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Hexenkessel der Transmitter

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 237

Hexenkessel derTransmitter

Das Erbe der Ahnen beherrscht ihreWelt - und das Todesspiel bestimmt

ihr Dasein

von Dirk Hess

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn esmuß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feindesind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zuschaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, derenHabgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe undKristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli-che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran,den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fort-zusetzen.

In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va-ters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nachdem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raum-schiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder derISCHTAR betroffen werden.

Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommenwurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli-chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und dirigiertsie nach seinem Willen.

Nachdem er Atlan und Fartuloon auf Ketokh zurückgelassen hat, zwingt er die Be-satzung der ISCHTAR, Kledzak-Mikhon anzusteuern, den Planeten der Loghanen.Dort kämpft man im HEXENKESSEL DER TRANSMITTER …

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Die Hautpersonen des Romans:Snayssol - Ein wißbegieriger Eingeborener von Kledzak-Mikhon.Rassafuyl, Tamoyl und Kenyol - Obmänner der Loghanen.Hover-Maracul - Ein Opfer der Schwarzen Tore.Akon-Akon - Herr der ISCHTAR.Ra - Der Barbar unternimmt eine Rettungsexpedition.

1.Die Station des Magnortöters

Das Universum war schon immer vollerLegenden, Widersprüchlichkeiten und unge-klärter Phänomene. Die Geschichten derRaumfahrer wurden ständig ergänzt. Farben-prächtige Ausschmückungen, verliehen ih-nen zusätzlichen Reiz. Im unendlichen Kos-mos gab es Dinge, die Vergangenes, Gegen-wärtiges und Zukünftiges miteinander ver-schmelzen ließen. In den galaktischen Le-genden herrschte die Einheit von Raum undZeit.

Der Magnortöter Klinsanthor war einesolche Legende.

Niemand kannte den Magnortöter. Nie-mand wußte, wie er aussah, und keiner hatteseine Bekanntschaft lebend überstanden.Dennoch war Klinsanthor ein häufig ver-wandter Name in kosmischen Legenden.Schreckliches und Faszinierendes ranktesich um die Figur des kosmischen Töters.

Aus Fartuloons Erzählungen hatte ich mirein bestimmtes Bild von Klinsanthor ge-schaffen. Dieses Bild war diffus und unbe-stimmbar. Sein Gesicht nahm niemals festeKonturen an. Der Magnortöter war für michzum Inbegriff des Schrecklichen geworden.

Man brauchte Klinsanthor nur zu rufen,und er würde kommen.

Kosmische Entfernungen spielten dabeikeine Rolle. Klinsanthor würde den Ruf ver-nehmen und sich auf den Weg machen.Mein Gegenspieler Orbanaschol III. hatteden Magnortöter gerufen. Ich wollte denMörder meines Vaters vom arkonidischenThron hinwegfegen – doch Orbanaschol hat-te den Magnortöter auf mich gehetzt.

Ich hatte lange gebraucht, um diese Tatsa-

che zu verdauen.Kein Arkonide hatte den Befehl Orbana-

schols verwirklichen können: Bringt mir At-lans Kopf! Ich erfreute mich bester Gesund-heit. Trotzdem war meine Lage verzweifelt.Klinsanthor, der Unheimliche, hatte michund Fartuloon erwischt. Es war bekannt, daßKlinsanthor seine Tötungsaufträge mit abso-luter Perfektion erledigte.

Doch warum zögerte der Magnortöter mitder Hinrichtung?

Weil Orbanaschol den Lohn für unserenTod verweigerte? Ich wußte es nicht. DerUnheimliche hatte sich zurückgezogen undwünschte keinen Kontakt mit seinen Opfern.

Fartuloon ging unruhig vor mir auf undab. Die matten Frontscheiben der desakti-vierten Bildschirme reflektierten seinenmassigen Körper.

»Wie sieht der Magnortöter aus?« fragteich.

»Diese Frage hast du mir schon oft ge-stellt«, erwiderte der Bauchaufschneider.»Du weißt genau, daß ich sie dir nicht beant-worten kann. Aber ich ahne, was du damitausdrücken willst. Du suchst eine Möglich-keit, um mit dem Unheimlichen ins Ge-spräch zu kommen. Ich zweifle daran, obdas jemals möglich sein wird …«

Ich unterbrach meinen Freund abrupt.»Er sprach mit uns über seine Absichten.

Er hätte uns töten können, doch er legte alleKarten offen auf den Tisch. So benimmt sichkein seelenloser Henker.«

»Das stimmt.« Fartuloon nickte.»Klinsanthor hätte uns töten können. An-scheinend ist sein Handel mit Orbanascholnoch nicht perfekt. Wenn der Herr über dasGroße Imperium den vereinbarten Lohnzahlt, wird Klinsanthor uns töten.«

»Es kann noch allerhand dazwischenkom-

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men, Fartuloon!«Das Schweigen in der Zentrale der großen

Raumstation war bedrückend. Kein Stäub-chen lag auf den Schaltkonsolen. Die Hebelund Tasten luden uns förmlich dazu ein, siezu benutzen. Doch das hätte keinen Sinn ge-habt. Die Instrumente würden unseren Be-fehlen nicht gehorchen. Obwohl wir inzwi-schen viele Räume der Station betretenkonnten, waren wir wie in einem riesigenKäfig gefangen.

Unsere Lage war grotesk.Wir kannten den Kerkermeister mit Na-

men, doch das war auch schon alles. Wirwußten nicht, wie er aussah, und was erwirklich dachte. Wir kannten den Ort unse-rer Gefangenschaft, doch wir hatten keineChance, aus eigener Kraft hier auszubre-chen. Das Gefängnis war perfekt. Perfekterals das gefürchtete Raumgefängnis Torren-Box.

Wir mußten gegen das aufkommende Ge-fühl der Ohnmacht ankämpfen.

Ich dachte an Scolaimon Nove. Wir hat-ten den Gestaltenwandler kurz nach unseremEintreffen hier kennengelernt. Nove warebenfalls Gefangener des Magnortöters ge-wesen, und er war wahnsinnig geworden.Um zu überleben mußten wir den Unglückli-chen töten. Sollte uns ein ähnliches Schick-sal bevorstehen? Sollten wir hier warten undlangsam verrückt werden, um dann von zu-künftigen Gefangenen des Magnortöters um-gebracht zu werden?

»Ob uns Klinsanthor seelisch ruinierenwill?«

Fartuloon sah mich nicht an. Er starrteverbissen zu Boden und zog die Knie an denOberkörper an. Dann legte er sein Kinn dar-auf und schloß die Augen.

»Wir zerbrechen uns hier den Kopf, obwir leben oder sterben müssen«, begann derBauchaufschneider langsam. »Aber wasdraußen in der Galaxis geschieht, daran den-ken wir nicht mehr. Im Kampf gegen Orba-naschols Gewaltherrschaft sind wir nur zweiFiguren im Garabo-Spiel. Wir können jeder-zeit ersetzt werden. Es gibt genügend tapfere

Arkoniden, die unseren Kampf fortsetzenkönnen …«

»Unsere Freunde auf der ISCHTAR zumBeispiel!«

»Die werden uns längst abgeschrieben ha-ben«, stieß Fartuloon kehlig hervor.»Klinsanthor wollte uns das deutlich vorAugen halten. Warum hätte er uns sonst aufdem Bildschirm gezeigt, daß unser Raum-schiff einen fernen Planeten ansteuert?«

Ich erinnerte mich an die Szenen, die un-ser Kerkermeister auf dem Bildschirm ein-geblendet hatte. Die dreihundert Metergroße ISCHTAR steuerte eine Sauerstoff-welt an. Ich wußte nicht, in welcher galakti-schen Region sich dieser Planet befand. Erkonnte zehn, hundert oder auch hunderttau-send Lichtjahre von der Station des Magnor-töters entfernt sein.

»Was suchen unsere Freunde auf demPlaneten?« fragte ich.

Fartuloon zuckte mit den Schultern.»Uns bestimmt nicht. Möglicherweise ist

der Planet für Akon-Akon wichtig. Aber dasist auch nur eine Vermutung. Unsere Freun-de befinden sich auch nicht gerade in der be-sten Lage. Dieser merkwürdige Junge, denwir auf Perpandron fanden, ist schuld an al-len Veränderungen. Seine geheimnisvollenKräfte haben uns auf Welten verschlagen,von denen wir bisher keine Ahnung hatten.Der Magnortöter hat sich diesen Umstandzunutze gemacht. Wir waren hilflos, und erhat uns gefangengenommen.«

Ich wollte nicht mehr an Akon-Akon den-ken. Ich mußte unbedingt Kontakt mit demMagnortöter aufnehmen. Wenn er uns de-monstrieren wollte, wie unbedeutend wir imRänkespiel galaktischer Ereignisse waren,so war ihm das nur zum Teil gelungen. Mei-ne Vermutung war kühn. Warum sollte einWesen, das sich vor keiner Macht zu fürch-ten brauchte, uns psychisch vernichten?Klinsanthor sollte über solche Regungen er-haben sein. Er war mächtig und unnahbar.Aber vielleicht schufen diese Eigenschaftendas bedrohliche Gefühl der Einsamkeit. Einmächtiger Einsamer konnte gefährlich wer-

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den. Seine Reaktionen waren unbestimmbar.»Ob er sich noch einmal meldet?«»Selbstverständlich«, stieß Fartuloon her-

vor. »Wenn er ausgeträumt hat, wird er überunser Schicksal entscheiden.«

Ich sah mich um. Die grauen Bildschirmeschienen alle eine andere Geschichte zu er-zählen. Eine Geschichte war die Geschichteder ISCHTAR. Ich wußte, daß unser Raum-schiff zur Landung auf jenem unbekanntenPlaneten ansetzte, den wir vorhin auf demBildschirm gesehen hatten. Meine Gedankenschweiften ab. Ich versuchte mir vorzustel-len, welche Wesen diesen Planeten bevöl-kerten. Ich fragte mich, ob sie meine Freun-de willkommen heißen würden, oder ob siein ihnen und der ISCHTAR eine gefährlicheBedrohung aus dem All sahen. Obwohl ichden fremden Planeten noch nie zuvor gese-hen hatte, kam er mir auf einmal sehr ver-traut vor. Ich besaß genügend Phantasie, ummir seine Oberfläche plastisch ausmalen zukönnen. Vor meinem geistigen Auge ent-stand die Wunderwelt einer fremdartigen Zi-vilisation.

Das Gedankenspiel lenkte mich von derständigen Bedrohung durch den Magnortöterab.

In diesem Augenblick waren wir beideuns sehr ähnlich: Henker und Delinquentüberließen sich den eigenen Träumen!

Ich hoffe, daß dieser unwirkliche Zustandbald zu Ende sein würde.

2.Kledzak-Mikhon, Planet der Schwarzen

Tore

Snayssol war anders als die anderen Log-hanen, die den Planeten bevölkerten. Er warein Erbe. Eines Tages würde er vom Trium-virat in die engere Wahl eines Bewerbersum den höchsten Posten gezogen werden,den die loghanische Gesellschaft zu verge-ben hatte.

Es war nicht ausgeschlossen, daß Snays-sol einmal in das Triumvirat gewählt werdenwürde.

Doch der Gedanke daran erfreute ihnnicht. Das Amt verlangte Selbstaufgabe undein asketisches Leben.

Als Wissender war man automatisch vonden anderen Loghanen isoliert. Das Wissenüber die Vergangenheit des Planeten machtedie Mitglieder des Triumvirats zu Geheim-nisträgern erster Klasse. Kein anderer Log-hane durfte ihr Wissen besitzen.

Snayssol jedoch strebte nach diesem ver-botenen Wissen, ohne auf die Annehmlich-keiten seines Lebens verzichten zu wollen.Er wollte Licht in das Dunkel der Vergan-genheit bringen. Er wollte mehr über dieHerkunft der Loghanen erfahren. Er wußtebereits, daß sie nicht auf dieser Welt entstan-den waren. Der verlassene Raumhafen vonPoal-To bewies das zur Genüge.

Das Triumvirat hatte sämtliche Spurenausgetilgt, die Hinweise auf die Vergangen-heit geben konnten.

Snayssols ungewöhnlich hoher Intelli-genzquotient hatte ihn in den Rang eines Er-ben versetzt. Er brauchte sich nicht um sei-nen Lebensunterhalt zu kümmern. Er konntetun und lassen was er wollte. Während dieanderen seiner Artgenossen zu Überwa-chungsarbeiten in den automatischen Fabri-ken herangezogen wurden, trieb er Müßig-gang. Dabei war ihm einiges aufgefallen. Erwar rein zufällig darauf gestoßen, daß es inseinem Volke keine Wissenschaftler mehrgab. Die hochentwickelte Technik vonKledzak-Mikhon stagnierte. Die Loghanenkümmerten sich zwar um die Wartung derMaschinen, doch sie entwickelten die tech-nischen Errungenschaften nicht mehr weiter.

Warum kümmerten sich die Loghanennicht um den Fortschritt?

Warum war es verboten, nach der Ver-gangenheit zu fragen?

Wer hat die Raumschiffe verschwindenlassen?

Snayssol trottete langsam auf die Lich-tung zu. Vielstimmiges Vogelgeschrei er-füllte den Wald. Die Flora und Fauna vonKledzak-Mikhon war vielfältig und wies dieunterschiedlichsten Arten auf.

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Ein kreisrunder See tauchte vor dem Log-hanen auf.

Snayssol legte den bunten Kreuzgurt ab,den er quer über der Brust trug. Er atmetetief durch, und sein breiter Brustkorb wölbtesich wie eine Tonne vor. Die Luft in denWäldern von Sover-Kar war frisch und un-verbraucht. Hier herrschte nicht das Gedrän-ge wie in den großen Städten.

Das Wasser war frisch und kühl.Snayssol schöpfte es mit Hilfe seiner vier-

gliedrigen Hände und trank in tiefen Zügen.Nachdem sich die Wellen gelegt hatten, saher sein Spiegelbild im Wasser. Er sah denschimmernden grünen Pelz, der seinen Kör-per bedeckte. Seine Ohren ragten spitz in dieHöhe. Sie verliehen ihm etwas Tierisches.Man konnte den Eindruck gewinnen, er wür-de ständig auf der Lauer liegen. Seine Nasewar platt, und seine dunklen Lippen verbar-gen ein kräftiges Raubtiergebiß.

Snayssol wußte, daß es auf ganz Kledzak-Mikhon keine Tierart gab, die mit den Log-hanen verwandt war. Das hatte nichts zu be-deuten. Doch es bestärkte den Erben in derAnnahme, die Loghanen würden nicht vondiesem Planeten stammen.

Snayssol warf einen Stein ins Wasser. DieWellen zerstörten sein Spiegelbild.

Ich muß den Morgo-Morgon noch vorEinbruch der Dunkelheit in die Falle locken,dachte Snayssol. Ich habe bereits zuviel Zeitverloren.

Der Kampf mit dem Grauhaarigen solltemorgen nacht stattfinden. Ihm blieben alsonur noch vierunddreißig Stunden. Wenn erohne den Morgo-Morgon auf dem Kampf-platz erschien, war er erledigt. Der Grauhaa-rige würde ihn töten, ohne zu zögern.

Snayssol wußte, daß die Morgo-Morgonsregelmäßig an diesen See kamen. In denspäten Nachmittagsstunden erfrischten siesich im Wasser. Es war jedoch schwer,einen gehörnten Morgo-Morgon zu fangen.Die Tiere waren intelligent und ungewöhn-lich flink.

Plötzlich schrillte ein lautes Wieherndurch die Luft.

Snayssol sprang auf. Sein Körper dehntesich. Er neigte lauschend den Kopf vor.

Er wußte, daß ganz in der Nähe ein Mor-go-Morgon um sein Leben kämpfte.

Snayssol wurde nervös. Wenn sich ein an-derer Loghane einen Morgo-Morgon fangenwollte, würde es zu einem Kampf auf Lebenund Tod kommen. Snayssol durfte sich dasReittier von keinem anderen wegschnappenlassen.

»Das wirst du bereuen«, zischte Snayssolvor sich hin. »Der Morgo-Morgon gehörtmir!«

*

Das Unterholz wurde dichter. Snayssolkam nur mühsam voran. Er hatte die Fang-schnur fest um seine Schulter geschlungen.Der spitze Dolch steckte im Gürtel.

Er hatte bewußt auf eine Energiewaffeverzichtet, um die Patrouillen des Triumvi-rats nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Vorsichtig teilte er die dornenbewehrtenÄste zu seiner Linken. Der schmale Spalt imDickicht gestattete ihm einen Blick auf denschräg ansteigenden Hang. Außer ein paarniedrigen Büschen wuchs dort nichts. Lang-stielige Fieberblüten reckten sich aus demUnterholz. Er mußte aufpassen, daß er sienicht berührte, denn die klebrigen Sekreteaus dem Innern der Blüte übertrugen einetödliche Krankheit.

Das gequälte Stöhnen des Morgo-Mor-gons ließ noch einmal die Luft erzittern,brach dann abrupt ab.

Snayssol knirschte mit den Zähnen. Erkonnte den Gedanken nicht ertragen, daß einanderer Loghane einen Morgo-Morgon quäl-te.

Es gehörte viel Geduld und Fingerspitzen-gefühl dazu, um ein solches Tier an den Rei-ter zu gewöhnen. Manche schafften es nie,anderen gelang es innerhalb weniger Stun-den. Ein Morgo-Morgon ließ sich zu nichtszwingen. Wenn ihm der Geruch des Logha-nen nicht gefiel, würde er niemals zulassen,daß sich der Mann auf seinen Rücken

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schwang.Snayssol wich den Fieberblüten geschickt

aus. Er kroch zwischen den Dornenbüschenhindurch. Dann stand er unmittelbar vordem Hügel. Weiter oben flatterten ein paarschwarze Vögel auf.

Er steht auf der anderen Seite des Hügels,schoß es Snayssol durch den Kopf.

Der Loghane bewegte sich vollkommenlautlos vorwärts. Darin war er ein Meister.Viele Loghanen hatten es längst verlernt,sich der Natur des Planeten anzupassen. Sielebten in vollklimatisierten Räumen undbrauchten sich um nichts zu kümmern. Nichteinmal um die Nahrung. Die wurde ihnendurch ein positronisches Regelsystem prak-tisch auf den Tisch serviert.

Vorsichtig ließ sich Snayssol auf den Bo-den gleiten.

Er zog, den Dolch aus dem Gürtel undstützte sich mit der Linken hoch. Die Luftwar stickig. Gluthitze lastete über dem Land.

Vor ihm lagen mehrere Felsen. Dicht hin-ter dem Hügelkamm ging es über mehrereBodenwellen hinweg schräg abwärts. DerBoden war sandig. Über fast tausend Meterhinweg wuchs weder ein Baum noch einStrauch.

Jetzt ertönte das Wimmern eines jungenMorgo-Morgons.

Snayssols Kopf ruckte nach rechts herum.Eine Felsengruppe versperrte ihm den Blick.Er bewegte sich lautlos auf allen vieren vor-wärts. Als der Sand unter ihm wegrutschte,umklammerte er eine Luftwurzel; die ausdem Boden ragte.

Der Fremde hat den Morgo-Morgon miteinem Jungtier in die Falle gelockt, ging esihm durch den Kopf. Das ist einfach, wider-spricht aber den elementaren Regeln derJagd. Kein Morgo-Morgon würde sich je-mals zum Reittier ausbilden lassen, wenn esdurch ein Jungtier in die Falle gelockt wor-den war. Das Tier würde ewig daran denken.

Snayssol kniff seine geschlitzten Augenzusammen.

Ich muß sofort eingreifen, dachte er beisich. Der Fremde quält den Morgo-Morgon

unnötig.Als er den röchelnden Atem des gefange-

nen Tieres erneut vernahm, konnte er sichnicht mehr beherrschen. Er ließ die Luftwur-zel los und rutschte den Abhang in einer auf-wirbelnden Staubwolke hinunter. Sein An-griffsschrei dröhnte durch den Talkessel.Dann landete er auf allen vieren am Boden.

»Wo steckst du?« schrie Snayssol lautund vernehmlich. »Zeige dich! Ich will mitdir um den Morgo-Morgon kämpfen.«

Außer dem Wimmern des kleinen Tiereswar nichts zu hören.

Snayssol lief auf die Felsgruppe zu, diewie eine rohe, unbehauene Skulptur vor ihmaufragte. Sein Atem ging keuchend. In sei-ner Rechten blitzte der Dolch.

»Sei kein Feigling! Stell dich zumKampf!«

Plötzlich vernahm Snayssol das erregteKeuchen des Fremden. Es klang fast so, alswürde man die Luft aus einem Blasebalgpressen. Aber kein normaler Loghane gabsolche Geräusche von sich. Snayssol ver-langsamte seine Gangart. Die Felsen warennoch knapp zehn Meter von ihm entfernt.

»Was ist los? Hat es dir die Sprache ver-schlagen?«

Der Fremde antwortete wieder nicht. Stattdessen ertönte gieriges Schmatzen. Dochauch diese Geräusche verstummten sofortwieder. Irgendein schwerer Gegenstandwurde aufgehoben. Dann waren schwereSchritte zu hören, die sich rasch vom Ort desGeschehens entfernten.

»He, bleib stehen«, schrie Snayssol.Mit wenigen Sätzen umrundete er die Fel-

sengruppe. Eine schmale Sandmulde lagjetzt offen vor ihm. Links öffnete sich einweiterer Trichter. Fangleinen lagen am Bo-den. Doch das war nicht das Schlimmste.Snayssol erschauerte, als er den sterbendenMorgo-Morgon erblickte! Er spürte, wiesich sein Nackenpelz sträubte.

»Wo steckst du?« schrie Snayssol. Erhielt den Dolch stoßbereit in der Rechten.»Ich werde dich dafür töten.«

Der Fremde war verschwunden. Bis auf

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die Fangleinen, und die großen Fußabdrückeim Sand war nichts mehr von ihm zu sehen.Die Spuren verrieten Snayssol, daß derMann in großen Sätzen davongesprungenwar. Die dünne Einkerbung des rechten Ab-drucks bewies, daß der Jäger hinkte. Snays-sol wurde erst jetzt gewahr, daß die Ab-drucke ungewöhnlich tief waren. Sein Geg-ner war viel größer und schwerer als er.

Snayssol fragte sich vergeblich, weshalbder Fremde den Morgo-Morgon so übel zu-gerichtet hatte.

Die Vorder- und Hinterbeine des Tiereswaren brutal zusammengebunden worden.Das Tier konnte sich keinen Zentimeter be-wegen. Es lag schmerzverkrümmt in derSandkuhle. Im Nacken klafften tiefe Wun-den. Sie rührten von einem stumpfen Gegen-stand her. Seitlich quoll ein dunkelroterBlutstrom hervor. Der fremde Jäger mußteversucht haben, den Morgo-Morgon bei le-bendigem Leibe zu verspeisen.

Snayssol zitterte vor Wut und Abscheu.Er wich dem flehenden Blick des Tieres

aus. Dann packte er blitzschnell den Dolch,holte schwungvoll aus und stieß ihm demMorgo-Morgon bis zum Heft in den Nacken.Dort saßen die lebenswichtigen Nerven.Wurden sie durchtrennt, starb das Tier voneinem Atemzug zum anderen.

Der Morgo-Morgon zitterte noch einmal,dann entspannten sich seine verkrampftenGlieder. In die starr werdenden Augen tratein friedlicher Glanz.

Snayssol atmete schwer.Der Gnadentod war das einzige, womit er

dem Tier noch dienen konnte. Salzige Trä-nen liefen ihm über die Wangenknochen undnisteten sich in seinem Gesichtspelz ein. Ersah die Sonne wie durch einen Schleier hin-durch.

Dann stand er neben der anderen Sand-kuhle.

Er wischte sich die Tränen aus den Au-genwinkeln. Das Jungtier stand unbeholfenda. Es zerrte an dem Lederriemen, mit demes der Unbekannte an einen Pfahl gefesselthatte. Das Tier war höchstens zwei Monate

alt. Es konnte noch nicht allein durch dieWälder ziehen. Es mußte erst noch lernen,wie man sich Nahrung beschaffte.

Snayssol kniete neben dem zitterndenKleinen nieder. Die Nüstern waren gebläht,und die großen Augen unnatürlich weit auf-gerissen. Als er ihm beruhigend über denflauschigen Pelz strich, spürte er das Pochender beiden Herzen. Sie hämmerten inschnellem Rhythmus. Die Halsadern hobensich reliefartig ab.

»Ganz ruhig, mein Kleiner«, flüsterteSnayssol. »Ich schneide dich jetzt los.«

Der Dolch blitzte noch einmal auf, dannwar das kleine Tier frei.

Es machte ein paar unbeholfene Schritte,doch dann knickte es mit den Vorderbeinenein. Seine schwachen Kräfte reichten nichtaus, um es wieder auf die Beine zu bringen.

Snayssol lächelte. Der Lebenswille deskleinen Morgo-Morgons war ungebrochen.Er würde es zur Herde der großen Morgo-Morgons zurückbringen. Anschließend woll-te er sich den grausamen Jäger vorknöpfen.Das schwor er sich in diesem Augenblick.

»Ich trage dich zu deinen Artgenossen«,sagte Snayssol und nahm das kleine Tier mitbeiden Händen hoch.

Er ging quer durch den Talkessel. Er ahn-te nicht, daß jede seiner Bewegung beobach-tet wurde. Er konnte auch nicht wissen, daßder Fremde noch ganz in der Nähe war, umsein grausiges Mahl zu beenden.

*

Der Steppenboden erzitterte unter demTrommelwirbel unzähliger Hufe.

Sie kommen näher, erkannte Snayssol.Jetzt darf ich keinen Fehler machen, sonstbekomme ich nie ein Reittier.

Obwohl die Sonne schon ziemlich tiefstand, herrschte noch starke Hitze. Die Luftüber den Felsen flimmerte. Über dem Blät-terdach des Dschungels trieben Wolken vonInsekten.

Snayssol kauerte mit dem kleinen Morgo-Morgon nieder. Eine Bodenwelle bot ihm

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Deckung. Er strich sanft über die Nüsterndes kleinen Tieres. Es hatte inzwischen ge-merkt, daß Snayssol ihm nichts antun wollte.

Ich muß sie ganz dicht an mich heran-kommen lassen, dachte Snayssol. Je näher,desto besser. Wenn ich beim ersten Wurf da-nebentreffe, kann ich die Jagd aufgeben.

Der kleine Morgo-Morgon spürte die Nä-he seiner Artgenossen. Er wollte sich ausSnayssols Griff entwinden. Sein Wimmernwar schwach und kläglich.

