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7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
1/120
EUGEN HERRIGEL
DER ZEN WEG
UFZEICHNUNGEN US
DEM
N CHL SS
IN VERBINDUNG MIT GUSTY L HERRIGEL
HER USGEGEBEN VON
HERM NN T USEND
OTTO WILHELM B RTH VERL G
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
2/120
Vierte Auflage
Alle Redne auch die des auszugsweisen Nachdrucks der photomechanischen
Wiedergabe und
bersetzung
vorbehalten
958
by Otto
Wilhelm
arth
Verlag Mnchen
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
3/120
VORWORT
Eugen Herrigels ,,,Nachgelassene Aufzeichnungen
werden hier in unveranderter 3. Auflage vorgelegt.
s
handelt sich um Niederschrifien, die Herrigel selbst
nicht mehr zu
einem Buche gestaltet bat. Gleichwohl
sind diese von ihm selbst durchgeformten Fragmente
ber die Mystik des Zen eine unschatzbare
lnfor-
mationsquelle, die nicht berholt
und
nicht ersetzlich
geworden ist durch das Erscheinen
auch
zahlreicher
anderer Vero/fentlichungen ber diesen Gegenstand.
Was als Notiz
von einem Gewahrsmann aus
japan
in der
1
Auf
age dies
es
Buches mitgeteilt wurde, ist
seit den drei/Jiger ]ahren inzwischen wiederholt be
statigt worden: Herrigel sei der einzige Nicht-fapaner,
der das W esen des Zen begri
ff
en und einen H
auch
sei
nes wahren Geistes versprt habe. So berichtete es noch
jngst Ernst Benz aus einem f apanaufenthalt als die
unabhangig voneinander ausgesprochene M einung ver
schiedener japanischer Zen-Meister.
Die wichtigsten biographischen N otizen ber Eugen
H errigel sind am Ende dieses Buches zu finden. Au
eine Gesamtwrdigung der einzigartigen Personlich
keit Herrigels, wozu
im
besonderen das Gedenken
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
4/120
zu seinem Hinscheiden Anla/J war ist in dieser 3. Auf-
lage verzichtet.
s
bedarf des Rhmens nicht
auch
nicht des Schutzes gegen Verkennung und Verzerrung
seines Personlichkeitsbildes. W
er
die nachstehenden
Aufzeichnungen liest kann auch ihn kennen lernen
wieerwar
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
5/120
ERZEN WEG
Aus den Aufzeichnungen von Eugen Herrigel
Zen-Meister sind ewige Wanderer.
n
und f r si
h
ist das W ort weniger als der Ge
danke der Gedanke weniger als die Erfahrung. Das
W ort ist Filtrat und was si h darin niederschlagt ist
des Besten beraubt. Platon im 7. Brie/: Ein ernsthafter
Mann der
si h
mit ernsthaften Dingen beschiiftigt
sollte nicht schreiben.
Man m/Ite viele Leben haben um die Wahrheit
des Zen
zu
erfassen sie
zu
sein.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
6/120
ZEN UND DIE KLASSISCHE BUDDHISTISCHE
VERSENKUNGSMYSTIK
Allein schon um der methodischen Begrndung der
mystischen Existenz willen unterscheidet
sich
die
buddhistische Mystik auffallend von der der brigen
Welt. Sie hat die Versenkung zu einer Kunst erhoben,
in der die Technik nicht nur, wie in aller Kunst, die
ihr gebhrende Rolle spielt, sondern einen beraus
breiten Raum einnimmt. Und
damit
hat
sie
sich
ein
Verdienst von geradezu unabsehbarer Tragweite er
worben: Sie hat die mystische Praxis dem bloBen
Ungefahr entzogen. Auch sie bezeichnet die Gesamt
heit der Leistungen, die zur Entsinkung fhren, ais
Weg . Aber nirgendwo sonst hat der Weg, die Me
thode der Versenkung, eine derart fondamentale Be-
deutung gewonnen.
Ostasien verdankt dem Weg uddhas unendlich
viel. Es
hat
einen einzigartigen
Typ des
priesterlichen
Menschen hervorgebracht. Ob dabei das erreichte
Niveau berall im Buddhismus bis heute gehalten
ist,
sei
hier nicht gefragt. Auch nicht, ob aus strenger
Methode Routine geworden ist, aus Erleuchtung ge
lehrtes Wissen.
Vom Zen-Buddhismus soll hier die Rede sein.
Und
auch bezglich
des
Zen sei hier nicht
er>rtert
wann,
wie, durch wen es entstand, nur: weshalb es - dem
Buddhismus
zugeh>rig
- methodisch einen anderen
W
eg
einschlug ais die klassische buddhistische Ver
senkungsmystik.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
7/120
Es ist auffallend, daB im Buddhismus Erleuchtung
in der reinen Schau eben jener Wahrheiten besteht,
mit der die Meditationsarbeit anhebt, in abstrakter
Fassung, aller Gefhlseinschlage beraubt, die Erkennt
nisse
wiederkehren, die zur Weltflucht treiben, das
Urerlebnis Buddhas also, ais er noch nicht erleuchtet
war, sondern
sich
erst auf den
Weg
machte, sanktio
niert wird. Erklart sich das Ergebnis dann nicht dar
aus,
daB
dem Meditierenden das Thema sozusagen
zur fixen Idee wird?
Der Buddhist geht davon aus,
daB
Leben Leiden
sei.
Wie aber, wenn das Urerlebnis anders ware: das Le
ben ais erfreulich und die Welt ais beglckende
r-
monie erlebt wrde, mBte dann nicht auch die Er
leuchtung demgemaB ausfallen? Dabei ware dann
freilich unbegreiflich, weshalb man
sich
von dieser
schonen
und harmonischen Welt loszulosen versuchte.
Man kommt also auf diesem W
eg
der Meditation
offenbar nicht ber sich selbst hinaus. Man kommt
nicht in ein
jenseits
von Denken und Nichtdenken,
Lust und Unlust usw., sondern
bloB
zum Nullpunkt,
den man ais jenseitig ausgibt. Womit wird dann aber
eine Unio vollzogen? Doch nur soviel: daB der sich
Versenkende zwar von dem
sich
loslst, was nicht
zu seinem eigentlichen Wesen geh0rt, und somit auch
nur
sich
selbst wenn auch den tiefsten Grund seines
Wesens
findet.
Es
mBte folglich - darauf konnte man kommen -
auch moglich sein, Versenkungs- und Konzentrations
bungen ohne vorgegebenes Thema zu betreiben, einen
Weg also einzuschlagen, bei dem man sich an nidits
Festes, Objektives halten kann - ohne alle welt
ansdiaulidien Voraussetzungen also, derart,
daB
das
Dasein weder leidvoll nodi lustvoll gilt, weder has
sens- nodi liebonswert, audi wenn
es
verganglich ist.
Weltansdiauung soll vielmehr erst aus der Erleudi-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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tung kommen DaP es Erleuchtung gibt, hat Buddha
selbst verheiBen. Vielleicht fallt sie ganz anders aus,
wenn man ihr nic hts suggeriert. DaB dies moglid:i
sein muB geht aus dem Weg Buddhas hervor.
Es
gibt
da ein Stadium der Indifferenz, da steht man im
Nullpunkt
zwisc hen Wissen
und
Nic:htwissen und
richtet sic h auf
nic hts
mehr. Aber - in der buddhisti
sc hen Versenkung ist man durch die vorhergehenden
Stufen vorbelastet.
Wie nun, wenn man es ohne dies von Anfang an
so mac hte? Einfac:h bte, sich zu versenken, vollig
leer zu werden, ohne Programm? Den
Mut
hatte,
es
darauf ankommen zu lassen.
1
Das
war
der Weg des ZEN Es laBt sich
nic ht
fest
stellen, wie lange das Nic hts so versuc:ht worden ist.
DaB es aber gelang, beweist das Dasein
des
Zen in
China und
J
a pan. DaB
es
glanzend gelang, beweist
die Lebendigkeit des Zen bis auf den heutigen Tag.
Unverstandlic:h bliebe von hier aus nur: welc hen
Grund
zur Loslosung vom Dasein sollte der Zenist
haben, da er
sich
dem Dasein gegenber weltanschau
lich vollig neutral verhalt? Eine Erklarung dafr lieBe
sich
zunac:hst
gesc hic htlich
geben: er wuBte, daB
es
Erleuc:htung und einen Weg zu ihr gibt. Nac:htraglich
aber konnte er sagen, daB die Erfahrungen, die er
gemacht hatte, die
groPe Befreiung
seien.
Wovon
n
welc hem
Sinn
Darauf gibt das Ganze Antwort.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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ElGEN RT DES ZEN
abgehoben von europaischer Mystik)
lm Zen hat der ensch durchaus nicht die zentrale
Stellung wie in der europaischen Mystik, in welcher
die
unio mystica
als der berschwenglich beglckende
und verpflichtende Vorzug des Menschen erscheint.
Er, nur er, ist unter allen Wesen dazu berufen, und
indem er sie erreicht, tritt er aus dem Stand des Seins
in der Welt heraus. Ek-stasis nennt man
dieses
Heraus
treten, dieses Sich-verlieren und Sich-wiederfinden,
dieses
Abscheiden und Wiedergeborenwerden. Was er
dabei wiederfindet, ist seine eigentliche Mitte, sein
im Grunde unverauBerliches Selbst, das in der
unio
aufgehoben und dennoch bewahrt wird.
In
Gott, in
der Gottheit, oder wie man sonst in der europaischen
Mystik das nennt, womit und worin die unio
si h
ereignet, wird das Selbst nicht endgltig ausgeloscht,
sondern gerettet, begnadigt und besiegelt. Nur vor
bergehend, nur um der Einswerdung willen, welche
die Zweiheit nicht ertragt, wird die Entselbstung ge
fordert, weil
si h
Gott nur in diejenige Seele hinein
gebiert, die ihr Selbstseinkonnen ais letztes und hoch
stes
Opfer dargebracht hat und keinen Widerstand
mehr leistet.
lst
die Geburt vollzogen, dann wird
die Seele die von Gott ermachtigte Mitte, aus
si h
selbst zu sein und zu leben wie ein aus
si h
rol
lendes Rad.
lm
Zen
dagegen ist das menschliche Dasein ais sol
hes
ekstatisch und exzentrisch, ob es dessen inne
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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wird oder nicht.
Je
mehr
sich
der Mensch ais ein
Selbst fhlt,
es
zu steigern und in unendlicher, in
Wahrheit nie erreichbarer Annaherung zu vollenden
versucht, um so entsdiiedener ist er aus der Mitte
des
Seins
die nicht - nicht mehr - seine eigene Mitte
ist, herausgetreten, um
so
weiter
hat
er
sich
von ihr
entfernt.
