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Online-Forum Medienpädagogik http://lbs.bw.schule.de/onmerz Seite 1 Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart  Aut or: Knut Hickethier. Titel : Zur Analyse des Visuellen, des Auditiven und des Narrativen. Quelle : Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar, 2. überarb.  Aufl . 19 96. S. 42-155 . (Au szug )  Verlag : J. B. Metzler Verlag. (http://www.metzlerverlag.de ) Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Inhaltsverzeichnis IV. ZUR ANALYSE DES VISUELLEN 3 1. Das Bi ld 3 Das fotografische Bild 4 Das kinematographische Bild 5 Rahmen 6 Format 7 Teil und Ganzes innerhalb des Bildformats 9 Komposition 10 Die Ordnung der Dinge im Bild und ihre Bewegung 12 Vom Bild zur Bilderfolge 13 2. Kategorien zur Beschreibung des filmischen Bildes 14 Größe der Einstellung als Nähe-Distanz-Relation 16 Kameraperspektive 19 Bewegungen von Kamera und Objekt 20 Bewegungsrichtungen 22 Dynamik des Bewegungsflusses 24 Die Veränderung der Begriffe durch die Technik 24 3. Bildraum, Architektur und Licht 26 Der mechanische’ Bildraum 27  Natur u nd geb aute r Umrau m 28 Architektur als Sujet 31 Lichtgestaltung 32 Kategorien des Lichts 34  Narrat iver Raum 36 4. Elektronische Bildgewebe 38 Das Fernsehbild 39 Stanzbilder, elektronische Texturen, Bildgewebe 41

Hickethier Film Und Fernsehanalyse 1 30

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    Autor: Knut Hickethier.Titel: Zur Analyse des Visuellen, des Auditiven und des Narrativen.Quelle : Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar, 2. berarb.Aufl. 1996. S. 42-155. (Auszug)Verlag: J. B. Metzler Verlag. (http://www.metzlerverlag.de)Die Verffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

    Inhaltsverzeichnis

    IV. ZUR ANALYSE DES VISUELLEN 3

    1. Das Bild 3

    Das fotografische Bild 4

    Das kinematographische Bild 5

    Rahmen 6

    Format 7

    Teil und Ganzes innerhalb des Bildformats 9

    Komposition 10

    Die Ordnung der Dinge im Bild und ihre Bewegung 12

    Vom Bild zur Bilderfolge 13

    2. Kategorien zur Beschreibung des filmischen Bildes 14

    Gre der Einstellung als Nhe-Distanz-Relation 16

    Kameraperspektive 19

    Bewegungen von Kamera und Objekt 20

    Bewegungsrichtungen 22

    Dynamik des Bewegungsflusses 24

    Die Vernderung der Begriffe durch die Technik 24

    3. Bildraum, Architektur und Licht 26

    Der mechanische Bildraum 27

    Natur und gebauter Umraum 28

    Architektur als Sujet 31

    Lichtgestaltung 32

    Kategorien des Lichts 34

    Narrativer Raum 36

    4. Elektronische Bildgewebe 38

    Das Fernsehbild 39

    Stanzbilder, elektronische Texturen, Bildgewebe 41

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    V. ZUR ANALYSE DES AUDITIVEN 44

    1. Ton 44

    Gerusche 45

    Musik 47

    2. Sprache im Film 51

    3. Wort-Bild-Verbindungen 55

    VI. ZUR ANALYSE DES NARRATIVEN 58

    1. Erzhlen und Darstellen 58

    Story, Fabel, Thema 60

    Bedeutungsschichten 62

    Denotation und Konnotation 63

    Gestaltete Abfolge 64

    2. Dramaturgie 66

    Geschlossene und offene Form 67

    Anfang und Ende 68

    Figurenkonstellationen 69

    3. Erzhlstrategien 71

    Point of view und Erzhlhaltung 72

    Erzhlzeit und erzhlte Zeit 74

    Zeitraffung und Zeitdehnung 75

    4. Montage und Mischung 82

    Montage der Einstellungen 83

    Montage der Sequenzen 84

    Dramaturgie, Erzhlen und Montage als Einheit 86

    Der unsichtbare Schnitt 87

    Der unsichtbare Schnitt als filmischer Realismus? 91

    Montage als Kollision 92

    Montage des Autorenfilms 93

    Bildmischung - Transparenz des Televisuellen 94

    Die Materialitt elektronischer Bilder 95

    Innere Montage 97

    X. LITERATURVERZEICHNIS 100

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    IV. Zur Analyse des Visuellen

    Materialitt und Immaterialitt, Flchtigkeit und Fixierung kennzeichnen also das au-diovisuelle Bild. Einerseits ist es fixierbar auf einen Trger (Nitrozellulose, Triacetat-film, Magnetband, Compact Diskette, Computerspeicher), kann bearbeitet und vern-dert und beliebig oft reproduziert werden. Andererseits kann das elektronische Bild (imFernsehen) flchtig sein, ist nicht unbedingt an eine Fixierung auf einen Trger gebun-den. Als live erzeugtes Bild wird es im Augenblick seines Entstehens ber Radiowellenbertragen und von Betrachtern auf Bildschirmen an ganz anderen Orten wahrgenom-men.

    Das audiovisuelle Bild ist zweidimensional. Das fotografische Abbilden von vorfilmischerRealitt erzeugt jedoch die Illusion eines dreidimensionalen Raumes. In der spezifischenVerzahnung von Raum und Zeit, in der Dynamisierung des Raumes und der Ver-rumlichung der Zeit liegt deshalb die Besonderheit der audiovisuellen Medien (Pa-nofsky 1967, S. 343ff.).

    Das Bild erscheint traditionell als eine ortsgebundene Organisation der Dinge ohne einedurch das Material vorgegebene Zeitstruktur. Erzhlen wird dagegen als eine Organisa-tion eines Geschehens in der Zeit verstanden. Durch die audiovisuellen Medien hat sichdieser Gegensatz zu einer neuen Form des bildhaften Erzhlens und des narrativen Zei-gens verbunden. Das Erzhlen hat sich durch den Gebrauch von Bildern verndert, unddie Bilder sind durch das Erzhlen andere geworden.

    1. Das Bild

    Da Menschen Bilder machen und sich diese anschauen, ist Teil unseres Lebens. DieWelt abzubilden, sich von ihr und dem Menschen in ihr ein Bild zu machen, ist Merk-mal und Bestandteil der Kultur. Dabei ging es beim Schaffen von Bildern zunchst nichtdarum, das abzubilden, was ohnehin schon zu sehen war, sondern das darzustellen, wasnicht da war. Das Abwesende im Bild anwesend zu machen, ist eine der frhen und we-sentlichen Aufgaben des Bildes, ob beim Jagdzauber, bei der Beschwrung der Dmonenoder bei der Verehrung eines Gottes. Das Bild steht stellvertretend fr etwas Anderes,das nicht anwesend ist, dessen Existenz aber durch das Bild behauptet wird. Hufig,etwa bei profanen Bildsujets, ist die Existenz des Abgebildeten unstrittig, ist das Abbildam Abgebildeten berprfbar. Sehr viel fter aber, etwa bei religisen Bildern, handeltes sich um Darstellungen von etwas Ungesehenem, um Visualisierungen einer Gtterge-schichte, eines heilig erklrten Textes, eines berlieferten Berichts. Das Bild galt vielenMenschen als Beweis der Existenz des Ungesehenen.

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    Der Kunsttheoretiker Richard Hamann hat in diesem Zusammenhang betont, da dasAbbild hufig nicht nur als Bild, sondern als das Abgebildete selbst verstanden wurde,da es fr wahr gehalten und als lebendig galt. Er sprach von der magischen Wirkungdes Bildes und sagte: Diesem Glauben an die verwirklichende Kraft der Vertretung,diese Gleichsetzung von Vertretenem und Vertretendem unterliegt auch der aufgeklr-teste Mensch in irgendeiner Weise. (Hamann 1980, S. 18f.). Hamann betont vor demHintergrund der kunstgeschichtlichen Entwicklung, da der Schein von Anwesenheit,da Prsenz und Reprsentation um so mehr zustande kommen, je mehr das Bildfr wirklich gehalten werden kann, je illusionistischer es wirkt. (Ebd.) Es entsteht alsoein sich gegenseitig bedingendes System: Die magische Wirkung des Bildes fhrt zurAnnahme, es vertrete und beherrsche das Reale; der Eindruck der Stellvertretung fhrtezur Steigerung der Illusion durch die Kunst.

    Die Geschichte der abendlndischen Malerei seit der Renaissance lt sich bis ins 19.Jahrhundert hin als Ausbau der visuellen Illusionsbildung darstellen. Die Erfindung derZentralperspektive in der Renaissance und ihre Anwendung in der Malerei bildeten denAusgangspunkt fr diese Entwicklung, die wir mit dem Wort Illusionismus nur unvoll-kommen kennzeichnen, weil es auch um das Verhltnis von Abbildung und Abgebilde-tem, von Bild und Realitt ging. Das Abgebildete sollte nicht mehr nur aufgrund einer ineinem Regelkanon festgelegten Bedeutung dargestellt werden, sondern sollte sich auch -bei aller subjektiven Organisation des Bildes durch den Knstler - mit der visuellen Er-fahrung der Menschen verknpfen lassen. Da die Gre des Abgebildeten nichts mitseiner Bedeutung, wie noch in der mittelalterlichen Malerei, zu tun habe, sondern etwasmit der Entfernung des Abgebildeten zum Betrachter, entsprach zwar der realen Erfah-rung der Menschen, die ihnen sagte, da ein weit von ihnen entfernt stehender Menschin ihrem Blickfeld kleiner erschien als einer, der dichter bei ihnen stand. Aber dies ineinem Bild auch so darzustellen, war ein neues Problem, das ein neues Sehen von Bil-dern provozierte. Die perspektivische Darstellung als eine Konstruktion und ihre Kon-ventionalisierung im Laufe der Jahrhunderte trug dazu wesentlich bei, so da sie heuteals natrlicher Ausdruck unserer Wahrnehmung erscheint.

    Das fotografische Bild

    Fr das Filmbild ist der unmittelbare Vorlufer das fotografische Bild. Es ist zugleichTeil der Kinematographie und des Fernsehens. Anstelle der malerischen, zeichnerischenoder plastischen Umsetzung tritt ein opto-chemo-mechanisches Verfahren, das in einemscheinbar objektiven Abbildungsvorgang ein Bild eines vorgefundenen oder arrangier-ten Realittsausschnittes liefert. Die Subjektivitt des Knstlers wird damit scheinbaraus dem Abbildungsvorgang und dem Herstellen des Bildes eliminiert, obwohl die Foto-grafie noch lange auf Darstellungsweisen der Malerei zurckgriff, die sich im 19. Jahr-

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    hundert herausgebildet hatten (vgl. Kemp 1979ff.). Sie benutzte diese, weil sie dieWahrnehmung der Betrachter prgten und ber ihre Vertrautheit sich das Neue desfotografischen Bildes vermitteln lie. Die technische Bildherstellung ermglichte nuneine ganz neue umfangreiche Verbildlichung von Welt. Die physische Realitt wurdefotografisch reproduzierbar.