»Gib doch Ruhe«, stieß Snayssol unge-duldig hervor. »Gleich kannst, du laufen.«

In der Ferne erschien eine Staubwolke.Sie wurde rasch größer. Gelber Staub wurdeunter den Hufen der Morgo-Morgons aufge-wirbelt. Jetzt konnte man bereits einzelneTiere erkennen. Sie preschten im Höllentem-po über die Ebene. Snayssol spürte eine niegekannte Erregung in sich aufsteigen. DasJagdfieber hatte ihn gepackt. Er begann sichvorzustellen, wie er auf dem Rücken einesso prachtvollen Tieres durch die Wälder ga-loppieren würde. Die Fahrt mit einem offe-nen Gleiter war überhaupt nichts dagegen.Die Technik war etwas Künstliches.

Beschleunigte man einen Gleiter über daserlaubte Maß hinaus, wurde die Steuerungvon der Lenkzentrale des Triumviratsblockiert. Der Fahrer erhielt eine Verwar-nung. Nach mehrmaligem Verstoß gegen dieGeschwindigkeitsbegrenzung wurde ihm dieFahrerlaubnis entzogen.

Snayssol verzog verächtlich die Mund-winkel. Er verachtete die Gesetze des Tri-umvirats. Er war der geborene Rebell.

Jetzt befeuchtete er den zweiten Fingerseiner Rechten mit Speichel. Er hielt dieHand hoch. Der Wind kam aus derselbenRichtung, aus der die Herde heranpreschte.Zufrieden lächelnd gab Snayssol dem klei-nen Tier einen Schubs auf die Hinterbacken.

»Geh schon, Kleiner! Gleich bist du wie-der bei den anderen. Verrate ihnen abernichts von mir!«

Snayssol lachte leise. Er sah, wie der klei-ne Morgo-Morgon über die Grasbüschelhoppelte. Er blieb mehrmals stehen und

schnappte angestrengt nach Luft. Dabei warfer den langgestreckten Kopf in den –Nacken und stieß einen Lockruf aus. Er hat-te die Witterung seiner Artgenossen aufge-nommen. Doch der Abstand zur Herde warnoch zu groß, und sein Stimmchen zuschwach, um die Entfernung zu über-brücken.

Snayssol nahm die zusammengerollteFangleine von der Schulter.

Die Herde war noch knapp zweitausendMeter von ihm entfernt. Der Leit-Mor-go-Morgon jagte wie ein schwarzer Blitzüber die Ebene. Das spitze, knapp ein Meterlange Horn ragte wie die Spitze einer Raketein den Vordergrund. Vom Kopf bis zumSchwanz war der ausgewachsene Morgo-Morgon ungefähr drei Meter lang und zweiMeter hoch.

Das gedrehte Horn war eine ernstzuneh-mende Waffe. Von sich aus griffen die Mor-go-Morgons niemals an. Sie waren Pflan-zenfresser. Doch wenn es darum ging, dieHerde gegen einen Jäger zu verteidigen,dann würde der Morgo-Morgon sein Stirn-horn wie eine Lanze benutzen.

Snayssol kroch flach auf dem Boden vor-wärts. Er hielt erst inne, als er fünfzig Metervon dem kleinen Tier entfernt war.

Jetzt schrillte das Wiehern des Leit-Morgo-Morgons durch die Luft.

Snayssol sah, wie das Tier stehenblieb.Die anderen Tiere warteten in sicherer Ent-fernung. Sie bildeten einen dichten Kreis.

Sie haben das Kleine entdeckt, erkannteSnayssol. Jetzt dauert es nicht mehr lange,und sie werden es in die Herde zurückholen.

Snayssols Nerven waren bis zum Zerrei-ßen angespannt. Wenn sich in diesem Au-genblick der Wind drehte, waren seine Be-mühungen umsonst gewesen. Er preßte sichdicht auf den Boden. Er konnte die Erde rie-chen. Er hörte das Summen der Insekten.Seine Rechte umklammerte fest die Fanglei-ne.

Das Leittier trottete jetzt langsam auf daskleine Tier zu. Die beiden begrüßten sichwiehernd. Die Nüstern waren gebläht, als sie

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sich beschnupperten.Plötzlich warf das Leittier den Kopf her-

um. Es äugte aufgeregt um sich.Snayssol kauerte sich noch tiefer nieder.

Die Grashalme bedeckten ihn völlig. DerMorgo-Morgon konnte ihn einfach nicht se-hen. Und doch mußte das Leittier etwaswahrgenommen haben.

Es wird mir durch die Lappen gehen,schoß es dem Jäger durch den Kopf. MeinGeruch liegt im Fell des Kleinen. Das ist es!

Trotzdem durfte sich Snayssol jetzt nichtzu unbedachten Handlungen hinreißen las-sen. Jetzt kam es darauf an, wer die stärke-ren Nerven besaß. Er oder das Leittier. EinMorgo-Morgon ließ seine Artgenossen nieim Stich. Erst recht kein hilfloses Jungtier.

Das große Tier leckte den Nacken desKleinen ab. Dabei äugte es aufmerksam inalle Richtungen. Dann schien sich sein Miß-trauen zu legen. Es schubste den Kleinenvorsichtig mit der Schnauze vorwärts.

Das sollte heißen: Geh doch schon! Odersoll ich dich etwa im Nacken packen und zuden anderen tragen?

Die Herde rührte sich nicht. Mehr alssechzig Augenpaare waren auf das Leittierund das Junge gerichtet. Der Staub, den dieHufe aufgewirbelt hatten, legte sich nurlangsam.

Snayssol ließ die Fangleine durch die Fin-ger gleiten. Er berührte die Eisenkugeln, diein regelmäßigen Abständen am Seil befestigtwaren. Als er den verstärkten Griff zwischenden Fingern spürte, packte er zu. Er sprangblitzschnell auf und ließ die Fangleine mehr-mals um seinen Kopf kreisen. Die Eisenku-geln erzeugten einen seltsamen singendenTon.

Das Leittier wurde vollkommen überrum-pelt. Es sprang auf den Hinterbeinen hochund schnaubte wild. Sein Horn stand senk-recht in die Höhe.

»Aieeeee!« schrie Snayssol und ließ dieFangleine auf den Morgo-Morgon zuschnel-len.

Es gab ein klatschendes Geräusch, als dieEisenkugeln gegen den muskulösen Nacken

des Morgo-Morgons schlugen. Vom eigenenSchwung vorwärts gerissen, schlang sich dieLeine mehrmals um den Hals des Tieres.

Snayssol schlang das Ende der Leine umsein Handgelenk. Er stand breitbeinig daund erwartete den Angriff des Leittiers. In-zwischen hüpfte das Junge davon und näher-te sich der Herde.

Jetzt warf sich der Morgo-Morgon herum.Das Jungtier war in Sicherheit. Nur daraufhatte das Leittier gewartet. Es preschte mitweitausholenden Sätzen davon. Die Hufetrommelten in rasendem Stakkato auf denSteppenboden.

Snayssol hatte damit gerechnet, daß derMorgo-Morgon kämpfen würde. Dennochwurde er von der Heftigkeit des Versuchsüberrascht.

Die Fangleine spannte sich. Snayssolstemmte sich gegen die Zugrichtung undumklammerte die Leine mit beiden Händen.Dann gab es einen mörderischen Ruck, undSnayssol stürzte zu Boden.

Staub wirbelte auf. Snayssol wurde rasendschnell über den Boden gezerrt. Er lag zuerstauf dem Bauch. Dann brachte er sich durcheine Körperdrehung halb auf die Seite. DieWelt schien einen Höllenreigen um ihn her-um zu veranstalten. Sand verklebte ihm dieAugen. Scharfkantige Steine zerfetzten sei-nen Kreuzgurt.

Seine Schreie wurden vom Wiehern desMorgo-Morgons übertönt.

Er wird mich so lange durch die Steppezerren, bis kein Fetzen mehr von mir übrigist, schoß es Snayssol durch den Kopf.

Mehrere Felsen kamen in Sicht. Snayssolumklammerte die Fangleine, als hing seinLeben davon ab. Der Morgo-Morgon warnoch schneller geworden.

Als die Felsen ganz nahe waren, bäumtesich Snayssol ruckhaft auf. Für einen kurzenAugenblick stand er auf den Füßen, sah denFelsbrocken vor sich und schlang das Seilblitzschnell um ihn herum. Staubwolkenstanden in der Luft. Plötzlich gab es einenentsetzlichen Ruck. Der Morgo-Morgonwieherte schmerzgeplagt. Dann herrschte

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Totenstille.»Hat dich wohl ganz schön mitgenom-

men, mein Freund«, murmelte Snayssolschwer atmend vor sich hin.

Er verknotete die Leine um die schmälsteStelle des Felsen und ging langsam auf dasTier zu. In den Staubwolken, die sich lang-sam legten, sah er den mächtigen, schwarzenKörper am Boden liegen. Der Morgo-Mor-gon rührte sich nicht.

Der Jäger wußte aber auch, daß die Mor-go-Morgons äußerst raffiniert waren. ImFalle einer Gefahr stellten sie sich tot, umden Jäger im geeigneten Augenblick aus-schalten zu können.

Die Nackenhaare des Tieres waren ge-sträubt. Die Fangleine schnürte den schlan-ken Hals ein. Die Eisenkugeln verhindertendas Nachrutschen.

»Ich helfe dir«, flüsterte Snayssol. »Schönruhig bleiben!«

In der Ferne rief die Herde nach dem Leit-tier. Der Wind trug das ungeduldige Schnau-ben der Tiere heran.

Plötzlich ruckte der Kopf des gefangenenTieres hoch. Sein Schnauben klang kläglich.Die Herde würde es nicht hören.

Snayssol achtete darauf, daß er dem ge-fährlichen Stirnhorn nicht zu nahe kam. Erbedeckte die Nüstern mit den Händen. Dabeispürte er das Zittern des mächtigen Körpers.Ein Morgo-Morgon war stolz. Er würde sei-ne Niederlage erst dann überwinden, wennsein Gegner bewies, daß er der Stärkere war.

Erleichtert stellte Snayssol fest, daß sichdas Tier beim Sturz nichts gebrochen hatte.

Jetzt drehte die Herde ab. Snayssol richte-te sich auf. Er sah den langgezogenen Halb-kreis aus Tierleibern, und er erblickte auchdas neue Leittier. Ein junger Morgo-Morgonhatte jetzt die Funktion des Anführers über-nommen. Nachdem sein Vorgänger nicht zurHerde zurückgekehrt war, mußte er seineArtgenossen aus der Nähe des loghanischenJägers führen.

»Das Spiel ist aus«, rief Snayssol trium-phierend.

Der Morgo-Morgon bäumte sich noch

einmal auf. Die straff gespannte Fangleinedrückte ihm die Luft ab. Snayssol lockertedie Leine unter dem Kehlkopf des Tieres.

»Du hast Durst«, meinte Snayssol. »DasRennen hat dich erschöpft. Dachte ich mir.Aber du mußt dich noch ein Weilchen ge-dulden. Durst gehört dazu, um dich gefügi-ger zu machen.«

3.Die Opfer der Schwarzen Tore

Der Boden schien unter den Hufen desEinhorns hinwegzufliegen. Snayssol lagdicht an den Nacken des Morgo-Morgonsgepreßt. Aus der Fangleine hatte er primitiveZügel geknüpft. Das Tier gehorchte jederAnweisung. Es würde ihn überall hintragen.

Snayssol hatte sich geschworen, den Jägerzu finden, der einen Morgo-Morgon ange-lockt und grausam zugerichtet hätte.

Die Loghanen waren im Grunde keine Jä-ger. Das bequeme Leben in den Städten derdrei Kontinente gewährte ihnen alle Vergün-stigungen, die man sich denken konnte. Dieautomatischen Fabriken produzierten Kon-zentrate, Kunstspeisen und angereicherteGetränke in ausreichender Menge.

Nur wenige Loghanen wußten noch in derWildnis Bescheid. Snayssol war einer da-von.

Er klopfte den Morgo-Morgon gegen denHals.

»Langsam, du verausgabst dich ja völlig!«Schnaubend verlangsamte das Tier seine

Gangart und tänzelte unruhig auf der Stelle.Es wurde dunkler. Die Sonne stand wie

ein riesiger Glutball am Horizont. DunkleWolken ballten sich am Himmel. Es wurderasch kühler. Ein frischer Wind wehte auswestlicher Richtung. Das Steppengras ra-schelte, und in der Ferne ertönte das Brülleneines Aasfressers.

Ich muß die Spur des fremden Jägers fin-den, bevor die Nacht alles zudeckt, sagteSnayssol zu sich selbst.

Unmittelbar vor ihm wölbte sich der Fel-senhügel im Abendhimmel. Die beiden

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Sandkuhlen waren nur noch als schwarzeLöcher erkennbar. Das war die Stelle gewe-sen, an der der Fremde den Morgo-Morgonin die Falle gelockt hatte.

Snayssol ließ sein Reittier an die Sand-kuhle herantraben. Das Tier sträubte sich.Seine Nackenhaare stellten sich auf. Es wit-terte den Geruch des Fremden, und es spürtedie Nähe des Todes.

Plötzlich glaubte Snayssol erstarren zumüssen.

Der tote Morgo-Morgon ist verschwun-den, durchzuckte es ihn. Der Kerl ist alsozurückgekehrt und hat sich seine Beute dochnoch geholt.

Ohnmächtige Wut erfaßte den Loghanen.Im Zwielicht entdeckte er ein paar abgenag-te Knochen. Dunkle Fellfetzen lagen imSand.

Snayssol riß seinen Morgo-Morgon her-um. Im Sand zeichneten sich die tiefliegen-den Spuren des Fremden deutlich ab. Sieführten zu den Felsen hinüber. Weiter hintenbildete ein düsterer Dschungelstreifen einehohe Mauer. Mit der hereinbrechenden Dun-kelheit erwachte auch das Leben der Nacht-tiere. Ihr Geschrei gellte durch das Dickicht.Jetzt verließen die hungrigen Räuber ihreHöhlen. Raubvögel schwangen sich in dieNacht empor und spähten nach Beute aus.

Die Spur des Fremden war nicht zu über-sehen. Neben dem Felsbrocken hatte der Jä-ger kurz innegehalten. Knochen und blutigeFleischbrocken lagen auf dem Boden.

Als Snayssol näher kam, flatterten einpaar kleine Vögel auf, die sich an den Re-sten gütlich taten.

Der Morgo-Morgon wurde immer nervö-ser. Schweiß glänzte auf seinem schwarzenFell. Die Nüstern waren weit gebläht, unddie großen Augen waren starr vor Angst.

»Du bist nicht allein«, flüsterte Snayssoldem erregten Tier ins Ohr. »Ich werde mitdem Jäger abrechnen. Darauf kannst du dichverlassen.«

Je näher Snayssol an den Dschungel her-ankam, desto unruhiger wurde er.

Was ist, schoß es ihm durch den Kopf,

wenn der Fremde auf mich lauert. Ich reiteahnungslos näher und, und er schleudert sei-nen Dolch.

Es gab noch andere Waffen, mit denender Fremde ihn erledigen konnte. Die weni-gen Jäger, die sich in den Wäldern und Ebe-nen von Kledzak-Mikhon behaupteten, wa-ren recht erfinderisch in der Wahl ihrer Waf-fen. Snayssol hatte schon von Blasrohrengehört, mit denen vergiftete Pfeile abge-schossen wurden. Einige sollten sogar Waf-fen der Ahnen entdeckt haben.

Es war jetzt stockfinster geworden. AmHimmel schimmerten die ersten Sterne. DieSteppe war schwarz, im Wald dagegen gabes helle und dunkle Stellen. Kleine Leucht-käfer schwirrten durch das Blattwerk. Ananderer Stelle spien die Knallschoten ihreleuchtenden Samen aus. Die kleinen schwef-lig leuchtenden Dinger lockten Insekten zurBefruchtung an. Ihr Licht reichte aus, umsich im Dickicht zurechtzufinden.

Snayssol wurde das unangenehme Gefühlnicht los. Eine innere Stimme warnte ihn da-vor, weiter in den nächtlichen Dschungelvorzudringen. Doch er wollte jetzt nicht auf-geben. Er sah in der Konfrontation mit demgrausamen Jäger eine letzte Möglichkeit, vordem Ed-Schun-Kampf seine Stärke zu be-weisen.

Die niedrige Mauer war größtenteils vonüppig wuchernden Pflanzen bedeckt. Snays-sol erkannte die Mauer erst, nachdem seinMorgo-Morgon sich weigerte, weiterzutra-ben. Snayssol ließ sich zu Boden gleiten. Erhielt die Zügel locker in der Rechten und sahsich lauernd um.

Das rettete ihm das Leben.Plötzlich stand eine massige Gestalt auf

der niedrigen Mauer. Der Fremde hielt einenmattglänzenden Gegenstand in der Hand.Ein Tuch bedeckte seine linke Körperhälfte.Der Kopf war leicht schräg geneigt.

Es gab einen kurzen trockenen Knall, undirgend etwas schnellte haarscharf überSnayssol hinweg. Als sich das Ding unmit-telbar hinter ihm in den Baumstamm bohrte,splitterte das Holz wie unter einem Axt-

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schlag auseinander.Snayssol stieß einen Schreckensschrei

aus.

*

Snayssol hörte, wie sich die schwerenSchritte von ihm entfernten.

Das ist derselbe Kerl, der den Morgo-Morgon in die Falle gelockt hat, erinnertesich der Loghane. Dieselben schwerenSchritte!

Snayssol erhob sich, nachdem er sicherwar, daß der Fremde nicht mehr in unmittel-barer Nähe war. Dann band er die Leine sei-nes Reittiers an einen herunterhängendenAst. Im Fall einer Gefahr würde sich derMorgo-Morgon selbst befreien können.

Snayssol klopfte dem Tier auf die Nü-stern.

»Ich komme gleich wieder, Alter … denBurschen will ich mir nicht durch die Lap-pen gehen lassen.«

Die Mauer bestand zum Teil aus Plastik-bauteilen, die auch nach Jahrtausenden nichtverrotteten. Wenn man die Moose abkratzte,kamen unbekannte Schriftzeichen zum Vor-schein.

Snayssol schob sich vorsichtig über dieMauer.

Im Hintergrund erkannte er niedrige Kup-pelbauten, die von den Dschungelriesen völ-lig eingeschlossen waren. Snayssol wunder-te sich, daß er noch nicht früher auf dieseunbekannte Stadt gestoßen war. Soweit ersich erinnerte, hatte auch kein anderer Erbedavon gesprochen.

Vielleicht handelt es sich um eine Station,die über einem Schwarzen Tor errichtet wur-de, dachte er.

Auf Kledzak-Mikhon gab es ungefährvierzigtausend Schwarze Tore. Jede Stadtwar damit verbunden. Das dichte Netz ga-rantierte eine ununterbrochene Verbindungzu allen Wohnstätten der Loghanen. Snays-sol wußte nicht, wie die Schwarzen Torefunktionierten. Als Erbe konnte er sie ledig-lich bedienen. Er programmierte die Zielda-

ten, durchschritt das Tor und landete inner-halb von Sekundenbruchteilen am Ziel.

Snayssol wußte auch, daß es noch einweiteres Transportsystem auf diesem Plane-ten gab. Es bestand aus drei großen Toren.Auf jedem Kontinent stand eins davon. So-weit Snayssol darüber informiert war, hattedas Triumvirat die Aktivierung der großenTore nie gestattet. Vielleicht wußten die Re-gierungsvertreter auch gar nicht, wie mandiese Tore bediente.

Snayssol hatte sich schon oft Gedankendarüber gemacht. Er nahm an, daß mandurch diese Riesentore andere Welten errei-chen konnte.

Sein größtes Ziel war es, das Geheimnisjener großen Tore zu lösen.

Die Kuppelbauten sahen verwittert unduralt aus. Ihre Form war zweckmäßig undstellte das Gegenstück zu einigen Kuppel-bauten in Poal-To dar. Hier waren also die-selben Baumeister am Werk gewesen, dieauch die Architektur der anderen Städte be-stimmt hatten.

Snayssol sprang federnd von der niedri-gen Mauer. Ein kreisrunder Platz lag jetztvor ihm. Darüber wölbte sich das undurch-dringliche Blätterdach des Dschungels. Inden Kuppelbauten gähnten finstere Türöff-nungen.

Plötzlich schrillte ein Schrei durch dieNacht.

Snayssol blieb wie erstarrt stehen. Erkannte kein Tier, daß solche Laute von sichgab.

Jetzt ertönte ein unbeschreibliches Rö-cheln.

Es kommt aus der Tiefe, stellte Snayssolunsicher fest. Anscheinend existieren hierunterirdische Gangverbindungen.

Snayssol zog den Dolch aus dem Gürtel.Vorsichtig tastete er sich weiter durch die

Dunkelheit. Die Kuppelbauten hoben sichnur schemenhaft vor ihm ab. Plötzlich trat ermit dem rechten Fuß ins Leere. Er ließ sichsofort nach hinten fallen und entging demSturz in den schwarzen Schacht.

Nachdem er seine Überraschung über-

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wunden hatte, tastete er die Bodenöffnungmit beiden Händen ab. Rechts von ihm lagein schweres Eisengitter. Es war kreisrundund paßte anscheinend genau über das Loch.

Ein Abschirmgitter, durchzuckte es denLoghanen. Aber wozu das Ganze?

Der fremde Jäger unterbrach seine Gedan-ken. Brüllend verließ er sein Versteck imUnterholz und sprang von hinten auf denüberraschten Loghanen. Snayssol konntedem schweren Körper nicht mehr rechtzeitigausweichen. Er fiel und rollte über den Randder Bodenöffnung, instinktiv klammerte ersich an dem Fremden fest. Als er das nach-giebige Fleisch des anderen spürte, durch-zuckte es ihn siedendheiß.

Er hat keinen Pelz, erkannte Snayssol. Erist kein Loghane!

Es gab einen Ruck, und die Gegner stürz-ten kopfüber in den finsteren Schacht.Snayssol schrie vor Entsetzen laut auf. DieWaffe des Fremden polterte gegen dieSchachtwand. Dann wurde es Nacht umSnayssol.

*

Ich lebe, sagte Snayssol zu sich selbst.Der Körper des Fremden hat den Aufprallgemildert.

Snayssol riß die Augen auf. Er suchtenach seinem Dolch, doch die Waffe war ver-schwunden. Flackernder Lichtschein erfüllteden Raum. Das andere Ende war von hieraus nicht zu sehen. Links war die Wand, diebis zur Schachtöffnung emporreichte.Rechts ging es schräg abwärts. Ein qualmen-der Fackelstumpf steckte in einem Wand-loch.

Ein richtiges Verschwörernest, dachteSnayssol. Hierher wagt sich bestimmt keinePatrouille des Triumvirats.

Snayssol streckte seine Rechte aus. Als eretwas Warmes, Klebriges berührte, zuckte ererschrocken zurück.

Neben ihm lag der fremde Jäger.Snayssol atmete kurz. Sein Brustkorb

schmerzte. Er hatte sich nichts gebrochen,

doch er kam sich völlig zerschunden vor.Am linken Oberschenkel hatte er eine kleinePlatzwunde.

Mühsam richtete sich der Loghane auf.Als er den Fremden erblickte, durchzuckteihn eisiger Schrecken. Der Fremde war zwarnur einen Kopf größer als er, doch seinBrustkorb war fast ebenso breit, wie er langwar. Die Haut glänzte speckig. Von der Hüf-te bis zum Kopf war er völlig nackt. Nur derUnterkörper besaß den charakteristischenPelz der Loghanen.

Über der Schulter lag ein Tuch. Es be-deckte den Kopf.

Snayssol stand jetzt dicht neben demFremden. Er berührte den massigen Körpermit der Fußspitze.

»He«, sagte er. »Steh auf! Ich will mit dirreden.«

Der Fremde rührte sich nicht. Snayssol er-kannte erst jetzt, daß der Jäger nicht mehratmete.

Er ist tot, stellte Snayssol fest. Er hat sichdas Genick gebrochen.

Kurz entschlossen zog Snayssol das Tuchvom Kopf des Unbekannten.

Es traf ihn wie ein Keulenschlag. DerFremde besaß zwei Köpfe. Damit hatte ernicht gerechnet. Der Anblick war soschrecklich, daß Snayssol unwillkürlich auf-stöhnte.

Der rechte Kopf war loghanisch. Die ge-schlitzten Augen, die stumpfe Nase, derbreite Mund und die spitz emporragendenOhren. Es stimmte alles. Da der Fremde kei-nen Gesichtspelz besaß, waren die tief ein-gekerbten Linien besonders deutlich zu er-kennen. Sie zogen sich schräg über sein Ge-sicht. Snayssol glaubte, in den gebrochenenAugen etwas unbeschreiblich Trauriges zusehen. Das Wesen mußte zu LebzeitenSchreckliches mitgemacht haben. Links be-deckten schwärende Wunden den Hals.

Das hat der zweite Kopf verursacht,durchzuckte es den Loghanen.

Snayssol spürte einen eiskalten Schauerüber seinen Rücken laufen. Er wischte sichüber die Augen, doch der schreckliche An-

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blick blieb.Der zweite Kopf gehört einem Schetan.

Und wer die Schetans kannte, der wußteauch, wozu diese parasitären Lebewesen fä-hig waren.

Sie bevölkerten zu Tausenden die Abwäs-serkanäle der großen Städte. Selbst Jagd-kommandos konnten dieser Plage nicht Herrwerden. Ein ausgewachsener Schetan warzwar nur zwanzig Zentimeter groß, doch sei-ne Gier ließ sich kaum beschreiben. Unbe-stätigten Berichten zufolge sollte ein einzi-ger Schetan in einer Nacht fünf Loghanenzerfleischt haben, als sie im Fieberwahn ei-ner Rauschdroge lagen.

Die Schnauze des Schetankopfes lief spitzzu. Reißzähne ragten aus dem geöffnetenMaul. Sie hatten bei jeder Kopfdrehung jenescheußlichen Wunden am Kopf des Logha-nen verursacht. Die rötlich funkelnden Au-gen starrten glanzlos ins Leere. Dicht überder behaarten Stirn wuchsen zwei kleineStummelohren.

Snayssol beugte sich etwas vor.Er mußte gegen die aufsteigende Übelkeit

ankämpfen. Von dem Schetankopf ging einbestialischer Gestank aus. Zwischen denReißzähnen hingen verfaulende Fleischreste.

