solange nicht auf der Ebene der Verkehrswege-planung des Bundes oder integrierter, regionaler Verkehrsplanun-gen eine SUP unter Einschluss aller vernünftigen Alternativeneinschließlich der Null-Variante durchgeführt wurde.56 DerGesetzgeber hat aber gerade für das Linienbestimmungsverfahrenkeine SUP vorgesehen. Im Übrigen wird man davon ausgehenmüssen, dass eine Verkehrsträger übergreifende Alternativenbe-trachtung erst auf der Planungsebene der Linienbestimmungohnehin zu spät einsetzt. Bereits auf übergeordneter Planungse-bene ist eine angemessene Netzprüfung unter Einbeziehung allerVerkehrsmittelvarianten durchzuführen.57

Stellt sich heraus, dass die fehlenden Erwägungen zu »vernünfti-gen Alternativen« unter Verkehrsträger übergreifenden Überle-gungen (europa)rechtlich auf der Ebene der BVWP oder desBedarfsplans zu einer rechtswidrigen Planung führen, ist zu prü-fen, in wie weit der Bedarfsplan schon vorzeitig der Überprüfungbedarf. Erfolgt dies nicht, kann, da der Bedarfsplan als Gesetzergeht, dessen Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die Gren-zen des gesetzgeberischen Ermessens allerdings im Streitfall, d.h.wenn eine Anpassung unterbleibt, nur in einem Verfahren nachArt. 100 GG geklärt werden.58

C. SUP bei landesrechtlichen Straßen

Sofern man auch landesrechtlich bei der Entscheidung bleibt, dassdas Raumordungsverfahren und die Linienbestimmung nicht derSUP, sondern nur der UVP unterworfen werden, könnte eine SUPnur dort in Betracht kommen, wo nach Landesrecht eine Bedarfs-planung vorgesehen ist.59 Sie sollte auch in anderen Bundeslän-dern erwogen und damit einhergehend eine SUP vorgesehen wer-den. Das Land müsste dann nicht vielfach auf Projektvorschlägeder jeweils untergeordneten Ebenen zurückgreifen, also bei einemLandesstraßenbedarfsplan zum Beispiel auf die Vorschläge derKreise und Kommunen. So könnte eine systematische Bedarfser-

mittlung auf der Grundlage einer Mängel- und Bedarfsanalysegeleistet werden.

D. Resümee

Auch nach Verabschiedung des Gesetzes ist die Reflexion darüber,ob bestimmte Verfahrensschritte durch den Gesetzgeber der SUPunterworfen werden mussten, nicht bedeutungslos. Zum einenmuss sich die Auslegung dieser neuen Normen nur dann an euro-parechtlichen Standards orientieren, wenn sie der Umsetzungzwingenden Europarechts dienen. Zum anderen kann ihre Verlet-zung auch nur dann einen europarechtswidrigen Zustand begrün-den. Dies könnte wiederum die Fehlerfolgen beeinflussen.

Ansonsten ist das Ergebnis der politischen Entscheidung desGesetzgebers zu respektieren. Es geht nicht an, die »verloreneSchlacht« – in der einen wie der anderen Richtung – nun auf das Feldder Auslegung des neuen Rechts zu verlagern, um doch noch dieRechtslage zu erreichen, die man legislativ nicht durchsetzen konnte.

Im Übrigen wird das Verfahren der Bundesstraßenplanung nochkomplizierter: Hier kann eine merkliche Vereinfachung im Rah-men der Aufstellung des BVWP durch die Stärkung der Bun-deskompetenzen erlangt werden. Eine entsprechende integrierteVerkehrsträger übergreifende Netzplanung könnte das aufwen-dige Verfahren durch die Projekteinreichung der Länder ablösenund zugleich eine SUP integrieren. Dies setzte allerdings eineÄnderung der Vorgaben des Grundgesetzes voraus.60

A U F S Ä T Z E | Sauthof f , D ie St rateg ische Umweltprüfung im St raßenrecht

54 Dazu noch unten bei Fn. 60.55 BVerwG, U. v. 25.01.1996 – BVerwG 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (250) – A 60;

U. v. 26.03. 1998 – BVerwG 4 A 7.97 – UPR 1998, 382 – A 241/ Schwerin; B. v.26.06. 1992 – BVerwG 4 B 1 – 11.92 – DVBl 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572.

56 BUND (vgl. ausführlich Antworten 10.+11. zu den Fragen der Fraktionen vonSPD und Bündnis‘90/Die Grünen).; so wohl auch Dalkmann (Fn. 47).

57 Dalkmann (Fn. 47). 58 BVerwG, B. v. 26.04.1996 – BVerwG 11 VR 47/95 – NuR 1997, 79 (81); U. v.

08.06.1995 – BVerwG 4 C 4/97 – BVerwGE 98, 339 (345 ff.); U. v. 21.03.1996 –BVerwG 4 C 26/94 – BVerwGE 1000, 388 (390).

59 Surburg (Fn. 9) SVT 2002, 537 (540 f.) für Nordrhein-Westfalen, Brandenburg undSachsen

60 So zu Recht Dalkmann (Fn. 47) S. 9; in ähnlichem Sinne allgemein im Zusam-menhang mit der Umsetzung der SUP-RL Sangenstedt (Fn. 1) S. 260 unter Hin-weis auf Dokumentation des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit (Hrsg.): Föderalismusreform: Neuordnung Umweltkompeten-zen; Tagung des BMU vom 29.3.2004; ; Kloepfer, Föderalismusreform und Um-weltrecht, NuR 2004, 759

Michael SauthoffVizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Greifswald und Vorsitzenderdes u.a. für Baurecht zuständigen Senats; Lehrbeauftragter an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald; Mitherausgeber der Zeitschrift fürUmweltrechtAktuelle Veröffentlichungen: Dürr/Sauthoff, Baurecht Mecklenburg-Vor-pommern, 2005; Straßenplanung in Ziekow (Hrsg.): Praxis des Fach-planungsrechts, 2004; Sauthoff/Witting: Straßen- und WegegesetzMecklenburg-Vorpommern, Loseblatt-Kommentar, 2004 ff.; Die Ent-wicklung des Straßenrechts NVwZ 2004, 674; Kommentierung der §§ 7 und 9 KAG M-V 2005 (Anschlussbeitragsrecht) in Driehaus(Hrsg.), Kommunalabgabegesetz (§ 8 Rn. 1600 ff.), Sept. 2005.

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Vogt , Anwendung ar tenschutzrecht l icher Best immungen | A U F S Ä T Z E

Katrin Vogt

Die Anwendung artenschutzrechtlicher Bestimmungenin der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung

Die Anwendung artenschutzrechtlicher Regelungen in der Fachplanungund der kommunalen Bauleitplanung bereitet erhebliche Schwierigkeiten,da die von der Praxis anzuwendenden Bestimmungen in einer komplexenGemengelage von Europäischem Recht, Bundesrecht und Landesrechtenthalten sind und die Bestimmungen zudem uneinheitlich ausgelegt wer-den. Die spätestens durch das so genannte Caretta-Urteil des EuGH erneut entfachte Diskussion über den Artenschutz ist noch immer in vollem Gange. Auch die jüngste Äußerung des BVerwG zu § 43 Abs. 4BNatSchG hat kaum zur Klärung beigetragen. Der hierdurch motivierteBeitrag versucht unter anderem, einen gangbaren Weg für die Praxis auf-zuzeigen, der insbesondere auch den europarechtlichen Anforderungengerecht wird.

A. Allgemeines zum Artenschutzrecht1

Das Artenschutzrecht ist vor allem geregelt auf europäischer Ebenein der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über dieErhaltung der wild lebenden Vogelarten (im Folgenden: VRL) undin der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zurErhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebendenTiere und Pflanzen (im Folgenden: FFH-RL) und auf nationalerEbene in §§ 1 ff., 39 ff., 62 und 65 des BNatSchG und in der Bun-desartenschutzverordnung sowie den Landesnaturschutzgeset-zen. Wichtig ist vor allem der Begriff der besonders beziehungs-weise streng geschützten Arten, der in § 10 Abs. 2 Nr. 10 und 11BNatSchG definiert ist. Hinzuweisen ist darauf, dass in der Bundes-artenschutzverordnung auch Tiere und Pflanzen dem gesetzlichenArtenschutz unterworfen werden, die nicht nach der FFH-RL euro-parechtlich geschützt sind.

B. Der Absichtsbegriff in § 43 Abs. 4 BNatSchG

Von besonderer Bedeutung im Umgang mit dem Artenschutzrechtist das Gebot, das nationale Recht so auszulegen und anzuwenden,dass den hohen europarechtlichen Anforderungen genügt wird.Dabei spielt insbesondere eine große Rolle, wie der Begriff»absichtlich« in § 43 Abs. 4 BNatSchG auszulegen ist. Denn dieAnwendbarkeit der artenschutzrechtlichen Verbote nach § 42BNatSchG hängt in vielen Fällen davon ab, ob ein Verhaltenabsichtlich ist oder nicht.

Das BVerwG führt in seinem Urteil vom 11.1.2001 aus, nurgezielte Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen seienabsichtlich im Sinne von § 20 f Abs. 3 S. 1 BNatSchG a. F., der imWesentlichen § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG n. F. entspricht. Nichtabsichtlich seien dagegen Beeinträchtigungen, die sich als unaus-weichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns ergäben.2

Demgegenüber liegt nach Auffassung vieler Stimmen in derneueren Literatur3 und der neueren Rechtsprechung4 unter Beru-fung auf das so genannte »Caretta-Urteil« des EuGH eine absichtli-che Störung bereits dann vor, wenn eine Handlung erkennbargeeignet sei, eine Art zu stören, ohne dass diese Handlung zielge-richtet sein müsse oder es auf die Intention des Handelndenankomme. Entscheidend sei allein, ob artenschutzrechtlich rele-vante Aktivitäten in Kenntnis aller Umstände, also im Bewusstsein

des Vorkommens der geschützten Arten und der beeinträchtigen-den Wirkung des Verhaltens entfaltet würden. Absicht im Sinnedes EG-Artenschutzrechts liege daher immer schon dann vor,wenn ein aus Sicht der Art. 12, 13 FFH-RL bzw. Art. 5 VRL uner-wünschter Handlungserfolg vom Handelnden erkannt, die diesbewirkende Handlung aber dennoch vorgenommen werde. Mitdem Caretta-Urteil vom 30.1.2002 hat der EuGH einer Klage derKommission gegen Griechenland stattgegeben.5 Die Kommissionhatte beanstandet, dass die griechischen Behörden auf einem Fort-pflanzungsstrand der Meeresschildkröte Caretta caretta, einer imAnhang IV FFH-RL aufgeführten Art, eine absichtliche Störung derTierart durch Tourismus während der Fortpflanzungszeit im Sinnedes Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL zuließen.

In einem Beschluss vom 12.4.2005 hält das BVerwG an seineroben genannten Rechtsprechung vom 11.1.2001 fest. Ohne dieCaretta-Entscheidung des EuGH zu erwähnen und sich mit derAuslegung des Absichtsbegriffs auseinanderzusetzen, führt eslediglich aus: »Die in Vollzug eines Planfeststellungsbeschlussesunvermeidbaren Beschädigungen und Beeinträchtigungen beson-ders geschützter Tier- und Pflanzenarten geschehen grundsätzlichnicht absichtlich im Sinne des § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG«.6

Damit stellt sich die Frage, ob sich das BVerwG über die EuGH-Rechtsprechung hinwegsetzen durfte. Soweit Müller7 meint, dasCaretta-Urteil des EuGH stelle im Hinblick auf die Auslegung desAbsichtsbegriffs keine verbindliche Rechtsprechung für die Mitglied-staaten dar, sondern wirke nur inter partes und beziehe sich lediglichauf den konkreten Einzelfall, ist dem zu entgegnen, dass dem EuGHnach Art. 220 EG das Auslegungsmonopol für alle Fragen desGemeinschaftsrechts zusteht. Er hat dafür zu sorgen, dass das rei-bungslose Zusammenwirken der Gemeinschaftsrechtsordnung mitden mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gewährleistet wird.8 Aus-legungsurteile des EuGH entfalten deshalb eine eingeschränkte ergaomnes-Bindungswirkung.9 Entscheidet der EuGH über die Ausle-gung von Gemeinschaftsrecht, sind auf jeden Fall letztinstanzliche

1 Bezüglich der naturschutzfachlichen Sicht wird auf Haupt/Martens/Pretscher,Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten im Artenschutzrecht des Bundes, NuR2003, S. 722 ff. verwiesen. Zum Verhältnis Arten- und Habitatschutz siehe Geller-mann, Artenschutz in der Fachplanung und der kommunalen Bauleitplanung,NuR 2003, 385 (394).

2 BVerwG, Urt. v. 11.1.2001, NuR 2001, 385, 387; ebenso Kratsch in: Schuma-cher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, Stuttgart 2003, § 43 Rn. 19;Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, München 2003, § 43 Rn. 15.

3 Fischer-Hüftle/Schumacher (Fn. 2), § 19 Rn. 114; Gellermann, NuR 2003, 385(388), Artenschutz und Eingriffsregelung, ZUR 2004, 87 (89); Schrödter, Städ-tebaurecht und das Recht des gesetzlichen Biotop- und Artenschutzes, Nds-VBl 2003, 33 (39); Louis, Artenschutz in der Fachplanung, NuR 2004, 557(559); Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel, Berücksichtigung vongeschützten Arten bei Eingriffen in Natur und Landschaft, Naturschutz undLandschaftsplanung 36, (12), 2004, 371 (372).

4 VGH Kassel, Urt. v. 24.11.2003, NuR 2004, 393 (394), Urt. v. 25.2.2004, NuR2004, 397 (398), Urt. v. 26.10.2004.

5 Rechtssache C-103/00; NuR 2004, 596 f.6 BVerwG 9. Senat, Beschl. v. 12.4.2005, NVwZ 2005, 943 (947). Siehe hierzu

die Anmerkung von Gellermann, Die Ortsumgehung im Lichte des Arten-und Biotopschutzes, NuR 2005, 504 ff. Dem Beschluss folgend: OVG Rhein-land-Pfalz, Urt. v. 9.6.2005, Az: 1 C 12018/04, juris, dort Rn. 29.

7 Müller, Das System des deutschen Artenschutzrechts und die Auswirkungender Caretta-Entscheidung des EuGH auf den Absichtsbegriff des § 43 Abs. 4BNatSchG, NuR 2005, 157 (163).

8 Siehe hierzu Schweitzer/Hummel, Europarecht, Neuwied, Kriftel, Berlin 1996,Rn. 449, 520.

9 Dazu und im Folgenden Ehricke in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, München2003, Art. 234 EGV Rn. 67; Koenig/Pechstein/Sander, EU-/EG-Prozessrecht,Tübingen 2002, Rn. 825.

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A U F S Ä T Z E | Vogt , Die Anwendung ar tenschutzrecht l icher Best immungen

Gerichte aufgrund des Gemeinschaftsrechts verpflichtet, die Ausle-gung des EuGH anzuwenden oder bei Zweifeln an dieser Auslegungvor einem Abweichen dem Gerichtshof die Frage gemäß Art. 234 EGerneut vorzulegen. Dass sich der EuGH in seiner Entscheidung nichtexplizit mit der Struktur des Art. 12 FFH-RL auseinandersetzte,10

ändert an der Pflicht zur Vorlage nichts. Daraus folgt, dass sich dasBVerwG grundsätzlich nicht über die EuGH-Rechtsprechung hin-wegsetzen darf. Im vorliegenden Fall war das BVerwG dennoch nichtzur Vorlage an den EuGH verpflichtet, da seine Entscheidung zu § 43Abs. 4 Satz 1 BNatSchG im vorläufigen Rechtsschutz und somit ineinem summarischen und eilbedürftigen Verfahren erging.11 Aller-dings hat das BVerwG, wenn es das nächste Mal im Rahmen einesUrteils eine Entscheidung zu § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG treffen muss,entweder die Rechtsprechung des EuGH zu beachten oder diesem dieFrage gemäß seiner Verpflichtung aus Art. 234 Abs. 3 EG vorzulegen.So ist auch der VGH Kassel der Interpretation des Absichtsbegriffsdurch den EuGH gefolgt. In zwei Urteilen vom 24.11.2003 und25.2.2004 hatte er festgestellt, dass die engere Auffassung desBVerwG europarechtlich nicht haltbar sein dürfte.12

Aufgrund der gegensätzlichen Rechtsprechung von BVerwG undEuGH ist weiterhin zu klären, wie der Begriff »absichtlich« auszule-gen ist. Zu beachten ist dabei, dass das Merkmal »absichtlicheBeeinträchtigung« in § 43 Abs. 4 BNatSchG in das bundesdeutscheArtenschutzrecht aufgenommen wurde, um zuvor bestehende undvom EuGH13 festgestellte Mängel in der Umsetzung des EG-Arten-schutzrechts zu beheben.14 Mit Ausnahme des Art. 12 lit. d FFH-RLsind nach den artenschutzrechtlichen Bestimmungen der EG nurabsichtliche Handlungen zu untersagen. Deshalb besteht die Auf-gabe des in § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG integrierten Absichtsmerk-mals darin, nur solche Verhaltensweisen von den Verboten des § 42Abs. 1 BNatSchG freizustellen, die aus EG-rechtlicher Sicht unbeab-sichtigt sind, als solche von den einschlägigen Verbotsbestimmun-gen nicht erfasst werden und deswegen im nationalen Recht ohneVerstoß gegen Gemeinschaftsrecht freigestellt werden dürfen.15

Diese Funktion kann nur erfüllt werden, wenn das Merkmal in glei-cher Weise verstanden wird, wie der Absichtsbegriff des EG-Arten-schutzrechts. Hiergegen könnte zwar eingewendet werden, dassnach deutschem Recht auch zahlreiche Arten geschützt sind, dienicht nach der FFH-RL geschützt sind, und der Anwendungsbe-reich des § 43 Abs. 4 BNatSchG somit nicht identisch ist mit demje-nigen der FFH-RL. Insbesondere hat der EuGH nur über denAbsichtsbegriff der FFH-RL entschieden. Hieraus kann jedoch nichtgefolgert werden, § 43 Abs. 4 BNatSchG werde von der Entschei-dung des EuGH nicht tangiert.16 Denkbar wäre allerdings, denBegriff »absichtlich« in § 43 Abs. 4 BNatSchG unterschiedlich aus-zulegen, je nachdem ob Arten betroffen sind, die unter den Schutzder FFH-RL fallen oder nicht. Glücklich ist diese Lösung freilichnicht, denn eine unterschiedliche Auslegung ist mit dem Wortlautund der Systematik des § 43 Abs. 4 BNatSchG nur schwer vereinbar.Dieser geht von einem einheitlichen Absichtsbegriff aus und unter-scheidet nicht nach den unterschiedlichen Schutzkategorien.

Im Übrigen spricht die Klage der Europäischen Kommission gegendie Bundesrepublik Deutschland vom 28.2.2003 vor dem EuGH17 füreine weite Auslegung des Absichtsbegriffs. Die Kommission ist derAuffassung, die Bundesrepublik habe gegen ihre Verpflichtungen ausArt. 12, 13 und 16 FFH-RL verstoßen. Zur Begründung führt sie unteranderem auf: Die Beschränkung des Schutzes der Nist-, Brut-, Wohn-oder Zufluchtstätten der Tiere auf absichtliche Beeinträchtigungenin § 43 Abs. 4 BNatSchG stehe nicht im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 lit.d FFH-RL, nach dessen eindeutigem Wortlaut eine Absicht im Rah-men des Verbots der Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflan-zungs- und Ruhestätten nicht erforderlich sei. § 43 Abs. 4 BNatSchGsehe auch Ausnahmen zugunsten bereits zugelassener Eingriffe oderMaßnahmen von den Artenschutzregelungen vor, ohne dabei zu

berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Zulassung womöglich nochnicht bekannt war, dass eine geschützte Art betroffen ist. Geht manmit der Kommission davon aus, dass die FFH-RL durch § 43 Abs. 4BNatSchG nur unzureichend umgesetzt wird, kann durch eine weiteAuslegung des Absichtsbegriffs zumindest auf ein europarechtskon-formes Ergebnis hingewirkt werden.18

Schließlich entspricht allein die Auslegung des Absichtsbegriffesim Sinne des EuGH dem Gesetzeszweck. Ein effektiver Artenschutzgebietet eine weite Auslegung. Die geschützten Arten werdenallein durch die schädigenden Handlungen gefährdet, die Inten-tion ist dabei irrelevant. Entscheidend ist die Intention nur bei derFrage nach Sanktionen. Deshalb rechtfertigt sich auch eine andereAuslegung des Absichtsbegriffs als im Strafrecht.Allerdings wird die weite Auslegung des Merkmals »absichtlicheBeeinträchtigung« in § 43 Abs. 4 BNatSchG im Sinne der EuGH-Rechtsprechung insbesondere aufgrund ihrer weitreichenden Folgenfür die Land- und Forstwirtschaft kritisiert. Eine land- und forstwirt-schaftliche Bodennutzung sei nicht mehr vernünftig möglich.Gerade Landwirte, die sich dem Naturschutz gegenüber aufgeschlos-sen verhielten und Flächen auch einmal brach liegen ließen odersich im Vertragsnaturschutz engagierten, wären benachteiligt, da sie,wenn sich besonders geschützte Arten angesiedelt hätten, erst eineartenschutzrechtliche Befreiung benötigten, bevor sie ihre Flächenwieder bewirtschaften dürften. Folge werde daher sein, dass Land-und Forstwirtschaft zur Vermeidung der Ansiedlung besondersgeschützter Arten intensiver wirtschaften und von den Möglichkei-ten des Vertragsnaturschutzes kaum noch Gebrauch machen wür-den.19 Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Auch soll nichtverkannt werden, dass eine weite Auslegung des Absichtsbegriffs zuweiteren nicht unerheblichen Auswirkungen auf die Praxis führt. Dadie zwingenden artenschutzrechtlichen Vorschriften auf verbindli-chen europarechtlichen Vorgaben beruhen, müssen die sich infolgeeiner europarechtskonformen Auslegung ergebenden negativenAuswirkungen auf die Verwaltungspraxis, wie vor allem der höhereUntersuchungsaufwand im Rahmen von Planungs- und Zulassungs-verfahren und zusätzlicher Aufwand für die Prüfung der Vorausset-zungen für nötig werdende Befreiungen hingenommen werden, vor-ausgesetzt man nimmt das Europarecht ernst. Um europarechtskon-form zu handeln, sollte bis zu einer entgegengesetzten Äußerung desEuGH oder einer Rechtsänderung auf europäischer Ebene Verwal-tungsentscheidungen in der Fach- und Bauleitplanung eine weiteAuslegung des Absichtsbegriffs zugrunde gelegt werden.

C. Artenschutz in der Fachplanung

I. Anwendbarkeit des § 43 Abs. 4 BNatSchG bei der Planfeststellungund auf die Eingriffsregelung im Allgemeinen

Entgegen einer bisher weit verbreiteten Auffassung,20 nach der dieBelange des Artenschutzes im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit

10 Siehe hierzu Müller, NuR 2005, 157 (163).11 Vgl. Ehricke (Fn. 9) Rn. 67.12 Urt. v. 24.11.2003, Urt. v. 25.2.2004, NuR 2004, 393 ff., 397 f.13 Urt. v. 17.9.1987 – Rs. 412/85, NuR 1988, 53 f.14 Siehe hierzu Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 43 Rn. 14.15 Gellermann, ZUR 2004, 87 (89).16 Vgl. Müller, NuR 2005, 157 (163).17 Rechtssache C-98/03, Abl. EG 2003, C 146/26.18 Nach Gellermann, NuR 2005, 504 (505) ist der Normwiderspruch in der

Weise zu lösen, dass die Legalausnahme des § 43 Abs. 4 BNatSchG unange-wendet zu bleiben hat.

19 Zum Ganzen Müller, NuR 2005, 157 (163).20 Fischer-Hüftle/Schumacher (Fn. 2), § 19 Rn. 113 f.; Kratsch (Fn. 2), § 43 Rn. 21;

Lorz/Müller/Stöckel, § 43 Rn. 17; Schmidt-Räntsch in Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. München 2003,§ 43 Rn. 27; weitere Nachw. bei Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel (Fn. 3),S. 372.

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eines Eingriffs als Teilaspekt der Leistungs- und Funktionsfähigkeitdes Naturhaushaltes berücksichtigt und in die Abwägung eingestelltwerden müssen, gilt die Freistellung nach § 43 Abs. 4 BNatSchG vonden artenschutzrechtlichen Verboten meines Erachtens weder fürdas Planfeststellungsverfahren nach den §§ 72 ff. VwVfG noch fürandere Anwendungsgebiete der Eingriffsregelung und es verbleibtbei der Geltung des § 42 Abs. 1 und 2 BNatSchG.21

Gemäß § 43 Abs. 4 BNatSchG gelten die Verbote des § 42 Abs. 1und 2 BNatSchG unter anderem nicht bei der Ausführung einesnach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriffs. Voraussetzung für dieAnwendbarkeit der Eingriffsregelung ist gemäß § 20 Abs. 1 BNat-SchG, dass der Eingriff einer behördlichen Entscheidung odereiner Anzeige an eine Behörde bedarf oder von einer Behördedurchgeführt wird. Vom Begriff »behördliche Entscheidung« wer-den insbesondere auch Planfeststellungen erfasst. Folglich ist zwardie Eingriffsregelung bei Planfeststellungsverfahren anzuwenden,soweit das Vorhaben einen Eingriff gemäß § 18 BNatSchG dar-stellt. Allerdings gilt die Freistellung nach § 43 Abs. 4 BNatSchGnicht für die Zulassung des Eingriffs, sondern nur für Eingriffe, dienach allen relevanten Vorschriften, unter anderem § 62 BNat-SchG, bereits zugelassen wurden. Dies ergibt sich bereits aus demeindeutigen Wortlaut der Norm. Die Privilegierung gemäß § 43Abs. 4 BNatSchG bezieht sich nicht auf die Zulassung eines Ein-griffs, sondern auf den Realakt seiner Ausführung. Hätte die Frei-stellung von den artenschutzrechtlichen Verboten auch für dieZulassung von Eingriffen gelten sollen, hätte dies sprachlich zumAusdruck gebracht werden können und müssen.

Selbst unter Ausschluss absichtlicher Beeinträchtigungen wärees allerdings mit den europarechtlichen Vorgaben gemäß §§ 5VRL, 12, 13 FFH-RL nicht vereinbar gewesen, Eingriffe im Sinneder §§ 18 ff. BNatSchG generell von den artenschutzrechtlichenVerboten freizustellen. Denn nach Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL istjede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oderRuhestätten der geschützten Arten zu verbieten. Eingriffe könnenzu einer solchen Beschädigung oder Vernichtung führen.Ohnehin wurde § 20 f Abs. 3 BNatSchG a.F., der § 43 Abs. 4 BNat-SchG im Wesentlichen entspricht, bereits von Seiten der Kommis-sion beanstandet. In einem Ersuchen der EU-Kommission um Stel-lungnahme der Bundesregierung vom 4.4.2000 heißt es dazu:»[§ 20 f Abs. 3 BNatSchG] findet [...] keine Entsprechung in denVorschriften der Richtlinie zum Artenschutz. Insbesondere ent-hält Art. 16 [FFH-RL] keine derartige Ausnahmevorschrift. Auchandere allgemeine Vorschriften der Richtlinie kommen als mögli-che Grundlage nicht in Betracht. Daher muss die Kommission der-zeit davon ausgehen, dass durch diese Vorschrift ein weiterer Aus-nahmetatbestand normiert wird, der über die in der Richtliniefestgelegten Ausnahmevorschriften hinausgeht.«22

Auch aus § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG folgt bei richtiger Auslegungnicht, dass Eingriffe von den artenschutzrechtlichen Verbotenfreigestellt sind. Der Regelungsgehalt der Vorschrift besteht nachihrer Entstehungsgeschichte und ihrer systematischen Stellungdarin, die Hürde für einen Eingriff zu erhöhen. Gemäß BT-Drs.14/637 vom 20.6.2001, S. 49 »enthält [§ 19 Abs. 3 S. 2 BNat-SchG] verschärfte Zulassungsvoraussetzungen für den Fall, dassdurch den Eingriff für streng geschützte Arten [...] nicht ersetzbareBiotope zerstört werden [... und] soll einen Beitrag zur Erhaltungder Artenvielfalt leisten [...].« § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG ist so zuverstehen, dass dort lediglich die Zulässigkeitsvoraussetzungenverschärft werden, die nach Satz 1 für einen Eingriff gelten. Nichtabschließend geregelt wird indes, unter welchen VoraussetzungenBiotope streng geschützter Arten zerstört werden dürfen. Diesbe-züglich wird vielmehr vorausgesetzt, dass artenschutzrechtlicheBestimmungen nicht entgegenstehen, beispielsweise weil eineBefreiung nach § 62 Abs. 1 BNatSchG erteilt werden kann. Eine

andere Interpretation führte dazu, dass § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchGmit europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar wäre. Wenn § 19Abs. 3 S. 2 BNatSchG abschließend die Voraussetzungen regelnwürde, unter welchen Biotope streng geschützter Arten zerstörtwerden dürften, bliebe er hinter den Anforderungen des Art. 16FFH-RL zurück. Während § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG nur verlangt,dass der Eingriff aus zwingenden Gründen des überwiegendenöffentlichen Interesses gerechtfertigt ist, darf nach Art. 16 FFH-RLvon den artenschutzrechtlichen Bestimmungen nur abgewichenwerden, wenn es außerdem keine anderweitige zufrieden stellendeLösung gibt und wenn die Populationen der betroffenen Arten inihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmerege-lung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszu-stand verweilen. Eine andere Interpretation führte überdies zudem absurden Ergebnis, dass § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG Erleichte-rungen gegenüber dem artenschutzrechtlichen Verbotsregime desAbschnitts 5 nur für die streng geschützten Arten schaffen würde,nicht aber für die lediglich besonders geschützten Arten, obwohlden streng geschützten Arten nach der Gesetzessystematik an undfür sich ein strengerer Schutz gewährt werden soll. Die in § 19 Abs.3 S. 2 geregelte Rechtsfolge bezieht sich also nur auf die Zulässig-keit des Eingriffs im Sinne der §§ 18 ff. BNatSchG und regelt nichtdie Zulässigkeit eines Verstoßes gegen artenschutzrechtlicheBestimmungen. Folglich bleiben die artenschutzrechtlichen Vor-schriften in §§ 39 ff. BNatSchG und die Befreiungsregelung in § 62BNatSchG neben § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG bestehen.23

Louis und Weihrich24 sind zwar ursprünglich davon ausgegangen,dass die artenschutzrechtlichen Verbote des § 42 Abs. 1 und 2 BNat-SchG bei der Anwendung der Eingriffsregelung keine Anwendungfinden und die zwingende Anwendung der gemeinschaftsrechtli-chen Vorgaben der FFH-RL und der VRL zum Artenschutz durch §19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG erreicht werden sollte. Diesbezüglichäußern sie allerdings zutreffend massive Zweifel an der Europa-rechtskonformität des § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG.25 Die Verwaltun-gen sind ihrer Meinung nach bei der Anwendung des § 19 Abs. 3 S.2 BNatSchG gehalten, die Norm im Lichte der artenschutzrechtli-chen Vorgaben der FFH-RL und VRL zu interpretieren und gegebe-nenfalls Art. 12, 13 und 16 FFH-RL sowie Art. 9 VRL unmittelbaranzuwenden. Allerdings steht Louis nunmehr auch der hier vertre-tenen Lösung sehr aufgeschlossen gegenüber: Der Ansatz erscheine»als eine elegante Lösung der Problematik«.26 Die hier vertreteneLösung ist vorzuziehen, da sie dem Wortlaut und der Systematikdes Bundesnaturschutzgesetzes mehr entspricht als eine richtlini-enkonforme Auslegung des § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG. Deswegen istsie in der Gesetzesanwendung einfacher zu handhaben. Auch ent-stehen im Vergleich zu einer richtlinienkonformen Auslegung § 19Abs. 3 S. 2 BNatSchG keine höheren Zulassungsanforderungen, dain § 62 Abs. 1 BNatSchG ebenso danach differenziert wird, ob essich um europäisch geschützte Arten handelt.

Schumacher und Fischer-Hüftle27 vertreten die Auffassung, § 43Abs. 4 BNatSchG bedeute, dass die Verbote des § 42 nicht nebender Eingriffsregelung als weitere Schutzinstrumente zur Verfügungstünden, wenn ein Eingriffsvorhaben mit einer durch § 42 Abs. 1und 2 BNatSchG verbotenen und nicht absichtlichen Beeinträch-tigung besonders geschützter Arten verbunden sei und der Eingriff

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21 Diese Auffassung vertreten auch Gassner, Die Zulassung von Eingriffen trotzartenschutzrechtlicher Verbote, NuR 2004, 560 ff.; Gellermann, ZUR 2004, 87(90), NuR 2005, 504 (505) und Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel (Fn. 3), S.372.

22 NuR 2000, 625 ff.23 Zum Ganzen Gassner, NuR 2004, 560 (561 f.).24 Louis/Weihrich, Das Verhältnis der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung

zu den speziellen Artenschutzregelungen der FFH- und der Vogelschutz-richtlinie, ZUR 2003, 385 ff.; Louis NuR 2004, 557 (558 f.).

25 Siehe hierzu außerdem Gellermann, ZUR 2004, 87 (88 f.).26 Louis, NuR 2004, 557 (559).27 Fischer-Hüftle/Schumacher (Fn. 2), § 19 Rn. 113 f.

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nach § 19 BNatSchG (nicht aber nach § 21 BNatSchG) zugelassenwerde. Der Artenschutz sei insoweit in die Eingriffsregelung verla-gert. Die besonders geschützten Arten seien dabei auf allen Stufender Eingriffsregelung zu berücksichtigen. Geltung behielten dieVerbote des § 42 BNatSchG nur im Fall der »absichtlichen Beein-trächtigung« besonders geschützter Arten. Allerdings meinenauch sie, dass dieser Begriff durch Art. 5 VRL und Art. 12 Abs. 1FFH-RL europarechtlich vorgegeben sei und keine gezielte Beein-trächtigung erfordere, sondern dass ein Handeln in Kenntnis derUmstände ausreiche. Konsequenterweise verbliebe nach dieserAuffassung für die Berücksichtigung der besonders geschütztenArten in der Eingriffsregelung ohne Anwendung des § 42 BNat-SchG kein relevanter Anwendungsbereich.28 Denn berücksichtigtwerden kann nur das, was bekannt ist. Sobald aber Kenntnis überdas Vorkommen geschützter Arten und der beeinträchtigendenWirkung des Verhaltens besteht und es zu einem nach den Art. 12,13 FFH-RL bzw. Art. 5 VRL unerwünschten Handlungserfolgkommt, ist bereits – wie oben dargestellt – eine absichtliche Beein-trächtigung im Sinne des § 43 Abs. 4 BNatSchG gegeben und dieVerbote des § 42 gelten unmittelbar. Auch ein Eingriff, der zwangs-läufig und ungewollt zur Verletzung von Verboten des § 42 Abs. 1BNatSchG führt, stellt bei Kenntnis aller Umstände nach der Inter-pretation des EuGH eine absichtliche Beeinträchtigung dar.

Um die Rechtsanwendung nicht unnötig zu komplizieren, ist esvorzuziehen, § 42 BNatSchG uneingeschränkt in der Eingriffsprü-fung anzuwenden, ohne sich jeweils Gedanken darüber zu machen,ob die Beeinträchtigung absichtlich ist. Bei dieser Lösung kommt esauch nicht darauf an, ob § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG mit Art. 12 Abs. 1lit. d FFH-RL vereinbar ist. Dies wird von Gellermann verneint: § 43Abs. 4 BNatSchG privilegiere Eingriffe, wenn sie einen Verstoßgegen § 42 Abs. 1 Nr. 1 nicht absichtlich bewirkten. Art. 12 Abs. 1 lit.d FFH-RL wolle jedoch nicht nur absichtliche, sondern jede Ver-schlechterung und Vernichtung der Fortpflanzungs- und Ruhestät-ten geschützter Arten – vorbehaltlich der sich aus Art. 16 FFH-RLergebenden Möglichkeiten – unterbunden wissen.29

II. Artenschutzrechtliche Verbote für die Planfeststellung

Vorwegzunehmen ist, dass die Verbote des allgemeinen Arten-schutzes in der Fachplanung normalerweise keine Rolle spielen.Nach den landesrechtlichen Vorschriften, die § 41 Abs. 1 S. 2 Nr. 3BNatSchG umsetzen, ist es zwar verboten, Lebensstätten wildlebender Tier- und Pflanzenarten ohne vernünftigen Grund zubeeinträchtigen oder zu zerstören. Die Fachplanung selbst stelltjedoch immer einen vernünftigen Grund dar.30

Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel31 stellen fest, dass derArtenschutz in der Praxis von Vorhabenszulassungen bisher einenachgeordnete Bedeutung gehabt habe, beziehungsweise beiUVP- und eingriffsregelungspflichtigen Vorhaben von einergrundsätzlichen Befreiung von den artenschutzrechtlichen Verbo-ten ausgegangen worden sei, ohne dass eine spezifische Auseinan-dersetzung mit dem Thema stattgefunden habe. Sie bezweifeln zuRecht, dass diese Praxis aus heutiger Sicht rechtskonform war.

Wie oben dargelegt, gelten die artenschutzrechtlichen Verbotedes § 42 Abs. 1 BNatSchG auch bei der Planfeststellung. Da bei derPlanfeststellung eine Konzentrationswirkung besteht, also andereerforderliche Zulassungen durch die Planfeststellung ersetzt wer-den, müssen die artenschutzrechtlichen Belange im Rahmen derEingriffsregelung mitgeprüft werden. Hierbei ist jedoch zu beach-ten, dass Artenschutz nicht nur ein allgemeiner Abwägungsbelangist. Vielmehr sind die artenschutzrechtlichen Vorschriften striktgeltendes Recht, die gemäß § 11 BNatSchG unmittelbar gelten undvon denen mithin nicht abgewichen werden darf. Nach der hiervertretenen Auffassung kommen die artenschutzrechtlichen Vor-

schriften nicht lediglich über § 19 Abs. 3 S. 2 BNatSchG zurAnwendung, sondern sind daneben unmittelbar anwendbar.32

Wenn in der Planfeststellung ein Vorhaben zugelassen werdensoll, welches gegen artenschutzrechtliche Verbote in § 42 Abs. 1BNatSchG verstößt, ist eine Befreiung nach § 62 Abs. 1 BNatSchGerforderlich. Gemäß § 62 BNatSchG ist dabei auch den Abwei-chungskriterien nach Art. 16 FFH-RL und Art. 9 VRL Rechnung zutragen. Die Befreiung ist in der Planfeststellung durch die Planfest-stellungsbehörde mit zu erteilen. Wenn die Voraussetzungen des §62 BNatSchG nicht vorliegen, ist der Plan insoweit zu ändern oderdie Planfeststellung ist abzulehnen.33

§ 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG34 nimmt die einschlägigen Vorgabendes Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL und des Art. 5 lit. b VRL auf unduntersagt unter anderem neben der Entnahme jede Beschädigungund Zerstörung der Nist-, Brut-, Wohn- und Zufluchtstätten beson-ders geschützter Arten im Sinne des § 10 Abs. 2 Nr. 10 BNatSchG. Zuden geschützten Stätten zählen nicht nur einzelne Nester, Schlaf-bäume, Höhlen und ähnliche kleinflächige Lokalitäten, sondern eskönnen – je nach betroffener Tierart – durchaus größere Flächengesichert sein. Untersagt ist sowohl jede direkte Einwirkung als aucheine indirekte, nicht zu Substanzverlusten führende Einwirkung,die sich als eine qualitative Verschlechterung der jeweiligen Lebens-stätte darstellt.35 Nahrungsbereiche fallen nach der Rechtsprechungdes BVerwG36 nicht unter das Beschädigungs- und Zerstörungsver-bot. Die Vernichtung von Nahrungsstätten kann aber dann nichterlaubt sein, wenn geschützte Tiere in den geschützten Lebensstät-ten verhungern müssten.37

§ 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG untersagt eine Störung von wildlebenden Tieren der streng geschützten Arten im Sinne des § 10Abs. 2 Nr. 11 BNatSchG und der europäischen Vogelarten an ihrenNist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten durch Aufsuchen, Filmenoder ähnliche Handlungen. Eine Störung ist jede negative Einwir-kung auf die psychische Verfassung eines Tieres.38 Es ist umstrit-ten, was unter »ähnliche Handlungen« im Sinne des § 42 Abs. 1 Nr.3 BNatSchG zu verstehen ist, und zwar ob sich die Störung alsFolge eines »Aufsuchens« im Sinne einer bewussten körperlichenAnnäherung darstellen muss oder ob es allein auf die Störwirkungder Handlung ankommt und nicht auf die Art der Handlung. EineBegrenzung der »ähnlichen Handlungen« auf bestimmte Verhal-tensweisen ist mit dem Schutzzweck – effektiver Artenschutz –und mit europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Art. 12 Abs.1 lit. b FFH-RL und Art. 5 lit. d VRL wollen jede absichtlicheStörung untersagt wissen.39 Außerdem gebietet auch der Wortlauteine solche Begrenzung nicht. Denn in § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchGstellt das Aufsuchen nicht den Oberbegriff der störenden Hand-lungen dar, sondern steht gleichrangig neben dem Fotografierenund Filmen. Folglich werden zum Beispiel auch Lichteffekte,Lärm, der durch den Bau einer Straße oder eines Schienenwegesbedingt ist, oder die durch zusätzlichen Flugverkehr infolge einergeplanten Flughafenerweiterung zu erwartende höhere Lärmbelä-stigung von § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfasst, wenn sie zu Belästi-gungen streng geschützter Tiere oder europäischer Vogelarten

28 In diesem Sinne auch Louis, NuR 2004, 557 (559).29 Gellermann, NuR 2003, 385 (387 f.), ZUR 2004, 87 (90). Zur Gegenansicht

hierzu siehe Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 43 Rn. 16.30 Louis, NuR 2004, 557.31 Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel (Fn. 3), S. 371 f.32 Siehe hierzu oben C.I.33 Louis, NuR 2004, 557 (558).34 Hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG im

Einzelnen wird auf Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 42 Rn. 6 verwiesen.35 Siehe hierzu Gellermann, NuR 2003, 385 (388 f.).36 BVerwG, NuR 2001, 385 (386).37 Louis, NuR 2001, 388 (389); vgl. Gellermann, NuR 2003, 385 (389).38 Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 42 Rn. 8 m.w.N.39 Dazu und im Folgenden Gellermann, NuR 2003, 385 (389); Kratsch (Fn. 2),

§ 42 Rn. 17; Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 42 Rn. 8; Schmidt-Räntsch 19), § 42Rn. 10.