Fr
den Zen-Buddhisten lebt alles Daseiende auBer
dem Menschen, leben Tiere und Pflanzen, Stein und
Erde, Luft, Feuer und Wasser, anspruchslos aus der
Mitte
des
Seins, ohne
sie
verlassen zu haben und
verlassen zu konnen. Will der verirrte und verwirrte
Mensch die Geborgenheit und Unschuld des Daseins
erlangen, die jene so berzeugend darleben, weil sie
von Grund aus absichtslos sind, dann bleibt ihm
nic hts
anderes brig ais radikale Umkehr. Er muB
den Weg, der
sich
ihm in tausend .i\.ngsten
und
Noten
ais Abweg entlarvt hat, zurcknehmen, alles von sich
abstreifen, was ihn zu
sich
selbst zu bringen ver
sprach, dem verlockenden Zauber eines Lebens aus
eigener Macht entsagen, um heimzukehren in das
Haus
der Wahrheit , das er Phantomen nachjagend
mutwillig verlassen hat, kaum
war
er flgge gewor
den. Er
muB
nicht werden wie die Kindlein , son
dern wie Wald und Fels, wie Blte und Frucht, wie
Wetter und Sturm.
lm Zen bedeutet unio Heimkehr, Herstellung eines
ursprnglichen, aber verlorenen Zustandes.
Und
so
muB der Mensch, um wie Tier und Pflanze und alles
Daseiende berhaupt aus der Mitte leben zu konnen,
den Weg einschlagen, der alles negiert, was an
ihm
exzentrisch ist.
n
Ostasien wird diese Heimkehr und Umkehr nicht
dem Zufall berlassen. Sie kann vorbereitet, ins Le
ben gerufen werden. Das geschieht vor allem in Japan.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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lm Zen-Buddhismus wird dieser Weg methodisch be
schritten.
Gegen das angedeutete Seinsverstandnis des Zen
Buddhismus konnte nun gerade ais Einwand geltend
gemacht werden: der ostasiatische Mensch sei doch
nie in seiner langen Gesd1ichte auch nicht in der Ge
genwart
so
hoffnungslos aus der Natur herausgefal
len wie vergleichsweise der europaische Mensch. Das
ist zweifellos richtig und laBt
sich
nicht
nur
durch
einen Blick auf das tagliche Leben sondern
noch
deutlicher und eindeutiger aus der ostasiatischen Kunst
belegen. Aber man
mu sich
klar darber sein
da
selbst ungebrochene
aturnahe
noch lange nicht
Zen-
Nahe bedeutet. Die
Natur
man fasse sie begrifflich
wie man wolle ist keineswegs jene allumfassende
Wahrheit aus der zu leben das Wesen des Zen aus
macht. Aber auch durch Hinweis darauf ist nichts
gewonnen da der ostasiatische Mensch - und vor
nehmlich der J a paner - jenen Bindungen welche die
Tradition auferlegt sich kaum entzogen habe oder
zu entziehen vermoge trotz Modernisierung seines
Lebens in wirtschaftlicher politischer und technischer
Hinsicht. Der Einwand verfangt nicht und geht nicht
auf den Kern. Denn: ais der Zen-Buddhismus nach
Japan eindrang war von Modernisierung des Lebens
noch keine Rede. Obgleich also damais die Menschen
in ungebrochener Naturnahe und im Banne der frag
los bejahten Tradition lebten lie sich der Zen
Buddhismus nicht iin geringsten davon abhalten die
ses
behtete Dasein ais exzentrisch anzusehen ais
Abfall und endlich ais Schuld.
Fr den Zen-Buddhismus ist ein Abfall und damit
eine Schuld in der freigelassenen Moglichkeit
des
Men
schen vorbereitet weitgehend aus sich selbst zu leben.
Der Mensch fhlt
sich
und erlebt
sich
als ein Ich.
Die Ichhaftigkeit fhrt ihn zu Ichsucht und Selbst-
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behauptung in verscharfter Abgrenzung zu allem
Nicht-Ich und damit
zur
Herzensverhartung.
Er
fhlt
sich und macht
sich
zur Mitte wenn nicht bewuBt
so
doch insgeheim. Diese Entwicklung hat die T en
denz
sich
weiter zu verscharfen. Es ist aber gar nicht
ntig
daB
das bis ins Extrem fhrt.
Fr
den Zen
Buddhismus sind schon die ersten selbstischen Regun
gen
des
Kindes unvermeidlich
und
verderhlidi. Daher
ist
es
kein Einwand zu sagen: der Ostasiate
sei
nie
bisher aus der
Natur
herausgefallen wie der euro
paische Mensch und lebe noch immer in traditionellen
Bindungen. Dies heht nicht auf
daB
er trotzdem im
Kampf
mit seiner Ichhaftigkeit liegt und daher weit
davon entfernt ist
so
aus sich selbst zu
le
ben ais
wrde er gelebt und umgekehrt.
Die besondere Gefahr
a ber
besteht darin daB der
Mensch naiverweise das gar nicht weiB
und sagte
man
es
ihm
es
nicht verstehen kann. Mit seiner Ich
haf
igkeit verbindet
sich
eine Entstellung der Daseins
wirklichkeit. Sein Blick ist verstft.
Er
kann also gar
nicht vergleidien und den Unterschied zwischen dem
was er ist und dem was er sein sollte einsehen.
Denn: was und wie er sein sollte laBt
sich
nicht
vorweg beschreiben. Das ist nicht ein anderer Stil
eine andere Richtung seines alltaglichen Lebens kein
Bild das er verwirklichen konnte; nichts was
er
mit
BewuBtsein und Willen Ernst und Verantwortungs
hewuBtsein durchfhren konnte sondern etwas total
anderes: etwas das
sich
ihm vollig entzieht
nur
durdi
Wandlung von der Basis her erreicht werden kann:
durdi
Umkehr
aher
predigt der Buddhismus nicht. Das bleihen
Worte. Er wartet auf die die
sich
beengt fhlen und
unsicher von geheimer Sehnsucht getrieben.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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lm
folgenden wird nun der Gang der Sdmlung
und Wandlung von Menschen beschrieben, die in Ja
pan auf diesen Weg gebracht werden: in zen-buddhisti
schen
Klostern.
Zuvor sei noch eine allgemeinere Bemerkung voraus
geschickt. Wer die Moglichkeit und das Glck hat,
japanische Zen-Buddhisten in jahrelangem vertrautem
U mgang kennen zu lernen, vermag
sich
kaum der
Versuchung zu entziehen, sie bis in die unscheinbar
sten 1\.uBerungen ihres alltaglichen Lebens zu beob
achten, gleich ais oh
es
auf diese Weise gelange, das
Ratsel zu losen, das sie aufgeben. Denn tief betrof
fen wird er dessen inne,
da
er es mit Menschen
eines ganz eigentmlichen Schlages zu tun hat. Nicht
nur in ihrem un und Lassen, Reden und Schweigen
scheinen
sie
unter einem besonderen Stern zu stehen,
sondern auch
in
ihrem absichtslosen Gehaben: in ihrem
Stehen und Gehen, in der Art, wie sie Tee trinken
oder eine lastige Mcke verscheuchen.
Es
ist, als oh
die Welt, aus der
sie
leben, ihr Dasein in unvergleich
licher Weise gepragt hatte. So da
sich
nichts in ihnen
und um sie herum ereignet, was nicht in fhlbaren
Bezug zu ihr schon getreten ware oder zu treten
sich
anschickte - zu jener unsichtbaren Mitte, die Rang
und Schicksal ihrer Existenz bestimmt. Sie selbst spre
chen nicht ber das, was sie im tiefsten Inneren be
wegt und nicht bewegt) und unterliegen nicht dem
Drang, Bekenntnisse abzulegen. Mit undurchdring
lichem Lacheln entziehen sie
sich
dem Erforschen und
berh0ren vollends Fragen, die bloBe Neugier stellt.
So vermag sich ihrem Geheimnis auch nur zu nahern,
wer
es
selbst zu erleben
sich
auf den Weg macht.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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SCHULUNG
IN DEN ZEN BUDDHISTISCHEN
KLOSTERN
Die jungen Zoglinge eines Klosters zum Priester
beruf bestimmt kommen ostasiatischen Verhaltnissen
entsprechend selten aus eigenem Antrieb.
In
den mei
sten Fallen folgen
sie
dem Wunsch der Eltern. Solche
Zoglinge machen sich diesen Wunsch aber so sehr
zu eigen
da
er wie eigener Antrieb wirkt. Sonst
wrden
sie
keine Befriedigung finden. Denn die Lauf
bahn eines Priesters ist nicht gerade verlockend: Stren
ges
e n t e h r u n g ~ r e i c h e s
Leben fr dessen Drftigkeit
aber innerer Reichtum entschadigt so sehr
da sie
es
nicht mehr vertauschen konnten. Aber zu bungen
in Meditationshallen zen-buddhistischer Kl0ster kom
men berdies noch andere: Schiller aller Jahresklassen
die sich auf irgendeinen Beruf vorbereiten oder schon
darin stehen und unter ihnen Knstler aller
Art
ais
besonders erwnscht. Diese kommen - zu vorber
gehendem Aufenthalt - nur aus eigenem Antrieb
nicht nur vom Geist des Zen schon irgendwie berhrt
sondern in der berzeugung
da
engerer Kontakt
damit ihnen gibt wovon sie nicht nur ihres Berufs
sondern auch um ihrer selbst willen nicht absehen
drfen.
Diese alteren Schler sind durch Lebenserfahrungen
oder Beruf schon irgendwie geformt und vielleicht
bewahrt. Und das ist fr ihre Auswahl und Zulas
sung fr ihr Gefundenwerden durch den Meister
wichtig. Sie stehen schon in einem mehr oder weniger
umfanglichen Pflichtenkreis haben gelernt
sich
in den
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
15/120
Dienst irgendeiner Sache, von Pflichten zu stellen,
haben eine vielleicht nicht unbetrachtliche Willens
und Verstandesschulung durchgemacht. Und darauf
wird,
so
berraschend
es
sein mag, Wert gelegt. Dann
was
sie
erlernen sollen: Konzentration um der Medi
tation willen, erfordert die Fahigkeit,
sich
stunden-,
tage-, wochenlang auf einen und denselben Sach
verhalt zu konzentrieren. Dies setzt Festigkeit und'
Ausdauer
des
Willens ebenso wie klaren Verstand
voraus. Ausgesprochene Gefhlsmensd:ten tun
sich
-
wider Erwarten - schwer, ja vielleicht dringen
sie
nicht ein. Eine Erleichterung aber ist,
da
der japani
sche Mensch es gelernt hat, Pflichten selbstverstand
lich nachzukommen, auch ohne Neigung. Es
ist
dies
die einzige Stelle, wie
ich
glaube feststellen zu kon
nen, an der der Japaner das Ethos des ,,Sollens ,
den ,,kategorischen Imperativ versteht und billigt.
Und
so
wird auf sittlichen Charakter groBer Wert
gelegt wie auch auf Beachtung der sozialethischen
Ordnungen - nicht ais oh die Lernenden endgltig
dabei stehen bleiben sollten - Zen berwindet diesen
Standpunkt - sondern als Anfangsstadium.
Ethisches Verhalten ist hier nicht Selbstzweck, son
dern nur Mittel, eine Verfassung herzustellen, welche
fr den Beginn unerlaBlich ist.
Diese Schulung von Willen und Verstand wird
erganzt und untersttzt durch drftig-einfache Ernah
rung, praktisch-k>rperliche Arbeit zur Erholung, dazu
kommt nur das erforderliche
Ma
an Schlaf auf har
tem Lager.
Es
herrscht eine beraus strenge Zucht.
Pnktlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbstbeherrschung
werden verlangt, Ertragen von
itze
und Kalte, un
abhangig von der Witterung.