Das Biest hat den Loghanen dazu getrie-ben, den Morgo-Morgon zu zerfleischen, er-kannte Snayssol. Eine andere Möglichkeitwar ausgeschlossen. Er fragte sich jedochvergeblich, wie der Loghane zu diesemzweiten Kopf gekommen war.

Snayssol sah sich aufmerksam um. DieSchachtöffnung war mindestens zehn Meterüber ihm. Die Wände waren zu glatt, als daßer daran emporklettern konnte. Also mußteer sich nach einem anderen Ausgang umse-hen.

Die Waffe des Toten war in den weiter-führenden Gang gerollt.

Snayssol bückte sich danach. Das Modellwar ihm fremd. Es erinnerte ihn an dieStrahlenwaffen, die einem Erben bei Bedarfausgehändigt wurden. Der Griff war schmal.Er war anscheinend für eine größere Handkonstruiert worden. Statt der vier loghani-

schen Fingerglieder paßte er für fünf Finger.Über dem Griff lag das Magazin. Der Laufwar leicht gedreht, und über der Mündungsteckte ein Zielmechanismus.

Snayssol überlegte kurz. Sollte das viel-leicht eine Waffe der rätselhaften Ahnensein? Er steckte sie sich in den Kreuzgurt.

Vorsichtig drang er in den Gang ein. Inunregelmäßigen Abständen waren kienigeFackeln an den Wänden angebracht. Snays-sol mußte damit rechnen, auf Gegner zu tref-fen. Wer hier unten für Licht sorgte, hattebestimmt auch Vorsichtsmaßnahmen getrof-fen, um unerwünschte Eindringlinge abzu-wehren.

Snayssol ging dem kalten Luftzug nach,der ihm entgegenwehte.

Hatte er sich getäuscht, oder tönte dortvorn tatsächlich Stimmengewirr durch dieGänge?

Er blieb stehen und lauschte. Tatsächlich,jetzt konnte er es ganz deutlich hören, daßsich Loghanen miteinander unterhielten.

Snayssol spürte eine kaum zu bezähmen-de Spannung in sich aufsteigen. Es war mehrals nur die Neugier eines Jägers. Es war derWunsch, Licht in die Dunkelheit dieser ge-heimnisvollen Stadt im Dschungel zu brin-gen.

*

Hover-Maracul führte die Opfer derSchwarzen Tore an.

Seine Stimme klang krächzend. Wenn erschwerfällig seine Worte formulierte, hörtees sich abgehackt und wirr an. Hover-Ma-racul war aber gerissen und schlau. Er be-hauptete seine Stellung durch äußerste Grau-samkeit. Ihm standen zwei verrückte Logha-nen zur Seite, die bei einem Sprung durchdas Schwarze Tor Teile ihrer Gehirne verlo-ren hatten.

»Es war ein Fehler«, setzte Hover-Ma-racul an, »den Schetankopf ins Freie gehenzu lassen. Draußen laufen genügend Jägerherum, die auf uns aufmerksam werdenkönnten. Noch ist der Tag nicht gekommen,

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an dem wir uns rächen werden. Unsere Ra-che braucht Zeit. Je länger wir warten, destosicherer fühlen sich die Obmänner des Tri-umvirats …«

Zorniges Bellen dröhnte durch den Ver-sammlungsraum. Die beiden verrückten Lo-ghanen stammelten wirres Zeug. Sie schlu-gen die Handflächen gegeneinander undschnitten abscheuliche Grimassen.

Hover-Maracul reckte sich empor. Er waretwas größer als die anderen. Der Sprungdurch ein Schwarzes Tor hatte eine Gewebs-wucherung bei ihm verursacht. Innerhalbweniger Monate waren seine Muskelpartienauf das Doppel angeschwollen. Seine Kraftwar dementsprechend gewachsen. Er trugbunte Kreuzbänder, unter denen sich diestahlharten Muskeln seines Brustkorbs undseiner Arme wölbten.

»Wir sind noch nicht stark genug, Brüder!Wir müssen zuerst unsere eigenen Kräfte er-proben. Nur wenn wir planvoll vorgehen,können wir das Triumvirat vernichten.«

Erneut brandete frenetischer Jubel auf.Außer Hover-Maracul und den beiden

Dienern waren hier unten noch achtund-neunzig mißgestaltete Loghanen versam-melt. Einer sah schlimmer aus als der ande-re. Manche besaßen nur faustgroße Köpfe,andere waren beweglich wie Schlangen. Eswaren auch doppelköpfige Kreaturen dabei.Kein einziges Wesen glich dem anderen.Die Natur schien in einem Anfall vonWahnsinn alle Variationsmöglichkeitendurchgespielt zu haben, die ihr zur Verfü-gung standen. Das Bild war apokalyptisch.Eine Steigerung des Grauenvollen schiennicht mehr möglich zu sein.

Doch als der violett verfärbte Loghane inden Raum kam, verzog sogar Hover-Ma-racul verächtlich die wulstigen Mundwinkel.

»Was willst du hier?« herrschte er dasmißgestaltete Wesen streng an.

Der Violette kroch auf seinen sechs Arm-paaren mühsam über den Boden.

Sein Unterleib zuckte konvulsivisch.Wenn man genauer hinsah, erkannte manden zierlichen, nur teilweise ausgebildeten

Körper eines jungen Loghanen, der fest mitdem Rumpf des Violetten verwachsen war.Der »kleine« Loghane war weißhäutig. Seit-lich wuchsen ihm kleine Klauen aus demKörper.

»Essen«, gurgelte der Violette mühsam.»Essen!«

Hover-Maracul ließ sich von seinen Die-nern eine Schüssel reichen. Sie war bis zumRand mit Nährbrei gefüllt.

»Wenn du noch einmal deinen Posten un-erlaubt verläßt, wirst du ein paar Tage langauf Notration gesetzt.«

Der Violette heulte entsetzt auf. Nah-rungsaufnahme schien das einzige zu sein,woran er denken konnte. Seine vorderenArmpaare machten ununterbrochen Eßbewe-gungen.

»Gebt ihm den Brei«, forderte Hover-Maracul seine Diener auf. Gelangweilt saher zu, wie der Violette den zähflüssigen Breiherunterschlang. Jedesmal schwankte erzwischen Mitleid und Abscheu. Doch seinselbstherrliches Gefühl überwog. Er benutz-te diese Kreaturen nur als Mittel zumZweck. Sie waren seine Privatarmee, mit derer seine ganz persönliche Rache vollendenwollte. »Zurück auf deinen Posten!«

»Essen«, gurgelte der Violette, dessenzwergenhafter Zusatzkörper erregt zuckte.

»Verschwinde, oder ich mach meine Dro-hung wahr!«

Der Violette ließ die halbgeleerte Schüs-sel zurück und kroch murrend zwischen denzurückweichenden Kreaturen hindurch.

In Hover-Maraculs Blick lag etwas Dä-monisches.

»In wenigen Tagen beginnt das neue Spielder Schwarzen Tore«, stieß er in seiner ab-gehackt klingenden Sprechweise hervor.»Aber diesmal sind wir gewappnet. Ich ken-ne die Programmierung der Schwarzen Tore.Wir werden jeden einzelnen Augenblick desWettkampfs miterleben. Das verspreche icheuch.«

Die Mißgestalteten reckten ihre Arme em-por. Inzwischen hatte der Violette den Aus-gang erreicht. Er drehte sich noch einmal

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um. Sein Blick drückte Schmerz und Gieraus.

»Ich kann mich auf euch verlassen«, fuhrHover-Maracul fort. »Ich kenne euren Haß.Ich weiß was euch das Triumvirat angetanhat. Man trieb euch durch die SchwarzenTore. Man versprach euch Reichtum und einsorgloses Leben. Doch als ihr verwandeltwurdet, wollte keiner mehr etwas von euchwissen.«

Hover-Maraculs Stimme bekam einensuggestiven Klang.

»Niemand hat euch geholfen! Oder hateuch jemand geholfen?«

Ein vielstimmiger Schrei ließ das Gewöl-be erzittern.

»Du hast uns geholfen, Hover-Maracul!«Der Anführer der entsetzlichen Meute

grinste. Er hatte erreicht, was er wollte. Je-des dieser unglücklichen Wesen würde fürihn durchs Feuer gehen. Wenn er von ihnenden kollektiven Selbstmord verlangte, wür-den sie ihm gehorchen. Sie waren wieWachs in seinen Händen. Er konnte mit ih-nen machen, was er wollte.

»Folgt mir jetzt zum Schwarzen Tor«, riefer.

Die Meute ließ sich nicht zweimal dazuauffordern. Sie bildete eine Gasse und ließHover-Maracul vorbei. Dann folgten ihm dieeinzelnen Kreaturen. Der Weg führte anstaubbedeckten Bildschirmen vorbei. DasLicht zahlreicher Fackeln beleuchtete denGang. Schließlich erreichten sie einen ovalgeschnittenen Saal. Auf beiden Seiten ragtenMaschinenblöcke aus dem Boden. Ge-schwungene Schaltpulte verbanden jedenApparat mit dem nächsten.

In der Mitte erhob sich ein niedriges Po-dest. Über zwei Stufen erreichte man einenGitterrost. Links und rechts standen zweidurchsichtige Säulen, in die das hauchzarteGeflecht komplizierter Energieleiter einge-gossen war. Das niedrige Programmpultstand unter Energie. Die Digitalanzeigenleuchteten rötlich. Sie gaben das Erken-nungssymbol dieser Station wieder.

»Verneigt euch vor dem Schwarzen Tor«,

schrie Hover-Maracul.Die Mißgestalteten krümmten gehorsam

ihre Rücken.»Das Schwarze Tor hat euch zu dem ge-

macht, was ihr jetzt seid …«Die Menge heulte zornig auf.»Das Schwarze Tor wird euch auch wie-

der von dieser Last befreien«, beendete Ho-ver-Maracul seinen Satz. Er hatte absichtlichdiese zweideutige Formulierung gewählt.Die Mißgestalteten sollten annehmen, daßein erneutes Durchschreiten des SchwarzenTores sie von ihren körperlichen Leiden er-lösen würde. Sie sollten denken, daß siewieder ihre frühere Gestalt zurückerhielten.

»Meister«, heulte ein verwandelter Log-hane auf. »Ich will diesen unseligen Leibverlieren. Ich will nach Poal-To zurückkeh-ren und ein Leben wie alle anderen führen.«

Hover-Maracul streckte sich.»Ich kenne die Programmierung des

Schwarzen Tores. Ich bin ein Erbe. Deshalbbin ich auch ein Meister der Schwarzen To-re. Wenn ich den Sprung durchs SchwarzeTor programmiere, werdet ihr alle wiedernormal werden.«

Das war schlicht gesagt eine Lüge. Kör-perliche Veränderungen waren irreparabel.Hover-Maracul wußte das ganz genau. Sonsthätte er seine Gewebswucherungen längstunter Kontrolle gebracht. Aber er wußte, wieman diese Unglücklichen gefügig machte.

»Kniet nieder und verneigt euch!«Plötzlich gellte der Schrei des Violetten

durch den Saal. Hover-Maracul knirschtemit den Zähnen. Noch einmal würde er demBetteln des Violetten nicht nachgeben. Ernickte seinen Untergebenen zu. Zwei verän-derte Loghanen zogen ihre Dolche aus denBrustgurten.

Sie würden den Violetten töten, wenn Ho-ver-Maracul das Zeichen dazu gab. Niemanddurfte die Zeremonie stören.

Jetzt erschien der Violette im Saal. Er waraußer Atem. Sein zweiter Körper machteihm anscheinend immer noch Schwierigkei-ten. Die winzigen Krallen schrammten überden Bodenbelag der Halle.

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»Alarm«, keuchte der Violette. »DerSchetankopf ist tot!«

»Was?« preßte Hover-Maracul beunruhigthervor. »Wie konnte das passieren? Redeschon!«

Der Violette mußte verschnaufen. Gelbli-cher Schaum tropfte ihm übers Kinn.

Hover-Maracul biß sich auf die Lippen.Vor seinen geistigen Auge erschien das Bilddes Schetankopf es. Er erinnerte sich deut-lich an das Schicksal des Loghanen, derbeim letzten Spiel der Schwarzen Tore zu-sammen mit einem kaum handtellergroßenSchetan entmaterialisiert war. Während desTransports durch die fünfte Dimension hat-ten sich die Atome dieser beiden grundver-schiedenen Wesen miteinander vermischt.Praktisch in Nullzeit war daraus der»Schetankopf« entstanden, wie seine Lei-densgenossen ihn daraufhin nannten. Nie-mand beneidete ihn um sein Schicksal, dennder Schetankopf zerfleischte den Hals desUnglücklichen immer wieder aufs neue.

»Er liegt unter dem Schacht«, keuchte derViolette. »Seine Waffe ist verschwunden!«

Hover-Maracul gab einen zischendenLaut von sich.

»Hast du seine Waffe gestohlen?«herrschte er den Violetten an.

»Nein, Meister!« Das Wesen krümmtesich wimmernd zusammen. »Nein, das hatein Fremder getan. Seine Spuren sind deut-lich auf dem Boden zu erkennen. Er kamvon draußen. Er hat den Schetankopf getö-tet.«

Hover-Maracul stieß dem Violetten dieStiefelspitze in den Leib. Er war außer sichvor Zorn. Wenn ein fremder Jäger in dieStation eingedrungen war, konnte er die Re-bellion der Mißgestalteten sofort abschrei-ben. Seine einzige Chance bestand darin denFremden zu stellen und zu töten.

»Ausschwärmen«, schrie Hover-Maracul.»Der Fremde darf die Oberwelt nicht wiederlebend erreichen!«

*

Snayssol wußte, daß er einen Fehler ge-macht hatte. Seine Spuren im Gang würdenihn verraten. Jetzt war es für eine Änderungseines Planes zu spät. Er mußte das nackteLeben retten. Wenn er den Ausgang aus die-ser Station nicht in kürzester Zeit fand, warer verloren.

Hover-Maraculs Stimme dröhnte durchden Transmittersaal.

»Verteilt euch in den Gängen! Durchsuchtjeden Raum!«

Snayssol kauerte sich hinter einem Schalt-pult nieder. Die mattschwarze Fläche reflek-tierte das Licht der Fackeln. Mehrere Logha-nen trugen Fackeln. Sie leuchteten damit diedüsteren Nischen aus, in denen sich der Ein-dringling versteckt haben konnte.

Snayssol spürte ein schmerzhaftes Bren-nen im Magen. Sein Pelz war schweißbe-deckt. Seine vier Finger umklammerten denGriff der Waffe. Er würde sein Leben soteuer wie möglich verkaufen.

Hover-Maracul stand jetzt allein vor demSchwarzen Tor. Am Saalende hielten sichnur noch fünf Mißgestaltete auf ihre Unter-haltung wirkte gedämpft.

Was tut der Anführer dort, fragte sichSnayssol und richtete sich etwas auf. Er ach-tete darauf, daß er den Kopf nicht zu weitüber den Rand des Schaltpults schob. DieMißgestalteten waren sehr aufmerksam. Ih-nen wurde auf die Dauer nicht entgehen, daßsich der Fremde im Transmittersaal ver-steckt hielt. Snayssol war wenige Minutenvor der wilden Meute hier angelangt.

Hover-Maracul stand vor der Programm-tafel des Schwarzen Tores.

Er programmiert das Gerät, erkannteSnayssol verblüfft. Ob er aus dem Saal ver-schwinden will?

Snayssol kniff die Augen zusammen. Erkonnte die Programmanzeige ganz deutlicherkennen. Die Symboldaten gaben in der er-sten Reihe das Erkennungszeichen dieserStation wieder. Darunter erschienen die Da-ten der anvisierten Station. Jetzt glimmte eingrünes Lämpchen auf.

Das Gerät steht auf Transport, wußte

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Snayssol sofort. Er hatte sich oft genug da-mit beschäftigt. Obwohl es vom Triumviratverboten war, sich mit den Mechanismen ei-nes Schwarzen Tores zu beschäftigen, hatteer seine Nachforschungen betrieben.

Plötzlich gab es einen scharfen Knall.Über den Säulen stand ein grünschimmern-des Energiefeld. Es bildete einen Torbogen.In der Mitte gähnte ein schwarzes Loch.Knisternd ionisierten die Luftmoleküle. Esroch nach Ozon.

Er will aus dem Saal verschwinden,durchzuckte es den Loghanen. Der Rebel-lenführer läßt seine Meute im Stich. Er willin sicherer Entfernung abwarten, wie dieJagd auf mich ausgeht.

Den Mißgestalteten schien es gar nichtsauszumachen, daß ihr Herr und Meister denSaal auf diesem ungewöhnlichen Weg ver-ließ. Er drehte sich noch einmal kurz um.Ein häßliches Grinsen spielte um seineMundwinkel. In wenigen Sekunden würdeihn das Entstofflichungsfeld erfassen, dachteSnayssol.

Er erkannte sofort die einmalige Chance,die sich ihm hier bot. In den Gängen der un-terirdischen Station war er verloren. Er muß-te den Saal also ebenfalls durch das Schwar-ze Tor verlassen.

Kurz entschlossen sprang Snayssol auf. Inseiner Rechten drohte die geheimnisvolleWaffe des Schetankopfes. Er stützte sich mitder Linken ab und setzte über das Schaltpulthinweg.

Hinter ihm ertönten erregte Stimmen. DieMißgestalteten hatten ihn entdeckt.

»Dort ist er! Meister … er rennt auf dasSchwarze Tor zu!«

Hover-Maracul achtete nicht auf dieSchreie seiner Untergebenen, denn in die-sem Augenblick entstofflichte er. Das grüneLeuchten erfaßte und löste ihn blitzschnellauf. Die Atome seines Körpers wurden vomschwarzen Feld aufgenommen und abge-strahlt.

Snayssol wußte nicht, wie lange das Ener-giefeld stabil sein würde. Er rannte querdurch den Saal. Jede Sekunde, die jetzt ver-

strich, konnte ihm das Leben kosten.»Tötet ihn«, gellten die Schreie der Miß-

gestalteten näher.Zehn groteske Wesen hatten die Verfol-

gung aufgenommen. Sie waren höchstensnoch zwanzig Meter von ihm entfernt. Einblitzender Dolch schnellte an ihm vorüber,und verschwand im schwarzen Feld.

Zu seinem Entsetzen erkannte Snayssol,daß die charakteristische Grünfärbung desTransportfeldes schwächer wurde.

Ein schmerzhafter Schlag traf ihn an derlinken Schulter. Der Stein rollte über denBoden und blieb vor den Stufen des Podestsliegen. Snayssol nahm die Hürde in einemAnlauf. Er sah nicht mehr, wie ein Mißge-stalteter seine Energiewaffe hob und auf ihnzielte.

Die Entstofflichung traf ihn wie ein Keu-lenschlag. Dann war Snayssol aus demTransmittersaal verschwunden.

Der Glutstrahl aus der Waffe des Mißge-stalteten ging zwischen den durchsichtigenSäulen hindurch und traf auf der anderenSeite die Wand des Saales. Es gab einenhäßlichen Rußfleck. Beißende Dämpfe zo-gen durch den Raum. Dann war alles vorbei.

Auf dem Programmpult des Transmittersleuchtete wie gewohnt das Erkennungssym-bol der Station.

*

Ich bin heil durch das Schwarze Tor ge-kommen, erkannte Snayssol. Jetzt aber raschin Deckung, bevor mich der Wahnsinnigeaufs Korn nimmt.

Snayssol sprang vom Rastergitter undüberwand die niedrigen Stufen mit einemSatz. Das Energiefeld war längst erloschen.Er war weder benommen, noch verspürte erirgendwelche Schmerzen.

Der Raum lag im Halbdunkel. SämtlicheLeuchtröhren waren ausgeschaltet worden.Bis auf das verhaltene Glühen der Digitalan-zeigen auf dem Programmpult gab es hierkeine Lichtquelle.

Ein gräßliches Stöhnen ließ Snayssol zu-

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sammenzucken.Die Laute kamen aus dem angrenzenden

Raum. Das Gebäude schien überirdisch zuliegen. Sonnenlicht traf die verstreut umher-liegenden Gegenstände. Die Tür war halbgeschlossen. Ein schwerer Gegenstand hatteden Mechanismus blockiert.

Entweder bin ich auf der anderen Seitevon Kledzak-Mikhon herausgekommen,dachte Snayssol, oder es ist inzwischen wie-der Tag geworden. Gegen die erste Annah-me sprach die Tatsache, daß er beim Sprungdurchs Schwarze Tor keinerlei Beschwerdenverspürt hatte. Die Reise zu einem anderenKontinent war immer mit Schmerzen ver-bunden, die auf die Wiederverstofflichungfolgten.

Der Boden war blutverschmiert. EineSchleifspur führte genau auf die Tür zu.

Snayssol atmete flach. Er verhielt sich ab-solut lautlos.

Der Wahnsinnige ist verwundet, kombi-nierte er.

Er setzte ganz langsam Schritt vor Schritt.Die Waffe des Schetankopfs verlieh ihm ei-ne gewisse Überlegenheit. Er hatte keineAngst mehr.

Das Stöhnen brach für einen kurzen Au-genblick ab. Ein Röcheln wurde hörbar,dann setzte das Stöhnen wieder ein. Snays-sol biß sich erregt auf die Lippen. Jetzt stander dicht neben der Tür. Der Ausschnitt desRaumes, soweit er ihn überblicken konnte,verriet ihm nicht allzuviel über die Einrich-tung. Über einer zerwühlten Schlafstättehing ein desaktivierter Bildschirm. Dabeihandelte es sich um das übliche Modell, dasjedem Loghanen auf Kledzak-Mikhon zurVerfügung stand. Snayssol bemerkte einpaar zerknüllte Plastikflaschen. AbgenagteKnochen ergänzten das chaotische Bild.

Der Kerl ist ein Fleischfresser, durchzuck-te es den Loghanen.

Seine instinktive Abneigung gegen denAnführer der Mißgestalteten-Meute vergrö-ßerte sich. Snayssol war zwar auch Jäger,aber er verabscheute es, die großen Tierewegen ihres Fleisches zu töten. Er hatte

selbst schon Fische und kleine Vögel gefan-gen und sie anschließend verspeist. Aber beiallen großen Säugern war das etwas anderes.Jedes größere Tier auf Kledzak-Mikhon be-saß einen relativ hohen Intelligenzquotien-ten. Snayssol erinnerte sich an Jäger, die dieSprache der Tiere verstanden.

Das Stöhnen im Nebenraum wurde leiser.Wenn er stirbt, kann er mir nicht mehr die

Daten des nächsten Schwarzen Tores verra-ten, schoß es Snayssol durch den Kopf. Ichmuß ihn zum Reden bringen.

Snayssols Körper straffte sich. Er schätztedie Länge des Raumes ab. Dann beugte ersich vor, holte tief Luft und stieß die Tür mitvoller Kraft in die Wandritze zurück. Einweiterer Sprung brachte ihn mitten in dasZimmer.

»Keine falsche Bewegung«, bellte er imtypisch loghanischen Befehlston.

Der Verletzte unterbrach seine verzwei-felten Bemühungen, den Dolch aus seinerblutverschmierten Brust zu ziehen.

Snayssol ließ die Waffe sinken. »Du bisterledigt«, knurrte er.

Hover-Maraculs wulstige Lippen bebten.»Der Dolch hätte dich treffen sollen …

die Sogwirkung des Schwarzen Tores hatseine Wurfgeschwindigkeit vervielfacht. Ich… konnte ihm nicht rechtzeitig auswei-chen.«

»Wo sind wir?« fragte Snayssol den Ster-benden.

»Das wirst du selbst herausfinden …«,lallte Hover-Maracul. »Erwarte keine Hilfevon mir.«

Snayssol hatte das dringende Bedürfnis,den Anführer der Mißgestalteten zu demüti-gen. Die hochtrabenden Worte seiner Redewaren ihn noch in guter Erinnerung.

»Der Traum deiner Rebellion ist ausge-träumt«, sagte er.

»Nein … es wird ein anderer kommen,der meine Stelle einnimmt!«

Snayssol lachte höhnisch.»Du sprichst, als würdest du gerechte Zie-

le vertreten. Ich hatte Gelegenheit, den Un-sinn zu hören, den du den armseligen Krea-

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turen anbietest. Ihr seid für alle Zeiten ausder loghanischen Gesellschaft ausgeschlos-sen. Ihr werdet nie wieder die unterirdischeStation verlassen. Eines Tages wird eine Pa-trouille des Triumvirats euer Versteck anpei-len. Dann seid ihr erledigt.«

Hover-Maracul heulte wütend auf.»Das wirst du nicht erleben, Loghane. Die

Station wurde von den Ahnen gegen jedeOrtung meisterhaft abgeschirmt. Weder dieEntladung einer Energiewaffe, noch die Tä-tigkeit des Schwarzen Tores kann angemes-sen werden.«

»Aber der Energieverbrauch muß dochextrem hoch sein«, warf Snayssol irritiertein.

»Ganz recht, Loghane«, kam es von denzuckenden Lippen Hover-Maraculs.

»Aber die unterirdische Station besitzt einautarkes Energiespeicher-System. Der Ver-brauch geht also nicht zu Lasten des zentra-len Netzes. Die Ahnen haben an alles ge-dacht. Ihre geheimen Biolaboratorien wur-den gegen alle äußeren Einflüsse geschützt…«

Snayssol stutzte. Was wußte dieser Bur-sche über die Ahnen? Er mußte unbedingtmehr aus ihm herauskriegen.

»Was sind das … Biolaboratorien?« frag-te Snayssol gedehnt.

Hover-Maracul verzog sein breites Ge-sicht.

»Du bist kein Wissender. Ich habe das so-fort gemerkt. Du bist ein einfacher Jäger, dernicht einmal einen Zipfel des großen Ge-heimnisses gelüftet hat. Du wirst das Rätselder Ahnen niemals lösen … ich aber sterbeals Wissender!«

Snayssol packte den Loghanen am Brust-gurt.

»Du willst meine Frage also nicht beant-worten?«

Hover-Maracul schüttelte schmerzgepei-nigt den Kopf.

»Niemals …«Snayssol überlegte kurz. Mit dieser Taktik

kam er keinen Schritt weiter. Er war beses-sen von der Idee, jetzt auf die Spur der Ah-

nen zu kommen. Dafür würde er alles geben.Sogar die Teilnahme am Ed-Schun-Spiel,für das er extra einen Morgo-Morgon gefan-gen hatte.

Snayssols Gesicht wurde auf einmalfreundlich. Er bettete den Rücken Hover-Maraculs auf ein Polster. Dann öffnete er ei-ne Plastikflasche und flößte den Mißgestal-teten ein paar Schluck davon ein.