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führen, Vertreibungseffekte entfalten und Fluchtreaktionen auslö-sen. Liegen die Lebensstätten in Bereichen, die von Menschengenutzt werden, so gilt das Verbot nach Müller und Stöckel40 »nurinsoweit, als die übliche Nutzung nicht beeinträchtigt wird, denndie Art hat sich ja trotz der Nutzung angesiedelt, folglich kann dieNutzung nicht stören. Unzulässig sind dort aber alle tatbestandli-chen Handlungen, die die Tiere bisher nicht gewohnt waren undsie gefährden oder stören könnten.«

Wachter, Lüttmann und Müller-Pfannenstiel unterscheiden bei derartenschutzrechtlichen Verträglichkeitsprüfung für die europäischgeschützten Arten zwischen drei Phasen »Vorprüfung«, »Konflikt-analyse« und »Abweichungsverfahren«: »In der Vorprüfung müs-sen die relevanten Arten im Wirkungsraum des Vorhabens ausge-wählt, deren Vorkommen ermittelt und eine Erheblichkeitsab-schätzung vorgenommen werden. Falls erhebliche Störungen derArten oder Schädigungen ihrer Lebensstätten nicht ausgeschlos-sen werden können, muss in der Konfliktanalyse für jedes einzelneArtvorkommen ermittelt werden, ob die spezifischen Verbotstat-bestände des § 42 BNatSchG voraussichtlich eintreten. Hierbeikönnen auch Vermeidungsmaßnahmen einbezogen werden. ImAbweichungsverfahren wird geprüft, ob trotz Vorliegen erhebli-cher (individueller) Störungen der Arten oder Schädigungen derLebensstätten oder Standorte eine ausnahmsweise Vorhabenszu-lassung möglich ist, weil die spezifischen Ausnahmetatbeständeder VRL resp. der FFH-RL erfüllt sind.«41

III. Freistellung eines nach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriffsgemäß § 43 Abs. 4 BNatSchG

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Freistellung nach § 43Abs. 4 BNatSchG von den artenschutzrechtlichen Verboten nichtfür die Zulassung von Eingriffen gilt, sondern nur für Eingriffe, diebereits zugelassen wurden.42 Da § 43 Abs. 4 BNatSchG einen nach §19 BNatSchG zugelassenen Eingriff nur soweit von den Verbotendes § 42 Abs. 1 und 2 BNatSchG freistellt, wie nicht Tiere ein-schließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten undPflanzen der besonders geschützten Arten absichtlich beeinträch-tigt werden und – wie oben dargestellt – schon derjenige absicht-lich handelt, der eine Handlung vornimmt, obwohl ihm das Vor-kommen einer besonders geschützten Art und die beeinträchti-gende Wirkung seines Verhaltens bewusst ist, gelten die Verbotedes § 42 BNatSchG auch für den Vorhabensträger, soweit ihm nochkeine Befreiung nach § 62 BNatSchG erteilt wurde. Dies kommtzum einen in Betracht, wenn die zuständigen Behörden keineKenntnis vom Vorkommen besonders geschützter Arten hatten,wenn eine Befreiungslage nicht gegeben ist oder wenn eine beson-ders geschützte Art nachträglich auftritt. Die Freistellung gemäߧ 43 Abs. 4 BNatSchG kommt demnach nur noch zur Anwendung,wenn dem Vorhabensträger überhaupt nicht bewusst ist, dass ereinen Tatbestand nach § 42 BNatSchG erfüllt. Im Ergebnis verbleibtfür § 43 Abs. 4 BNatSchG also kein relevanter Anwendungsbereich.

Da demnach auch Inhaber bereits rechtmäßig erteilter Geneh-migungen für die Verwirklichung ihres Vorhabens gegebenenfallszusätzliche artenschutzrechtliche Befreiungen benötigen, mussbei einem Zulassungsbescheid über ein Vorhaben im Rahmen vonFachplanverfahren auf die Anwendung der artenschutzrechtli-chen Vorschriften verwiesen werden. Aus Gründen des Vertrau-ensschutzes muss der Vorhabensträger darauf hingewiesen wer-den, dass er alleine durch den Zulassungsbescheid nicht von denartenschutzrechtlichen Vorschriften freigestellt ist und für Ver-stöße gegen § 42 BNatSchG stets einer Befreiung nach § 62 BNat-SchG bedarf, andernfalls er gemäß § 65 BNatSchG ordnungswidrighandelt. Außerdem sollte er darauf hingewiesen werden, welche

geschützten Arten allgemein am Vorhabensort vorkommen kön-nen und inwiefern sie von dem Vorhaben betroffen sein könnten.

IV. Naturschutzrechtliche Befreiung (§ 62 BNatSchG)

Die weite Auslegung des Absichtsbegriffs im Sinne des EuGH führtdazu, dass der naturschutzrechtlichen Befreiung gemäß § 62 BNat-SchG eine erheblich größere Bedeutung in der Praxis zukommenwird, als dies bislang der Fall gewesen sein dürfte. Zum einen istbereits im Rahmen der Planfeststellung eine Befreiung nach § 62BNatSchG erforderlich, wenn durch das geplante Vorhaben vor-aussichtlich ein Tatbestand gemäß § 42 BNatSchG erfüllt wird.Zum anderen benötigt der Vorhabensträger eine Befreiung vonden artenschutzrechtlichen Verboten auch dann, wenn arten-schutzrechtlich relevante Belange erst später erkannt werden oderbesonders geschützte Arten nachträglich auftreten. Regelmäßigkommt in diesen Fällen eine »nicht beabsichtigte Härte« im Sinnedes § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BNatSchG in Betracht. Hierdurch hältsich möglicherweise die Rechtsunsicherheit für den Vorhabensträ-ger in Grenzen. Das Erfordernis in § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a BNat-SchG, dass die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzesund der Landschaftspflege vereinbar sein muss, bedeutet nicht,dass überhaupt keine Beeinträchtigung dieser Belange eintretendarf, denn sonst wäre eine Befreiung praktisch nie möglich.43

Eine Befreiung von den Verboten des § 42 BNatSchG kommt nurim Einzelfall und nur aus den in § 62 Abs. 1 BNatSchG bezeichnetenGründen in Betracht. Aufgrund des Ausnahmecharakters sind hier-bei strenge Maßstäbe anzulegen.44 Für die Fachplanung ist vor allemder Befreiungstatbestand in § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG relevant,der Befreiungen ermöglicht, wenn überwiegende Gründe desGemeinwohls die Abweichung von artenschutzrechtlichen Verbo-ten erfordern. Es handelt sich hierbei um eine Abwägungsentschei-dung.45 Die bloße Existenz öffentlicher Interessen genügt für sichallein für eine Befreiung nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dasssich diese Gründe als »überwiegend« erweisen, ihnen also in derkonkreten Situation der Vorrang vor den Belangen des Arten-schutzes zukommt. Überdies müssen sie die Befreiung »erfordern«.Dies ist dann anzunehmen, wenn es »vernünftigerweise geboten ist,ihnen im Wege der Befreiung zur Durchsetzung zu verhelfen«.46 Beider Gewichtung der Belange des Artenschutzes ist nicht auf das ein-zelne Individuum der geschützten Art abzustellen, entscheidend istvielmehr, ob bzw. inwieweit eine Population beeinträchtigt wird.47

Sind gemeinschaftsrechtlich geschützte Arten betroffen, müs-sen für eine Befreiung gemäß § 62 Abs. 1 S. 1 a. E. BNatSchGzusätzlich die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL bzw. Art.9 Abs. 1 VRL vorliegen und die Art. 12 und 13 FFH-RL bzw. die Art.5 bis 7 VRL dürfen nicht entgegenstehen. Da Art. 5 lit. d VRL nursolche absichtlichen Störungen unterbunden wissen will, die sich»auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirken«, sindnur solche Störungen untersagt, die sich negativ auf die Sicherungeines dauerhaft angemessenen Niveaus der Bestände der Vogelar-ten auswirken. Solange eine Störung solche Wirkungen nicht ent-faltet, kann die Befreiung nach § 62 BNatSchG unter Außerachtlas-sung des Art. 9 VRL erteilt werden.48

40 Lorz/Müller/Stöckel (Fn. 2), § 42 Rn. 8.41 Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel (Fn. 3), S. 373. Hinsichtlich der recht-

lichen Prüfschritte und inhaltlich-methodischen Arbeitsschritte der arten-schutzrechtlichen Verträglichkeitsprüfung im Einzelnen wird auf ihre sehrgute und übersichtliche Darstellung (S. 373 ff.) verwiesen.

42 Siehe hierzu oben C.I.43 Müller, NuR 2005, 157 (162).44 Müller, NuR 2005, 157 (162).45 Gellermann verdeutlicht in NuR 2005, 504 (506 f.), warum die Abwägung im

Rahmen der naturschutzrechtlichen Befreiung nicht mit jener des Fachpla-nungsrechts gleichgesetzt werden kann.

46 Gellermann, NuR 2003, 385 (391). 47 Gassner, NuR 2004, 560 (563).48 Zum Ganzen Gellermann, NuR 2003, 385 (392).

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Eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL setzt erstens voraus,dass es keine anderweitige zufrieden stellende Lösung gibt.49 Ist eineentsprechende Alternative verfügbar, besteht ein strikt beachtlichesVermeidungsverbot, das nicht im Wege planerischer Abwägungüberwunden werden kann. Zweitens müssen die Populationen derbetroffenen Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz derAusnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigenErhaltungszustand bleiben. Hierbei kommt es nicht auf den ange-strebten günstigen Zustand an, sondern allein darauf, dass der aktu-elle Erhaltungszustand durch die Abweichung nicht verschlechtertwird, auch wenn er sich als ungünstig darstellt. Es geht dabei aller-dings nicht um den Erhaltungszustand der jeweiligen Art, sondernum jenen der Populationen. Eine Verschlechterung ist daher schondann anzunehmen, wenn sich die Anzahl der die Population bil-denden Individuen wesentlich verkleinert oder eine einzelne Popu-lation Arealverluste erleidet. Das Erfordernis der Bewahrung desErhaltungszustandes kann durch Ausgleichs- bzw. Kompensations-maßnahmen erfüllt werden, wenn sie zuverlässige Gewähr für dieBewahrung des Erhaltungszustandes der betroffenen Art bieten.Diesbezüglich gelten strenge Anforderungen. Damit der Erhaltungs-zustand unter der Abweichung nicht leidet, müssen die Maßnah-men zu dem Zeitpunkt verfügbar und in vollem Umfang wirksamsein, zu dem die an sich verbotene Handlung vorgenommen wird.Drittens müssen bestimmte zwingende Gründe vorhanden sein. Fürdie Fachplanung sind insbesondere die Gründe in Art. 16 Abs. 1 lit. cFFH-RL relevant, wonach zwingende Gründe des überwiegendenöffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirt-schaftlicher Art, existieren müssen.

Art. 9 VRL setzt wie Art. 16 FFH-RL voraus, dass es keine anderezufrieden stellende Lösung gibt.50 Zwar ist in Art. 9 VRL keine ver-gleichbare Voraussetzung wie in Art. 16 FFH-RL formuliert, wonachdie Populationen der betroffenen Arten in einem günstigen Erhal-tungszustand verweilen müssen. Ein Verschlechterungsverbotfolgt aber aus Art. 13 VRL. Auch wenn Art. 13 VRL nicht explizit in§ 62 Abs. 1 S. 1 BNatSchG aufgeführt ist, wird diese Vorschrift alsBegrenzung der durch Art. 9 VRL eröffneten Abweichungsmöglich-keit durch den Verweis auf Art. 9 VRL mit umfasst. Eine Befreiungdarf also gemäß Art. 13 VRL in Bezug auf die Erhaltung der europäi-schen Vogelarten nicht zu einer Verschlechterung der derzeitigenLage führen. Abweichungsbedingte Verschlechterungen des Erhal-tungszustandes können durch Ausgleichs- bzw. Kompensations-maßnahmen verhindert werden. In der Fachplanung ist zu beach-ten, dass nach Art. 9 Abs. 1 lit. a VRL nur im Interesse der Volksge-sundheit und der öffentlichen Sicherheit oder im Interesse derSicherheit der Luftfahrt von den artenschutzrechtlichen Verbotenabgewichen werden darf und nicht – wie bei Art. 16 Abs. 1 lit. cFFH-RL – aus anderen zwingenden Gründen des überwiegendenöffentlichen Interesses, namentlich solcher wirtschaftlicher Art.51

D. Artenschutz in der kommunalen Bauleitplanung52

In der kommunalen Bauleitplanung hat die Gemeinde als erstes zuklären, ob geschützte Arten von der Planung betroffen sein kön-nen. Besteht der Verdacht auf Vorkommen solcher Arten im Pla-nungsgebiet, sind diese in jedem Fall zu kartieren. Nach der Recht-sprechung des VGH Kassel kann bei der Bestandsaufnahme »umsoeher auf typisierende Merkmale und allgemeine Erfahrungenabgestellt werden, je typischer die Gebietsstruktur ist. Gibt esdagegen Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonders seltenerArten, ist dem im Rahmen der Ermittlungen nachzugehen. […]Dabei ist zu beachten, dass sich bei einem […] auf der Hand liegen-den artenschutzrechtlichen Einschlag die Anforderungen an einesachgerechte Ermittlungstiefe und Bestandsaufnahme weiter

erhöhen.«53 Tiere und Pflanzen der geschützten Arten sind nach §1 Abs. 6 Nr. 7 lit. a BauGB in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGBeinzustellen; dabei erhält eine Art durch ihre Einstufung als beson-ders geschützt ein erhöhtes Gewicht.54 Durch ein bereits vorlie-gendes schlüssiges Vermeidungs- und Ausgleichskonzept kann dasGewicht des Integritätsinteresses beeinflusst und zur Zulässigkeitder Planung beigetragen werden.55

Sodann ist zu fragen, ob trotz bestmöglicher Planung im Sinnedes Integritätsinteresses von Natur und Landschaft gegen dieartenschutzrechtlichen Verbote des § 42 Abs. 1 BNatSchG ver-stoßen würde, wenn die Planung realisiert wird.56 In diesemZusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass § 43 Abs. 4 BNat-SchG keine Möglichkeit eröffnet, die Lebensräume geschützterTier- und Pflanzenarten nach dem BauGB zu überplanen unddamit die Voraussetzungen für ihre erhebliche Beeinträchtigungoder Zerstörung durch Umsetzung eines Bauleitplanes zu schaf-fen.57 Zum einen ist ein Bauleitplan schon kein zugelassener Ein-griff im Sinne des § 19 BNatSchG, da er erst die Voraussetzungenfür die Zulässigkeit eines Eingriffs schafft. Zum anderen erfolgtjede Überplanung von Lebensräumen besonders geschützter Tier-und Pflanzenarten absichtlich, wenn die geschützten Tiere undPflanzen der planenden Gemeinde bekannt sind.

Da weder ein Flächennutzungsplan noch ein Bebauungsplan einVorhaben selbst unmittelbar zulassen, ist Adressat des § 42 Abs. 1BNatSchG nicht die Gemeinde als Trägerin der Bauleitplanung.58

Erst die Verwirklichung der Festsetzungen eines Bebauungsplanskann einen Verstoß gegen § 42 Abs. 1 BNatSchG darstellen. Also ist §42 Abs. 1 BNatSchG in der kommunalen Bauleitplanung nichtunmittelbar anzuwenden. Allerdings vermag ein Bauleitplan, derwegen dauerhafter rechtlicher Hinderungsgründe nicht verwirk-licht werden kann und somit vollzugsunfähig ist, die Aufgabe derverbindlichen Bauleitplanung nicht zu erfüllen. Er ist dann nichterforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB und folglich unwirksam.Sieht ein Flächennutzungs- oder Bebauungsplan eine mit demArtenschutz unvereinbare Flächennutzung vor, ist er jedenfallsdann nichtig, wenn die mangelnde Realisierbarkeit bei Erlass bereitsfeststeht. Für die Beurteilung der Vollzugsfähigkeit eines Bebau-ungsplans kommt es bei zu erwartenden Verstößen gegen § 42 Abs.1 BNatSchG darauf an, ob die Verwirklichung der in ihm vorgesehe-nen Festsetzungen durch Erteilung einer artenschutzrechtlichenBefreiung nach § 62 BNatSchG ermöglicht werden kann. Entspre-chendes gilt für einen Flächennutzungsplan. Aus all dem folgt, dasszwar nicht eine Befreiung als solche, wohl aber das Vorliegen einerBefreiungslage Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Bauleit-plans ist. Befreiungsbedürftig ist erst das Vorhaben. Die Gemeindekann daher »in eine Befreiungslage hineinplanen«. Mit baupla-nungsrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen kann die Gemeindezumindest teilweise die Voraussetzungen für eine Befreiung begrün-

49 Dazu und im Folgenden: Gellermann, NuR 2003, 385 (392 f.).50 Dazu und im Folgenden: Gellermann, NuR 2003, 385 (392 f.).51 Hinsichtlich der Bewertungsmaßstäbe für die Befreiung nach der FFH- und

der VRL wird im Übrigen auf Wachter/Lüttmann/Müller-Pfannenstiel (Fn. 3), S.375 f. verwiesen.

52 Zum Biotopschutz, zu naturschutzrechtlichen Schutzanordnungen undzum Schutz der Europäischen Schutzgebiete in der Bauleitplanung sieheLouis/Wolf, Naturschutz und Baurecht, NuR 2002, 455 (456 ff.). Zur Überpla-nung gesetzlich geschützter Biotope siehe Schrödter, NdsVBl. 2003, 33 (36ff.).

53 VGH Kassel, NuR 2004, 393 (396).54 Louis/ Wolf, NuR 2002, 455 (460).55 Urban, Artenschutz in der Bauleitplanung, Natur und Landschaft NuL 2002,

521 f.56 Urban, Fn. 53, S. 522.57 Dazu und im Folgenden Schrödter, NdsVBl. 2003, 33 (39).58 Dazu und im Folgenden BVerwG, NuR 1998, 135 (136 f.); VGH Kassel, NuR

2001, 702 (704); VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.12.2003, Az. 3 S2827/02; Gellermann, NuR 2003, 385 (390 f.); Kube, Planung in die materielleBefreiungslage – Vorausschauender Ausgleich zwischen Bauleitplanung undNaturschutz?, NVwZ 2005, 515 ff., Schrödter, NdsVBl. 2003, 33 (35 f.).

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Vogt, Die Anwendung artenschutzrecht l icher Best immungen | A U F S Ä T Z E

ZUR 1/2006 | 27

den. Insofern ist sie bei der Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmenan die Voraussetzungen des maßgeblichen Befreiungstatbestandesgebunden. Kommt eine Befreiung dagegen nicht in Betracht, wäreder Bauleitplan unwirksam. Nach dem BVerwG »obliegt es [derGemeinde] deshalb, im Verfahren der Planaufstellung vorausschau-end zu ermitteln und zu beurteilen, ob die vorgesehenen Festsetzun-gen auf unüberwindbare artenschutzrechtliche Hindernisse treffenwürden, und von Festsetzungen [im Bebauungsplan], denen dauer-haft ein rechtliches Hindernis in Gestalt artenschutzrechtlicher Ver-bote entgegenstünde, Abstand zu nehmen«.59

Die Auffassung von Kratsch,60 wonach der besondere Arten-schutz lediglich im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplaneszu berücksichtigen und als allgemeiner Belang in die Abwägungeinzustellen sei, wird nicht näher begründet und ist abzulehnen.Insoweit stellt VGH Kassel klar: »Eingriffe in Natur und Landschaftaufgrund eines Bebauungsplanes sind von speziellen artenschutz-rechtlichen Verboten nicht freigestellt, auch wenn die allgemeinenaturschutzrechtliche Eingriffsregelung nach § 1 a Abs. 2 Nr. 2BauGB61 in der Abwägung zu berücksichtigen ist. Vielmehr bedarfes gegebenenfalls einer artenschutzrechtlichen Befreiung unterden Voraussetzungen von § 62 BNatSchG, etwa in Verbindung mitArt. 12,13,16 FFH-RL oder Art. 5-7, 9 Vogelschutzrichtlinie.«62

Die planende Gemeinde kann Konflikte mit dem Artenschutz-recht vom Flächennutzungsplan in den Bebauungsplan verlagern,wenn gewährleistet ist, dass sie dort gelöst werden können. Dieskommt beispielsweise in Betracht, wenn nur auf einzelnen Grund-stücken Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten geschützter Artenexistieren. Die Gemeinde muss dann im Erläuterungsbericht zumFlächennutzungsplan darlegen, dass der Konflikt im Bebauungs-plan bewältigt werden kann. Eine Weiterverlagerung des Konfliktsin die Baugenehmigung ist nur zulässig, wenn das Artenschutzrechteine Bebauung nicht dauerhaft hindert. Ein dauerhaftes Hindernisbesteht zum Beispiel nicht, wenn die geschützten Nist-, Brut-,Wohn- oder Zufluchtstätten nur während einer begrenzten Zeit, z.B.während einer Brut- oder Überwinterungssaison, bestehen undwenn gewährleistet ist, dass sich die betroffenen Tiere in der neuenSaison neue Stätten schaffen können. In diesen Fällen ist bei Ertei-lung der Baugenehmigung sicherzustellen, dass die geschütztenStätten nicht während deren Benutzungszeit zerstört werden.63

Für die Gemeinde empfiehlt es sich, sich frühzeitig um dieZustimmung der für die Erteilung der Befreiung zuständigenNaturschutzbehörde zu bemühen.64 Soweit sich die tatsächlichenGegebenheiten nicht verändert haben, ist die Naturschutz-behörde im nachfolgenden Genehmigungsverfahren an ihre imBauleitplanverfahren gemachte Aussage gebunden. Wenn dieNaturschutzbehörde verdeutlicht, dass für die geplanten Vorha-ben keine Befreiung erteilt werden kann, darf die Planung inso-weit nicht realisiert werden. Falls sich die Naturschutzbehördenicht äußert, muss die Gemeinde die Voraussetzungen des § 62Abs. 1 BNatSchG selbst prüfen und in der Begründung oder imErläuterungsbericht zum Bauleitplan die Gründe darlegen, dieeine Befreiung der geplanten Nutzung von den artenschutzrechtli-chen Verboten rechtfertigen.

Die Auffassung von Schrödter,65 die Gemeinde könne gegen dasVotum der Naturschutzbehörde eine Befreiungslage bejahen, istproblematisch. Denn der Bebauungsplan darf keine vermeintli-chen Baurechte vermitteln, die wegen artenschutzrechtlicher Vor-schriften nicht gegeben sind. Regelmäßig wird die Naturschutz-behörde mit ihren Fachkenntnissen besser beurteilen können, obeine Befreiungslage vorliegt. Außerdem muss die zuständigeNaturschutzbehörde spätestens im Genehmigungsverfahren dienotwendige Befreiung erteilen.

Die Naturschutzbehörde kann im Bauleitplanverfahren derGemeinde oder dem Grundstückseigentümer die Befreiung für das

vorgesehene Bauvorhaben auf Antrag vorab erteilen.66 Die Aus-nahme sollte auf sieben Jahre befristet werden, da auch das Ver-trauen in den Bebauungsplan nach § 42 Abs. 2 BauGB nur für sie-ben Jahre geschützt wird. Sofern die gegen § 42 Abs. 1 BNatSchGverstoßenden Maßnahmen keines behördlichen Vollzugsaktesmehr bedürfen, müssen artenschutzrechtliche Befreiungen fürden Plan immer im Voraus eingeholt werden.

In der Befreiung können Kompensationsmaßnahmen angeord-net werden.67 Hierbei sind auch Kompensationsmaßnahmenmöglich, durch die erst die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1BNatSchG erfüllt werden. Besteht ein schlüssiges Ausgleichskon-zept der Gemeinde, sollte sich die Naturschutzbehörde bei derAnordnung von Kompensationsmaßnahmen darauf beziehen.

Sind Arten nach Anhang IV FFH-RL von der beabsichtigten Pla-nung betroffen, ist eine Befreiungslage nur gegeben, wenn nach §62 Abs. 1 BNatSchG die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RLvorliegen (und die Art. 12 und 13 FFH-RL nicht entgegenstehen):Es ist daher in der Bauleitplanung erstens zu prüfen, ob »keineanderweitige zufriedenstellende Lösung« gefunden werdenkann.68 Dafür ist zu untersuchen, ob es in der gesamten Gemeindekeinen anderen Ort gibt, an dem die beabsichtigte Planung mitgeringeren Nachteilen für die geschützten Arten, die in Anhang IVFFH-RL aufgezählt werden, durchgeführt werden kann. Ist diesnicht der Fall, muss die Gemeinde in der Begründung des Bebau-ungsplans beziehungsweise im Erläuterungsbericht des Flächen-nutzungsplans darlegen, dass es für ihre Planung »keine anderwei-tige zufriedenstellende Lösung gibt«. Zweitens darf der Bauleit-plan die Beeinträchtigung der Arten nur zulassen, wenn »diePopulationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbrei-tungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigungin einem günstigen Erhaltungszustand verweilen«. Die Gemeindekann dies regelmäßig nur nachweisen, wenn Gutachten belegen,dass die betroffene Population so gut wie nicht beeinträchtigtwird, wenn ein Teil ihres Lebensraums für die in der Bauleitpla-nung vorgesehene Nutzung in Anspruch genommen würde. Drit-tens ist eine derartige Planung materiell nur unter den Vorausset-zungen des Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL zulässig, sie muss also »imInteresse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheitoder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden Inter-esses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oderpositiver Folgen für die Umwelt« erfolgen. Jede Planung, die diegenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, ist rechtswidrig. DiePrüfung muss spätestens bei der Aufstellung des Bebauungsplanserfolgen. Ob sie bereits bei Aufstellung des Flächennutzungsplansdurchgeführt werden muss, richtet sich nach den planerischenVorstellungen der Gemeinde und den Flächennutzungsan-sprüchen der betroffenen Arten.69

59 BVerwG, NuR 1998, 135 (136 f.). Dies dürfte für Darstellungen im Flächennut-zungsplan entsprechend gelten.

60 Kratsch (Fn. 2), § 43 Rn. 23, 25.61 Entspricht § 1 a Abs. 3 S. 1 BauGB n. F.62 VGH Kassel, NuR 2004, 397.63 Zum Ganzen Louis/Wolf, NuR 2002, 455.64 Dazu und im Folgenden Gellermann, NuR 2003, 385 (391); Louis/Wolf, NuR

2002, 455 f.65 Schrödter, NdsVBl. 2003, 33 (36).66 Zum Ganzen Louis/ Wolf, NuR 2002, 455 (456).67 Zum Ganzen Urban, NuL 2002, 521 (522).68 Dazu und im Folgenden Louis/Wolf, NuR 2002, 455 (460 f.); Schrödter, Nds-

VBl. 2003, 33 (39 f.).69 Hinsichtlich der Anwendung der Art. 5 bis 7 und 9 der VRL in der Bauleitpla-

nung wird auf Schrödter, NdsVBl. 2003, 33 (40), verwiesen.

Katrin VogtRechtsreferendarin; Wätjenstr. 17, 28213 Bremen;[email protected] Tätigkeitsschwerpunkte: Umwelt- und Planungsrecht, Natur-schutzrecht.

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Geschwindigkeitsbeschränkungen zu Lärmschutzzwecken

OVG Münster, Urteil vom 1. Juni 2005 – 8 A 2350/04

Leitsätze der Redaktion:

1. Ob Erfordernisse der Verkehrsabwicklung das Interesse derStraßenanwohner an einer lärmreduzierenden Geschwindig-keitsbeschränkung überwiegen, ist unter Berücksichtigungaller relevanten Umstände jeweils für die Tages- und für dieNachtzeit gesondert zu prüfen.

2. Bei hohen verkehrsbedingten Lärmbelastungen kann dieAblehnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen zu Lärm-schutzzwecken nicht allein dadurch gerechtfertigt werden,dass damit lediglich eine Lärmminderung von weniger als 3dB(A) erzielt werden würde.

3. Eine zu Geschwindigkeitskontrollen berechtigende »Gefahren-stelle« i.S.v. § 48 Abs. 3 Satz 2 OBG NRW ist auch dort anzuneh-men, wo Straßenanlieger durch Geschwindigkeitsüberschrei-tungen unzumutbaren Lärmbelastungen ausgesetzt sind.

Sachverhalt (Zusammenfassung der Redaktion):Die Klägerin ist Anliegerin einer stark befahrenen Straße. Der Ver-kehrslärm verursacht ausweislich gutachterlicher Berechnungenan ihrer Wohnung einen Schalldruckpegel von 74 dB(A) tags und67 dB(A) nachts. Die Klägerin begehrt ein straßenverkehrsrechtli-ches Einschreiten zur Minderung der Lärmbelastung, insbeson-dere die Anordnung von Tempo 30.

Aus den Gründen:Die Berufung der Klägerin hat nur in dem aus dem Tenor ersichtli-chen Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten ist insoweitrechtswidrig, als der Antrag der Klägerin auf Anordnung geeigne-ter verkehrsrechtlicher Maßnahmen zur Reduzierung der ver-kehrsbedingten Lärmbelastung an der Detmolder Straße auch hin-sichtlich der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) abgelehnt wurde. (…)

2. Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Anordnung ver-kehrsregelnder Maßnahmen, insbesondere auf Sperrung einerFahrspur je Fahrtrichtung, auf Reduzierung der zulässigen Höchst-geschwindigkeit auf 30 km/h und/oder auf (zeitweise) Sperrungder Straße für den Lkw-Verkehr, hinsichtlich der Tagzeit von 6.00Uhr bis 22.00 Uhr – jedenfalls unter Berücksichtigung der Sachlagezum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung – ermessensfehlerfreiabgelehnt (b). Demgegenüber erweist sich die Ermessensentschei-dung des Beklagten hinsichtlich der Nachtzeit auch unter Berück-sichtigung seiner ergänzenden Ausführungen im gerichtlichenVerfahren als rechtswidrig, denn sie trägt den tageszeitabhängigenUnterschieden der maßgeblichen Sachverhaltsumstände nichthinreichend Rechnung (c).

Das Gericht kann die Ermessensentscheidung nur darauf über-prüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessenseingehalten und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweckder Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat(§ 114 VwGO) (a).

a) Für die Überprüfung einer Ermessensentscheidung über dieAnordnung verkehrsrechtlicher Lärmschutzmaßnahmen geltenfolgende Grundsätze.

Bei der Entscheidung über die Anordnung von Lärmschutzmaß-nahmen hat die zuständige Behörde im Rahmen ihres pflicht-gemäßen Ermessens sowohl die Belange des Straßenverkehrs undder Verkehrsteilnehmer zu würdigen als auch die Interessen der

Anlieger anderer Straßen in Rechnung zu stellen, ihrerseits vonübermäßigem Lärm verschont zu bleiben, der als Folge verkehrs-beruhigender oder verkehrslenkender Maßnahmen eintretenkann. Sie darf dabei – wie oben bereits ausgeführt – in Wahrungallgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehen-der Belange von derartigen Maßnahmen umso eher absehen, jegeringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegenge-wirkt werden soll. Aber auch bei erheblichen Lärmbeeinträchti-gungen kann sie von verkehrsbeschränkenden Maßnahmenermessensfehlerfrei absehen, wenn dies mit Rücksicht auf diedamit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint. Bei erheb-lichen Lärmbeeinträchtigungen müssen die der Anordnung ver-kehrsberuhigender oder verkehrslenkender Maßnahmen entge-genstehenden Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen aller-dings schon von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht aufdiese Belange ein Handeln der Behörde unterbleibt. (Vgl. BVerwG,Urteil vom 4. Juni 1986 – 7 C 76.84 –, BVerwGE 74, 234, undBeschluss vom 18. Oktober 1999 – 3 B 105.99 –, NZV 2000, 386;OVG NRW, Urteil vom 2. Dezember 1997 – 25 A 4997/96 –,NWVBl 1998, 266). Bei der Prüfung, ob und gegebenenfalls welcheverkehrsregelnden Anordnungen im Einzelfall geboten sind, istauf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftig-keit sowie auf das Vorhandensein bzw. das Fehlen einer Lärmvor-belastung abzustellen. (…)

Dabei ist auch zu beachten, dass Verkehrslärm, der von denAnliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt)oder auch einer Landesstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrerder Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen wer-den muss, den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nichtohne Weiteres in gleicher Weise zumutbar ist (Vgl. BVerwG, Urteilvom 4. Juni 1986 – 7 C 76.84 –, BVerwGE 74, 234; OVG NRW,Urteil vom 2. Dezember 1997 – 25 A 4997/96 -, NWVBl 1998, 266).

Zudem kann auch im Rahmen der Entscheidung über Lärm-sanierung durch verkehrsregelnde Maßnahmen der Gesichtspunktberücksichtigt werden, inwieweit der verkehrsbedingten Immis-sionsbelastung durch passive Lärmschutzmaßnahmen, insbeson-dere Lärmschutzfenster mit geeigneten Lüftungseinrichtungen,begegnet wird. Denn in der Rechtsprechung ist geklärt, dass bei tat-sächlich fehlender Möglichkeit, aktive Schallschutzmaßnahmen zuergreifen, Anwohner auf passive Schallschutzmaßnahmen ver-wiesen werden dürfen mit der Folge, dass ihnen zugemutet wird,etwa zur Erhaltung der Nachtruhe die Fenster geschlossen zu halten,und sie nicht davor geschützt sind, bei gelegentlichem Öffnen derFenster erheblichem Verkehrslärm ausgesetzt zu sein (Vgl. BVerwG,Urteil vom 18. April 1996 –11 A 86.95 –, NVwZ 1996, 901).

Dieser von der Rechtsprechung für die Lärmvorsorge ent-wickelte Grundsatz muss erst recht für die Lärmsanierung durchverkehrsrechtliche Maßnahmen gelten (Vgl. OVG NRW, Urteilvom 2. Dezember 1997 – 25 A 4997/96 –, NWVBl 1998, 266).

Darüber hinaus hat die Straßenverkehrsbehörde zu prüfen, obund welche Verkehrsregelungen, die den Verkehr zum Zwecke derVerkehrssicherheit oder -ordnung lenken oder beschränkensollen, zu dem angestrebten Zweck geeignet und erforderlich sind(Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. April 1980 – 7 C 19.78 –, NJW 1981,184, und vom 27. Januar 1993- 11 C 35.92 –, NJW 1993, 1729,Beschluss vom 23. März 1990 – 3 B 25.90 –, juris; OVG NRW, Urteilvom 2. Dezember 1997 – 25 A 4997/96 –, NWVBl 1998, 266).Dabei ist nicht zuletzt darauf abzustellen, welche Lärmminderungaufgrund der jeweiligen Verkehrsregelung zu erwarten ist. DieLärmschutz-Richtlinien-StV fordern insoweit im Regelfall einePegelminderung von mindestens 3 dB(A) (Nr. 4.1). Allerdings ist

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R E C H T S P R E C H U N G | OVG Münster, Geschwindigkei tsbeschränkungen zu Lärmschutzzwecken

R E C H T S P R E C H U N G

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zumindest bei besonders hoher Lärmbelastung zu berücksichti-gen, dass nach akustischen Erkenntnissen auch eine Pegelmin-derung von weniger als 3 dB(A) hörbar ist (vgl. BVerwG, Beschlussvom 19. Februar 1992 – 4 NB 11.91 –, NJW 1992, 2844; Bohny u.a.,Lärmschutz in der Praxis, 1986,1.5.1), und in Betracht zu ziehen,dass schon das Unterbleiben einzelner Spitzenpegel für dasakustische Empfinden der Betroffenen eine spürbare Erleichterungbedeuten kann, auch ohne dass eine Reduzierung des insoweit nurbeschränkt aussagekräftigen Mittelungspegels um 2 oder 3 dB(A)erreicht wird (Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. Januar 1996 – 25 A2475/93 –, NJW 1996, 3024, vom 17. Februar 1997 – 25 A 546/95 –,und vom 21. Januar 2003 – 8A4230/01 –, VRS 105, 233).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Ermessensentschei-dung des Beklagten hinsichtlich der Tagstunden nicht zu beanstan-den. Es ist nicht feststellbar, dass der Beklagte sich von sachfrem-den Erwägungen hätte leiten lassen, wesentlichen Sachverhalt ver-kannt oder die Interessen der Klägerin nicht erfasst hätte. (…)

c) Demgegenüber ist für die Nachtstunden ein vergleichbarungünstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen verkehrs-beschränkender Maßnahmen, das es rechtfertigen könnte, vonder Anordnung jeglicher verkehrsrechtlicher Lärmschutzmaßnah-men abzusehen, nicht erkennbar. Vielmehr hat der Beklagte beiseiner Ermessensentscheidung die erhöhte Schutzbedürftigkeitder Klägerin während der Nachtstunden einerseits und die verän-derten Verkehrsverhältnisse zur Nachtzeit andererseits nichtzutreffend berücksichtigt. Seine Entscheidung erweist sich inso-fern als ermessensfehlerhaft, weshalb die Klägerin insoweit einenAnspruch auf Neubescheidung ihres Antrags hat.

Ausweislich der im Rahmen der schalltechnischen Untersu-chung errechneten Lärmpegel an der Wohnung der Klägerin über-schreiten diese zur Nachtzeit den Richtwert der Lärmschutz-Richt-linien-StV von 65 dB(A) um 2 dB(A), so dass nach der Rechtspre-chung des Bundesverwaltungsgerichts eine Ermessensreduzierungin Betracht kommt. Darüber hinaus ist die durch die Fahrbahn-schäden bedingte, besondere Lästigkeit des einwirkenden Lärmszu berücksichtigen. Nach dem Eindruck, den der Senat vor Ortgewonnen hat, ist die Geräuschentwicklung durch unregelmäßig,aber häufig auftretende Geräuschspitzen geprägt, die in ihrer Cha-rakteristik von der Beschaffenheit des jeweils vorbeifahrendenFahrzeugs abhängen und die durch das Überfahren von Querrillenund Vertiefungen in der Asphaltdecke sowie erheblicher, durchpunktuelle Ausbesserungen der Fahrbahndecke entstandenerUnebenheiten hervorgerufen werden. Selbst wenn man unter-stellt, dass diese Lärmspitzen während der Nachtstunden wegender geringeren Verkehrsdichte weniger gehäuft auftreten, werdensie wegen des höheren Ruhebedürfnisses zur Nachtzeit als beson-ders störend wahrgenommen.