Schon von dieser Seite her wird der EinfluB des
Zen-Buddhismus auf das Samuraitum verstandlich,
ja,
da
der Samurai-,,geist dadurch wesentlich be
stimmt worden ist. Noch heute ist der Unterricht im
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
16/120
BogenschieBen und Schwertkampf durch strenge Zucht
ausgezeichnet. Die bungen werden mit Vorliehe auf
frheste Morgenstunden verlegt man ist nchtern.
Der Unterschied der Jahreszeiten spielt keine Rolle.
Die kaltesten wie die heiBesten Stunden werden
bevorzugt.
Bei
den jungen Zoglingen befleifgt man sich eines
anderen Stils:
Sie
sind in jeder Hinsicht Anfanger
unbeschriebene Blatter. Der Meister
muB sie
erst ken
nen lernen bevor er sie auf den Zen-Weg setzen
kann. Daher ist ihre Tatigkeit zunachst eine ganz
andere ais erwartet. Sie mssen Raume saubern
Kchen- Feld- und Gartenarbeit verrichten. Dabei
werden
sie
vom Lehrmeister insgeheim beobachtet.
Aber nicht nur Tempo
Geschick
und
Geschmack
zah
len sondern wichtiger sind: Willigkeit Eifer Ge
wissenhaftigkeit Selbstlosigkeit Dienstbarkeit. Sie
durchlaufen also gleichsam eine Probezeit. Dabei ruht
der untrgliche Blick
des
Lehrers auf ihnen. m we
nigsten beachtet er wie
sie sich
ihm gegenber auf
fhren. Denn
daB sie
ihm ehrfurchtsvoll begegnen
ist selbstverstandlich aber nicht aufschluBreich genug.
Wie sie sich zu Mitschlern verhalten worber sie
sich
unterhalten ist nicht charakteristisch genug.
Denn auch im Kloster bilden Stil und Atmosphare
etwas dem man sich anpassen kann - man kann
so
tun ais oh. Zu achten auf das was einer unterlassen
hat ist darum oft
noch
wichtiger ais darauf was er
tut. Dagegen sagt der Umgang mit Dingen Geraten
gerade wenn der Zogling unheobachtet ist sehr viel.
Das ist verraterisch. Meister kennen sich darin aus.
Sie vermogen daraus zu lesen vielleicht mehr ais
unsere Graphologie aus der Schrift. Der Meister ver
hait sich zu ihnen unnachsichtig streng kurz angehun
den ais Feind
des
Schlers in wahrster Bedeutung.
Es ist das aber eine Strenge aus Gte unabhangig
von Launen und Gefhlen.
r
ist unbeirrbar und
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
17/120
konsequent. Es gibt aus der Geschichte des Zen
Buddhismus sogar Beispiele mitleidloser
arte
des
Meisters. Der Schiller kann noch nicht erkennen, daB
das alles, wie
sich
spater herausstellt, aus Barmherzig
keit geschieht.
Wenn der Schiller dann aber soweit ist, beginnt
die eigentliche U nterweisung, die man - mit Vor
behalt - "geistig" nennen darf. (Die spezifisch gei
stige Zucht beginnt mit der Lauterung, Reinigung der
Anschauungskraft
Zunachst ist gefordert, Gegenwar
tiges in seiner ganzen sinnlichen Fillle auffassen zu
konnen, unter Umstanden auch mit seinem beleidigen
den und widerwartigen Drum und Dran, und auf
die Dauer festzuhalten. Immer wieder gilt es
sich
von neuem in Wahrnehmungsgehalte zu versenken,
bis man sie auswendig
weiB
und nacfr Belieben in
der Erinnerung
so
hervorrufen kann,
daB
sie
sich
in all ihrer sinnlichen Fillle prasentieren.
lst dies gelaufig,
so
muB
man lernen,
sich
dar
ber zu erheben, das Angeschaute nun gleichsam von
innen her ergreifen, es durchschauen und so fassen,
wie es der Kilnstler, mit wenigen Strichen sein
Wesen
verdichtend, sieht und darstellt. Hieraus schon wird
verstandlich, wieviel die
Kunst
dem Buddhismus
verdankt.
lst dies bis zur Meisterschaft gelaufig, dann laBt
sich
eine Steigerung erzielen: Landschaften, Felder
mit Blumen, Herden, Menschenmassen in den
Blic:k
zu fassen, und zwar so, daB man trotz des Waldes
noch
immer die Baume sieht, dann aber in Verdiln
nung hres Realitatsgehaltes im Einzelnen den blei
benden Charakter des Ganzen faBt und diesen wie
in unendlicher Abbreviatur festhalt. SchlieBlich mu
auch diese ideierende Schau des reinen Wesens noch
berboten werden: die Welt selbst, leere Raume und
schlieBlich
den unendlichen Raum
mu
man vorstel
len und dadurch die Anschauungskraft erweitern kon-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
18/120
nen.
Es
ist moglich,
da
hier alles ins Vage ber
geht. J edenfalls aber bleiben
solche bungen
nicht
ohne EinfluB.
Die Anschauungskraft zu ben, fhrt nicht nur zur
Steigerung der geistigen Konzentrationsfahigkeit als
solcher, auch der mystisch Erfahrene, der
sich
in der
Lebenswirklichkeit bewegt, hat, wie
sich
spater er
geben wird, gesteigerte Anschauungskraf n0tig.
Erst wenn diese erreicht ist, setzt die eigentliche
Meditationsarbeit ein.)
tembungen
ei
der mit Vorbehalt ,,geistig zu nennenden
grundlegenden Unterweisung handelt
es sich
um Atem
bungen im Lotussitz. Fr den Japaner ist dieser
Sitz leicht zu erlernen, da er von Jugend auf mit
untergeschlagenen Beinen auf seidenen Kissen sitzt
und
erst in der Schule Sitzen auf Sthlen und Ban
ken kennen lernt. Fr den Europaer ist jene
rt des
Sitzens zunachst qualvoll und deshalb gefahrlich,
weil ja die Aufmerksamkeit nicht abgelenkt werden
soll. Daher wird er
sich
zunachst mit einem Halb
Verschrankungssitz oder mit dem Sitzen auf einem
Stuhl begngen mssen. Wem aber der Lotussitz
mhelos gelingt, der wird zugeben,
da
er das Ge
fhl vollkommener Abgeschlossenheit hervorruft. Vom
bequemen Sitz hangt deshalb
so
viel ab, weil die
Atmung zu vollkommener k>rperlicher Lockerung
fhren soll. Das wird erreicht durch Konzentrtion
auf die Atmung selbst.
Es
wird in natrlichem Rhyth-
mus aus- und eingeatmet, aber jeder Atemzug mit
BewuBtsein vollzogen, sogar anfangs gezahlt. Die
Ausatmung wird betont, denn
sie
wirkt loslosend.
Je besser
es
gelingt, um
so
immuner wird man auBeren
Eindrcken gegenber. Diese werden am Ende kaum
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
19/120
an- und aufgenommen. Gleichzeitig damit erfolgt
eine Entspannung. Am
SchluB
ist man nur
noch
Atmung; man wird geatmet. Die Atmung hat nun,
sich
selbst berlassen - also ohne noch beachtet oder
bemerkt zu werden
-
ihren eigenen Rhythmus ge
funden. Sie dampft
sich
herab auf ein Minimum, das
gerade noch gengt. Dabei entsteht allerdings auch
die Gefahr des D0sens, gegen das man in der k10ster
lichen Erziehung den Stockschlag, d. h. die auf
scheuchende Berhrung mittels eines langen Stabes
angewandt hat.)
Aber das ist nun auch die Stelle,
an
der je ener
gischer das
A uBere
ausgeschaltet, das Innere laut wird.
Es
ist das nach Ausschaltung auBerer Reize die -
fahrungsquelle, die der Lehrmeister verstopfen muB
Man darf
sich
ber nichts, was auch zum Vorschein
kommen moge, und
sei
es noch
so
beschamend, wun
dern. Man
muB
alles gelassen hinnehmen, wie wenn
man bloB Zuschauer, uninteressiert, ware, Beobaditer
eines Gesdiehens, fr das man nicht einzustehen hat.
Man laBt
es
vorbeiziehen,
bis
es langweilt, man nur
noch mit halbem Ohr
hinh>rt
Das Resultat ist sdilieB
lidi: vollige Stille, die atmet, also wiederum ohne
bemerkt zu werden.
Diese versdiwindet jedoch vollig, sobald die Auf
merksamkeit neu aufgerufen, auf vollig Neues hin-
gelenkt wird. Mit soldier lnanspruchnahme beginnt
eine Serie von bungen, in denen Konzentration mit
Meditation verbunden wird. Diese bungen
gesche-
hen in der Meditationshalle oder in einem besonderen
Raum, wo
es
nicht zu hell ist, khl und ruhig sein
muB
in groBter Ruhe. Sie werden nur hie und da
durch Pausen unterbrochen, in denen man im Gar
ten umhergeht, dodi immet noch in das Problem
vertieft.
4
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
20/120
Das Koan
Gegenstand der Meditation ist das sogenannte
Koan
Es verlangt homste Anstrengung und erlaubt durm
aus kein hequemes Vorsichhintraumen.
Einige Beispiele fr Koans:
Wenn dein Geist nimt im Zwiespalt von Gut und
se weilt, was ist dann dein ursprngliches Antlitz,
hevor du gehoren warst?
Wenn
ihr
auf der StraBe einen trefft, der die Wahr
heit erlangt hat, drf ihr
an
ihm weder sprechend
noch schweigend vorhergehen. Nun sagt: Wie wollt
ihr ihm dann begegnen?
Der Priester Shusan hielt der Versammlung der
Monche) den Stock shippei genannt, den Meister der
alten Zeit als Wanderstab, spater als Zeichen ihrer
Wrde mit
sich
fi.ihrten)
vor
Augen und sagte: Wenn
ihr dies einen Stock nennt, ist es anstoBig. Wenn ihr
es nicht Stock nennt, ist es verkehrt. Nun sagt: Wie
wollt ihr
es
nennen?
Haku in der bedeutendste japanisme Zen-Meister,
auf
den im wesentlimen die Methode der Koan
Meditation zurckgeht), pflegte eine
Hand
empor zu
halten und die Schler aufzufordern, ihren Ton zu
hren. Wie steht
es
damit?
An
diesem letzten Koan will im,
so
gut oder smlemt
es geht, zu verdeutlichen suchen, welme Wege der
Meditierende einschlagt, und worauf
es
ankommt.
Stunden-, tage-, wochenlang meditierend behrtet
der Schler seine Aufgahe. n tiefster Konzentration
durmdenkt er das Problem nach allen Richtungen
und
Moglimkeiten.
Es
wird ihm ohne weiteres klar:
da ein Ton nur von zwei gegeneinander hewegten
Handen
hervorgebramt werden kann, kann die Ant
wort
nur lauten: Den Ton einer einzigen
Hand
kann
aum
bei bestem Willen niemand horen. Aber
so
ein-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
21/120
fach kann die Lsung nicht sein.
Mu
nicht - vorsich
tiger - gesagt werden: Einen fr menschliche Ohren
vernehmbaren Ton erzeugt eine einzelne Hand nicht?