»Ich könnte dich in die Stadt bringen …«»Zu spät, Loghane«, flüsterte Hover-

Maracul. Sein Atem ging stoßweise.»Ich würde deine Wunde desinfizieren.

Ich habe viele Freunde. Ich bin ein Erbe. Esfällt bestimmt nicht auf, wenn ich dich beimir unterbringe …«

»Nein«, sagte Hover-Maracul bestimmt.»Du brauchst dich nicht zu bemühen. DiePatrouillen des Triumvirats warten dochbloß auf den Augenblick, um mich zuschnappen. Den Gefallen will ich ihnennicht tun. Ich sollte Rassafuyls Stelle im Tri-umvirat einnehmen …«

Snayssol unterbrach Hover-Maracul.»Rassafuyl ist der dritte Obmann im Tri-

umvirat. Nur ein Erbe, der den Rang einesWissenden erhalten hat, darf Obmann wer-den. Du lügst, Kerl, du bist kein Erbe!«

Hover-Maracul lachte lautlos. Ein Blutfa-den lief ihm übers Kinn.

»Ich bin ein Erbe, Loghane«, stieß er her-vor. »Mein Intelligenzquotient beträgt hun-dertneunzig Darts. Das sind genau zehnmehr als bei Rassafuyl.«

»Hundertneunzig Darts«, wiederholteSnayssol ehrfürchtig. »Aber warum bist dudann nicht Obmann geworden?«

Hover-Maracul wurde zusehends schwä-cher.

»Weil … ich den loghanischen Gesetzenvertraute«, stammelte der Sterbende. »Ichbewarb mich um den Posten des Obmanns.Ich wurde den Tests unterzogen und erhieltmeine Qualifikation. Aber was wißt ihr dortdraußen schon von den Intrigen, die sich imHintergrund abspielen?«

»Intrigen?«»Ja, du hast mich richtig verstanden. Ras-

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safuyl ist einer von den Schlimmsten. Erwollte mich in Sicherheit wiegen. Er ver-sprach mir, seine Kandidatur zurückzuzie-hen. Doch in Wirklichkeit hat er seine Hä-scher auf mich angesetzt. Es war nichtleicht, mir eine Verfehlung nachzuweisen.Wie jeder Erbe interessierte ich mich für un-sere Vergangenheit. Ich wollte das Rätselder Ahnen lösen. Als ich die geheime Daten-bank anzapfen wollte, fielen Rassafuyls Hä-scher über mich her. Sie schleppten michvor das Gericht der Obmänner …«

»Und weiter«, drängte Snayssol unerbitt-lich. »Du hättest dich doch rausreden kön-nen.«

»Das denkst du«, stieß Hover-Maraculhervor. »Rassafuyl hatte bereits alles arran-giert. Sie wollten mir großzügig eine Chancegeben. Wenn ich am Spiel der SchwarzenTore teilnahm, wollten sie mir eine Amne-stie gewähren.«

»Und hast du daran teilgenommen?«»Sieh mich an«, gab Hover-Maracul zu-

rück, »und du weißt, daß ich daran teilge-nommen habe. Ich hatte bereits das Endtorerreicht. Die meisten meiner Gegner warentot. Ich hätte den Kampf spielend gewinnenkönnen, wenn Rassafuyl die Programmie-rung nicht verändert hätte.«

Snayssol runzelte die Stirn. Er überlegte.Schlagartig kam ihm zu Bewußtsein, welcheUmstände diesen Loghanen in den Unter-grund getrieben hatten. Die veränderteTransmitterprogrammierung hatte seineKörperatome durcheinander gebracht. Erwar zwar noch normal aus dem Empfangstorgekommen, doch anschließend hatte die ex-plosive Gewebswucherung eingesetzt. Da-mit war Hover-Maraculs Laufbahn als Ob-mann von vornherein zum Scheitern verur-teilt gewesen.

Snayssol erkannte, daß er diesen Logha-nen vorschnell verurteilt hatte. Er versuchtesich vorzustellen, wie er an seiner Stelle ge-handelt hätte. Vielleicht wäre er auch einRebell geworden. Vielleicht hätte er eben-falls die Opfer der Schwarzen Tore um sichgeschart, damit er eines Tages als Rächer

nach Poal-To zurückkehren konnte.»Und was weißt du von den Ahnen?«

fragte Snayssol.Hover-Maracul rührte sich nicht. Die her-

vorquellenden Augen starrten glanzlos insLeere. Es dauerte ein paar Sekunden, bisSnayssol begriff, daß er von diesem Logha-nen keine Antwort mehr zu erwarten hatte.

Der Jäger stand ein paar Minuten nach-denklich vor dem Toten.

Ich werde mich vor diesem Rassafuyl inacht nehmen müssen, ging es ihm durch denKopf. Als Erbe könnte mir eines Tages das-selbe passieren wie diesem Unglücklichen.

Snayssol blickte sich um.Die Tür reagierte auf die Wärmeimpulse

seiner Hand. Wenig später stand er draußenund blinzelte in die grelle Sonne. Der Windtrug den Duft blühender Blumen heran. Lei-se rauschte das Steppengras. Die Kuppel-bauten waren größtenteils vom Dschungelüberwuchert worden. Snayssol kam die Ge-gend bekannt vor. Als er das schwere Eisen-gitter unmittelbar vor einem Kuppelbau er-blickte, wußte er, daß der Transmittersprungüber höchstens hundert Meter gegangen war.

Ich stehe genau über der unterirdischenStation, erkannte er erleichtert. Das erspartmir den langen Marsch durch die Wildnis.

Snayssol trat an die dunkle Schachtöff-nung heran. Ganz unten sah er den weiter-führenden Gang. Er erinnerte sich nur un-gern an die Begegnung mit dem Schetan-kopf und die weiteren Erlebnisse.

Besser, ich verschließe den Schacht wie-der, sagte er zu sich selbst und wuchtete dasschwere Gitter über die düstere Öffnung. Esgab ein zähes Knirschen, als sich die Verrie-gelung schloß. Unten rührte sich nichts.Snayssol vermutete, daß die Mißgestaltetendas Tageslicht fürchteten.

In der Ferne ertönte der Ruf des Morgo-Morgons.

Ich komme ja schon, dachte Snayssol. Erwar voller Tatendrang.

4.Das Ed-Schun-Spiel

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Es wurde bereits wieder dunkel. Snayssolkrallte sich in die Nackenhaare seines Reit-tiers. Er legte die letzten Kilometer in rasen-dem Galopp zurück. An der letzten Wasser-stelle hatte er sich erfrischt und ein paarKonzentratriegel verspeist. Er fühlte sich inHochform. Auch der Morgo-Morgon schiennie schneller gewesen zu sein.

Snayssol beglückwünschte sich zu diesemFang. In der extrem kurzen Zeit von nichteinmal einem Tag hatte er das Tier gezähmt.Der Morgo-Morgon reagierte auf jedenSchenkeldruck. Er hob den Kopf, wenn erihm ein paar Worte zuflüsterte, und er senk-te das gefährliche Stirnhorn zum Angriff,wenn er es wünschte.

Im Dunkel der beginnenden Nacht zeich-neten sich die Turmbauten von Poal-To wiegigantische Silhouetten ab. Die Gewächseder ausgedehnten Parkanlagen rankten sichum die stummen Zeugen einer uralten Zivili-sation. Den Gleiterverkehr konnte man ausdieser Entfernung nicht wahrnehmen. Umdiese Zeit verließ kaum ein Loghane die si-chere Großstadt.

Kledzak-Mikhon besaß keinen Mond.Dennoch war es hier draußen nicht stockfin-ster. Während der Reifezeit jener Sumplan-Pil-ze konnte es passieren, daß der nächtlicheDschungel taghell erleuchtet wurde. Wenndie Sporen eines Pilzes ausgestoßen wurden,gab es einen lauten Knall. Die Stickstoffbal-lons im Innern der Pilze barsten und schleu-derten die Sporen mehrere hundert Meterdurch die Luft. Um die Insekten anzulocken,strahlten die Sporen ein phosphoreszieren-des Licht ab.

Snayssol hatte auf das charakteristischeLeuchten der Sumplan-Sporen schon gewar-tet. Das Knallen überraschte ihn nicht mehr.Wie Leuchtkugeln stiegen die Sporen in denNachthimmel und senkten sich zeitlupenhaftdurch das Blätterdach.

Snayssol streckte seinen muskulösen Kör-per.

Die Lichtung, auf der heute nacht das Ed-Schun-Duell stattfinden sollte, lag unmittel-bar vor ihm. Stimmengewirr wurde laut. Et-

wa hundert Loghanen hatten sich hier ver-sammelt. Ihre dunkelgrünen Pelze ver-schmolzen mit der Umgebung. Sie besaßenalle nahezu die gleiche Größe. In ihren ge-schlitzten Augen lag das Feuer einer intelli-genten und kämpferisch veranlagten Rasse.

»Aieeee … Snayssol kommt!«Das charakteristische Bellen der Logha-

nen erfüllte die Luft. Die wartenden Zu-schauer sprangen auf und liefen dem Morgo-Morgon entgegen.

»Snayssol kommt!«Sie waren vom Fieber des Wettkampfs er-

faßt worden. Jeder wettete auf seinen Favo-riten. Die einen setzten wertvolle Speicher-kristalle, die anderen Waffen oder Lebens-mittel-Versorgungsscheine. Es kamen nichtunbeträchtliche Mittel zusammen. Speicher-kristalle stellten dabei den wertvollsten Po-sten dar. In den automatischen Fabrikenwurden schon lange keine Speicherkristallemehr hergestellt. Die Fabriken beschränktensich nur auf das Lebensnotwendige.

Außerdem war der Besitz von Speicher-kristallen verboten. Die Obmänner befürch-teten, einige dieser Kristalle könnten nochInformationen über die Ahnen weitergeben.

Auch die Ed-Schun-Spiele waren verbo-ten.

Trotzdem wurden sie sehr oft veranstaltet.Obwohl das Triumvirat mit aller Strenge da-gegen vorging, konnten sie nicht verhindertwerden. Die Loghanen liebten das Spiel. Siefreuten sich auf die prickelnden Augen-blicke während der kämpferischen Ausein-andersetzungen. Sie waren geborene Spie-lernaturen.

Niemand wollte auf die offiziellen, Spieleder Schwarzen Tore warten.

Das Triumvirat hielt diese Veranstaltungnur einmal im Jahr ab. Das war den Logha-nen zu wenig.

Snayssol hielt vor den Wettnehmern an.Er grinste.

»Wo steckt mein Gegner?«Ein alter, fast ergrauter Loghane zuckte

mit den Schultern. Er steckte mehrere Spei-cherkristalle in die Tasche seines Brustgurts.

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Page 24: Hexenkessel der Transmitter

»Er müßte schon hier sein.«Sein Kollege lachte erheitert.»Du weißt, daß der Grauhaarige immer

erst im letzten Moment kommt. Diesmalwird es nicht anders sein. Das hat nichts zubedeuten. Nimm ruhig weiter Wetten an.«

Snayssol führte den Morgo-Morgon ander Leine neben sich her. Das schwarze Tierhielt das Stirnhorn gesenkt. Trotzdem wi-chen die versammelten Loghanen dem Tierehrfürchtig aus. Keiner von ihnen hatte je-mals einen Morgo-Morgon geritten. Sieglaubten deshalb alle möglichen Schauerge-schichten, die von den Jägern in die Weltgesetzt wurden.

Snayssol nickte einer jungen Loghanin zu.»Hallo«, stieß er kehlig hervor. »Auf wen

hast du gesetzt?«Sie lächelte. Ihr seidiges Fell besaß das

typisch weibliche Fleckenmuster. Ihre ge-schwungene Taille veranlaßte Snayssol zueinem bewundernden Knurren.

»Auf wen ich gesetzt habe?« wiederholtesie Snayssols Frage gedehnt.

»Wenn du's unbedingt wissen willst, ichhabe meine Lebensmittelkarte auf den Grau-haarigen gesetzt. Wenn er dich erledigt,kriege ich meinen Anteil am Gesamteinsatz.Das wird nicht viel sein, denn die meistenhaben auf den Grauhaarigen gesetzt. Aberich werde meinen Einsatz garantiert verdop-peln.«

»Der Kerl ist wohl euer Favorit«, vermu-tete Snayssol sarkastisch.

»So kann man's auch nennen«, meinte einjunger Loghane, dessen Kreuzgurt mitleuchtenden Steinen besetzt war. »Du hasteinen Morgo-Morgon gefangen. Na, gut!Das ist eine reife Leistung. Aber im Zwei-kampf bist du eine Null. Gegen den Fünf-kämpfer hast du nicht die geringste Chan-ce.«

Snayssol verstand den Loghanen. EinFünfkämpfer war nur schwer zu besiegen.Denn ein Fünfkämpfer hatte bereits fünfmalsiegreich den Kampfplatz verlassen. DerGrauhaarige war ein Fünfkämpfer.

Snayssol trug trotzdem eine überlegene

Haltung zur Schau.»Wenn der Grauhaarige noch länger auf

sich warten läßt«, meinte er lässig, »danngewinne ich das Spiel ohne Anstrengun-gen.«

Snayssol hatte recht. Eine Spielregel be-sagte, daß beide Kämpfer unbedingt zumfestgesetzten Termin erscheinen müssen.Kam ein Kämpfer zu spät, so siegte der An-wesende auch ohne Kampf. Damit ging au-tomatisch der Besitz des Verlierers auf ihnüber.

Die Loghanen nannten den Kampf»Ed-Schun-Spiel«.

Worauf der Kampf zurückging, konntekeiner mehr sagen. Es war ein Kampf aufLeben und Tod. Auch wenn die Loghanenvon einem »Spiel« redeten, hatte das Ganzenichts mit einem Spiel zu tun. Vielleichtmeinten sie damit die spielerische Art desKampfes, bei dem alles erlaubt und nichtsverboten war.

Die Zuschauer wurden unruhig.»Wo bleibt der Grauhaarige? Wir haben

unseren Einsatz gemacht und wollen denKampf sehen!«

Einige steckten sich die kostbaren Spei-cherkristalle wieder hinter die Brustgurte.Wenn Snayssols Gegner nicht bald auf-tauchte, würden sie das Ed-Schun-Spiel ab-blasen.

Plötzlich ging ein eisiger Wind durch dasBlätterdach des Dschungels. Ein paarLeuchtsporen trieben flackernd vorüber.Bellende Rufe wurden laut.

»Er kommt!«

*

Snayssols Nerven waren bis zum Zerrei-ßen gespannt. Seine geschlitzten Augentränten leicht. Er redete sich selbst ein, daßes ein leichtes wäre, den Grauhaarigen zubesiegen.

Er spürte den Kolben der fremden Waffeunter seinem Kreuzgurt. Im Stiefel steckteein Dolch. Er war hellwach und spürte über-haupt keine Müdigkeit. Er fühlte sich in

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glänzender Verfassung.Trommelnder Hufschlag kam näher. Die

Luft erzitterte unter dem Geschrei der Zu-schauer. Als Snayssol zur Dschungelschnei-se hinüberblickte, sah er den schlanken Mor-go-Morgon seines Gegners heranpreschen.Im Dämmerlicht schien das schwarze Tierüber dem Boden zu schweben. Das Stirn-horn ragte wie eine Lanze in den Vorder-grund. Die Beinpaare streckten und spanntensich so schnell, daß man dem rasenden Laufkaum folgen konnte.

Wenn ein Morgo-Morgon in Fahrt kam,hatten sogar die Schweber des TriumviratsSchwierigkeiten, ihm auf der Fährte zu blei-ben.

»Hier bin ich«, schrie Snayssol ungedul-dig. »Wir dachten schon, du hättest dich beiden Schetans verkrochen, Grauer!«

Der Morgo-Morgon verringerte sein Tem-po. Das Trommeln der Hufe wurde leiserund verstummte schließlich ganz.

»Der Grauhaarige«, bellten die Loghanenehrfürchtig.

Snayssol verzog seine breiten Lippen zueinem Grinsen. Das war sein Gegner. Er hat-te sich lange um diesen Kampf bemühenmüssen. Es war nicht leicht, an den Grau-haarigen heranzukommen. Da mußte manschon seine Beziehungen spielen lassen. An-dererseits bewarben sich nur wenige Logha-nen um die Gunst, gegen den Grauhaarigenantreten zu dürfen.

Snayssols Gegner blieb auf dem Morgo-Morgon sitzen. Er bot seinen Zuschauerneinen eindrucksvollen Anblick. Sein Kopfwar grau, fast weiß. Und von der rechtenSchulter zog sich eine dunkle Trennlinie biszum rechten Oberschenkel herunter. Die lin-ke Körperhälfte und der Kopf waren grau,die andere Hälfte dunkelgrün. Es hieß, derGraue hätte diese eigenartige Färbung bei ei-nem Sprung durch ein Schwarzes Tor erhal-ten. Genaueres aber wußte niemand darüberzu berichten.

»Von mir aus kann's losgehen«, knurrteder Graue und langte nach seiner Stahlpeit-sche.

Snayssol schwang sich auf seinen Morgo-Morgon und ritt auf die gegenüberliegendeSeite der Lichtung. Als er die funkelndenAugen des Grauen sah, kamen ihm zum er-sten Mal Bedenken gegen diesen Kampf.Aber dafür war es jetzt zu spät.

»Fangt an!« schrie ein Wettmeister.

*

Der Atem des Morgo-Morgons ging stoß-weise. Das Tier schwitzte vor Erregung. Aufeinmal wurde es still. Jeder erwartete den er-sten Angriff. Die Regeln des Duells warenbekannt.

Jetzt schlug der Grauhaarige mehrmalsgegen den Nacken seines Reittiers. Das Tierschnaubte und bäumte sich auf den Hinter-beinen auf.

»In wenigen Minuten liegst du im Staub«,verhöhnte Snayssol seinen Gegner. Die Be-schimpfung gehörte zum Ritual der Ed-Schun-Spiele. Sie sollte die Aggression derbeiden Kämpfer steigern.

»Schwächling«, stieß der Graue hervor.»Ich erledige dich mit einem einzigenSchlag. Meine Stahlpeitsche wird dich inzwei Hälften zerteilen. Sollen dich die Aas-fliegen fressen!«

Bellendes Gelächter erfolgte. Diese Wortegefielen den Zuschauern. Sie hatten spontanPartei für den Grauhaarigen ergriffen. Hierwar alles gestattet: Es gab keine Waffe, dienicht verwendet werden durfte. Das Ringensollte solange dauern, bis ein Kämpfer totam Boden lag. Der Geschickteste würde ge-winnen. Nicht allein rohe Kraft, sondern In-telligenz und List würden den Ausschlag ge-ben.

»Ich zertrete dich wie einen räudigenSchetan«, schrie der Graue.

Er preßte seine Stiefelabsätze in die Flan-ken seines Reittiers. Der Morgo-Morgonstieß einen Wehlaut aus und raste los.

Snayssol beschleunigte sein Tier eben-falls. Das Trommeln der Hufe erfüllte dieLichtung.

»Jetzt!«

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Snayssol sah die blitzenden Augen seinesGegners. Das Stirnhorn des Morgo-Morgonszielte auf seinen Kopf. Er duckte sich undließ die Fangleine im Handgelenk kreisen.Dann schnellte die Stahlpeitsche des Grauenauf ihn zu. Snayssol wollte seine Fangleineum das Handgelenk des Grauen schleudern.Doch der Wurf mißlang. Die Stahlblätter derPeitsche des Gegners streiften seine Schul-ter. Stechender Schmerz durchzuckte ihn,dann waren die Kontrahenten aneinandervorübergeprescht.

Warmes Blut sickerte durch SnayssolsPelz. Der Schmerz stachelte ihn nur nochmehr an. Er beugte sich vor und drehte sei-nen Morgo-Morgon herum. Der Graue kamerneut auf ihn zu. Sie waren höchstens nochfünf Meter voneinander entfernt. Snayssolließ die Fangleine wieder kreisen. Der Grauelachte über seine Anstrengungen.

Snayssol spürte einen heftigen Luftzug.Ein Sirren ertönte, und die Stahlpeitsche desGrauen zertrennte Snayssols Fangleine.

Die Zuschauer lachten. Ihr moschusarti-ger Körpergeruch breitete sich stechend aus.

»Beim nächsten Mal bist du dran«, drohteder Graue und wendete seinen Morgo-Mor-gon zum dritten Anlauf.

Snayssol schleuderte die Reste seinerFangleine zu Boden. Er beugte sich tief überden Hals seines Reittiers und flüsterte ihmein paar beruhigende Worte zu. Dann schluger ihm derb gegen den Kopf und preßte sei-ne Absätze in die Flanken des Tieres. Erschrie laut und brachte den Kopf mit demspitzen Horn in Angriffsposition.

Der Graue erkannte Snayssols Taktik so-fort.

»Du willst mich aufspießen«, schrie er.»Das wird dir nicht gelingen.« Er schwangdie gefährliche Stahlpeitsche über seinemKopf und preschte auf Snayssol zu. Plötzlichließ Snayssol seinem Morgo-Morgon freienLauf. Er ließ das Tier mit unverminderterGeschwindigkeit auf den Grauen zujagen.Das spitze Stirnhorn zielte auf den Gegner.Doch bevor er seinen Körper durchbohrenkonnte, sprang der Graue vom Rücken sei-

nes Morgo-Morgons herunter.Snayssol wußte jetzt, wie gefährlich der

Graue war.Der Kerl würde ihm nicht die geringste

Chance geben. Jetzt pfiff er nach seinemMorgo-Morgon. Das Tier kam blitzschnellherangetrabt. Doch bevor er sich wieder aufden Rücken schwingen konnte, war Snays-sol zur Stelle. Er versetzte dem Graueneinen Tritt, der den Loghanen meterweitüber die Lichtung schleuderte. Die beidenMorgo-Morgons wieherten verwirrt auf.

Der Grauhaarige stand langsam auf. Erwischte sich den Staub aus dem Gesicht.Aber er erwiderte nichts. Die Zuschauerschwiegen ebenfalls verblüfft.

Wie unbeabsichtigt löste er den Magnet-verschluß seines Brustgurts, und ließ denzerfetzten Stoff zu Boden gleiten. Dabei öff-nete er ein kleines Täschchen und nahm et-was heraus. Er hielt den Gegenstand zwi-schen den Fingern seiner Rechten verbor-gen.

»Worauf wartest du, Erbe?« fragte derGraue. »Ich töte dich auch ohne Reittier.«

Snayssol runzelte die Stirn. Jetzt verwirrteihn der Gegner. Ohne Reittier war er Sicht-lich im Nachteil. Das schien ihm aber nichtsauszumachen. Er bemühte sich nicht einmal,den Morgo-Morgon wieder einzufangen.Entweder war das ein Trick, um seinen Geg-ner in Sicherheit zu wiegen, oder er besaßnoch einen absolut sicheren Trumpf.

Snayssol wollte nicht zuviel Zeit verstrei-chen lassen. So etwas liebten die Zuschauernicht. Er befahl seinem Morgo-Morgon, dieStirn zu senken und das spitze Horn auf denGegner zu richten. Er wollte den Grauen da-mit aufspießen.

Der Loghane stand breitbeinig da. Seinerechte Hand war leicht, angewinkelt. Erschien keine Waffe mehr zu besitzen. Den-noch trug er ein überlegenes Grinsen zurSchau. Snayssol beugte sich tief in denNacken seines Morgo-Morgons.

»Jetzt … mach ihn fertig.!«Plötzlich öffnete sich die Hand des Grau-

haarigen. Ein Plastikumschlag wurde sicht-

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bar. Snayssol jagte genau auf den Loghanenzu. Dann öffnete der Graue den Umschlag,und etwas Rotes schnellte auf Snayssol zu.Im gleichen Augenblick bockte der Morgo-Morgon. Er stemmte unverhofft seine Vor-derhufe in den aufgewühlten Boden undschleuderte seinen Reiter in hohem Bogendurch die Luft.

Das rote Ding fiel dicht neben Snayssolins Gras.

»Elendes Biest«, brüllte der Grauhaarigeenttäuscht auf. »Wenn du nicht gewesenwärst, läge der Kerl tot zu meinen Füßen.Die Fieberblüte hätte ihm ein würdiges Endebeschert.«

Snayssol rollte sich geschickt auf demBoden ab und kam wenige Meter neben sei-nem zitternden Morgo-Morgon wieder aufdie Füße. Als er die rote Fieberblüte sah,durchzuckte es ihn siedendheiß. Bei der ge-ringsten Berührung hätte er sich mit einertödlichen Krankheit infiziert.

»Hinterhältiger Schetan«, knurrte Snays-sol zornig. »Ich hätte wissen müssen, zuwelchen miesen Tricks du greifst.«

»Mach dir nichts vor, Erbe … beim Ed-Schun-Spiel ist alles erlaubt. Du kannst jaaufhören. Dann bist du für alle Zeiten alsFeigling gebrandmarkt. Nun, wie steht's?Willst du aufgeben?«

Snayssol antwortete nicht darauf. DerGraue wollte ihn zu unbedachten Handlun-gen reizen. Wenn er es sich recht überlegte,standen seine. Chancen gar nicht soschlecht. Er hatte sich bis jetzt tapfer ge-schlagen.

»Ich breche dir sämtliche Knochen«,preßte Snayssol hervor.

»Und ich blende dich!«Kaum hatte der Graue das gesagt, als er

sich blitzschnell bückte, mit der Hand eineLadung Erde packte und sie Snayssol insGesicht schmetterte. Sekundenlang sahSnayssol gar nichts mehr. Seine Augenbrannten. Er schrie auf und wollte sich denDreck aus den Augen wischen. Doch er riebdie feinen Schmutzpartikel nur noch tiefer indie Augen.

Der Graue lachte. Langsam kam er aufSnayssol zu. In seiner Rechten blitzte etwasMetallisches.

Erregte Rufe der Zuschauer wurden laut.»Keine Thermowaffe! Die Patrouillen or-

ten uns.«Snayssol riß beide Augen gewaltsam, auf.

Wie durch einen Schleier sah er den Grau-haarigen auf sich zukommen. Die Mündungder Thermowaffe zeigte genau auf seineBrust.

Snayssol erkannte, daß ihn der Graue ver-brennen wollte.

Wieder warnten einige Zuschauer denGrauhaarigen.

»Willst du uns alle ans Messer liefern?Du weißt genau, daß die Patrouillen nur dar-auf aus sind, unsere Spiele zu verhindern.Steck den Strahlerein! Nimm den Dolch!«

Der Grauhaarige reagierte nicht auf dieZwischenrufe. Er hob den Thermostrahlerund schrie: »Stirb, Erbe!«

Snayssol ließ sich zu Boden fallen. Er sahdas Aufblitzen der gegnerischen Waffe. DerGlutstrahl irrlichterte über ihn hinweg undversenkte ihm die Nackenhaare.