Demgegenüber spricht viel dafür, dass die Umsetzung bestimm-ter verkehrsbeschränkender Maßnahmen, die nur während derNachtstunden Geltung beanspruchen, geringeren Schwierigkeitenbegegnet und mit einem überschaubareren Aufwand als für dieTagstunden zu realisieren ist. Jedenfalls sind die vom Beklagtenangeführten Gesichtspunkte nicht geeignet, die Ablehnung derAnordnung verkehrsregelnder Maßnahmen auch für die Nacht-zeit zu rechtfertigen. Dies folgt zunächst schon aus der geringerenVerkehrsdichte auf der Detmolder Straße sowie den übrigenStraßen, die von den begehrten verkehrsrechtlichen Anordnun-gen unmittelbar oder mittelbar betroffen sein könnten. Zwar magbei verkehrsverlagernden Maßnahmen die gegenüber der Tagzeithöhere Schutzbedürftigkeit auch der Anwohner anderer Straßenzu berücksichtigen sein. Jedoch geht der Beklagte zu Unrechtdavon aus, die Auswirkungen einer Temporeduzierung auf denStadtbahnverkehr stünden auch während der Nachtzeit einer ent-sprechenden Anordnung zwingend entgegen. Vielmehr ergibt

sich aus den Angaben des Stadtbahnbetreibers moBiel, die derBeklagte in das Verfahren eingeführt hat, dass aufgrund der beson-deren Verkehrsverhältnisse zur Nachtzeit eine Begrenzung derHöchstgeschwindigkeit auf der Detmolder Straße auf 30 km/h vor-aussichtlich deutlich weniger Auswirkungen auf den Stadtbahn-verkehr haben und mit einem geringeren Aufwand als zur Tagzeitverbunden sein wird. (…)

Soweit der Beklagte die Effektivität einer Temporeduzierung imHinblick auf ihre Überwachungsbedürftigkeit in Zweifel zieht,verkennt er die dafür geltenden rechtlichen Rahmenbedingun-gen. Zunächst ist davon auszugehen, dass die nach § 11 Abs. 1 Nr.3 POG NRW für die Überwachung des Straßenverkehrs zuständigePolizeibehörde eine verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagtenzum Schutz vor Verkehrslärm im Rahmen ihrer Kapazitätenebenso überwachen wird wie andere straßenverkehrsrechtlicheAnordnungen. Darüber hinaus muss sich der Beklagte darauf ver-weisen lassen, dass die Überwachung der Einhaltung zulässigerHöchstgeschwindigkeiten an Gefahrenstellen nach § 48 Abs. 3Satz 2 OBG NRW zugleich in seine eigene Zuständigkeit fällt. EineGefahrenstelle im Sinne dieser Vorschrift ist auch anzunehmen,wenn Straßenanlieger unzumutbaren Lärmbelastungen durchGeschwindigkeitsüberschreitungen ausgesetzt sind (Vgl. OVGNRW, Urteil vom 21. Januar 2003 – 8 A 4230/01 –, VRS 105, 233).

Der Beklagte kann seine ablehnende Entscheidung auch nichtdarauf stützen, die Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit von 50km/h auf 30 km/h lasse jedenfalls keine Reduzierung des Lärm-pegels an der Wohnung der Klägerin von wenigstens 3 dB(A)erwarten. Dabei kann offen bleiben, ob diese Einschätzung zutref-fend ist. Denn angesichts der erheblichen Intensität der Lärmbelas-tung – schon der errechnete, die schlechte Fahrbahnqualität nichtberücksichtigende Lärmpegel überschreitet den Richtwert der Lärm-schutz-Richtlinien-StV um 2 dB(A) – sowie der durch zahlreicheLärmspitzen geprägten Geräuschcharakteristik und des Umstands,dass nach den Erkenntnissen der Akustik auch Lärmpegelunter-scheide von weniger als 3 dB(A) wahrgenommen werden (vgl.Bohny u.a., Lärmschutz in der Praxis, 1986, 1.5.1; BVerwG,Beschluss vom 19. Februar 1992 – 4 NB 11.91 –, NJW 1992, 2844;OVG NRW, Urteile vom 12. Januar 1996 – 25 A 2475/93 –, NJW1996, 3024, vom 17. Februar 1997-25 A 546/95 – und vom 21. Jan-uar 2003 – 8 A 4230/01 –, VRS 105, 233), könnten bloße Zweifeldaran, dass die in Betracht kommende Maßnahme eine Lärmre-duzierung von 3 dB(A) nach sich ziehen wird, eine Ablehnung derAnordnung verkehrsrechtlicher Lärmschutzmaßnahmen nichtrechtfertigen (Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. Januar 1996 – 25 A2475/93 –, NJW 1996, 3024, vom 17. Februar 1997 – 25 A 546/95 –und vom 21. Januar 2003 – 8 A 4230/0 1 – VRS 105, 233).

Praxishinweis zum Urteil des OVG Münster in der Rs. 8 A 2350/04

Geschwindigkeitsbegrenzungen aus Gründen des Lärmschutzes in NRW

In seinem – vorstehend in Auszügen abgedruckten – Urteil vom1. Juni 2005 hatte das OVG Münster drei wesentliche Fragen zurAnordnung und zum Vollzug von Geschwindigkeitsbeschränkun-gen zu Lärmschutzzwecken zu beantworten:

1. Zentraler Gegenstand des Rechtsstreits war erstens, obGeschwindigkeitsbeschränkungen, die zur Lärmschutzzweckenangeordnet werden, durch Geschwindigkeitskontrollen auchüberwacht und vollzogen werden können. Dies ist nach dem gel-tenden Recht gar nicht so klar, wie eigentlich anzunehmen wäre,da die einschlägige Ermächtigungsnorm des § 48 OBG NW – den

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Prax i sh inweis Sedlak zum Urte i l des OVG Münster | R E C H T S P R E C H U N G

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Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen anderer Bundesländervergleichbar – Kontrollen allein an „Gefahrenstellen“ vorsieht.Tatsächlich hatte das NRW-Innenministerium diese Norm engausgelegt und durch Runderlasse angeordnet, dass Geschwindig-keitskontrollen aus Lärmschutzgründen nicht zulässig sein, dainsoweit keine Gefahrenstelle vorliege. Nach den Runderlassenwaren Geschwindigkeitskontrollen den Polizeidienststellen nuran Unfallhäufungsstellen sowie z.B. an Schulen, Kindergärten,Seniorenheimen erlaubt, nicht aber aus Lärmschutzgründen. Vordiesem Hintergrund hatte die Stadt Bielefeld sogar öffentlichangekündigt, sie werde die gerichtlich nahegelegten Tempo 30-Schilder zwar aufstellen, aber nicht kontrollieren, da das laut Wei-sung des Innenministeriums nicht zulässig sei.

Demgegenüber entschied das OVG Münster in Fortsetzung sei-ner bereits mit Urteil vom 21.1.03 – Az: 8 A 4230/0 1 begonnenenRechtsprechung, dass eine Gefahrenstelle i.S.v. § 48 OBG NRWauch dort vorliege, wo die Straßenanlieger unzumutbaren Lärmbe-lastungen durch Geschwindigkeitsüberschreitungen ausgesetztsind. Diese Auslegung dürfte auf vergleichbare Regelungen andererBundesländer übertragbar sein. Infolge dieser Entscheidung musstedas NRW-Innenministerium die entsprechenden Runderlasse vom19.12.1997 und 2.12.2003 aufheben und den Erlaß vom 4.9.80(SMBl.NRW.2060) dahingehend ändern, dass Geschwindigkeits-kontrollen nunmehr auch aus Lärmschutzgründen zulässig sind(vgl. RdErl. v. 31 .8.05 – 44-57.0405-3/71 – MBI.NRW.2005 S.1147).

2. Zu klären war ferner, ob eine Geschwindigkeitsbeschränkungzu Lärmschutzzwecken nur dann angeordnet werden kann, wenndadurch nachweislich eine Lärmreduktion im gemittelten Dauer-schallpegel von mindestens 3 dB(A) erreicht werden kann. Ebendies wird auch durch den neuen o.g. Erlaß des NRW-Innenmini-steriums vorausgesetzt. Dabei wird in Anlehnung an die Schwel-lenregelungen der LärmschutzRiLi-StV und der 16. BImSchVoffenbar davon ausgegangen, dass Pegeldifferenzen von wenigerals 3 dB(A) unterhalb der sog. Wahrnehmbarkeitsschwelle lägen.

Hierzu hat das OVG zwar unter Verweis auf einschlägige Recht-sprechung des BVerwG klargestellt, dass bei besonders hohenLärmbelastungen auch Pegelminderungen von bis zu 2 dB(A) hör-bar sind und ferner in Betracht zu ziehen ist, dass schon das Unter-bleiben einzelner Spitzenpegel für das akustische Empfinden derBetroffenen eine spürbare Erleichterung bedeuten kann. Auchinsoweit ist der Erlaß des NRW-Innenministeriums rechtswidrig.Offensichtlich herrscht in der verkehrsrechtlichen Vollzugspraxisund Rechtsprechung nach wie vor die Ansicht vor, Pegeldifferen-zen von weniger als 2 dB(A) seien nicht hörbar. Die Wahrnehm-barkeitsschwelle 3 dB(A) gilt jedoch allein unter Labor-Bedingun-gen bei einem gleichmäßigen Ton, der um 3 dB(A) verändert wird,nicht hingegen bei starken Pegelschwankungen und Pegelsprün-gen wie sie etwa der Straßenverkehr hervorruft. Hier sind inAbhängigkeit von den entsprechenden Frequenzen schon wesent-lich geringere Differenzen, wie z.B. 1 dB(A) bereits wahrnehmbar;vergleiche hierzu Jens Ortscheid und Heidemarie Wende »,Sind 3 dBwahrnehmbar? Eine Richtigstellung.« Zeitschrift für Lärm-bekämpfung 2004, 5.80 – 85 mit zahlreichen Nachweisen. Dortfindet sich u.a. der Satz der beiden UBA-Mitarbeiter: »Bei den 3dB(A)-Regelungen in den Lärmschutz-RiLi-StV und der 16.BImSchV handelt es sich offensichtlich um reine Setzungen bzw.Konventionen.« (a.a.O.S.84). Insofern wäre eine weitere kritischeAuseinandersetzung der Rechtsprechung mit der 3 db(A)-Rege-lung in den verschiedenen bundes- und landesrechtlichen Nor-men und Erlassen meines Erachtens dringend erforderlich.

3. Schließlich – drittens – hatte das Gericht zu entscheiden, obdie Ablehnung der von lärmbetroffenen Anwohnern begehrtenGeschwindigkeitsbeschränkung ermessensfehlerfrei mit verkehrs-technischen Sachzwängen (hohe Durchleitungsfunktion, feh-

lende Ausweichmöglichkeiten usw.) begründet werden konnte.Diesbezüglich setzt die Entscheidung durch ihre sehr genaue Sach-verhaltsermittlung und durch die differenzierte Bewertung neueMaßstäbe. So legt der 8. Senat im Detail dar, dass eine Geschwin-digkeitsbeschränkung mit den örtlichen Verkehrserfordernissenzwar tagsüber nicht vereinbar, dass jedoch des nachts Tempo 30durchaus realisierbar sei.

RA Wolfram Sedlak, Köln

Ausweisung von FFH-Gebieten und kommunaleSelbstverwaltung

VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2005 – VGH N 25/04

Leitsätze:1. Setzt der Landesgesetzgeber mit der Ausweisung der Gebiete

von gemeinschaftlicher Bedeutung (FFH) und der Europäi-schen Vogelschutzgebiete Vorgaben des EuropäischenGemeinschafts- und des Bundesrechts um, wird insoweit dielandesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbst-verwaltung (Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 LV) verdrängt.Die Landesverfassung bleibt Maßstab für die öffentlicheGewalt des Landes, soweit Gemeinschafts- und Bundesrechthierfür Entscheidungsräume offen lassen.

2. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung gebietet, dieSchutzbestimmungen nach § 22 b LPflG gemeindefreundlichauszulegen und anzuwenden.Die Verpflichtung des Staates, das Wohlergehen des Einzelnenund der innerstaatlichen Gemeinschaften zu fördern (Art. 1Abs. 2 LV), verbietet, den Belangen des Naturschutzes generel-len Vorrang vor anderen berechtigten Anliegen der Menscheneinzuräumen.

Aus dem Sachverhalt:Mit ihrem Normenkontrollantrag wendet sich die Antragstelleringegen die mit dem Änderungsgesetz zum Landespflegegesetz –LPflG – vom 12. Mai 2004 (GVBI. 5. 275) erfolgte Festsetzung vonGebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung (sog. FFH-Gebiete)und von Europäischen Vogelschutzgebieten sowie gegen dashierzu angeordnete Schutzregime.

1. Die §§ 22 a – 22 c LPflG dienen der Umsetzung der EG-Vogel-schutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 (VRL) sowie der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie vom Mai 1992 (FFH-RL). Beide Richtlinien ver-folgen den Zweck, die biologische Vielfalt zu bewahren. Hierzusollen bedeutende Rückzugsgebiete von europaweit gefährdetenLebensräumen, Pflanzen und Tieren geschützt werden.

Das Gebiet der Antragstellerin ist von der Festsetzung des »Bien-waldschwemmfächers« als FFH-Gebiet und des »Bienwalds undder Viehstrichwiesen« als Europäisches Vogelschutzgebiet betrof-fen. Benennung und Abgrenzung dieser Gebiete ging ein Auswahl-verfahren im Land Rheinland-Pfalz voraus. Grundlage warenGebietsvorschläge, die vom Landesamt für Umwelt, Wasserwirt-schaft und Gewerbeaufsicht nach den Kriterien der FFH-Richtlinieund der Vogelschutzrichtlinie erstellt worden waren. Im Rahmendes Auswahl- und Abgrenzungsverfahrens wurde die Öffentlich-keit einschließlich der betroffenen Kommunen beteiligt.

Mit Entscheidung vom 7. Dezember 2004 (ABl. L 382) hat dieKommission eine erste Liste der Gebiete von gemeinschaftlicherBedeutung der kontinentalen geographischen Region festgelegt.Sie beruht für Rheinland-Pfalz auf einer ersten Liste von Gebiets-vorschlägen des Landes aus dem Jahr 2001. In Anhang I der Ent-scheidung ist für das Gebiet der Antragstellerin der »Bienwald-schwemmfächer« genannt.

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Nach § 22 a Abs. 2 Satz 1 LPflG werden die in Anlage 1 genanntenGebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und die in Anlage 2genannten Europäischen Vogelschutzgebiete unmittelbar kraftGesetzes unter Schutz gestellt, für das Gebiet der Antragstellerin der»Bienwaldschwemmfächer« (Nr. 6914-301 in Anlage 1) und dasGebiet »Bienwald und Viehstrichwiesen« (Nr. 6914-401 in Anlage2). Nach § 22 a Abs. 2 Satz 3 sollen die jeweiligen Erhaltungsziele fürdie einzelnen Gebiete von der Landesregierung durch Rechtsver-ordnung bestimmt werden. (Dies ist inzwischen durch die Landes-verordnung vom 18. Juli 2005, GVBl. 5. 323, geschehen.) Die imEinzelnen erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen sollen dann vonder oberen Landespflegebehörde im Benehmen mit den kommu-nalen Planungsträgern und unter Beteiligung der Betroffenen inBewirtschaftungsplänen festgelegt werden (§ 22 a Abs. 2 Satz 4LPflG). Die Durchführung der notwendig werdenden Einzelmaß-nahmen zur Umsetzung des Bewirtschaftungsplans erfolgt durchvertragliche Vereinbarungen, notfalls durch Anordnungen derunteren Landespflegebehörde (§ 22 a Abs. 3 LPflG).

Das Vogelschutzgebiet »Bienwald und Viehstrichwiesen« erfasstnahezu das gesamte Gemeindegebiet der Antragstellerin; ausge-nommen ist lediglich die bebaute Ortslage. Das FFH-Gebiet »Bien-waldschwemmfächer« rückt im Westen, Norden und Nordostenübereinstimmend mit dem festgesetzten Vogelschutzgebiet eben-falls bis an die vorhandene Bebauung heran. Lediglich im Ostender Ortslage südlich der Landesstraße 545 ist eine größere Flächeim Bereich eines landwirtschaftlichen Betriebs nicht in das FFH-Gebiet einbezogen. Dies gilt auch für den Süden der Ortslage.

Nach § 22 b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 8 LPflG sind Projekte undPläne, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Schutzgebieteführen können, auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielendes Gebiets zu überprüfen. Ergibt die Prüfung eine erheblicheBeeinträchtigung, ist das Projekt unzulässig (§ 22 b Abs. 2 Satz 2LPflG). Abweichend hiervon darf ein Projekt nur zugelassen oderdurchgeführt werden, soweit es aus zwingenden Gründen desüberwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und zumut-bare Alternativen nicht gegeben sind (§ 22 b Abs. 3 LPflG).

2. Mit ihrem Normenkontrollantrag macht die Antragstelleringeltend, die §§ 22 a – 22 c LPflG seien verfassungswidrig, weil sieihr Recht auf Selbstverwaltung einschließlich des Rechts auf ange-messene Finanzausstattung (Art. 49 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) unzulässig beeinträchtigten. (…)

Aus den Gründen:A. Der Antrag ist zulässig. (…)

I. Zunächst genügen die angegriffenen Vorschriften in formellerHinsicht den Anforderungen der Landesverfassung.

1. Das Land verfügt über die Gesetzgebungskompetenz für dieBestimmungen in §§ 22 a –22 c LPflG.

a) Für die naturschutzrechtlichen Regelungen ist nach der Kom-petenzverteilung im Grundgesetz das Land zur Gesetzgebungbefugt (Art. 70 Abs. 1 GG, vgl. zu diesem landesverfassungsgericht-lichen Prüfungsmaßstab: VerfGH Rh-Pf, AS 28, 440 [443 f.]). (…)

b) Auch soweit der Gesetzgeber die Schutzgebietsausweisung in§ 22 a Abs. 2 LPflG in Verbindung mit Anlagen 1 und 2 selbst vor-genommen und diesen Vorgang nicht exekutiver Normsetzungüberlassen hat, ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstan-den. Insbesondere hat der Gesetzgeber dadurch nicht in den vomGewaltenteilungsprinzip (Art. 77 Abs. 1 LV, vgl. hierzu: VerfGHRh-Pf, AS 31, 85 [92]) verfassungsrechtlich geschützten Kernbe-reich exekutiver Eigenverantwortlichkeit eingegriffen (vgl.BVerfGE 95, 1 – Südumfahrung Stendal –). Zwar sieht das Landes-pflegegesetz in den §§ 18 – 22 vor, dass die Unterschutzstellungschutzwürdiger Landschaftsteile durch Rechtsverordnungen derLandespflegebehörden erfolgt. Dies schließt jedoch den Zugriff

des Parlaments nicht aus, jedenfalls dann nicht, wenn hierfürsachliche Gründe vorliegen (vgl. BVerfGE 95, 1 [17]). Das ist hierder Fall. Vor dem Hintergrund der weitgehend bindenden Vorga-ben durch das Gemeinschaftsrecht einerseits und des Ergebnissesder naturschutzfachlichen Ermittlungen der Fachbehörden ande-rerseits war der Gesetzgeber bemüht, möglichst rasch Planungssi-cherheit für die Praxis herbeizuführen (vgl. die Begründung imGesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drucks. 14/2877, S. 11).Angesichts des Abschlusses der vorbereitenden Auswahlverfahren,die sachgemäß nur von den Fachbehörden durchgeführt werdenkönnen, und des Ziels, alsbald über eine verlässliche und einheitli-che Grundlage für die Verträglichkeitsprüfung zu verfügen, ist esvon Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzge-ber zusammen mit den materiell-rechtlichen Vorgaben desSchutzregimes auch die Schutzgebietsfestsetzung selbst vorge-nommen hat. (…)

II. Die Regelungen in §§ 22 a – 22 c LPflG halten auch in materi-eller Hinsicht der landesverfassungsgerichtlichen Prüfung stand.

1. Der Landesgesetzgeber war durch das Recht der kommunalenSelbstverwaltung weder an der Ausweisung der Schutzgebietenoch an der Auferlegung des Schutzregimes nach § 22 b LPflGgehindert.

Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 LV garantiert den Gemeinden dasRecht der Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten. ZumBereich der eigenverantwortlich zu erledigenden Aufgaben zähltauch die Planungshoheit im Sinne der Befugnis, Art und Weise derBodennutzung in der Gemeinde zu bestimmen (vgl. BVerfGE 56,298 [317 f.] – Festsetzung von Lärmschutzbereichen durch Rechts-verordnung –; 76, 107 [121] – landesraumordnerische Festlegungvon Industriestandorten –; Schröder, in: Grimm/Caesar, Art. 49Rn. 10; Dreier, GG-Kommentar, Band II, 1998, Art. 28 Rn. 130).Das Recht der Selbstverwaltung besteht jedoch nur im Rahmender Gesetze. Wird die Planungshoheit einer Gemeinde durch eineüberörtliche Planung berührt, so ist dies nach Art. 49 Abs. 1 undAbs. 3 Satz 1 LV nur dann gerechtfertigt, wenn die Gemeindezuvor angehört wurde und die Einschränkung der Planungshoheitdurch überörtliche Interessen von höherem Gewicht geboten ist(vgl. BVerfGE 56, 298 [313 f. und 320]; 76, 107 [119 f.]; ähnlichbereits für die Auflösung des individuellen Bestands einerGemeinde: VerfGH Rh-Pf, AS 11, 73 [78, 92 und 101]).

Die Antragstellerin ist zwar in dem der gesetzlichen Schutzge-bietsausweisung zugrunde liegenden fachbehördlichen Auswahl-verfahren angehört worden. Ihr vorgetragenes Interesse, dieSchutzgebiete nicht bis in unmittelbare Nähe der Bebauung auszu-dehnen, ist allerdings nur unter naturschutzfachlichen Gesichts-punkten erwogen worden. Eine umfassende Abwägung mit demgemeindlichen Interesse an möglichst ungehinderter Bauleitpla-nung hat nicht stattgefunden.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Ausblenden gemeindli-cher Planungsinteressen auf der Ebene der Schutzgebietsausweisungin Verbindung mit dem dadurch ausgelösten Schutzregime nach §22 b LPflG mit den Maßstäben der Landesverfassung vereinbar ist.Denn die insoweit bestehenden landesverfassungsrechtlichenAnforderungen werden durch höherrangiges Recht verdrängt.

Für das Bundesrecht folgt dies aus dem ihm in Art. 31 GG einge-räumten Vorrang. Folgt die landesgesetzliche Normsetzung zwin-genden Vorgaben des (auch einfachen) Bundesrechts, setzen sichdiese gegenüber entgegenstehendem Landes-verfassungsrechtdurch (vgl. Jutzi, in: Grimm/Caesar, a.a.O., Einleitung C Rn. 4 f.).

Für das Recht der Europäischen Gemeinschaft folgt die Verdrän-gung von Landes-verfassungsrecht aus dem Vorrang des Gemein-schaftsrechts, der im Grundsatz allgemein anerkannt ist und bun-desverfassungsrechtlich auf der Integrationsermächtigung in Art.23 Abs. 1 Satz 2 GG beruht (vgl. EuGH, Rs 106/77, Slg. 1978,

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629/643 ff. – Simmerthal II, Vorrang auch gegenüber nationalemVerfassungsrecht –; Streinz, Europarecht, 6. Auflage 2003, Rn. 179ff. m.w.N.). Der grundsätzliche Vorrang des Gemeinschaftsrechtsselbst gegenüber nationalem Verfassungsrecht wird auch in derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geteilt (vgl.BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Januar 2001, EuZW 2001, 255 –zur nationalen Umsetzung sekundären Gemeinschaftsrechts –;BVerfGE 37, 271 [280] – Solange I –; 31, 145 [174] – Anerkennungder Hoheitsakte der zwischenstaatlichen Einrichtungen –). Er istbegründet in den Zustimmungsgesetzen zu den Gemeinschafts-verträgen, mit denen dem Anwendungsvorrang des Gemein-schaftsrechts der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl erteiltworden ist (vgl. BVerfGE 73, 339 [3751 – Solange II –).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechungallerdings klargestellt, dass eine unbegrenzte Übertragung vonHoheitsrechten auf die Europäische Union nicht zulässig ist. DieIdentität der geltenden Verfassungsordnung der BundesrepublikDeutschland dürfe nicht durch Einbruch in ihr Grundgefüge auf-gegeben werden (vgl. BVerfGE 73, 339 [375 f.]). Deshalb stellt sichauch bei Beurteilung des Anwendungsvorrangs von Gemein-schaftsrecht die Frage, ob die – jetzt in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nie-dergelegten – grundgesetzlichen Schranken der Integrationser-mächtigung gewahrt sind. Zum Grundgefüge der geltenden Ver-fassung rechnen zunächst die Rechtsprinzipien, die demGrundsrechtsteil des Grundgesetzes zugrunde liegen (vgl. BVerfGE73, 339 [375 f.]; vgl. zur Zurücknahme der Prüfungskompetenz:BVerfG, a.a.O., 387; BVerfGE 89, 155 [175] – Maastricht-Vertrag –).Darüber hinaus beansprucht das Bundesverfassungsgericht dieKontrolle derjenigen Grenze, die das Demokratieprinzip desGrundgesetzes der Verlagerung von Hoheitsrechten auf dieEuropäische Gemeinschaft setzt (vgl. BVerfGE 89, 155 [182 ff.]).

Die im Grundgesetz verankerte Garantie kommunaler Selbstver-waltung (Art. 28 Abs. 2 GG) zählt dagegen nach allgemeiner Mei-nung nicht zu den integrationsfesten Prinzipien im Sinne von Art.23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. Nierhaus, in: Sachs, Grund-gesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 28 Nrn. 32 a und 32 b; Dreier, a.a.O., Art.28 Rn. 33 m.w.N.; Tettinger in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG-Kommentar, Band 2. 2000, Art. 28 Rn. 146; Loewer, in: vonMünch/Kunig, GG-Kommentar, Band 2, 3. Auflage 1995, Art. 28Rn. 95; Blanke, DVBl. 1993, 819 [822 f.]; Papier, DVBl. 2003, 686[691] – zu Art. 79 Abs. 3 GG –). Daneben wird aber die Auffassungvertreten, dass der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG genannte Grundsatzder Subsidiarität auch verlange, die kommunale Selbstverwaltungzu berücksichtigen (vgl. Papier, a.a.O., 692; Nierhaus, a.a.O., Rn.32 b; Schink, DVBl. 2005, 861 [865]). Die damit aufgeworfeneFrage nach den grundgesetzlichen Schranken für die innerstaatli-che Geltung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaftbraucht hier nicht vertieft zu werden; ihre Beantwortung wäreohnehin dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (vgl. Jutzi,a.a.O., Rn. 33). Denn auch nach der die Selbstverwaltungsgarantieim Rahmen des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG berücksichtigenden Auf-fassung wären dem innerstaatlichen Geltungsanspruch vonRechtsakten der Europäischen Gemeinschaft nur dann Grenzengesetzt, wenn den Kommunen kein eigenverantwortlich wahr-nehmbarer Gestaltungsspielraum mehr verbliebe, gleichsam eineArt »europäischer Entmündigung« der Gemeinden stattfände (so:Papier, a.a.O.). Dies kann für die hier zu beurteilenden Regelungenzur Festsetzung von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutungund Europäischer Vogelschutzgebiete einschließlich des dazuangeordneten Schutzregimes nicht angenommen werden. Dennden Kommunen bleibt trotz der hierdurch ausgelösten Beschrän-kung noch Raum für die Ausübung ihrer Planungshoheit. Damitbleibt es beim grundsätzlichen Vorrang der für diesen Bereicherlassenen gemeinschaftsrechtlichen Normen.

Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts erstreckt sich auch auf dieKontrolle solcher Landesgesetze, die zwingende gemeinschafts-rechtliche Vorgaben umsetzen (vgl. BVerfG, EuZW 2001, 255; Gel-lermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch desRechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 35 Rn.45). Umgekehrt bleibt die Landesverfassung allerdings Maßstabfür die öffentliche Gewalt des Landes, soweit das Gemeinschafts-recht Spielraum für die Umsetzung lässt, sei es für den Landesge-setzgeber bei der Ausgestaltung des Ausführungsgesetzes oder fürdie sonstigen Organe des Landes bei dessen Anwendung (vgl.BVerfG und Gellermann, jeweils a.a.O.; Dreier, a.a.O., Rn. 34).

b) Soweit die Antragstellerin rügt, ihr werde durch die Pflicht zurVerträglichkeitsprüfung nach § 22 b LPflG ein unzumutbarer Auf-wand für ihre Bauleitplanung aufgebürdet, scheidet ein Verstoßgegen Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 LV von vornherein aus. Dennmit dieser zusätzlichen Anforderung an Planung überhaupt unddamit auch an die Bauleitplanung der Kommunen setzt der Landes-gesetzgeber lediglich zwingende Vorgaben des Bundes- und desGemeinschaftsrechts um (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 b) BauGB, §§ 34 und 35BNatSchG sowie Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 FFH-RL). Bei dieser Steige-rung des Aufwands gemeindlicher Bauleitplanung war der Landes-gesetzgeber also nicht frei. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, obdie Regelung in § 22 b LPflG den Planungsaufwand für die Kommu-nen tatsächlich überhaupt erhöht hat oder ob nicht aufgrund derallgemeinen Pflicht zur Berücksichtigung der Belange des Natur-schutzes in der Bauleitplanung (vgl. §§ 1 a, 2 a BauGB, zum landes-pflegerischen Planungsbeitrag: §§)7, 17 a LPflG) und der – wiederumeuroparechtlichen – Vorgaben zum Schutz so genannter potentiel-ler FFH- oder faktischer Vogelschutzgebiete ein vergleichbarer Auf-wand gefordert ist (vgl. hierzu: Möstl, DVBl. 2002, 726 [729 f.]; deWitt/Dreier, a.a.O., E Rn. 641).

c) Auch der Festsetzung der Schutzgebiete, gegen die sich dieAntragstellerin vor allem wendet, lässt sich Art. 49 Abs. 1 und Abs.3 Satz 1 LV nicht entgegenhalten.

aa) Bei der Festsetzung des FFH-Gebiets »Bienwaldschwemm-fächer« (Nr. 6914-301) scheidet Art. 49 LV als Prüfungsmaßstabbereits deshalb aus, weil der die Ortslage von Scheibenhardt imWesten, Norden und Osten umgreifende und für die bauleitplane-rischen Absichten der Antragstellerin maßgebliche Gebietsteilbereits durch die Entscheidung der Europäischen Kommissionvom 7. Dezember 2004 in die Liste der Gebiete von gemeinschaft-licher Bedeutung aufgenommen worden ist. Das im Anhang Iunter dem Code DE6914301 aufgeführte Gebiet (vgl. ABl. L382/105) entspricht der Meldung des Landes Rheinland-Pfalz ausdem Jahr 2001, die ohne Änderung in die Gemeinschaftsliste über-nommen wurde. Die an die Mitgliedstaaten adressierte Entschei-dung (vgl. deren Art. 2) ist für diese verbindlich (Art. 249 Abs. 4 desVertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGV –).Sie ist gemäß Art. 4 Abs. 4 FFH-RL durch Schutzgebietserklärungenumzusetzen, was innerstaatlich durch die Länder zu geschehenhat (§ 33 Abs. 2 BNatSchG). Dies ist hier bereits durch das Ände-rungsgesetz zum Landespflegegesetz vom 12. Mai 2004 gesche-hen. Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (vgl. speziell zuEntscheidungen der Kommission: Schroeder, in: Streinz (Hrsg.),EUV/EGV-Kommentar, 2003, Art. 249, Rn. 20 und 40 ff.) kann dieSchutzgebietserklärung nach Anlage 1 zu § 22 Abs. 2 Satz 1 LPflGNr. 6914-301 im Umfang der Festlegung in der Kommissionsent-scheidung vom 7. Dezember 2004 nicht mehr landesverfassungs-rechtlich in Frage gestellt werden. Im Übrigen löst bereits die Auf-nahme des Gebiets in die Gemeinschaftsliste der Kommissiongemäß Art. 4 Abs. 5 FFH-RL das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bisAbs. 4 FFH-RL bzw. des § 34 BNatSchG (i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 5BNatSchG) aus.

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bb) Auch bei der Festsetzung des Vogelschutzgebiets »Bienwaldund Viehstrichwiesen« in Anlage 2 zu § 22 a Abs. 2 LPflG Nr. 6914-401 hat der Gesetzgeber landesverfassungsrechtliche Anforderun-gen aus Art. 49 LV nicht verletzt.

(1) Dass die Auswahl und Abgrenzung des Gebiets allein nachnaturschutzfachlichen Erwägungen erfolgt ist, also ohne Berück-sichtigung bauleitplanerischer Interessen der betroffenenGemeinden, beruht auf Vorgaben des Gemeinschaftsrechts mitder Folge der Verdrängung entgegenstehender Forderungen derLandesverfassung.

Nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 VRL sind die Mitgliedstaaten, inner-staatlich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Bundesländer, ver-pflichtet, die für die Erhaltung der in Anhang I der Vogelschutz-richtlinie genannten Arten zahlen- und flächenmäßig geeignet-sten Gebiete zu Schutzgebieten zu erklären. Nach Art. 4 Abs. 2 VRLmuss mit den Lebensräumen der nicht in Anhang I aufgeführten,regelmäßig auftretenden Zugvogelarten in entsprechender Weiseverfahren werden (vgl. EuGH, NuR 1994, 521 [522] – Santoña).

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wie desBundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass den Mitgliedstaatenbei der Auswahl der besonderen Schutzgebiete zwar ein »gewisserErmessensspielraum« zusteht, die Auswahlentscheidung sichjedoch ausschließlich an den ornithologischen Erhaltungszielenzu orientieren hat, die durch die Richtlinie festgelegt worden sind,wie z.B. die Anwesenheit der in Anhang I genannten Vögel (vgl.EuGH, a.a.O. – Santoña –). Eine Abwägung mit anderen Belangen,etwa den in Art. 2 VRL genannten Gründen wirtschaftlicher undfreizeitbedingter Art, findet nicht statt (vgl. EuGH, NuR 1998, 538[541] – Niederlande –). (…)

Der in Art. 4 Abs. 1 VRL eingeräumte Ermessenspielraum beiAuswahl und Abgrenzung der Gebiete bezieht sich daher nur aufdie naturschutzfachliche Beurteilung und betrifft insbesonderedie Auswahl derjenigen Landschaftsräume, die im Verhältnis zuanderen Landschaftsteilen am besten die Gewähr für die Verwirk-lichung der Richtlinienziele bieten (vgl. EuGH, NuR 1998, 538[541] – Niederlande -; BVerwG, NVwZ 2002, 1103 [1105 f.] – A 20 –).Von ausschlaggebender Bedeutung ist die ornithologische Wertig-keit des Gebiets, die nach quantitativen und qualitativen Kriterienzu bestimmen ist. Je mehr der in Anhang I aufgeführten Artenoder von Art. 4 Abs. 2 VRL erfassten Zugvogelarten in einemGebiet in einer erheblichen Anzahl von Exemplaren vorkommen,desto höher wird der Wert als Lebensraum eingeschätzt. Je bedroh-ter, seltener oder empfindlicher die Arten sind, desto größereBedeutung wird dem Gebiet beigemessen, das die für ihr Lebenund ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biolo-gischen Elemente aufweist (vgl. BVerwG, a.a.O. – A 20 –; auch:BVerwG, NVwZ 2004, 732 [734] – A 73, Suhl –). Als wissenschaftli-ches Erkenntnismittel für die Gebietsauswahl wird das unter derAbkürzung IBA bekannte und von Bird-Life-International und sei-nen nationalen Partnerorganisationen (in Deutschland derNABU-Naturschutzverband Deutschland) erstellte Verzeichnis derGebiete von großer Bedeutung für die Erhaltung der wildlebendenVogelarten (Inventory of Important Bird Areas in the EuropeanCommunity) herangezogen (vgl. EuGH, NVwZ 2001, 549 [500] –Basse Corbières –; BVerwG, NVwZ 2004, 98 [99]). Die darin enthal-tenen Angaben sprechen zwar nicht zwingend für eine Unter-schutzstellung (vgl. BVerwG, NVwZ 2004, 732 [735] – A 73, Suhl –), ihre Stichhaltigkeit soll jedoch nur durch Vorlage abweichenderwissenschaftlicher Stellungnahmen in Zweifel gezogen werdenkönnen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. März 2003, Slg 2003 1 – 2202).

Vor dem Hintergrund dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorga-ben ist die der Schutzgebietsfestsetzung zugrunde liegendeMethode zur Auswahl und Abgrenzung der Gebietsteile, wie sie inder mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof

noch einmal eingehend dargelegt worden ist, von Verfassungswegen nicht zu beanstanden.

(2) Auch was das Ergebnis der für die Schutzgebietsfestsetzungmaßgeblichen naturschutzfachlichen Erwägungen anbelangt,kann der Verfassungsgerichtshof einen Verstoß gegen die Selbst-verwaltungsgarantie in Art. 49 Abs. .1 und Abs. 3 Satz 1 LV nichtfeststellen.

Da der Gesetzgeber die Schutzgebietsausweisung nach § 22 a Abs.2 Satz 1 LPflG mit der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts (FFH-und Vogelschutzrichtlinien) begründet hat (vgl. den Gesetzent-wurf der Landesregierung LT-Drucks. 14/2877, S. 1), ist die dadurchbewirkte Einschränkung der gemeindlichen Planungshoheit inihrem Ergebnis nur gerechtfertigt, wenn sie sich im Rahmen dergemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hält. Dementsprechend ist diegemeindliche Planungshoheit im Ergebnis dann verletzt, wennund soweit die Schutzgebietsausweisung nicht durch die Verpflich-tung nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 und Abs. 2 VRL gerechtfertigt ist.

Hinsichtlich dieser Schranke ist die verfassungsgerichtlicheKontrolle allerdings begrenzt. Maßstab der verfassungsgerichtli-chen Kontrolle ist allein die Landesverfassung. Die Vereinbarkeitdes Gesetzes mit sonstigem höherrangigen Recht ist der landesver-fassungsgerichtlichen Kontrolle grundsätzlich entzogen (vgl.VerfGH Rh-Pf, AS 28, 440 [445]; 29, 23 [49]). Ein landesverfas-sungsrechtlicher Maßstab ist nur dann berührt, wenn die zur Prü-fung gestellte Norm offenkundig gegen höherrangiges Bundes-oder Gemeinschaftsrecht verstößt. Denn in diesem Fall liegtzugleich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Landesver-fassung vor (vgl. VerfGH Rh-Pf, a.a.O.). Das Rechtsstaatsprinzipgemäß Art. 77 Abs. 2 LV verbietet nämlich den Erlass solcher Vor-schriften, die evident gegen Bundes- oder sonstiges höherrangigesRecht verstoßen und deshalb offensichtlich keine Geltung bean-spruchen können.