Aber damit kommt man nicht weiter. Auf Ton und
dessen
H0rbarkeit kann der Akzent offenbar nicht
liegen. Das scheint vielmehr Beiwerk zu sein, das
Problem komplizierter zu machen. Der Kern der
Sache
ist offenbar: was bedeutet in Hand im Unter
schied zu zweien? Lauft das nicht auf fondamentale
Unterscheidungen zwischen gegensatzlos Einem und
Zweiheit des Entgegengesetzten hinaus? Also die eine
Hand Symbol eines
rinzips -
diese Lsung emp
fiehlt sich offenbar schon deshalb, weil eine solche
Unterscheidung im Buddhismus eine entscheidende
Rolle spielt, von der so oft die Rede ist. Mit die
ser Lsung scheint also Entscheidendes getroffen
zu sein.
Der Schiller geht also zum Meister. r hat ja das
Recht, einmal am Tag ihn zu befragen. r tragt seine
Lsung begeistert und stolz vor. Der Meister h0rt
ihn an, schilttelt den Kopf und schickt den Verwirrten
ohne ein Wort der Erklarung in die Meditations
halle zurck.
Es
kann aber auch sein,
daB
er ihn
berhaupt nicht zu Wort kommen laBt und weg
schickt
kaum hat er die Tre geoffnet. Der Schiller,
sich
selbst ilberlassen, beginnt von neuem,
sich
zu
konzentrieren. r will
sich doch
auszeichnen, dem
Meister auffallen. Verbissen meditierend sucht er die
Losung zu erzwingen. Aber wie er
es
auch drehe und
wende - er kommt zu keinem anderen Ergebnis.
Weshalb also hat ihn der Meister abgewiesen? Hat
er sich vielleicht nur unbeholfen, miBverstandlich aus
gedrilckt? r berlegt
sich
also die Formulierung.
Geht wieder zum Meister. Dieser weist ihn erneut
ab, diesmal mit ausgesprochener MiBbilligung. Aber
wiederum erfahrt der Schiller nicht, was er falsch
gemacht hat. Der Schiller verfallt jetzt in einen merk-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
22/120
wrdigen Zustand. Wenn er der Losung so fern ist,
wird er je das Ziel erreichen konnen? r nimmt sich
zusammen.
Jetzt
geht
es
um alles - um das Leben
Nicht mehr als abwagender Verstand, sondern mit
vereinten Kraften
des
Leibes, der Seele
und
des
Gei
stes wirft er sich darauf, mit leidenschaftlicher Ener
gie, so daB das Problem ihn nicht mehr los laBt.
Auch wahrend der Erholungspause,
des
Essens, der
taglichen praktischen Arbeit qualt .er sich damit ab.
Es verfolgt ihn bis in den Schlaf hinein. r braucht
sich
nicht mehr zu zwingen, daran
zu
denken. Auch
wenn er
sich
zerstreuen modite, denkt
es
weiter in
ihm. Vergebens. Die Losung will sich nicht einstel
len. r zweifelt an seiner Fahigkeit, verzweifelt und
weiB sich nirgendwo Rat. Aus der volligen Ver
zweiflung rettet ihn immer nur wieder die Mah
nung des Meisters, die Konzentration so zu stei
gern, daB er von Stimmungen unbehelligt sei. r mu
mit Geduld und Vertrauen warten lernen, bis das,
was
sich
nicht zwingen laBt, reif ist und
sich
selbst
ergibt.
r stellt sich jetzt anders ein.
Nun
hat er es nicht
mehr
n>tig
das Problem zu zergliedern und durch
zudenken: das hat er schon bis zum berdruB getan.
r
denkt nicht mehr hin und her, nicht mehr an
dieses und jenes, an eine Hand .oder zwei Hande, an
Prinzipien oder dergleichen, auch nicht mehr an die
Losung, um sie herbeizuzwingen, und ist dennoch
auf
sie bezogen in einer unerhften geistigen Span
nung. r ersehnt sie wie ein Verdurstender den laben
den Trunk. Aber er verhalt sich wie einer, der sich
an Vergessenes erinnern mochte. So ist ihm zu Mute
wie einem, der sucht, was er vergessen hat, und mit
aller Kraft darauf aus ist,
daB es
ihm einfalle, weil
das Leben davon abhangt.
n dieser geistigen V erfassung mag
es
dann ge
schehen, daB ihm die Lsung pl>tzlich unvermutet,
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
23/120
einfallt. Oder aber: ein Anruf ein starkes Gerausch
in hartnac:kigen Fallen - das hat man frilher nicht
gescheut - schmerzhaf te Berhrung bringen die Span
nung zum Platzen. Wie erregend ist dieser Augen
blic:k.
Zittern SchweiBausbruch bekunden
es.
Aber
auch beglc:kend: Mit einem Mal fallt ihm ein was
er vergeblich gesucht hat. r sieht jetzt klar wo bis
her alles verworren war den Wald gleichsam trotz
aller Baume. Wie Schuppen fallt es ihm von den
Augen. r
hat
das Gefhl erlost zu sein. So blitz
artig ist
dieses
Geschehen
so
nachhaltig. Und dennoch
kann er es kaum fassen.
Stitori
n
dieser Verfassung geht er zum Meister. Nicht
mehr stolz und begeistert sondern verlegen und un
sicher. r verstummt vor ihm weil er nicht sagen
kann was ihm selbst ber alle MaBen klar ist. Oder
aber mit sich ilberstilrzenden Worten stammelt er
zusammenhanglos und sdieut
sich
das ais Losung
anzubieten.
Der Meister durchschaut ihn sofort. r hat vielleicht
schon ais der Schiller die Tilr offnete erkannt
claB
jetzt echtes Erlebnis wirkliches Erfahren vorliegt:
SATORI ERLEUCHTUNG. r beruhigt und be
starkt ihn.
Was ist mit ihm geschehen? Der Schiller
hat
nicht
etwa eine neue Deutung einen neuen Gedanken ge
funden. Vielmehr: er ist dahinter gekommen daB
er
die L6sung nunmehr sieht wie wenn ein neues - gei
stiges - Auge ihm eingesetzt ware. r sieht nicht
andere Dinge ais zuvor wohl aber die Dinge anders.
Seine Schau ist anders geworden -
ja wahrscheinlich
er selbst gewandelt.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
24/120
Daher fhrt kein gerader Weg von den blichen
Weisen des Sehens und Auffassens zu dieser neuen
durch Satori bedingten gewandelten Sicht. Vielmehr
erfolgt ein Sprung in eine neue Dimension. Deshalb
ist diese neue Sicht unvergleichlich, genau genommen
unbeschreiblich.
Aber besteht nicht Aussicht, sie wenigstens andeu
tungsweise zu charakterisieren? Wenn nicht, bliebe
ein Vakuum, und das Folgende, das ja so eng damit
zusammenhangt, noch unverstandlicher. Denn in die
ser fundamentalen Intuition, in diesem Innewerden
auf
den ersten Blick, wurzeln spatere und hohere Stu
fen des Zen. Und so muB sie fr den, der den Weg
nicht selbst durchlauft und nie anders ais durch .Hren
sagen kennenzulernen Gelegenheit hat, in irgend
einer, wenn auch noch so unbefriedigenden Weise,
umschriehen werden. Aber der Finger, der auf den
Mond deutet, ist nicht selbst der Mond, sagen die
Zen-Meister mit Recht.
Suzuki
2
hat dieses Bedrfnis lebhaft gefhlt. ,,Er
leuchtende Schau in die wahre
Natur
aller Dinge
3
,
,,Satori ist eine
Art
von innerer Wahrnehmung -
nicht etwa Wahrnehmung eines besonderen Gegen
standes, sondern sozusagen das Empfindungsvermogen
der wahren Wirklichkeit seibst '), Wahrnehmung
hochster Ordnung
5
.
Wollen wir zur wahren Wirk
lichkeit der Dinge gelangen, so mssen
wir
sie so
betrachten, als sei das BewuBtsein von Dies und Nicht
dies noch nicht erwacht
. . .
).
Diese Bemerkungen sind
zwar
richtig, aber so ratsel
haft
wie Satori selbst. Es besteht daher die Gefahr,
daB sie
Phantasie und Reflexion des Lesers in Ak
tion setzen und er
sich
ein Bild macht, das, wie es
auch ausfalle, immer verzeichnet sein wird. Ich will
es
darum - um eine Ahnung zu wecken - anders
versuchen.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
25/120
Zunachst scheint mir fr die neue Sicht charak
teristisch, daB fr
sie
alle Dinge in gleichem MaBe
gewichtig sind, die nach blicher menschlicher Schat
zung unscheinbarsten wie die bedeutsamsten. Sie mu-
ten an, ais hatten sie gleichsam absoluten Akzent
erhalten: als seien
sie
fr eine Beziehung durchsich
tig geworden, welche im Blickfeld der gewohnlichen
Augen niemals vorkommt. Diese Beziehung verlauft
nicht horizontal, von einem Ding zum anderen hin
und somit innerhalb der Welt der Dinge, sondern
vertikal: durch jedes einzelne Ding hindurch bis in
jene letzten Tiefen, in denen sich sein Ursprung ent
scheidet. Die Dinge werden somit vom Ursprung,
von dem Sein her geschaut und zugleich verstanden,
das
sich
in ihnen manifestiert. Insofern sind
sie
alle
vom gleichen Rang, alle im Besitz des Adelsbriefes
ihres Ursprungs. Sie sind also kein gegenstandliches
In-sich. Sie weisen ber
sich
selbst hinaus, auf den
Grund ihres Seins, aber doch so daB dieser Grund
nicht anders erfaBbar wird ais im Seienden, das er
be-grndet, und immer nur durch es hindurch.
Man mu
sich
das ganz klar machen: diese Sicht
enthalt nicht den geringsten Einschlag von Reflexion,
kommt auch nicht mit deren geheimer Beihilfe zu
stande.
Es
ist nicht so daB dieses Resultat auf Grund
anhaltender meditativer Versenkung in ein Koan
erwartet, erwnscht, vermutet wrde, so daB man
schlieBlich ,,glaubt zu sehen, was man vermutet.
Diese Sicht berfallt vielmehr blitzartig den Ver
senkten und mit einem Schlag. Sie ist so leibhaftig
deutlich, daB sie hochste GewiBheit mit sich fhrt.
DaB die Dinge also ,,sind gerade durch das, was
sie
ni ht
sind, und
daB sie
ihr Dasein diesem Nicht
sein ais dem
rond
und Ursprung verdanken: dies
eben wird unmittelbar ,,gesehen und verstanden.
Vielleicht erleuchtet eine gern
ais Koan verwendete
Anekdote, worauf es ankommt7):
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
26/120
Hyakujo trat
eines Tages, seinem Meister Baso auf
wartend, aus dem Haus, ais sie einen Flug wilder
Ganse sahen. Baso fragte: Was ist das?" - ,,Es sind
Wildganse, Herr. Wohin fliegen Sie?" - ,,Sie sind
weggeflogen,
Herr.
Pl0tzlich packte Baso
Hyakujo
an
der Nase und verdrehte
sie
ihm. Dieser, berwaltigt
von Schmerz, schrie laut: ,,Oh, oh "
,,Du sagst, sic seien weggeflogen", meinte Baso,
,,aber trotzdem sind sie alle von Anfang an hier
gewesen."
Da
troff Hyakujos Rcken von SchweiB, er hatte
Satori.