    Mit der bildenden Kunst verband das fotografische Bild die Unbewegtheit des Abgebil-deten, die Fixierung des Augenblicks. In der am Ende des 19. Jahrhunderts entwickeltenSchnappschu-Fotografie konnten auch Bilder bewegter Objekte aus der Bewegungheraus geschossen werden, konnte der Eindruck von Bewegung - im angehaltenen Zu-stand - suggeriert werden (vgl. auch Kemp 1980).

    Durch die vom Apparat neu geschaffene Beziehung des Bildes zum Abgebildeten ent-stand eine Macht im Anschaulichen, die jenseits von Sprache und sprachlicher Darstel-lung durch das Zeigen einen Eindruck von unmittelbarer Direktheit, von Realitt selbsterzeugte.

    Das fotografische Bild kann bis heute durch das Zeigen von bislang Ungeschautem denBetrachter auf unerwartete Weise treffen und zutiefst beeindrucken. Immer wieder gibtes trotz des massenhaften Bildkonsums auch heute noch solche Bilderlebnisse, die einenSchock auslsen knnen, wie es Worte nicht vermgen. Im Festhalten des Bildes stecktauch der Wunsch, dem zeitlichen Vergehen zu entkommen, denn die fotografische Wie-dergabe beglaubigt, da das, was ich sehe, tatschlich gewesen ist. (Barthes 1989, S.92). Doch das Bild erinnert damit um so mehr an die Unausweichlichkeit des Vergehens,indem die zeitliche Differenz zwischen Aufnahme und Betrachtung wchst. Erhaltenbleibt gerade auch im fotografischen Abbild des Alltglichen die Magie des Bildes.

    Da die fotografische Apparatur mit dem sehenden Objektiv das Abgebildete wirklich-keitsnher, authentischer und damit echter zeigt, war eine Annahme des 19. Jahrhun-derts, aus ihr resultiert der noch heute vielfach vorhandene Glaube an die unverstellteDarstellung von Realitt durch die Technik. Sie begrndet sich in der zeitgenssischenSehnsucht nach grtmglicher hnlichkeit der Abbildung mit dem Abgebildeten, wobeidiese hnlichkeit eine der ueren Erscheinung ist, nicht etwa einer inneren Befind-lichkeit.

    Das kinematographische Bild

    In der fotografischen Fixierung des Augenblicks liegt bereits das Streben nach der Er-zeugung bewegter Bilder. Film ist, schon in seinen Anfngen, bewegte Fotografie; foto-grafiert wurde alles, was wirklich war, weil es sich bewegte. (Paech 1990, S. 25). DieFundierung des Films in der Fotografie hat Siegfried Kracauer in seiner Theorie des

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    Films (1973, S. 26ff.) ausfhrlich beschrieben. Kracauer sprach dem kinematographi-sche Bild eine realistische Tendenz zu, die in der Wiedergabe und Aufdeckung physi-scher Realitt bestehe (ebd., S. 61 ff.) und die eine Darstellung der Realitt ermgliche,wie sie sich in der Zeit entfaltet. (Ebd., S. 71). Kracauer unterschied zwischen regi-strierenden und enthllenden Funktionen des Bildes. Als registrierend beschrieb erAufnahmen, die schon bekannte Sachverhalte zeigen, als enthllend verstand er Auf-nahmen, die dem Zuschauer etwas zeigen, was er ohne die Filmkamera nicht wahrneh-men wrde: im Kleinen innere Zustnde, Visionen, im Groen unberschaubare Zu-sammenhnge wie z.B. Kriegsaufmrsche; dazu berraschende Ansichten vertrauterSachverhalte, Details, die einen greren Zusammenhang charakterisieren.

    Als Besonderheit stellte er vier Affinitten zur Realitt heraus, die das filmische Bildmit der Fotografie gemeinsam habe: Die Affinitt

    a) zur ungestellten Realitt, also zum Nichtinszenierten in der Wirklichkeit;

    b) zum Zuflligen, zum Flchtigen, z.B. auf den Grostadtstraen;

    c) zur Endlosigkeit, die sich gerade in der Unabgeschlossenheit wirklicher Geschehenuert, und

    d) zum Unbestimmbaren,, das sich nicht zuletzt in der Mehrdeutigkeit von Geschehenuert. (Ebd., S. 95ff.)

    Zustzlich sei dem Film eine - der Fotografie versagte - Affinitt zum Kontinuum desLebens oder Flu des Lebens ( ... ), der natrlich identisch mit dem abschlulosen, offe-nen Leben ist, eigen. (Ebd., S. 109)

    Diese These von der Affinitt des Films zum Flu des Lebens nimmt den Zeitaspekt inbesonderer Weise auf. Kracauer: Der Begriff Flu des Lebens umfat also den Strommaterieller Situationen und Geschehnisse mit allem, was sie an Gefhlen, Werten, Ge-danken suggerieren. Das heit aber, da der Flu des Lebens vorwiegend ein materiellesKontinuum ist, obwohl er definitionsgem auch in die geistige Dimension hineinreicht.(Ebd., S. 109). Diese These, fr den Kinofilm formuliert, wird auch fr die Vorstellungvom Programm und Programmflu, insbesondere beim Fernsehen, wichtig.

    Rahmen

    Das Bild wird bestimmt durch seinen Rahmen. Er hebt das Abgebildete von den visuel-len Erscheinungen der Wirklichkeit ab, isoliert es, lst es aus den optischen Konstella-tionen heraus, die wir im Alltag als Flle wechselnder Erscheinungen erleben. Am tgli-chen und ttigen Leben beachten wir, so schrieb Richard Hamann, die Bilder der Au-

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    enwelt nur flchtig und nur daraufhin, wie wir uns in der Auenwelt orientieren, wiewir die Dinge angreifen, benutzen knnen. Die jeweilige optische Konstellation, das Bild,ist uns gleichgltig, wir schreiten sofort vom flchtigen, stets wechselnden Anblick zumErkennen, zum Begriff, zum Namen. (Hamann 1980, S. 8).

    Der Rahmen isoliert das Abgebildeten von der Realitt. Die Bildhaftigkeit ist durch dieBildgrenze und die Bildflche bestimmt. Die Bildgrenze hat eine konzentrierende, dasAuge auf das Bild lenkende und heftende Wirkung. (Ebd., S. 9). Der Rahmen erklrtdas in ihm Gezeigte als etwas Zusammengehrendes. Was in der Realitt als zuflligund ungeordnet erscheint, erhlt durch den Rahmen eine innere Ordnung. Alle Ele-mente im Bild erhalten ihren Stellenwert aus der Bildgrenze, aus ihrem Verhltnis zuihr (Schnelle-Schneyder 1990). Die Bildgrenze und das durch sie formulierte Formatschaffen eine innerbildliche Anordnung der Elemente, grenzen Dinge aus und erklrendas innerhalb der Bildgrenzen Gezeigte zu einer eigenen Welt, zu einem Kosmos, dessenSchnittpunkt im Betrachtungsstandpunkt, in der Fotografie also im Kamerastandpunktliegt.

    Die Funktion des Rahmens wird im Film hufig noch dadurch betont, da in speziellenSituationen, in denen innerhalb des Filmgeschehens ein besonderer Teilbereich isoliertwerden soll, ein innerer Rahmen (Fenster, Spiegel, Tren) geschaffen wird, der das Ge-zeigte je nach Kontext in eine Atmosphre der Beengtheit, der Geborgenheit versetzt.ber diesen Gebrauch des Begriffs hinaus hat die neuere Filmtheorie den Begriff desRahmens und der Rahmung (frame) fr die filmische sthetik als konstitutiv verstan-den. Leo Braudy beispielsweise hat ihn auch auf Inszenierungsstile, Genrekonventionenund Rollendefinitionen angewandt (Braudy 1980).

    Format

    Ist in der Malerei das Bildformat in starkem Mae variabel, so wurden bereits bei derFotografie die Bildgrenzen durch die Kamera eindeutig festgelegt. Allerdings knnen sieim Negativ-Positiv-Verfahren noch durch Vergrerung, Verkleinerung und eine zu-stzliche Ausschnittwahl verndert werden. Beim Film ist die Wahl des Bildformatsnicht allein durch die Kamera, sondern auch durch die Projektion eingeschrnkt. Da dieApparatur genormt ist, reduziert sich das Filmformat in der Kinogeschichte auf wenigeGren.

    Als Normalformat etablierte sich in den zwanziger Jahren ein Bildformat mit einem Sei-tenverhltnis von 3:4, also 1:1,37 und wurde schlielich auch durch die Academy of Mo-tion Picture Arts and Sciences zum Standard erklrt (Monaco 1980, S. 99ff.). Es war je-doch nie das einzige gebrauchte Format. Schon die Einfhrung des Tonfilms, der aufdem Filmstreifen Platz fr die Tonspur brauchte, reduzierte das Bildformat auf eine fast

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    quadratische Abmessung, die dann Anfang der dreiiger Jahre wieder auf das Verhl t-nis von 1:1,37 gebracht wurde.

    Anfang der fnfziger Jahre kamen die verschiedene Breitwandformate hinzu, die haupt-schlich durch Kaschieren eines Teils der Bildflche erzeugt wurden. Ein Teil des Film-materials blieb also unbelichtet. 1:1,66 (in Europa) und 1:1,85 (in den USA) waren neueStandardformate. Mit Cinemascope und Panavision wurden anamorphotische Verfahrenentwickelt. Bei diesen Verfahren wurde das Bildformat weitgehend ausgenutzt, dasFilmgeschehen durch besondere Objektive aufgenommen, die das in seiner Breite aufge-nommene Geschehen komprimierten. Durch ein entsprechendes Objektiv im Projektorwird die Komprimierung in der Projektion wieder entzerrt und auf diese Weise ein sehrbreites Bild mit einem Seitenverhltnis von 1:2,35 erzeugt. Anamorphotisch heien dieseVerfahren nach einer in der Renaissance entwickelten Darstellungstechnik, bei derstarke Verzerrung in der Zeichnung so angelegt waren, da sie von einem genau be-stimmten Standpunkt (schrg zur Bildflche z.B.) normal und entzerrt wirkten, oderda sie sich in einem gewlbten Spiegel als Normalbild spiegelten.

    Es ist naheliegend, da innerhalb dieser unterschiedlichen Bildformate auch die Wir-kung des darin Gezeigten unterschiedlich ist und da sich die Anordnungen verndern.Die Dehnung des Formats fhrt zur Betonung von Panoramablicken und zu einer ten-denziellen Monumentalisierung der Umrume. Die handelnden Figuren sind hufigernur in Anschnitten, Gro- und Nahaufnahmen zu sehen, der Zuschauer hat das Gesche-hen nicht mehr vollstndig im Blick, sondern mu mit seinem Blick auf der Leinwandhin und her wandern. Dies fhrt zu einem Eindruck grerer Nhe und strkerer Ein-beziehung des Zuschauers.

    In Bertoluccis Cinemascopefilm Der letzte Kaiser wird die Gre und der Pomp desKaiserpalastes zu Beginn gegen den kindlichen Kaiser gesetzt, der inmitten der Greverloren wirkt. Als er von seinem Thron herunterrutscht und zum Ausgang luft, ffnetsich fr ihn, und damit ber die Kamera auch fr den Zuschauer, der Blick fr die zuseiner Inthronisierung aufmarschierten Menschen, die sich in dem breiten Format berdas ganze Bild hin aufgestellt haben.