Einen solchen offenkundigen Verstoß gegen die Verpflichtun-gen nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 VRL, die für die Erhaltung der Artennach Anhang I geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten zuerklären, hat der Verfassungsgerichtshof nicht festgestellt. (…)

Darüber hinaus hat der Landesgesetzgeber mit der großflächi-gen Ausweisung der Schutzgebiete einen zusätzlichen Zweck ver-folgt, der durchaus im Interesse der betroffenen Gemeinden liegt.Bei Vorliegen eines sogenannten faktischen Vogelschutzgebietsverbietet die Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL jeglicheBeeinträchtigung oder Störung des Gebiets, wenn nicht überra-gende Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens undder Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichenSicherheit hierfür streiten (vgl. BVerwGE, DVBl. 2004, 1115 [1120m.w.N.] – Hochmoselübergang –). Liegen diese Voraussetzungenvor, wofür bei dem Gebiet ,Bienwald und Viehstrichwiesen« nachden obigen Ausführungen einiges spricht, ermöglicht erst dieförmliche Festsetzung als Europäisches Vogelschutzgebiet denÜbergang in das Schutzregime nach Art. 6 Abs. 2 – Abs. 4 FFH-RL(§ 22 b Abs. 2 – 4 LPflG) und damit die Möglichkeit, gemeindlichePlanungsinteressen auch unterhalb der oben beschriebenen Ein-griffsschwelle zu verwirklichen. Diese Chance ist hier durch dieangegriffene Regelung eröffnet worden.

d) Die Gültigkeit der angegriffenen Festsetzungen des Gebietesvon gemeinschaftlicher Bedeutung »Bienwaldschwemmfächer«und des Europäischen Vogelschutzgebiets »Bienwald und Vieh-strichwiesen« bedeutet indessen nicht, dass gemeindliche Pla-nung gänzlich unmöglich oder auch nur unzumutbar erschwertwäre. Gerade weil auf der ersten Stufe der Ausweisung von Schutz-gebieten – in Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben – nurnaturschutzfachliche Gesichtspunkte maßgebend waren, verlangtdie Garantie kommunaler Planungshoheit um so mehr, auf derzweiten Stufe der Anwendung des Schutzregimes gemeinschafts-

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rechtlich eröffnete Spielräume zu nutzen, um die Entfaltunggemeindlicher Selbstverwaltung zu ermöglichen (vgl. zur grund-gesetzlichen Pflicht zur Ausschöpfung europarechtlicher Entschei-dungsspielräume: BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005 – 2 BvR2236/04 –, europäischer Haftbefehl; vgl. zur Gefahr einer»europäischen Entmündigung«: Papier, a.a.O., 692). (…)

§ 22 b LPflG und – dahinter stehend – Art. 6 Abs. 2 – 4 FFH-RLsind offen für die Berücksichtigung legitimer Planungsinteressender Gemeinden auf der zweiten Stufe der Durchführung desSchutzregimes. Die vielfältigen unbestimmten Rechtsbegriffe las-sen eine gemeindefreundliche Auslegung zu. Hierzu sind dieRechtsanwender nach Art. 49 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 LV verpflich-tet. Dabei kann bereits die – auf das gesamte Schutzgebiet bezo-gene – Verträglichkeitsprüfung ergeben, dass die beabsichtigte Pla-nung je nach der konkreten Art ihrer Ausführung einschließlichMaßnahmen zur Begrenzung schädlicher Auswirkungen nicht zueiner erheblichen Beeinträchtigung der Schutzgebiete führt mitder Folge der Zulässigkeit der Planung. Diese Möglichkeit habendie Vertreter der Landesregierung gerade für die Randbereiche dergroßflächigen Schutzgebiete »Bienwaldschwemmfächer« und»Bienwald und Viehstrichwiesen« nachvollziehbar aufgezeigt.Gerade hier trifft die staatliche Behörde eine besondere Verant-wortung, legitimen Interessen der Gemeinden Rechnung zu tra-gen. Dies schließt auch Beratungsleistungen der Fachbehörde ein,um den Planungsaufwand der Gemeinde von vornherein zubeschränken bzw. nicht über das bereits nach bislang geltendemRecht erforderliche Maß (vgl. § 2 Abs. 4 BauGB – Umweltprüfung –,§ 17 LPflG – landespflegerischer Planungsbeitrag –) hinaus überGebühr zu erhöhen.

Ergibt die Verträglichkeitsprüfung selbst bei gemeindefreundli-cher Handhabung, dass eine gemeindliche Planung zu erhebli-chen Beeinträchtigungen eines Schutzgebiets führt, so ist die Pla-nung zwar grundsätzlich unzulässig (§ 22 b Abs. 2 Satz 2 LPflG,§ 34 Abs. 2 BNatSchG, Art. 6 Abs. 3 FFH-RL). Aber damit ist ihreRealisierung nicht ausgeschlossen. Denn das Vorhaben kann imüberwiegenden öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein. »Zwin-gende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses« imSinne von § 22 b Abs. 3 Nr. 1 LPflG (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG,Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL) sind nicht nur beim Vorliegen vonSachzwängen gegeben, denen niemand ausweichen kann. DasMerkmal zielt vielmehr auf ein durch Vernunft und Verantwor-tungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln (vgl. BVerwG,NVwZ 2004, 732 [737] – A 73, Suhl –). Es ermöglicht einen Aus-gleich zwischen den durch die Schutzgebietsfestsetzung aner-kannten Belangen des Naturschutzes mit den nicht minder legiti-men Nutzungsinteressen der Menschen. Nach § 22 b Abs. 3 LPflG(§ 34 Abs. 3 BNatSchG, Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL) können alle»zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses,einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art«, die ansich unverträgliche Planung rechtfertigen, sofern eine zumutbareAlternative nicht gegeben ist. Hierzu zählen auch alle städtebauli-chen Planungsanliegen einer Gemeinde, wenn sie nur von hinrei-chendem Gewicht sind (vgl. de Witt/Dreier, a.a.O., Rn. 611; Möstl,a.a.O.). Das Gemeinschaftsrecht gibt nichts dafür her, dassgemeindliche Planungsinteressen vom öffentlichen Interesse imSinne von Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL ausgenommen wären. DieAlternativenprüfung kann sich bei der Bauleitplanung grundsätz-lich nur auf das jeweilige Gemeindegebiet beziehen, weil der Kom-mune darüber hinaus – von dem Abschluss eines städtebaulichenVertrages oder der Bildung eines Planungsverbandes abgesehen –keine Planungsmöglichkeiten offen stehen (vgl. Möstl, a.a.O.; deWitt/Dreier, a.a.O., Rn. 603; Louis/Wolf, NuR 2002, 455 [458];Halama, NVwZ 2001, 506 [511]). (…)

Satzungsmäßiges Verbot von Müllschleusen

VGH München, Urteil vom 22. September 2005 – 20 N 05.1564

Leitsatz:Ein Anbieter von Müllschleusensystemen ist nicht befugt, das Ver-bot von Müllschleusen in einer örtlichen Satzung mit einem Nor-menkontrollantrag anzugreifen.

Aus dem Tatbestand:Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass die Antragsgegnerindie Verwendung von Müllschleusen im Stadtgebiet verbietet. (…)Die Antragstellerin bietet in verschiedenen Bundesländern Dienst-leistungen auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft an, insbesondereinstalliert und betreibt sie in Wohnanlagen Müllschleusen bzw.Müllwaagen. Dabei handelt es sich um Einwurfsysteme, bei denendurch Zählung der Einwurfvorgänge oder durch Wiegen der einge-worfenen Abfälle die entsorgten Abfallmengen den einzelnen Woh-nungen zugeordnet werden können mit der Folge einer verursa-chergerechten Kostenverteilung bei der Betriebskostenabrechnung.

Mit Stadtratsbeschluss vom 28. Mai 2003, der am 10. Juni 2003 inKraft getreten ist, fügte die Antragsgegnerin in § 5 Abs. 11 ihrer Sat-zung über die Hausmüllentsorgung in der Landeshauptstadt Mün-chen vom 12. Dezember 2001 (Hausmüllentsorgungssatzung) fol-genden Satz 3 ein: »Die Verwendung von Müllschleusen ist nichtzulässig.« Weiter wurde in die Satzung ein Verbot eingefügt, Abfällein Müllbehältern einer Behandlung zu unterziehen. (…)

Aus den Gründen:Der Antrag ist unzulässig, weil die Antragstellerin entgegen § 47Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht geltend machen kann, durch die ange-griffene Satzungsbestimmung oder deren Anwendung in ihrenRechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.Das Grundrecht der freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG), dasim vorliegenden Fall inmitten steht, wird unstreitig nicht unmit-telbar betroffen. Die Antragstellerin beruft sich daher auf eine fak-tische oder mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung. Eine solchekann jedoch die Antragsbefugnis nur unter bestimmten, hiernicht gegebenen Voraussetzungen eröffnen. Dies ergibt sichsowohl aus der grundlegenden Rechtsprechung zu dieser Thema-tik als auch aus der gefestigten Rechtsprechung zu der hier ein-schlägigen Fallgruppe.

Dem näheren Eingehen hierauf ist vorauszuschicken, dass derSenat im Gegensatz zur Antragstellerin keine übergeordnetenGesichtspunkte erkennen kann, die ein Abgehen von dieser Recht-sprechung rechtfertigen würden. Was das deutsche Recht angeht,sind die Grundlagen der Rechtsprechung zu einer Zeit geschaffenworden, als nach der damaligen Fassung des § 47 VwGO noch eindrohender »Nachteil« für eine Antragsbefugnis ausgereicht hat.Hätte der Gesetzgeber die enge Auffassung der Antragsbefugnisgemäß der damaligen Rechtsprechung ausweiten wollen, hätte erdies bei der späteren Novellierung getan; stattdessen wurde dermaßgebliche Begriff in umgekehrter Richtung zur »Rechtsverlet-zung« verengt. Dass einige europäische Länder Anträge in weite-rem Umfang zulassen (allerdings zumeist verknüpft mit einergeringeren Kontrolldichte bei der Begründetheitsprüfung), istbekannt; das Gericht hat sich aber an das deutsche Recht zu halten.

Auch aus dem Europarecht vermag der Senat keine weitergehen-den Antragsrechte abzuleiten, etwa solche, die ohne Berücksichti-gung des subjektiven Rechtsschutzes sich allein an das objektiveRecht anlehnen. Wegen der im Folgenden darzustellen-denZusammenhänge zwischen dem Prozessrecht und dem materiel-len Recht hätte eine solche Ausweitung einen weitgehenden Syste-mumbau zur Folge, für den kein Anlass besteht. Der auch europa-rechtlich vorgegebene Vorrang von Abfallvermeidungen und

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Abfallverwertung kommt nicht in Gefahr, wenn der Antragstelle-rin keine Antragsbefugnis zuerkannt wird. Dadurch wird dieseRechtsmaterie nicht »klaglos« gestellt. Unstreitig können jeden-falls Grundstückseigentümer – gegebenenfalls auf Anstoß derAntragstellerin – Anträge stellen. Es ist auch nicht zu erkennen,dass den Eigentümern daran jedes Interesse fehlen würde: Sie kön-nen sehr wohl ein Interesse daran haben, dass ihre Entscheidung,in ihre Wohnanlagen Müllschleusensysteme einzubauen odernicht, öffentlich-rechtlich respektiert wird.

Nach geltendem Recht und der dazu ergangenen Rechtspre-chung sind im Wesentlichen drei Gesichtspunkte der Antragsbe-fugnis entgegenzuhalten.

1. Nach der grundlegenden, auf die Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts gestützten Entscheidung des Bundesverwal-tungsgerichts vom 18. April 1985 zu mittelbaren bzw. faktischenGrundrechtsbeeinträchtigungen lösen solche Beeinträchtigungennur »ausnahmsweise« ein Antragsrecht aus, wenn sie von staatli-cher Seite ,,final und erfolgen (BVerwdE 71, 183/194). Dies istdann der Fall, wenn der Staat »zielgerichtet gewisse Rahmenbedin-gungen verändert, um zulasten bestimmter Unternehmen einenim öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeizuführen«.Anderenfalls handelt es sich um gesellschaftliche Rahmenbedin-gungen, »deren Dynamik der Unternehmer stets in Rechnung stel-len muss« (a.a.O. S. 193). Wie im Folgenden näher darzustellen ist,umfasst der Vorgang »Hausmüllentsorgung« bestimmte Beteiligteund ihre Rechtsbeziehungen. Nur innerhalb dieses Kreises könnender Antragsgegnerin finale Einwirkungsabsichten unterstellt wer-den. Für die Antragstellerin, die nicht zu diesem Kreis gehört, wer-den dabei Rahmenbedingungen gesetzt, mit deren Veränderungsie jederzeit rechnen muss.

2. Der ebenfalls grundlegenden Entscheidung des Bundesverwal-tungsgerichts vom 9. November 1979 (BVerwGE 59, 87) ist einZusammenhang zwischen dem Verfahrensrecht und dem materiel-len Recht derart zu entnehmen, dass ein Antragsrecht gegen eineNorm demjenigen und nur demjenigen zusteht, dessen Belange beider Entscheidung über den Erlass oder den Inhalt der Norm als pri-vates Interesse in der Abwägung berücksichtigt werden mussten.Dieser Gedanke wurde zwar zum Baurecht entwickelt, ist aber sogrundlegend, dass er inzwischen mit Recht allgemein angewendetwird (etwa durch BVerwG vom 10.5.1993 DVBl 1994, 478/479).Schlüsselfrage des vorliegenden Falles ist demnach, ob die Antrags-gegnerin bei Änderung ihrer Satzung die Belange der Antragstelle-rin in ihre Abwägung hätte einstellen müssen (was sie ausweislichder Begründung der Neuregelung nicht getan hat). Dies ist zu ver-neinen. Satzungen, mit denen gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des Bayeri-schen Abfallwirtschaftsgesetzes (BayRS 2129-2-1 -U-BayAbfG) dieArt und Weise geregelt wird, mit der der Körperschaft die Abfälle zuüberlassen sind, sind Maßnahmen auf dem Gebiet der Abfallwirt-schaft und haben sich daher an deren Grundsätzen, insbesonderean den §§ 4 ff. des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) auszurichten – aber nur an diesen. Sie haben beispielsweisedie Anforderungen des Umweltschutzes und den Vorrang vonAbfallvermeidung und Abfallverwertung zu beachten, aber nichtdarüber hinaus auch die Interessen derjenigen Firmen zu berück-sichtigen, die auf diesem Gebiet gewissermaßen als Zulieferer tätigwerden. Dem kann nicht mit der Antragstellerin entgegengehaltenwerden, die Kreislaufwirtschaft beruhe unter der Vorgabe des Euro-parechts auf einer Art »dualem System«, in dem öffentliche Handund Privatwirtschaft kooperativ zusammenwirken und bei dessenSteuerung die Interessen beider Seiten von vorneherein berücksich-tigt werden müssen. Dies gilt jedenfalls nicht für die Entsorgung(Verwertung und Beseitigung) von Abfällen aus privaten Haushal-tungen (»Hausmüll«), bei denen – unter dem Vorbehalt einerSelbstverwertung durch die Abfallbesitzer – § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-

/AbfG die bisherige Rechtslage mit alleiniger Zuständigkeit der ent-sorgungspflichtigen Körperschaften fortführt. Die Besitzer vonHausmüll haben es rechtlich nur mit diesen Entsorgungsträgern zutun, und diese bestimmen auch, ob und inwieweit daneben nochprivate Unternehmen ins Spiel kommen (§ 16 KrW-/AbfG). Dersoeben gebrauchte Ausdruck »Zulieferer« entspricht daher denrechtlichen Gegebenheiten.

Im Übrigen spricht auch das praktische Interesse an einem wirk-samen Gesetzesvollzug für diese Sichtweise. Die Abfallwirtschaftunter den neuen Leitlinien des Kreislaufwirtschafts- und Abfallge-setzes und die in ihr zu berücksichtigenden Belange sind komplexgenug; müssten bei satzungsmäßigen Regelungen daneben nochdie Interessen der als Zulieferer tätigen Unternehmen berücksich-tigt und austariert werden, nähme die Schwerfälligkeit übermäßigzu und der Gestaltungsspielraum übermäßig ab.

3. Die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtsvom 9. November 1997 erklärt im Besonderen solche privatenBelange für nicht abwägungsbeachtlich, die deshalb nichtschutzwürdig sind, weil sich ihr Träger vernünftigerweise daraufeinstellen muss, dass »so etwas geschieht« (BVerwGE 59, 87/102f.). Damit ist wiederum das Thema der Rahmenbedingungenberührt, mit deren Veränderung ein Unternehmer jederzeit rech-nen muss. Im Anschluss an diese Grundsatzentscheidung hat sicheine zahlreiche und gefestigte Rechtsprechung zu einer auch hiereinschlägigen Fallgruppe herausgebildet, die wie folgt umschrie-ben werden kann: Eine örtliche Regelung verbietet oderbeschränkt die Verwendung eines bestimmten Produktes, und derHersteller oder Anbieter des Produkts wendet sich dagegen miteinem Normenkontrollantrag. Ob es sich bei dem »Produkt« umeine Ware oder eine Dienstleistung handelt, ist dabei rechtlichnicht von Bedeutung. Seit der erwähnten Grundsatzentscheidungwerden solche Anträge einhellig als unzulässig beurteilt (siehe u.a.BayVGH vom 29.4.1980 BayVBl 1980, 537 – Betondachsteine;BayVGH vom 23.11.1995 BayVBl 1996, 180 – Schiffsmotoren;Hess. VGH vom 27.7.1988 Juris-Nr.:MWRE 114518815 – Alumini-umgrabmale; BayVGH vom 28.6.2005 20 CS 05.1142 – Dienstleis-tungen auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft). Zur Begründungwird angeführt: Regelmäßig nicht schutzwürdig seien solche wirt-schaftlichen Interessen, auf die planerische Festsetzungen aus derNatur der Sache heraus üblicherweise einwirkten, indem siebestimmte Markt- und Erwerbschancen für den einen eröffneten,für einen anderen dagegen beseitigten, so dass davon auszugehensei, dass sich der Träger derartiger Interessen vernünftigerweise aufdie von ihm angegriffene Regelung und darauf, das »so etwas«geschehen werde, einstellen müsse.

Die planende Behörde müsse beispielsweise nicht die Interesseneines überregional tätigen Herstellers von Betondachsteinenberücksichtigen, wenn sie im fraglichen Plangebiet die Verwen-dung von Tonziegeln vorschreibe. Ebensowenig gehörten bei derFestsetzung einer bestimmten Bepflanzungsart durch Bebauungs-plan die Interessen bestimmter Gartenbaubetriebe zum maßgebli-chen Abwägungsmaterial oder die Interessen ortsansässiger Brenn-stoffhändler bei Erlass eines Bebauungsplans, der die Verwendungluftverunreinigender Stoffe wie Kohle und Öl für die Beheizungausschließe (Hess. VGH a.a.O. Nr. 41). Die Frage, ob bei einem bun-desweiten Verbot von Müllschleusen anders zu entscheiden wäre,kann für den vorliegenden Streiffall offen bleiben. In der Entschei-dung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. April 1980(a.a.O.), die dies bejaht, wird anschließend der auch hier einschlä-gige Gesichtspunkt angesprochen, dass örtliche Beschränkungensich häufen könnten: »Dabei wird allerdings – was der Antragstelle-rin zuzugeben ist – außer Betracht gelassen, dass das Beispiel derar-tiger Beschränkungen durch Nachahmung, Empfehlungen oderÄhnliches Schule machen« kann und dass die Auswirkungen ent-

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VGH München, Satzungsmäßiges Verbot von Mül l sch leusen | R E C H T S P R E C H U N G

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sprechender Vorschriften damit tatsächlich doch über ein Gemein-degebiet hinausgehen. Dabei handelt es sich jedoch um tatsächli-che Vorgänge, die schon mangels zuverlässiger Erfassbarkeit recht-lich nicht gewürdigt werden können und daher wie viele anderetatsächlichen Vorgänge, die das Marktgeschehen beeinflussen, inden Bereich der Chancen verwiesen werden müssen. In rechtlicherHinsicht bleibt es dabei, dass örtliche Vorschriften ausschließlichvom örtlichen Normgeber zu verantworten sind und dass sie aus-schließlich in ihrem örtlichen Zusammenhang gewürdigt werdenkönnen. Es wäre im Übrigen der Rechtssicherheit abträglich, wennörtliche Vorschriften nicht nur mit Bezug auf ihren beschränktentatsächlichen Regelungsinhalt angegriffen werden könnten, son-dern auch mit der Begründung, sie offenbarten einen (uner-wünschten) überörtlichen Trend.

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen auch für den vor-liegenden Fall an und hält den gestellten Antrag daher im Ergebnisfür unzulässig.

4. Auf dieser Grundlage ist über die Begründetheit des Antragsnicht mehr zu entscheiden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dasssich aus den obigen Ausführungen auch Vorgaben für eine etwaigeSachprüfung ergeben. Jedenfalls ist dem Ansatz der Antragstellerinzu widersprechen, wonach mit Blick auf die Freiheit ihrer Berufs-ausübung eine derartige Regelung nur unter strengen Vorausset-zungen in Frage kommen kann. Rechtlich maßgeblich ist viel-mehr das Verhältnis der entsorgungspflichtigen Körperschaft zuden Abfallbesitzern und in diesem Zusammenhang die aus dergemeindlichen Selbstverwaltung (eigener Wirkungskreis gemäßArt. 3 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG) entspringende Gestaltungsfreiheit.Ein Abwägungsspielraum ist dabei in dem Maße gegeben, wie eineFrage »so oder auch anders« beurteilt werden kann; dieserGesichtspunkt dürfte hier zum Tragen kommen, weil die Auswir-kungen von Müllschleusen offenbar auch unter Fachleutenumstritten sind. Im Zusammenhang mit der Abwägung und ihrenGrenzen wird die Frage eine besondere Rolle spielen, wie hochgegenüber der zweifellos positiv zu bewertenden Anreizwirkungvon Müllschleusen die im Ansatz ebenso unbestreitbare Gefahrpraktisch zu bewerten ist, dass Müllschleusen statt einer Vermei-dung eine Umlenkung von Abfällen zur Folge haben. (...)

Festsetzung von Trinkwasserschutzgebieten ausVorsorgegründen

VGH München, Urteil vom 15. September 2005 – 22 N 05.1126

Leitsatz der Redaktion:Die Festsetzung von Trinkwasserschutzgebieten ist auch aus Vor-sorgegründen zulässig. Es bedarf insofern keines konkreten Nach-weises eines unmittelbar drohenden Schadenseintritts; ausrei-chend ist ein Anlass, typischerweise gefährlichen Situationen zubegegnen.

Aus dem Tatbestand:Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist die Verordnungdes Landratsamts W. über das Wasserschutzgebiet für die BrunnenI und II der öffentlichen Trinkwasserversorgung der Beigeladenenfür das Versorgungsgebiet des früheren Zweckverbands zur Was-serversorgung der F.-Gruppe im Ortsteil H. der Großen KreisstadtW. in Bayern vom 1. März 2005 (ab hier: VO). (…) Die Beteiligtenstreiten vor allem um die Erforderlichkeit des Wasserschutzgebietssowie um die Erstreckung der weiteren Schutzzone auf die nord-westliche Ortsbebauung von H.

Aus den Gründen:I. (...)

II. Der Normenkontrollantrag ist unbegründet. Die angegriffeneVO verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Formelle Fehlersind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die von den Antrag-stellern gerügten materiell-rechtlichen Fehler liegen nicht vor. DasWohl der Allgemeinheit erfordert den Erlass der VO zum Schutzdes Grundwassers des Burgsandsteins im Bereich der Brunnen Iund II vor nachteiligen Einwirkungen im Interesse der derzeitbestehenden öffentlichen Trinkwasserversorgung der Beigela-denen (Brunnen I und II) für das Versorgungsgebiet des früherenZweckverbands zur Wasserversorgung der F.-Gruppe (§ 19 Abs. 1Nr. 1 WHG).

1. Das Wohl der Allgemeinheit erfordert die Festsetzung einesWasserschutzgebiets zum Schutz des Grundwassers des Burgsand-steins im Bereich der Brunnen I und II. Die Festsetzung eines Was-serschutzgebiets ist dann erforderlich im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr.1 WHG, wenn sie vernünftigerweise geboten ist, um eine Beein-trächtigung der Eignung des in Anspruch genommenen Grund-wassers für Trinkwasserzwecke zu vermeiden und entsprechendeRestrisiken weiter zu vermindern (ständige Rechtsprechung desBayVGH, vgl. z.B. Urteil vom 26.6.2002, BayVBl 2003, 146 ff). Diesist hier der Fall. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen fürden Antragsteller sind unvermeidlich und halten sich im Rahmendes Verhältnismäßigen.

a) Die Erforderlichkeit der Festsetzung eines Wasserschutzge-biets ist anhand von Schutzwürdigkeit, Schutzbedürftigkeit undSchutzfähigkeit des Trinkwasservorkommens zu beurteilen (vgl.BayVGH vom 26.6.2002, BayVBl 2003, 146/147). Schutzwürdig-keit, Schutzbedürftigkeit und Schutzfähigkeit des verfahrensge-genständlichen Trinkwasservorkommens sind gegeben.

Unstreitig handelt es sich bei dem Grundwasser des Burgsand-steins im Bereich der Brunnen I und II um ein schutzwürdigesTrinkwasservorkommen von hoher Qualität. Die beiden Brunnenwerden seit etwa vier Jahrzehnten betrieben. Das geförderte Trink-wasser war stets von guter Qualität. Anlass zu Beanstandungen gabes nie, auch nicht im Hinblick auf den Gehalt an geogenem Arsen.Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für bevorstehende natürli-che geologische Veränderungen, die zu einer Überschreitung desGrenzwerts von Teil II der Anlage 2 zur Trinkwasserverordnungvom 21. Mai 2001 (BGBI 1 5. 959) für Arsen führen könnten.

Es ist ferner vernünftigerweise geboten, abstrakte Gefährdungenvorsorglich auszuschließen. Es bedarf insofern keines konkretenNachweises eines unmittelbar drohenden Schadenseintritts; aus-reichend ist ein Anlass, typischerweise gefährlichen Situationenzu begegnen (BVerwG vom 12.9.1980, BayVBl 1980, 759/760). Esgibt keinen Grund zu bezweifeln, dass diese Voraussetzungen imvorliegenden Fall erfüllt sind. Es besteht hier hinreichenderAnlass, die Integrität der schützenden Deckschichten zu erhaltenund schwer abbaubare Schadstoffe zuverlässig fernzuhalten. Diemächtigen Schichten des Feuerlettens über dem Burgsandstein alsdem Hauptgrundwasserleiter machen diesen Schutz nicht über-flüssig. Gerade die Verletzung dieser Schichten des Feuerlettensmuss zuverlässig vermieden werden (…). Auch muss der Klüftig-keit des Feuerlettens dadurch Rechnung getragen werden, dass einpunktueller Eintrag von wassergefährdenden Stoffen zuverlässigvermieden wird. Dazu bedarf es jedenfalls der Festsetzung einerweiteren Schutzzone. Es ist zudem beim derzeitigen Ausbauzu-stand von Brunnen I auf absehbare Zeit davon auszugehen, dass ingeringem Umfang auch oberflächennahes Grundwasser miter-schlossen wird (nicht stockwerkstrennender Ausbau von BrunnenI, vgl. Schreiben des Wasserwirtschaftsamts vom 4.1.2000). Diesmacht auch die Festsetzung einer engeren Schutzzone erforder-lich. Unerheblich ist, dass das Trinkwasser der Brunnen I und II

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bisher keinen Anlass für Beanstandungen gegeben hat. Dies istkein Beleg dafür, dass dies bei Verletzungen der natürlichen Deck-schichten und punktuellem Eintrag von wasser-gefährdendenStoffen auch künftig so bleiben muss. Es ist das Ziel einer Wasser-schutzgebietsverordnung, derartige Beeinträchtigungen auchkünftig auf Dauer zu verhindern (vgl. BayVGH vom 18.12.1996,BayVBl 1997, 467/468).

Auch die Schutzfähigkeit des Trinkwasservorkommens der Brun-nen I und II ist gegeben; dieses kann durch die angegriffene VO vorden genannten abstrakten Gefährdungen wirksam geschützt wer-den. Wie die vom Antragsgegner im Normenkontrollverfahren vor-gelegte Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts vom 18. Juli2005 belegt, ist das Grundwassergefährdungspotential bei den rela-tiv wenig befahrenen Ortsverbindungsstraßen ohne überregionaleVerkehrsbedeutung relativ gering. Anhand der einschlägigen, fach-lich bewährten Richtlinien für bautechnische Maßnahmen anStraßen in Wasserschutzgebieten, Ausgabe 2002 (RiStWag), lässtsich feststellen, dass nur geringfügige Schutzmaßnahmen ange-zeigt sind. Wie der Vertreter des Wasserwirtschaftsamts in dermündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof mit-teilte, genügt es hinsichtlich der weiteren Schutzzone, wenn keinRecyclingmaterial verwendet und wenn das Oberflächenwasserbreitflächig, nicht punktuell, versickert wird. Diese Anforderungensind im vorliegenden Fall erfüllt: Hinsichtlich der engeren Schutz-zone werden eine Abgrenzung in Richtung Brunnen durch Leit-planken sowie eine Ausleitung des Oberflächenwassers aus derengeren Schutzzone gefordert. Letztere Maßnahmen werden vor-aussichtlich erst bei einem eventuellen Straßenausbau durchge-führt. Auch wenn die genannten Maßnahmen noch nicht vollstän-dig durchgeführt worden sind, bedeutet dies nicht den grundsätzli-chen Verlust der Schutzfähigkeit. Dies hat der Vertreter desWasserwirtschaftsamts in der mündlichen Verhandlung vor demVerwaltungsgerichtshof aus fachlicher Sicht bestätigt. Der Verwal-tungsgerichtshof misst insofern bei bestehenden Trinkwasserver-sorgungen einer jahrzehntelangen tatsächlichen Erfahrung mitdem Betrieb derselben entscheidende Bedeutung bei (vgl. z.B.BayVGH vom 26.6.2002, BayVBl 2003, 146/147). Wie eine jahr-zehntelange tatsächliche Erfahrung im vorliegenden Fall gezeigthat, ist die Wahrscheinlichkeit einer durch den Straßenverkehr ver-ursachten Verunreinigung des Trinkwasservorkommens und einesdadurch bedingten Ausfalls der Trinkwasserversorgungsanlage derBeigeladenen gering.

b) Gegen die Erforderlichkeit des strittigen Wasserschutzgebietsmag eingewendet werden, durch einen die Grundwasserstock-werke trennenden Ausbau des Brunnens I könnte verhindert wer-den, dass oberflächennahes Grundwasser miterschlossen werde,so dass dann die mächtigen Deckschichten des Feuerlettens überdem Burgsandstein als dem Hauptgrundwasserleiter für denSchutz des Trinkwasservorkommens ausreichen würden. DieserEinwand greift jedoch nicht durch. Wie ausgeführt, muss geradedie Verletzung dieser mächtigen Deckschichten des Feuerlettenszuverlässig vermieden werden und bedarf es der zuverlässigenUnterbindung eines punktuellen Eintrags von wassergefährden-den Stoffen; dies macht die Festsetzung eines Wasserschutzgebietsmit einer weiteren Schutzzone erforderlich (s. oben II 1 a). Zudemkommt ein derartiger Ausbau des Brunnens I aus fachlicher Sichtfür absehbare Zeit nicht in Betracht, wie der Vertreter des Wasser-wirtschaftsamts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal-tungsgerichtshof erläuterte. Derzeit muss die Trinkwasserversor-gung unter den gegenwärtigen hydrogeologischen Bedingungenfortgeführt werden und ist zu deren Schutz das strittige Wasser-schutzgebiet erforderlich (vgl. zu dieser Argumentation BayVGHvom 26.6.2002, BayVBl 2003, 146/147). Insbesondere ist die tech-nische Durchführbarkeit solcher Maßnahmen nicht gesichert;

nach den Feststellungen des Wasserwirtschaftsamts bestündensehr große technische Risiken (vgl. 5. 5 der Niederschrift über denErörterungstermin). Problematisch ist dabei das geogene Arsen.Beim Brunnen I liegt bereits eine erhöhte Konzentration vor.Durch eine Sanierung könnten die für den Arsengehalt relevantenKlüfte stärker ,angeregt werden, mit der Folge einer unzulässigenGrenzwertüberschreitung (Schreiben des Wasserwirtschaftsamtsvom 18.8.2005). In der Folge wäre eine aufwändige und technischanspruchsvolle Arsenaufbereitung nötig, und die Sicherheit fürdie Verbraucher wäre geringer, wie der Vertreter des Wasserwirt-schaftsamts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal-tungsgerichtshof erläuterte. Dies kann von der Beigeladenen nichtverlangt werden. Danach sind die vom Antragsteller in erster Liniebekämpfte weitere Schutzzone, aber zumindest auf absehbare Zeitauch die engere Schutzzone erforderlich.

c) Die Erstreckung der demgemäß erforderlichen weiterenSchutzzone nach Osten bis in die nordwestliche Ortsbebauung vonH. ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Landratsamtkann sich insofern auf die DVGW-Richtlinien B 101 vom Februar1995 berufen (Richtlinien für Trinkwasserschutzgebiete, I. Teil:Schutzgebiete für Grundwasser). Danach soll die weitere Schutz-zone in der Regel bis zur Grenze des unterirdischen Einzugsgebietsder Trinkwassergewinnungsanlage reichen. Kann das unterirdischeEinzugsgebiet nicht sicher abgegrenzt werden, ist die weitereSchutzzone vorsorglich so zu bemessen, dass die möglichen Ein-zugsgebietsvarianten umfasst werden (Nr. 3.2 Sätze 1 und 3). ZumEinzugsgebiet gehört im Grundwasserabstrombereich eines Brun-nens auch der sog. Absenktrichter. Innerhalb des Absenktrichters,der sich bei Grundwasserförderung aus einem Brunnen ausbildet,fließt das Grundwasser dem Brunnen allseitig, d.h. auch aus demeigentlichen Brunnenabstrom zu, und dies mit kurzen Fließ-strecken und mit höherer Fließgeschwindigkeit. Dies gilt im vorlie-genden Fall für die Brunnen I und II (Vorschläge des Ingenieur-büros Dr. * und * vom 29.9.2003). Geht man von diesem Ansatzaus, dann ist es folgerichtig, den gesamten Absenktrichter in dieweitere Schutzzone einzubeziehen, einschließlich des bebautenBereichs der Ortschaft H. Gerade dort ist es bedeutsam, den unsach-gemäßen Umgang mit wassergefährdenden Stoffen noch besser zuunterbinden und die Beschädigung oder Durchteufung der geolo-gischen Deckschichten (insbesondere des Feuerlettens) durchHausbrunnen, thermische Nutzung oder Tiefgründungen zu ver-hindern (vgl. z.B. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der VO). Nur bei weiter entferntenBereichen des Einzugsgebiets mit weiteren Fließstrecken und gerin-geren Fließgeschwindigkeiten kann es der Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit verbieten, sie in die weitere Schutzzone einzubezie-hen, dies ist im vorliegenden Fall beachtet worden.

2. Auch die konkreten Schutzanordnungen der VO sind recht-mäßig (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 WHG).

Der Antragsteller hat zwar zu Recht angemerkt, dass eine pau-schale Übernahme der Schutzanordnungen der Musterschutzge-bietsverordnung dem Grundsatz der Erforderlichkeit nichtgerecht würde; dies schließt jedoch eine Orientierung an derenEmpfehlungen nicht aus, wenn den Besonderheiten des Einzel-falls Rechnung getragen wird.

Dies ist hier geschehen; der Antragsteller benennt keine kon-krete Regelung, die zu Unrecht aus der Musterschutzgebietsver-ordnung übernommen worden sein soll; für den Verwaltungsge-richtshof ist auch unabhängig davon keine derartige Regelungerkennbar.

Der Antragsteller hat ferner zu Recht aufgezeigt, dass nach Art. 35Abs. 1 Satz 4 BayWG rechtlich die Möglichkeit besteht, die Eigentü-mer und Nutzungsberechtigten anstelle eines Verbots auch zur Vor-nahme bestimmter Handlungen zu verpflichten. Ob indes von die-ser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, steht im Ermessen des

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Normgebers. Das Wort »können« in § 19 Abs. 1 und Abs. 2 WHGund in Art. 35 Abs. 1 Satz 4 BayWG lässt darauf schließen, dass denBehörden ein Ermessen eingeräumt ist. Dies eröffnet einen Hand-lungsspielraum im Hinblick auf die Frage, ob die an sich gebotenenSchutzanordnungen teilweise unterbleiben oder anderweitig ersetztwerden können (BayVGH vom 13.6.1996, BayVBI 1997, 111/112). §19 Abs. 1 WHG schließt zumindest teilweise eine behördlicheErmessensentscheidung nicht gänzlich aus (BVerwG vom30.9.1996, BayVBl 1997, 249). Das Übermaßverbot muss dabei frei-lich beachtet werden. Dass konkrete einzelne Bestimmungen derverfahrensgegenständlichen Verordnung wegen Außerachtlassensder Möglichkeit, anstelle eines Verbots ein Gebot zu erlassen, inso-fern Anlass zu Beanstandungen geben, hat der Antragsteller nichtaufzuzeigen vermocht; für den Verwaltungsgerichtshof ist derglei-chen auch unabhängig davon nicht ersichtlich.

Straßenplanung – Schutz des biologischen Landbaus,Hochwasserschutz und Artenschutz

OVG Lüneburg, Urteil vom 1. September 2005 – 7 KS 220/02

Leitsätze:1. Auch bei der Planung einer Straße in einem hochwassergefähr-

deten Gebiet sind lediglich die mit der Maßnahme adäquat-kausal verbundenen Beeinträchtigungen planerisch zu bewäl-tigen. Ein Anspruch auf einen auf statistisch alle 100 Jahre vor-kommende Ereignisse ausgelegten Hochwasserschutz bestehtnicht.

2. Beeinträchtigungen besonders geschützter Arten, die sich alsunausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns erge-ben, sind nicht absichtlich im Sinne des § 43 Abs. 4 Satz 1BNatSchG (wie BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6.00 –, NVwZ2001, 1040 (1042) und Beschl. v. 12.04.2005 – 9 VR 41.04 –,NVwZ 2005, 943 (947); entgegen HessVGH, Urt. v. 24.11.2003– 3 N 1080/03 –, ZUR 2004, 232 und v. 25.02.2004 – 3 N1699/03 –, NVwZ-RR 2004, 732).

Aus dem Sachverhalt:Die Kläger wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss zurVerlegung der Bundesstraße 1 als Ortsumgehung im Raum G. (…).

Der Kläger zu 1) gab an, einen landwirtschaftlichen Vollerwerbs-betrieb mit einer Nutzfläche von 22 ha zu bewirtschaften. Erbetreibe biologische Ackerwirtschaft und sei Mitglied im Öko-Korn-Nord e.V., einem Zusammenschluss von Biolandwirten mitAbnahmegarantie und Andienungspflicht. Die geplante Straßebeanspruche einen Teil einer 1,4 ha großen Pachtfläche; etwa 0,95ha Pachtflächen würden durch den Baubetrieb in Anspruchgenommen, Ausgleichsmaßnahmen seien auf insgesamt weiteren6,55 ha geplant, von denen 0,3 ha in seinem Eigentum stündenund der Rest Pachtflächen seien. Die künftig direkt an der B 1n lie-genden Flächen werde er wegen der von dort ausgehenden Immis-sionen nicht mehr nach den Bioland-Richtlinien bewirtschaftenkönnen. Bereits jetzt könne er die für Biolandwirtschaft erforderli-che Betriebsgröße nur durch Pacht oder Erwerb weiterer geeigneterFlächen erhalten. (…)Die vorgesehene Veränderung des Limbachswerde zu häufigeren Überschwemmungen seines Grundstücks alsbisher führen, weil der Mühlengraben als Abzweig des Limbachsüber sein Hofgrundstück führe. Dessen Auslauf im Süden desGrundstücks sei verengt, so dass die zu erwartende größere MengeOberflächenwassers seine unterhalb des Niveaus des Mühlengra-bens liegenden landwirtschaftlichen Gebäude überschwemmenwerde.