Der
Unterschied zwischen diesen beiden Behaup
tungen ist so weitgespannt, daB sie sich nicht ver
sohnen lassen. ,,Sie sind weggeflogen", das ist die
beinahe selbstverstandliche Feststellung
des
gesunden
Menschenverstandes. Sie sind nicht mehr sichtbar,
irgendwohin verschwunden, daher nicht mehr hier,
fr mich nicht mehr vorhanden. Das festzustellen, ist
keine Erleuchtung
n>tig.
Baso sieht vollig anders.
Wahrnehmen mit den natrlichen Augen, die jeder
von der Geburt her besitzt, kann nur bedeuten: fest
stellen, was von all dem Seienden jeweils mir vor
Augen kommt. Voraussetzung,
daB
etwas vor Augen
kommen kann, ist, daB
es
existiert. Mit dem dritten
Auge, das man erst von der Wiedergeburt her be
sitzt, sieht man gerade diese Existenz des Seienden,
den Seinsgrund. Und deshalb muB die Feststellung
lauten: ,,sie sind schon immer hier" (natrlich nicht
an
dieser Stelle des Raumes; denn Raum und Zeit
spielen in dieser Sicht keine Rolle) gewesen". Was
also so sinnlos, verdreht, ein frostiger Witz erscheinen
muB
ist in Wahrheit eine ganz einfache Tatsache, die
Baso ausspricht. Eine Tatsache, die er genau so ein
deutig und leibhaftig sieht wie Hyakujo die Tat-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
27/120
sache,
daB
sie weggeflogen sind. Keine dieser Tat
sachen widerlegt die andere,
so
sehr liegen
sie
in vollig
verschiedenen Dimensionen, und Hyakujo hatte durch
anhaltendes N achdenken und berlegen die L0sung
nie finden konnen. Erst im Augenblick
des
heftigen
Schmerzes, der ihm das Nachdenken vertrieb, fand
er, wie die Geschichte berichtet, die L0sung durch
Satori.
Man darf nun nicht deshalb, weil man das Gefhl
hat, mit der Feststellung
des
Baso irgend etwas an
fangen zu konnen,
sie
irgendwie zu verstehen - und
ihm deshalb zu verzeihen, meinen, man vermoge den
Standpunkt Basos
einzunehmen und
sich
bei seiner
Aussage etwas Sinnvolles, ja vielleicht sogar Tief
sinniges, zu denken. Nicht darauf kommt
es
an, son
dern alles hangt daran,
daB
man, wie Baso, ,,sehe ,
und zwar unmittelbar, auf den ersten Blick, und
so
und nicht anders auffasse. Baso seinerseits versteht
natrlich die Feststellung des Hyakujo: er hat diese
Auffassungsweise frher geteilt und fr normal
ge-
halten. Aber er versteht noch mehr:
daB sie
geistlos
und geradezu exzentrisch ist.
un ware
es
ein MiBverstandnis, zu meinen, die
erleuchtende Schau, moge sie fundamentalen Gewinn
bringen, sei doch mit folgenschwerem Verlust bedroht.
Es
entgehe hr die leibhaftige Flle ds gegenwartig
Daseienden, sie werde um den Sinn dafr betrogen.
So
wichtig
es
sei
die Dinge von ihrem erlauchten
Ursprung her zu sehen, so wichtig sei es
doch
auch,
sie
als das aufzufassen, was
sie
ganz einfach sind
Nicht nur, daB sich in ihnen etwas manifestiert,
sondern, wie, in welcher Form und Gestalt
es
sich
manifestiert. Aber dieser Einwand trifft nicht. Gerade
weil
es
fr die erleuchtende Schau charakteristisch ist,
daB sie
das Geschaute nicht nach dem befragt, was
es in Beziehung zum Schauenden bedeuten konnte,
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
28/120
laBt
sie
das Seiende sein, was
es
- vom Urspr.ung
her - sein will, faBt
sie
die Dinge so auf, wie
sie
bildlich gesprochen, ,,gemeint sind.
n dem MaBe namlich, in dem ihr gestaltloser Ur
grund unzuganglich und unfaBbar ist, in dem
MaBe
sind die Dinge in ihrer Gestalthaftigkeit um so zu
ganglicher. Indem sie im Lichte ihres erlauchten
Ur
sprungs stehen, sind sie selbst licht und erleuchtet.
Je
geheimnisvoller im Grunde, um so offenbarer bie
ten sie sich dar. Je schweigsamer mit Rcksicht auf
letzte Fragen, um
so
weniger verschweigen
sie
sich
selbst. Dies macht,
daB
der Schauende
sie
ihren eigenen
Weg gehen laBt, ohne sich mit eigenen Anliegen ein
zumischen. Weit davon entfernt also, sie
ais
bloBe
Erscheinungen des an sich selbst in diesem Stadium
noch unzuganglichen und unfaBbaren
U rgrundes zu
nehmen,
Ia t
er unbefangen jedes Ding ais
es
selbst
gelten. Dies gelingt in erstaunlichem Grade durch die
Eigenart dieser selbstlosen Schau: weit ber die Gren
zen der belebten
Natur
hinaus steht der Schauende
in innigstem Kontakt mit den Dingen und ihren
Schicksalen - auch mit denjenigen, die ganz m stoff
lichen Dasein aufzugehen scheinen, und vermag diesen
Kontakt gelegentlich sogar bis zum Rang volligen
Einsseins zu steigern (oh zu fhren oder gefhrt wer
den, stehe dahin).
Es
ist ihm dann zu Mute, ais
komme
das
Ding in der Schau nicht zu ihm, dem
Schauenden, sondern zu sich selbst und erlange erst
dadurch die ganze Flle seiner Realitat, ais erblicke
das Sein im Seienden sich selbst, umfa sse und trage
das Geschehnis der Schauung. Der Schauende fhlt
sich
dann nicht mehr ais den subjektiven Pol, dem
Dinge ais Objekte gegenberstehen, sondern er fhlt
das Sein ais den Pol von unfaBbarer W esenheit, und
sich
selbst zusammen mit allem, was begegnet, ais
den anderen Pol des gestalthaft Seienden, das wie er
selbst vom U rsprung herkommt.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
29/120
Denn was von jedem beliebigen Ding gilt, gilt auch
vom sogenannten Ich. Auch das Ich ist in der
Schau
transparent geworden,
es
wird durchsichtig
bis
in jene
letzten Tiefen, in denen
es
grndet. Man vergleiche
dazu das Koan: Was
war
dein Angesicht, bevor du
im Gegensatz von Gut und Bse standest?
d. h.
bevor
du ais individuelles Ich, ais dieser bestimmte
Mensch
in der Welt, in der Sphare der Vielheit und Gegen
satzlichkeit standest?
Die Losung
dieses
Koans besteht auch hier darin,
das ursprngliche Antlitz mit dem geistigen - drit
ten - Auge zu ,,sehen",
es
zu finden, also nicht mit
Hilfe der Reflexion zu erfinden, zu erdenken. Was
dann mit Rcksicht auf das eigene Ich erfahren wird,
wird dann nicht auf das andere Ich,
noch
weniger
auf Dinge bertragen - per analogiam gleichsam -
sondern
auch
alle diese anderen Gestaltungen wer
den, jedes fr
sich
vom Ursprung her unrnittelbar
erfahren.
Vielleicht ist diese
rt
der Schau Wiederholung,
Wiederbelebung, Steigerung und Befestigung eines
Verhaltens, das wir in Tagen der Kindheit gelegent
lich
von selbst bten.
Es
scheint, ais
sei
damais das
Ding, mit dem man spielte, vollig unbezogen und
unbeziehbar wahrhaft als
es
selbst erlebt worden,
so
sehr,
daB
alle Aktion von ihm auszugehen
schien
und
es
mit uns spielte. Wie dem aber auch
sei,
oh
im
Satori Rckkehr oder vollig Neues,
noch
nie Ge
schehenes
vorliegt:
Es
gibt unzweifelhaft ein unerhort
machtiges und alle subjektiven Krafte aufrufendes
und in seinen Dienst stellendes Erleben
des
schlechthin
Unbezogenen und Nichtunterschiedenen, ein Schauen,
Erleben, Erfassen und Erfa&twerden in einem. Es ist
daher verstandlich,
daB
Zen-Meister zunachst wenig
stens allerhochstens Ausrufe wie: Stock
Schnee
Wild
ganse gestatten, dagegen die Behauptung:
dies
ist
ein Stock dies sind Wildganse fr ebenso verfehlt
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
30/120
halten wie die entgegengesetzte: dies ist nicht ein
Stock dies sind keine Wildganse ; die Behauptung:
die Wildganse sind weggeflogen, fr ebenso verfehlt
wie die andere: sie sind nicht weggeflogen. Wer so
urteilt und dabei die Dinge sowohl
sich
selbst gegen
ber wie gegeneinander abgrenzt und dadurch aus
dem Zusammenhang
herauslst, sie isolierend, ist kein
Schauender mehr, sondern ein Betrachter, der auBer
halb des Bildes steht und das Betrachtete ais Gegen
ber erlebt. Der fhlt
sich
dann mit dem Geschauten
nicht eins, sondern wie von auBen her von Dingen
angrufen und antwortet darauf; und wiederum wie
sie befragend, damit
sie
antworten.
n
diesem in
und
er
von Frage und Antwort vermeint er die
voile Realitat
des ,,Objektes" ergreifen und bis auf
den Grond ausschopfen zu konnen, und merkt nicht,
mit wie drftigen Surrogaten er
sich
begngen
muB
Zwischen ihn selbst und das Objekt schiebt sich als
Medium ein Spiegelbild, das er mit Bedeutung beladt,
ohne zu ahnen,
daB
fr den Schauenden die Schau
bervoll ist von Bedeutung, fr die er
sich bloB
offenzuhalten hat.
Fr den Betrachter, der bewuBt alles mit allem in
Bezug setzt, liegt hinter und in allem Wahrnehm
baren Vergangenes und Zuknftiges in klarer Son
derung. Die Schau dagegen weiB nichts davon; sie
besteht in beziehungsloser Gegenwartigkeit, im un
reflektierten
Nun
eines geradezu zeitlosen
Gesche-
hens. Der Rhythmus wird nicht als Fremdes aufgefaBt,
sondern ais Eigenes wahrgenommen, wahrgehabt
n
lebendigem Mitschwingen im unerschopflichen, gren
zenlosen Sichwandeln mit den Dingen.
Wenn demnach Zen-Meister Aussagen ber die er
leuchtende Schau ablehnen,
so
nicht, weil
sie
es
fr
erstrebenswert halten, zur Primitivitat der geistigen
Anliegen Unmndiger zurckzukehren. Was sie ver-
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
31/120
langen, ist nic:ht nur, geistige Ursprnglic:hkeit zu er
langen, sondern
auc:h sie
zu wahren. Diese Ursprng
lichkeit ist nicht etwa primitiv,
so sc:hlic:ht
und ein
fach, einfaltig
sie
auc:h
sein mag, sondern das Produkt
einer unerh0rten geistigen
Zuc:ht;
und sie fhrt zu
einer Freiheit, der wahrlic:h kein Ding unmoglich ist.
Es
ist aber keineswegs im Sinne
des
Zen, diese anti
logische Haltung grundsatzlich zu fordern und auf
alle Lebensbereiche gewalttatig auszudehnen. ,,Grund
satzliches kennt das Zen berhaupt nic:ht.