    In vielen Filmen werden Bildformate auch zustzlich durch Kaschierungen und Maskenverndert. Schon beim amerikanischen Stummfilmregisseur David W. Griffith ist ihrEinsatz bekannt, ebenso finden sich aber auch Beispiele in neueren Filmen, z.B. in denArbeiten von Jean-Luc Godard, Franois Truffaut und Alexander Kluge. Am bekannte-sten ist die kreisfrmige Maske des expressionistischen Stummfilms, der damit, ohne inder Aufnahme den Kamerastandpunkt zu verndern, den Eindruck einer Groaufnahmesuggeriert und den Blick des Zuschauers ganz auf ein Gesicht oder ein Detail lenkt.

    Dennoch gilt, gerade bei den Kaschierungen, die aus individuellen knstlerischen Inten-tionen heraus erfolgen, da sie nur punktuell das Bildfeld verndern; fr den Zuschauer

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    bleibt das vorhandene Format weiterhin fr seine Wahrnehmung des Films und des inihm aufgebauten filmischen Raums bestimmend.

    Das Normalformat wurde auch bestimmend fr die Proportionen des Fernsehformats,die in anderer Weise noch fester vorgegeben sind als die Filmformate. Das Bildformatauf der Braunschen Rhre ist unaufhebbare Definitionsgrenze des Bildgeschehens. For-matnderungen - etwa bei der Ausstrahlung von Breitwandfilmen im Fernsehen, er-scheinen nicht als Kaschieren der Bildflche, sondern als Gestaltungselemente der Bild-flche. Der schwarze Balken oben und unten stellt ein zustzliches Bildelement dar, dasin Beziehung tritt zu den anderen des eigentlichen Bildes.

    Erst mit der nderung des Bildschirmformats durch das zuknftige hochauflsendeFernsehen (High Definition Television HDTV) und der damit verbundenen bernahmeder Proportionen des Kino-Breitwandformats kommt es zu einem wirklichen Format-wechsel, der aber die grundstzlichen Probleme nicht aufhebt, weil seine Voraussetzungder vllige Austausch der Empfangsapparatur ist. Auf dem neuen vergrerten Bild-schirm wird das Abspielen von Filmen im bisherigen Normalformat Probleme aufwerfen.Bedeutet im Kinodunkel die schwarze Kaschierung des Bildfeldes tatschlich dessenVernderung, so bildet auf dem Fernsehschirm im halberleuchteten Wohnraum auch beiHDTV jede neue Kaschierung wieder eine zustzliche Bildflche.

    Teil und Ganzes innerhalb des Bildformats

    Das im Bildformat eingeschlossene Bildfeld wird auch als Kader bezeichnet, die Kadrie-rung ist die Begrenzung eines abgebildeten Geschehens durch den Ausschnitt. GillesDeleuze hat in einem neueren Versuch einer typologisierenden Beschreibung von filmi-schen Strukturmerkmalen die organisierende Funktion dieses Bildkaders angesprochen.Fr ihn ist die Kadrierung die Festlegung eines - relativ - geschlossenen Systems, dasalles umfat, was im Bild vorhanden ist - Kulissen, Personen, Requisiten. Das Bildfeld(cadre) konstituiert folglich ein Ensemble, das aus einer Vielzahl von Teilen, das heitElementen besteht, die ihrerseits zu Sub-Ensembles gehren. (Deleuze 1989, S. 27).Was hier nur wie eine scheinbare Verdoppelung des Gesagten erscheint, weist jedoch aufzwei gegenstzliche Aspekte hin: Zum einen ist das, was im Bild gezeigt wird, eine insich abgeschlossene Welt, die durch die Bildgrenzen ihr Ende findet, durch sie definiertwird, in der sich alles aufeinander bezieht. Zum anderen ist das Filmbild wie ein Fen-ster, durch das hindurch wir auf eine andere Welt sehen, die vor allem dann, wenn wiruns mit der Kamera zu bewegen beginnen, ein umfassenderes Ensemble sichtbar macht.Wir finden diese Auffassung in der Metapher von Film und Fernsehen als einem Fen-ster zur Welt popularisiert wieder.

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    Damit wird in ganz neuer Weise auch das, was auerhalb des Bildrahmens bleibt, in dasBildgeschehen einbezogen. Das Ausgegrenzte gilt damit immer auch als ein potentiellerTeil des im Filmbild Gezeigten. Deleuze hat bei seiner Bezeichnung des Bildfeldes alsgeometrisch oder physikalisch (bzw. dynamisch) versucht, dem Rechnung zu tragen.Er meint damit, da innerhalb des statischen Bildes, wie es die Malerei oder die Foto-grafie kennt, die perspektivische Darstellung, die Geometrie, eine dominante Rollespielt, im bewegten Bild dagegen diese Geometrie zugunsten der Bewegung aufgehobenwird.

    Doch diese Aufhebung erfolgt nur teilweise und bei groer Schnelligkeit, denn auch beilangsamen Kamerabewegungen bleibt die perspektivische Darstellung wirksam. Umge-kehrt sind im statischen Bild hufig Bewegungen eingeschrieben, die in der Kunst alskinetische Darstellungen diskutiert werden und die sich aus Krperhaltungen ergeben,die Bewegungen assoziieren lassen, oder aus Proportionsungleichgewichten innerhalbder Komposition, die Vernderungserwartungen beim Zuschauer evozieren (vgl. auchPaech 1989b).

    Komposition

    Bevor wir zu diesen Vernderungen durch die Bewegung kommen, wollen wir noch ei-nen Augenblick bei den Gliederungsmerkmalen des statischen Bildes bleiben. Sie wur-den aus der Malerei in die Fotografie bertragen und prgen die Filmgestaltung undFilmwahrnehmung. Die Begrenzung des Bildfeldes strukturiert das Bildfeld selbst, setztalle Teile zueinander in Beziehung. Kennzeichen dafr ist zunchst, da das Bild eineBildmitte aufweist. Sie ist, von unserer ungelenkten Wahrnehmung her gesehen, derPunkt, auf den wir automatisch sehen, wenn der Blick nicht durch andere Gestaltungs-elemente abgelenkt wird. Diese Bildmitte ist nicht die grafische Bildmitte (der Schnitt-punkt der Bilddiagonalen), sondern liegt als optische Mitte leicht ber der wirklichenBildmitte. Sie ist z. B. daran zu erkennen, da bei Fotografien oder Gemlden, die miteinem Passepartout gerahmt sind, die Abstnde zwischen den Bildkanten und demRahmen unten etwas grer sind, das Bild also etwas hher im Rahmen sitzt. Sind dieAbstnde oben und unten gleich, entsteht der Eindruck, da das Bild nicht in der Mitte,sondern zu tief sitzt. Auch der Film nutzt die Bildmitte aus. Dinge, die in ihr plaziertwerden, erscheinen gut im Bild, was auerhalb angeordnet ist, erscheint auch fr dasGeschehen randstndig, wirkt abgedrngt.

    Das Bild als strukturierte Flche wird - unabhngig von allen rumlichen Vorstellungen,die es auslst - durch Gliederungen charakterisiert. Die Gliederung erfolgt auch imFilmbild nach den Regeln der Komposition, wie sie in statischen Bildern Anwendungfinden. Kompositionselemente sind Linien, Formen, Flchen, Bewegungen.

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    Da krftige Linienfhrungen im Filmbild auch Assoziationen auslsen, hat Joseph VMascelli aufgrund von Zuschauerbefragungen beschrieben. Danach stehen u.a. harteGeraden fr Mnnlichkeit und Kraft, kurvige weiche Linien fr Weiblichkeit, lange ho-rizontale Linien fr Ruhe und Ausgleich, gegeneinander gesetzte diagonale fr Konfliktund Aktion (vgl. Mascelli 1965, S. 200f.). Da solche Zuordnungen von kulturellen Kon-ventionen abhngen, liegt gerade bei den weiblichen und mnnlichen Bedeutungen aufder Hand.

    Da alles Gezeigte im Film Formen besitzt, erhlt die Anordnung dieser Formen fr dieBedeutung des Gesamten Gewicht. Neben den Formen der abgebildeten Menschen undGegenstnde (Positivformen) spielen auch die Formen der Zwischenrume (als Negativ-formen) eine Rolle. Eine spannungsvolle Setzung von Positiv- und Negativformen zeich-net die Qualitt der Kameraarbeit aus.

    Zur Komposition gehrt auch das Verhltnis von dunklen und hellen Flchen, die Ver-teilung der Farben im Bild. Groe, wenig strukturierte Flchen werden oft gegen viel-teilig gegliederte kleine Flchen gesetzt. In Verbindung mit den Formen knnen solcheKompositionen Stabilitt oder Instabilitt suggerieren.

    Fr die Komposition bedeutsam ist auch das Erzeugen von indirekten Kraftfeldern und -linien, die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen im Bild herstellen. Hufiglassen sich solche nur durch einzelne herausgestellte Punkte (Gesichter, Hnde,bestimmte Gegenstnde) in Form von Dreiecken, Kreisen, Ovalen beschreiben, die damitein ausbalanciertes Kompositionsverhltnis anzeigen (vgl. Mascelli 1965, S. 202).Daneben gibt es bereits in statischen Bildern kinetische Kompositionseffekte, Effektealso, die Bewegungen suggerieren. So werden z.B. Linien, die von links unten nachrechts oben weisen, oft als Aufwrtsbewegungen, Linien, die von links oben nach rechtsunten zeigen, als Abwrtsbewegungen oder fallende Bewegungen verstanden.

    Die Herstellung einer Balance zwischen den Bildelementen erfolgt zum einen auf for-male Weise, z.B. durch symmetrische oder konzentrische Anordnungen. Hufiger wirdjedoch die Balance zwischen unterschiedlich in der Bildflche angeordneten Formenhergestellt, die sich wie in einem Netz gegenseitig in der Schwebe halten oder die sichals einander sttzende Rahmenbildungen aufbauen (vgl. Mascelli 1965, S. 210ff.).

    Die Komposition der Formen dient vor allem der Blicklenkung, der Hinfhrung des Zu-schauerblickes zu dem vom Regisseur bzw. Kameramann fr wichtig gehaltenen Ge-schehen. Die Komposition der Bilder gehrt zu den wesentlichen Formen visueller Ge-staltung, die bei jedem Film, ob bewut oder unbewut, eine Rolle spielen. Durch siewerden Atmosphren mitbestimmt, durch ihren Wechsel werden Rhythmen geschaffen.(Man vergleiche z.B. die Entscheidungssequenz in High Noon auf den Einsatz vonKompositionsformen.)

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    Die Ordnung der Dinge im Bild und ihre Bewegung

    Die Bildkompositionen, die Darstellungen von Rumen in den Bildern dient in der Regelnicht einem Selbstzweck, sondern dazu, die abgebildeten Menschen in ihrem Verhltniszur Umgebung zu zeigen, einem Bild-Umraum, der sie bestimmt und prgt. So wie in-nerhalb des Bildes alle Teile zueinander in Beziehung treten, die Bildhaftigkeit geradedarin besteht, da hier Beziehungen hergestellt und dargestellt werden, so wird zwi-schen dem abgebildeten Menschen und den anderen Dingen ein Beziehungsfeld aufge-baut.

    Hufig beruht die Wirkung einer Einstellung gerade darauf, da die gezeigte Person aufeigentmliche Weise mit den Formen der Umgebung verschmilzt und dadurch eine in-tensive visuelle Wirkung erzeugt wird. Aber auch die Nhe und die Entfernung zwischenden abgebildeten Elementen sagt etwas ber die Beziehungen der Gegenstnde zuein-ander aus.