Der Kläger zu 2) ist Eigentümer eines Grundstücks am Nordrandvon G.. Er wandte gegen die Planung ein, dass er die Landschaft

nördlich seines Wohngrundstücks einschließlich des K. waldes zuErholungszwecken nutze. Des weiteren sei er Eigentümer desGrundstücks Limbachstraße 35, das direkt am Limbach vor einerVerrohrungsstrecke durch G. liege. Die Verrohrung aus gestapel-ten Bruchsteinen sei bereits jetzt zu eng, um bei extremen Witte-rungsverhältnissen das von Norden kommende Wasser schadlosaufzunehmen. (…)

Die Kläger zu 3) und 4) bewirtschaften mit dem Kläger zu 5)einen 40 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb im Vollerwerb.Die geplante Trasse nimmt zwei im Eigentum der Klägerin zu 3)stehende Grundstücke und eines des Klägers zu 4) sowie eingepachtetes Flurstück in Anspruch. Weitere vier Grundstücke derKlägerin zu 3) sind teilweise durch Ausgleichsmaßnahmen betrof-fen. In dem Einwendungsschreiben gaben die Kläger zu 3) und 4)an, dass der Betrieb derzeit konventionell arbeite, aber die Umstel-lung auf ökologischen Landbau beabsichtigt sei. Das geplante Vor-haben hätte existenzielle Auswirkungen auf den Betrieb, weil diefür die Trasse selbst sowie für Ausgleichsmaßnahmen nichtbenötigten Teilflächen zerschnitten würden und dann ungünstigeFormen hätten. (…)

Die Kläger zu 1) bis 4) rügten des Weiteren vor allem eine unzu-reichende Sachverhaltsermittlung in der Umweltverträglichkeits-studie hinsichtlich der betroffenen Tierwelt, der Naherholung, desWasserhaushalts, der Hochwassergefahr sowie der landwirtschaft-lichen Belange. (…)

Die Kläger haben gegen den ihnen am 17. Oktober 2002 zuge-stellten Planfeststellungsbeschluss am 18. November 2002 (einemMontag) Klage erhoben. Zu ihrer Betroffenheit durch die Planungergänzen sie ihre im Einwendungsschreiben geltend gemachtenGesichtspunkte (…). Die Nordumgehung habe die höchsteFlächenbetroffenheit aller Varianten, greife in eine – abgesehenvon einer Kiesgrube, die inzwischen weitgehend eigenen Biotop-charakter habe – unberührte, teilweise unter Landschaftsschutzstehende Landschaft ein. Es würden Biotope im Sinne von § 28 aNNatG beeinträchtigt. Weil der vom Planvorhaben gekreuzte Lim-bach unter dem Gesichtspunkt der Vorwirkung der FFH-Richtliniezu schützen sei, gälten strengere Anforderungen für den Varian-tenvergleich. (…) Die jetzt schon bestehende Hochwassergefähr-dung und die negative Veränderung durch das Planvorhaben blie-ben unbewältigt, weil die geplanten Maßnahmen (Änderung desVerlaufs des Limbachs, Schaffung eines Hanggrabens und weitererRetentionsräume u.a. durch zwei Regenrückhaltebecken) unzurei-chend seien. Es müsse ein »100-jähriges Hochwasserereignis«berücksichtigt werden. (…)

Aus den Gründen:A. Die Klage, über die das Oberverwaltungsgericht gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 Nr. 8 VwGO zu entscheiden hat, ist teilweise zulässig.

1. Der Kläger zu 1) ist sowohl als Eigentümer wie auch als Päch-ter von Grundstücken, die durch das planfestgestellte Vorhaben inAnspruch genommen werden, klagebefugt i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO(vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.1997 – 4 A 36.96 –, NuR 1998, 41 (43)).Mit seiner Klage kann er nicht nur eine Verletzung eigener Belangerügen, sondern auch geltend machen, öffentliche Belange seiennicht hinreichend beachtet worden. Der verfassungsrechtlicheEigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt vor einemEigentumsentzug, der nicht zum Wohl der Allgemeinheit erfor-derlich oder nicht gesetzmäßig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1983– 4 C 80.79 –, BVerwGE 67, 74). (…)

2. Die Klage des Klägers zu 2) ist zulässig, soweit er Einwirkungenauf sein Grundstück Limbachstraße 35 durch erhöhten Wasser-stand des Limbachs wegen des Neubaus der B 1 für möglich hält.(…) Die vom Kläger zu 2) geltend gemachte Ansprüche auf freieAussicht und freien Zugang zur Landschaft sind hingegen recht-

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lich nicht geschützt und vermitteln eine Klagebefugnis i.S.d. § 42Abs. 2 VwGO nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2000 – 4 BN38.00 -, UPR 2000, 465 zu § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO). Das Argumentdes Klägers zu 2), sein Anspruch sei wegen des erstmaligen Hinein-tragens eines Störpotenzials vergleichbar dem Nachbarschutz ver-mittelnden Anspruch aus § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO, verkennt,dass eine Vergleichbarkeit schon deshalb nicht gegeben ist, weil §17 Abs. 1 Satz 2 FStrG und § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO zu verschiede-nen Rechtsgebieten mit unterschiedlicher Zweckrichtung undunterschiedlicher Gesetzgebungskompetenz gehören. Die landes-rechtliche Vorschrift des § 46 NBauO gehört zum Bauordnungs-recht, sie stellt aus baupolizeilicher Sicht, insbesondere zur Gefah-renabwehr, Anforderungen an Garagen und andere Stellplätze.Dagegen ist § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG eine bundesrechtliche Normdes Fachplanungsrechts, das der Zulassung herausgehobener Pro-jekte in einem konzentrierten, abwägungsdirigierten Verfahrendient (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.2000 – 4 C 3.00 –, DVBl 2001, 645(646) = NVwZ 2001, 813 zum Verhältnis § 46 NBauO und § 15BauNVO). § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO enthält auch keinen allgemei-nen Rechtsgedanken, der geeignet wäre, dem Kläger zu 2) einenAnspruch der geltend gemachten Art zu vermitteln. Einschutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der gegebenenLage besteht nicht.

3. Die Kläger zu 3) und 4) sind ebenso wie der Kläger zu 1) klage-befugt (…).

B. Die Klage ist – soweit zulässig – nicht begründet. Der ange-fochtene Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Hanno-ver vom 15. Oktober 2002 leidet nicht an Rechtsfehlern, die dieKläger in ihren Rechten verletzen und zur Aufhebung oder Fest-stellung der Rechtswidrigkeit führen könnten.

1. Der Planfeststellungsbeschluss ist verfahrensfehlerfreizustande gekommen, insbesondere hat die Bezirksregierung Ver-fahrensrechte der Kläger nicht verletzt, indem sie sie nicht zuraktualisierten Verkehrsuntersuchung (Schnüll, Haller und Partner,Verkehrsuntersuchung für die Verlegung der Bundesstraße 1 imZuge der Ortsumgehung G. vom Oktober 2002 in BA »B«) erneutangehört hat. (…)

2. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss leidet nicht aninhaltlichen Fehlern.

2.1 Das planfestgestellte Vorhaben ist planerisch gerechtfertigt.(…)

2.2 Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss ist in seiner pla-nerischen Entscheidung zugunsten der Nordvariante 2 a nichtabwägungsfehlerhaft. Die Auswahl unter verschiedenen in Fragekommenden Trassenvarianten ist ungeachtet hierbei zu beachten-der, rechtlich zwingender Vorgaben eine fachplanerische Abwä-gungsentscheidung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG). Sie ist gerichtlicherKontrolle nur begrenzt auf erhebliche Abwägungsmängel hin(§ 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG) zugänglich. Wesentliches Element pla-nerischer Gestaltungsfreiheit ist die Gewichtung der verschiede-nen Belange. Nach ständiger Rechtsprechung handelt eine Plan-feststellungsbehörde nicht schon dann abwägungsfehlerhaft,wenn eine von ihr verworfene Trassenführung ebenfalls mit gutenGründen vertretbar gewesen wäre. Es ist nicht Aufgabe desGerichts, durch eigene Ermittlungen ersatzweise zu planen undsich hierbei gar von Erwägungen einer »besseren« Planung leitenzu lassen. Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit beider Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten sind erstdann überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linien-führung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichenBelange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und privateBelange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mitanderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müs-sen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 –, Ortsumgehung

Michendorf, DVBl. 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486 = NuR 2004,795, m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Variantenaus-wahl durch die Planfeststellungsbehörde nicht als abwägungsfeh-lerhaft und ist gerichtlich nicht zu beanstanden.

2.2.1 (…) 2.2.2 Die Bezirksregierung hat die von der Planung berührten

privaten Belange der Kläger erkannt und beanstandungsfreigemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG gewichtet.

2.2.2.1 Konkrete Anhaltspunkte für eine Existenzgefährdungdes vom Kläger zu 1) bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrie-bes haben sich weder im Planfeststellungs- noch im Gerichtsver-fahren ergeben. (…)

Die Bezirksregierung hat auch erkannt, dass der Kläger zu 1) sei-nen Betrieb biologisch bewirtschaftet. Auf das Problem der vonder planfestgestellten Straße ausgehenden Emissionen hat sie mitder Planung eines 10 m breiten Pflanzstreifens reagiert, der ver-kehrsbedingte Schadstoffe zurückhalten und ausfiltern soll. DieEignung dieser Maßnahme ist dem Senat aus anderen Verfahrenbekannt (vgl. Urt. des Senats vom 18.01.2001 – 7 K 198/98 – zur A26, 1. Bauabschnitt, UA S. 32 zu den dort referierten Gutachten).Einzuhaltende Grenz- oder Richtwerte für biologisch angebauteFeldfrüchte hat der Kläger zu 1) nicht genannt. Soweit er in dermündlichen Verhandlung angegeben hat, biologisch bewirtschaf-tete Felder müssten einen Abstand von 500 m zu stark befahrenenStraßen einhalten, ergibt sich aus den von der Beklagten vorgeleg-ten Richtlinien der Landbauverbände Bioland, Naturland unddemeter eine solche Forderung nicht. Gegen einen für biologischeLandwirtschaft notwendigen Abstand zu stark befahrenen Straßenspricht auch, dass der Kläger zu 1) derzeit mit dem von ihmgepachteten Flurstück 63 in der Flur 30 der Gemarkung J. einGrundstück bewirtschaftet, das direkt an die derzeitige Trasse der B1 grenzt. Insgesamt ist nicht zu beanstanden, dass die Bezirksregie-rung ihn – sollte sich im geplanten Flurbereinigungsverfahreneine für ihn befriedigende Lösung nicht finden lassen – hinsicht-lich bleibender Erschwernisse auf das Entschädigungsfeststel-lungsverfahren verwiesen hat.

(…) Die Gefahr der Überschwemmung seines Hofgrundstücks durch

die zu erwartende größere Menge Oberflächenwassers hat dieBezirksregierung im Planfeststellungsbeschluss zwar nicht speziellim Hinblick auf das Hofgrundstück des Klägers zu 1), aber allge-mein auf S. 50 f. behandelt. (…)

Die Bezirksregierung hat erkannt, dass wegen der geplantenTrassenführung in bis zu 5 m tiefen Einschnitten das im Unter-grund vorhandene Wasser gefasst und abgeleitet werden muss.(…)Außerdem erklärte sich die Stadt J. bereit, zur Entschärfung derin G. schon seit längerem bestehenden Hochwasserproblematikdie Mehrkosten für die Verlängerung des zunächst nur ab Bau-km3+250 nördlich der B 1n geplanten Hanggrabens bis zum Sport-platz zu übernehmen. So kann dort der sog. Spitzenabfluss (400l/s) aufgenommen und über den Hanggraben an der Ortslage G.vorbei geleitet werden. (…)Der Schluss der Bezirksregierung, dassmit den erweiterten Maßnahmen insgesamt eine Entlastung unddamit Verbesserung der Hochwassersituation eintreten werde, istnachvollziehbar. Die von den Klägern erhobene Forderung, dieBezirksregierung hätte ein »100-jähriges Hochwasserereignis«berücksichtigen müssen, entbehrt hingegen einer rechtlichenGrundlage. Das Abwägungsgebot des § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG ver-mittelt Anwohnern in der Nachbarschaft des Plangebiets eigen-tumsrechtlichen Drittschutz nur gegenüber den planbedingtenBeeinträchtigungen, die in einem adäquat-kausalen Zusammen-hang mit der Planung stehen und mehr als geringfügig sind (vgl.BVerwG, Beschl. v. 05.03.2003 – 4 B 70.02 –, NuR 2004, 520). Der

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Vorhabensträger hatte nicht einen auf statistisch alle 100 Jahrevorkommende Ereignisse ausgelegten Hochwasserschutz zu pla-nen, sondern die mit üblichen Regenfällen verbundenen Pro-bleme der Oberflächenentwässerung einer am Hang verlaufendenStraße planerisch zu bewältigen. Die Dimensionierung der Bäche,Gräben, Durchlässe und Regenrückhaltebecken hat der Vorhaben-sträger berechnet (Planunterlage 13.2), die Wasserbehörde hatdem Konzept und den Berechnungen zugestimmt. Die dagegenvorgebrachten pauschalen Angriffe der Kläger, die Berechnungenseien nicht nachvollziehbar, sind nicht geeignet, die Annahmenund das Rechenwerk der Fachbehörden in Zweifel zu ziehen. (…).

2.2.3 Auch die von der Planung betroffenen öffentlichenBelange hat die Bezirksregierung in ihrer Bedeutung erkannt, indie Alternativenprüfung vollständig eingestellt und gegenüberden übrigen Belangen auch nicht in beachtlicher Weise fehlge-wichtet.

2.2.3.1 (…) 2.2.3.2 (…) 2.2.3.3 Vorwirkungen der FFH-Richtlinie brauchte die planfest-

stellende Bezirksregierung bei der Trassenwahl nicht zu berück-sichtigen, weil die geplante Trasse ein FFH-Gebiet nicht berührt.Die Kläger verkennen, dass schon zum maßgeblichen Zeitpunkt,nämlich dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, das Vorhan-densein eines »wertvollen Tierbestandes« nicht für eine Qualifizie-rung als FFH-Gebiet genügte. Nunmehr hat die Kommission dieListe von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kon-tinentalen biogeografischen Region veröffentlicht (ABlEG L 382 v.28.12.2004), ohne dass ein FFH-Gebiet in dem näheren oder wei-teren Bereich der Nordumgehung enthalten wäre (vgl. auch dieKarte unter http://193.218.219.230/extern/nds/FFH2004/vie-wer.htm mit dem Stand Dezember 2004). Damit fehlt es an derVoraussetzung für den von den Klägern für erforderlich gehalte-nen Alternativenvergleich gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie(nunmehr § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Nachmeldevor-schlag »Kennziffer 379 Limberg bei J.« des NiedersächsischenUmweltministeriums aus dem Jahr 2004, der von der Landesregie-rung am 5. Oktober 2004 beschlossen worden ist und auf den dieBeteiligten erstmals in der mündlichen Verhandlung hingewiesenhaben. Dieses potenzielle FFH-Gebiet wurde vorrangig ausgewähltzur Verbesserung der Repräsentanz von Waldmeister-Buchenwäl-dern und Auenwäldern mit Erle und Esche im Naturraum »Nieder-sächsische Börden«. Es endet am Waldrand nördlich von G. undhält an seiner südlichsten Stelle zur planfestgestellten Trasse einenAbstand von mindestens ca. 300 m. Die Kläger räumen zwar ein,dass die geplante Straße ohne Auswirkungen für die geschütztenWälder bliebe, meinen jedoch, dass sie den Erhaltungszustand desdortigen Vorkommens der Fledermausart Großes Mausohr (Myo-tis myotis) beeinträchtigen könne.

Diesen Gesichtspunkt brauchte die damalige Bezirksregierungals Planfeststellungsbehörde jedoch nicht in ihre Abwägung zurTrassenwahl einzustellen, weil sie im Oktober 2002 weder Kennt-nis von einer möglichen Betroffenheit eines FFH-Gebiets nochAnlass hatte, entsprechende Ermittlungen zu veranlassen. DerSenat hält daran fest, dass maßgeblicher Zeitpunkt der des Plan-feststellungsbeschlusses ist, weil Gegenstand der gerichtlichenPrüfung die Abwägungsentscheidung der planfeststellendenBehörde auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt einzustellen-den Belange ist. Damit ist auch unter europarechtlichen Gesichts-punkten effektiver Rechtsschutz gewährleistet. WeitergehendeAnforderungen stellt das Gemeinschaftsrecht in Gestalt des Art.10 Abs. 1 EG-Vertrag nicht (so aber BayVGH, Beschl. v. 19.04.2005– 8 A 02.40040 u.a. –, der konsequenterweise die Straßenbau-behörden als Träger öffentlicher Gewalt in der Pflicht sehen müs-

ste, selbst bei bestandskräftiger Straßenplanung beispielsweise aufAusschreibungen zur Umsetzung dieser Planung zu verzichten). (…)

Entgegen der Ansicht der Kläger ist es nicht notwendig, ohnenähere Anhaltspunkte gleichsam vorsorglich ein komplettesArteninventar nach den Anhängen der FFH- oder der Vogelschutz-Richtlinie zu erstellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-tungsgerichts sind die ausreichende Ermittlung und Bestandsauf-nahme der im Trassenbereich vorhandenen Tier- und Pflanzenartenund ihrer Lebensräume Voraussetzung einer den Belangen vonNatur und Landschaft gerecht werdenden fachplanerischen Abwä-gung. Das ist aber nicht dahin zu verstehen, dass ein lückenlosesArteninventar erstellt werden müsste. Die Untersuchungstiefehängt maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten imEinzelfall ab. Aus fachlicher Sicht kann sich eine bis ins letzte Detailgehende Untersuchung erübrigen. Sind bestimmte Tier- und Pflan-zenarten ein Indikator für die Biotopqualität und die Lebensrau-manforderungen auch anderer Arten oder lassen bestimmte Vegeta-tionsstrukturen sichere Rückschlüsse auf die faunistische und flori-stische Ausstattung zu, so kann es mit der gezielten Erhebung derinsoweit maßgeblichen repräsentativen Daten sein Bewendenhaben. Das Recht nötigt nicht zu einem Ermittlungsaufwand, dereine zusätzliche Erkenntnis im Hinblick auf Beeinträchtigung undGewicht der Belange von Natur und Landschaft nicht erwarten lässt(vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.04.2005 – 9 VR 41.04 –, OrtsumgehungGrimma, NVwZ 2005, 943 (948 f.) m.w.N.).

(…)2.3 Der Entscheidung für die Nordvariante 2 a stehen rechtliche,

durch die fachplanerische Abwägung nicht überwindbare Schran-ken nicht entgegen.

2.3.1 Das Vorkommen der durch die FFH-Richtlinie geschütztenFledermausart »Großes Mausohr« (Myotis myotis) im benachbar-ten potenziellen FFH-Gebiet »Limberg bei J.« oder in dessenUmgebung führt nicht zu einer Unzulässigkeit des planfestgestell-ten Vorhabens unter dem Gesichtspunkt der Vorwirkung. Abgese-hen davon, dass das Vorkommen dieser Fledermausart nicht wert-bestimmend für die Auswahl dieses Nachmeldevorschlags war,sind gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 FFH-Richtlinie für Tierarten, diegrößere Lebensräume beanspruchen, die Gebiete zu schützen, diedie für das Leben und die Fortpflanzung der Arten ausschlaggeben-den physischen und biologischen Elemente aufweisen. Darangemessen ist der Schutz der Feldmark südlich des Limbergs zurErhaltung der Population des Großen Mausohrs nicht notwendig.So wenig, wie jedes für geschützte Vögel erreichbare Nahrungsge-biet an dem Biotopschutz gemäß Art. 4 Vogelschutz-Richtlinieteilnimmt, ist auch nicht für jedes von geschützten Fledermäusenaufgesuchte Gebiet eine Vorwirkung der FFH-Richtlinie anzuneh-men. Schließlich heißt es in der Gebietsbeschreibung, dass dasvorgeschlagene Waldgebiet von seinem Waldbestand und seinerWaldstruktur her als sehr gut geeignetes potenzielles Mausohr-Jagdgebiet angesehen werden kann. Der Wald und damit das auchnur als potenziell vorhanden bewertete Jagdgebiet wird jedochselbst nach Ansicht der Kläger durch eine mindestens 300 m ent-fernte Straße nicht beeinträchtigt.

Es spricht somit derzeit nichts dafür, dass die eine Mausohr-Wochenstube, in deren Aktionsradius der Limberg liegt, diesenoder die südlich angrenzende Feldmark zu einem für Deutschlandrelativ bedeutsamen Gebiet i.S.d. Anhangs III der FFH-Richtliniemacht. Doch selbst wenn ein solcher Nachmeldebedarf unterstelltwird, gebietet das Gemeinschaftsrecht lediglich ein Schutzregime,durch das verhindert wird, dass Gebiete, deren Schutzwürdigkeitnach der FFH-Richtlinie auf der Hand liegt, zerstört oder anderwei-tig so nachhaltig beeinträchtigt werden, dass sie für eine Meldungnicht mehr in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.2000

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OVG Lüneburg, Zur Anpassung bestehender Deponien an d ie AbfAblV | R E C H T S P R E C H U N G

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– 4 A 18.99 –, DVBl. 2001, 386 (390) = NVwZ 2001, 673; BVerwG,Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28.01 –, A 44 Hessisch Lichtenau, BVer-wGE 116, 254 = DVBl. 2002, 1486 (1487) = NVwZ 2002, 1243).Damit ist auch den nach der Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofs (vgl. Urt. v. 13.01.2005 – Rs. C-117/03 –, NVwZ 2005,311) erforderlichen Schutzmaßnahmen genügt. Hier hat das LandNiedersachsen den Limberg als FFH-Gebiet in Kenntnis des streit-gegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses zur Nachmeldungvorgeschlagen und dazu die Ansicht vertreten, dass naturschutz-rechtliche Bedenken gegen die Realisierung der in den Bedarfsplä-nen Schiene und Straße vorgesehenen Vorhaben nach derzeitigemKenntnisstand nicht erkennbar seien (vgl. »Grundsätzliche Posi-tionen der Landesregierung nach Auswertung der Ergebnisse desöffentlichen Beteiligungsverfahrens zu den FFH-Nachmeldevor-schlägen« vom Oktober 2004, unter http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C5725752_L20.pdf, S. 3).

Eine Zerstörung oder nachhaltige Beeinträchtigung diesesGebietes ist auch unter Berücksichtigung der von den Klägern inder mündlichen Verhandlung überreichten Stellungnahme vonFrau W., Beauftragte für Fledermausschutz in der Region Hanno-ver, vom 24. August 2005 nicht zu besorgen. (…)

2.3.2 Auch die von den Klägern in der mündlichen Verhand-lung aufgeworfenen Fragen des Artenschutzes gemäß Art. 5 und 9Vogelschutz-Richtlinie gebieten nicht den Verzicht auf die Vari-ante 2 a.

Art. 5 und 9 Vogelschutz-Richtlinie sind nicht direkt anwend-bar, weil die Artenschutzbestimmungen der Vogelschutz-Richtli-nie durch §§ 39 ff. BNatSchG in deutsches Recht umgesetzt sind.Nach § 42 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 BNatSchG ist es u.a. verboten, Nist-,Brut-, Wohn- oder Zufluchtsstätten wild lebender Tiere der beson-ders geschützten Arten der Natur zu entnehmen, zu beschädigenoder zu zerstören sowie wildlebende Tiere der streng geschütztenArten und der europäischen Vogelarten an ihren Nist-, Brut-,Wohn- und Zufluchtsstätten zu stören. Der Umsetzung des Arten-schutzes in Landesrecht dienen die §§ 35 und 37 NNatG. Entspre-chend § 37 Abs. 5 NNatG hat die Bezirksregierung dem Vorhaben-sträger aufgegeben, Rodungsmaßnahmen in der Zeit vom 01.März bis 30. September nur in Abstimmung mit der unterenNaturschutzbehörde und den erforderlichen Sicherungsmaßnah-men durchzuführen (Planfeststellungsbeschluss, IV 2.3). Damit istder Tatbestand des § 42 Abs. 1 BNatSchG durch die planfestge-stellte Maßnahme schon nicht erfüllt. Zwar sind regelmäßiggenutzte Nistplätze auch während der winterlichen Abwesenheitvon Zugvögeln geschützt, bei Vögeln, die jedes Jahr ein neues Nestbauen, verliert die Lebensstätte ihre Funktion und damit auch denSchutz des § 42 Abs. 1 BNatSchG jedoch mit dem Ende der Brutpe-riode (vgl. Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 42 Rn. 12).Nach der Faunistischen Kartierung/Artenliste 1 der UVS sind dieauf den zur Bewertung der Nordumgehung herangezogenenFlächen vorgefundenen Vogelarten Fasan (Phasianus colchicus),Stieglitz (Carduelus carduelus), Bluthänfling (Carduelis Canna-bina) und Goldammer (Emberiza citrinella) eurytop, haben alsoeine geringe Habitatbindung.

Selbst wenn der Tatbestand des § 42 Abs. 1 BNatSchG erfülltwäre, handelte es sich bei dem planfestgestellten Straßenbau umeinen nach § 19 BNatSchG zugelassenen Eingriff, für den gemäß §43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG ein Verbot nach § 42 Abs. 1 BNatSchGnicht gilt. Den artenschutzrechtlichen Belangen muss im Rahmender Eingriffsregelung Rechnung getragen werden. Dies ist hiergeschehen. Die Schonung während der Brutzeit und die im Land-schaftspflegerischen Begleitplan festgelegte Neuschaffung vonLebensraumangeboten ist hier ausreichend, um einen arten-schutzrechtlichen Eingriff zu vermeiden. Wenn eine artenschutz-rechtliche Beeinträchtigung durch Vorsorgemaßnahmen vermie-

den werden kann, ist damit dem europäischen ArtenschutzGenüge getan (vgl. zu den Anforderungen der FFH-RichtlinieBVerwG, Urt. v. 27.02.2003 – 4 A 59.01 –, A 17, a.a.O.).

Wenn der Tatbestand des § 42 Abs. 1 BNatSchG erfüllt und darü-ber hinaus ein Eingriff nicht vermieden wäre, fehlte es immernoch an einer absichtlichen Beeinträchtigung. Nicht absichtlichi.S.d. § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG sind Beeinträchtigungen, diesich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelnsergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6.00 –, NVwZ 2001,1040 (1042) unter Hinweis auf den Schlussantrag des Generalan-walts Vilaca vom 19.05.1987 – Rs. 412/85 –, Slg. 1987, 3503 (3513)und den darin vom Generalanwalt gebilligten § 40 Abs. 2 NNatGi.d.F. v. 20.03.1981 (NdsGVBl S. 31); Beschl. v. 12.4.2005 – 9 VR41.04 –, NVwZ 2005, 943, 947). Die gegen diese Rechtsprechunggerichtete Kritik des Hess. Verwaltungsgerichtshofs in dessenUrteilen vom 24.11.2003 – 3 N 1080/03 –, ZUR 2004, 232 und vom25.02.2004 – 3 N 1699/03 –, NVwZ-RR 2004, 732 unter Hinweisauf die Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 30.01.2002 – Rs. C-103/00–-, Caretta caretta, Slg. 2002, I-1147 = NuR 2004, 596) teiltder Senat nicht. Der EuGH hat sich zu dem Begriff der absichtli-chen Störung nicht geäußert, sondern sie nach den Schilderungendes Sachberichts ohne weiteres angenommen. Der GeneralanwaltLeger hat in seinen Schlussanträgen ebenfalls den Begriff derAbsicht nicht definiert, sondern nach Darstellung der besondersschützenswerten Entwicklungsphase der Schildkröten (Slg. 2002,I-1147, Rn. 23 f.) das Aufstellen von Liegestühlen und Sonnen-schirmen sowie das Befahren des zur Fortpflanzung genutztenStrandes mit Mopeds als absichtliche Handlungen bewertet unddiese als geeignet angesehen, die betreffende Art gerade in der Zeitzu stören, in der diese nach dem Gemeinschaftsrecht in besonde-rem Maß zu schützen ist (a.a.O., Rn. 57). Weder nach der Art derbeanstandeten Handlungen noch in dem maßgeblichen Zeit-punkt der Beeinträchtigungen ist der vom EuGH entschiedene mitdem Fall einer auch die Gesichtspunkte des Artenschutzes berück-sichtigenden Fachplanung vergleichbar. Soweit entgegen demWortlaut des § 43 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG verlangt wird, es müssejeweils eine Befreiung gemäß § 62 BNatSchG erteilt werden (Gas-sner, NuR 2004, 560 (563); Louis, NuR 2004, 557 (559)), wird dieLegalausnahme des § 42 Abs. 4 Satz1 BNatSchG der Individual-ausnahme gemäß § 62 BNatSchG gleichgesetzt (Müller, NuR 2005,157 (159)). Eine solche Gleichsetzung berücksichtigt nicht, dasszumindest im Fachplanungsrecht eine Planrechtfertigung Voraus-setzung eines Vorhabens ist, die im Fall einer Maßnahme des vor-dringlichen Bedarfs sogar als in öffentlichem Interesse liegendgesetzlich festgestellt ist. Die planerische Zielsetzung, die Sicher-heit des Straßenverkehrs sowohl für die Einwohner G. s als auchfür die anderen Verkehrsteilnehmer zu verbessern, entspricht imÜbrigen § 62 Abs. 1 BNatSchG und Art. 9 Abs. 1 lit. a Vogelschutz-Richtlinie. Die als verkehrlich nachteilig bewertete Variante 4 H -unterstellt, die Nordvariante sei gemäß § 42 Abs. 1 BNatSchG pro-blematisch und weiter unterstellt, die Variante 4 H sei als arten-schutzrechtlich günstiger zu bewerten – ist nach nicht zu bean-standender Einschätzung der Bezirksregierung nicht in gleicherWeise geeignet, die Sicherheit des Verkehrs zu gewährleisten.

Zur Anpassung bestehender Deponien an die AbfAblV

OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Juli 2005 – 7 KS 113/02

Leitsätze der Redaktion:1. Unmittelbar geltende Regelungen der AbfAblV können

bestandskräftige Zulassungsent-scheidungen für eine Deponiemodifizieren. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar

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2. Nachträgliche Auflagen im Interesse einer allgemeinwohlver-träglichen Endablagerung hat ein Deponiebetreiber hinzuneh-men, wenn sich später die Sach- oder Rechtslage ändert. In die-sem Sinne ist sein Vertrauensschutz begrenzt.

Aus dem Sachverhalt:Die Klägerin wendet sich gegen eine ihre Zentraldeponie Hanno-ver-Altwarmbüchen/Lahe betreffende Anordnung der Bezirksre-gierung Hannover, mit der der Betrieb der Deponie den Anforde-rungen der TA Siedlungsabfall und der Abfallablagerungsverord-nung angepasst werden soll. Die Anordnung sieht unter anderemvor, die bislang auf den 31.5.2020 festgelegte Frist zur Ablagerungbiologisch vorbehandelter Abfälle auf den 15.7.2009 vorzuverle-gen sowie die Klägerin zu verpflichten, die Deponie mit einerKombinationsabdichtung für die Deponiebasis nach Nr. 10.4.1.3.2TASi zu versehen. Das OVG hat den Klageantrag zur Fristverkür-zung mangels Rechtsschutzbedürfnis für unzulässig (s. Ziff. II.3)und den Klageantrag zum Abdichtungssystem für unbegründeterklärt (s. Ziff. III).

Aus den Gründen:(…)

II.3.a) Durch die AbfAblV und die Verordnung über Deponienund Langzeitlager (Deponieverordnung – DepV) vom 24. Juli 2002(BGBl. I S. 2807) sind in Umsetzung der Richtlinie 1999/53/EG desRates über Abfalldeponien vom 26. April 1999 (ABl. EG Nr. L 182,S. 1), die in ihrem Art. 4 die Zuordnung jeder Deponie zu einer derKlassen »Deponien für gefährliche Abfälle«, »Deponien für nichtgefährliche Abfälle« und »Deponien für Inertabfälle« vorgibt undin Art. 6 bestimmt, auf welchen Deponien welche Abfälle depo-niert werden dürfen, rechtsverbindliche Anforderungen an diedeponietechnische Ausstattung und Vorbehandlung der abzula-gernden Abfälle festgelegt worden. Die Regelungen beider Verord-nungen verweisen dabei auf Standards, die bereits Eingang in dieTechnischen Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonsti-gen Entsorgung von Siedlungsabfällen (TA Siedlungsabfall) vom14. Mai 1993 (BAnz Nr. 99 a) gefunden hatten. Sie haben die zen-tralen Vorbehandlungsanforderungen dieser in Teilaussagennormkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift in den Rang einerVerordnung gehoben (so ausdrücklich die Begr. der Bundesregie-rung zum Entwurf der AbfAblV, BR-Drucks. 596/00, S. 44). Dem-gemäß dürfen gemäß § 3 Abs. 1 AbfAblV Siedlungsabfälle undAbfälle, die wie Siedlungsabfälle entsorgt werden können, nurnoch auf Deponien oder Deponieabschnitten abgelagert werden,die den nach Nr. 10 der TA Siedlungsabfall definierten Anforde-rungen für die Deponieklasse I oder II genügen. Die Ablagerungunvorbehandelter Abfälle ist gemäß § 3 Abs. 3 AbfAblVgrundsätzlich nicht mehr gestattet (vgl. nur Bergs/Radde, Abfal-lablagerungsverordnung – TA Siedlungsabfall, 3. Aufl. 2002, S. 25,80). § 6 Abs. 2 AbfAblV eröffnet Anlagenbetreibern nur noch dieMöglichkeit, den Betrieb ihrer Deponien ohne Vorbehandlung derabzulagernden Abfälle auf Grund einer befristeten Ausnahmege-nehmigung aufrechtzuerhalten. Diese Anforderungen habenunmittelbar verbindliche Wirkungen für den Anlagenbetreiber,ohne dass es hierzu eines konkretisierenden Verwaltungsaktsbedarf; die durch die erhöhten Vorsorgeanforderungen der AbfA-blV begründeten Pflichten wirken auf die Rechtsstellung derDeponiebetreiber selbst dann rechtsgestaltend ein, wenn derDeponiebetrieb unbefristet durch bestandskräftige Planfeststel-lungsbeschlüsse zugelassen wurde (BVerwG, Beschl. v. 3.6.2004 – 7B 14.04 –, NVwZ 2004, 1246 <1247 >; OVG NRW, Urt. v. 18.8.2003– 20 B 233/03 –, NVwZ 2004, 1384 <1386>; OVG NRW, Urt. v.28.10.2003 – 20 D 116/01.AK –, NuR 2004, 472 <474>).

Aus Wortlaut, Normmaterialien und Regelungszweck der AbfA-blV geht klar hervor, dass die Verordnung die Pflichten der Depo-niebetreiber und die Anforderungen an die Deponien unmittelbargestaltet. Sie richtet sich unmittelbar an die Deponiebetreiber (§ 1Abs. 2 Nr. 1 AbfAblV) und bestimmt konkrete Ablagerungsvoraus-setzungen und deponietechnische Anforderungen (§§ 3 und 4AbfAblV). Sie enthält Übergangsvorschriften, die aus der unmittel-baren Geltung der Verordnung entstehende Härten für zugelas-sene Deponien (vgl. § 2 Nr. 7 Buchst. a AbfAblV) nach Maßgabegestufter Regelungen abmildern sollen (vgl. § 6 Abs. 2 AbfAblV).Die AbfAblV begründet Ordnungswidrigkeitstatbestände in § 7AbfAblV, was voraussetzt, dass die im Einzelnen aufgeführtenGebote und Verbote der AbfAblV unmittelbare Wirkung entfalten.Zudem wirkt die AbfAblV auch unmittelbar auf die Rechtspositionder Betreiber bereits zugelassener Anlagen ein, die den Anforde-rungen der Verordnungen nicht genügen; diese bedürfen als Aus-nahmetatbestände einer neuen behördlichen Zulassung – einWiderruf oder eine nachträgliche Anordnung sind zur Durchset-zung der Anforderungen der Verordnungen nicht erforderlich (§ 6Abs. 2 AbfAblV). Das Verhältnis der AbfAblV zu bestandskräftigenPlanfeststellungsbeschlüssen ist damit im Sinne eines unmittelbarwirkenden, die Zulassungsentscheidungen modifizierenden Vor-rangs der Verordnung geregelt. Diese Wortlautauslegung wirddurch die Verordnungsbegründung des Normgebers bestätigt. Inder Begründung des Regierungsentwurfs der AbfAblV heißt esunmissverständlich, dass die Anforderungen an die Beschaffen-heit abzulagernder Abfälle unmittelbar gelten und für die bisherauf der Grundlage der Nr. 12 TA Siedlungsabfall zugelassenen Aus-nahmen von der Zuordnung von Abfällen zu Deponien durch eineÜbergangsregelung Vertrauensschutz gewährt wird (BR-Drucks.596/00, S. 49). Der damit dokumentierte Wille des Normgebersimpliziert, dass die Verordnungsregelungen Pflichten begründen,die unmittelbar auf die Rechtsstellung der Betreiber einwirken.Dabei sind dem Verordnungsgeber die Konsequenzen fürbestandskräftige Zulassungsentscheidungen nicht entgangen.Nach seinem Willen sollen die neuen Zuordnungskriterien auchfür zugelassene Altanlagen Geltung beanspruchen (vgl. BR-Drucks. 596/00, S. 44). Die unmittelbare Wirkung der Verordnungauch für zugelassene Altanlagen entspricht dem Zweck der Rege-lung, sicherzustellen, dass Abfälle nach dem Stand der Technikumweltverträglich beseitigt und Ausnahmen von den Anforde-rungen zur Abfallablagerung (Zuordnungskriterien) nur noch imRahmen der eingeräumten Übergangsfristen zugelassen werden(vgl. Begr. der Bundesregierung, BR-Drucks. 596/00, S. 44, 47 f.).

Die Modifizierung bestandskräftiger Zulassungsentscheidungendurch den Vorrang der unmittelbar geltenden Verordnungsrege-lungen ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Verordnungdient der Konkretisierung der abfallrechtlichen Grundpflichteiner gemeinwohlverträglichen Abfallbeseitigung entsprechenddem Stand der Technik (§ 11 Abs. 1 KrW-/AbfG), wozu der Verord-nungsgeber durch § 12 KrW-/AbfG ermächtigt wird. Die Grundpf-licht ist auch ohne ausdrückliche Anordnung der Behördewährend der gesamten Dauer des Betriebs verbindlich. Sie istebenso wie die Grundpflichten der Betreiber immissionsschutz-rechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen (§ 5 BImSchG) dyna-mischer Natur, schließt also die Beachtung der auf der Grundlagedes § 12 KrW-/AbfG erlassenen untergesetzlichen Normen ein(BVerwG, Beschl. v. 3.6.2004 – 7 B 14.04 –, NVwZ 2004, 1246<1247 >). Auch im Immissionsschutzrecht schließt die Bindungs-wirkung einer bestehenden Betriebsgenehmigung es nicht aus,unmittelbar durch Verordnung erhöhte Vorsorgeanforderungenzu stellen und damit auf die Betreiberpflicht rechtsgestaltend ein-zuwirken (vgl. BR-Drucks. 95/83, S. 36 f.). Für Vorsorgeanforderun-gen an bei Inkrafttreten der AbfAblV bereits bestehende Deponien

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gilt nichts anderes. Auf die Pflicht des Betreibers einer zugelasse-nen Anlage kann unmittelbar durch Verordnung eingewirkt wer-den, ohne dass es hierzu eines konkretisierenden Verwaltungsaktsbedarf. Im Abfallrecht gibt es ebenso wie im Immissionsschutz-recht keinen Grundsatz, dass dem Antragsteller eingeräumteRechtspositionen ungeachtet einer Rechtsänderung im Allgemei-nen zu belassen und nur gegen Entschädigung zu entziehen sind(BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42.80 –, BVerwGE 65, 313<317>). Schon die Möglichkeit nachträglicher Anordnungengemäß § 32 Abs. 4 S. 3 KrW-/AbfG spricht dagegen. Durch welchesMittel eine Zulassungsentscheidung nachträglich modifiziert wer-den kann, ist jeweils Sache des Normgebers, der hierbei über einenweiten Gestaltungsraum verfügt. Mit der AbfAblV hat sich derNormgeber für die unmittelbare Wirkung der Verordnung unddamit dafür entschieden, dass das neue Recht möglichst zügig undumfassend wirksam werden kann.