Es
ist daher
nicht nur damit einverstanden,
daB
es
Bereic:he
gibt,
in denen Aussagen, Beurteilen, Planen, zweckmaBiges
Handeln eine Rolle spielen, sondern
es
geht
so
weit,
diese Verhaltungsweisen ais zum Dasein erforderlich
anzuerkennen, und damit ineins die Zerstorung der
Einheit von Subjekt und Objekt, die Subjekt-Objekt
Spaltung gutzuheiBen -
bis
an die Grenze hin, an
der erst sie anfangt, gefahrlich und unheilvoll zu
werden.
Weitere Koan Meditation
Der Meister wird dem Schiller zu passender Zeit
noch
andere Koans anvertrauen.
Nic:ht
um die Er
leuchtung Stck fr Stck zu erganzen - denn sie
ist mit einem
Sc:hlage
und ais unteilbares Ganzes
gegeben, da
in
jedem Koan das ganze Zen enthalten
ist - sondern um sie gelaufig zu machen, Wurzel
fassen zu lassen, einzuben. Sind doc:h die beiden
alten Augen noch immer in Funktion und haben die
lebenslanglic:he
bung
fr sic:h.
Und zugleic:h
ist
es
mit Hilfe von Koans mogliQi, den weiten Umkreis
des
Seienden abzutasten: Koans lassen
sich
in dieser
Hinsic:ht geradezu klassifizieren.
Der Schiller wird nun berwundene Fehlleistungen
beim Meditieren nicht wiederholen.
r
versucht keine
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verstandesmafge
L>sung
mehr, seit er durch MiB
erfolge gelernt hat, das Denken ais vollig unbrauch
bar auszusc:halten. Es ist moglich, daB ihm, kaum hat
er sic:h in konzentrierter Meditation versucht, die Lo
sung des Koans
auf
Anhieb gelingt. DaB
sie
ihn
geradezu anspringt und er in erleuchteter Schau
,,sieht , was gefragt war.
Und
dann wird er sich
wieder an den Meister wenden, um von ihm geprft,
bestatigt oder verworfen zu werden.
er
Entschei
dung des Meisters unterwirf er sic:h - nicht etwa
demtig, gehorsam, auc:h vermeintliche Fehlentschei
dungen hinnehmend, sondern willig wie Fgungen
des Schicksals. Vielleicht ist ihm solche Fgsamkeit
nicht von Anfang
an
eigen.
Es
mag sein,
daB
er sich
trotzig gegen den Anspruch des Meisters, ihn zu
durchschauen, aufbaumt, bis er eines Tages einsieht,
wie unrecht er hat. Bis er sich freiwillig ausliefert
in einem unersc:htterlichen Vertrauen in den Meister.
Wie der Meister ,,sieht , ob der Schler Satori bat
Woher wachst dem Meister diese Autoritat zu, die
er weder suc:ht noch verlangt, sondern findet, oh er
will oder nicht? Wie ist es moglich, daB er den Schil
ler, der in seiner Gegenwart verstummt oder unbehol
en stammelt, bis in den
Grund
der
See le durc:h-
.sc:haut? DaB er weiB und sieht, oh Satori erreicht ist?
Das ist genau so schwer zu erklaren, wie der Vorgang
des Satori selbst.
Es
ist noc:h einmal hervorzuheben: die erleuchtete
Sc:hau
ist so beschaffen, daB der Schler Antwort auf
die im Koan enthaltene Frage nic:ht mit Worten
geben, sie nicht auf Begriffe bringen kann. Aber
selbst angenommen, er konne die Sc:hau umsc:hreiben,
analogiehaft c:harakterisieren (was vielleic:ht erst nach
vielen Jahren und vielfaltiger Erfahrung
moglic:h
ist),
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wrde
es
auf den Meister keinen Eindruck
machen.
Denn der Schler konnte ja nachsprechen, was er von
anderer Seite geh0rt hat, und somit Erlebnisse vor
tauschen.
r
konnte bei sehr lebhafter Phantasie auf
Grund weniger Daten
sich
zusammenreimen, worauf
es
ankommt, und, nur weil er nun mitreden kann,
weil er zu verstehen glaubt, sich fr einen ausgeben,
der Satori erfahren hat.
Um
solchen
Hellh0rigen, die
es
auch hier gibt, den
Boden zu entziehen, nimmt der Meister einen sehr
eindeutigen Standort ein: anstatt allen Wortgeklingels
verlangt er die Erlangung von Satori leibhaftig zu
.sehen . Und er, der Meister
des
Satori, sieht in der
Tat
mit untrglichem
Blick.
Dazu befahigen ihn die
Erfahrungen am eigenen Leib als Schiller, dann die
langjahrigen Erfahrungen ais Lehrer und endlich ais
Meister. Was aber sieht der Meister? Ich konnte diese
Frage mit dem Hinweis darauf umgehen, daB etwa
ein Maler, die Arbeiten seiner Schiller prfend, bald
herausfindet, welcher von ihnen zum Knstler ge
boren ist, welcher nicht.
r
,,sieht
dies
eben, und
woran er
es
sieht, laBt
sich
dem Nicht-Maler niemals
so
erklaren,
daB
der andere
es
auch sehen und nach
prfen konnte. Ahnlich ,.sieht der Zen-Meister, wo
echtes
- nicht
bloB
eingebildetes - Satori vorliegt.
r
sieht
es
selbstverstandlich auch ,,an etwas. Ob
wohl
ich
nicht erklaren kann, wie er das macht, will
ich doch
einige andeutende Hinweise geben, fr die
sich da und dort Bestatigungen finden lassen.
Die geistige Gelostheit, welche Satori ermoglicht,
die aber danri umgekehrt von Satori verfestigt wird
und die tiefe innere Wandlung herbeifhrt, spiegelt
sich in k0rperlicher Gelostheit wider. Charakteristi
scherweise nicht etwa in einer auffalligen Beschwingt
heit
des
ganzen
Wesens
in Erregung und stimmungs
maBiger Aufgedrehtheit, Erscheinungen, die ganz
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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anderswoher kommen konnen - denn der Erleudttete
ist gelassen, so daB er gar nidtt auffallt - , son
dern gerade in den unsdteinbarsten seiner Kontrolle
am wenigsten unterworfenen Bewegungen. Sie kon
nen nicht ,,gemadtt werden. Mit anderen Worten:
es
gibt im Bereidt
des
Zen-Buddhismus keine typisdten
Haltungen, die man absehen und nadtahmen konnte,
also nidtt etwa Haltung der ,,Andadtt , der ,,Demut ,
der Ergriffenheit usw. - mit einer einzigen Aus
nahme: die Haltung der meditativen Versunkenheit
kann man durdtaus fr eine Weile imitieren, jedodt
nidtt fr die Dauer, weil sidt der Leerlauf von selbst
entlarvt: er fhrt nidtt zum Satori.
Idt will nidtt einmal daran erinnern, wieviel der
Ausdruck der Augen verrat. Das ist audt in anderen
Bezirken
des Lebens so und in der ganzen Welt be
herrsdtt man die Kunst, in den Augen zu lesen. Aber
die Kunst, aus der
rt
und W
eise
in der etwa der
Sdtler die angebotene Sdtale mit Tee an den Mund
fhrt, zu sehen, oh er
edttes Satori erfahren hat, diese
Kunst beherrsdtt nur ein Zen-Meister.
Idt will midi mit diesem Beispiel begngen. Viel
leidtt ist es dem Europaer am leidttesten zuganglidt.
Es
steht jedenfalls fest,
daB
der Erleudttete die Dinge
nidtt nur anders auffaBt, sondern sie audt anders
anfaBt, oh er es
weiB
oder nidtt. Aber wie faBt er
sie denn an? Nidtt etwa, in Gegenwart
des
Meisters,
verlegen und linkisdt.
Nidtt
etwa ihre Form be
wundernd, ihren Wert absdtatzend. Nidtt etwa ais
Sdtale: Hauptsadte,
daB
etwas darin ist. Nidtt etwa
sie
nidtt beadttend, weil er in Gedanken ist. Sondern:
wie etwa ein Topfer eine Sdtale anfaBt, der fhlt,
wie sie entstanden ist - denn
sie
erzahlt von eines
Meisters formender
Hand
- ; faBt sie an, ais oh seine
Hande mit ihr eins wrden, so
daB sie
selbst wie
eine Sdtale sind und, wenn er die Hande zurckzieht,
da.B sie einen Abdruck zu bewahren sdteinen. Und
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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so trinkt er auch den Tee anders ais andere. Er trinkt
ihn so
daB
er nicht mehr
weiB
oh
er
der Trinkende
ist oder der Trunk - vollig selbstvergessen, selbst
verloren: der Trinkende eins mit dem Trunk, der
Trunk mit dem Trinkenden - eine unvergleichliche
Situation.
Der
Meister
n.immt
dies wohl durch das
erleuchtete Auge wahr. Aber Satori ist in diesem
Palle nur Vollendung einer Fahigkeit, zu der er ais
Ostasiate alle Voraussetzungen mitbringt; die Fahig
keit, feinste Nuancen
des
Sichbewegens, Hantierens
aufzufassen. Diese erstaunliche Beobachtungsscharfe
ist vielleicht entwickelt durch die Bilderschrift; durch
den Hang, sich
andachtig in alles Begegnende zu ver
senken; durch die beispielhafte Naturliebe
des
Ja-
paners. Was
er
beobachtet, geht in ihn ein -
er
trinkt
es
in
sich
hinein. Man konnte hier Beispiele nennen
fr das Verhalten des Japaners: bei der Kirschblte,
bei
u s s t e ~ l u n g e n
von Blumen, das Blumenanordnen,
seine rt des Genusses der Landschaft, einzelner
Baume.
Und
um
so
sensibler ist er in der Beobachtung
von Tieren und Menschen in Bewegung. Sogar ein
Kaiser hat
sich
um die Frage gekmmert, mit welchem
Fu
ein Kranich die erste Stufe einer Treppe nimmt.
Und dabei sind
es
gerade unscheinbare Bewegungen,
denen er Bedeutung beimiBt, unwillkrliche, ais Spie
gelung eines echten, nicht gewollten Zustandes.
inweise uf die japanische Schauspielkunst
Zur Bestatigung
sei
auf eine Kunst hingewiesen,
in der dieser Sinn fr Ausdrucksbewegung eine ent
scheidende Rolle spielt: die Schauspielkunst.
Der Schauspieler wirkt nicht durch hohes - und
vielfach hohles - Pathos, nicht durch ausladende
Gesten, sondern durch gedampftes Spiel - ,,stumme ,
,,innere Kunst genannt - das
sich
selhst im Affekt
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
36/120
nicht vergiBt, sondern bis ins Letzte durchformt ist.
Der
Zuschauer sieht nicht bloB angedeutete, in
sich
verhaltene Bewegungen, sondern
weiB
sie in ihrer
Beziehung zu Gefhlen, Stimmungen zu deuten, und
an der Ausdruckskraft im Kleinen miBt er die GroBe
des Schauspielers. Kurze Worte, Neigung
des
Haup-
tes, Bewegung der
Hand,
vielleicht
bloB
eines Fin
gers - das gengt schon, um beredter zu sein, ais
je das Wort es leisten konnte. Denn das japanische
Schauspiel
No
wie Kabuki) ist nicht auf das Wort,
sondern - darin wird seine buddhistische Wurzel
sichtbar -
auf
das
Schweigen
gegrndet,
so
daB, was
darin liegt,
nur
angedeutet, nicht erzahlt werden
kann.