»Das verlängert deine Qualen nur«, spot-tete der Graue.

Snayssol ließ seine Hand zwischen dieGürtelschlaufe gleiten. Er spürte den Kolbender geheimnisvollen Waffe und packte ihn.Seine Bewegungen waren so rasch, daß derGraue völlig überrumpelt wurde.

Snayssol zog den Feuerkontakt durch. Esgab einen kurzen, trockenen Knall. DerRückschlag riß sein Handgelenk hoch.

Snayssol sprang sofort aus der Schußrich-tung des Grauen. Sein Gegner hatte instink-tiv auf den Feuerknopf gedrückt. Der zweiteGlutstrahl zuckte über den Erben hinweg.Aus den Augenwinkeln heraus sah Snayssol,wie der Graue mitten im Lauf stehenblieb.Es war, als wäre er gegen eine unsichtbareMauer gerannt. Dann detonierte der winzigeDruckluftpfeil. Von einer Sekunde zur ande-ren verschwand der Graue von der Bildflä-che.

Snayssol hörte das Gebrüll der Zuschauer

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nicht.Er stand wie erstarrt da. Seine Rechte

hing schlaff herunter. Die Wirkung der Waf-fe schockierte ihn derart, daß er zu keinerReaktion fähig war. Er wußte nicht, wievielPatronen noch im Magazin steckten. Eskonnten fünf, es konnten aber auch nochfünfzig sein. Es war unvorstellbar, daß diewinzigen Geschosse eine so durchschlagen-de Wirkung hatten. Jede Patrone besaß eineextrem verdichtete Luftfüllung. Bei der Ex-plosion wurde eine vernichtende Wirkungerreicht, die einer chemischen Reaktion weitüberlegen war. Es fehlten nämlich Verbren-nungsrückstände, und es konnten keineEnergiepeilungen erfolgen.

»Du hast gewonnen«, rief die junge Lo-ghanin und rüttelte Snayssol am Arm. »Ichhätte doch auf dich setzen sollen. Wasmachst du mit deinem Gewinn?«

Snayssol war noch viel zu betäubt, um ihrdarauf antworten zu können.

»He, bist du verletzt?«Snayssol schüttelte den Kopf. Jetzt kam

sein Morgo-Morgon zu ihm. Das Tierschnaubte und berührte ihn mit den Nüstern.Snayssol strich über das schwarze Fell.Dann sagte er leise, daß es die anderen nichthören konnten:

»Du kannst gehen! In der Stadt kann ichdich nicht gebrauchen. Wir haben zusam-men gekämpft, ich habe gewonnen … unddu kannst zu deiner Herde zurückkehren.«

Der Morgo-Morgon wieherte freudig auf.Es schien, als hätte er die Worte des Erbenverstanden. Er bäumte sich auf, reckte seinprächtiges Stirnhorn empor und lief auf denDschungelrand zu. Dort stand das Reittierdes Grauen. Die beiden Tiere beschnupper-ten sich, dann trabten sie gemeinsam davon.

»Eine Sensation«, rief der älteste Wett-meister. »Wer hätte das gedacht? Snayssolhat den Grauen besiegt.«

»Er soll uns seine Waffe zeigen«, riefenmehrere Loghanen.

»Ja … er soll uns verraten, woher er siehat!«

Snayssol steckte den Druckluftnadler in

den Gürtel zurück.»Ich verlange meinen Preis«, sagte er un-

gerührt. »Ihr hattet euer Vergnügen. Laßtmich jetzt zufrieden.«

Murren wurde laut. Doch plötzlich brachdas Stimmengewirr ab. Motorengeräusch er-füllte auf einmal den Dschungel. Zwischenden Baumkronen kreuzten sich Suchschein-werfer.

»Die Patrouille des Triumvirats«, kreisch-te ein alter Loghane und raffte rasch nochein paar Speicherkristalle zusammen, die einanderer vor ihm ausgebreitet hatte.

»Versteckt euch, oder ihr landet im Ge-fängnis der Obmänner!«

Panik ergriff die Zuschauer. Keiner dach-te mehr an die Verteilung der Siegesprämie.Die meisten verzichteten sogar auf ihrenWettgewinn. Snayssol kämpfte sich durchdie umherlaufenden Loghanen. Als er denalten Wettmeister erblickte, packte er ihn amKreuzgurt.

»Du wolltest wohl verschwinden, was?«Der Alte stieß ein enttäuschtes Knurren

aus. Man sah ihm deutlich an, daß er nichtmit Snayssols Hartnäckigkeit gerechnet hat-te.

»Meinen Gewinn! Aber Tempo!«Snayssol streckte seine Linke aus. Seine

schrägstehenden Augen bildeten Schlitze.Währenddessen wurde das Motorgeräuschlauter. Die Gleiter der Patrouille standenjetzt unmittelbar über ihnen. Lediglich dasdichte Blätterdach hinderte sie noch an derLandung.

Mehrere Scheinwerferkegel huschten überden Boden. Ein Thermostrahl verdampfteeinen Baum. Qualm und glühende Holz-stückchen bedeckten die Lichtung.

»Meinen Gewinn«, preßte Snayssol uner-bittlich hervor. »Ich bin schneller als du! Ichentkomme der Patrouille allemal.«

Der Alte verlor die Nerven. Keuchendzerrte er ein kleines Bündel aus dem Kreuz-gurt.

»Nimm das und laß mich endlich los!«Snayssol öffnete das Bündel mit der Lin-

ken. Eine Spange hielt mehrere Lebensmit-

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telkarten zusammen. Darunter lag eine Pro-grammkarte für das Sensitivkino. Doch dasWichtigste war der Magnetschlüssel zurWohnung des Grauen.

»Das reicht«, knurrte Snayssol und ließden Alten los. »Verschwinde!«

Snayssol kümmerte sich nicht mehr umdas Geschehen auf der Dschungellichtung.Er schlug sich seitlich in die Büsche undrannte gebückt durch eine enge Röhre. Klei-ne Tiere durchquerten hier den Dschungel.Kein anderer Loghane kannte diesen Weg.

Als das Lärmen hinter ihm leiser wurde,verlangsamte er seine Gangart. Er konntemit sich zufrieden sein. Er hatte das Ed-Schun-Spiel gewonnen und die Wohnungdes Grauhaarigen errungen. Jetzt würde ersich wochenlang um nichts anderes küm-mern. Er würde die Sammlung der Speicher-kristalle ausgiebig prüfen.

Vielleicht fand er endlich einen entschei-denden Hinweis auf die verschwundenenAhnen.

5.Der Kandidat

Der Graue besaß eine Wohnung im Stadt-zentrum von Poal-To. Normalerweise stan-den die Wohntürme sehr dicht beieinander.Der Bau, in dem sich die Wohnung desGrauen befand, stand aber etwa hundert Me-ter von den anderen Türmen entfernt. Ledig-lich ein paar geschwungene Rohrbahn-Tun-nels führten dicht an diesem Wohnturm vor-bei.

Die Wohnung lag im neunundvierzigstenStockwerk.

Snayssol wußte, daß hier hauptsächlichErben lebten. Niemand würde ihn belästigenoder fragen, was er in dieser Wohnung such-te. Erst nach den nächsten Routinekontrollenkonnte man mit einer Vermißtenmeldungrechnen. Bis dahin hätte er sämtliche Dingein der Wohnung des Grauen untersucht. Erkonnte sich also Zeit lassen.

Seine Schritte klangen gedämpft. Der Bo-den war mit weichem Kunststoff ausgelegt.

Snayssol steckte den Schlüssel in dieelektronische Abtastung. Geräuschlos ver-schwand die Tür in der Wandritze.

Drinnen ertönte gedämpfte Musik. DieSichtblenden bedeckten die Fensterfronten.Neugierig ging Snayssol an den farbigenPolsterelementen vorbei. Die Möbel schufeneine behagliche Atmosphäre.

Der Graue war passionierter Waffen-sammler gewesen. An den Wänden hingenThermostrahler, einfache Schußwaffen,Stahlplastik-Westen, Blasrohre und ver-schiedene Arten von Peitschen. Snayssolzählte fast fünfzig verschiedene Waffenmo-delle.

Im Nachhinein kam es ihm wie ein Wun-der vor, daß er den Grauen überhaupt be-siegt hatte. Der Loghane war nicht nur einWaffennarr, sondern auch ein ausgezeichne-ter Waffenkenner gewesen.

Dennoch besaß er keine Waffen, die ein-mal den Ahnen gehört hatten.

Snayssol war stolz auf den Besitz seinesDruckluftnadlers, den er dem Schetankopfabgenommen hatte. Solche Waffen warenäußerst selten. Da ihr Besitz verboten war,fand man diese Modelle höchstens bei einemSammler oder bei den Rebellen.

Im Nebenraum entdeckte Snayssol in ei-ner kleinen Vitrine mehrere Speicherkristal-le. Er pfiff aufgeregt durch die Zähne. Daswar es, wonach er gesucht hatte. Jetzt fehlteihm nur noch ein Abspielgerät. Doch so sehrer sich umschaute, er konnte keines ent-decken.

Vielleicht hat er das Gerät woanders ver-steckt, dachte Snayssol und betrat denSchlafraum. Plötzlich blieb er wie angewur-zelt stehen. Das Rauschen der Reinigungs-anlage klang zwar nur gedämpft bis hierher,doch es war nicht zu überhören.

Snayssol wollte sich vorsichtig zurückzie-hen, doch da stieß er mit dem Rücken gegeneine Wandkonsole. Getränkebehälter fielenklirrend zu Boden.

Im gleichen Augenblick verstummte dasWasserrauschen.

»Bist du's?« rief eine weibliche Stimme.

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Snayssol überlegte kurz. Er hatte nicht da-mit gerechnet, daß der Graue Besuch hatte.Wie sollte er sich verhalten? Er, hatte denGrauen getötet. Das machte ihn für alleFreunde seines Kontrahenten automatischzum Gegner.

»Komm ruhig 'rein …, wir können zu-sammen baden«, ertönte die Stimme zumzweiten Mal. »Wasch dir den Kampf-schweiß ab, Grauer!«

Snayssol gab sich einen inneren Ruck. Erkonnte der Konfrontation nicht ausweichen,wenn er die Speicherkristalle des Grauen inSicherheit bringen wollte. Obwohl ihm diepersönlichen Dinge des Grauen als Sieges-prämie zustanden, kam er sich auf einmalwie ein Dieb vor.

»Worauf wartest du? Komm schon!«Snayssol schob die Milchglastür beiseite.

Die zierliche Loghanin stieß einen entsetz-ten Schrei aus. Sie hockte bis zu den Hüftenin der runden Wanne und hatte sich geradeeingeschäumt.

»Wer … bist du?« stammelte sie.»Ich habe den Grauen besiegt. Sein sech-

ster Kampf war zugleich sein letzter.«Die Loghanin schwieg erschüttert. Ihre

großen Augen drückten Trauer und Schmerzzugleich aus. Sie jammerte nicht. Doch ihreganze Haltung zeigte dem Erben, daß sienicht mit der Niederlage des Grauen gerech-net hatte. Sie war kleiner als Snayssol. Ihrzierlicher Körper war schlank und wohlge-formt. Der seidige Pelz besaß jene charakte-ristischen Flecken, die bei allen Weibchenwie eine Verzierung wirkten.

»Es tut mir leid«, sagte Snayssol einfach.Sie nickte. Dann senkte sie ihren Blick.

Sie wollte nicht, daß ein Fremder sie weinensah.

»Du gehörst jetzt mir«, ergänzte Snayssolseine Worte. »Ich bin jünger als der Graue.Du solltest dich freuen.«

Sie reagierte nicht darauf.»Sag etwas«, drängte Snayssol.Ohne den Erben anzusehen, stieg sie aus

dem Bad und stellte sich unter die automati-sche Trockenanlage. Ihr weicher Pelz wurde

von einem Heißluftstrom – umfächelt. Sieschüttelte sich, wobei ihre hübsche Figurvorteilhaft zur Geltung kam.

»Gefalle ich dir etwa nicht?« brummteSnayssol enttäuscht.

Sie verließ die Trockenanlage. Das Sum-men verstummte augenblicklich. Ihr Fellglänzte jetzt seidig und reflektierte das Lichtder Deckenleuchten.

»Darum geht es nicht«, sagte sie. »Ichkann dir nicht gehören. Ich erwarte ein Jun-ges. Der Graue ist sein Vater.«

Snayssol trat verblüfft einen Schritt zu-rück. Damit hatte er nicht gerechnet. Eineschwangere Loghanin durfte ihren Partnernicht mehr wechseln. Sollte er jedoch vor ih-rer Niederkunft sterben, so blieb sie allein.Das war das Gesetz auf Kledzak-Mikhon.Die Geburt durfte auf gar keinen Fall ge-fährdet werden. Da die Geburtenrate relativniedrig war, achtete das Triumvirat beson-ders streng auf die Einhaltung dieses Geset-zes.

Snayssol überwand seine Überraschungziemlich schnell.

»Die Wohnung gehört jetzt mir«, sagte er.»Ich nehme an, du wirst dir jetzt ein anderesQuartier suchen. Oder etwa nicht?«

Sie lächelte. Doch dahinter versteckte sieihre Unsicherheit. Sie wußte nicht, wie siesich Snayssol gegenüber verhalten sollte.

»Ich habe keinen Angehörigen«, begannsie. »Also muß ich vorerst hierbleiben. Au-ßerdem gehört dir die Wohnung gar nicht…«

Snayssol brauste erregt auf.»Was? Die Wohnung soll mir nicht gehö-

ren? Ich habe das Ed-Schun-Spiel gewon-nen!«

»Mag sein«, entgegnete sie kühl. »DieseZweikämpfe sind ungesetzlich. Was dabeivon den Kämpfern und Wettveranstalternvereinbart wird, gilt nach loghanischemRecht nicht. Dir gehört also gar nichts.«

Snayssol biß sich auf die Unterlippe. DieKleine machte ihm also bewußt Schwierig-keiten.

»Wir werden uns schon irgendwie eini-

30 Dirk Hess

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gen«, meinte Snayssol vermittelnd.Sie schüttelte energisch den Kopf.»Nein … ich denke nicht daran. Ich werde

dich …«Weiter kam sie nicht. Von draußen tönten

gedämpfte Befehle herein. Das Trappelnschwerer Stiefel erfüllte den Hausgang.Snayssol drehte sich um. Er sah gerade nochden Schatten eines Gleiters hinter den Sicht-blenden der Fensterfront davonhuschen.

Dann wurde gegen die Tür geklopft.»Aufmachen! Wir wissen, daß du in der

Wohnung steckst, Snayssol!«

*

Die Loghanin sprang schreiend ins Wohn-zimmer. Snayssol lief hinterher und packtesie im Genick.

»Sei still, oder ich bringe dich zumSchweigen!«

Sie zuckte zusammen und sank weinendin ein Polster.

Snayssol lief zum Fenster und schob dieSichtblende ein bißchen hoch. Er hatte einenausgezeichneten Blick auf den westlichenStadtbezirk. Der Himmel war klar. Er konn-te bis zu dreißig Kilometer in die Ferneblicken. Dann zuckte er zusammen. Zwan-zig Polizeigleiter hatten den Bezirk abgerie-gelt. Sie schwebten in genau gleichen Ab-ständen vor dem Wohnturm. Snayssol sah,daß sie mit Thermostrahlern ausgerüstet wa-ren.

Sie suchen mich! Sie wissen, daß ichbeim Ed-Schun-Spiel gewonnen habe,durchzuckte es den Erben. Jemand mußmich verraten haben.

Er würde wahrscheinlich nie erfahren,wer für das Triumvirat Spitzeldienste gelei-stet hatte. Die Situation war verfahren. DochSnayssol war entschlossen, sich erbittert zurWehr zu setzen. Er riß den Druckluftnadleraus dem Kreuzgurt und rannte zur Vitrinehinüber, in der die Speicherkristalle lagen.Hastig stopfte er ein paar davon in seinekleine Gürteltasche.

»Sie werden hier alles zusammenschmel-

zen«, schrie die Loghanin entsetzt. »Ergibdich, dann kannst du Gnade beim Triumviraterwarten! Denk an mich. Ich erwarte einJunges!«

»Wie oft willst du mir das noch sagen«,bellte Snayssol ungerührt.

Jetzt klopfte es wieder an die Tür. Dies-mal klang es härter.

»Aufmachen, oder wir zerstrahlen dieTür!«

Das war eine unmißverständliche War-nung. Beim nächsten Mal würden sie schie-ßen. Snayssol hörte, wie sich mehrere Log-hanen im Hausgang unterhielten. Er ver-nahm auch das Klicken der Waffensicherun-gen.

»Laß den Unsinn«, schrie die Gefährtinden Grauen und wollte Snayssol die Waffeaus der Hand schlagen. Er blockte ihren An-griff mit dem Ellenbogen ab und stieß sie zuBoden.

Dann zielte er auf die Tür und drückte ab.Dem kurzen Knall folgte die Druckluftex-

plosion. Die gesamte Türfüllung wurde ausdem Rahmen gerissen. Dicke Kunststein-brocken rollten in den Hausgang, und dasWimmern eines verletzten Loghanen ertön-te. Eine elektrische Leitung verschmorte.Der Qualm der gummiartigen Isolierungtrieb durch den Raum.

Snayssol warf einen letzten Blick auf diejunge Loghanin, die ihr Gesicht fest in diePolster preßte. Er bellte einen Abschiedsruf,dann sprang er mit schußbereiter Waffe inden Gang hinaus.

Sie werden die Personenaufzüge bewa-chen, schoß es Snayssol durch den Kopf. Al-so versuche ich mein Glück über die Nott-reppe.

»Dort hinten läuft er«, schrie ein Polizist.Snayssol rannte an einer Fensterluke vor-

bei. Dicht dahinter hing der Korb für dieFensterreiniger. Die Fernbedienung für dasGerät lag in einem Sicherungskasten.

Snayssol überlegte nicht lange. Er zer-trümmerte die Glasscheibe mit dem Kolbenseiner Waffe. Dann sprang er in denschwankenden Reinigungskorb. Ein scharfer

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Luftzug zerzauste seinen grünen Pelz. Erhielt unwillkürlich die Luft an. Unter ihmging es zweihundert Meter steil abwärts. Erklammerte sich am Haltegriff des schwan-kenden Korbes fest, der über einen Seil- undSchienenmechanismus an der Hauswandauf- und abwärts gefahren werden konnte.

Ein Druck auf die Tastatur der Fernbedie-nung, und der Korb ruckte an.

Plötzlich schoß ein Gleiter um die Hau-secke. Hinter der Frontverglasung erkannteSnayssol mehrere Bewaffnete. Er sah, wiedie Polizisten aufgeregt auf den Reinigungs-korb deuteten.

Ungerührt hob er seinen Druckluftnadlerund zielte auf den Gleiter.

Plötzlich riß ein scharfer Luftstrom seinenArm hoch. Der Schuß ging fehl. Irgendwoüber ihm zerplatzte die winzige Druckluft-kapsel.

Verdammt, dachte Snayssol, jetzt bin icherledigt.

Ein Thermostrahl blitzte auf. Unmittelbarneben dem abwärts rasenden Reinigungs-korb bildete sich ein schwarzer Fleck in derHauswand. Verschmorte Kunststeinbrockenprasselten in die Tiefe.

Snayssol konnte das pfeifende Rufsignalder Funk-Sprechanlage des Gleiters hören.Er sah auch, wie ein Bewaffneter das Mikro-phon ergriff, um sich bei seinem Gesprächs-teilnehmer zu melden. Die Gesichter der Po-lizisten verfinsterten sich. Der Sprechendenickte mehrmals. Seine spitz aufgerichtetenOhren knickten ab.

Was hat das zu bedeuten, dachte Snayssolverblüfft. Sie hätten eben mehrmals Gele-genheit gehabt, mich zu verbrennen.

Er hob seinen Druckluftnadler. Doch erkam nicht mehr zum Schuß. Die Polizistenhatten ihre kleinen Blasrohre aus den Kreuz-gurten gezogen und Snayssol mit einem Ha-gel vergifteter Pfeile eingedeckt. Die Wind-böen lenkten zahlreiche Pfeile ab, doch einertraf Snayssol in den Oberkörper.

Sie wollen mich nicht töten, durchzucktees den Erben. Sie haben eben den Befehl be-kommen, mich nur zu betäuben. Sie wollen

mich also lebend haben. Anscheinend trauensie sich nicht, einen Erben mitten in derStadt zu den Ahnen zu schicken.

Dann taumelte Snayssol. Die Wirkung desNervengifts entfaltete sich rasend schnell.Seine Gedanken verwirrten sich. FeurigeSchemen tanzten vor seinen Augen. Dannkrachte er schwer auf die Brüstung des Rei-nigungskorbs. Sekundenlang sah es aus, alswürde er die restlichen hundert Meter in dieTiefe stürzen. Doch dann erstarben seineBewegungen völlig.

Neben dem abwärts rutschenden Reini-gungskorb schwebte der Polizeigleiter ander Hauswand herunter.

*

»Stehen Sie gerade, Erbe Snayssol!« Ras-safuyls Stimme klang schneidend. Der Ob-mann des Triumvirats stand hochaufgerich-tet vor dem Kommunikationspult. Sein sei-diger Pelz schimmerte dunkelgrün. Unter-halb der Schlüsselbeinknochen hatte er meh-rere dunkle Farbringe aufgetragen. Rassa-fuyl war eitel, und er scheute keine Mühe,seine Erscheinung immer wieder vorteilhaftzu präsentieren.

Snayssol stand mit hängenden Armen da.Sie hatten ihm alles abgenommen. SeinBlick glitt von einem Ratsmitglied zum an-deren. Links standen die alten Erben Tamoylund Kenyol. Ihr Pelz war mit weißen Fädendurchzogen. Die harte Arbeit des Regie-rungsgeschäfts hatte sie frühzeitig altern las-sen.

»Sie haben den Tod verdient, Erbe Snays-sol«, bellte Rassafuyls Stimme erneut auf.»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sa-gen?«

»Ich habe lediglich das getan, was jederauf Kledzak-Mikhon tun würde«, meldetesich Snayssol schwach. Die Wirkung desNervengifts war noch nicht aus seinen Glie-dern gewichen.

»Die Ed-Schun-Spiele sind verboten«,sagte der alte Tamoyl.

»Ja … ich weiß das«, erwiderte Snayssol.

32 Dirk Hess

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Er machte sich kaum Hoffnung, den Regie-rungspalast jemals wieder lebend verlassenzu können.

»Und trotzdem haben Sie einen Loghanengetötet?«

»Wer an den Spielen teilnimmt, muß sichden Regeln beugen«, stieß Snayssol trotzighervor. Er hatte gar nicht erst den Versuchgemacht, sich vor den Ratsmitgliedern un-terwürfig zu benehmen. Sie waren auch nursterbliche Loghanen. Das einzige, was sievon ihm unterschied, war ihr Wissen. Siekannten das Rätsel der Ahnen.

»Ich gebe ja alles zu«, knurrte Snayssol.Seine spitzen Ohren standen kerzengeradeempor. Allein das bedeutete einen Affrontgegen das Triumvirat. Weder die Technikerim Regierungspalast, noch die weiblichenBegleiterinnen der drei Mächtigen durftensich so benehmen.

»Sie sind ein unverbesserlicher Rebell,Erbe Snayssol«, stieß Kenyol barsch hervor.»Sie verlassen sich darauf, daß Erben bevor-zugt behandelt werden. Doch einmal istSchluß damit. Strapazieren Sie unsere Ge-duld nicht allzusehr …«

»Ich weiß, daß ich sterben muß! Das wuß-te Hover-Maracul auch!«

Snayssol grinste das Ratsmitglied Rassa-fuyl dabei herausfordernd an.

Rassafuyl sagte zunächst überhaupt nichtsauf diese Anspielung. Er stand wie verstei-nert da und preßte die Lippen zusammen.Die Pupillen seiner Schlitzaugen verengtensich, und die Nasenlöcher seiner Stumpfnaseblähten sich.

»Was soll die Erwähnung eines Erben,der längst zu den Ahnen gegangen ist?«fragte Tamoyl.

»Rassafuyl kann Euch das am besten er-klären!«

Tamoyl drehte sich zum RatskollegenRassafuyl um. Der alte Loghane erhob dieRechte und meinte gedehnt:

»Wissen Sie, verehrter Rassafuyl, wasdieser Erbe meint? Wenn ich mich recht er-innere, sollte jener Hover-Maracul Ihre Stel-le im Triumvirat einnehmen, nachdem der

Posten vakant war.«Rassafuyl wußte natürlich genau, worauf

Snayssol hinauswollte. Er hatte das Ablen-kungsmanöver des Gefangenen sofort durch-schaut. Während der vergangenen Jahre wardie Intrige, die ihm das Amt eines Ratsmit-glieds verschafft hatte, längst in Vergessen-heit geraten. Er tat sein Möglichstes, damites dabei blieb.

»Snayssol will seinen Hals aus der Schlin-ge ziehen«, bemerkte Rassafuyl knapp. »Dasist verständlich, aber nicht entschuldbar. Ichplädiere dafür, daß dem Erben sofort dasWort entzogen wird. Wir haben wichtigereDinge zu tun, als unsere Zeit mit diesem Ge-setzesbrecher zu vergeuden.«

Snayssol lachte bellend auf.»Hover-Maracul hat Sie mir genauso be-

schrieben«, log er. »Unbeherrscht und im-mer nur auf den eigenen Vorteil bedacht.«

Rassafuyl beherrschte sich. Man sah ihman, daß er schwer mit sich kämpfen mußte,um nicht aus der Rolle zu fallen.

»Sehen Sie, meine verehrten Kollegen«,knurrte Rassafuyl. Dabei erhob er die Rech-te theatralisch und stieß mit vorgestrecktemDaumen schräg nach oben in die Luft. »Ichwarnte Sie schon öfter über die Gefahr vondraußen! Es gibt Aufrührer, Rebellen undGesetzesbrecher, die unsere altehrwürdigeOrdnung vernichten wollen. Diesen Verbre-chern ist nichts mehr heilig …«

Tamoyl unterbrach den Redeschwall sei-nes Kollegen durch eine ungeduldige Hand-bewegung.