Die AbfAblV ist weder verfassungs- noch europarechtswidrig. Dievom Kläger gerügte Verletzung des Zitiergebots des Art. 19 Abs. 1 S.2 GG greift bereits deshalb nicht durch, weil das Zitiergebot beiInhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1S. 2 GG keine Anwendung findet (BVerfG, Beschl. v. 12.01.1967 – 1BvR 168/64 –, BVerfGE 21, 92 <93>; BVerfG, Urt. v. 18.12.1968 – 1BvR 638/64 –, BVerfGE 24, 367 <396 f., 398>; Pieroth/Schlink,Grundrechte, 21. Aufl. 2005, Rn. 311). Die Europarechtskonfor-mität der AbfAblV hat der EuGH erst vor wenigen Monaten ineinem Vorabentscheidungsverfahren bestätigt (EuGH, Urt. v.14.04.2005 – C-6/03 – »Eiterköpfe«, NVwZ 2005, 794 ff.).

b) Die Regelungen der AbfAblV lassen eine Ablagerung biolo-gisch vorbehandelter Abfälle auf der Deponie Hannover-Altwarm-büchen/Lahe bis zum Jahre 2020 nicht mehr zu. Gemäß § 4 Abs. 1AbfAblV ist eine Ablagerung von mechanisch-biologisch vorbe-handelten Abfällen nur unter bestimmten Voraussetzungen zuläs-sig, zu denen insbesondere gehört, dass die Ablagerung auf Depo-nien erfolgt, welche die Anforderungen für die Deponieklasse IIeinhalten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 AbfAblV). Diese Anforderungen sindnach Nummer 10 der TA Siedlungsabfall definiert (§ 3 Abs. 1 S. 2AbfAblV). Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass es sichbei der Zentraldeponie Hannover-Altwarmbüchen/Lahe um eineDeponie der Klasse II i.S.d. § 2 Nr. 8 DepV i.V.m. § 2 Nr. 9 AbfAblVhandelt, die aber die Anforderungen nach Nummer 10 der TASiedlungsabfall zumindest insoweit nicht erfüllt, als sie keine geo-logische Barriere im Sinne der Ziffer 10.3.2 der TA Siedlungsabfallaufweist. Nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 Nr. 3 AbfAblV besteht somitlediglich die Möglichkeit, dass die zuständige Behörde auf dieserAltdeponie (vgl. § 2 Nr. 7 a) AbfAblV) ausnahmsweise eine Ablage-rung mechanisch-biologisch vorbehandelter Abfälle gestattet,wobei diese Zulassung aber längstens bis zum 15. Juli 2009 zubefristen ist (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 AbfAblV).

Auch die in § 6 Abs. 2 Nr. 3 S. 3 AbfAblV vorgesehene Möglich-keit eines Weiterbetriebs derartiger Deponien über 2009 hinaus,sofern die Schutzziele der Nummern 10.3.1 und 10.3.2 der TASiedlungsabfall durch andere gleichwertige technische Siche-rungsmaßnahmen erreicht werden und das Wohl der Allgemein-heit nicht beeinträchtigt wird, greift vorliegend nicht ein. Dieseerst auf Intervention des Bundesrates eingefügte Bestimmung sollDeponiebetreibern zugute kommen, die ihre Deponien zur Kom-pensation der fehlenden natürlichen Voraussetzungen, insbeson-dere in Fällen einer nicht nachweisbaren geologischen Barriere, inder Vergangenheit mit erheblichem finanziellen und technischenAufwand dem Standard der TA Siedlungsabfall angepasst haben(vgl. BR-Drucks. 596/00 [Beschluss], S. 10). Keinesfalls soll damitdie Ausnahme zum Regelfall gemacht werden. Für im Hinblick aufdie geologische Barriere ungeeignete Standorte, die nicht nach-gerüstet haben, soll gerade mit der Befristung auf 2009 eine Stillle-

gung zu diesem Termin erreicht werden (Bergs/Radde, Abfallabla-gerungsverordnung – TA Siedlungsabfall, 3. Aufl. 2002, S. 91 f.).

III.1. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 32Abs. 4 S. 3 KrW-/AbfG. Danach ist eine Aufnahme, Änderung oderErgänzung von Auflagen über Anforderungen an die Deponie oderihren Betrieb auch nach dem Ergehen des Planfeststellungsbe-schlusses oder nach der Erteilung der Genehmigung zulässig.

Die abfallrechtliche Planfeststellung einer Deponie gemäß § 31Abs. 2 KrW-/AbfG hat sich an den Kriterien des § 32 Abs. 1 KrW-/AbfG auszurichten. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass dasWohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird. Mit dieserAnforderung nimmt § 32 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/AbfG Bezug auf dieGrundpflicht der §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 KrW-/AbfG. Diese Grund-pflicht setzt mit der erstmaligen Zulassungsentscheidung ein undwirkt als Dauerverpflichtung auch ohne ausdrückliche behördli-che Anordnung während der gesamten Dauer des Betriebs fort(BVerwG, Beschl. V. 3.6.2004 – 7 B 14.04 –, NVwZ 2004, 1246<1247 >). Sie ist erst erfüllt, wenn eine gemeinwohlverträglicheEndablagerung auf Dauer gesichert ist (BVerwG, Beschl. v.2.5.1995 – 7 B 270.94 – , NVwZ-RR 1995, 498 <499>). In diesemSinne begrenzt sie den Vertrauensschutz des Deponiebetreibers,der nach Maßgabe des § 32 Abs. 4 S. 3 KrW-/AbfG im Interesseeiner gemeinwohlverträglichen Abfallbeseitigung nachträglicheAuflagen hinzunehmen hat, nach Maßgabe des § 32 Abs. 4 S. 2KrW-/AbfG insbesondere dann, wenn sich später die Sach- oderRechtslage ändert. In diesem Sinne sind die Anordnungen vom12. Juni 1995 – damals noch auf der Basis des § 8 Abs. 1 S. 3 desAbfallgesetzes (AbfG) vom 27. August 1986 (BGBl. I S. 1410) – undvom 6. Juni 1997 als nachträgliche Anordnungen zum Planfest-stellungsbeschluss vom 25. September 1978 ergangen. Die in die-sen Anordnungen getroffenen Maßgaben sollten ausweislich derhierzu gegebenen Begründungen den Vorschriften der TA Sied-lungsabfall Rechnung tragen. In gleicher Weise findet auch dieangefochtene Anordnung, die einer Anpassung der alten Geneh-migungslage an die Bestimmungen der AbfAblV dient, ihreRechtsgrundlage ebenfalls in § 32 Abs. 4 KrW-/AbfG.

2. (…) Die somit in Ziffer 3 Unterziffer II, letzter Halbsatz derAnordnung der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002 ent-haltene Anordnung, dass die Ablagerung biologisch vorbehandelterAbfälle auf der Zentraldeponie Hannover-Altwarmbüchen/Laheallein unter der Voraussetzung möglich ist, dass diese eine Kombi-nationsdichtung für die Deponiebasis erhält, ist rechtmäßig. Denndas an diesem Standort vorhandene Dichtungssystem kann nichtals »gleichwertiges System« angesehen werden. Ein gleichwertigesSystem im Sinne der Nummer 10.4.1.3.2 TA Siedlungsabfall ist einDeponiebasisabdichtungssystem, dessen Leistungsmerkmale überdie gesamten Betriebsphasen einer Deponie der Leistungsfähigkeitder von der TA Siedlungsabfall als Regelabdichtungssystem angese-henen Kombinationsdichtung entspricht. Die auf der Deponie Han-nover-Altwarmbüchen/Lahe vorhandene Basisabdichtung ist miteiner solchen Kombinationsdichtung aber weder in zeitlicher Per-spektive (dazu a) noch in Ansehung der von der Kombinationsdich-tung bewirkten redundanten Sicherung (dazu b) vergleichbar. EinSpielraum für Ermessenserwägungen ist insoweit nicht eröffnet(dazu c).

a) Nach den Aussagen der im Verfahren vorgelegten Gutachtenist davon auszugehen, dass die Leistungsmerkmale der vorhan-dene Deponiebasisabdichtung in den belastungsintensiven erstenBetriebsphasen einer Deponie (Bauzustand, Deponie vor undwährend der Verfüllung sowie in der frühen Nachbetriebsphase)den Leistungsmerkmalen einer Kombinationsdichtung nichtgleichwertig sind. (…)

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b) Die vorhandene Basisabdichtung verfügt auch nicht über diemit einem Kombinationssystem bezweckte redundante Sicherungim Sinne einer Kompensationswirkung.

Das Gutachten des Niedersächsischen Landesamtes für Ökolo-gie von Februar 2004 weist plausibel darauf hin, dass der Sinn desvon der TA Siedlungsabfall verlangten Kombinationssystems, beidem eine Kunststoffdichtungsbahn unmittelbar auf einer minera-lischen Dichtungsschicht aufliegt, darin bestehe, die Nachteile deseinen Materials durch das andere Material zu kompensieren. (…)

Die Sichtweise, dass sich die in Nummer 10.4.1.3.2 TA Sied-lungsabfall geforderte Gleichwertigkeit auch nach dem Besteheneiner Kompensationswirkung bemisst, findet eine Bestätigung inder Genese der Vorschrift. Während der Entwurf der Bundesregie-rung mit Blick auf das Deponiebasisabdichtungssystem für dieDeponieklasse II allein auf das Bild 1 b) verwies und noch alterna-tivlos vorschrieb, dass eine Dichtung aus einer mineralischenDichtungsschicht mit direkt aufliegender Kunststoffdichtungs-bahn als Kombinationsdichtung auszuführen sei (Regierungsent-wurf, BR-Drucks. 594/92, S. 69 f. – damals noch Nummer13.4.1.3.2), hat der Bundesrat diese Bestimmung um die Möglich-keit erweitert, dass das Deponiebasisabdichtungssystem alternativauch »aus einem gleichwertigen System bestehen« kann. In derBegründung zu dieser Änderung heißt es, dass der Einsatz alterna-tiver Abdichtungen oder weiterentwickelter Systeme zulässig seinmüsse, weil durch die einseitige Festlegung auf Kombinations-dichtungen mit Kunststoffdichtungsbahnen die technische Wei-terentwicklung alternativer Systeme und somit die gebotene Fort-entwicklung des Standes der Deponietechnik behindert, wennnicht gar verhindert, werde (BR-Drucks. 594/92 (Beschluss), S. 91).Durch diese Begründung wird ersichtlich, dass die Tatbestandsva-riante des »gleichwertigen« Systems verhindern sollte, dass derStand der Technik der Deponiebasisabdichtungen auf Kombinati-onsabdichtungen mit Kunststoffbahnen, wie sie in Bild 1 b zuNummer 10.4.1.3 TA Siedlungsabfall dargestellt sind, festgeschrie-ben wird. Diese Wendung sollte Innovationen ermöglichen, diebei der zum Zeitpunkt des Erlasses der TA Siedlungsabfall als besteLösung geltenden Technik der Kombinationsdichtung ansetzenund diese variieren und verbessern, (…).

c) Ein Spielraum für Ermessenserwägungen ist insoweit nichteröffnet. (…)

Airbus-Erweiterung (Mühlenberger Loch)

OVG Hamburg, Urteil vom 2. Juni 2005 – 2 Bf 345/02

Leitsätze der Redaktion:1. Vorhaben, die nach dem Luftverkehrsgesetz planfeststellungs-

bedürftig sind, bedürfen einer Planrechtfertigung auch dann,wenn sie ausschließlich privatnützigen Zwecken dienen.

2. Das Luftverkehrsgesetz bietet eine rechtliche Grundlage dafür,bei dem unmittelbar nur privatnützigen Zwecken dienendenWerkflugplatz eines Flugzeugwerks die mittelbaren Auswirkun-gen einer Flugplatzerweiterung für das Gemeinwohl (Schaf-fung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie Stärkung derregionalen Wirtschaftsstruktur durch Ausweitung der Pro-duk-tion) in der Planfeststellung zu berücksichtigen, sofern auchunter diesem Gesichtspunkt eine Planrechtfertigung gegebenist (hier bejaht für die Planfeststellung zur Ermöglichung derProduktion des Airbus A380 in Hamburg-Finkenwerder).

3. Solche mittelbaren Gemeinwohlzwecke können es rechtferti-gen, von Fluglärm betroffene Anwohner auf die Inanspruch-nahme von passivem Lärmschutz für ihre Häuser und auf eineEntschädigung für die Beeinträchtigung von Außenwohnbe-reiche zu verweisen.

4. Die durch einen Dauerschallpegel zu bestimmende Grenze, biszu der ein durch Schutz-maßnahmen nicht zu verhindernderFluglärm im Außenwohnbereich entschädigungslos hin-genommen werden muss, liegt bei einem Flugplatz, der nurmittelbar dem gemeinen Wohl dient, niedriger als bei unmit-telbar gemeinnützigen Verkehrsflugplätzen (hier angenom-men mit einer Verminderung um 3 dB(A) bei einem Leq3-bewerteten Dauerschallpegel).

Vorinstanz: VG Hamburg 15 VG 1383/2002

Anmerkung der Redaktion zum Sachverhalt:Die Erweiterung eines Flugzeugwerkes in Hamburg-Finkenwerderzur Fertigung des Airbus A380, des größten Passagierflugzeuges derWelt, wurde durch Planfeststellungsbeschluss der Freien und Han-sestadt Hamburg vom 8. Mai 2000 gestattet. Der Kläger des vorlie-genden Verfahrens wohnt auf der nördlichen Seite der Elbe und istvon den Lärmimmissionen der zusätzlichen Starts und Landun-gen betroffen. Das Verwaltungsgericht sah in seinem Urteil vom27. August 2002 in der Lärmbelastung einen unzumutbaren Nach-teil im Sinne des § 9 Abs. 2 LuftVG und hob den Planfeststellungs-beschluss auf, zumal dem Vorhaben die Planrechtfertigung fehlenwürde. Die nachfolgend abgedruckte Entscheidung erging auf dieBerufung der beklagten Stadt und des beigeladenen Flugzeug-unternehmens.

Aus den Gründen:A. (…)

B. Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegteBerufung der Beklagten und der Beigeladenen hat Erfolg. Die nochanhängige Klage ist unbegründet, da der Kläger durch den Plan-feststellungsbeschluss der Beklagten vom 8. Mai 2000 jedenfalls inder Fassung, die er durch den Änderungsbeschluss vom 28.Februar 2002 gefunden hat, nicht in seinen subjektiven Rechtenverletzt wird (§ 113 Abs. 1 VwGO).

I. Der Kläger wird durch den wasserrechtlichen Teil des Planfest-stellungsbeschlusses vom 8. Mai 2000 nicht in seinen subjektivenRechten verletzt und kann auch im Übrigen insoweit keineRechtsverstöße rügen.

1. (…)2. Aus den von ihm geltend gemachten Normen des europäi-

schen Naturschutzrechts, insbesondere jenen der Richtlinie92/34/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (Abl. EG 1992, L 206, S. 7)– Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) – bzw. der Richtlinie desRates 79/409/EWG vom 2. April 1979 (ABl. EG 1979, L 103, S. 1) –Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL) – kann der Kläger eigene Rechtenicht herleiten, so dass dahinstehen kann, ob der wasserrechtlicheTeil des Planfeststellungsbeschlusses den Regelungen entspricht.Dem Kläger wird durch diese Normen schon eine Klagebefugnisnicht eingeräumt … (Anm. der Redaktion: Das Gericht führt diesenGedanken unter Bezugnahme auf den Beschluss des Berufungsge-richts (2 Bs 370/00) und der Rechtsprechung des EuGH, insbeson-dere dessen Urteil vom 7. Dezember 2000, Rs. C-374/98, weiter aus)

3. Ungeachtet der unter Anwendung von § 78 Abs. 1 Hmb-VwVfG erfolgten Verbindung des wasserrechtlichen und des luft-rechtlichen Teils zu einem einheitlichen Planfeststellungsbe-schluss kommt eine mögliche Rechtsverletzung des Klägers durchdessen wasserrechtlichen Teil schließlich nicht deshalb inBetracht, weil er vom luftrechtlichen Teil betroffen ist… (wird aus-geführt)

II. Der Kläger wird durch den luftrechtlichen Teil des Planfest-stellungsbeschlusses der Beklagten jedenfalls in der Fassung, dieder Beschluss durch den Änderungsbeschluss vom 28. Februar2002 gefunden hat, nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt.

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OVG Hamburg, A i rbus-Erwei terung (Mühlenberger Loch) | R E C H T S P R E C H U N G

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Das Vorhaben der Beigeladenen verfügt über die erforderlichePlanrechtfertigungn Lärmimmissionen in unzumutbarer Weise bela-stet (2.) noch anderen Gefahren ausgesetzt (3.). Seine Belange sindauch im Übrigen nicht unzureichend berücksichtigt worden (4.).

1. Das luftrechtliche Vorhaben der Beigeladenen bedarf einerPlanrechtfertigung i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gerichts (a); diese ist auch gegeben (b).

a) Eine Planrechtfertigung ist für luftrechtliche Vorhaben auchdann erforderlich, wenn sie ausschließlich privatnütziger Natursind. Die vom Kläger und vom Verwaltungsgericht vertretene Auf-fassung, eine Planrechtf (1.) und der Kläger wird weder durch diefür ihn zu erwartendeertigung sei nur erforderlich, wenn ein Vor-haben dem Interesse des Gemeinwohls dienen solle, trifft nichtzu. Wird allerdings für ein Vorhaben ein Gemeinwohlinteresse inAnspruch genommen so, so muss die Planrechtfertigung auchunter diesem Blickwinkel gegeben sein.

aa) (…)bb) Während bei einem ausschließlich privatnützigen Vorhaben

Grundlage der Prüfung der Planrechtfertigung, d. h. für die Prüfung,ob das Vorhaben nach den Zielen des Luftrechts »vernünftigerweisegeboten« ist, stets jene Erwägungen sein müssen, mit denen der Trä-ger des Vorhabens seinen Planfeststellungsantrag begründet, mussein dem Gemeinwohl dienendes Vorhaben sich insoweit an demgemeinwohlbegründenden Bedarf messen lassen….

b) Die Planrechtfertigung des luftrechtlichen Vorhabens der Bei-geladenen ist vorhanden. Das planungsrechtlich genehmigte Vor-haben ist nach der Zielsetzung des Luftverkehrsrechts »vernünfti-gerweise geboten«.

aa) (…)bb) Unter dem Blickwinkel des unmittelbar privatnützigen

Zweckes kommt es für die Planrechtfertigung darauf an, ob die Bei-geladene einen Bedarf für die Planfeststellung dargetan hat, beidem sich sagen lässt, dass er bei vernünftiger Betrachtungsweisebesteht. Das ist der Fall.

Für die Verwirklichung einer Fertigung des Flugzeugtyps A3XX –im Folgenden wird generell die Bezeichnung A380 gewählt, soweiteine andere Bezeichnung nicht aus dem Zusammenhang erforder-lich ist – am Standort Hamburg-Finkenwerder, wie sie Gegenstanddes Planfeststellungsantrags der Beigeladenen ist, sind die luft-rechtlich planfestgestellten Anlagen, insbesondere die Verlänge-rung der Start- und Landebahn sowie die Erhöhung der Zahl derzulässigen Flugbewegungen, erforderlich. Es war stets unstreitig,dass Flugzeuge dieser Größenordnung auf den zuvor vorhandenenAnlagen des Werkflugplatzes der Beigeladenen nicht starten undlanden können. Eine Versagung der Planfeststellung für die Erwei-terung der Anlagen des Sonderlandeplatzes hätte zugleich zwin-gend zur Folge gehabt, dass eine mit Flugbewegungen dieser Flug-zeuge verbundene Mitwirkung an der Fertigung am Standort Ham-burg-Finkenwerder nicht möglich wäre. Dieser Bedarf besteht auchfür die Erhöhung der Zahl der zulässigen Flugbewegungen. Ohnederen Erhöhung gegenüber dem zuvor zulässigen Stand könntenweder die erforderlichen zusätzlichen Flüge des neuen Flugzeug-typs abgewickelt werden noch die Produktion der Typen A318,A319 und A321 auf den angestrebten Umfang erhöht werden.

Der Planrechtfertigung steht nicht entgegen, dass es Standortal-ternativen für die Produktion des A380 gegeben hat. Der klägeri-sche Hinweis darauf dar, dass eine Fertigung des Flugzeugtyps A380an anderen (Bewerber)Standorten in Deutschland oder in andereneuropäischen Ländern möglich sei, mit der Folge, dass dann eineErweiterung dieses Flugplatzes nicht erforderlich wäre, zielt daraufab, in Frage zu stellen, ob die Produktion dieses Flugzeugtyps imFlugzeugwerk Hamburg-Finkenwerder als solche einem inhaltlichberechtigten unternehmerischen Anliegen der Beigeladenen ent-spricht. Eine derartige Prüfung ist grundsätzlich nicht Gegenstand

der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen der Planrechtfertigung(vgl. jetzt zum Verkehrsbedürfnis für Nachtflugverkehr auchBVerwG, Beschl. v. 19.5.2005, UPR 2005, S. 305, 306). (...)

(1) Die Planrechtfertigung würde fehlen, wenn zum Zeitpunktder Planfeststellung objektiv ausgeschlossen gewesen wäre, dassdas Vorhaben auch verwirklicht werden kann (vgl. z.B. BVerwG,Urt. v. 24.11.1989, BVerwGE Bd. 84, S. 123, 128; Urt. v. 20.5.1999,NVwZ 2000, S. 555, 558). Dies ist nicht zu erkennen. (…)

(2) An einer Planrechtfertigung für das planfestgestellte Vorha-ben mangelt es ferner nicht etwa, weil seine Verwirklichung vonvornherein nicht beabsichtigt gewesen ist (vgl. hierzu BVerwG,Urt. v. 24.11.1989, BVerwGE Bd. 84, S. 123, 128); dementspre-chend ist der Planfeststellungsbeschluss nicht etwa – wie dies derKläger meint – gemäß § 44 Abs. 1, 2 HmbVwVfG i.V.m. §§ 138, 242BGB nichtig. Die Verwirklichungsabsicht fehlt hierbei bezogen aufden Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses nichtbereits dann, wenn lediglich unsicher ist, ob das planfestzustel-lende Vorhaben verwirklicht werden wird. Vielmehr muss es fürdie Geltungsdauer des Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlos-sen sein, dass das Vorhaben verwirklicht werden soll oder kann.

(…)cc) Auch unter dem Blickwinkel des Wohls der Allgemeinheit ist

die Planrechtfertigung vorhanden. Die beklagte Planfeststellungsbehörde durfte die von der Beige-

ladenen und der Freien und Hansestadt Hamburg übereinstim-mend angeführten positiven Auswirkungen einer Produktion desA380 auf die Zahl der Arbeitsplätze und die Stärkung des Luftfahrt-standortes Hamburg und ihrer Folgewirkungen für die gesamteregionale Wirtschaftsstruktur als Interesse der Allgemeinheit ander Erweiterung des Sonderlandeplatzes der Beigeladenen als Plan-rechtfertigung zugrunde legen. Dass diese Erweiterung in Überein-stimmung mit dem Willen der in Hamburg für die Raumplanungzuständigen Hamburgischen Bürgerschaft steht, hat diese bereitszum Beginn des Planfeststellungsverfahrens hinreichend deutlichgemacht. Die Hamburgische Bürgerschaft hat den für die Verwirk-lichung des Gesamtvorhabens erforderlichen Staatsverträgen mitden Ländern Niedersachsen (Gesetz v. 11.11.1998, GVBl. S. 231)und Schleswig-Holstein (Gesetz v. 9.12.1998, GVBl. S. 285) überdie Schaffung naturschutzrechtlicher Ausgleichsflächen für dieteilweise Zuschüttung des Mühlenberger Lochs ausdrücklich zuge-stimmt und die in den Verträgen zum Ausdruck kommende Ziel-setzung gebilligt, zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung im norddeutschen Raum und zur Schaffung neuerArbeitsplätze solle das Projekt A380 auch unter Inkaufnahme derdamit verbundenen ökologischen Folgen und Ausgleichserforder-nisse betrieben werden. Auch im 8. Gesetz zur Änderung des Hafe-nentwicklungsgesetzes vom 14. Juli 1999 (GVBl. S. 154) hat dieHamburgische Bürgerschaft ihre Zustimmung zum Vorhabenerneut zum Ausdruck gebracht, indem sie den für die nordöstlicheErweiterung der Start- und Landebahn erforderlichen Bereich vonLand- und zu verfüllenden Wasserflächen unter Bezugnahme aufdas A380-Projekt aus dem hamburgischen Hafengebiet ausgeglie-dert hat. Das Bestreben des politischen Senats auf Förderung bzw.Umsetzung des Gesamtprojektes hat die Bürgerschaft und ihreAusschüsse auch im Übrigen vor Beginn und während des Plan-feststellungsverfahrens beschäftigt und aufgrund der positivenWirkungen auf die Wirtschaftstruktur und die Beschäftigungderen ausdrückliche Billigung gefunden.

Die Erwartung, die Produktion wesentlicher Teile des Flugzeug-typs A380 könne Hamburg als Standort der Luftfahrtproduktionnachhaltig stärken und in Hamburg und der umliegenden Regionunmittelbar im Flugzeugwerk der Beigeladenen sowie mittelbar inZulieferbetrieben mehrere Tausend neue Arbeitsplätze schaffen,entbehrte auch nicht etwa jeder Grundlage. Neben entsprechen-

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den gutachtlichen Äußerungen, auf die sich die Beklagte im Plan-feststellungsbeschluss bezogen hat, hat die Kommission derEuropäischen Gemeinschaften diese Einschätzung in ihrer Stel-lungnahme vom 19. April 2000 geteilt, in der sie das Gesamtpro-jekt trotz seiner Auswirkungen auf Flora und Fauna wegen seinerAuswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale Lage in Nord-deutschland sowie seine technologische Bedeutung als durchzwingende Interessen i.S.v. Art. 6 Abs. 4 der FFH-Richtliniegerechtfertigt angesehen hat. (…)

Der Umstand, dass eine dauerhafte Sicherung der positiven Wir-kungen für das Wohl der Allgemeinheit zum Zeitpunkt der Plan-feststellungsentscheidung nicht vorhanden war, zumal die Ent-scheidung darüber, ob das Projekt A380 überhaupt und am Stan-dort Hamburg verwirklicht werden würde, zu diesem Zeitpunktnoch nicht gefallen war, steht der mittelbaren Gemeinnützigkeitdes Projektes nicht entgegen. Für die Prognose der Planfeststel-lungsbehörde muss es ausreichen, dass zum Zeitpunkt ihrer Ent-scheidung für den Fall der Verwirklichung des Vorhabens diebegründete Aussicht besteht, der angestrebte Gemeinwohlzweckkönne dauerhaft erreicht werden. Diese Aussicht war auf der Basisder Planungen nicht unbegründet. Die zwischenzeitliche Entwick-lung im Rahmen der Verwirklichung des Baus des A380 am Stan-dort bestätigt diese Einschätzung. (…)

2. Einer Verwirklichung des luftrechtlichen Vorhabens stehenim Rahmen der umfassenden fachplanerischen Abwägung deröffentlichen und privaten Belange nach § 8 Abs. 1 LuftVG mitBlick auf die subjektiv-öffentlichen Rechte des Klägers keine imWege der fachplanerischen Abwägung unüberwindlichen Schran-ken entgegen, deren fehlende Beachtung die Aufhebung des Plan-feststellungsbeschlusses zur Folge haben müsste.

Insbesondere genügt der angefochtene Planfeststellungsbe-schluss zumindest nach dem Änderungsbeschluss vom 28. Februar2002 hinsichtlich der dem Kläger zugemuteten

Lärmimmissionen den Anforderungen des § 9 Abs. 2 LuftVG.Weitergehende Schutzvorkehrungen sind nicht erforderlich.

Maßnahmen zur weiteren Beschränkung des Flugverkehrs sindjedenfalls nicht mehr geboten, seitdem der Änderungsbeschlussvom 28. Februar 2002 keinen Nachtflugbetrieb mehr zulässt. (…)

b) Soweit der Kläger im Inneren seines Wohnhauses von Lär-mimmissionen betroffen ist, wird er durch die im Planfeststellungs-beschluss vom 8. Mai 2000 gemäß § 9 Abs. 2 LuftVG getroffenenSchutzauflagen auf Gewährung passiven Lärmschutzes in einerWeise geschützt, dass durch den Flugplatz der Beigeladenen verur-sachte unzumutbare Immissionsbelastungen nicht auftreten.

Da das Vorhaben der Beigeladenen mittelbar Zwecken desGemeinwohls dient, ist es nicht zu beanstanden, dass ein ausrei-chender Schutz des Klägers vor Fluglärmimmissionen nur durchMaßnahmen passiven Lärmschutzes an seinem Haus gewährlei-stet wird. Insofern kommt es nicht darauf an, ob der Kläger auchbei einem ausschließlich privatnützigen Vorhaben jedenfalls aufdie Inanspruchnahme derartiger Schutzeinrichtungen verwiesenwerden könnte, wie dies der 3. Senat des Berufungsgerichts ange-nommen hat (Beschl. v. 13.12.1994, OVG Bs III 376/93, Beschluss-umdruck S. 36 ff. – in Juris; Urt. v. 2.3.1998, OVG Bf III 41/96,Urteilsabdruck S. 35 – in Juris; Hofmann/Grabherr, LuftVG, Stand2.2005, § 8 LuftVG Rn. 10) oder ob nicht nur der Verweis auf eineEntscheidung nach § 74 Abs. 2 Satz 3 HmbVwVfG, sondern auchder Verweis auf passive Schutzmaßnahmen bei rein privatnützi-gen Vorhaben ausgeschlossen ist, wie dies der Kläger und das Ver-waltungsgericht meinen.

Mit dem durch den Planfeststellungsbeschluss festgelegtenSchutzziel eines in Wohnräumen bei ausreichender Belüftungnicht zu überschreitenden Dauerschallpegels von Leq3 40 dB(A) –im folgenden sind alle Immissionswerte als Leq3-Werte zu verste-

hen (Halbierungsparameter 3 dB(A)) – während der Tageszeit (6.00Uhr bis 22.00 Uhr) und einer Begrenzung der bis zu 75 dB(A) errei-chenden Maximalpegel auf werktäglich fünf im Jahresdurch-schnitt wird ein hinreichender Schutz des Klägers vor Lärmimmis-sionen des Flugplatzes der Beigeladenen vorgesehen. Aufgrund derim Planfeststellungsbeschluss vorgeschriebenen kumulativenAnwendung beider Schutzbestimmungen wird sich für das Grund-stück des Klägers im Gebäudeinneren im Ergebnis eine Begren-zung des Dauerschallpegels auf nicht mehr als 35 dB(A) ergeben,wie sie der Kläger reklamiert.

aa) (…) Im Ergebnis mutet der streitige Planfeststellungsbeschlussauf diese Weise dem Kläger im Innenwohnbereich seines Hauseskeinen höheren Dauerschallpegel zu, als er (auch) in den Gerichts-verfahren um den Planfeststellungsbeschluss vom 8. März 1993 –auf der Basis einer privatnützigen Planfeststellung – als unerhebli-che Belästigung i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB angesehen worden ist.

In konsequenter Umsetzung dieses Ansatzes vermittelt der Plan-feststellungsbeschluss den Betroffenen bei einem Dauerschallpe-gel von 55 bis 65 dB(A) einen Anspruch auf den Einbau einer Lüf-tungsanlage in Wohn- und Schlafräumen. Dem liegt die Annahmezugrunde, dass ein normales geschlossenes Fenster eine Däm-mung von 25 dB(A) bewirkt (Basis VDI-Richtlinie 2719; OVGHamburg, Urt. v. 2.3.1998, a.a.O. 24 dB(A) – in juris). Bei nochhöheren Dauerschallpegeln besteht zusätzlich ein Anspruch aufSchallschutzfenster unterschiedlicher Dämmwirkung. DiesesSchutzziel reicht nach dem Maßstab des § 9 Abs. 2 LuftVG aus.

(1) Die Beklagte hatte keine Veranlassung, bei dieser an denDauerschallpegel anknüpfenden Schutzvorkehrung einen niedri-geren Zielwert im Innenwohnbereich des Gebäudes, etwa jenenvon 35 dB(A), festzulegen, wie der Kläger unter Verweis auf dieImmissionsrichtwerte der TA Lärm und technischer Regelwerkesowie die bauplanerische Ausweisung seines Grundstücks als rei-nes Wohngebiet im Bebauungsplan Nienstedten 10 (v. 4.4.1979,GVBl. S. 109) geltend macht. (…)

Nach nahezu einhelliger Auffassung in Rechtsprechung undLiteratur kommt jedoch eine schematische Übernahme von Richt-und Grenzwerten aus anderen Bereichen des Immissionsschutz-rechts auf den Fluglärm aus vielfältigen Gründen nicht inBetracht. (…)

(2) Im Rahmen der einzelfallbezogenen Ermittlung der Zumut-barkeitsgrenze hat der 3. Senat des Berufungsgerichts in seinenEntscheidungen (vgl. Beschl. v. 13.12.1994, OVG Bs III 376/93 – injuris; Urt. v. 2.3.1998, Bf III 41/96, Urteilsabdruck S. 13, 48 ff. – injuris) zum Planfeststellungsbeschluss von 1993 unter Würdigungder örtlichen Verhältnisse im Einflugbereich am nördlichen Elbu-fer für die Kläger jener Verfahren einen Dauerschallpegel von 55dB(A) als Grenze zur erheblichen Belästigung durch Flugverkehrs-immissionen angesehen, die nicht mehr ohne Schutzauflagen zuGunsten der Grundstückseigentümer zumutbar ist. Der erken-nende Senat sieht keinen Grund, von dieser Einschätzung abzu-weichen, die auch der Bestimmung des Schutzziels durch dieBeklagte im angegriffenen Planfeststellungsbeschluss zugrundeliegt. (...)

(3) (…)aa) (...)bb) Hinsichtlich der bei einem Überflug zu erwartenden Maxi-

malpegel enthält der Planfeststellungsbeschluss vom 8. Mai 2000zusätzlich zu jenen zum Dauerschallpegel eigenständige Schutz-auflagen. Als Schutzziel dürfen im Innenwohnbereich beim Über-flug der Grundstücke im Jahresdurchschnitt pro Werktag höch-stens fünf Maximalpegel zwischen 60 und 75 dB(A) auftreten.Damit korrespondiert für Wohnräume ein Schutzanspruch auf denEinbau von Lüftungsanlagen bei fünf und mehr Maximalpegelnaußerhalb des Hauses zwischen 75 und 85 dB(A) sowie auf Lüf-

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tungsanlagen und Isolierglasfenster bei Maximalpegeln zwischen85 und 90 dB(A) sowie zusätzlich auf Schallschutzfenster mit einemDämmmaß von mindestens 35 dB(A) bei fünf und mehr Maximal-pegeln von mehr als 90 dB(A). Hierzu hat die Beklagte in der münd-lichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht in Übereinstim-mung mit der Beigeladenen klargestellt, dass der im Zusammen-hang mit den Maximalpegeln verwendete Begriff der»Wohnräume« als Oberbegriff aller Aufenthaltsräume zu verstehenist und insbesondere auch die »Schlafräume« mit umfasst. (...)

(1) Das festgelegte Schutzziel für Spitzenpegel ist nicht zu bean-standen. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich ein Rechts-anspruch darauf, bei jedem Überflug im Innenbereich seines Hau-ses keinem 55 dB(A) übersteigenden Spitzenpegel ausgesetzt zusein, nicht daraus herleiten, dass derartige Regelungen mittler-weile für die Nachbarschaft einzelner Verkehrsflughäfen vorgese-hen seien und deshalb zumindest ein Sanierungsbedarf gegenüberdem bisher zulässigen Zustand bestehe.

Wie bereits ausgeführt, ist der für die Nachbarschaft eines Flug-platzes zumutbare Umfang von Lärmimmissionen an- und abflie-gender Flugzeuge jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zubestimmen. Aus der Festsetzung bestimmter Immissionsgrenz-werte in einem Planfeststellungsbeschluss, die zudem vom Trägerdes Vorhabens nicht angefochten worden sind, kann schon des-halb nicht geschlossen werden, die jeweils getroffenen Festsetzun-gen kennzeichneten trennscharf die Grenze zwischen an diesemStandort zumutbaren unerheblichen Belästigungen und solchen,die die Nachbarschaft bereits erheblich belästigen und deshalbohne Schutzauflagen unzumutbar sind. Aber auch in der Sachelässt sich aus den für die vom Kläger genannten VerkehrsflughäfenMünchen II, Berlin/Brandenburg und Düsseldorf getroffenenRegelungen nicht der Schluss ziehen, jeder 55 dB(A) übersteigendeSpitzenpegel im Innenwohnbereich sei während des Tageszeit-raums von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr generell unzumutbar. (...)

(2) Der Kläger ist unter Berücksichtigung der zuerkanntenAnsprüche auf passiven Lärmschutz nicht einer solchen Zahl von55 dB(A) übersteigenden Maximalpegeln ausgesetzt, dass diegeschilderten Kommunikationsstörungen zu befürchten sind. (...)

(3) Der Kläger hat einen weitergehenden Schutzanspruch auf-grund 55 dB(A) im Inneren seines Hauses übersteigender Spitzen-pegel auch nicht für dessen Schlafräume. Nach der durch denÄnderungsbeschluss vom 28. Februar 2002 erfolgten abschließen-den Beschränkung der Betriebszeit für den Sonderlandeplatz aufden Tageszeitraum von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr macht er weiterhingeltend, durch einen Verlust der im Planfeststellungsbeschlussvom 8. Mai 2000 zusätzlich festgesetzten Schutzansprüche fürSchlafräume während der Nachtzeit fehle dort in der Zeit von 6.00Uhr bis 7.00 Uhr morgens ausreichender Schutz, weil nicht mehrsichergestellt sei, dass dort während dieser Zeit keine 55 dB(A)übersteigenden Spitzenpegel auftreten.

Ein Rechtsanspruch des Klägers auf dieses Schutzniveau fürseine Schlafräume besteht nicht. (…)

c) aa) Der Planfeststellungsbeschluss vom 8. Mai 2000 ist rechts-widrig, soweit er für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichsdurch Lärmimmissionen des Flugbetriebs auf dem Flugplatz derBeigeladenen keine Entschädigungsregelungen vorsieht.

Dem Planfeststellungsbeschluss liegt insoweit die in der Begrün-dung zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung der Beklagtenzugrunde, ein Schutz vor Lärmimmissionen außerhalb derGebäude sei als solcher nicht möglich, Anlass zur Regelung derVoraussetzungen von Entschädigungszahlungen nach § 74 Abs. 2Satz 3 HmbVwVfG bestehe jedoch erst, wenn die Immissionsbela-stung eine gegenüber Ansprüchen auf passiven Lärmschutz sehrviel höhere Grenze überschreite, die nach Auffassung des VGH

Mannheim (Urt. v. 19.6.1989 – 5 S 3175/87) auch erst bei der ent-eignungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze liegen könne.

Diese Rechtsauffassung widerspricht hinsichtlich der Relevanzvon Lärmimmissionen im Außenwohnbereich der Rechtspre-chung des Bundesverwaltungsgerichts, die das Berufungsgerichtseiner Beurteilung zugrundelegt. Das Bundesverwaltungsgerichthat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass Anspruch auf Schutz-vorkehrungen bzw. Entschädigungen wegen Lärmimmissionenim Außenwohnbereich nicht erst beim Erreichen der Schwelleeiner enteignungsrechtlich unzumutbaren Lärmbelastung besteht(BVerwG, Urteil v. 29.1.1991, BVerwGE Bd. 87, S. 332, 386; vgl. fer-ner zu einzelnen Grenzwerten z.B. Beschluss v. 29.12.1998, Buch-holz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 12 zum Flughafen München II; Urt. v.27.10.1998, BVerwGE Bd. 107, S. 313, 333 ff. zum FlughafenErfurt; Beschl. v. 29.4.2002, 9 B 10.02, in juris – zum Urt. d.HmbOVG v. 3.9.2001, NordÖR 2002, 241, 250 f. zum FlughafenHamburg-Fuhlsbüttel). (…)

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwal-tungsgerichts und der Tatsachenfeststellungen der jeweils beteilig-ten Verwaltungsgerichtshöfe/Oberverwaltungsgerichte, bedarf esdeshalb einerseits besonderer Begründungen, um erst einen über65 dB(A) liegenden Dauerschallpegel als Erheblichkeitsgrenze fürden Außenwohnbereich anzusehen. Andererseits ist möglich, dassdie örtlichen Verhältnisse Veranlassung für eine niedrigere Zumut-barkeitsgrenze geben (vgl. etwa VGH München, Urt. v. 4.11.1997,BayVBl. 1998, S. 756 f. zum Flughafen München II mit 64 dB(A)).