Es
gibt Stcke, in denen der Schauspieler, ohne
ein Wort ZU auBern, die Zuschauer lange im Banne
hait durch ein so sparsames Spiel des Ausdrucks, daB
man
es
mit Recht gefrorenen Tanz, tanzlosen Tanz
genannt hat.
Das Stck ist daher nicht zum Lesen geeignet, wie
das europaische, das schon beim Lesen alle Schonheit,
Glanz und Tiefe offenbaren kann, sondern es wird
erst durch das Genie des Schauspielers, der gerade
das hinzufgt, was grundsatzlich nicht durch das
Wort, nicht durch alle Sprachgewalt ausgedrckt wer
den kann.
Dabei ist das Gesicht nahezu vollig unbewegt, aus
druckslos, die Augen sind starr. Das darf nicht wunder
nehmen. Auf der einen Seite fand von alters her (im
No)
die Maske Verwendung; auf der anderen Seite
haben die Schauspieler ungewohnlich viel dem Ein
fluB des Puppentheaters zu verdanken, und die Aus
druckskraft der Puppen liegt in Gestik sparsamster
Art. Das ist hier nun so unerhft zur Kunst geworden,
daB es zur Vollkommenheit gebracht erscheint. Nur
so ist es auch verstandlich,
daB
die Tradition des
Gebardespiels sorgsam behtet und von jung auf
(schon von Kindesbeinen an) langsam erlernt wird.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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Es
gibt eine mehrere Jahrhunderte alte Theater
chronik, in der eine pedantisch genaue Beschreibung
des
Gebardenspiels groBer Schauspieler im Mittel
punkt steht. Darin hat man die Aufgabe und den
Sinn der Theaterkritik erblickt.
So
kann jeder Schau
spieler einer bestimmten Rolle das Spiel groBer Vor
ganger aktenmaBig kennen lernen und auf geradezu
zeitlose Form
des
Spiels hinarbeiten. Denn
dies
er
scheint wichtig. Der erste gro e Schauspieler in Tokyo
ist von seinem Vater belehrt worden: nur keine
Originalitat. Das ist Sache eines mittelmaBigen Schau
spielers.
Es
ist leicht aufzufallen. Der gute Schau
spieler strebt danach, unauffallig zu sein. Kein Wun
der, was dadurch erreicht wird: ein Theater gleichsam
sub
specie aeternitatis. Jede, selbst unscheinbare,
e-
wegung hat, vor allem in No-Tanzen, ihre Bedeutung.
Geringe Unterschiede, Nuancierungen begrnden Un
terschiede der Schulen - etwas bei uns schlechthin
Undenkbares.
Es
ist das nur dadurch moglich,
da
diese bedeutungsgeladenen Gebarden zu letzter Voll
endung getrieben sind und daher schon kleine Ab
weichungen ins Gewicht fallen. DaB sie dennoch nicht,
trotz aller Geformtheit, schablonenhaft wirken, ihre
Aneignung nicht in Routine verfallt, deren
sich
selbst durchschnittliche Schauspieler bedienen konn
ten, kommt daher,
da
in
apan
Natur, Leben und
Kunst fugenlos ineinander bergehen, Kunst nidit
ein Reich
des
Scheins neben und ber Natur und
Leben, sondern deren Vollendung bedeutet - durch
den Knstler, der die Technik souveran beherrscht
und dadurch wahrhaft befreit ist. Von den Knsten
des ogenschie ens
und
des
Blumenstellens lie e
sich
ganz ahnliches sagen.) Gerade die Kunst des Schau
spielers bleibt dem Europaer zunachst weithin un
zuganglich. Nicht schon deshalb, weil er die Sprache
nidit beherrsdit - dazu ware ein Leben zu kurz
-
sondern weil er jenen Sinn, jene Sdiaufahigkeit
des
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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Ostasiaten nicht entwickelt hat. Er, der dem schwie
rigsten Dialog eines europaischen Stckes mhelos
ge-
wachsen ist, versagt dem einfachsten V organg
des
japanischen Stckes gegenber, kann nicht verleugnen,
daB
seine Kultur auf Logos, auf das Wort gegrndet
ist, wohingegen die ostasiatische auf Schau, Intuition
beruht.
Um nicht in Verdacht
zu
geraten,
daB ich
um der
Illustrierung
des
Satori und seiner Hintergrnde wil
len bertreibe, sei an die berhmte Anekdote ber
zwei groBe Meister der Schauspielkunst erinnert, aus
der hervorgeht, daB der eine die GroBe und
ber-
legenheit
des
anderen erkennt an dem ausdrucks
geladenen Verhalten in einer Szene, in der kein Wort
gesprochen wird.
Dies alles
h t
der Zen-Meister
ais
selbstverstand
liche Voraussetzung aus dem Schicksal,
daB
er Ost
asiate ist. Kommt nun noch ein drittes Auge durch
Satori hinzu, dann ist zu ermessen, wohin die Re
volutionierung seiner Schaufahigkeit fhren kann.
Der Meister sieht dem Schler ins erz
Wenn nun mein Zen-Meister das Vorstehende ge-
lesen hatte, wrde er vielleicht sagen: weshalb so
umstandlich ber etwas ganz Einfaches reden, wes
halb Worte machenl Einen anderen verstehen, ja bis
in geheimste Winkel seiner Seele durchschauen zu
konnen, ist nur moglich durch eine Beziehung von
Sonnengefl.echt zu Sonnengefl.echt.
Es
handelt
sich
um das unmittelbar unter dem Zwerchfell liegende
Nervengeflecht, das man ais Sonnengeflecht [plexus
solaris] bezeichnet. Wer viel gebt hat, gewinnt
Fahigkeit, jeden anderen in ein Kraftfeld einzubezie
hen, das er um
sich
her in wachsenden Ringen gleich
sam verbreitet. Nicht nur
Menschen,
Tiere, Pflanzen,
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sondern auch Dinge. Dem kann niemand und nichts
entgehen. Und was einmal einbezogen
mu
rt und
Namen offenbaren oh
es
will oder nicht. -
Der Meister also durschaut den Schiller schon von
dessen auBerem Benehmen her noch mehr aber aus
der Art wie er
sich
auf Befragen zu auBern versucht.
Da gibt
es
keine Moglichkeit vorzutauschen was man
nicht hat da im Satori nichts steckt was sich ais
Sachgehalt fassen und aussagen lieBe;
es
enthalt keine
Wahrheiten die man aufschnappen und hersagen
konnte sondern nur eine neue Weise des Sehens Auf
fassens. Man
hat
Satori oder hat
es
nicht. Erfinden
kann man
es
nicht.
Und
wer ostasiatische Lehrmeister
]ahre lang
an
sich erfahren hat straubt sich nicht
mehr dagegen daB sie beanspruchen dem Schiller
ins Herz zu sehen ~ wissen wo er steht und vor
allem: wieviel an ihm echte Erfahrung ist und wie
viel Phantasie.
W andlung des chlers durch atori
Mit Satori ist eine innere Wandlung von revolutio
nierendem Charakter verbunden. Der Erleuchtete be
merkt dies zunachst nicht.
Nur
sein Lehrer merkt es
und der bespricht es nicht laBt es reifen und
sich
vollenden. Aber allmahlich merkt es der Schiller im
Verkehr mit anderen
daB
er ein anderer geworden.
ist. Beim Zusammentreffen verstehen sie
sich
nicht
mehr so wie frher.
Und
er kann nicht leugnen daB
die andern das Recht des Zusammenstimmens fr
sich haben. Aber das macht ihn nicht unsicher die
gewonnene Schau ist viel zu berzeugend. Nur zu
rckhaltend ist er gegenber den anderen. Und mehr
und mehr berlaBt er
sich
seinen Visionen wie Trau
men und sucht und liebt die Einsamkeit.
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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Was ihm zunachst ais Verlust erscheint, abseits ste
hen zu mssen - denn er ist jung und gern zusam
men mit anderen, die das Schicksal zusammengespielt
hat - das wird ihm zum Gewinn: denn er sucht
und findet Einsamkeit nicht an fernen, stillen Orten,
sondern er schafft sie um
sich
her, breitet sie um
sich
herum aus, wo immer er sich befinden moge, weil er
sie liebt. Und in dieser Stille reift er langsam. Sie
ist fr die Entfaltung des inneren Geschehens, das
anhebt, unerhrt wichtig. Die Gefahr entfallt, mit
anderen darber zu sprechen, die Keime zu zerreden.
Aber nicht eitlem SelbstgenuB gibt er
sich
hin.
Er
mochte nur mit sich ins reine kommen. Und
es
drangt
ihn, die. erleuchtete Schau erleuchtender Schau aus
zusetzen. Das
fhrt
zu potenzierter Schau, die sid
ganz von selbst vollzieht,
kraft
ihrer Artung. Es ge
lingt dies nur dadurch, daB die erleuchtete Schau der
Dinge im Bild festgehalten, das Bild wiederum der
Sd:iau zugrunde gelgt wird. Aud:i dieser W
eg
wird
nid:it absid:itlid:i beschritten, vielmehr wie von selbst
eingesd:ilagen.
Es ist der Weg in die Kunst. Und daraus wird ein
Weg der Kunst.
Zen in den Knsten
Aber nicht davon soll jetzt die Rede sein, daB Zen
alle japanisd:ien Knste, wie Suzuki aufwies,
auf
s
nad:ihaltigste beeinfluBt hat
sid:i
darin auswirkend.
Man konnte hier hinweisen
auf
die Methode der Un
terweisung bei einzelnen Knsten, auf die erforder
lid:ie Konzentration,
auf
die Sinngebung eines aus
kultischer Handlung sich herleitenden Geschehens,
endlid:i auf das innere Werk, in dem der Knstler
Meistersd:iaft erringt. Dies alles ist andern
Orts
dar
gestellt in ,,Zen in der Kunst des BogenschieBens
7/25/2019 Herrigel - Der Zen Weg
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unter Heranziehung der GroBen Lehre der Schwert
meisterschaft.
a also handelt
es si h
um Auswirkung des Zen als
ganzen auf einzelne Knste. Hier aber steht etwas
anderes in Frage: namlich Auswirkung
des
Satori,
Art und Weise, in der
es
si h
bildhaft darlegt und
schaut, vornehmlich in der Zen-Malerei.
Denn es gibt eine ausgesprochene Zen-Malerei Das
heiBt: Werke, in denen erleuchtete Schau des Daseins
zum Inhalt des Bildes wird.
Zen Malerei
Was ist fr sie charakteristisch? Zunachst einmal
der
Raum.
er Raum, der in ihr eine Rolle spielt, ist
auf jeden Fall nicht der europaische Raum mit seinen
Abmessungen, jenes homogene Medium, in dem die
Dinge stehen, das sie umgibt und voneinander trennt.