»Ich kenne Ihre Theorie, Rassafuyl. IhrePolizeieinsätze gegen die kleinen Bergdörfersollten Ihre Annahme bestätigen. Doch bisheute konnten Sie den Beweis nicht erbrin-gen, daß es tatsächlich Rebellen und Unter-grundkämpfer auf Kledzak-Mikhon gibt.Der überwiegende Teil der Bevölkerungachtet unsere Gesetze. Wir können uns nichtbeklagen.«

»Und dieser unwürdige Erbe«, keuchteRassafuyl, »ist er etwa kein lebender Beweisfür meine Theorie?«

Snayssol verfolgte grinsend das Streitge-

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spräch der Ratsmitglieder. Aus der Anklagegegen ihn war eine Auseinandersetzung un-ter den Richtern geworden. Etwas bessereskonnte er sich eigentlich gar nicht wün-schen. Ihm war in den letzten Minuten klar-geworden, daß Rassafuyls Stellung inner-halb des Triumvirats weniger gefestigt war,als allgemein angenommen wurde. Rassa-fuyl strebte nach der alleinigen Macht überKledzak-Mikhon. Doch die beiden anderenRatsmitglieder wußten sich dagegen zu weh-ren.

»Ich suche die Wahrheit«, platzte Snays-sol mitten in die hitzig geführte Debatte hin-ein.

Die Ratsmitglieder verstummten. Sie sa-hen Snayssol entgeistert an.

»Die Wahrheit«, knurrte Tamoyl gedehnt.»Die einzige Wahrheit ist das Gesetz desTriumvirats.«

»Ich suche die Wahrheit über die Ahnen!«Tamoyl vergaß vor Erstaunen den Mund

zu schließen. Auch die beiden anderen Rats-mitglieder waren überrascht. Mit dieser Of-fenheit hatten sie nicht gerechnet.

»Das ist verboten«, brachte Kenyolschließlich hervor.

Snayssol zuckte ungerührt mit den Schul-tern.

»Ich weiß … aber der Drang nach Er-kenntnis ist immer stärker gewesen. Ich binneugierig. Ich will mehr über unsere Vorge-schichte wissen. Es gibt viel zuviel unge-klärte und widersprüchliche Dinge aufKledzak-Mikhon, als daß ein Erbe mit mei-nem Intelligenzquotienten darüber hinweg-gehen könnte.«

Kenyol hob den Kopf. Die Miene des Lo-ghanen wirkte versteinert, doch Snayssolglaubte in den Augen des alten Ratsmit-glieds so etwas wie Verständnis erkennen zukönnen.

»Ihr Intelligenzquotient beträgt hundert-fünfundachtzig Darts …«

Snayssol warf einen Blick auf Rassafuyl.Bei der Nennung der Darts-Ziffer war dasRatsmitglied unwillkürlich zusammenge-zuckt. Snayssol, der sich an sein Gespräch

mit dem sterbenden Hover-Maracul erinner-te, wußte, daß Rassafuyl nur einen Intelli-genzquotienten von hundertachtzig Darts be-saß. Jeder Erbe, der einen höheren Darts-Quotienten besaß, wurde in seinen Augenautomatisch zu einem Gegner um die Amts-würde. Snayssol ahnte, daß Rassafuyl jetztfieberhaft nach einer Möglichkeit suchte,wie er ihn aus dem Weg räumen konnte.

»Dieser hohe Intelligenzquotient«, fuhrKenyol fort, »hat uns auch dazu veranlaßt,Sie lebend zu fangen. Unsere Gesetze schüt-zen sowohl das ungeborene Leben wie auchdie Intelligenz. Wir dürfen Sie nicht zumTode verurteilen, Snayssol. Wir können Sieaber auch nicht ungestraft entlassen.«

Snayssol nickte. Seine Chancen standenalso nicht allzu schlecht.

Jetzt räusperte sich Rassafuyl. Die fun-kelnden Schlitzaugen des Ratsmitglieds ver-rieten nichts Gutes. Er warf einen höhni-schen Blick auf den Erben und wandte sichdann an seine beiden Amtskollegen:

»Wir sollten dem Erben Snayssol Gele-genheit geben, seine Verfehlungen zu bereu-en und sich im Kampf zu bewähren …«

Die beiden alten Loghanen nickten zu-stimmend.

»Der Meinung bin ich auch«, brummteKenyol. »Strafe muß sein.«

»Der Erbe Snayssol kann vor aller Augenzeigen, was in ihm steckt«, sagte Rassafuylergänzend. »Wenn seine kämpferischenQualitäten ebenso groß sind wie sein Intelli-genzquotient, dann wird er das Spiel derSchwarzen Tore lebend überstehen!«

Snayssol glaubte, im Boden versinken zumüssen. Im flimmerte vor Augen. Das Spielder Schwarzen Tore war die mörderischsteAngelegenheit, die auf Kledzak-Mikhon be-kannt war.

»Wir sind einverstanden«, knurrten Ke-nyol und Tamoyl gleichzeitig.

Rassafuyl atmete erleichtert aus.»Dann schafft den Gefangenen zu den an-

deren Kandidaten. In drei Tagen fangen dieSpiele an. Ich bin gespannt, wie er sichschlagen wird.«

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Snayssol ließ sich teilnahmslos aus demSaal führen. Hinter ihm verhallte das Ge-lächter Rassafuyls. Er konnte nichts gegendie Entscheidung unternehmen. Einen Ein-spruch dagegen sahen die Gesetze des Pla-neten nicht vor.

Snayssol erinnerte sich an Hover-Ma-raculs Schicksal. Alles in ihm krampfte sichzusammen. Er ahnte, daß Rassafuyl zu ähn-lichen Mitteln greifen würde, wie in Hover-Maraculs Fall. Denn offiziell durfte maneinen Erben nicht töten. Doch im geheimenstanden Rassafuyl alle Machtmittel der Ah-nen zur Verfügung, um den Mordplan zuverwirklichen.

6.Das Spiel der Schwarzen Tore

Die Straßen sämtlicher Großstädte warenverstopft. In Poal-To umringten Tausendedie aufgestellten Bildschirme. Jeder wolltedabei sein, wenn die dreitausend jungen Lo-ghanen das Spiel der Schwarzen Tore be-gannen. Das Triumvirat hatte die Teilneh-mer dazu willkürlich ausgesucht. Wenn die-ser oder jener Loghane aus politischenGründen zur Teilnahme gezwungen wurde,so fiel das überhaupt nicht auf. Niemandwürde fragen, ob der Erbe Snayssol zumKampf gezwungen wurde oder ob er freiwil-lig daran teilnahm. Kein Spieler hatte dieMöglichkeit, später noch einmal Kontakt mitden Zuschauern aufzunehmen.

Knisternde Spannung erfaßte die Logha-nen.

Die einzelnen Familien waren stolz, wennein Verwandter zum: Spiel gerufen wurde.Kam er dabei ums Leben, wog das nicht soschwer, als wenn er zu Hause gestorben wä-re.

Jene Erben, die als Schiedsrichter fungier-ten, schwebten in offenen Gleitern zu deneinzelnen Torstationen. Von dort würden sieüber den Fortgang der Spiele berichten. Sieachteten auch darauf, daß kein Spieler gegendie Regeln verstieß.

Ausgangspunkt für alle Spieler war das

Beginntor von Poal-To.Die dreitausend Spieler bildeten zunächst

zwei Gruppen. Das Los entschied jetzt, werzur ersten und wer zur zweiten Gruppe zähl-te. Die erste Gruppe würde sofort durch dasBeginntor gehen, die andere etwas später.Dadurch verzögerte sich der Ablauf etwas,und die Spannung erhöhte sich auf ein Ma-ximum.

Beim Spiel der Schwarzen Tore vergaßendie Loghanen die Probleme des Alltags.Kein Erbe fragte mehr nach den Ahnen. Nie-mand wunderte sich über die Widersprücheim täglichen Leben. Das war im Grundeauch der Hintergedanke des Triumvirats.Die Wissenden wollten verhindern, daß je-mand auf die Idee kam, die komplizierteTechnik könnte nicht von den Loghanen be-herrscht werden.

Indem sie die Transmitterverbindung zueinzelnen Spielstationen umfunktionierten,schufen sie sich die Illusion, sie wären diegeborenen Transmittermeister.

Nachdem die ersten fünfzehnhundert Log-hanen das Beginntor von Poal-To durch-schritten hatten, war kein Loghane mehr vonden Bildschirmen wegzukriegen.

Eine Verteilerautomatik spaltete jenefünfzehnhundert Loghanen in mehrereGruppen auf. Jede Kleingruppe wurde Se-kundenbruchteile später aus einem Tor aus-gespien. Hier sahen sich die Spieler gefährli-chen Situationen gegenüber, die sie meisternmußten. Neun Tore waren nämlich als Fal-len präpariert worden, um die Spielerscharschon frühzeitig zu dezimieren. Das zehnteTor war ein Kampfplatz. Hier fielen dieÜberlebenden übereinander her. Sie mußtensich bis aufs Messer bekämpfen, denn nurfünfzehn aus dem ersten Durchgang durftenam Leben bleiben. Dasselbe Verfahren wur-de auch bei den Überlebenden des zweitenDurchgangs angewandt. Sollte wider Erwar-ten eine ungewöhnlich hohe Verlustzifferschon beim ersten Durchgang zu verzeich-nen sein, so wurden immer fünfzehn Logha-nen aus jeder Gruppe zurückgehalten. Eswar nämlich Gesetz, daß immer der zehnte

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Page 36: Hexenkessel der Transmitter

Teil überleben mußte. Warum das so war,wußte keiner zu sagen.

Insgesamt überlebten dreißig Loghanendas Spiel der Schwarzen Tore.

Niemand hatte sich bis jetzt über die grau-samen Spielregeln beschwert. Es kam auchkeinem in den Sinn, sportliche Wettkämpfeohne Blutvergießen vorzuschlagen.

Vielleicht lag gerade in diesem Verhaltendie Tragik der Loghanen begründet: Sie hat-ten noch nie den Versuch gemacht, beste-hende Verhältnisse ändern zu wollen!

Der Erbe Snayssol befand sich in der er-sten Großgruppe. Zusammen mit 1499 ande-ren Loghanen durchschritt er das Beginntorvon Poal-To.

*

Snayssol empfand ein unangenehmes Zie-hen im Nacken.

Hinter ihm ertönte unbeherrschtes Flu-chen. Das laute Bellen einiger Mitspielerschallte über den Transmittervorplatz.

Snayssols Gruppe bestand aus zehn Log-hanen. Jeder litt unter den Nachwirkungendes Sprunges.

»Wir müssen auf dem Südkontinent ge-landet sein«, dröhnte die Stimme eines breit-schultrigen Loghanen.

Heißer Wind fegte über den Vorplatz.Dicke Kunststeinmauern schirmten dasSchwarze Tor vom Hinterland ab. Von hieraus sah man Sanddünen, die sich bis zumHorizont erstreckten. Es war keinerlei Vege-tation zu erkennen. Vor den Spielern breitetesich eine hitzedurchglühte Wüste aus.

Snayssol betrachtete die anderen.Harte Burschen, dachte er bei sich. Jetzt

geben sie sich noch friedlich. Aber nachherwird das anders. Jeder will das zehnte Torlebend erreichen. Spätestens beim neuntenTor fallen sie übereinander her.

»Wo finden wir das zweite Tor?«Achselzucken und Ratlosigkeit.»Am besten marschieren wir einfach ge-

radeaus«, schlug einer vor, dessen Pelz imSonnenlicht giftgrün schillerte. »Weiter hin-

ten steigt das Gelände an. Dort könnten wiruns orientieren.«

In Ermangelung eines besseren Vor-schlags verließen sie den Transmittervor-platz. Hinter ihnen erlosch der Energiebogendes Transportfelds.

Snayssol fragte sich vergeblich, wo dieAufnahmekameras für das loghanische Vi-deo aufgestellt war. Da das Gelände ziem-lich unübersichtlich war, gab es genügendVerstecke für die Schiedsrichter. Es würdenicht leicht sein, sie zu entdecken.

»Verdammte Hitze!« schimpfte ein Log-hane. Er trug einen besonders farbenprächti-gen Kreuzgurt.

»Ich finde, wir sollten uns erst einmalmiteinander bekannt machen«, schlugSnayssol vor. »Wir sind während der folgen-den Tordurchgänge aufeinander angewiesen.Ich will wissen, mit wem ich's zu tun habe.«

Der breitschultrige Hüne grinste verächt-lich.

»Wenn du darauf aus bist, zu erfahren,wer ich bin …«, er schlug sich lachend aufden Brustkorb, »dann komm doch her! Ichzeige dir gern, wie stark ich bin.«

Snayssol ließ sich nicht herausfordern. Erhatte sofort erkannt, daß der Hüne nur einenStreit vom Zaun brechen wollte.

»Ich bin ein Erbe«, begann er erneut.»Das Ratsmitglied Rassafuyl hat mich zumKampf gezwungen. Mein Intelligenzquotientbeträgt hundertfünfundachtzig Darts. Rassa-fuyl will verhindern, daß ich jemals in denRat komme …«

Mehrere Mitspieler unterbrachen Snays-sol grob.

»Sei still. Wir sind nicht hier, um mitein-ander zu quatschen! Wir wollen schleunigstdas nächste Tor finden. Alles was uns auf-hält, bringt anderen einen Vorteil.«

Snayssol verzog den Mund.»Ihr seid wie Roboter! Ihr nehmt alles hin

was man euch befiehlt …«»Bringt den Kerl endlich zum Schwei-

gen«, knurrte ein Loghane.Die Spieler nahmen Snayssol gegenüber

eine drohende Haltung ein. Bevor es zu

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Page 37: Hexenkessel der Transmitter

Handgreiflichkeiten kam, schrie ein Logha-ne entsetzt auf. Die Köpfe der Spieler ruck-ten herum.

Etwa zwanzig Meter von ihnen entferntwirbelte eine Sandfontäne auf. Ein jungerMitspieler steckte bis, zur Hüfte im Treib-sand. Er schaufelte verzweifelt Sand, dochmit jeder Bewegung rutschte er tiefer hinun-ter. Wenn man genauer hinschaute, sah mandie tückischen Sandstrudel. Sie verrieten denLoghanen, daß die ganze Wüste in ständigerBewegung begriffen war. Der Untergrundverschob sich, und durch die Temperaturun-terschiede wurden häufig Sandbeben er-zeugt. Der feinkörnige Sand ließ nichts mehrfrei, was er einmal erfaßt hatte.

»Wir müssen ihm helfen«, sagte Snayssolerschüttert.

»Hier ist sich jeder selbst der Nächste«,erklärte der Hüne und drehte sich um.

»Laß mich nicht im Stich«, zeterte derversinkende Loghane. Er steckte schon biszum Hals im Sand. Seine Augen traten gro-tesk hervor, und seine Arme suchtenkrampfhaft nach Halt.

Die anderen Spieler gingen langsam zu-rück. Sie achteten jetzt besonders aufmerk-sam auf den Sand.

»Helft mir«, schrie der Versinkende.Sein Schrei ging im Lärm der anderen Lo-

ghanen unter. Einige hatten bereits denTransmittervorplatz erreicht. Snayssol hieltunentschlossen inne, obwohl er wußte, daßdem Sandopfer nicht mehr zu helfen war. Erblickte schaudernd zu dem Loghanen hin-über, dessen Kopf gerade im Treibsand ver-schwand.

Plötzlich ertönte ein krachender Schlag.»Der Transmitter läuft wieder an!«Snayssol war jetzt sicher: Das Ganze war

ein Trick gewesen, um sie alle in den Treib-sand zu jagen. In wenigen Augenblickenwölbte sich ein grünlicher Energiebogenüber den Säulen, aus denen sie eben getretenwaren. Darunter gähnte ein schwarzer Sch-lund, der so dunkel wie der Kosmos war.

»Weg von hier«, schrie der Hüne unddrängte sich an den anderen vorbei. Er

sprang als erster durch den Transmitter. Ihmfolgten die anderen. Snayssol kam als letzterdran.

Ein zerrendes Reißen, und für einen kaummeßbaren Zeitpunkt gehörten die Spieler derfünften Dimension an.

*

Der Hüne schrie. Seine Stimme drückteohnmächtigen Zorn aus.

Snayssol hockte auf der gerasterten Bo-denplatte des Transmitters. Über ihm flim-merte ein weißer Energiebogen. Das war einEmpfangstor. Es hatte also keinen Sinn,wenn er hier hockenblieb. Solang die Auto-matik nicht auf Grün umschaltete, gab eskeinen erneuten Durchgang.

Ein lichtdämpfender Pflanzendschungelumgab die Station.

»Fleischfressende Pflanzen«, keuchte einLoghane. »Wir befinden uns immer nochauf dem Südkontinent.«

Der Hüne wurde von mehreren klebrigenTentakeln umschlungen. Die Pflanze, derenStamm nicht von den Stämmen der anderenBäume zu unterscheiden war, rollte inner-halb weniger Sekunden weitere Greifarmeaus. Die Oberfläche der gefährlichen Pflan-zenarme schimmerte klebrig. Wie Schlangenüberwanden sie die Entfernung zum Trans-mitter.

»Warum schalten sie nicht endlich aufGrün um«, bellte ein Loghane.

»Die warten, bis es ein paar von uns erwi-scht hat«, sagte Snayssol spöttisch. »Je län-ger wir uns mit der Höllenpflanze herum-schlagen, desto größer ist das Vergnügen derZuschauer. Vielleicht sehen dich in diesemAugenblick deine Angehörigen auf demBildschirm. Die Spielleidenschaft hat sie sogepackt, daß ihnen dein Tod nichts aus-macht.«

Der Loghane knirschte mit den Zähnen.In seinen schrägstehenden Augen flackerteTodesangst auf.

Snayssol deutete nach oben. Zwischenden rauschenden Blättern der Dschungelrie-

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Page 38: Hexenkessel der Transmitter

sen sah man den Schatten eines Gleiters.»Dort hocken die Schiedsrichter! Du

kannst sie ja um Gnade bitten.«Snayssol hörte die Entgegnung seines

Mitspielers nicht mehr. Ein Pflanzenarm warvon hinten an den Loghanen herangezückt,hatte sich blitzschnell um dessen Hals ge-wickelt und den Mann nach oben gezerrt.

»Armer Kerl«, stammelte Snayssol er-schüttert.

Der Hüne kämpfte immer noch um seinLeben. Während die anderen damit beschäf-tigt waren, den heranschnellenden Pflanzen-fangarmen auszuweichen, zerfetzte der Hü-ne zehn Meter über dem Boden einen Fang-arm. Sein Triumphgebrüll war weithin ver-nehmbar. Er packte sofort den nächstenFangarm, der sich um seine Hüfte geschlun-gen hatte.

Snayssol verfolgte das Ende seines Mit-spielers aus weitaufgerissenen Augen. DieFangarme transportierten den Schreiendenbis in die Baumwipfel. Dort senkte sich einriesiger Blütenkelch herab. Die manns-großen Blätter besaßen spitze Dornen an denRändern. Damit verhinderten sie das Abrut-schen des Opfers. Nachdem die Fangarmeden Loghanen bis an die Freßorgane heran-gepreßt hatten, schlossen sich die Blüten-blätter um den zuckenden Körper. Im Innernsonderten die Organe der Pflanze ein zerset-zendes Sekret ab. Ein paar Tropfen davonperlten zwischen den Kelchblättern hindurchund fielen auf den Boden. Wenig spätererstarben die zappelnden Bewegungen desLoghanen.

Snayssol sah einen Fangarm auf sich zu-schnellen. Er duckte sich, packte einen her-umliegenden Ast und wehrte das Gebildedamit ab. Der Fangarm wand sich ruckhaftum den Ast. Snayssol spürte die unglaubli-che Kraft der Pflanze. Der Ast wurde ihmaus den Händen gerissen und zerbrachknackend.

Er beneidete den Hünen nicht. Der Kampfim Gewirr der Äste schien aussichtslos zusein.

Snayssol drehte sich um. Eben erwischte

es einen anderen Mitspieler. Doch ehe ihndie Pflanze hochzerren konnte, hatte er sei-nen Dolch aus dem Gürtel gezogen. Er zer-trennte den Pflanzenarm mit einem Hieb.

Im gleichen Augenblick färbte sich derobere Transportbogen grün.

»Wir können von hier verschwinden«,schrie Snayssol und rannte auf den Trans-mitter zu.

Hinter ihm dröhnte der Wutschrei des Hü-nen.

Es gab ein heftiges Gedränge vor demTransmitter. Snayssol wurde mehrmals bei-seite geschubst, bevor er in den Erfassungs-bereich des Energiefelds kam.

Das letzte, was er erkennen konnte, warendie Fangarme, die auf den hünenhaften Spie-ler zuschnellten. Doch der Loghane schiendie Kräfte eines Morgo-Morgons zu besit-zen. Er packte den Fangarm, der sich umseine Hüften gewickelt hatte, und zerfetzteihn mit einem Ruck. Dann ließ er sich aufden Dschungelboden fallen und rannte keu-chend auf das schwächer werdende Trans-portfeld zu.

*

Die Luft war frisch und klar. Hier fehltedie dumpfe Schwüle des südlichen Dschun-gels. Irgendwo plätscherte ein Wasserlauf.Niedriges Buschwerk und kultivierte Zier-bäume begrenzten das Blickfeld.

Niemand konnte sehen, wie sich hinter ei-ner Abblendwand mehrere tausend Logha-nen drängten, um jede Bewegung der Spie-ler zu verfolgen. Eine dreidimensionaleBildprojektion verbarg die Zuschauer vorden Blicken der Spieler. Das Ganze war sotäuschend echt, daß nicht einmal Snayssolauf den Gedanken kam, daß sie weniger alsfünfhundert Meter von den Zuschauern ent-fernt standen.

»Wir sind wieder auf Sover-Kar gelan-det«, meinte der junge Loghane, dessen Pelzgiftgrün schillerte.

»Woher willst du das so genau wissen?«fragte ein anderer mürrisch.

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»Das Klima ist zu milde, für den Nord-kontinent.«

Der Hüne, der im letzten Augenblickdurch den Transmitter gesprungen war, bau-te sich grollend vor dem Giftgrünen auf. Erstemmte sich beide Fäuste in die Seiten.

»Bist wohl auch ein Neunmalkluger,was?«

»Ich kenne den Kontinent«, stieß der Gift-grüne hervor. »Ich könnte wetten, daß wirnicht weit von Poal-To entfernt sind.«

»Dann marschier los! Niemand hindertdich daran, dort Unterschlupf zu suchen.«

Der Giftgrüne wandte sich ab. Er wolltesich mit den Hünen nicht streiten, denn aucher war Zeuge der unglaublichen Kraftaktedieses Loghanen geworden.

»Wir haben eine Pause verdient«, rief derGiftgrüne den anderen Spielern zu.»Vielleicht ist das hier eine Erfrischungssta-tion.«

Der Hüne lachte grollend auf.»Bist du schon zu schwach, daß du dich

ausruhen mußt, Kleiner? Paß auf, daß dunicht mit mir zusammen durchs neunte Torkommst. Ich breche dir zuerst den Hals. So-zusagen als Vorspiel, damit ich nicht aus derÜbung komme.«

Sein Lachen schallte über den ganzenTransmitterplatz. Die anderen gingen nichtdarauf ein. Jeder fürchtete im Grunde denAugenblick, in dem er diesem Loghanen mitbloßen Fäusten gegenübertreten mußte.

»He, wir kriegen Besuch!«Aller Augen richteten sich auf die hüb-

sche Loghanin, die zwischen den blühendenBäumen stand und ihnen zulächelte. Einschillernder Kreuzgurt betonte ihre weibli-chen Rundungen, und in den Augen derSpieler war sie die perfekte Verkörperungdes loghanischen Schönheitsideals.

»Die Kleine sieht ja prächtig aus«, rief einSpieler.

»Paßt auf, daß der Hüne sie euch nichtwegschnappt«, stieß Snayssol grinsend her-vor. Je eher sich die Spieler in die Haarekriegten, desto größer waren seine Chancen,heil durch das neunte Tor zu kommen.

Der Giftgrüne ließ sich nicht irritieren. Erging langsam auf die Loghanin zu und ver-neigte sich.

»Freut mich, eine solche Schönheit wäh-rend der Spiele kennenzulernen …«

»Sie haben Benehmen«, gurrte das Weib-chen und neigte den Kopf, wobei sie verfüh-rerische Blicke in die Runde warf. »Freutmich, Sie kennenzulernen. Wie heißen Sie?«

Der Giftgrüne ging näher an das Weib-chen heran. Er fühlte sich seiner Sache völ-lig sicher.

»Ich bin Hovimyl aus der Familie derGratinars«, flüsterte er. »Ich würde, michglücklich schätzen, wenn …«

Jetzt stockte der Giftgrüne. Irgend etwasschien ihn zu irritieren. »Die Stimme«, stießer aufgeregt hervor. »Mit Ihrer Stimme istetwas nicht in Ordnung.«

»Was wollten Sie eben noch sagen, Hovi-myl?« sagte das Weibchen sanft. »KommenSie doch näher …«

Der Giftgrüne warf alle Bedenken überden Haufen. Er hatte nur noch Augen für diehübsche Loghanin, die sich langsam überden gefleckten Pelz strich.

Plötzlich war der Giftgrüne verschwun-den. Sein Schrei gellte sekundenlang durchdie Luft, dann gab es einen schwerenSchlag, und sein Schreien verstummte ab-rupt.

Das Weibchen stand noch an derselbenStelle. Jetzt winkte es den anderen Logha-nen zu.

»Eine ganz gemeine Psychofalle«, stießSnayssol hervor. »Geht nur weiter, dann lan-det ihr auch in einer Schlucht, einemSchacht oder einem künstlichen Graben.«

Kaum hatte Snayssol das gesagt, als sichdas Weibchen buchstäblich in Nichts aufzu-lösen schien. Der Vorgangs erfolgte völliglautlos. Wenig später war nichts mehr vonihr zu sehen. Dafür entdeckten die Loghanenetwas weiter hinten einen zweiten Transmit-ter. Das Gerät stand auf einem niedrigenSockel. »Das Schwarze Tor«, schrien dieLoghanen fast gleichzeitig. »Wir können oh-ne Prüfung wieder verschwinden.«

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»Ihr Narren«, meinte Snayssol verächt-lich. »Merkt ihr denn nicht, daß uns dieSchiedsrichter an der Nase herumführenwollen?«

Mehr sagte er dazu nicht. Sollten die Ker-le doch in ihr Unglück rennen. Er würde hierwarten, bis der Ankunftstransmitter umge-schaltet wurde. Vorschnelles Handeln hattesich beim Spiel der Schwarzen Tore immerals ungünstig erwiesen.