    Im Gezeigten geht es um die Anordnung der Gegenstnde im statischen Bild. In ihrdrckt sich die Ordnung der Dinge aus. Michel Foucault hat diese Ordnung der Dingeim Bild einmal am Beispiel des Bildes Las Meninas des spanischen Malers Velasquezbeschrieben (Foucault 1980, S. 31 ff.). Ich will die Beschreibung hier nicht wiederholen(vgl. auch Alpers 1985, Winkler 1992). Foucault macht an diesem Gemlde einen Aspektdeutlich, der fr das Filmbild konstitutiv wird: Wie in ihm Gegenstnde, Dinge, Men-schen abgebildet werden, wie sie sich selbst zueinander in Beziehung setzen, zeigt nichtnur eine sthetische Ordnung, sondern immer auch eine soziale, und der Betrachterwird in diese dargestellte Situation miteinbezogen. Auch seinen Standpunkt zum Ge-zeigten definiert das Bild durch seine Anordnung der Dinge und Personen im Bild mit,obwohl der Standpunkt des Betrachters zum Bild durch den realen Abstand zur Lein-wand oder zum Bildschirm in der Regel fixiert ist.

    In der statischen Anordnung der Elemente im Bild werden also soziale Verhltnissesichtbar gemacht, die sich durch die Darstellung formulieren. Nicht erst die Bewegungmacht die sozialen Beziehungen deutlich, sondern bereits das Gefge der Figuren undGegenstnde zueinander. Das Prsentieren setzt bereits voraus, da wir die Bedeutungdes Prsentierten auch erkennen werden. Hierarchien zwischen den Figuren und ihreim Blick gebte berwindung, soziale Distanz und Nhe, Konfliktkonstellationen, aberauch soziale Einordnung und historische Zuordnung durch Kleidung, Dekor, durch Phy-siognomie, Haltung des Krpers und Gestus.

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    Vom Bild zur Bilderfolge

    Die Erweiterung des fotografischen Bildes durch die Bewegung im Film fhrt dazu, dadie in der Fotografie noch deutlich ablesbare Ordnung der Dinge selbst in Bewegunggert, stndigen Vernderungen unterworfen ist. Die Sukzession der Bilder fhrt vonder Darstellung von bewegten Dingen und Ablufen zum Erzhlen als einer organisier-ten Abfolge von Handlungen.

    Am historischen Beispiel lt sich die Nhe von Zeigen und Erzhlen in Bildern ausma-chen. In einer Dokumentation der Filme der Brder Lumire von Martin Loiperdinger(1990) ist zu sehen, wie die Ausdrucksmglichkeiten des Films erst langsam entdecktwurden und aus dem Zeigen von bewegten Bildern ein Erzhlen mit bewegten Bildernentstand.

    Neben dem Darstellen von realen Vorgngen (Passanten auf der Strae, ankommendeEisenbahnzge), deren Reiz im Wiedererkennen des Bekannten bestand, tritt das Zeigenvon Ereignissen mit groem Schauwert (Kaiserparaden, Schiffstaufen). Natur im Roh-zustand wiederzugeben, wie sie unabhngig von uns existiert, nennt es Kracauer (1973,S. 45). Die Zeit ist hier als Ablauf einer Bewegung fixiert. Dieser Ablauf ist zunchst einModus des Darstellens, des Zeigens - noch nicht des Erzhlens. Was fehlt, ist das erzhl-te Ereignis, die Handlung, die aus einer Abfolge von Vorgngen eine Geschichte ent-stehen lt (vgl. Lmmert 1955, S.20).

    Gestaltete Ablufe sind bereits in Tnzen zu finden, die besonders hufig im frhenFilm gezeigt wurden. Der Mensch in Bewegung, bei der Vorfhrung eines strukturiertenBewegungsablaufs, aber noch nicht erzhlend. Die Tnzerinnen und Tnzer agieren frdie Kamera, fr die imaginren Zuschauer. Das Prsentieren des Tanzes geschieht mitBlick der Tanzenden direkt in die Kamera, ist frontal zum Zuschauer ausgerichtet. Die-ser wird damit zum Bezugspunkt fr diese Prsentation.

    Von hier ist es der Weg zu einem Sketch, zu einer Spielhandlung nicht weit: die Auftrittevon Personen haben in einem nchsten Schritt eine Interaktion zum Inhalt, die in kau-saler Folge andere Interaktionen zwischen den Filmfiguren nach sich ziehen. In der Re-gel ist die Geschichte beim Publikum bekannt, die Bekanntheit wird durch Titel undDekor angesprochen. In den kurzen, oft nur 40 Sekunden dauernden Filmen werdenHandlungskerne vorgefhrt: Faust und Mephisto streiten sich, Mephisto lst sich inLuft auf. Robespierre tritt auf in groer Pose, unterschreibt ein Papier, wird erschossen.Auf einem Schlachtfeld wird ein Fahnentrger erschossen, ein Offizier eilt hinzu, nimmtdie Fahne auf und verteidigt sie mannhaft gegen alle Angreifer. Der heilige Antoniuswird durch maskierte Teufel in Versuchung gefhrt, Antonius fleht zum Himmel, einenMariengestalt erscheint in den Wolken, der Spuk hat ein Ende, Antonius ist glcklich.

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    Entscheidend ist die kausale Verknpfung der gezeigten Handlungen. Auch dieTanzszenen kannten schon Anfang und Ende einer Darbietung, doch die Verknpfungvon Tanzerffnung, Tanz und Ende des Tanzes erfolgt nicht kausal. Indem aus einerHandlung eine andere erfolgt, die eine die andere bedingt, entsteht eine Geschichte. Essind zwar nur Minigeschichten, die als Handlungskerne vorgefhrt werden, die aberzusammen etwas zur Anschauung bringen, was das Gezeigte nicht beinhaltet, sonderndurch das Zeigen hindurch noch etwas anderes vermitteln: eine Geschichte, einen Witz,eine Pointe.

    Es ist mehr als das bloe Zeigen von ungestellter Natur. Einbezogen ist das Publikum,dem die Geschichte selbst bekannt ist. Der Film ist auf die Mitwirkung des Zuschauersangewiesen: Er mu die Handlungsabfolge in ihrer Bedeutung entschlsseln und musie mit dem, was er von der Geschichte wei, im Kopf neu zusammensetzen. Die Hand-lung verweist auf etwas, was ihr zugrundeliegt: auf die Geschichte, die erzhlt wird, dieaber im Film selbst nicht vollstndig vorhanden ist.

    Da diese Sichtweise des Publikums auf das im Film Angebotene anfangs durchaus un-terschiedlich war, liegt auf der Hand. Heide Schlpmann hat fr die Anfangszeit desKinos herausgearbeitet, wie das Kino die Prsentation von mnnlichen und weiblichenVerhaltensweisen in neuer Weise ermglichte und wie dies von Zuschauern und Zu-schauerinnen unterschiedlich gesehen wurde. Sie zeigt auf eindringliche Weise, da dasKino nicht nur der mnnlichen Selbstinszenierung, sondern auch der weiblicherGrenzberschreitung diente (Schlpmann 1990).

    Waren es Anfangs verschiedene Geschichten, die Zuschauerinnen und Zuschauer imgleichen Film erkannten, so schliff sich, wie Joshua Meyrowitz eindringlich darstellte,langfristig gerade durch den Konsum audiovisueller Medienangebote die Geschlechter-spezifik ab (Meyrowitz 1987, S. 145ff.). Dennoch bleibt ein grundstzlicher Rest an Diffe-renz auch heute noch erhalten.

    Die filmische Narration bentigte, wie gerade die Analysen des frhen deutschen Kinosvon Heide Schlpmann zeigen, zur Erzhlung von Geschichten nicht unbedingt dasWort, die Sprache. Dies ist festzuhalten gegen Tendenzen, wie sie vor allem im Tonfilmauftreten, das Bild hufig nur als illustrierendes Beiwerk fr eine durch Sprache ver-mittelte Handlung zu nehmen.

    2. Kategorien zur Beschreibung des filmischen Bildes

    Film, Fernsehen, Video stellen sich dem Betrachter als eine Abfolge von Bildern dar. Wirhaben uns daran gewhnt, da dieser Bilderflu wechselnde Ansichten eines Gesche-hens liefert, und erwarten unterschiedliche Einstellungsgren und einen stndigen

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    Wechsel der Perspektiven. Der Verzicht auf den Wechsel wird deshalb als strend unddie Darstellung als nicht filmisch begriffen. Der Wechsel bildet eine kulturelle Konventi-on im Gebrauch der audiovisuellen Medien, die in unserer Wahrnehmung fest verankertist. Allenfalls in der Schnelligkeit bestehen noch unterschiedliche Varianten; Filme ohnejeden Wechsel des Kamerablicks werden als strapazis empfunden (z.B. Andy WarholsFilme Empire und Sleep, die mehrere Stunden lang dasselbe in einer einzigen Ein-stellung zeigen, aber auch Theatermitschnitte aus einer unvernderten Kamerapositionheraus).

    Ein Strukturmoment in der Beschreibung der Bedingungen des Bildes ist die perspekti-vische Abbildung und die in ihr enthaltene Blickstruktur (der Blick des Betrachtersdurch das technische Auge der Kamera). Um diesen Aspekt des Blickes und die mit ihmverbundenen Kategorien geht es in diesem Abschnitt.

    Der Kamerablick ist dem kinematografischen Bild eingeschrieben, ohne da die Kameraselbst im Bild anwesend ist. In der Projektion wird dem Zuschauer durch das Bild dieserBlick als sein eigener vorgegeben. Die Verschrnkung zwischen der Strukturierung derZuschauerwahrnehmung durch das Bild und der Annahme des Zuschauers, er blicke aufetwas, was ihm wie eine Realitt prsentiert wird, kennzeichnet die audiovisuelle Re-zeption.

    Dieser Zuschauerblick auf das Geschehen, das der Projektionsapparat auf die Leinwandwirft, und der Kamerablick auf das Geschehen vor der Kamera im Moment der Aufnah-me scheinen gleichgesetzt, wenn nicht identisch zu sein. Der Zuschauer sieht, so legt esdie Anordnungsstruktur der audiovisuellen Medien nahe, was die Kamera sieht, undwas die Kamera zeigt, erscheint nur als Produkt des Zuschauerblicks (vgl. auch Brani-gan 1984).

    Die Phasen der Bearbeitung des Bildes, die zwischen Aufnahme und Projektion liegen,sind in der filmischen Wahrnehmung nicht prsent, sie schaffen nur Modifikationen desAufgenommenen, die in dem Abbildschein als besondere Eigenschaften des Abgebildetenaufgehen. Sie erscheinen nicht als Eigenschaften des Abbildungsvorgangs - und damitauch nicht als sich dem Wahrnehmungsvorgang im Kino widersetzende Aspekte. DieSuggestion der Realittsabbildung entsteht dadurch, da wir als Zuschauer uns in dieseKonstruktion der Apparatur zwischen Aufnahme und Projektion hineinbegeben, da wirdurch den Rahmen des Bildes den Eindruck haben, durch ihn hindurch in eine Welt zuschauen, da sich durch unseren Blick eine Welt erschliet, die die Kamera stellvertre-tend fr uns aufgenommen hat. Das Wissen um die Technik von Aufnahme und Projek-tion als zwischengeschaltete Apparatur tritt in dem Mae zurck, wie diese Wahrneh-mungstuschung in uns Platz greift.