J
ene tote Geraumigkeit, die durch die realen Dinge
si h
verdrangen laBt, zu den anschaulichen Beziehun
gen von rechts und links, oben und unten, vorn und
hinten verdnnt wird. Raum, der nur die Oberflache
der Kfper berhrt,
sie
schalenartig umschlieBt und
daher berall, wo er leer ist, auch bedeutungslos bleibt
und anspruchslos. Der Raum der Zen-Maler dagegen
ist ewig unbewegt und do h bewegt wirkend, lebt,
atmet gleichsam, ist gestaltlos, leer und
do h
Ursprung
aller Gestaltung, ist namenlos und doch Grund dessen,
was Namen tragt. Um seinetwillen haben die Dinge
absoluten Akzent, sind sie alle gleich wichtig, glei h
bedeutsam, Ausdruck des Allebens, das si h in ihnen
manifestiert. Daher in solchen Bildern auch die tiefe
Bedeutung
des
Aussparens, Leerlassens. Was nicht
angedeutet, ausgesagt wird, das Verschwiegene ist
fr das Verstandnis wichtiger und beredter ais das
Gesagte, Beredte.
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Auch hier, wie in der Schauspielkunst, bekundet
sich der tanzlose Tanz dessen, was alles Seiende be
lebt, durchdringt, hindurchtanzt. Der Raum ist somit
nicht ein homogenes, in unendlicher Ferne identisches
leeres Medium, sondern die unbegreifliche Flle des
Seins selbst in seinen unendlichen Moglichkeiten. Der
Zen-Maler kennt keinen horror vacui, sondern fr
ihn ist das Leere gerade hochster V erehrung wrdig:
das Urlebendige, das vor Oberflle keine Gestalt
annimmt und sich um sich zu zeigen, in unerschopf
lichem Kreislauf verbesondern muB. Raum ist also
nicht die Haut der Dinge umspielend, sondern ihr
Kern, Grund, tiefstes Wesen und Seinsgrund. Aus
solchen Bildern spricht die Magie des Leeren: den
Blick anziehend, Andacht heischend.
Und
alle Bild
betrachtung beginnt mit der Betrachtung des Leeren.
In
der europaischen Malerei steht der Betrachter
auBerhalb des Bildes. Was er schaut, erlebt er ais
Gegenber, das sich von ihm weg, von seinem Blick
weg, entfaltet und Raumliches bis zum Horizont hin
erschlieBt.
Es
ist, also ob der
blOBe
Blick schon schop
ferisch ware. In dieser rt des Schauens ist alles
Gegenber ein Anderes, ein wesentlich Fremdes, und
kommt ihm dadurch zum BewuBtsein, daB er nicht
dabei, sondern aus dem Bild herausgehoben ist. Dem
gegenber wird in der chinesischen und japanischen
Malerei nicht von auBen her in ein Anderes hinein
geschaut, sondern es wird das Dargestellte und jede
Einzelheit so von innen her gesehen, daB der Schau
ende darin sein und leben muB um ihm gerecht zu
werden. Damit wird nicht nur die Perspektive gegen
standslos, so
daB
sie verschwindet, sondern auch die
Ordnung von Betrachter und Betrachtetem aufge
hoben. Der Raum schlieBt
sich
rings um den Be-
trachtenden, der nun berall in der Mitte steht, ohne
Mitte zu sein: er ist nun innen darin, eins mit dem
Herzschlag der Dinge.
Und
das bedeutet zugleich:
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43/120
was ihn umgibt und einschlieBt ist ihm so ebenbrtig
daB
es
fhlen laBt: es ist nicht fr ihn und um seinet
wilkn
da.
Es
ist nicht das Andere sondern gleichsam
er selbst in ewig
sich
wandelnder Gestalt er ist
so
sehr
eins damit
da:B
er keine Eigenbedeutung mehr
ge-
winnt sondern darin untergeht und in diesem Unter
gang
sich
selbst und nicht
sich
selbst begegnet: ein
schwebendes
Verschweben im Seienden.
Das Gegenstandliche aber im Bilde aus dem Ur
grunde entlassene Gestaltete - und darum vom Leeren
her zu beurteilen : Berge und Walder Fels und Was
ser
Blten Tier und Mensch sind in ihrem Dasein er
schlossen
in die konkrete Situation
des
Hier und Jetzt
eingetaucht - und dennoch wiederum nicht in ein
bloBes
Hier und J etzt. Daher der Charakter
des
Schwebens
und Verschwebens der das Bestimmte ins
Unbestimmte das Gestaltete in die Gestaltlosigkeit
zurckzunehmen scheint und
so
U rsprung und Her
kunft andeutungshah sichtbar macht.
Es
gibt Lehrhefte der Tuschemalerei in denen vom
einfachsten Grashalm an
bis
zur groBen Landschaft
alles was dem Malerauge begegnen kann in seinen
Wesenszgen festgehalten ist und in Abbreviatur ge
rade das einfangt was der
Natur
den Charakter der
Lebendigkeit verleiht.
Es
handelt
sich
da beileibe nicht
um Schablonen die man nachzumachen hatte
so
sehr
sie
dazu reizen. Es sind vielmehr Stil- und Pinsel
bungen welche die enge Verwandtschaft zwischen
Schreiben der Bilder und Malen zeigen. Wer
sie
be
herrscht und zwar so daB er darber steht und frei
geworden und reif ist fr Wahrnehmung und Aus
druck feinster Nuancen der ist dann in der Tat in
der Lage darzustellen was das dritte Auge der Er
leuchtung sieht und deutet.
Die Zen-Malerei knpft an eine groBe Tradition an:
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an die Landschaftsmalerei Chinas vor der Berhrung
mit dem Buddhismus. a sind die fr die Zen-Malerei
charakteristischen Zge schon vorgeformt, zum min
desten angedeutet. Dies geht vielleicht auf eine tiefe
und verschwiegene Einwirkung
des
T aoismus zurck.
Ais der Buddhismus von Indien zuerst in China ein
drang und da geradezu revolutionierend gewirkt hat,
hat
er eine langsame, aber um so tiefere Wandlung
durch das Tao erfahren. So wie China im Laufe der
Geschichte eingedrungene Fremdstamme sich einver
leibt und mit
sich
verschmolzen hat, so hat
es
auch
geistig
sich
alles zunachst Fremde angeeignet, um es
nur
um so
schoner und reicher wieder aus
sich
zu ent
lassen. Zen ist in der Tat eine Blte, ja vielleicht die
schonste und geheimnisvollste Blte der unheimlichen
Schopferkraft
des
chinesischen Genius, und
so
ist es
kein Wunder, daB Zen-Maler
sich
auf die vorbuddhi
stische Malerei Chinas aus dem Geiste des Tao be
rufen konnen. Denn im Tao Laotses sind viele Mo-
tive, die fr Zen geradezu fondamental geworden
sind. Was im Tao geahnt, ist im Zen offenbar ge
worden.
Was fr die Landschaftsmalerei gilt, gilt ebenso fr
die kleinen und kleinsten Aussdmitte aus Landschaft
und Natur, ,fr die unerhft lebendigen Bilder, auf
die mit wenigen Strichen ein Bambusstamm mit we
nigen Asten und Blattern oder ein blhender Zweig
oder dergleichen hingezaubert ist. Auch
sie
sind nur
vom leeren, gestaltlosen Raum her gesehen und zu
verstehen. Auch hier ist das Verhaltnis von Zeichnung
und leerer Flache entscheidend, ja sogar kommt das
eigenartige Raumgefhl noch berzeugender wie mir
scheint zum Ausdruck. Nichts ware verfehlter, als
darin die schone Ruhe des Daseins festgehalten und
zum Verweilen in unaufhorlicher Anschauung aufge
fordert zu
:6 nden
Wer diese Bilderschrift wirklich zu
,,lesen versteht, fhlt durch die scheinbare Ruhe die
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pralle Spannung von Werden und Entwerden, von
Entspringen und Zurckgleiten, von Erscheinen und
Verschwinden hindurch, fhlt, wie das Gewordene im
FluB
des
Werdens und Entwerdens vibriert -
flchtigr
doch
unbedingt.
Solche
ganz einfachen und einfaltigen Bilder, auf
denen
so
verschwindend wenig gezeigt wird, sind voll
von Zen und verraten es
so
laut, daB der Betrachter
sich davon berwaltigt fhlt. Wer je miterlebt hat,
wie bei einer stundenlang
sich
hinziehenden Tee
zeremonie der W
echsel des
Hangebildes und einer
Blume nach einer Pause die Atmosphare bestimmt,
wie die Gaste in tiefe Konzentration versunken aus
diesem Bild tiefste Geheimnisse, die keiner mit Wor
ten zu sagen vermochte, entschleiert fhlen und mit
unerh>rtem
innerem Gewinn den Teeraum
verl ssen-
der
weiB
welche Macht von solchen Bildern ausgeht.
Satori in der ichtung
DaB Satori auch in Dichtung Ausdruck gesucht hat,
sei
hier nur im Vorbergehen erwahnt. Gerade das
Kurzgedicht ist dazu besonders gefgig und geeignet,
weil
es
ahnlich wie das Tuschebild, das auf Seide
oder Papier gemalt ist, nicht nur auBerlich, in der
Weise der sichtbaren Anordnung,
uf
das Verhaltnis
zum Raume Wert legt, sondern auch innerlich, seiner
innersten Form nach, das Eigentliche und Wichtige
gar nicht ausspricht, sondern zwischen den Zeilen an
deutet. So etwa
Basos
berhmtes Kurzgedicht: in mog
lichst getreuer, wenn auch schauderhaft klingender
Ubersetzung:
Alter Teich
Frosch springt
Wassergerausch
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Das ist alles.
Und
doch: ist nicht darin das Weltall
enthalten? n unbewegter Ruhe pl tzlich Bewegung,
Leben, das sich larmend ausbreitet, um wieder zu ver
schwinden. Was ist all dieser Larm angesichts der
Ruhe, des Schweigens, das Anfang und Ende ist?
Wollte man Maler oder Dichter fragen, Schauspieler
und Bogenschtzen, wie man dem, was allem Seienden
Sein und Atem verleiht, in tanzlosem Tanz werden
und entwerden laBt, was sich je und je zeigt, mit
W orten beikommen kann, so wrden sie wohl ant
worten:
es
sei das Es , das in allem Gehen und
Stehen, Tun und Nichttun da sei, indem es nicht da
sei. Das ist eine vielleicht verlegene, aber naheliegende
Bezeichnung dessen, was nicht diese oder jene Gestalt
hat, aber in allem Gestalteten sein verborgenes Wesen
treibt.
Spekulation au
Grund des atori-Erlebnisses
( Fr diejenigen, die sich nicht ais Maler und Dichter
zu auBern vermogen - wie viele spater verworfene
Versuche sie auch gemacht haben rnogen - bleibt ais
rettender Weg die Reflexion, ja Spekulation. n welche
Richtung diese gehen kann und wohin das fhrt,
mogen folgnde Bekundungen aus den Fnf Stufen
Rjkwais von Tsan
8
) dartun.
Erste Stufe
Zur
dritten Nachtzeit oder
zur
ersten Nachtzeit,
bevor der Mond leuchtet,
Da
ist
es
nicht verwunderlich, wenn einander
Begegnende sich nicht erkennen.
Und
doch bleibt, verborgen eine Spur des
vergangenen Tages erhalten.
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Zweite Stufe
Eine alte Frau, die den Morgen versaumte, steht
dem uralten Spiegel gegenber.
Sie spiegeln
sich
wider in volliger Klarheit, da
ist keine Wirklichkeit mehr.
LaB davon ab, schon wieder den Kopf zu verlieren
und Schatten zu erkennen
Rjkwai von Tsan (9. Jahrh.) will damit sagen:
Die erleuchtende Schau ist
s