Die Erheblichkeitsgrenze im Außenwohnbereich wird dabeinicht allein durch das Gewicht der Kommunikationsbeeinträchti-gungen und die Gebietsstruktur bestimmt. Auch der Zweck desVorhabens ist ein Gesichtspunkt, der für die Störungswirkung beiden Lärmbetroffenen nicht ohne Bedeutung und deshalb in dieBewertung der zumutbaren Belastungsgrenzen einzubeziehen ist(vgl. z.B. Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 9 Rn. 46; Wsyk in: Ziekow,Fachplanungsrecht, S. 629 f.). Zweck bzw. Bedeutung eines Vorha-bens finden ihren Niederschlag auch in der Rechtsprechung desBundesgerichtshofes, die zum Beispiel bei der Zumutbarkeits-grenze für Entschädigungen aufgrund enteignender Wirkung zwi-schen Fluglärmimmissionen von militärischen Flugplätzen undZivilflugplätzen unterscheidet (vgl. Beschl. v. 30.1.1986, NJW1986, S. 2423 unter Verweis auf BGHZ 59, S. 378 einerseits undBGHZ 69, S. 105 und 79, S. 45 andererseits).

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist bei der Betrachtungdes Zwecks hier von Bedeutung, dass das Vorhaben der Beigela-denen keinen unmittelbar dem Gemeinwohl dienenden Verkehrs-flughafen betrifft, wie diese Gegenstand der genannten Entschei-dungen des Bundesverwaltungsgerichts und der weiteren Verwal-tungsgerichte waren, sondern der Werkflugplatz der Beigeladenenseinen mittelbaren Gemeinwohlbezug nur aus der Wirkung derindustriellen Produktionstätigkeit im Flugzeugwerk der Beigela-denen auf die Zahl der Arbeitsplätze und für die Förderung derWirtschaftsstruktur der Region herleiten kann. Die industrielleProduktion von Flugzeugen durch die Beklagte bleibt als solcheeine privatnützige Tätigkeit. Der unmittelbare wirtschaftlicheErfolg der unternehmerischen Tätigkeit schlägt sich für die Nach-barschaft darin nieder, dass diese durch Flugverkehrsimmissionentendenziell um so stärker belastet wird desto größer der wirtschaft-liche Erfolg der Beigeladenen wird, weil sich die Zahl der im Werkgefertigten Flugzeuge und der Flugzeugteile erhöht, die auf demLuftweg transportiert werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen,dass den von Fluglärm Betroffenen aufgrund der mit Fluglärm-immissionen verbundenen Besonderheiten im Außenwohnbe-reich gegenwärtig generell höhere Schallleistungen zugemutetwerden als dies bei anderen Verkehrsträgern der Fall ist. Vor die-sem Hintergrund rechtfertigen es die mittelbaren gemeinwohlbe-

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OVG Hamburg, A i rbus-Erwei terung (Mühlenberger Loch) | R E C H T S P R E C H U N G

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zogenen Wirkungen des Vorhabens zwar, dass der Kläger größereBelastungen hinzunehmen hat als dies der Fall wäre, wenn es alsausschließlich privatnützig anzusehen und einem emittierendenIndustriebetrieb gleichzusetzen wäre. Sie rechtfertigen es abernicht, der Nachbarschaft die gleichen Belastungen zuzumuten, diediese in der Nachbarschaft eines Verkehrsflughafens oder einesMilitärflugplatzes wegen deren unmittelbar gemeinwohlbezoge-ner Zwecksetzung hinzunehmen haben.

Der Begrenzung der Immissionsbelastung des Außenwohnbe-reichs kommt dabei zusätzliches Gewicht deshalb zu, weil dieWohngrundstücke im nördlich der Elbe liegenden Betroffenheits-gebiet in weit überwiegendem Umfang sowohl tatsächlich alsauch planungsrechtlich durch einen eher großzügigen, starkdurchgrünten Zuschnitt gekennzeichnet sind, der eine Nutzungder Gartenbereiche zu Wohnzwecken in besonderem Maßeermöglicht. (…)

bb) Ob dabei dem Kläger für sein Grundstück ein Entschädi-gungsanspruch hätte zuerkannt werden müssen, ist zweifelhaft,weil sein Grundstück möglicherweise keinen Außenwohnbereichim Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl.z.B. BVerwG, Urt. v. 29.1.1991, BVerwGE Bd. 87, S. 332, 385 f.; Urt.v. 11.11.1988, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 6) aufweist. Dennnicht jede Gartenfläche eines Wohngrundstücks bildet einenAußenwohnbereich. (…)

cc) (…) Der für das Grundstück zugrunde zu legende Dauer-schallpegel wird aber den Umfang von 60,4 dB(A) voraussichtlichnicht überschreiten, wie sich aufgrund der im Laufe des Beru-fungsverfahrens vorgelegten ergänzenden Berechnungen, insbe-sondere jenen der Berechnung vom 13. April 2005 (Bericht Müller-BBM Nr. 59311/10) unter Berücksichtigung der nachfolgend erläu-terten Zuschläge zur Überzeugung des Berufungsgerichts ergibt.Für die Behauptung des Klägers, der zu erwartende Dauerschallpe-gel sei in Wirklichkeit deutlich höher, fehlt es an einer schlüssigenGrundlage. Dieses Ergebnis beruht im Einzelnen auf folgendenErwägungen. (wird umfänglich ausgeführt)

3. Weitere subjektive Rechte des Klägers sind durch das luft-rechtliche Vorhaben nicht in einer Weise beeinträchtigt, dass ihregebotene Wahrung entweder das Vorhaben insgesamt in Fragestellt oder ihre Verletzung nur durch eine Verpflichtung derBeklagten zu weiteren Schutzauflagen gemäß § 9 Abs. 2 LuftVGabgewendet werden kann. (...)

4. Rechtsfehler zu Lasten des Klägers sind auch im Rahmen derweiteren fachplanerischen Abwägung der öffentlichen und priva-ten Belange gemäß § 8 Abs. 1 LuftVG nicht erkennbar. Weder hatdie Beklagte geltend gemachte Belange des Klägers, die einer Zulas-sung des luftrechtlichen Vorhabens entgegenstehen oder zu Modi-fikationen Anlass geben könnten, gar nicht erwogen oder – jeden-falls auf der Basis des Änderungsbeschlusses vom 28. Februar 2002- in ihrer Bedeutung nicht zutreffend erkannt, noch ist die Abwä-gung zu Lasten des Klägers in einer Weise erfolgt, die der Gewich-tigkeit seiner Belange nicht ausreichend Rechnung trägt.

Die Belange des Klägers werden durch das luftrechtliche Vorha-ben nahezu ausschließlich durch die Immissionen der den Flug-platz der Beigeladenen benutzenden Flugzeuge betroffen. Auchunterhalb der Ebene erheblicher Belästigungen, die Anlass zuSchutzauflagen zu Gunsten des Klägers waren, ist insoweit eineunzureichende Berücksichtigung seiner Belange nicht ersichtlich.(…)

Keine unzureichende Berücksichtigung der Belange des Klägersist darin zu sehen, dass ihm eine höhere Immissionsbelastung imAußenbereich seines Grundstücks zugemutet wird, als er sie beieinem ausschließlich privatnützigen Vorhaben hinzunehmenhätte, obwohl die gemeinwohlbegründenden Wirkungen des Vor-

habens der Beigeladenen – im Falle seiner Verwirklichung – wederrechtlich noch faktisch dauerhaft gesichert sind. (...)

Keine Reduzierung des Immissionsschutzes durchBauleitplanung

OVG Münster, Beschluss vom 1. September 2005 – 8 A 2810/03

Leitsätze:1. Eine Gemeinde kann durch ihre Bauleitplanung nur gebietsbe-

zogen steuern, ob gewisse Nachteile oder Belästigungen imSinne von § 3 BImSchG erheblich sind.

2. Durch textliche Festsetzungen im Bebauungsplan nach § 9 Abs.1 Nr. 24 BauGB kann das Schutzniveau nicht mit Wirkung fürdas Immissionsschutzrecht gegenüber einer gebietsbezogen zuermittelnden Zumutbarkeitsschwelle abgesenkt werden. Beisolchen Festsetzungen hat sich die Gemeinde am Schutzmodelldes Bundes-Immissionsschutzgesetzes auszurichten und kannes nicht im Wege der Abwägung überwinden.

3. Passiver Schallschutz ist nach dem Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht ausreichend, um schädlicheUmwelteinwirkungen zu vermeiden. Er ist nur in den gesetz-lich ausdrücklich vorgesehenen Fällen unter strengen Voraus-setzungen vorgesehen, damit ein Vorhaben, das dem Gemein-wohl dient, nicht wegen von ihm ausgehender schädlicherUmwelteinwirkungen scheitern muss.

4. Der baurechtliche Bestandsschutz einer störenden Nutzunggewährt nicht jede Nutzungsmöglichkeit, die tatsächlich mög-lich ist. Er kann sich auch gegenüber einer später hinzugetrete-nen und ihrerseits bestandskräftig gewordenen empfindlichenNutzung nur in den Grenzen entfalten, die ihm das dynamischangelegte Immissionsschutzrecht lässt.

Vorinstanz: VG Düsseldorf – 3 K 1366/02 –.

Aus dem Tatbestand:Die Klägerin wandte sich gegen eine Ordnungsverfügung, mit derihr aufgegeben worden war, ihre bislang für einen eingeschränk-ten Nutzerkreis durchgehend betriebene Kartentankstelle zumSchutz der Nachbarschaft in den Nachtstunden von 22.00 bis 6.00Uhr geschlossen zu halten.

Aus den Gründen:a) Der Einwand der Klägerin, die Schutzwürdigkeit benachbarterWohnbebauung werde von vornherein durch den Bebauungsplanauf passiven Schallschutz begrenzt, weil der Plangeber auf dieseWeise den sich aufdrängenden Lärmkonflikt planerisch bewältigthabe, greift nicht durch.

Es ist höchstrichterlich geklärt, dass das Immissionsschutz- unddas Bebauungsrecht in einer Wechselwirkung in dem Sinne zuein-ander stehen, dass einerseits das Bundes-Immissionsschutzgesetzdie gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft allgemeinund auch mit Wirkung für das Bebauungsrecht konkretisiert undandererseits sich die Schutzwürdigkeit eines Gebiets nach dembemisst, was dort planungsrechtlich zulässig ist. Die Gemeindekann durch ihre Bauleitplanung allerdings nur gebietsbezogensteuern, ob gewisse Nachteile oder Belästigungen im Sinne von § 3BImSchG erheblich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.4.1989 – 4 C52.87 –, NVwZ 1990, 257), weil der Begriff der erheblichen Beläs-tigungen, vor denen das Immissionsschutzrecht die Nachbar-schaft schützt, im Sinne einer Zumutbarkeitsschwelle bauge-bietsspezifisch zu definieren ist (vgl. BVerwG, Urteil vom12.8.1999 – 4 CN 4.98 –, BVerwGE 109, 246 = DVBl. 2000, 187,m.w.N; grundlegend Urteil vom 21.5.1976 – IV C 80.74 –, BVer-wGE 51, 15, 29 ff.).

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R E C H T S P R E C H U N G | OVG Münster, Ke ine Reduz ierung des Immiss ionsschutzes durch Baule i tp lanung

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Das schließt es aus, das Schutzniveau durch andersartige Festset-zungen mit Wirkung für das Immissionsschutzrecht gegenübereiner gebietsbezogen zu ermittelnden Zumutbarkeitsschwelleabzusenken.

Zwar sind die Gemeinden im Rahmen ihrer Bauleitplanungnicht auf die Abwehr von schädlichen Umwelteinwirkungen imSinne von § 3 BImSchG beschränkt, sondern dürfen darüber hin-aus auch durch andersartige Festsetzungen entsprechend demVorsorgeprinzip des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG schon vorbeugen-den Umweltschutz betreiben (vgl. BVerwG, Urteile vom 28.2.2002– 4 CN 5.01 –, DVBl. 2002, 1121, und vom 14.4.1989, a.a.O.).Dadurch können sie aber gerade keinen weitergehenden Einflussauf die Bestimmung der Erheblichkeit von Belästigungen oderNachteilen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG nehmen als durchdie Festlegung der Gebietsart. Insoweit können sie lediglich einendarüber hinausgehenden Schutz gewähren, ohne dass dieser sichauf die für das Immissionsschutzrecht maßgebliche gebietsbezo-gene Schutzwürdigkeit auswirken würde.

Ausgehend hiervon hat das BVerwG aufgezeigt, dass der gebiets-bezogene Zumutbarkeitsmaßstab des Immissionsschutzrechts vonder Bauleitplanung zu beachten ist und nicht im Wege der Abwä-gung überwunden werden kann. Es hat ausdrücklich klargestellt,dass die Gemeinden, die vorbeugenden Umweltschutz betreibendürfen, gerade nicht auch umgekehrt berechtigt sind, sich überGrenzwertregelungen, durch die die Erheblichkeitsgrenze im Sinnedes Schutzstandards der §§ 5 und 22 BImSchG zugunsten derNachbarschaft auch mit Wirkung für das Städtebaurecht konkreti-siert wird, sehenden Auges hinwegzusetzen und Festsetzungen imBebauungsplan zu treffen, deren Verwirklichung an den Anforde-rungen des Immissionsschutzrechts scheitert (vgl. BVerwG, Urteilvom 28.2.2002, a.a.O.; Nds. OVG, Urteil vom 3.7.2000 – 1 K1014/00 –, DVBl. 2000, 1871). Auch diese Beschränkung der Bau-leitplanung durch das Immissionsschutzrecht steht einem Ver-ständnis der hier streitigen Festsetzung passiven Schallschutzes indem von der Klägerin vertretenen Sinne entgegen.

Abgesehen von der lediglich baugebietsbezogenen Beeinflussbar-keit des immissionsschutzrechtlichen Schutzniveaus und der Not-wendigkeit, die dadurch gesetzten Grenzen bei der Bauleitplanungeinzuhalten, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass sich dieFunktion des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB, auf den die hier streitigetextliche Festsetzung im Bebauungsplan gestützt ist, darin erschöpft,eine Festsetzungsmöglichkeit unter anderem für Vorkehrungen»zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigenGefahren im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes« zu schaf-fen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.5.1995, a.a.O., 2573).

Aus diesem Wortlaut folgt unmittelbar, dass Festsetzungen nach§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB nicht zur Bestimmung der für die Schäd-lichkeit von Umwelteinwirkungen maßgeblichen Schutzwürdig-keit eines Gebiets heranzuziehen sind, sondern lediglich ermögli-chen, dem sich aus dem Immissionsschutzrecht ergebendengebietsbezogen zu bestimmenden Schutzanspruch Geltung zu ver-schaffen. Darüber hinaus sind sie ein Mittel, dem vorbeugendenUmweltschutz zu dienen. Jedoch hat sich eine Gemeinde, die Fest-setzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB treffen will, amSchutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auszurichtenund kann dies nicht im Wege der Abwägung überwinden (vgl.BVerwG, Beschluss vom 17.5.1995, a.a.O., 2573).

Nach dem Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzesist insbesondere passiver Schallschutz aber nicht ausreichend, umschädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden. Er ist nur in dengesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen unter strengen Vor-aussetzungen vorgesehen, damit ein Vorhaben, das dem Gemein-wohl dient, nicht wegen von ihm ausgehender schädlicherUmwelteinwirkungen scheitern muss. Nur für solche Fälle kann

eine Festsetzung passiver Schallschutzmaßnahmen nach § 9 Abs.1 Nr. 24 BauGB in einem Bebauungsplan dem Schutzmodell desBImSchG Rechnung tragen. Der Hauptanwendungsfall ist dieStraßenplanung durch Bebauungsplan gemäß § 17 Abs. 3 FStrGoder § 38 Abs. 4 StrWG NRW, weil die §§ 41 f. BImSchG für dieStraßenplanung ausdrücklich vorsehen, inwieweit Maßnahmendes aktiven Schallschutzes zu ergreifen sind und unter welchenbesonders geregelten engen Voraussetzungen auf passiven Schall-schutz ausgewichen werden darf. Eine vergleichbare Regelung ent-hält § 74 Abs. 2 VwVfG für die Planfeststellung. Auch dabei istdie Bestimmung, ob passiver Schallschutz zum Schutz der An-wohner genügt, gerade nicht Gegenstand planerischer Abwägung.Vielmehr legen diese Bestimmungen die Voraussetzungen hierfürgenau fest im Sinne einer äußersten Grenze, die im Wege der Ab-wägung nicht überwindbar und als zwingendes Recht bei der Pla-nung zu beachten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 28.1.1999 – 4 CN5.98 –, BVerwGE 108, 248 = DVBl. 1999, 1288, vom 18.4.1996 –11 A 86.95 –, BVerwGE 101, 73, vom 9.3.1990 – 7 C 21.89 –, BVer-wGE 85, 44, 49, vom 21.5.1976, a.a.O., 26 ff., und vom 14.2.1975 –IV C 21.74 –, BVerwGE 48, 56, 68 f.).

Da es für den vorliegenden Fall an einer besonderen gesetzli-chen Ermächtigung fehlt, zum Schutz vor schädlichen Umwelt-einwirkungen auf passiven Schallschutz auszuweichen, kann derhier erfolgten Festsetzung passiven Schallschutzes ungeachtet des-sen, was der Plangeber damit konkret bezweckt hat, rechtmäßignur die Funktion eines auf den Innenraum von Wohnhäusernbeschränkten vorbeugenden Umweltschutzes zukommen, um dieBewohner über den gebietsbezogenen Lärmschutz für ein Misch-gebiet hinaus ergänzend zu schützen.Jedenfalls führen die Festsetzungen passiven Schallschutzes imBebauungsplan nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB nicht zu einerAbsenkung der gebietsbezogenen Schutzwürdigkeit benachbarterWohnbebauung im festgesetzten Mischgebiet. Zweifel daran, dassder Beklagte diese zutreffend nach den Bestimmungen der TA Lärm1998 bestimmt hat, die sich grundsätzlich Geltung für alle Anlagenbeimisst, die den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen, und gemäß ihrer Nr. 1 Abs.3 Buchst. b) bb) insbesondere auch für Entscheidungen überAnordnungen im Einzelfall nach § 24 BImSchG zu beachten ist,zeigt die Antragsschrift nicht auf. Insbesondere stellt Nr. A.1.3 desAnhangs zur TA Lärm 1998 auf den für die Beurteilung maßgebli-chen Immissionsort einen halben Meter außerhalb vor der Mittedes geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffe-nen Raums ab. Dies trägt der Schutzwürdigkeit des Außenwohnbe-reichs und dem Interesse, ein Gebäude auch bei (gelegentlich)geöffnetem Fenster nutzen zu können, Rechnung (vgl. in diesemZusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 21.5.1976, a.a.O., 33).Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 2 der TA Lärm 1998 bestimmt, dass auch inGemengelagen die Immissionsrichtwerte für Mischgebiete (Nr. 6.1Satz 1 Buchst. c) nicht überschritten werden sollen. (…)

b) Der Einwand der Klägerin, das VG habe unzutreffendangenommen, ihr Betrieb genieße keinen Bestandsschutz, stellt dieRichtigkeit des angefochtenen Urteils im Ergebnis ebenfalls nicht inZweifel. Denn für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ord-nungsverfügung ist es unerheblich, ob der ohne die erforderlicheBaugenehmigung errichtete Betrieb der Tankanlage der KlägerinBestandsschutz genießt. Selbst wenn man dies zu Gunsten der Klä-gerin unterstellt, wäre die Ordnungsverfügung rechtmäßig. Zwarsind Störungen, die mit einem bestandsgeschützten Betrieb not-wendigerweise verbunden sind, um die Nutzung sinnvoll und funk-tionsgerecht auszuüben, vom Bestandsschutz umfasst und von hin-zutretender Wohnbebauung als Vorbelastung grundsätzlich hinzu-nehmen. Der Bestandsschutz gewährt aber schon von vornhereinnicht jede Nutzungsmöglichkeit, die tatsächlich möglich ist (vgl.

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BVerwG, Urteil vom 18.5.1995 – 4 C 20.94 –, NVwZ 1996, 379,381). Er kann sich nur in den Grenzen entfalten, die ihm das dyna-misch angelegte Immissionsschutzrecht lässt (vgl. BVerwG, Urteilvom 23.9.1999 – 4 C 6.98 –, BVerwGE 109, 314). Im Konflikt zwi-schen einer bestandsgeschützten störenden und einer nach den

Festsetzungen des Bebauungsplans zulässigen, später hinzugetrete-nen und bestandskräftig gewordenen empfindlichen Nutzung mussauch die störende Nutzung ihrerseits Rücksicht nehmen (vgl.BVerwG, Urteile vom 18.5.1995, a.a.O., und vom 23.5.1991 – 7 C19.90 –, BVerwGE 88, 210, 216). (…)

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R E C H T S P R E C H U N G I N L E I T S Ä T Z E N

Wiederaufforstungsanordnung

OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Oktober 2005 – 8 ME 165/05

Leitsatz:

Ist Wald »nur« gerodet oder kahlgeschlagen, aber keine neue, nichtforstwirtschaftliche Nutzung aufgenommen oder über die Rodungoder den Kahlschlag hinaus konkret vorbereitet worden, kann eineWiederaufforstungsanordnung nicht auf § 8 Abs. 8 Satz 1NWaldLG, sondern nur auf § 14 Satz 1 NWaldLG gestützt werden.

Rechtsanspruch auf UVP?

OVG Münster, Beschluss vom 15. September 2005 – 8 B 417/05

Leitsatz:Die Klärung der Frage, ob an der Auffassung festzuhalten ist, dass§ 10 BImSchG und § 3 UVPG keine nachbarschützenden Vorschrif-ten sind, oder ob im Hinblick auf Art. 10 a der UVP-Richtlinie, derbis zum 25.6.2005 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war undeine gerichtliche Überprüfung auch der verfahrensrechtlichenRechtmäßigkeit von Entscheidungen durch »Mitglieder derbetroffenen Öffentlichkeit« vorsieht, eine europarechtskonformeAuslegung der insoweit maßgeblichen innerstaatlichen Verfah-

rensvorschriften als drittschützend geboten ist, bleibt einemetwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Vorinstanz: VG Münster – 7 L 1587/04 –.

Abfallgebühr

VGH Kassel, Beschluss vom 8. September 2005 – 5 N 3200/02

Leitsatz der Redaktion:Die Berücksichtigung von Gebührenverlusten aus vergangenenRechnungsperioden bei der Kalkulation von Abfallgebühren stehtin Hessen im pflichtgemäßen Ermessen des Satzungsgebers. Einepflichtgemäße Ausübung des Ermessens liegt in der Regel nur vor,wenn der Ausgleich in der auf die Feststellung der Verluste fol-genden Kalkulationsperiode erfolgt.

Abfallablagerungsverordnung

OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Juli 2005 – 7 KS 115/02

Leitsatz der Redaktion:Durch die Gewährung von Ausnahmen von den Anforderungender Abfallablagerungsverordnung nach § 6 Abs. 2 AbfAblV kanneine Gemeinde nicht in ihren Rechten verletzt werden.

R E C H T S P R E C H U N G I N L E I T S Ä T Z E N

G E S E T Z G E B U N G

Malte Kohls/Moritz Reese/Peter Schütte

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtBerichtsperiode: 22. September bis 21. November 2005

Der parlamentarischen Diskontinuitätwegen hat sich in der zurückliegendenBerichtsperiode in der Bundesgesetzgebungwenig ereignet. Die politischen Kräfte warenüberwiegend damit beschäftigt, das Regie-rungsprogramm der Großen Koalition fürdie kommende Legislaturperiode auszuhan-deln. Aus dem Koalitionsvertrag werdennachfolgend die wesentlichen Ver-einba-rungen für den Bereich des Umweltschutzeswiedergegeben (A.). Mit erheblichen Neue-rungen gerade auch für den Umweltbereichhaben sich CDU/CSU und SPD im Rahmender Koalitionsvereinbarungen zugleich aufeine Reform der grundgesetzlichen Kompe-tenzordnung geeinigt (dazu B.). Des Weite-ren ist über den Entwurf einer Verordnungzu Deponieannahmebedingungen (C.)

auf Kooperation und auf eine Kombinationvon Eigenverantwortung der Wirtschaftund der Bürger, auf Markt und Wettbewerbsowie auf die notwendigen verbindlichenRechtsnormen und ihre wirksame Kon-trolle setzen. Eine ambitionierte deutscheUmweltpolitik könne einen zentralen Bei-trag zur Modernisierung unserer Gesell-schaft leisten. Einen besonderen Akzentlegen die Parteien auf die Herausforderun-gen, die sich insbesondere aus den Gefah-ren des Klimawandels und den absehbarenPreis- und Verteilungskonflikten bei Ener-gie und Rohstoffen ergeben. Diesen Her-ausforderungen soll (weiterhin) mit einerDoppelstrategie zur Steigerung der Energie-und Ressourceneffizienz sowie zum Ausbau

sowie über ein neues Wasch- und Reini-gungsmittelgesetz zu berichten (D.).

A. Koalitionsvertrag – Vorhaben derGroßen Koalition auf dem Gebiet desUmweltschutzes

In Ihren Vereinbarungen zur zukünftigenUmweltpolitik betonen die Koalitionspart-ner zunächst den hohen Stellenwert desLeitbildes der nachhaltigen Entwicklung.Eine intakte Natur, reine Luft und saubereGewässer seien Voraussetzung für hoheLebensqualität. Die Koalitionspartnerbetrachten den Umweltschutz als gemein-same Aufgabe von Staat, Bürgern und Wirt-schaft und wollen laut Koalitionsvertrag

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Neueste Entwick lungen im Bundesumwelt recht | G E S E T Z G E B U N G

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ökologisch und ökonomisch effizientergestalten und daher:– den Nationalen Allokationsplan für die

Periode 2008 bis 2012 auf der Basis derim Zuteilungsgesetz 2005/2007 festge-legten Ziele aufstellen, Mitnahmeef-fekte (windfall profits) vermeiden unddie internationale Wettbewerbsfähig-keit der energieverbrauchenden Wirt-schaft besonders berücksichtigen;

– das Zuteilungssystem transparenter undunbürokratischer gestalten und soweiteuroparechtlich möglich Kleinanlagenherausnehmen;

– durch eine erleichterte Nutzung inter-nationaler Klimaschutzprojekte (zumBeispiel JI und CDM) nach dem Kyoto-Protokoll die Marktchancen der deut-schen Industrie im Ausland stärken;

– die EU-Kommission bei ihrer Prüfungunterstützen, den Flugverkehr inangemessener Weise in einen Emissi-onshandel einzubeziehen;

– die Einbeziehung anderer Industrielän-der und großer Schwellenländer ineinen weltweiten Emissionshandel vor-antreiben;

– in der 2. Zuteilungsperiode darauf ach-ten, dass Anreize zum Neubau von effi-zienten und umweltfreundlichen Kraft-werken gegeben werden.

Wir wollen die Kostenbelastung derWirtschaft durch den CO

2-Emissionshan-

del senken. Dazu wollen wir gegebenen-falls eine Überarbeitung der EU-Emissions-handelsrichtlinie anstreben. Bei derFortschreibung des Nationalen Allokati-onsplans 2 (2008 – 2012) werden wir dieinternationale Wettbewerbsfähigkeit derenergieverbrauchenden Wirtschaft beson-ders berücksichtigen. Das Zuteilungs-system ist transparenter und unbürokra-tischer zu gestalten, die Einbeziehunganderer Industrieländer und großerSchwellenländer in den Emissionszertifi-kate-Handel werden wir einfordern. Zurerhöhten Flexibilität des CO

2-Emissions-

handels ist die schnelle Umsetzung der fle-xiblen Kyoto-Mechanismen (zum BeispielJI und CDM) notwendig.«Neuordnung des Umweltrechts (7.3)

Im europäischen und im deutschenUmweltrecht achten wir darauf, ein hohesSchutzniveau für Gesundheit und Umweltmit möglichst unbürokratischen und kos-tengünstigen Regelungen zu erreichen undso die Innovations- und Wettbewerbsfähig-keit der Wirtschaft zu stärken. Dies giltauch für die laufenden Verhandlungen zurRegistrierung, Bewertung und Zulassungvon Chemikalien (REACH).

Mit einem Planungsbeschleunigungsge-setz werden wir die Voraussetzungen füreine bundesweit einheitliche Straffung,

1 In den Klammern die entsprechende Ziffer desKoalitionsvertrags.

Vereinfachung und Verkürzung der Pla-nungsprozesse schaffen, ohne dass dies zuLasten von Umweltschutz und Bürgerbe-teiligung geht. Die guten Erfahrungen mitder Planungsbeschleunigung in den neuenLändern, die wir nutzen wollen, zeigen,dass dies geht.

Das historisch gewachsene, zwischenverschiedenen Fachgebieten sowie zwi-schen Bund und Ländern stark zersplitterteUmweltrecht, entspricht nicht denAnforderungen an eine integrierteUmweltpolitik:– Das deutsche Umweltrecht soll verein-

facht und in einem Umweltgesetzbuchzusammengefasst werden.

– Die verschiedenen Genehmigungs-verfahren sind im Rahmen einesUmweltgesetzbuchs durch eine inte-grierte Vorhabengenehmigung zu erset-zen.

– Die Bundesregierung wird in Brüsseleine Initiative für die notwendigeinnere Harmonisierung und Vereinfa-chung des europäischen Umweltrechtsergreifen.

– Der WTO und anderen Handelsabkom-men darf kein Vorrang vor deninternationalen Abkommen zumSchutz der Umwelt eingeräumt werden.

Für diese Neuorientierung des deutschenUmweltrechts werden im Rahmen derReform des Grundgesetzes (Föderalismus-reform) die Voraussetzungen geschaffen.“Nationales Naturerbe (7.4)

»Unser Land verfügt über ein reichhalti-ges Naturerbe. Dieses wollen wir fürzukünftige Generationen bewahren. Esgeht um eine neue Partnerschaft vonNaturschutz, nachhaltiger Landwirtschaftund umweltverträglichem Tourismus. Wirwerden daher:– gesamtstaatlich repräsentative Natur-

schutzflächen des Bundes (inkl. derFlächen des »Grünen Bandes«) in einerGrößenordnung von 80.000 bis 125.000Hektar unentgeltlich in eine Bundesstif-tung (vorzugsweise DBU) einbringenoder an die Länder übertragen. Zur kurz-fristigen Sicherung des Naturerbes istein sofortiger Verkaufsstopp vorzuse-hen;

– anstreben, den Flächenverbrauchgemäß der Nationalen Nachhaltigkeits-strategie auf 30 ha/Tag bis 2020 zu redu-zieren und für ein Flächenressourcenm-anagement finanzielle Anreizinstru-mente entwickeln;

– mit einer nationalen Strategie denSchutz der Natur verbessern und miteiner naturverträglichen Nutzung kom-binieren;

erneuerbarer Energien und nachwachsen-der Rohstoffe begegnet werden.

Die konkreteren Zielsetzungen zu deneinzelnen Themenfeldern werden nachfol-gend im Wortlaut wiedergegeben:Klimaschutz und Energie (7.1)1:

»Deutschland wird weiterhin seineführende Rolle im Klimaschutz wahrneh-men. Ziel ist, die weltweite Temperaturstei-gerung auf ein klimaverträgliches Niveauvon 2 Grad Celsius gegenüber dem vorin-dustriellen Stand zu begrenzen. Wir wer-den daher:– das nationale Klimaschutzprogramm

weiter entwickeln und zusätzliche Maß-nahmen ergreifen, damit Deutschlandsein Kyoto-Ziel für 2008 bis 2012erreicht;

– uns dafür einsetzen, dass bis 2009 eininternationales Klimaschutzabkommenfür die Zeit nach 2012 geschaffen wird,das auf dem Kyoto-Protokoll aufbaut;

– uns dafür einsetzen, dass andere Indu-striestaaten und wirtschaftlich fortge-schrittene Schwellenländer in ein neuesKlimaschutzabkommen einbezogenwerden und ihren Fähigkeiten entspre-chende Verpflichtungen übernehmen;

– vorschlagen, dass sich die EU im Rah-men der internationalen Klimaschutz-verhandlungen verpflichtet, ihre Treib-hausgasemissionen bis 2020 insgesamtum 30% gegenüber 1990 zu reduzieren.Unter dieser Voraussetzung wirdDeutschland eine darüber hinausgehende Reduktion seiner Emissionenanstreben;

– die Klimaschutzvereinbarung mit derWirtschaft aus dem Jahr 2000 eva-luieren;

– eine Partnerschaft für Klima und Inno-vation mit der deutschen Wirtschaftund gesellschaftlichen Gruppenanstoßen, die gerade auch für den Mit-telstand weltweit Zukunftsmärkteerschließt;

– basierend auf der Initiative der G8 eineneue Partnerschaft zwischen Industrie-und Entwicklungsländern vorantreiben,die auf eine anspruchsvolle Modernisie-rung der Energieversorgung zur Steige-rung der Energieeffizienz und auf denAusbau erneuerbarer Energien gerichtetist. Diese Partnerschaft soll ein verbind-liches Klimaschutzabkommen ergän-zen, keinesfalls aber ersetzen;

– darüber hinaus ein internationales Auf-forstungsprogramm anstreben, um dieFähigkeit von Wäldern zur Bindung vonKohlenstoff zu nutzen.«

Emissionshandel (7.2)»Wir werden den Emissionshandel als

wichtiges Instrument des Klimaschutzes

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G E S E T Z G E B U N G | Neueste Entwick lungen im Bundesumwelt recht

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– die Natura 2000-Richtlinie im Rahmendes europäischen Rechts mit Augenmaßumsetzen;

– wo sinnvoll möglich, den Schutz natur-naher Lebensräume durch kooperativeLösungen, insbesondere den Vertrags-naturschutz, sicherstellen. Soweitnotwendig, werden ordnungsrechtlicheMaßnahmen eingesetzt;

– unsere Flüsse und ihre Auen als Lebens-adern der Landschaft und in ihrer Funk-tion für einen vorbeugenden Hochwas-serschutz erhalten und entwickeln.«

Verkehr und Immissionsschutz (7.5)»Zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs

von Fahrzeugen und der Verminderungvon CO2-Emissionen im gesamtenStraßenverkehr werden wir– wirksame Anreize für die Einführung

hocheffizienter Antriebe durch eine amCO

2- und Schadstoffausstoß orientierte

Kfz-Steuer schaffen; – die Selbstverpflichtung des europäi-

schen Automobilverbands ACEA unter-stützen, bis 2008 bei Neufahrzeugeneine durchschnittliche Emission von140 g CO

2pro km nicht zu überschrei-

ten. Wir schlagen vor, dass für die bis2012 angestrebte weitergehende Absen-kung auf 120 g CO

2pro km mit einem

bestimmten Prozentsatz die Verwen-dung von Biokraftstoffen eingerechnetwerden kann;

– die Entwicklung alternativer Kraftstoffeund innovativer Antriebstechnologienmit dem Ziel »weg vom Öl« im Dialogmit der Industrie vorantreiben.

Wir streben eine Trendwende bei derLärmbelastung der Bevölkerung, insbeson-dere im Bereich Verkehrslärm, an. Dazuwerden wir ein Lärmminderungspro-gramm entlang von bestehenden Bundes-fernstraßen und Schienen entwickeln. Aufnationaler Ebene ist die Novellierung desFluglärmgesetzes vordringlich.«Abfall, Wasser (7.6)

»CDU, CSU und SPD werden aufeuropäischer und nationaler Ebene derumweltverträglichen Kreislaufwirtschaftneue Impulse geben. Wir brauchen inEuropa ein einheitlich hohes Umwelt-schutzniveau mit anspruchsvollen Stan-dards für die Abfallentsorgung, umUmweltdumping durch BilligentsorgungEinhalt zu gebieten.

Wir werden die Abfallwirtschaft hin zueiner nachhaltigen ressourcenschonendenStoffwirtschaft weiterentwickeln.Ausgangspunkt hierfür ist die im Kreislauf-wirtschafts- und Abfallgesetz geregelte Pro-duktverantwortung.

Die Kommunen sollen auch in Zukunfteigenständig über die Organisation derWasserversorgung wie auch der Abfall- und

Abwasserentsorgung entscheiden können.Das Steuerprivileg für die Abwasser- undAbfallentsorgung soll beibehalten werden.Bund und Länder werden die europäischeWasserrahmenrichtlinie in enger Abstim-mung umsetzen und sich gemeinsam aufeuropäischer Ebene für ein harmonisiertesVorgehen einsetzen. Beim Bau und derUnterhaltung von Bundeswasserstraßen istdem in der Richtlinie verankerten Schutzder Gewässer und der Erhaltung ihrer öko-logischen Funktionen Rechnung zu tra-gen.«

B. Föderalismusreform: Neue Zuständig-keiten für die Umweltgesetzgebung

Vertreter der Regierungsparteien aus Bundund Ländern haben im Rahmen der Koali-tionsverhandlungen im November letztenJahres eine überraschende Einigung zu denFragen der Föderalismusreform erzielt (veröffentlicht im Anhang zum Koalitions-vertrag). Danach wird für den Umweltbe-reich eine relativ komplizierte Zuständig-keitsordnung angestrebt. Die Rahmenge-setzgebungskompetenz nach Art. 75 GGsoll abgeschafft werden und stattdessen jenach Teilbereich– eine Bundeskompetenz ohne Geltung

der Erforderlichkeitsklausel – eine Bundeskompetenz mit Geltung der

Erforderlichkeitsklausel – eine Befugnis der Länder zu abweichen-

der Gesetzgebung eingeräumt werden. Teilweise wird dabeisogar innerhalb eines Zuständigkeitstitelsdifferenziert. Namentlich sollen fürumweltrelevante Regelungsbereiche die inder nachstehenden Tabelle dargestelltenKompetenzverhältnisse gelten:

Ob diese Kompetenzverteilung tatsäch-lich klarere Verhältnisse schafft und dieHandlungsfähigkeit der Bundesrepublikauf dem Gebiet des Umweltschutzes undinsbesondere bei der Umsetzung gemein-schaftsrechtlicher Verpflichtungen stärkt,muss bereits auf den ersten Blick bezweifeltwerden. Die Rahmengesetzgebung würdedamit durch weit reichende Abweichungs-rechte der Länder ersetzt. Der Bund kanndamit eine länderübergreifende Kohärenzweder beim Schutzniveau noch bei denInstrumenten und Verfahren gewährlei-sten. Er kann in den Bereichen des Gewäs-serschutzes und der Raumordnung nichteinmal, wie noch nach der Rahmengesetz-gebung, die Grundzüge des betreffendenFachrechts verbindlich regeln. Nach wievor wird auch die Bundesgesetzgebungnicht in der Lage sein, die gemeinschafts-rechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet desWasserrechts und des Naturschutzrechtsbundesweit verbindlich und einheitlichumzusetzen. Immerhin erhielte der Bund

aber das Recht zu einer »auflösend beding-ten Regelung«, durch die er zumindest vor-läufig Kohärenz schaffen und das EG-Rechtumsetzen könnte.