    Der Kamerablick organisiert das Bild, er setzt den Rahmen, whlt den Ausschnitt, dervon der Welt gezeigt wird, er bestimmt, was zu sehen ist. Bel Balzs hat deshalb vonder schpferischen Kamera gesprochen und in ihrer Arbeit das Formgebende gesehen.

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    Einstellung und Blickwinkel sind fr ihn die konstitutiven Bestandteile, wenn er sagt:Es sind also die Einstellung und der Blickwinkel, die den Dingen ihre Form geben, undzwar in so hohem Mae, da zwei unter verschiedenen Blickwinkeln gezeichnete Bilderein und desselben Gegenstandes einander oft gar nicht hnlich sind. Das ist das charak-teristischste Merkmal des Films. Er reproduziert seine Bilder nicht, er produziert sie. Esist die Art zu sehen, des Operateurs, seine knstlerische Schpfung, der Ausdruck sei-ner Persnlichkeit, etwas, das nur auf der Leinwand sichtbar wird. (Balzs 1972, S. 37).

    Standpunkt, Bildrahmen und Objekt der Abbildung werden also zueinander in ein Ver-hltnis gesetzt, das Filmbild formuliert damit umgekehrt eine innere Haltung zum Ab-gebildeten. jedes Bild, so schreibt Bel Balzs, zeigt nicht nur ein Stck Wirklichkeit,sondern auch einen Standpunkt. Die Einstellung der Kamera verrt auch die innereEinstellung. (Ebd., S. 77). Norbert Grob hat diese berlegung im Anschlu an die Defi-nitionen von Balzs weiter gefhrt:

    Der Standpunkt der Kamera, fixiert im Koordinatensystem von Bildgre, Aufnahmewinkel und

    Beweglichkeitsgrad, legt dann die Tendenz fest und ordnet. Er bndelt die diversen Ebenen im

    Raum, konkretisiert also die Handlungen in diesem Raum und zugleich die Sicht auf diese

    Handlungen. Er regelt die Ordnung des Sichtbaren und bringt damit eine Haltung gegenber

    dem Sichtbaren zum Ausdruck. (Grob 1984, S. 144)

    Gre der Einstellung als Nhe-Distanz-Relation

    Diese Relation zwischen dem Standpunkt und dem Abgebildeten, zwischen dem Zu-schauerblick und dem Gezeigten wird in den Kategorien der Gre der Einstellung ge-fat. Sie definiert sich an der Gre des abgebildeten Menschen im Verhltnis zur Bild-grenze. Es sind Kategorien, die in der Produktion entstanden sind und sich als brauch-bar fr die Analyse ergeben haben, und die als Kategorien der Wahrnehmung nun inErscheinung treten, wo sie ursprnglich zur Vereinfachung des Produktionsalltags ent-wickelt wurden. Sie sind am Spielfilm und mit ihm an der menschlichen Figur als Ma-einheit entwickelt (vgl. auch Mascelli 1965). Da sie graduelle, flieende bergnge klas-sifizieren, gibt es variierende Begriffszuordnungen. Auch ist die Begriffsverwendungunterschiedlich, da sich mit dem Wandel der Produktionsweisen auch die Produktions-begriffe ndern. Die hier verwendeten Begriffe haben sich in der Film- und Fernseha-nalyse durchgesetzt (vgl. auch Hickethier 1982 a).

    Unterschieden werden acht Kategorien:

    WEIT (W): Hier wird eine Landschaft so weitrumig gezeigt, da der Mensch darin ver-schwindend klein ist. Ein extreme long shot, so wird eine solche Einstellung im Ameri-kanischen genannt, wird eingesetzt, um weite Wsten, Berge, groe Ebenen aufzuneh-

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    men, oft von einem erhhten Standpunkt aus, um dem Zuschauer einen berblick zuverschaffen, ihn in eine Stimmung zu versetzen, ihn auf etwas vorzubereiten.

    TOTALE (T): Hier wird ein Handlungsraum bestimmt, in der der Mensch untergeordnetist. Als long shot im Amerikanischen bezeichnet, dient sie dazu, vor Beginn einer Akti-on die Szenerie als deren Rahmen zu prsentieren. Der long shot sollte alle Elementeder Szene zeigen, die wir als Zuschauer kennen und lokalisieren mssen, um der folgen-den Aktion folgen zu knnen.

    HALBTOTALE (HT): Hier ist die menschliche Figur von Kopf bis Fu zu sehen. DieseEinstellung eignet sich fr die Darstellung von Menschengruppen, sowie krperbetonterAktionen. Im Amerikanischen sind auch diese Einstellungen long shots.

    AMERIKANISCH (A): Diese Einstellung hat sich aus dem Western heraus entwickeltund zeigt die Figuren so, da man z.B. in einem Show down nicht nur das angespannteGesicht sehen kann, sondern auch, wie die Hand zum Revolver greift, um den entschei-denden Schu abzugeben. Diese Kategorie wird nicht immer verwendet (vgl. Mascelli1965, Phillips 1985).

    HALBNAH (HN): Als Halbnah bezeichnen wir eine Einstellung die den Menschen vonder Hfte an aufwrts zeigt. Sie ermglicht noch eine Aussage ber die unmittelbareUmgebung, stellt das Situative in den Vordergrund, zeigt vom Menschen zumeist denauf den Oberkper und das Gesicht bezogenen Handlungsraum. Im Amerikanischenheit sie medium shot. Sie wird hufig auch bei Figurenkonstellationen eingesetzt unddeshalb noch einmal differenziert nach der Zahl der im Bild gezeigten Personen zwi-schen einem two-shot und einem three-shot. Die two-shot-Aufnahme zeigt zwei Per-sonen, zumeist im Dialog miteinander, oft Auge in Auge, whrend die Kamera beide imProfil zeigt. Entsprechend zeigt die three-shot-Aufnahme drei Personen, weitere For-men sind: single shot, group shot (vgl. Mascelli 1965, S. 33f.).

    NAH (N): Der Mensch wird vom Kopf bis zur Mitte des Oberkrpers gezeigt. Mimischeund gestische Elemente stehen im Vordergrund. Solche Einstellungen werden vorzugs-weise fr das Zeigen von Diskussionen und Gesprchen benutzt. Medium close up oderauch close shot heit es im Amerikanischen, was schon den bergang zur Groaufnah-me zeigt. (Zur Differenz vgl. Mascelli 1965, S. 33, Arlion 1976, S. 16ff.).

    GROSS (G) konzentriert den Blick des Zuschauers ganz auf den Kopf des Abgebildeten.Hier wird der mimische Ausdruck hervorgehoben, damit werden auch intime Regungender Figur gezeigt, die den Dargestellten charakterisieren und die damit auch die Identi-fikation des Zuschauers mit der Figur erhhen sollen. Close up werden sie im Amerika-nischen genannt, oder auch prziser Head and shoulder close up.

    GANZ GROSS oder DETAIL (D): Vom Gesicht ist nur noch ein Ausschnitt zusehen. Alleskonzentriert sich auf den Mund, die Augen, aber auch Gegenstnde knnen auf dieseWeise dem Betrachter nahe gebracht werden. Wenn in Schlndorffs Film Die verlorene

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    Ehre der Katharina Blum die Polizei maskiert im Treppenflur auftmarschiert, umgleich darauf in die Kche der ahnungslosen Katharina Blum zu strmen, gibt eine De-tailaufnahme des entsicherten Revolvers am Klingelknopf das Startsignal zum Einbre-chen in die Wohnung. Im Amerikanischen heien solche Aufnahmen choker close up.

    Was sich hier als Klassifikation darstellt, regelt ein besonderes Verhltnis zwischen Ab-gebildetem und Zuschauer: die durch den filmischen Raum hergestellte Nhe bzw. Di-stanz. Es handelt sich dabei um eine fiktive Nhe, da sich der reale Abstand des Zu-schauers zur Leinwand ja nicht wirklich verndert. Es sind Relationen, die im stheti-schen Raum wirksam werden, die das Funktionieren des Als ob der Fiktion vorausset-zen, das Akzeptieren des Scheins der Abbildung.

    Man kann das differenzierte System der Einstellungsgren auch vereinfachen, wie esbeispielsweise Bernhard Wembers vorgeschlagen hat, der mit drei Kategorien (Totale,Normal und Gro) auskommt, und auch hinter den amerikanischen Kategorien stecktletztlich eine solche Dreiteilung zwischen Long shots, Medium shots und Close ups. Ent-scheidender als die Einhaltung der Klassifikationsbegriffe in der Analyse, deren Diffe-renziertheit jedoch eine genauere Beschreibung ermglicht, ist die damit verbundeneFormulierung von Nhe und Distanz. Sie wird noch nicht so sehr in der einzelnen Ein-stellung wirksam, sondern vor allem im Wechsel der Einstellungen innerhalb einer Ein-stellungsfolge. Durch den Wechsel der Einstellungsgren werden wir in unterschiedli-che Nhe zum Objekt gesetzt, werden ihm nahegebracht und von ihm entfernt. Fr dieemotionale Steuerung spielt dies eine wesentliche Rolle, aber auch bereits fr die einfa-che Informationsvermittlung.

    Jan Marie Peters hat darauf hingewiesen, da damit zugleich eine bestimmte Haltung,ein bestimmter Gedanken, ein bestimmtes Gefhl mit der Abbildung des Objekts ver-mittelt wird.

    Ob wir ein Gesicht in einer Groaufnahme zu sehen bekommen oder als Teil einer Totalaufnah-

    me der betreffenden Person bedeutet einen groen Unterschied. In der Groaufnahme wird unse-

    re Aufmerksamkeit allein auf das Gesicht hingelenkt, in der Totale geht dieser Akzent verloren.

    Die Form des Bildes zwingt uns, das Dargestellte in dieser Form und unter diesem Gesichtspunkt

    zu betrachten. (Peters 1972, S. 173)

    Die Nhe zum Abgebildeten ist - dies ist die mediale Voraussetzung - nur mit der Ma-gabe der Parzellierung, der Reduktion des Abgebildeten im Ausschnitt zu erhalten. Dieganzheitliche Sicht der Bhne ist im Kino auf immer verloren, doch dafr erhlt der Zu-schauer zugleich mehr: eine wechselnde Sicht des Menschen, ein stndiges Nahekom-men und Fernwerden, das den Zuschauer in ein ganz neues Verhltnis zur Welt setzt.Der Reiz der filmischen Realitt speist sich zum groen Teil aus diesem stndigenWechsel von Annherung und Entfernung, von dichtem Dabeisein und wieder Loslassen.

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    Nhe bedeutet Verkleinerung des Ausschnittes und Vergrerung des Gezeigten. In deralltglichen, nicht medialen Wahrnehmung bewegt sich der Betrachtende auf das Objektzu, das dadurch innerhalb unseres Blickfeldes grer wird; die Hervorhebung geschiehtalso durch sein Tun. Im Film bernimmt diese Arbeit das Medium, d.h., die vernderteAusschnittsgre gibt dem Zuschauer vor, dem Gezeigten mehr Aufmerksamkeit zuzu-wenden als bei einer anderen Nhe-Relation des Abgebildeten. Nicht die Zuschauer be-treiben also primr die Selektion aus der Vielfalt des zu Sehenden, sondern der Filmselektiert fr ihn, rckt ihm etwas nahe, zwingt ihn damit Aufmerksamkeit ab.