Doch Snayssols Warnung hatte die Log-hanen mißtrauisch gemacht. Keiner wagtees, die unsichtbare Linie zu überschreiten,die für den Giftgrünen zum Verhängnis ge-worden war.

»Na was ist?« spottete Snayssol. »Habtihr auf einmal Angst bekommen?«

Die Spieler gingen unruhig auf und ab. Je-der erwartete vom anderen, daß er die Initia-tive ergriff. Das Warten beunruhigte die Lo-ghanen zutiefst. Es zerrte an ihren Nerven,und würde sie über kurz oder lang zu un-überlegten Handlungen hinreißen.

Der Hüne baute sich vor Snayssol auf.Sein Gesicht drückte Verachtung aus. Eswar der Neid auf die Intelligenz des Erben.Zumindest bei dieser Torstation kam er mitseinen Muskelkräften nicht weiter.

»Freu dich nicht zu früh, Erbe«, grollteder Hüne. »Nicht mehr lange, und ich kriegedich zwischen die Finger. Dann werden wirja sehen, was dir dein Grips nützt.«

Snayssol schaute gleichmütig drein. Erwollte den Muskelberg nicht unnötig reizen.

»Sie schalten das Tor um«, rief ein hage-rer Loghane freudig erregt.

Snayssol sah, wie sich der weiße Emp-fangsbogen langsam grünlich verfärbte unddann stabil wurde. Der schwarze Schlundzwischen den Säulen erinnerte an einenBlick ins Weltall. Mit dem einzigen Unter-schied, daß man hier keine Sterne sah. DasTransportfeld war makellos schwarz.

*

Der hagere Loghane, der zuerst durch dasTor gesprungen war, wand sich vor Schmer-

zen am Boden. Er lag auf einer Felsplatteund krümmte sich schreiend zusammen.Schaum stand auf seinen Lippen. Seine Au-gen quollen grotesk aus den Höhlungen.

Snayssol kam leicht vorgebeugt aus demTransmitter. Er blickte sichernd nach allenSeiten. Bizarre Felsformationen erstrecktensich bis weit in den Hintergrund. Dazwi-schen gähnten düstere Schluchten und Fels-spalten.

Das könnte der Nordkontinent sein, ginges ihm durch den Kopf.

Ein Spieler nach dem anderen verließ dasTransmitterfeld. Jeder wurde durch den An-blick des wimmernden Loghanen geschockt,dessen Zustand sich anscheinend noch ver-schlimmert hatte.

»Was ist mit ihm passiert?« fragte derHüne ungeduldig.

Snayssol beugte sich gerade über den Lo-ghanen und untersuchte ihn.

»Anscheinend ein Fehler bei der Übertra-gung«, rief er den anderen zu. »Er ist als er-ster durchs Tor gegangen. Vielleicht war dasFeld noch nicht stabil.«

Der Pelz des Unglücklichen verfärbte sichvon einem Augenblick zum anderen. Eswurde stumpf und glanzlos, dann erschienendie Haare in einem gelblichen, fahlen Farb-ton.

»Er hat innere Verletzungen«, stießSnayssol hervor. »Wir können ihm nichthelfen.«

Ein Blutstrom quoll aus dem Mund desSpielers. Er preßte beide Hände gegen denBrustkorb und bäumte sich auf. Sein Körperzuckte unkontrolliert.

»Möglicherweise«, meinte Snayssol,»wurden lebenswichtige Organe nicht wie-der in seinen Körper integriert. Bei einemfehlerhaften Transmitter ist das ohne weite-res möglich.«

»Quatsch«, schrie der Hüne. »Der Kerl istausgerutscht und hat sich die Rippen gebro-chen. Das ist alles. Die Schwarzen Torefunktionieren perfekt. Das Triumvirat wachtdarüber. Jeder, der das Gegenteil behauptet,ist ein Rebell!«

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Snayssol lachte trotzig auf. Er kannte die-se Sprüche zur Genüge. Aber er konnte die-sen Loghanen auch nicht böse sein. Sie hat-ten die Mißgestalteten in der unterirdischenStation nicht gesehen. Sie wußten nicht,welches unbeschreibliche Leid durch fehler-hafte Transmitterverbindungen hervorgeru-fen wurden.

Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig:Zuerst schaltete sich das Schwarze Tor ab,und dann dröhnte das gierige Heulen vonEisbestien durch die Felsenschlucht.

Keiner dachte noch an den Sterbenden.Jeder suchte nach einem Versteck. DieFurcht vor den Eisbestien war größer als je-de Vernunft. Nur Snayssol und der Hüne be-hielten einen klaren Kopf. Snayssol nahmdem Sterbenden den Dolch ab. Der Hüneließ seine Muskelpakete spielen. Er würdeeiner Eisbestie mit bloßen Händen gegen-übertreten.

»Also doch der Norden«, sagte Snayssolgedehnt.

»Na klar, habe ich von Anfang an ge-wußt«, grollte der Hüne.

Plötzlich flackerte knapp zweitausendMeter von ihrem gegenwärtigen Standortentfernt ein grünes Licht auf. Es schimmerteüber den gezackten Rand einer Felsengrup-pe.

»Dort müssen wir hin«, schrie Snayssol.»Diesmal ist das weiterführende Tor nurdurch einen Fußmarsch zu erreichen.«

Snayssol war entschlossen, allein denWeg durch die tödliche Felslandschaft zuwagen. Er schwang sich über den Rand derFelsklippe und landete in einer schmalenQuerrinne.

Auf allen vieren kroch er weiter. Errutschte mehrmals ab, denn Regen, Windund Eis hatten alle Unebenheiten beseitigt.Doch er konnte sich schnell wieder fangen.Dann hielt er lauschend inne, um sich zu ori-entieren. Hinter ihm stritten sich mehrereLoghanen über die Richtung, die sie ein-schlagen sollten. Snayssol grinste. DieseMänner würden in ihr Verderben laufen. Ei-ne Eisbestie ließ sich nicht so leicht abschüt-

teln wie der Fangarm einer fleischfressendenPflanze.

Das Heulen der gefährlichen Tiere hallteschaurig über die Felseinöde.

Sie wissen, daß sie bald Beute bekom-men, dachte Snayssol schaudernd. Sie habenuns längst entdeckt. Aber sie warten nochmit dem Angriff. Sie wollen die armen Kerleerst in Sicherheit wiegen.

Unmittelbar vor Snayssol machte die Rin-ne einen Knick. Es ging knapp fünf Metersteil abwärts. Dort unten führte eineSchlucht nach rechts. Wenn sie ihren Laufnicht änderte, würde sie den Erben direktzum Sendetor führen.

Plötzlich purzelten kleine Steinchen überden Rand der Felsen, die die Schlucht be-grenzten.

Eine Eisbestie, erkannte Snayssol fie-bernd. Er griff nach seinem Messer. Ichkann nicht ewig in der Rinne hocken. Nacheiner bestimmten Zeit schalten sie dasSchwarze Tor aus. Dann können wir sehen,wie wir von hier wegkommen.

Kurz entschlossen beugte sich Snayssolüber den Felsrand. Auf der gegenüberliegen-den Seite regte sich immer noch nichts. DieEisbestie tarnte sich vorzüglich. Es gehörtezur Natur dieser gefährlichen Raubtiere, daßsie bis zum letzten Augenblick in Deckungblieben.

Ich muß weiter, sagte Snayssol in Gedan-ken und schob sich über die Felskante. Ernahm den Dolch zwischen die Zähne undließ sich langsam an der Wand herunterglei-ten. Er hielt sich ein paar Sekunden mit bei-den Händen an der oberen Kante fest, dannließ er los.

Das war auch das Signal für die Eisbestie.Heulend sprang das Tier von der anderen

Schluchtwand herunter. Es landete nur weni-ge Meter hinter Snayssol am Boden. Blitz-schnell sprang der Erbe herum. Der blitzen-de Dolch lag in seiner Rechten.

Die Eisbestie war drei Meter lang. Derschlanke Körper besaß vier Beine und einenlangen, bepelzten Schweif. Eine gewisseEleganz in den Bewegungen dieser eisgrau-

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en Raubtiere ließ sich nicht verleugnen. Siebewegten sich schleichend und wiegend. Ihrbreiter Kopf mit den flammenden Augenneigte sich dabei leicht zu Boden. Jetzt öff-nete das Tier seinen Rachen und grollte.Zwei fingerlange Reißzähne blitzten auf.

Snayssol spürte, wie Panik in ihm aufstei-gen wollte. Er sah, wie seine Rechte zitterte.Das Tier konnte jeden Augenblick zum töd-lichen Sprung ansetzen.

Im gleichen Augenblick ertönte der To-desschrei eines Loghanen. Das Knurren ei-ner Eisbestie erstickte den Schrei, und an-schließend konnte man das Bersten vonKnochen vernehmen.

Snayssol ließ keine Sekunde seinen Geg-ner aus den Augen.

Das Biest leckte sich gierig die Schnauze.Jetzt streckte sich der Raubtierkörper.Snayssol sah, wie sich der Pelz im Nackenkräuselte. Der Rachen schloß sich. Das Tiermachte noch ein paar Schritte nach links,dann schnellte es sich wie eine Stahlfedervom Boden ab.

Snayssol hatte damit gerechnet. Er ducktesich und warf sich blitzschnell nach rechts.Die Eisbestie landete auf dem nackten Fels-boden und heulte enttäuscht auf.

Jetzt muß ich die Initiative ergreifen,sonst ist es aus, schoß es dem Erben durchden Kopf.

Snayssol lag halb auf dem Boden, als sichdie Eisbestie herumwarf. Ihr Schweif be-rührte den Loghanen. Dann schlug die Pran-ke zu. Snayssol spürte ein heißes Brennen ander linken Schulter. Das Gewicht der Eisbe-stie drohte ihn zu erdrücken. Er bekam dieRechte frei. Seine Finger umklammerten denDolch.

»Aiiieee«, schrie Snayssol und stieß dieWaffe bis zum Heft in den Nacken der Eis-bestie.

Das Tier brüllte laut auf und krampftesich zusammen. Snayssol zog den Dolchwieder aus der Wunde.

»Hast du noch nicht genug?« keuchteSnayssol, über dessen Schulter warmes Blutsickerte.

Die Eisbestie knickte mit der rechten Vor-derpfote ein. Brüllend warf sie den Kopf inden Nacken. Dunkles Blut verfärbte den eis-grauen Pelz.

Snayssol atmete schwer. Vor seinen Au-gen tanzten glühende Ringe. Die Schmerzenin der Schulter wurden unerträglich. Langewürde er das Ringen nicht mehr aushalten.

Die Bestie brüllte erneut auf und schoßdann blitzschnell auf den Loghanen zu. Un-mittelbar vor dem zurückweichenden Mannknickte das Tier mit der Vorderpfote ein.

Anscheinend habe ich einen wichtigenNerv erwischt, schoß es dem Erben durchden Kopf. Das muß ich ausnutzen!

Snayssol sprang beiseite und landete miteinem Satz auf dem Rücken des verwunde-ten Tieres. Sein Schweiß vermischte sichmit dem dunklen Blut des Gegners. Er um-klammerte ein Fellbüschel und stieß denDolch zum zweiten Mal in den massigenNacken der Bestie. Das Tier bäumte sich aufund schleuderte den Erben in hohem Bogendurch die Luft. Es wühlte den Boden auf.Felssplitter flogen durch die Luft, und dasBrüllen des waidwunden Tieres brach sichan den Schluchtwänden.

Snayssol nutzte die Atempause und rafftesich auf. Er rannte keuchend durch dieSchlucht und hoffte, die richtige Richtungeingeschlagen zu haben. Hinter ihm ver-stummte das Toben der Bestie. Er achtetenicht mehr darauf. Er hatte jetzt nur noch einZiel vor Augen. Er wollte so schnell wiemöglich das Schwarze Tor erreichen.

Die Luft stach in seinen Lungen. JederAtemzug schmerzte. Er spürte ein starkesBrennen in der Magengrube. Von seiner ver-letzten Schulter ging ein dumpf er Schmerzaus.

Ich muß es schaffen, befahl er sich selbst.Ich darf nicht aufgeben. Diesen Triumphwill ich Rassafuyl nicht gönnen.

Der Erbe setzte jetzt mühsam Schritt vorSchritt. Er lehnte sich mehrmals gegen dieFelswand, die sich wenige Meter vor ihm biszum Boden absenkte. Verwundert erkannteer, daß freies Land vor ihm lag. An einigen

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Stellen sah er kleine Eisflächen. Die Felsenwaren grau und düster. Bizarre Formen hat-ten sich im Lauf der Jahrtausende herausge-bildet. Einige waren durchlöchert, und derWind pfiff schaurig zwischen ihnen hin-durch.

Als er das grüne Leuchten erblickte, at-mete er erleichtert auf.

Jetzt waren die Strapazen des Marschesvergessen. Snayssol ging auf das SchwarzeTor zu. Es stand zwischen den Felsen. SeineKontrollmechanismen wurden durch einePlexiglashaube vor der Witterung geschützt.

Ich bin der erste, dachte Snayssol stolz.Die anderen sind noch mit den Bestien be-schäftigt.

Ein kühner Gedanke schoß ihm durch denKopf: Vielleicht bin ich sogar der einzige,der heil durch diesen Transmitter kommt!

Das hätte bedeutet, daß er als einziger vonseiner Gruppe überlebt hatte. Die Regel be-sagte, daß er dann sofort zum Kampftor ge-bracht werden mußte. Dort würde er auf dieÜberlebenden der anderen Gruppe stoßen.

Snayssol drehte sich um. Der Wind hatteStimmen zu ihm herangetragen.

Der Hüne und zwei andere, erkannte er.Ich bin also doch nicht der einzige. Dannsprang er in das schwarze Feld.

*

Snayssol landete innerhalb eines Gebäu-des.

Merkwürdig, dachte er und stand langsamauf. Bis jetzt haben sie uns durch die Wild-nis gehetzt. Was soll das?

Snayssol erkannte kein System hinter demSpiel. Das Ganze war eine Aneinanderrei-hung gefährlicher Einzelsituationen. Daseinzige Ziel dabei war die Dezimierung derSpielergruppen.

Das Ganze ist abscheulich, dachte Snays-sol angewidert. Wir Loghanen sind intelli-gente Wesen. Auf der einen Seite schützendie Ratsmitglieder das ungeborene Lebendurch äußerst strenge Gesetze. Es ist ein to-deswürdiges Verbrechen, die Geburt eines

Jungen zu verhindern. Auf der anderen Seitewerden regelmäßig Tausende von erwachse-nen Loghanen beim Spiel der SchwarzenTore geopfert. Das ist ein offener Wider-spruch, mit dem wir nun schon seit Genera-tionen leben.

Kriege waren auf Kledzak-Mikhon unbe-kannt.

Snayssol besaß keinerlei Vergleichsmög-lichkeiten. Er kannte das Zusammenlebenanderer Rassen nicht. Er hatte seine Heimat-welt noch nie verlassen. Daher hatte er auchnie die Gelegenheit bekommen, mitzuerle-ben, wie andere intelligente Rassen ihre Ge-sellschaft organisierten. Er wußte auchnichts von regelmäßig wiederkehrendenKriegszügen, mit denen andere Völker gan-ze Epochen auslöschten. Hätte er davon eineAhnung gehabt, wäre ihm die Interpretationdes Geschehens auf Kledzak-Mikhon leich-ter gefallen.

Snayssol sah sich in dem kreisrundenRaum um, den er durch das Schwarze Torerreicht hatte. Der Durchmesser betrug an-nähernd fünfzig Meter. Eine mächtige Kup-pel bildete die Decke. Türen waren nicht zuerkennen. Die Beleuchtung erfolgte vonoben durch indirekt strahlende Leuchtröh-ren.

Links von ihm stand das Ankunftstor. Dieweiße Energie über dem schwarzen Feld warkonstant geblieben. Rechts stand das zweiteTor, und halbschräg gegenüber von ihm dasdritte. Sie waren desaktiviert.

Welche Gefahr, fragte sich Snayssol,könnte von diesen Toren ausgehen?

In diesem Augenblick reagierte der Trans-mitter, der ihn hierher befördert hatte.Snayssol trat zurück. Er sah, wie sich imschwarzen Feld drei Energiewirbel bildeten.Zuerst waren nur die schemenhaften Kontu-ren von drei Loghanen zu erkennen, dannverschärften sich die Umrisse. Drei Spielerhatten das Felsental der Eisbestien lebendverlassen können. Hinter ihnen erlosch derTransmitter.

»Sieh mal an«, knurrte der Hüne, »unserneunmalkluger Erbe hat's auch überstanden.

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Ich hätte ihm nicht die geringste Chance ge-geben. Muß wohl meine Meinung ändern.Wer 'ne Eisbestie erledigt, verdient meineAchtung.«

Der Hüne war über und über blutver-schmiert. Breite Fellstücke waren aus sei-nem Pelz gerissen worden.

Plötzlich ballte der Hüne beide Hände zuFäusten. »Zwei Bestien habe ich mit bloßenHänden erledigt. Das soll mir mal einernachmachen. Wenn wir hier 'rauskommen,werde ich euch plattquetschen. Habe näm-lich vor, zu den dreißig Überlebenden zu ge-hören.«

Der Hüne blickte sich verwirrt um. Snays-sol deutete die Unsicherheit des Spielersrichtig, indem er meinte:

»Hier helfen dir deine Muskeln auch nicht'raus! Da mußt du deinen Grips schon einbißchen mehr anstrengen.«

Der Hüne strich sich grollend über dieWunden. Sein Gesicht war verzerrt, und sei-ne Augen funkelten tückisch.

»Giftzwerg«, preßte er zwischen den Zäh-nen hervor, »dir breche ich das Genick, be-vor du ausgeatmet hast.«

»Schön und gut«, rief Snayssol und achte-te darauf, daß er dem Loghanen nicht zu na-he kam. »Wenn du mir verraten kannst, wiewir aus diesem Raum entkommen sollen,stelle ich mich dir gern zum Zweikampf.«

Der Hüne lachte unsicher. Es gab nir-gendwo ein Anzeichen für drohende Gefah-ren. Wilde Tiere würden ganz bestimmtnicht in das Gebäude eindringen. Vielleichtein paar falsch programmierte Kampfrobo-ter, aber sonst bestimmt nichts. Der Aufent-halt in einem geschlossenen Raum zerrte anden Nerven des Hünen. Er wollte kämpfenund nicht lange über seine Lage nachden-ken. Er haßte Psychofallen und ähnlicheTricks. Er akzeptierte nur das, was er sah.Alles andere verabscheute er.

»Du schweigst«, sagte Snayssol. »Na,schön … vertreiben wir uns die Zeit mit ei-nem Spielchen.«

»Deine Spielchen kenne ich schon«, brüll-te der Hüne. »Ihr Erben seid doch alle

gleich. Müßt immer mit eurem Intelligenz-quotienten prahlen. Wenn's hart auf hartgeht, kneift ihr …«

Snayssol unterbrach den Loghanen.»Bin ich der Eisbestie etwa ausgewi-

chen?«»Das hat nichts zu sagen«, murrte der

Spieler und ließ seine Armmuskeln spielen.»Du hattest eben Glück. Noch mal würdestdu das nicht überstehen.«

Die beiden anderen Loghanen standenverwirrt da. Sie wußten ebensowenig, wassie jetzt unternehmen sollten. An den Wän-den konnten sie nicht emporsteigen. Die wa-ren zu glatt. Außerdem sah es nicht so aus,als könnte man die Kuppel durchbrechen.Sie saßen in einem perfekten Gefängnis fest.

Übergangslos heulte eine Umformerbankauf. Die Digitalanzeigen der Transmitterflackerten auf.

»Es geht los … das war sicher nur eineZwischenstation!«

Snayssol schüttelte ungläubig den Kopf.»Glaube ich nicht«, sagte er nachdenk-

lich. »Die Schiedsrichter lassen niemalsLangeweile aufkommen. Die wissen genau,was sie mit uns anstellen.«

Plötzlich bildeten sich über allen dreiTransmittern grüne Sendebögen. Die Ener-gie stabilisierte sich, und die schwarzenTransportfelder erschienen zwischen denSäulen.

»Na, was habe ich euch gesagt«, schrieder Hüne. Seine Stimme wurde von denWänden zurückgeworfen und klang eigen-tümlich hohl. »Wer wagt's zuerst?«

Er blickte seine beiden Begleiter auffor-dernd an.

»Los, los …, sucht euch ein SchwarzesTor aus!«

Snayssol räusperte sich. Er hatte den Ver-dacht, daß sie hier beweisen mußten, ob sielogisch denken konnten. Das Ganze sahnach einer gefährlichen Rechen- und Denk-sportaufgabe aus.

»Spring in das erste Tor«, forderte derHüne einen Mitspieler auf.

Snayssol drängte sich zwischen die Log-

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Page 45: Hexenkessel der Transmitter

hanen.»Ich habe mir die Daten eingeprägt, die

vorhin auf dem Schaltpult eingeblendet wur-den …«

»Was willst du damit sagen? Drück dichdeutlich aus!«

»Dieselben Daten werden immer nocheingeblendet«, sagte Snayssol und deuteteauf die Digitalanzeigen. »Jedoch mit einemkleinen Unterschied. Das letzte Symbolscheint eine Umkehrung dessen zu sein, wasich in Erinnerung habe.«

»Was heißt das im Klartext?«»Wer durch dieses Tor geht, kommt wie-

der bei den Eisbestien 'raus!«Die Loghanen schwiegen verblüfft. Sie

sahen zu den flackernden Digitalanzeigenund blickten anschließend Snayssol erneutan. In ihren Augen lag Ratlosigkeit. DasProblem überforderte sie.

»Dann bleiben uns immer noch zwei To-re«, knurrte der Hüne. »Wir müssen uns ent-scheiden, durch welches wir jetzt gehen.«

Unverhofft packte der Hüne die beidenLoghanen, mit denen er aus dem Tal derEisbestien hierhergekommen war, und stießsie in das zweite Tor. Die Schreie der beidenSpieler verhallten. Es gab einen heftigenÜberladungsblitz, und die beiden waren ver-schwunden.

»Jetzt nimmst du das andere Tor«, keuch-te der Hüne und drehte sich zu Snayssol um.

Im gleichen Augenblick gab es einen lau-ten Knall. Der zweite Transmitter wurde voneinem Beben erschüttert. Blitze zuckten ausden energetischen Zuleitungen, dann er-schienen die Körper der beiden Spieler imschwarzen Feld.

»Das … ist doch unmöglich«, schrieSnayssol. »Der Transmitter steht auf Sen-den. Wie können die beiden zurückkom-men?«

Vermutlich hatten die Schiedsrichter anden Kontrollen »gedreht« und eine blitz-schnelle Rückkopplung bewirkt.

Die beiden Loghanen wurden schemen-haft sichtbar. Von einer Sekunde zur ande-ren wurden ihre Körper durchsichtig. Das

Knochengerüst erschien geisterhaft vor demschwarzen Feld, dann löste es sich auf.

Als der Transmitter erlosch, lagen zweischwarze Aschehäufchen auf dem Bodendavor.

Der Hüne stand da, als hätte ihn derSchlag getroffen.

»Diese gemeinen Schetans«, preßte erhervor. »Wenn ich einen zwischen die Fin-ger kriege …«

»An die Schiedsrichter kommst du nie-mals 'ran«, sagte Snayssol sarkastisch. »Damußt du dich schon an mich halten. Jetztsind nur noch wir zwei von unserer Gruppeübrig. Du kannst es dir aussuchen … entwe-der kehrst du zu den Eisbestien zurück, oderdu wagst den Sprung durch das dritte Tor.«

Der Hüne war sichtlich irritiert.»Du machst dich über mich lustig, Erbe!«»Warum sollte ich das?« entgegnete

Snayssol gleichmütig. »Du weißt, daß esjetzt um die Entscheidung geht. Einer vonuns muß überleben, denn nur einer von jederGruppe darf den letzten Kampfplatz betre-ten.«

Snayssol wußte plötzlich, daß er keinender beiden noch eingeschalteten Transmitterdurchschreiten durfte. Jeder war so präpa-riert worden, daß er den Tod des Spielerszur Folge hatte. Das war der Trick bei derganzen Sache.

Er mußte den Hünen dazu bringen, sofortdurch das dritte Tor zu springen.

»Hast du Angst?« fragte Snayssol schein-heilig.

»Noch einen Ton, und ich bringe dichzum Schweigen.«

Snayssol lachte und sah den Hünen her-ausfordernd an. Er durfte sich jetzt nicht an-merken lassen, daß er müde und abgekämpftwar. Er würde diesen Muskelberg nur durcheine List besiegen.

»Du kannst nur drohen«, setzte Snayssolnach. »Wenn etwas nicht gleich klappt,drehst du durch.«

Der Hüne duckte sich und schlug zorn-schnaubend nach Snayssol. Doch der wuch-tige Faustschlag ging ins Leere. Snayssol

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hatte den Angriff kommen sehen und sichblitzschnell abgeduckt.

»Bleib stehen, Erbe!«»Ich denke nicht daran. Ich bin doch kein

Selbstmörder.«Der Hüne stampfte wie eine Maschine

heran. Seine Fäuste wirbelten wie Wind-mühlenräder durch die Luft. Snayssol tän-zelte vor ihm her. Aus den Augenwinkelnheraus behielt er die beiden eingeschaltetenTransmitter im Auge. Er mußte aufpassen,daß er dem Entstofflichungsfeld nicht allzunahe kam.

»Ich zerquetsche dich, Erbe … gleich ha-be ich dich!«

Snayssol lachte und verhöhnte seinenGegner. Das wirkte augenblicklich. Der Hü-ne war kaum noch Herr seiner Sinne. Erwollte den Erben mit eigenen Händen töten,sonst nichts. Snayssol lief haarscharf amdritten Transmitter vorbei. Der Loghane wardicht hinter ihm. Er konnte den Atem desKämpfers deutlich spüren. Dann blieb er ab-rupt stehen, duckte sich und schmetterte bei-de Hände, die er ineinandergefaltet hatte,wie eine Dampframme in den Unterleib desHünen.

Der Spieler blieb stehen, als wäre er ge-gen eine unsichtbare Wand geprallt, dannkippte er hintenüber in das Transmitterfeld.

Es gab eine Entladung, und der Loghanewar verschwunden. Snayssol stand schweratmend im Kuppelsaal. Er war allein. Docher brauchte nicht lange zu warten. Von derKuppeldecke ertönte eine Stimme. Der Laut-sprecher war nirgendwo zu entdecken.