C. Entwurf einer Verordnung zur Umset-zung der Ratsentscheidung 2003/33/EGzum Annahmeverfahren auf Deponien

Durch Entscheidung 2003/33/EG hat derRat der EU am 19. Dezember 2002 die Krite-rien und Verfahren für die Annahme vonAbfällen auf Abfalldeponien beschlossen.Diese Entscheidung ist am 16. Juli 2004 inKraft getreten und war von den Mitglied-staaten bis zum 16. Juli 2005 im nationalenRecht zur Anwendung zu bringen. DasBundesumweltministerium hat am26. September 2005 nunmehr den Entwurfeiner Verordnung zur Umsetzung dieserRatsentscheidung vorgelegt und zurAnhörung an die beteiligten Kreise ver-schickt. Die Artikelverordnung soll durchÄnderungen in der Abfallablagerungsver-ordnung, der Deponieverordnung und derDeponieverwertungsverordnung zugleicheinige Anwendungsfragen beantworten,die der Vollzug dieser Verordnungen inzwi-schen aufgeworfen hat. Dies bezieht sichim Wesentlichen auf die Anforderungender Abfallablagerungsverordnung zum Ein-bau der mechanisch-biologisch behandel-ten Siedlungsabfälle, auf die Anforderun-gen der Deponieverordnung zur Aus-führung gleichwertiger Dichtungssystemeund auf einige Ausnahmen von den Zuord-nungskriterien.2

D. Neues Wasch- und Reinigungsmittel-gesetz

Mit dem Entwurf eines Gesetzes über dieUmweltverträglichkeit von Wasch- undReinigungsmitteln (Wasch- und Reini-gungsmittelgesetz – WRMG) und des Ent-wurfs einer Detergenzien-Kostenverord-nung (DetergKostV) sollen die Vorschriftendes derzeit geltenden Wasch- und Reini-gungsmittelgesetzes vom 5. März 1987 imWege eines Ablösegesetzes an die Vorgabender unmittelbar geltenden Verordnung(EG) Nr. 648/2004 über Detergenzien ange-passt werden. Das neue WRMG wird darü-ber hinaus für solche in Deutschland ver-triebene Wasch- und Reinigungsmittel gel-ten, die von der EG-Verordnung nichterfasst werden. Das Ablösegesetz behält dasSchutzniveau des bisherigen Wasch- undReinigungsmittelgesetzes aufrecht. ImÜbrigen sollen weitere punktuelle Umset-zungsverpflichtungen aus der EG-Verord-

2 Nähere Informationen auf der Internetseite desBMU: http://www.bmu.de/files/gesetze_verord-nungen/bmu-downloads/application/pdf/annah-meverfahren_deponien_begruendung.pdf

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B U C H R E Z E N S I O N

nung erfüllt werden. Das Bundesumwelt-

ministerium hat am 20. Oktober 2005 die

Notifizierung des WRMG gegenüber der

Europäischen Kommission nach der EG-

Notifizierungsrichtlinie Nr. 98/34/EG ein-

geleitet.3

E. Neue technische Sicherheitsmaßstäbe fürAtomkraftwerke

Ein neues Regelwerk für den Betrieb vonAtomkraftwerken mit dem Titel »Grundla-gen für die Sicherheit von Kernkraftwer-ken« soll das veraltete noch aus den siebzi-

ger und achtziger Jahren stam-mende kerntechnische Regelwerkablösen und die Sicherheitsanforde-rungen für diese Anlagen auf denneuesten Stand bringen. Die neuen Grundlagen für dieSicherheit von Kernkraftwerkenwurden in einem mehrjährigenProzess unter Steuerung des Bunde-sumweltministeriums auf derGrundlage einer umfassendenÜberprüfung des bestehendenRegelwerks anhand der vorliegen-den Erfahrungen aus der Praxis unddes internationalen Standes vonWissenschaft und Technik ent-wickelt. Das neue Regelwerkumfasst mehr als 450 Seiten und 11Regeltextmodule. Im Dezember2004 hatte das Bundesumweltmini-sterium das Konzept und die Eck-punkte des Vorhabens den Auf-sichtsbehörden der Länder undihren Sachverständigen, der Reak-tor-Sicherheitskommission sowieBetreibern und Herstellern vorge-stellt. Die endgültige Veröffentli-chung der neuen Regeln ist nacheinem abschließenden Erörterungs-prozess mit Betreibern sowie mitden Ländern für Mitte 2006 vorge-

sehen. Die Entwürfe der neuen kerntechni-schen Regeln werden schrittweise auf derInternetseite »http://regelwerk.grs.de« ver-öffentlicht.

3 Nähere Informationen auf der Internetseite desBMU: http://www.bmu.de/chemikalien/downlo-ads/doc/35500.php

Gesetz zur Einführung der projektbezo-genen Mechanismen nach dem Protokollvon Kyoto, zur Umsetzung der Richtlinie2004/101/EG und zur Änderung des Kraft-Wärme-Koppelungsgesetzes – Projekt-Me-chanismen-Gesetz (ProMechG), BGBl. IS. 2826; in Kraft seit 30.09.05.

Zweite Verordnung zur Änderung der Che-mikalien Straf- und Bußgeldverordnung vom30.9.2005, BGBl. I 2924.

Vollzugshinweise anlässlich des Inkrafttre-tens der Verordnung EG Nr. 648/2004 überDeter-genzien vom 7.10.2005, veröffentlichtin GMBl. Nr 203 vom 26.10.2005, S. 15618.

SONSTIGE RECHTSAKTE, VERORDNUNGEN UND ERLASSE

Bekanntmachung zum Sachkundenach-weis gemäß § 5 der Chemikalien-Verbotsver-ordnung, Oktober 2005, http://www.bmu.de/files/chemikalien/application/pdf/chemikali-en_sachkunde.pdf

soweit es sich nicht umstoff- oder anlagenbezo-gene Regelungen handelt

soweit es sich nicht umdas Recht der Jagdscheinehandelt

soweit es sich nicht umGrundsätze des Natur-schutzes, das Recht desMeeresschutzes oder dasRecht des Artenschutzeshandelt

B U C H R E Z E N S I O N

Wohnungswesen« zweier Institute derWestfälischen Wilhelms-Universität Mün-ster veröffentlichte Monographie zum»Rechtsschutz gegen die Schaffung vonFFH- und Vogelschutzgebieten« widmetsich dieser Problematik aus der Sicht Priva-ter – wie etwa Grundeigentümer undBewirtschafter –, die durch eine Unter-schutzstellung in ihren Nutzungsmöglich-keiten beeinträchtigt werden und würden.

Weniger intensiv wurden bislang Fragendes Rechtsschutzes behandelt, obgleich sie– bei fortschreitender Realisierung desgemeinschaftsrechtlichen Habitatschutzesaufgrund der Kollision von Naturschutzin-teressen contra Wirtschafts- und Eigentü-merinteressen – zunehmend an Bedeutunggewinnen.

Die 2004 in der Schriftenreihe »Beiträgezur Raumplanung und zum Siedlungs- und

Joachim Wrase:Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH-und VogelschutzgebietenBeiträge zur Raumplanung und zum Siedlungs-und WohnungswesenBd. 222, Münster 2004, 267 S.Viele der bei der Errichtung des europawei-ten Schutzgebietskonzepts »Natura 2000«auftretenden Rechtsprobleme sind bereitsmonographisch aufgearbeitet worden.

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Die Beschränkung auf private Belastete istangesichts der insgesamt 267 Seiten umfas-senden Untersuchung sachlich durchausgerechtfertigt, wenngleich auch die hier-von gesonderten Kontrollmöglichkeitender öffentlichen Hand, wie Kommunen,hätten Berücksichtigung finden können.Eine Untersuchung der Rechtsbehelfe vonPrivaten und Verbänden, die auf Grund derNichtausweisung Nachteile erleiden bzw.die Nichtdurchsetzung von Naturschutz-belangen monieren möchten, steht über-dies noch aus.

Das dreistufige Ausweisungsverfahrenfür FFH-Gebiete durchläuft derzeit diezweite Phase: Die Kommission hat Listenmit Gebieten von gemeinschaftlicherBedeutung erstellt und nach dem vorgese-henen Verfahren verabschiedet. Natürlicheund juristische Personen aus verschiede-nen Mitgliedstaaten haben die als Ent-scheidung ergangenen Kommissionslistenmittels Nichtigkeitsklage vor dem EuGHerster Instanz angefochten. Die Entschei-dungen in der Hauptsache stehen nochaus.1

Wrases Untersuchung hat insoweit inihrer Aktualität keine Einbuße erfahren,sondern setzt gerade dort an, wo derzeit dieStreitlinien verlaufen. Die beiden erstenTeile können demzufolge als Grundlage fürden zentralen Untersuchungsgegenstandgelten. In ihnen stellt der Verfasserzunächst Ziele und Verfahren zur Schaf-fung des europäischen Habitatschutzge-bietsnetzes »Natura 2000« sowie die recht-lichen Belastungen durch die Schutzge-bietsausweisungen vor. Anschließendwidmet er sich dem Zusammenspiel voneuropäischem und nationalem Recht mitBlick auf die Rechte der Betroffenen imGemeinschaftsrecht. Der dritte und vierteTeil beinhalten den Kern seiner Untersu-

chung, in denen er den Rechtsschutz gegendie Schaffung von FFH-Gebieten – geson-dert nach den einzelnen Ausweisungspha-sen – und den Rechtsschutz gegen dieSchaffung von Vogelschutzgebieten analy-siert. Den Abschluss bildet eine thesenar-tige Zusammenfassung der Ergebnisse.

Die Analyse zeichnet sich durch einegute Strukturierung einer naturgemäß sehrkomplexen Materie aus. Wenngleich manüber die Länge einzelner allgemeiner Aus-führungen, insbesondere diejenige ein-führender Erläuterungen im zweiten Teilzum Zusammenspiel von Gemeinschafts-recht und nationalem Recht sicherlichunterschiedlicher Auffassung sein kann, soist es Wrase aber gelungen, die aus demGemeinschaftsrecht ableitbaren subjekti-ven Rechte der Betroffenen – wie etwaInformationsrechte, das Recht der Berufs-freiheit und das Eigentumsrecht – heraus-zuarbeiten.

Im Hinblick auf die gegenwärtig anste-hende Frage, ob ein direkter Zugang zurEuropäischen Gerichtsbarkeit gegen eineGemeinschaftsliste der Kommissionbesteht, wäre eine intensivere Auseinan-dersetzung mit der diesbezüglichen Judika-tur wünschenswert gewesen. Die vonWrase vertretene Auffassung, dass eineindividuelle Betroffenheit der Grundei-gentümer bereits durch die Gemeinschafts-liste vorliege, ist nach den vom EuGH auf-gestellten Kriterien nicht ohne Weiteres zubejahen. Für eine individuelle Betroffen-heit verlangt der EuGH zwar keine – wie imdeutschen Verwaltungsprozessrecht erfor-derlich – subjektive Rechtsverletzung, son-dern ihm reicht lediglich eine Interessen-beeinträchtigung. Nach der Rechtspre-chung des EuGH liegt eine individuelleBetroffenheit derartiger Interessen aber nurvor, wenn der angegriffene Gemeinschafts-

rechtsakt den Kläger wegen bestimmterpersönlicher Eigenschaften oder besonde-rer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Perso-nen heraushebender Umstände berührtund ihn dadurch in ähnlicher Weise indivi-dualisiert wie einen Adressaten. Grundsätz-lich sind alle Eigentümer, deren Grund-stücke in die Kommissionsliste aufgenom-men wurden, gleichermaßen von denSchutzwirkungen der FFH-Richtlinie (Ver-schlechterungs- und Zerstörungsverbot,Verhältnismäßigkeitsprüfung) betroffen,solange keine nationale Unterschutzstel-lung erfolgte. Ungeachtet einer bereits inder zweiten Phase vorliegenden möglichenGrundrechtsbeeinträchtigung fordert derEuGH darüber hinausgehende Umstände,die einen Eigentümer von übrigen Eigentü-mern unterscheidet. Dieser Dogmatik fol-gend konstatierte der Gerichtshof ersterInstanz in einer Eilentscheidung jüngst fol-gerichtig auch erhebliche Zweifel an derKlagebefugnis eines Eigentümers gegen dieKommissionsliste.2

Insgesamt besteht der Gewinn der Unter-suchung in der sorgfältigen Durchprüfungaller wesentlichen Rechtsschutzmöglich-keiten privater Einzelpersonen in den ver-schiedenen Phasen der Ausweisung vonFFH- und Vogelschutzgebieten. Der Autorgelangt zu weitgehend sehr gut vertretba-ren Ergebnissen. Insofern stellt seine Arbeitfür die noch anstehenden Rechtsstreitig-keiten und die wissenschaftliche Auseinan-dersetzung einen fruchtbaren Beitrag darund ist sogleich Fundgrube für bis Mitte2004 erschienene Literatur und Rechtspre-chung.

Dr. Sabine Schlacke, Universität Rostock

B U C H N E U E R S C H E I N U N G E N

1 Zum aktuellen Stand vgl. Sobotta, EuGH: neue Ver-fahren im Umweltrecht, ZUR 2005, 496 (498).

2 Vgl. EuG, Rs. T-117/05, ZUR 2006, S. xxx Rn.

Die nachfolgende Übersicht erfasst, soweit verfüg-bar, die umweltrechtliche Literatur des Erschei-nungszeitraums vom 16.08.2005 bis zum15.10.2005.

Allgemeines Umweltrecht

Fischer-Stabel, Peter:Umweltinformationssysteme2005, 290 S., 34,– €, Wichmann Verlag,ISBN 3-87907-423-2

Das Buch ist ein interdisziplinär angelegtesLehrbuch, dessen Inhalte die Konzeptionund Entwicklung von Umweltinformati-onssystemen (UIS) und deren Komplexität

vermittelt. Neben den rechtlichen Rah-menbedingungen werden auch die Grund-lagen der beim Aufbau von UIS verwende-ten technologischen Konzepte beschrie-ben. Dies umfasst sowohl Verfahren zurDatenerhebung als auch die Erläuterungvon Systemkomponenten und Visualisie-rungsmethoden. Die Beschreibung vonausgewählten Beispielsystemen geben demLeser schließlich Eindrücke zur Komple-xität operationeller Systeme.

Immissionsschutzrecht

Feldhaus, Gerhard:Bundesimmissionsschutzrecht

Loseblattwerk in 9 Ordnern, Stand: September2005, 126. und 127. Ergänzungslieferung,8.542 S., 218,– €, Verlagsgruppe Hüthig JehleRehm, ISBN 3-8114-4270-8

Die 126. Aktualisierung beinhaltet eineÄnderung des BImSchG (UmweltlärmG,GefahrenbeherrschungsG) sowie 4., 7. und28. BImSchV einschl. Erläuterungen, eineKommentierung der TA-Lärm, zunächstVorbemerkung und Nr. 1 und eine Anpas-sung zahlreicher weiterer Vorschriften. Die 127. Aktualisierung enthält die Auf-nahme der Gesetzesmaterialien zu dengeänderten §§ 2, 3, 31a, 50, 51a, 66, 67 BIm-

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B U C H N E U E R S C H E I N U N G E N

SchG, eine Kommentierung der 4. BImSchV,eine Aktualisierung der Kommentierung zuWindkraftanlagen sowie die Neufassung derStörfallV und die Biozid.

Kohl, Clemens Dieter:FluglärmRechtslage in Österreich vor dem Hinter-grund des Gemeinschaftsrechts und derEuropäischen Menschenrechtskonvention2005, 176 S., 28,80 €, Neuer WissenschaftlicherVerlag, ISBN 3-7083-0269-9

Mit dem vorliegenden Band wird die Pro-blematik des Fluglärms unter verschiede-nen Gesichtspunkten beleuchtet: aktuelleProbleme des Fluglärms in Österreich; Pro-bleme militärischen Fluglärms; Rechtsstel-lung der von Fluglärmemissionen Betroffe-nen; Rechtsstellung der Luftfahrzeughalterund Flugplatzhalter; Rechtsschutzmöglich-keiten; grundrechtliche Bezüge samt Recht-sprechung des EGMR, Berücksichtigung derUVP-G Novelle 2004 für Flugplätze.

Gentechnikrecht

Buntzel, Rudolf/ Sahai, Suman:Risiko: Grüne GentechnikWem nützt die weltweite Verbreitung gen-manipulierter Nahrung?2005, 216 S., 17,90 €, Brandes & Apsel Verlag,ISBN 3-86099-814-5Gen-Reis, Gen-Raps und Gen-Mais – dieBefürworter genmanipulierter Agrarpro-dukte behaupten, dass der Anbau von Gen-pflanzen den Hunger aus der Welt schafft.Diese Begründung dient der heimlichen,weltweiten Verbreitung der Agro-Gentech-nik, obwohl die Sicherheitsfrage keinesfallsgeklärt ist. Niemand kann garantieren, dasssich Genpflanzen anbauen lassen, ohne diegentechnikfreie Landwirtschaft durch Pol-lenflug massiv zu belasten.Die internationale Diskussion um GrüneGentechnik folgt der Annahme, dass alleStaaten diese Technologie anwenden undihre Produkte zulassen müssen. Weigertsich ein Staat, wird ein solcher Fall als Han-delshemmnis gebrandmarkt und kommtvor das WTO-Schiedsgericht. Die Machtder Life Science Industrie zwingt Ländernim Süden Entscheidungen zum Teil gegenihre Überzeugung und ihre Fähigkeit auf,die Risiken dieser Technologie zu regulie-ren. Das Recht auf weltweite Verbreitungvon genmanipuliertem Saatgut wirdgewährt, während das Recht der Verbrau-cher und Bauern, sich zu schützen, in dieDefensive gerät. Das Buch informiert gründlich über dieGentechnik in der Landwirtschaft. Esbeschreibt die Risiken aus der Perspektivevon Verbrauchern und Bauern im Südenund im Norden und deckt die Verstrickun-

gen von Konzernen und Regierungen auf,die die Verbreitung von Gen-Pflanzen fürihre Interessen vorantreiben.

Nöthlichs, Matthias:Bio- und Gentechnik (BGt)Loseblattwerk in 1 Ordner, 11. Ergänzungsliefe-rung, 1.550 S., 68,– €, Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-05093-0

Die 11. Lieferung enthält: das Infektions-schutzgesetz, die Aktualisierung der Bio-stoffverordnung, die Neufassung der TRBA466 »Einstufung von Bakterien in Risiko-gruppen« und das Merkblatt zur BK-Nr.3101 der Anl. zur BKV.

Gefahrstoff- und Produktrecht

Adebahr, Walter/ Klindt, Thomas:Die neue Gefahrstoffverordnung 2005Eine praxisnahe Arbeitshilfe für Betriebe undBehörden2005, 254 S., 38,– €, Beuth Verlag,ISBN 3-410-15998-3

Wer sich über Neuerungen und Verände-rungen im Gefahrstoffbereich informierenmöchte, für den liefert das in drei Teilegegliederte (erläuternde Darstellung,Arbeitshilfen und Textsammlung) Bucheinen profunden Überblick über das neueRegelwerk und beschreibt dabei eingehenddie wichtigsten Änderungen. Einführend gehen die Autoren auf die geset-zlichen Grundlagen des Gefahrstoffrechts aufeuropäischer und nationaler Ebene ein. Nacheiner kurzen Erklärung des Aufbaus derGefahrstoffverordnung folgen ausführlicheErläuterungen zu den einzelnen Abschnitten(Anwendungsbereich und Begriffsbestim-mungen; Gefahrstoffinformationen; allge-meine und ergänzende Schutzmaßnahmen;Verbote und Beschränkungen; Vollzugs-regelungen, Schlussvorschriften u.a.). Derzweite Teil stellt Arbeitshilfen wie Gefahr-stoffsymbole, Gefahrenhinweise und Sicher-heitsratschläge in Form von Tabellen bereit,eine Auflistung der Technischen Regeln(TRGS) und eine Anleitung zum Aufbau einesSicherheitsdatenblatts komplettieren dieInformationen. Der dritte und letzte Teilumfasst die Textsammlung mit der Gefahr-stoffverordnung einschließlich aller Anhän-ge, mit der Amtlichen Begründung zurGefahrstoffverordnung und dem Bundesrats-beschluss 413/04 vom 24. September 2004.

Herbst, Sebastian: R&TTE-Richtlinie und FTEGDas Inverkehrbringen, der freie Verkehr unddie Inbetriebnahme von Funkanlagen undTelekommunikationsendeinrichtungen in derBundesrepublik Deutschland2005, 240 S., 21,90 €, LIT Verlag,ISBN 3-8258-8580-1

Die Produktzulassung im Telekommunika-tionssektor wurde durch die sog. R&TTE-Richtlinie grundlegend geändert. In vorlie-gender Arbeit werden die Umsetzung die-ser Richtlinie durch das FTEG, der Ablaufder Zulassung von Funkanlagen und Tele-kommunikationsendeinrichtungen inDeutschland und damit einhergehendeÄnderungen dargestellt. Schließlich wirdaufgezeigt, dass § 12 FTEG, der zum Erlasseiner Verordnung zum Schutz von Perso-nen in elektromagnetischen Feldernermächtigt, nicht den Anforderungen desArt. 80 Abs. 1 GG genügt. § 12 FTEG unddie auf ihm beruhende BEMFV sind somitverfassungswidrig.

Abfallrecht

Fluck, Jürgen:Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Boden-schutzrechtKrW-/AbfG, AbfVerbrG, EG-AbfVerbrVO,BBodSchG. Kommentar. Loseblattwerk in 9 Ordnern, Stand: September2005, 59. und 60. Ergänzungslieferung,10.450 S., 218,– €, Verlagsgruppe Hüthig JehleRehm, ISBN 3-8114-7900-8

Die 59. Aktualisierung enthält Neukom-mentierungen von § 8 KrW-/AbfG und § 50KrW-/AbfG, AG TierNebG NRW sowie u.a.Änderungen des UVPG, der VerpackV, derVerordnungen (EG) Nr. 1547/1999, (EG)Nr. 1420/1999 und der Richtlinie75/442/EWG, 94/62/EG, und 94/67/EG. Die 60. Aktualisierung dokumentiert die Ent-stehungsgeschichte der AbfAblV, die Kom-mentierung zur Einführung der §§ 1-4 AbfA-blV, EinzB-TierNeb-Ag LSA und TierNebGThür sowie Änderungen weiterer bundes-und landesrechtlicher Vorschriften.

Hurst, Manuela:Optionsspielräume Privater im Kreislaufwirt-schafts- und Abfallrecht2005, 254 S., 68,– €, Carl Heymanns Verlag,ISBN 3-452-26065-8

Die Autorin untersucht am Beispiel desKreislaufwirtschafts- und Abfallrechts diemöglichen Optionsspielräume Privater imGefüge des deutschen Staats- und Verwal-tungsrechts. Das Werk versteht Options-spielräume als Entscheidungsfreiräume,die Private gegenüber Verwaltungsbehör-den und Gerichten für sich reklamierenkönnen und setzt sie damit in Beziehungzu den Letztentscheidungsrechten vonExekutive und Judikative.

Schink, Alexander/ Queitsch, Peter/ Scholz,Friederike/ Stollmann, Frank: Abfallgesetz für das Land Nordrhein-Westfa-len (Landesabfallgesetz – LAbfG)Bodenschutz- und Altlastenrecht in Nord-rhein-Westfalen

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Loseblattwerk in 1 Ordner, 514 S., 52,60 €,Kommunal- und Schul-Verlag GmbH & Co. KG,ISBN 3-8293-0728-4

Diese Neuerscheinung enthält eine praxis-nahe Kommentierung des LAbfG NRW. Er-läuterungen und Hinweise zum Bundesab-fallrecht werden nur insoweit in dieKommentierung einbezogen, als diese zumbesseren Verständnis der Rechtsvorschrif-ten insgesamt erforderlich sind. Der Kom-mentierung wurde der Gesetzestext imZusammenhang vorangestellt. Ein praxis-dienlicher Anhang enthält als wichtigstelandesrechtliche Vorschriften die Zustän-digkeitsverordnung technischer Umwelt-schutz NRW, das Landeshafenentsorgungs-gesetz und eine Mustersatzung für dieAbfallentsorgung. In logischer Ergänzungdes Landesabfallrechts wird das Werk durcheine richtungsweisende Darstellung zumBodenschutz- und Altlastenrecht in Nord-rhein-Westfalen vervollständigt.

Bodenschutz- und Altlastenrecht

Becker, Bernd:Bundes-Bodenschutzgesetz Loseblattwerk in 1 Ordner, Stand: August 2005,16. und 17. Ergänzungslieferung, ca. 1.000 S.,118,– €, Wolters Kluwer Deutschland,ISBN 3-796-20464-3

Mit der vorliegenden 16. Ergänzungsliefe-rung wird vor allem dem Gesetz zur Verbes-serung des vorbeugenden Hochwasser-schutzes besondere Aufmerksamkeitgeschenkt. Mit der vorliegenden 17. Ergänzungsliefe-rung werden die Register hinsichtlich allerbisherigen Neuerungen im Kommentarneu bearbeitet; dies betrifft: das Literatur-verzeichnis, das Stichwortverzeichnis unddas Abkürzungsverzeichnis.

Wasserrecht

Freiherr von Lersner, Heinrich/ Berendes,Konrad/ Reinhardt, Michael: Handbuch des Deutschen Wasserrechts(HDW)Loseblattwerk in 8 Ordnern, Ergänzungslieferun-gen 2/05 – 7/05, 13.644 S., 248,– €, ErichSchmidt Verlag, ISBN 3-503-00011-9

In den Ergänzungslieferungen 2/05 – 7/05werden u.a. die Neufassung der Abwasser-verordnung vom 17.6.2004, die Wasser-bauer-Ausbildungsverordnung, Verände-rungen im Abwasserabgabengesetz, desWasserhaushaltes sowie wasserrechtlicheGerichtsentscheidungen aufgenommen.Im Landesrecht kam es u.a. zu Änderungender Wassergesetze von Bremen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin, NRW, Niedersachsenund dem Saarland sowie zu einer neuen

bayerischen Gewässerbestandsaufnahme-verordnung.

Naturschutz- und Landschaftspflegerecht

Meßerschmidt, Klaus:Bundesnaturschutzrecht – Kommentar undEntscheidungenLoseblattwerk in 6 Ordnern, Stand: September2005, 72. und 73. Ergänzungslieferung,8.090 S., 168,– €, Verlagsgruppe Hüthig JehleRehm, ISBN 3-8114-3870-0Die 72. Aktualisierung enthält neue Ent-scheidungen und Änderungen des Landes-rechts. Die 73. Aktualisierung enthält eine neueKommentierung des § 33 und Neuerungendes UVPG sowie des BauGB. Weiterhin sinddie Änderungen des BNAtSchG, ROG,BWaldG, NatSchGBln, HmbNatSchG,HENatG und der Forstgesetze Hessen undNRW eingearbeitet worden.

Sonstiges

Hennicke, Peter/ Müller, Michael:Weltmacht Energie2005, 279 S., 29,– €, S. Hirzel Verlag,ISBN 3-7776-1319-3

Dieses Buch zeigt eindrücklich, welche zen-trale Rolle in unserer Zeit die Energie spielt –national und noch mehr für die Ordnungder ganzen Welt. Zum anderen will es aufunbefriedigende Strukturen und Konzepteaufmerksam machen und Lösungsmöglich-keiten anbieten. Neue, in ihrem Verbrauchschnell wachsende Länder wie China oderIndien drängen auf den Energiemarkt dazu.Alle wollen billige Energie im angeblichfreien, tatsächlich jedoch hoch monopoli-sierten Wettbewerb. Doch ohne ein Umsteu-ern wird der Preis hoch sein: gigantischeEnergiemultis, die Gefahr großer Umweltka-tastrophen, riskante Stromausfälle, explosiveKriege um immer knapper werdende Ener-gie. Um die drei Zukunftssäulen Energiespa-ren, Energiesteigern und Erneuerbare Ener-gien aufzubauen, braucht es den gestalten-den Staat, eine engagierte Zivilgesellschaft,kreative Ingenieure, qualifizierte Arbeitneh-mer und verantwortungsbewusste Ener-giemanager. Deutschland kann dabei eineVorreiterrolle übernehmen. Die Menschheitsteht an einem Scheidepunkt. Sie muss ent-scheiden, wie sie die Weltmacht Energie ein-setzen will: für Frieden und Wohlstand oderfür die Zerstörung der Welt.

Roller, Gerhard/ Hietel, Elke:Umweltschutz in der BauleitplanungEin rechtlicher Leitfaden mit Praxisbeispielen2005, 3. Auflage, 165 S., 17,– €,I.E.S.A.R Institute for Environmental Studies andApplied Research, ISBN 3-9810496-0-8

Der Praxisleitfaden liefert anhand konkre-ter Beispiele die wesentlichen rechtlichenHintergrundinformationen, um diejeni-gen, die gemeindlichen Umweltschutz vor-anbringen wollen, – sei es in der Kommu-nalpolitik, in der Verwaltung, in Planungs-büros oder als Aktive in einem Verbandoder einer Bürgerinitiative –, eine prakti-sche Hilfe an die Hand zu geben.Die Berücksichtigung der Umwelt in derBauleitplanung ist eine Rechtspflicht:Durch das Europarechts-AnpassungsgesetzBau, das am 20. Juli 2004 in Kraft getretenist, wurde der Umweltschutz im Baugesetz-buch in Form einer strategischen Umwelt-prüfung zur Pflicht gemacht. Die sich dar-aus ergebenden Neuerungen wurden indiese dritte Auflage eingearbeitet.Schwerpunkte sind die Bereiche Luftrein-haltung, Energie und Klimaschutz, Natur-schutz und Landschaftspflege sowieBodenschutz. Aber auch Gewässerschutz,Lärm und Verkehr werden behandelt sowiein einem einleitenden Kapitel die rechtli-chen Grundlagen der Bauleitplanunganschaulich dargestellt. Der Leitfaden enthält zudem zahlreicheweiterführende Hinweise zu Praxisbeispie-len, die in gedruckter Form oder als Inter-netfundstelle vorliegen.

Schlichter, Otto/ Stich, Rudolf/ Driehaus, Hans-Joachim/ Paetow, Stefan: Berliner Kommentar zum BaugesetzbuchLoseblattwerk in 2 Ordnern, Stand: Juli 2005, 5.Ergänzungslieferung, 3.464 S., 198,– €,Carl Heymanns Verlag, ISBN 3-452-24244-7

Mit Erscheinen der 5. Lieferung sindnahezu alle Vorschriften des Baugesetz-buchs kommentiert; insbesondere dieBestimmungen zum Enteignungsverfahrensind nunmehr vollständig erläutert.Schwerpunkt dieser Lieferung ist die Kom-mentierung der Änderungen, die das Bau-gesetzbuch durch das Gesetz zur Anpas-sung des Baugesetzbuchs an EU-Richtli-nien (Europarechtsanpassungsgesetz –EAG Bau) erfahren hat. Zu nennen sindhier in erster Linie die Änderungen der §§13, 15 Abs. 3, 33 und 35 sowie die neugefassten Planerhaltungsvorschriften (§§214, 215), ferner die Änderungen desUmlegungsrechts. Aus dem besonderenStädtebaurecht werden u.a. die neuenRegelungen zu Stadtumbau (§§171a bis171d) und § 171e (Maßnahmen der Sozia-len Stadt) erläutert.

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Umweltrecht 153,– €, für Nichtmitglieder 218,– €. Studenten-Abo: Für Mit-glieder des Vereins für Umweltrecht 89,– €, für Nicht-Mitglieder 130,– €. (BitteStudienbescheinigung einsenden). Alle Preise verstehen sich incl. MwSt. zzgl.Versand. Preisänderungen bleiben vorbehalten. Bezahlung bitte nach Rech-nungserhalt. Bitte teilen Sie Adressänderungen mit, da die ZUR nicht von einempostalischen Nachsendeauftrag erfaßt wird. Bankverbindung: Sparkasse Baden-Baden, Konto.-Nr. 5002266, BLZ 66250030, Postbank, Konto.-Nr. 73636-751,BLZ 66010075, Volksbank Baden-Baden, Konto.-Nr. 107806, BLZ 66290000Manuskripte: Einsendungen für den Aufsatz- und Berichtsteil werden an die Schriftleitung (Prof. Dr. Wolfgang Köck, Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, Permoserstr. 15, 04318 Leipzig, Tel.: 0341/235-3140, Email: [email protected]) oder an die angegebene Redaktionsadresse erbeten. Für Manuskripte, die unaufgefordert eingesandt werden, wird keine Haftung über-nommen. Die Annahme zur Veröffentlichung muß schriftlich erfolgen. Copy-right: Die ZUR und die darin enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und Leit-sätze, soweit sie vom Einsender oder von der Redaktion erarbeitet oder redigiertworden sind. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung inelektronischen Systemen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Impressum

Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) cDr. Moritz Reese c Dr. Sabine Schlacke

Redaktionsadresse:Zeitschrift für Umweltrecht e.V. c Langenstr. 34 c 28195 Bremen cTelefon (0421) 5664744 c (0421) 5664745 c [email protected]

Verlag:Nomos-Verlagsgesellschaft c Waldseestr. 3-5 c 76520 Baden-Baden cTelefon (07221) 2104-0 c Fax: (07221) 2104-27 c [email protected]

Anzeigenverwaltung:sales friendly c Maarweg 48 c 53123 Bonn c [email protected]

Vertrieb und Aboverwaltung: Nomos Verlagsgesellschaft Abo-Service: Tel. 07221/2104-39 Fax: 07221/2104-43. Erscheinungsweise der ZUR: 11 Ausgaben pro Jahr.

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Der Umgang des Menschen mit dem Tier

Bitte bestellen Sie bei Ihrer Buchhandlung oder bei:Nomos Verlagsgesellschaft | 76520 Baden-BadenTel. 0 72 21/21 04-37 | Fax -43 | [email protected]

Nomos

Recht, Mensch und TierNicole Gerick

Historische, philosophische und ökonomische Aspekte des tierethischen Problems

Das Recht der Tiere und der Landwirtschaft 4

Nomos

Recht, Mensch und TierHistorische, philosophische und ökonomischeAspekte des tierethischen ProblemsVon Dr. Nicole Gerick.2005, 262 S., brosch., 49,– €, ISBN 3-8329-1573-7(Das Recht der Tiere und der Landwirtschaft, Bd. 4)

Die Untersuchung beschäftigt sich mit den Ent-wicklungslinien der Zustände, in welchen Tierein unserer Gesellschaft gelebt haben undgegenwärtig leben, wie sich der Mensch in die-sen Zuständen einfindet und dabei entspre-chende rechtliche Verhältnisse geregelt hat.Während in der Jurisprudenz die Meinung vor-herrscht,das »Tier im Recht« sei umfassend »ge-regelt« und insofern auch mit hinreichendemSchutz ausgestattet, widerlegt die Unter-suchung derart pauschale Ansichten. Dieses

geschieht anhand empirischen Materials, dasaus grundlegender ethischer und rechtlicherPerspektive beurteilt wird. Im Mittelpunkt ste-hen aktuelle Entwicklungen auf supranationalerund nationaler Ebene (z.B. die sog. BSE-Krise, dieMaul- und Klauenseuche, Tierhaltung und Tier-versuche).

Die Untersuchung schließt mit einem eigenenrechtsphilosophischen Ansatz ab, der das Natur-zustandstheorem sowie den Kategorischen Im-perativ Kants auf das Mensch-Tier-Verhältnisüberträgt.

Die Abhandlung richtet sich an Theorie und Pra-xis gleichermaßen – an Rechtswissenschaftle-rInnen, PraktikerInnen sowie an alle, die sich mitden gegenwärtigen Missständen im Umgangdes Menschen mit dem Tier auseinandersetzenmöchten.

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20. JANUAR 2006

Leipzig

Der Schutz vor nächtlichem Fluglärm

Was leisten die Forschungsergebnisse desDLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizinfür den Schutz gegen nächtlichen Fluglärm?

Symposion

Das Institut für Umwelt- und Planungs-recht der Universität Leipzig veranstaltetam 20. Januar 2006 im Zusammenwirkenmit der Stadt Leipzig ein Symposion zumThema »Der Schutz vor nächtlichemFluglärm«. Es wird sich mit der Frage befas-sen, ob sich aus neueren Forschungsergeb-nissen des DLR-Instituts für Luft- undRaumfahrtmedizin (Köln) ein Schutzkon-zept gegen nächtlichen Fluglärm ent-wickeln lässt und welche rechtlichen undpraktischen Konsequenzen sich hieraus fürBehörden, Flughafenbetreiber und Nach-barn ergeben.Referenten: Dr. Mathias Basner/Dr. Alexan-der Samel, Deutsches Institut für Luft- undRaumfahrtmedizin (Köln); Prof. Dr. Eber-hard Greiser, Epi. Consult (Bremen); Priv.-Doz. Dr. Christian Maschke, Forschungs-und Beratungsbüro Maschke (Berlin); Prof.Dr. Barbara Griefahn (Universität Dort-mund); Dr. Lutz Eiding, Rechtsanwalt (Han-au); Siegfried de Witt, Rechtsanwalt (Ber-lin).Tagungsgebühren: 100,– Euro, für Angehöri-ge des öffentlichen Dienstes 60,– Euro.Anmeldung: Universität Leipzig, Juristenfa-kultät, Institut für Umwelt- und Planungs-recht, Prof. Dr. Martin Oldiges, Postfach100920, 04009 Leipzig, Fax: 0341/9735139,e-mail: [email protected] bis 12. Januar2006.Weitere Informationen: www.uni-leipzig.de/upr bzw. telefonisch unter 0341/9735130.

16. und 17. FEBRUAR 2006

Aachen

Aktuelles Immissionsschutzrecht undEmissionshandel

6. KBU-Kolloquium zu Wirtschaft und Um-weltrecht

Themen u.a.:– Bergbauliche Anlagen und immissions-

schutzrechtliche Genehmigungsbedürf-tigkeit

– UVP und Immissionsschutz– Der umstrittene Messabschlag nach der

TA Lärm– Strategische Lärmkartierung und Akti-

onsplanung nach der Umgebungslärm-richtlinie und Konsequenzen für Anla-genbetreiber

– Aktuelle Rechtsfragen der Umsetzungdes europäischen Luftqualitätsrechts inDeutschland

– Die Quarzfeinstaubproblematik in derkeramischen Rohstoffindustrie

– Regelungen zur Senkung der Feinstaube-mission auf stationären Anlagen

– Die Feinstaubrichtlinie: Praktische Er-fahrungen mit Luftreinhalteplänen undAktionsplänen

– Aktuelle Rechtsschutzentwicklungen –Verfahrensrechtsschutz und Verbands-klage

– Immissionsschutz im Bereich der Braun-kohlenverstromung

Praxisberichte und EmissionshandelTagungsgebühren: 250,– Euro, für GDMB-und DMV-Mitglieder 200,– Euro.Anmeldung: GDMB Gesellschaft für Berg-bau, Metallurgie, Rohstoff- und Umwelt-technik, Paul-Ernst-Str. 10, 38678 Claus-thal-Zellerfeld, Fax: 05323-93737.

27. UND 28. MÄRZ 2006

Berlin

Stadt- und Regionalplanung vor neuenHerausforderungen

Themen u.a.: – Auswirkungen der EU-Politik auf

Raumordnung und Städtebau inDeutschland

– Das Gesetz zur Einführung einer strategi-schen Umweltprüfung

– Umweltprüfung und Landschaftsplanung– Das geänderte Raumordnungsgesetz

nach dem EAG-Bau– Öffentlichkeitsbeteiligung in der Landes-

und Regionalplanung– Planerhaltung nach dem Entwurf eines

Umweltrechtsbehelfsgesetzes– Höchstrichterliche Rechtsprechung zur

Standortfragen in der Landes- und Regio-nalplanung

– Anforderungen an die planerische Steue-rung von Zwischennutzungen

– Anforderungen an die planerische Steue-rung von Photovoltaik- und Biogasanla-gen

– Die Novellierung des Fluglärmgesetzesund seine Auswirkungen auf die Stadt-und Regionalplanung

– Hochwasserschutz als Aufgabe der Stadt-und Regionalplanung

Tagungsbeitrag: 190,– EuroAnmeldung: Technische Universität Berlin,Institut für Stadt- und Regionalplanung,Hardenbergstr. 40 a, 10623 Berlin, Tel.:030/314-28077, Fax: 030/314-28146, Inter-net: www.isr.tu-berlin.de.

18. UND 19. MAI 2006

Leipzig

Call for Papers – 2. Tagung der LeipzigerPlattform für rechtswissenschaftliche Um-weltforschung am Umweltforschungszen-trum in Leipzig

Nach dem hoffnungsvollen Anfang in 2005soll auch 2006 im Rahmen der LeipzigerPlattform für rechtswissenschaftliche Um-weltforschung wieder eine überregionaleTagung stattfinden, die Doktoranden, Habi-litanden und Wissenschaftlichen Mitarbei-tern auf Projektstellen die Gelegenheit zurDarstellung, Diskussion und Vernetzung ih-rer Ergebnisse bietet. Die Leipziger Plattform für rechtswissen-schaftliche Umweltforschung geht neueWege in der Tagungsplanung. Sie richtetsich insbesondere an den wissenschaftli-chen Nachwuchs in Universitäten undaußeruniversitären Wissenschaftseinrich-tungen und lädt alle Interessierten dazu ein,bis zum 18.2.2006 eine nicht mehr alseine Seite umfassende Kurzbeschreibungdes eigenen Referatsvorschlages einzurei-chen. Auf der Basis der eingereichten Vor-schläge wird eine Auswahl getroffen unddas endgültige Programm zusammenge-stellt. Die Tagung wird von Dr. Herwig Un-nerstall und Dr. Randi Thum ([email protected]) organi-siert und geleitet. Teilnahmegebühr: 40,– Euro bei Anmeldungbis zum 07.04.2006. Ein Anmeldeformular, Vorgaben für die Ge-staltung der Kurzbeschreibungen und weite-re Informationen (auch zum Programm2005) sind unter www.ufz.de/lpru zu fin-den. Das Department Umwelt- und Pla-nungsrecht am UFZ lädt herzlich zur Teil-nahme ein.

T E R M I N E

ZUR_1_06_Mantel 22.12.2005 12:42 Uhr Seite IV