    Zuschauen aber kann nicht stndig Aufmerksamkeit abfordern, ein Geschehen nur inGroaufnahmen zu sehen, wrde den Zuschauer strapazieren. Auch irritieren Bildereines schnellen Geschehens aus zu groer Nhe die Wahrnehmung, wenn im Bild nurverreiende Bewegungen zu sehen sind, Figuren nur angeschnitten oder unscharf zusehen sind. Eine grere Distanz zu einem Objekt bedeutet, sich einen greren ber-blick zu verschaffen und damit auch mehr Informationen ber eine Situation zu erhal-ten. Der Wechsel zwischen Nhe erzeugenden und distanzhaltenden Aufnahmen prgtdeshalb den Film.

    Kameraperspektive

    Die Perspektive der Kamera, mit der diese die Figuren bzw. die Objekte der Darstellungerblickt, bestimmt sich zunchst durch ihre Positionierung innerhalb des Handlungs-raumes. Dem Zuschauer innerhalb des gesamten Filmgeschehens kommt in der Regelkein durchgngig fixierter Standpunkt zu, er kann tendenziell berall sein, er kann vie-les sehen, auch mehr als die handelnden Figuren, da er sie in wechselnden Ansichtenerblickt. Die Kamera positioniert ihn in wechselnde Sichtweisen auf das Geschehen.

    Diese Perspektiven knnen auf der horizontalen Ebene unterschiedliche Positionen ein-nehmen, aber auch in der vertikalen Ebene, also in Positionen, die sich unterhalb oderoberhalb der Geschehensebene und damit der Normalsicht befinden.

    Als Normalsicht gilt die Augenhhe der handelnden Figuren (eye-level angle). Das Bildzeigt weder Unter- noch Aufsichten auf die Figuren, auch in den senkrechten Linien desUmfeldes gibt es keine perspektivischen Verkrzungen.

    Die Aufsicht (Obersicht, Vogelperspektive) gibt einen Blick von einem erhhten Stand-punkt auf das Geschehen, der Zuschauer wird damit erhht, das Geschehen wirkt da-durch oft berschaubar. Solche Perspektiven knnen je nach Kontext der Geschichteauch bedrohliche Blicke nach unten (Klippen, Berge, Hochhuser) darstellen. Alle Stu-fungen von der Normalsicht bis zur Aufsicht (high angle) sind mglich, oft werden Per-spektiven gewhlt, die sich nur wenig ber der Normalsicht befinden, um auf diese Wei-

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    se die gezeigten Figuren im Verhltnis zur Umgebung zu gewichten (sie z. B. als denanderen unterlegen erscheinen zu lassen).

    Entsprechendes gilt fr die Untersicht (Froschperspektive), die das Gezeigte von untenher aufnimmt und es dadurch gegenber dem Zuschauer erhht bzw. grer wirken lt.

    Ober- und Untersichten werden im Spielfilm hufig durch die Handlung motiviert, siegeben der Handlung eine besondere Spannung, werden hufig auch musikalisch ber-hht. Der Zuschauer hat durch sie oft auch den Eindruck, durch den Raum bewegt zuwerden.

    In Hitchcocks Film North by Northwest (Der unsichtbare Dritte) ist ein typischesBeispiel fr solche Perspektiven in der Szene zu finden, in der Cary Grant und Eva Ma-ria Samt in einer aussichtslosen Lage sich zwischen Absturz und Befreiung, Tod undLeben befinden. Die Situation wird durch die zerklftete Felslandschaft unterstrichen.Die extremen Unter- und Aufsichten auf die Gesichter der steinernen Prsidenten un-tersttzen die Dramatik der Situation: Diese Prsidenten stehen gleichzeitig auf eineranderen Bedeutungsebene fr die Werte, um die es auch hier in dieser Geschichte geht.Die Perspektive, aus der die Kamera ein Geschehen aufnimmt, interpretiert dieses Ge-schehen, gibt ihm damit auch eine Form; der Blick, mit dem es gesehen wird, verleihtihm eine besondere Spannung.

    Bewegungen von Kamera und Objekt

    Zu unterscheiden ist zwischen der Bewegung vor der Kamera und der Kamerabewegung.Die Objektbewegungen vor der Kamera knnen alle Richtungen einnehmen und mit un-terschiedlicher Intensitt auftreten, auch sind gegenlufige Bewegungen (Figuren bewe-gen sich in verschiedene Richtungen) mglich, so da der Eindruck eines strukturiertenDurcheinanders entsteht. Die Kamerabewegung orientieren sich an der Mglichkeit dermenschlichen Blickvernderungen. Sie transformieren diese in technische Vorgnge, diedann auch mehr leisten knnen als nur eine technische Nachbildung menschlicherBlickvernderung.

    Beim Schwenk (panning) bewegt sich die Kamera bei unverndertem Standpunkt umeine Achse (vertikal, horizontal, diagonal durch den Raum). Er verschiebt den Aus-schnitt des Gezeigten und erweitert damit den Bildraum um das bis dahin Nichtgezeig-te, aber zum Geschehen Dazugehrende. Er kann den Figuren in ihren Bewegungen fol-gen, ihnen vorauseilen usw. Schwenkbewegungen knnen ein Raumsegment abdecken,aber auch in einer Kreisbewegung einen Raum rundum zeigen, sie knnen auch ausmehreren Kameraaufnahmen zusammengesetzt werden (vgl. Arijon 1976, S. 385ff.).

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    Die Kamerafahrt (travelling) ist die logische Fortsetzung des Schwenks und kann ausverschiedenen Einzelschwenks zusammengesetzt gedacht werden. Bei der Fahrt bewegtsich die Kamera durch den Raum. Sie wird nach den Fortbewegungsmitteln (Dolly, Auto,Hubschrauber, Pferd, Kran) unterschieden und stellt die Transformation der Bewegungdes Schauenden im Raum dar: Mit der Fahrt verndern sich alle rumlichen Anordnun-gen und Sichtweisen. Hufig werden Fahrten benutzt, um parallel zu Figurenbewegun-gen diese im Bild zu halten, ihnen entgegen zu kommen, sie zu verfolgen oder vor ihnenzurckzuweichen. Der Zuschauer wird hier durch die Kamerafahrt in einen Handlungs-zusammenhang gesetzt. Hufig sind auch intermittierende Fahrten durch Figurenkon-stellationen, die die Zuschauer auf diese Weise in eine komplexe Situation einbinden(vgl. Arijon 1976, S. 424ff.). Filmgeschichtlich ist zuerst die Bewegung vor der Kamerazu verzeichnen, erst danach kommt, wenn auch bereits sehr frh, die Bewegung derKamera selbst hinzu.

    In North by Northwest zeigt eine Sequenz Cary Grant auf dem Wege zu einer geheim-nisvollen Verabredung: er will Aufklrung ber das, was mit ihm geschieht, worin erverwickelt ist. Die Verabredung soll an einer Haltestelle des berlandbusses stattfin-den. Eine bersichtseinstellung (Weit) zeigt den Bus verschwindend klein. Die Endlo-sigkeit des Landes wird so markiert. Als Cary Grant ausgestiegen ist, schaut er in ver-schiedene Richtungen, noch immer ist nichts zu sehen. Der Blick der Kamera wird alssein Blick ausgegeben, dies machen die Zwischensichten auf ihn deutlich, die ihn in dieLandschaft starrend zeigen. Sein Blick wird in die verschiedene Richtungen wird zu-nchst in starren Einstellungen gezeigt, dann schwenkt die Kamera leicht mir. So wieCary Grant den Kopf dreht, schwenkt auch die Kamera den Blick um die Achse ihresStativs und der Kamerablick sucht den Horizont ab. mit dem Zuschauerblick gesetzt. Alsein Auto vorbeifhrt, zieht die Kamera leicht mit, es entsteht der Eindruck, als seheGrant dem wegfahrenden Auto nach.

    Die Spannung der Szene entsteht dadurch, da in die Statik und Unbewegtheit dieserSituation, in der Cary Grant an dieser Haltestelle in der Weite des Raumes steht, einestarke Objektbewegung (ein anfliegendes Flugzeug) aus der Bildmitte heraus und vonoben auf ihn zukommt, und er immer wieder versucht, sich diesen Attacken flchtend zuentziehen. Schlielich luft er vor dem Flugzeug davon und in ein Maisfeld hinein: dieKamera verfolgt ihn, parallel zu seiner Laufbewegung gefhrt, in einer Querfahrt.

    Am Ende von Flucht und Verfolgung, bei der Grant seinen Gegner schlielich austrick-sen kann, kommt es zur Kollision: Grant konnte einen Tankwagen anhalten, der ihnmitnehmen sollte, da strzt das Flugzeug gegen den Tankwagen und explodiert. Hufigenden solche dramatischen Jagden mit einer Explosion. Die Bewegung entldt sich alsoin einer richtungslosen Eruption, die als Ergebnis wieder eine statische Situation hat.

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    Bewegungsrichtungen

    Das Beispiel zeigt, da Bewegungen im Film gerichtet sind und Kraftlinien, darstellen.Sie zielen auf etwas, geben eine Dynamik, die sich auf einen Punkt richtet. Prinzipiellsind zwar alle Richtungen mglich, doch lassen sich zwei grundstzliche Richtungsebe-nen unterscheiden. Sie orientieren sich an der Blickrichtung des Zuschauers, dessenBlickachse, die (zumindest im Ideal) zur Bildebene im rechten Winkel steht.

    Handlungen, Aktionen, die parallel zur Bildflche stattfinden, sehen wir als Zuschauerin einem eher distanzierten Verhltnis: Die Bewegung fhrt an uns vorbei, sie droht unsnicht zu tangieren, sie gert nicht unsere Nhe. Wenn Cary Grant ins Maisfeld rennt,luft er parallel zur Bildflche. Die Kamera fhrt mit. Er verndert damit den fiktivenAbstand zum Zuschauer nicht. Der Zuschauer kann seine Anstrengung wie in einemTestfall beobachten, und ihr Erfolg oder Mierfolg tangiert das bestehende Nhever-hltnis zwischen uns und ihm nicht.

    Zu unterscheiden ist hier noch die Bewegung von links nach rechts und die von rechtsnach links. Sie sind kulturell unterschiedlich gewichtet: Da wir in Europa berwiegendvon links nach rechts lesen, erscheint diese Richtung, die sogenannte Leserichtung, alsdie kulturell dominante. Solche Unterschiede sind aus der Kompositionslehre fr ste-hende Bilder bekannt, wonach Schrgen, die von links nach rechts weisen, als abfallendeerscheinen, whrend Schrgen, die in die andere Richtung weisen, strker als Bewegun-gen erscheinen, die gegen etwas anlaufen, die sich als widerstndig erweisen. Ob dies sogenerell auch fr das bewegte Bild, den Film auch gilt, wre erst noch zu untersuchen.