»Meinen Glückwunsch, Snayssol! Sie ha-ben sich tapfer geschlagen. Ganz Kledzak-Mikhon war Zeuge Ihrer Kämpfe. Sie habenals einziger von Ihrer Gruppe überlebt. Ih-nen wird die große Ehre zuteil, gegen dieanderen Überlebenden in der Arena zukämpfen. Vielleicht sind Sie unter den glor-reichen Fünfzehn, die der Jugend vonKledzak-Mikhon als leuchtendes Beispielvorangehen werden …«

»Wie erreiche ich den Kampfplatz?«schrie Snayssol. Das salbungsvolle Gerede

des Schiedsrichters war ihm zuwider.»Ich verstehe Ihre Ungeduld«, meldete

sich die Lautsprecherstimme erneut. »Daherwill ich Sie nicht lange auf die Folter span-nen. Ich habe soeben das zweite Tor neu ge-schaltet. Sie können es durchschreiten. Ha-ben Sie keine Angst. Ihnen wird dabei nichtspassieren.«

Snayssol wollte etwas erwidern, doch daveränderten sich die Digitalanzeigen aufdem Schaltpult des zweiten Tores. Er atmetetief durch und sprang kurz entschlossen indas pechschwarze Feld.

*

Die Arena war ungefähr tausend Meterlang und fast fünfhundert Meter breit. DieSeitenwände waren haushoch und auf derOberseite mit Ziersträuchern bepflanzt.Wolkenloser Sonnenhimmel wölbte sichüber der Kampfstätte. Die Luft erzittertevom Kampfgeschrei der Loghanen.

Snayssol stand noch neben den Transmit-terkontrollen.

Er atmete schwer. Dunkle Schemen tanz-ten vor seinen Augen. Er war am Ende sei-ner Kraft. Er wußte, daß er die nächsten paarMinuten nicht mehr lebend überstehen wür-de. Verstecke gab es in der Arena nicht. Ersah zu den Kämpfenden hinüber. Dutzendevon Loghanen attackierten einander mit denunterschiedlichsten Waffen.

Sie hatten die Speere, Fangleinen undNetze von den Haken gerissen, die in Griff-höhe an der Umfassungsmauer angebrachtworden waren.

Plötzlich preschten zwei Kämpfer aufSnayssol zu. Der eine hielt einen Speer, undder andere schwenkte ein Fangnetz.

Sie wollen mich gemeinsam erledigen,schoß es dem Erben durch den Kopf.

Snayssol packte den Dolch. Er richtetesich auf. Doch er spürte die Schwäche inden Beinen. Seine verletzte Schulterschmerzte. Er wünschte sich jetzt nur nocheines: Er wollte in Ruhe gelassen werdenund schlafen! Doch das gönnten ihm die bei-

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den Angreifer nicht.Snayssol sah, wie der eine den Speer nach

ihm schleuderte. Er duckte sich und stieß ge-gen den Schaltkasten des Transmitters. DerSpeer schnellte über seinen Kopf hinwegund raste in das Schwarze Feld. Es gabeinen Knall, und der Speer lag zerbrochenam Boden.

Na, klar! durchzuckte es den Erben. DasGerät ist ja auch auf Empfang gestellt.

Als der zweite Angreifer sein Netz nachihm schleuderte, unterlief er den Angriff undstieß mit dem Dolch zu. Der Mann sacktelautlos vor ihm, zusammen. Jetzt ergriff derSpeerwerfer die Flucht. Er drehte sich umund rannte zur Mauer zurück, wo weitereWaffen hingen. Er würde sich wieder einenSpeer schnappen und diesen Erben töten.

Snayssol stand schwer atmend da. Er sahsich um. Zahlreiche Verletzte und Tote la-gen im Arenarund. Er würde gleich genausodaliegen. Er war am Ende seiner Kraft. Ersenkte den Kopf und starrte auf die Anzeige-instrumente der Schaltkonsole des Schwar-zen Tores.

Plötzlich kam ihm ein kühner Gedanke.Wenn ich die Symbolkombination ändere,

kann ich vielleicht von hier verschwinden,dachte er wie elektrisiert. Das ist ein manu-ell umschaltbarer Transmitter. Ich müßte esauf einen Versuch ankommen lassen. Wasbei den bisherigen Toren unmöglich war, isthier durchaus machbar.

Snayssol kannte die verschiedenen Torty-pen. Es gab synchrongeschaltete Transport-ketten. Es gab Zweiwegtore, die jederzeitmit dem gewünschten Zieltor gekoppeltwerden konnten, und es gab die großen To-re, die kein Loghane programmieren konnte.

Das Kampftor, vor dem er stand, war einsogenanntes Zweiwegtor.

Hastig veränderte er die Symbolgruppen.Es genügten ein paar Handgriffe.

Welches Ziel soll ich nehmen, fragte ersich fieberhaft. Ich kenne nur wenige Ziel-symbole. In Poal-To greifen mich dieSchiedsrichter sofort auf.

Snayssol dachte instinktiv an die unterir-

dische Station, in der die Mißgestalteten da-hinvegetierten. Er kannte die Symboldatendes Transmitters auswendig.

Nein, sagte er zu sich selbst. Die Kreatu-ren würden mich sofort töten.

Mehrere Angreifer hatten ihn aufs Korngenommen. Sie schwenkten ihre primitivenWaffen und stürmten auf ihn zu. Es sah soaus, als wollten sie sich das Opfer streitigmachen.

Entweder ich verschwinde hier, sagte sichSnayssol, oder ich lasse diese Burschen ver-schwinden.

Er entschied sich blitzschnell für diezweite Lösung. Hastig programmierte er dieSymboldaten für das Tor unter dem Dschun-gel. Wenig später gaben die Digitalanzeigenden richtigen Wert an. Die helle Farbe desEmpfangsfeldes verfärbte sich grünlich. Imgleichen Augenblick heulten Alarmsirenenauf.

Die Schiedsrichter haben meinen kleinenTrick erkannt, stellte Snayssol fest. Dannmuß ich ebenfalls von der Bildfläche ver-schwinden. Aber ich warte solange, bis diemeisten vor mir durchs Tor gegangen sind.Damit lenke ich die Mißgestalteten am Emp-fangstor von mir ab.

Snayssol wich den ersten Kämpfern ge-schickt aus. Als sie den funktionierendenTransmitter sahen, änderten sie ihre Taktik.Sie schienen zu vermuten, daß die Schieds-richter die Transportrichtung umgepolt hat-ten. Einem Mitspieler trauten sie diese Fer-tigkeiten nicht zu.

»Wir werden im Lebenstor landen«, rie-fen die ersten. »Folgt mir! Wenn wir fünf-zehn sind, muß sich das Tor abschalten.«

Aus den Augenwinkeln heraus sah Snays-sol, daß sich mehrere Polizeigleiter über dasArenarund herabsenkten.

Ich muß den richtigen Augenblick abpas-sen, sagte sich Snayssol. Ich lasse die Hordedurch das Tor springen, dann folge ich ih-nen.

Snayssol versuchte sich vorzustellen, wiesich die Mißgestalteten verhalten würden,wenn die Spieler erschienen. Er ahnte, daß

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sich in der unterirdischen Transmitterstationschreckliche Szenen abspielen würden.

Jetzt verschwanden die ersten Spieler imSchwarzen Tor.

Snayssols Körper dehnte sich. Gleichmußte er den Spielern folgen. Jede Sekundewar wichtig. Als etwa zehn Loghanen imTor verschwunden waren, rannte er los. Ersah weder nach rechts, noch nach links. Unddas wurde ihm zum Verhängnis. Der Poli-zeigleiter näherte sich lautlos und mitHöchstgeschwindigkeit.

Es gab einen Ruck. Ein Polizist legte seinBlasrohr an die Lippen, und wenige Augen-blicke, später brach Snayssol betäubt zusam-men. Er lag nicht einmal einen Meter vonder Warnlinie des Transmitters entfernt amBoden. Zahlreiche Loghanen liefen achtlosan ihm vorüber und sprangen in das Tor.Das ging noch ein paar Minuten so weiter.Erst dann schalteten die Schiedsrichter dasTransmittertor aus.

Von den Spielern, die es passiert hatten,wurde nie wieder etwas gehört.

7.Das Urteil

Der Erbe Snayssol stand zum zweiten-und letztenmal vor den Ratsmitgliedern Ta-moyl, Kenyol und Rassafuyl. Die Mienender Loghanen wirkten eisig. Besonders Ras-safuyl trug seine Ablehnung offen zurSchau.

»Der Erbe Snayssol hat den Tod ver-dient«, schrie er unbeherrscht. »Hätten Sieauf mich gehört, wäre das Ganze nicht pas-siert. Snayssol ist ein unverbesserlicher Re-bell. Ihn können wir nicht ändern. Aber erkann unsere Gesellschaft gefährden. Er undseinesgleichen haben doch nichts anderes imSinn, als Kledzak-Mikhon in ein Tollhaus zuverwandeln …«

Snayssol folgte der Haßtirade ungerührt.Er befand sich in einem Zustand, in demihm alles egal war. Er fühlte sich wie leerge-brannt. Die stundenlangen Verhöre hattenihn zermürbt. Er war müde und abgekämpft.

Sein Hals war wie ausgetrocknet. Den Hun-ger spürte er kaum noch.

»Ich habe Durst«, flüsterte er schwach.»Gebt mir etwas zu trinken.«

Rassafuyl ging überhaupt nicht darauf ein.»Ich stelle den Antrag, diesen Erben an

einem geheimen Ort von einem Feuerkom-mando zu verbrennen«, sagte er. »Ich erwar-te, daß Sie meinem Antrag stattgeben.«

Tamoyl und Kenyol schüttelten die Köp-fe.

»Sie machen es sich zu einfach, Rassa-fuyl«, erwiderte Tamoyl. »Haben Sie etwaschon vergessen, daß Sie einmal genausowißbegierig und ungeduldig waren wie derErbe Snayssol?«

»Ich habe mich immer an die Gesetze ge-halten«, kam die gefühllose Antwort desRatsmitglieds.

Tamoyl wandte sich an Snayssol. Die Au-gen des alten Erben drückten eher Mitgefühlals Zorn aus.

»Warum rühren Sie an Dinge, die manbesser unausgesprochen lassen sollte?« frag-te er Snayssol.

Der Gefangene hob mühsam den Kopf.Seine Augenlider waren verkrustet, und diedunkle Breitschnauze war trocken wie einStück gegerbtes Leder.

»Ich … muß wissen, wer die Ahnen wa-ren! Ich will wissen, was uns zu dem ge-macht hat, was wir jetzt sind!«

Die beiden Ratsmitglieder nickten einan-der lächelnd zu.

»Das dachten wir uns«, sagte Kenyol fürseinen Kollegen. »Ihre Intelligenz ließ Ihnenkeine Ruhe. Sie strebten nach dem verbote-nen Wissen und übertraten dabei zwangsläu-fig die Gesetze. Das ist verständlich, kannaber niemals entschuldigt werden …«

»Das verlange ich auch nicht«, sagteSnayssol stockend.

Tamoyl nickte Kenyol zu. Rassafuyl woll-te etwas aufbrausend entgegnen. Doch diebeiden alten Erben brachten ihn durch eineHandbewegung zum Schweigen.

Tamoyl öffnete den Tresor des Triumvi-rats. Snayssol folgte dem Treiben des alten

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Loghanen mit brennenden Augen. Er sah,wie Tamoyl ein großes, farbiges Bild her-ausnahm. In einem Seitenfach lagen zahlrei-che Speicherkristalle. Snayssol entdeckteunter den Sachen auch den Druckluftnadler,den er dem Schetankopf abgenommen hatte.

»Sehen Sie sich das an, Erbe Snayssol …und ein Teil Ihrer Neugier wird gestillt sein.Mehr können wir für Sie nicht tun.«

Snayssol nahm das Bild mit zitternderHand entgegen. Es stellte ein fremdrassigesWesen dar. Das Gesicht ähnelte der loghani-schen Physiognomie, war jedoch völlignackt. Nur auf dem Kopf wuchsen tiefschwarze Haare. Die Augen, leuchteten dun-kel, und die haarlose Haut besaß einen samt-braunen Ton. Das Gesicht drückte trotz sei-ner »Nacktheit« Durchsetzungsvermögenund Intelligenz aus.

»Wer ist das?« fragte Snayssol. »Das We-sen gehört nicht zu unserem Volk.«

Rassafuyl stieß einen Wutschrei aus.»Ihr dürft ihm das Bild des Ahnen nicht

zeigen!«»Warum nicht, Rassafuyl?« fragte Ta-

moyl. »Der Erbe Snayssol wird den Tagnicht lebend überstehen. Ich meine, wir soll-ten ihm einen Teil seiner Ungewißheit neh-men.«

»Ein Ahne?« stieß Snayssol entsetzt her-vor. »Wie können die Ahnen so fremdartigaussehen? Ich dachte, unsere Ahnen seienLoghanen wie wir gewesen. Das muß einIrrtum sein.«

Snayssol warf das Bild auf den Boden. Erkrümmte sich wie unter unbeschreiblichenSchmerzen zusammen. Er schrie und jam-merte.

»Nein … das kann nicht die Wahrheitsein! Unsere Ahnen waren Loghanen! Ihrlügt!«

Rassafuyl winkte seinen Kollegen unauf-fällig zu.

»Es wird Zeit, daß wir ihn entfernen.«»Nein«, schrie Snayssol. »Sagt doch, daß

Ihr lügt! Das Bild stellt ein Phantasiewesendar. Sagt doch, daß wir nicht umsonst ster-ben! Das Spiel der Schwarzen Tore muß

doch einen Sinn haben.«»Natürlich hat es einen Sinn«, erklärte

Tamoyl. »Das Spiel der Schwarzen Tore isteine bittere Notwendigkeit. Wenn unserVolk erst einmal begreift, woher es kommtund was es ist, dann wird es untergehen.«

»Was sind wir?« fragte Snayssol schrei-end. »Was sind wir? Woher kommen wir?«

Die Ratsmitglieder schüttelten bedauerndden Kopf.

»Das können wir Ihnen nicht sagen, ErbeSnayssol!« – Mehrere Polizisten betratenden Saal des Triumvirats. Sie hielten Stahl-peitschen in den Händen.

»Packt ihn«, rief Rassafuyl. »Achtet nichtauf seine Worte. Er ist verrückt geworden.Schafft ihn zum Beginntor von Poal-To. Ersoll mit den letzten Auserwählten durch dasSchwarze Tor gehen.«

»Das ist Mord … kaltblütiger Mord«, riefSnayssol. »Ihr wißt genau, daß ich nichtnoch einmal alle neun Tore durchschreitenkann. Ich werde schon beim ersten Tor ster-ben.«

»Man wird uns nicht nachsagen können,daß wir einen Erben leichtfertig getötet hät-ten«, rief Rassafuyl höhnisch. »Sie sollen Ih-re Chance bekommen, Erbe Snayssol!«

Die Polizisten trieben den schreienden Er-ben brutal vor sich her. Als Snayssol einenFluchversuch wagte, schlugen sie ihn mit ih-ren Stahlpeitschen nieder. Dann schleiftensie ihn zum Beginntor von Poal-To. Hierverschwanden gerade die letzten Spieler derzweiten Großgruppe im Endstofflichungs-feld. Snayssol stemmte sich verzweifelt ge-gen den Griff seiner Schergen. Doch dasnütze ihm nichts. Sie zerrten ihn bis vor dasBeginntor von Poal-To.

Das ist mein Ende, dachte Snayssol pani-kerfüllt. Ich werde sterben!

Sein Angstschrei brach ab, als ihn dasEntstofflichungsfeld erfaßte. Wenig späterwar Snayssol verschwunden. Und mit ihmdie restlichen Spieler.

8.An Bord der ISCHTAR

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Das dreihundert Meter große Kugelraum-schiff stand über dem Planeten Kledzak-Mikhon. Sämtliche Ortungsinstrumente wa-ren auf den Planeten gerichtet, dessen äuße-res Erscheinungsbild die Existenz einer in-telligenten Rasse verhieß. Der Sauerstoffpla-net besaß drei große Kontinente, zahlreichekleine Inseln und weitausgedehnte Polkap-pen. Die Schwerkraft betrug 1,1 Gravos, unddie mittlere Temperatur lag bei dreißigGrad. Die Eigenrotation betrug knapp vie-runddreißig Stunden. Monde waren nichtvorhanden.

Auf dem Panoramabildschirm der Zentra-le erschien zunächst die Gesamtschau desPlaneten. Doch schon jetzt konnte man er-kennen, daß der Planet bewohnt war. Mehre-re große Städte unterbrachen das saftigeGrün der ausgedehnten Savannen und Wäl-der.

»Umschalten auf Ausschnittvergröße-rung!« befahl Akon-Akon, dessen suggesti-ve Fähigkeiten die Besatzung unter einemunheimlichen Zwang hielten.

Die Bildschirmeinblendung verändertesich. Rasend schnell erschien das Bild einergroßen Stadt. Riesige Turmbauten wurdensichtbar. In den Straßen wimmelte es vonfremdartigen Wesen.

»Ich möchte bloß wissen, was der Knabefür ein Interesse an diesem Planeten hat«,meinte Ra ungebührlich. Mit »Knaben« be-zeichnete er Akon-Akon.

Karmina Arthamin zuckte mit den Schul-tern.

»Wenn ich das wüßte, wäre mir auchwohler. Ich würde viel darum geben, wennwir Akon-Akon zwingen könnten, nach Ke-tokh zurückzukehren, um Atlan und Fartu-loon an Bord zu nehmen. Aber dieses Jün-gelchen hat uns leider in der Gewalt. Seit eran Bord ist, geht alles schief. Wir könnenfroh sein, daß er uns wenigstens miteinanderreden läßt.«

Ra und Karmina Arthamin konnten nichtwissen, daß sich Atlan und Fartuloon in die-sem Augenblick in der Station des Magnor-töters befanden. Es wäre also völlig unsinnig

gewesen, nach Ketokh zurückzufliegen.»Ah, diese ekelhaften Kreaturen«, schrie

Akon-Akon angewidert.Auf dem Bildschirm waren unzählige

Grünpelze zu erkennen, die sich um dieBildschirme scharten, die man in den Stra-ßen der planetarischen Stadt aufgestellt hat-te.

Die Instrumente auf dem Kontrollpultzeigten starke Transmittertätigkeit an.

»Na, so abscheulich können die Fremdendoch gar nicht sein«, mischte sich Ra ein.Der Barbar spürte, wie der suggestive DruckAkon-Akons auf sein Bewußtsein nachließ.»Wenn sie Transmitter entwickelt haben,stehen sie auf einer uns vergleichbaren tech-nischen Entwicklungsstufe.«

»Nein«, wehrte Akon-Akon ab. SeineMiene drückte Abscheu und Ekel aus.»Diese Kreaturen haben keine Transmitterentwickelt. Dazu wären sie niemals fähig.«

»Warum sind wir dann hierhergekom-men?« fragte Karmina Arthamin.

»Das ist meine Sache«, erwiderte Akon-Akon. Sein Gesicht verdüsterte sich, und ersenkte den Kopf. Er schien einen innerenKampf auszufechten. Niemand an Bord ver-mochte sich zu erklären, was in den geheim-nisvollen Jungen gefahren war.

Ra veränderte erneut die Bildschirmein-stellung.

Jetzt tauchten Szenen eines brutalenKampfes auf. Die Grünpelze dröschen mitunterschiedlichen Waffen auf ihre Artgenos-sen ein. Mehrere von ihnen lagen sterbendam Boden. Staub wirbelte auf, und weiterhinten erblickte Ra einen Transmitter.

»Merkwürdiges Modell«, murmelte er.»Im ganzen Imperium gibt es diese Kon-struktionen nicht.«

Dann erblickte er den Grünpelz, der vorseinen Artgenossen davonrannte. Er bluteteaus zahlreichen Wunden. Nicht mehr lange,und die anderen hatten ihn eingeholt.

Ra konnte sein Mitgefühl nicht aus-drücken. Er empfand es als ungerecht, wennein Wesen von einer erdrückenden Über-macht zu Tode gehetzt wurde.

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»Ich will diesen Grünpelz retten! Ich er-bitte Starterlaubnis.«

Akon-Akon rührte sich nicht. Der Jungestarrte gedankenverloren auf den Boden.Sein Blick schien ins Leere zu gehen.

»Na, also … wenn das alles ist, kann ichdas Kommando über die ISCHTAR über-nehmen«, scherzte Ra.

Der Suggestor reagierte auch darauf nicht.Auch den anderen Besatzungsmitgliedernwurde bewußt, daß der suggestive Zwangnachgelassen hatte.

Ra verließ die Zentrale und eilte zu denBeiboothangars. Unterwegs begegnete erzwei jungen Technikern.

»Ah, Nordol und Kestin Bulovo! Sie kön-nen mich bei einem kleinen Ausflug beglei-ten. Machen Sie ein Beiboot startklar. Ichprogrammiere inzwischen den Kurs.«

»Aber dieser Junge«, bemerkte der Tech-niker mißtrauisch. »Er wird den Start ver-hindern.«

»Keine Angst«, sagte Ra und ließ dasschwere Hangarschott aufgleiten. »Dermacht uns im Augenblick keine Schwierig-keiten. Kann sein, daß er bald wieder zurBesinnung kommt … aber bis dahin habenwir einen Grünpelz an Bord. Ich hoffe, derBursche kann uns mehr über seinen Planetenverraten. Ich will nämlich unbedingt wissen,weshalb Akon-Akon uns hierher geschleusthat!«

*

Das Beiboot raste mit Höchstgeschwin-digkeit auf den Kampfplatz zu, den Ra aufdem Zentralebildschirm gesehen hatte.

Die Befürchtungen der beiden Techniker,die planetaren Abwehrforts könnten sie or-ten und abschießen, hatten sich glücklicher-weise nicht bewahrheitet. Die Raumhäfenwaren verlassen. So weit sie sehen konnten,existierte kein einziges Raumschiff auf die-ser hochtechnisierten Welt.

»Dort unten müßte es sein«, sagte Bulovound deutete mit dem Zeigefinger auf dieSichtluke.

Ra verringerte die Geschwindigkeit so ab-rupt, daß ein paar Gravos die Abschirmungdurchschlugen. Die Arkoniden ächzten undatmeten tief durch.

»Laß die Scherze, Ra … ich habe keineLust, abzustürzen und mich mit dem Grün-pelzen herumzuprügeln.«

»Das ist unser Mann«, rief Ra. »Er hatsich tapfer geschlagen. Hätte nicht gedacht,daß er es so lange aushalten würde.«

Im gleichen Augenblick blieben dieKämpfer stehen. Sie hoben die Köpfe unddeuteten auf das Beiboot der ISCHTAR.

Im Hintergrund erlosch das Transportfelddes Transmitters. Mehrere Gleiter schossenmit hoher Geschwindigkeit davon.

»Sie haben uns entdeckt«, meinte Ra.»Wir scheinen ganz schön Verwirrung zustiften!«

Jetzt hoben zwei Grünpelze ihre Speere.Sie zielten auf ihren Artgenossen, der kraft-los am Rand einer Felsengruppe zusammen-gebrochen war.

»Paralysefächer aktivieren«, schrie, Ra.»Aktiviert«, entgegnete Nordol.»Ziel erfassen und … Feuer!«Bevor die Bepelzten ihr Opfer töten konn-

ten, blitzte es an der Spitze des Beibootsgrell auf. Ein gefächerter Energiestrahl rasteauf die Wesen zu, hüllte sie ein und erlosch.Sie brachen lautlos zusammen und bliebenin merkwürdig verkrampfter Haltung amBoden liegen.

Der Flüchtling stand auf und blickte ratloszum Beiboot empor.

»Wir nehmen ihn an Bord«, befahl Ra.»Langsam runtergehen und untere Schleuseöffnen.«

Ra erhob sich vom Kommandositz undging zum offenstehenden Schott hinüber. Ergrinste übers ganze Gesicht. Die Aktion be-reitete ihm anscheinend großen Spaß.

»Erschrecken Sie den armen Grünpelznicht noch mehr«, meinte der Techniker amSteuerpult.

»Keine Angst«, rief Ra und verschwandnach unten.

Inzwischen schwebte das Beiboot knapp

Hexenkessel der Transmitter 51

Page 52: Hexenkessel der Transmitter

zwei Meter über dem Boden. Der entsetzteGrünpelz stand nur wenige Meter von deraufgleitenden Schleuse entfernt.

Als er den dunkelhäutigen Barbaren imInnern des großen Fahrzeugs erkannte,stöhnte er unterdrückt auf. Er bedeckte dieAugen mit beiden Armen und ging ein paarSchritte rückwärts.

In der Ferne tauchte ein ganzer Pulk vonPolizeigleitern auf.

Ra erkannte die Bedrohung sofort. Er sah,daß die Besatzungen bewaffnet waren.

»Komm schon«, rief Ra dem Grünpelz zu,»oder sollen dich deine Artgenossen dochnoch erwischen? Sah vorhin verdammtschlecht für dich aus.«

Der Bepelzte reagierte nicht auf Ras Wor-te. Er nahm jedoch die Arme von den Augenund starrte verständnislos auf das arkonidi-sche Beiboot.

»Wir verlieren zuviel Zeit«, schrie Ra.»Komm endlich her! Ich habe die Reisenicht umsonst gemacht.«

Die Polizeigleiter kamen mit unvermin-derter Geschwindigkeit näher.

»Ich heiße Ra«, sagte der Barbar und deu-tete auf sich.

Das schien der Grünpelz zu verstehen. Ermachte dieselbe Geste und sagte in einer

merkwürdig bellenden Sprache: »Snayssol!«Damit war der Bann gebrochen. Der Log-

hane rannte auf die offenstehende Schleusezu und reichte dem Barbaren die viergliedri-ge Klaue. Ra packte zu und half dem Frem-den ins Beiboot. Sekunden später schlossensich die beiden Hälften der äußeren Schleuseund das Boot hob vom Boden ab.

»Schade, Snayssol«, sagte Ra und blickteden Grünpelz fest an. »Schade, daß wir kei-nen Translator an Bord haben. Dann könn-ten wir uns jetzt schon ausgiebig unterhal-ten. Aber das werden wir an Bord der ISCH-TAR nachholen. Ich bin sicher, daß du mireine ganze Menge interessanter Dinge überdeine Heimat erzählen kannst.«

Snayssol nickte lächelnd. Der Dunkelhäu-tige gefiel ihm. Er vertraute ihm instinktiv.

»Ra?« knurrte er freudig erregt.»Schon gut, ich weiß, daß du's gut

meinst«, erwiderte der Barbar. »Komm mithoch. Wir plündern erst mal die Vorrats-kammer, sonst fällst du mir noch vomFleisch!«

ENDE

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52 Dirk Hess