    Anders dagegen Handlungen, deren Achse mit der Blickachse des Zuschauers deckungs-gleich sind. Bewegungen, die aus der Bildmitte in den Vordergrund gehen, haben denNachteil, da sich das Bewegungstempo weniger deutlich markiert als bei einer Bewe-gung parallel zur Bildflche Dennoch werden sie vom Zuschauer als aggressiver ver-standen: sie drngen in seinen Blickraum ein, gehen direkt seine Blickrichtung an, er-scheinen damit als eine direkte Bedrohung. Sehr schnell wird hier aus einer groen Di-stanz eine Nhe hergestellt, eine Nhe, die zu nah wird, so da der Zuschauer instinktivabwehrend auf das Nherkommende reagiert. Schon in der Szene, in der der PolizistCary Grant im Wald niederschlgt, scheint die Faust direkt auf den Zuschauer zuzu-kommen. Er fhlt sich davon bedroht. Ebenso sind auch die Angriffe des Flugzeuges di-rekt auf ihn gerichtet, auch hier dringt die Bewegung in den vom Zuschauer errichtetenBlickraum ein. Handlungsachse und Blickachse treffen frontal aufeinander, der Zu-schauer fhlt sich direkt in das Geschehen involviert (Metzger 1953).

    Eine solche Konstellation kann es natrlich auch in abgeschwchter Form geben. DerBegriff der Handlungsachsen, den ich hier benutzt habe, umfat nicht nur Bewegungender Figuren oder Gegenstnde innerhalb der filmischen Realitt, sondern auch Richtun-gen des Verweises, der Ansprache, Blickrichtungen, Gesten und Krperbewegungen.

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    Wenn also die Tagesschausprecherin frontal aus dem Bild herausschaut, ihr Blick aufden des Zuschauers trifft, fhlen sich viele Zuschauer direkt angesprochen, trotz allerKonventionen, die dabei abschwchend wirksam sind. Der frontale Blick aus dem Bildheraus wirkt immer noch direkter, mobilisierender, als wenn der Blick der Figur sichparallel zur Bildflche direkt einer anderen Figur zuwendet. Gerade in nichtfiktionalenProduktionen ist diese Blickrichtung hufig anzutreffen. Die auf diese Weise suggeriertedirekte Ansprache fhrt in vielen Fernsehsparten zu unterschiedlichen Strategien derEinbeziehung der Zuschauer, die eine andere, von der Fiktion unterschiedene raumzeit-liche Wahrnehmungskonstruktion zur Grundlage haben.

    Auch bei der Parallelfhrung von Handlungs- und Kameraachse gibt es zwei Variantender Bewegungsrichtung: aus dem Bild zum Zuschauer hinaus, also gegen dessen Blick-richtung gewendet und, entgegengesetzt, mit dem Zuschauerblick gleichlaufend, in dasInnere des Bildes hineinfhrend. Wenn Cary Grant mit dem Auto auf der Landstrae indie Bildmitte hineinverschwindet, fhlt sich der Zuschauer damit nicht konfrontiert: erentschwindet unserem Blick. Nicht zufllig ist es deshalb ein hufig benutzter Film-schlu, da der Held in den Film hinein verschwindet, er verlt sein Publikum, legtzwischen den Zuschauern und sich eine grere Distanz, bis er schlielich ganz ver-schwunden ist.

    Schlielich soll noch eine weitere Variation benannt werden. Die frontale Ansprache desZuschauers, die direkte Einbeziehung hat den Effekt, da sie den fiktiven Raum desSpielfilms aufzubrechen droht. Die Darstellungskonventionen des Spielfilms erfordertenbis in die fnfziger Jahre hinein die Abgeschlossenheit des fiktionalen Raums gegenberder Realitt des Zuschauers. Eine direkte Brcke in den Raum der Realitt hinein sollvermieden werden, Bezge durften nur indirekt, motivisch und thematisch gegebenwerden. Der filmische Raum als Wahrnehmungsraum hatte abgeschlossen zu bleiben.Um dennoch den Zuschauer in das Geschehen zu involvieren, wurde er nicht frontal an-gegangen, die Figuren blickten seitlich schrg an der Kamera vorbei. Damit war eineBlick- und Handlungsrichtung auf den Zuschauer hin gegeben, er selbst aber nicht di-rekt anvisiert, sondern ein Punkt innerhalb des fiktionalen Raums.

    Solche Blick- und Handlungsrichtungen finden sich hufig bei Schu-Gegenschu-Verfahren, z.B. als in dem schon erwhnten Beispiel von North by Northwest CaryGrant und Eva Maria Samt sich unterhalten und schlielich in den Armen liegen. DieFiguren blicken auch in die Zuschauerrichtung, aber immer leicht daran vorbei, verblei-ben also innerhalb des fiktionalen Raums, richten ihre Emotionen nicht direkt an denZuschauer.

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    Dynamik des Bewegungsflusses

    Eine weitere Steigerung entsteht dadurch, da Objektbewegungen und Kamerabewe-gungen kombiniert werden, sich in einem dynamischen Verhltnis zueinander befindenund aus der Synthese ein neuer Bewegungsablauf entsteht. Diese Form der syntheti-schen Bewegung findet sich vor allem in den neueren Filmen in ausgeprgter Weise.

    Die Kombination von Schwenk und Fahrt sowie gleichzeitiger Bewegungen der Figurenzielt auf einen mglichst bergangslosen Bewegungsablauf, der durch schnelle Schnittezustzlich dynamisiert werden kann. Entscheidend ist die Synthese dieser Bewegungs-vorgnge zu einem einzigen Ablauf: alles dient z.B. der Darstellung einer Verfolgungs-jagd, steigert sie in ihrem Ablauf, fgt sich in eine rhythmisch stark gegliederte Abfolgeder Bewegungsablufe. Was vorher bei Hitchcock als Folge einzelner Einstellungen zusehen war, wird bei neueren Filmen des New Hollywood durch die Kamerabewegungzusammengezogen: der Schwenk als Synthese verschiedener starrer Einstellungen, dieFahrt ebenso, dann auch die Kombination von Schwenk und Fahrt.

    Ziel ist oft die sinnliche berwltigung des Zuschauers, die Erzeugung des Gefhls, ineinen Ablauf direkt einbezogen zu sein. In Steven Spielbergs Film Duell z.B. bestehtder ganze Film aus einer einzigen groen Verfolgungsjagd (mit kleinen gliedernden Pau-sen). Durch eine Kombination von bersichtseinstellungen der Fahrt (ein Tanklastwa-gen will einen Pkw vernichten) und Gro- und Nahaufnahmen aus der Innensicht desPkw, Detailaufnahmen von Autospiegeln, Stodmpfern, Reifen und anderen Autode-tails und dem raschen Wechsel der Einstellungen entsteht ein starkes Gefhl der Span-nung und der Einbezogenheit des Zuschauers.

    Die Entwicklung solcher emotionalen Eindrcke durch kunstvoll ineinandergefgte Ab-folgen von Nhe- und Distanzpositionen, der Dynamisierung von Bewegungen und Be-wegungsablufen fhrt dazu, da im neueren Hollywoodkino die Strategien der emotio-nalen Einbeziehung bis zum physisch-psychischen Eindruck des Mitfahrens, Strzens,Fallens vorangetrieben wurden. Mit dem Begriff der induzierten Spannung wird derauch krperlich erlebbare Effekt beschrieben (vgl. Mikunda 1986).

    Die Vernderung der Begriffe durch die Technik

    Bei der Herstellung der Analogie von Kamerawahrnehmung und Zuschauerwahrneh-mung war der Ausgangspunkt, da die Wahrnehmung der verschiedenen Entfernungen,Perspektiven, der Synthese der Bewegungsablufe im wesentlichen durch den Wechselder Einstellungen und durch Vernderungen der Kamerastandorte beim Produzieren

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    erzeugt wird. Der Zuschauer nimmt damit - so die filmische Wahrnehmungskonstrukti-on - jedesmal einen neuen Standpunkt zum Geschehen ein.

    Die Analogie der Kamerabewegung zur menschlichen Wahrnehmung trgt jedoch nur soweit, als sich daraus die Wirklichkeitsillusion beim Zuschauen speisen kann. Der Ka-merablick unterscheidet sich jedoch gegenber dem Zuschauerblick dadurch, da er eintechnisch produzierter ist und damit auch durch die Entwicklung der Technik bedingtenVernderungen unterworfen bleibt. Im Objektiv wird die Technik manifest: Neben demNormalobjektiv mit einer Brennweite zwischen 40 und 50 mm wird sehr frh schon mitanderen Brennweiten gearbeitet. Weitwinkelobjektiv und Teleobjektiv kommen zum Ein-satz und verndern Ausschnittgre und Abbildungsverhltnisse.

    Der Einsatz verschiedener Objektive verndert die filmische Abbildung, nicht aber un-bedingt auch die filmische Wahrnehmungskonstruktion. Bisher war davon ausgegangenworden, da aus dem Grenverhltnis des Abgebildeten innerhalb des Bildrahmens aufdie Entfernung zum Kamerastandpunkt und damit zum impliziten Zuschauer geschlos-sen werden konnte. Mit der Variabilitt des Objektivs kann nicht mehr unmittelbar derKamerastandpunkt ermittelt werden, da die Objektive ganz unterschiedliche Abbildun-gen des gleichen Gegenstandes erzeugen. Dennoch hat diese Differenz der Brennweitennur einen geringen Einflu auf die filmische Wahrnehmungskonstruktion, weil der Zu-schauer von seiner alltglichen Wahrnehmung, seinem unbewaffneten Auge, ausgeht,und sich an den dort gewonnenen Mastben auch bei der Filmwahrnehmung hlt. Erstin dem Augenblick, wo es bei der Objektivwahl zu deutlich erkennbaren Verzerrungeninnerhalb der Abbildung kommt, die von der Wahrnehmungserfahrung des Zuschauersabweichen, also bei Krmmungen der Horizontalen und Vertikalen, bei der Reduktionder perspektivischen Verkrzungen, etc. werden sie als knstliche oder verfremdendeSichtweisen bemerkt, beim Fischauge beispielsweise, oder bei der extremen Teleauf-nahme.

    Mit der Aufnahmetechnik verndert sich auch der Kamerablick. Die Einfhrung desZooms, des die Brennweite beweglich verndernden Objektivs, ist Anfang der siebzigerJahre als eine Verarmung des Kinos bezeichnet worden.

    Der Zoom kombiniert in einem Objektiv durch ein bewegliches Linsensystem die Brenn-weiten verschiedener Objektive. Der Bewegungseindruck entsteht bei einer Zoomauf-nahme durch den gleitenden Wechsel von langen Brennweiten mit einer Tele-Wirkungzu kurzen Brennweiten mit einer Weitwinkel-Wirkung. Durch den bruchlosen bergangverndert sich die Nhe-Distanz-Relation zum Abgebildeten, ohne da die Kamera realim Raum bewegt wird. Die Entfernung zwischen Kamerastandpunkt und gefilmtemObjekt bleibt unverndert, nur die Proportionen des abgebildeten Raumes verndernsich: seine Tiefe verringert sich (Tele) oder vergrert sich (Weitwinkel).

    Der Zoom bedeutet eine konomische Vereinfachung, da nicht mehr Schienen fr eineKamerafahrt verlegt werden mssen. Auch mu keine aufwendige Planung des Fahrt-

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    verlaufs erfolgen. konomisches Volumen und filmische Intelligenz, so der Filmtheo-retiker und Filmemacher Hartmut Bitomsky, werden durch den Zoom in geringeremMae bentigt, der Zoom simuliert Produktionsbedingungen und -weisen, die er nichthat; genauer: durch den Zoom tuschen die Produktionsbedingungen vor, mehr herzuge-ben, als sie tatschlich tun. (Bitomsky 1972, S. 13).

    Bitomsky spricht deshalb auch von Betrug, doch erfolgt diese Kritik aus einem gewis-sen filmischen Purismus heraus, der sich durch nichts rechtfertigt. Er verabsolutierteinen historischen Stand der Produktionsmittel, setzt ihn als filmischen Reichtum ab-solut. Die verstrkte Nutzung des Zooms in den siebziger Jahren hat auch in der Zwi-schenzeit nachgelassen, der Zoom ist heute unangefochten ein filmisches Gestaltungs-mittel neben anderen.

    Mit den technischen Vernderungen werden auch Kamerablicke mglich, die kaum nochEntsprechungen in der auerfilmischen Realitt des Betrachters haben. Sie liegen in derKombination mehrerer Komponenten: Die Synthese von Schwenk und Zoom, oder Ka-merafahrt und Zoom kann dabei gleichlaufend sein, d.h. die Bewegungen von Fahrt undZoom sind gleichlaufend und einander ergnzend. Sie knnen aber auch gegenlufig be-nutzt werden: bei einer Kamerafahrt auf ein Objekt zu kann gleichzeitig ein Zoom einge-setzt werden, der ein Sich-Entfernen vom Objekt suggeriert. (z.B. in Einstellungen inHitchcocks Vertigo, auch in Spielbergs Jaws). Bei genauer Abstimmung der Bewe-gungen scheint keine Bewegung stattzufinden, wohl aber verndern sich die Proporti-onsverhltnisse des Gezeigten, so da der Eindruck einer Vernderung im Sehen(schreckgeweiteter Blick) entsteht.

    Deutlich wird damit jedoch, da sich mit der Vernderung der filmischen Technikenauch der Blick verndert, er mehr und mehr aus seiner dem Zuschauerblick analogenKonstruktion herausgenommen und in neue technische Abbildverhltnisse transformiertwird. Bei der elektronischen Kamera kommen weitere Vernderungen hinzu, die dasfilmische Axiom, mit der Kamera eine Fortsetzung des Wahrnehmungsraums des Be-trachters im filmischen Bild zu schaffen und die visuellen Wahrnehmungsweisen desMenschen durch die Kamera zu imitieren und zu verlngern, tendenziell auer Kraftsetzen. Die Vernderung des Blicks fhrt mit dieser weitergehenden Erweiterung zuneuen artifiziellen und rein technisch bedingten Sichtweisen.

    3. Bildraum, Architektur und Licht

    Die schon mit der Komposition angesprochenen Momente der berlagerung der Formen,der Grendifferenzen im Abgebildeten, der perspektivischen Verkrzungen und derfarbrumlichen Wirkung erzeugen zusammen die Illusion eines homogenen Bildraums.

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    Der mechanische Bildraum

    Die rumliche Wirkung im Bild wird verstrkt durch die in die Kameratechnik einge-baute zentralperspektivische Konstruktion, zum anderen dadurch, da einige gestalteri-schen Grundgewiheiten eingehalten werden. Sie knnen auch durchbrochen werden,haben sich jedoch innerhalb der verbreiteten Filmformen weitgehend durchgesetzt.

    Der Filmemacher Klaus Wyborny hat sie als Axiome des narrativen Films beschrieben(Wyborny 1976). Wyborny spricht davon, da im Filmbild die Horizontalitt des Hori-zonts gefordert wird, ebenso die Vertikalitt der Vertikalen. Abweichungen mssen in-haltlich motiviert werden. Gemeint ist damit, da auch im Film wenn es denn nicht be-sondere inhaltliche Grnde gibt, die eine Abweichung begrnden - oben immer oben ist,unten immer unten, da wir eine Horizontlinie als Waagerechte und eine Senkrechte alsSenkrechte zu sehen erwarten. Das heit, die Gewiheit unserer alltglichen Raumkon-stitution wird im Film besttigt, setzt sich im filmischen Raum fort und trgt auf dieseWeise wesentlich zur Illusionswirkung mit bei. Zu den Konventionen des Normalen ge-hrt auch die Statik der Stativkamera, die diese Raumkonstitution unterstreicht. DerFilm bedient sich dieser Konventionen in der Regel unreflektiert, Abweichungen (Kame-raverkantungen, Verreien der Kamera, unruhige Kamerafhrung) erfahren dadurcheine Aufmerksamkeit, als in ihnen Abweichungen von der Normalitt gesehen werden.Psychisch deformierte Sichtweisen, Traumkonstellationen, berhaupt Ausbrche undAbweichungen vom Normalen werden auf diese Weise signalisiert. Der Raum wird alsKontinuitt und Kohrenz des Abgebildeten stiftende Gewiheit filmisch vorausgesetzt,der Blick damit auf das, was innerhalb dieser Raumkonstituierung geschieht, gelenkt.Gegen diese narrativen Konventionen rebelliert vor allem der experimentelle Film, derauf diese Weise die Materialitt des Filmens sichtbar machen will (z.B. in den Filmenvon Heinz Emigholz). Aber auch im feministischen Film wird ein Durchbrechen dieserKonventionen (z. B. in den Filmen von Elfi Mikesch) als ein Aufbrechen mnnlich domi-nierter Sicht eingesetzt (vgl. auch Mulvey 1976).

    Wie gerade auch eine leichte Verkantung der Kamera, die damit aus Senkrechten undWaagerechten Schrgen werden lt, die scheinbare Normalitt einer Situation in Fra-ge stellen und drohende Gefahren signalisieren kann, lt sich eindrucksvoll am FilmDer dritte Mann ablesen, in dem mit einem System abwechselnder Verkantungen ge-arbeitet wird (vgl. Schwab 1979).

    Der zentralperspektivische Punkt, auf den hin ein Geschehen ausgerichtet ist, steht inAbhngigkeit von der Bildmitte. Liegt er tiefer, haben wir den Eindruck eines hohen,lufterfllten Raumes, liegt er darber, entsteht der Eindruck, da unser Blick strkerauf den Boden gerichtet wird. Mit den Fluchtlinien der zentralperspektivischen Dar-stellung (und dies gilt natrlich auch fr die Zwei- und Mehrfluchtpunktperspektive)wird eine rumliche Wirkung des flchig Abgebildeten erzeugt. Sie entsteht

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    1.) durch Grendifferenzen, wobei das Kleinere so verstanden wird, da es sich tieferim Bildraum befindet als das Grere;

    2.) durch berschneidungen der abgebildeten Krper, wobei auch hier wiederum dievorderen die hinteren tendenziell berdecken;

    3.) durch eine daraus resultierende Gliederung des Abgebildeten in Vorder- und Hinter-grund, wobei es zwischen diesen Ebenen immer bergngen und Verschiebungengeben kann.

    4.) Schlielich kann die Raumwirkung durch eine verstrkende Farbrumlichkeit ge-sttzt werden, wobei sich die krftigen Farben des Vordergrunds von den diffusen,lichten Farben der Ferne abheben.

    Rumlichkeit schafft auch die Bewegung von Objekten vor der Kamera, sie lt denRaum zum Handlungsraum der Figuren, zum Aktionsbereich und Ort des Geschehenswerden. Noch strker raumbildend ist die Bewegung der Kamera, die in die Bildtiefehineinfhrt (Vorwrtsfahrten) und damit den Zuschauerblick mitnimmt (deutlich z. B. inden Raumtiefe erzeugenden langen Flgen ber amerikanische Landschaften in Koya-anisqatsi von Godfrey Reggio). Weniger ausgeprgt im Film sind Rckwrtsfahrten, sielassen hufig ein Gefhl der Angst entstehen. Eine starke raumbildende Wirkung besit-zen auch Querfahrten, bei denen sich hnlich wie beim Eisenbahnfahren die Tiefenstaf-felung des Raums dadurch ergibt, da die Bewegungen im Vordergrund schneller als dieim Hintergrund sind. Hartmut Winkler konstatiert deshalb: Die groe Bedeutung, diedie Bewegung fr die Raumwahrnehmung hat, erklrt, warum Filme ungleich plasti-scher wirken als etwa projizierte Photographie. (Winkler 1992, S. 83).

    Zur Wirkung des filmischen Raums trgt auch die Ausgestaltung des Raumes selbst bei.Bedeutungsstiftend sind Szenerien, in denen ein Geschehen stattfindet, das Ambiente,die gebaute Architektur, die Handlungsfelder abstecken, aber auch zugleich historischeZuordnungen per Anschauungen liefern, und nicht zuletzt die fotografierte Natur selbst.Menschen im Film erleben wir immer innerhalb eines Raumes, den wir in einer Bezie-hung zu den Figuren sehen. So wie in der Literatur auch die Szenerie durch die literari-schen Gestalten definiert wird, so sind im Spielfilm, im Fernsehspiel und in der Serie dieFiguren durch ihren Umraum geprgt und prgen wiederum diesen.

    Natur und gebauter Umraum

    Der im Film gezeigte Raum wird als Handlungsraum der Figuren verstanden. Selbstdort wo Rume ohne Menschen gezeigt werden, erscheinen sie als potentielle Aktions-rume und Bettigungsfelder, als Projektionen von Vorstellungen und Trumen, stehen,

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    nicht zuletzt durch den betrachtenden Blick des Zuschauers, in Beziehung zum mensch-lichen Handeln.

    Kaum ein Raum der physischen Realitt ist dem Film verschlossen. Die Raumdimensio-nen reichen vom Weltraum (z.B. in Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey) alsscheinbar grenzenlosem Raum ber die verschiedensten Landschaften der Erde bis zurgebauten Architektur der Stdte und den Innenrumen von Gebuden und Wohnungen.Der Sclence-Fiction-Film macht sogar die Innenwelt des menschlichen Krpers zumHandlungsort. (Fantastic Voyage von Richard Fleischer) Ebenso erffnet der FilmPhantasie- und Traumwelten mit ihren spezifischen Rumlichkeiten.

    Natur gilt im Film in der Regel und zu Unrecht als ahistorisch. Ein historisches Be-wutsein ber die verschiedenen Formen von Landschaft, Wald, Wiesen, Flu- undBergszenerien besteht nicht, obwohl es kaum eine Landschaft gibt, in die der Menschnoch nicht eingegriffen hat. Natur ist im Film gekennzeichnet durch das Bedeutungsfelddes Ursprnglichen, Urtmlichen, auch des Mythischen. Wenn der Westerner durch diestaubige Landschaft des amerikanischen Westens reitet, dann ist es die Begegnung mitder unberhrten Natur und damit zugleich mit den Grenzen menschlicher Existenz.Ebenso gilt der Kampf mit den Bergen und mit dem Wasser als Grenzerfahrung. InSpielbergs Duell beispielsweise entfernen sich der PKW und der Truck in ihrer mrde-rischen Wettfahrt immer weiter von den Sttten der Zivilisation, um schlielich ihrenZweikampf im unwegsamen Gelnde auszutragen. Erst auf dem Plateau abseits derStrae kommt es zur letzten Entscheidung, bei der der PKW-Fahrer David Mann berden Goliath des Tankwagens triumphiert, der in die Tiefe strzt.

    Schon Bla Balzs wies daraufhin, da Natur im Film immer auch stilisierte Natur sei,da Natur als neutrale Wirklichkeit nicht existiere: Sie ist immer Milieu und Hinter-grund einer Szene, deren Stimmung sie tragen, unterstreichen und begleiten mu.(Balzs 1924, S. 98).

    Dient Natur nicht als Ort eines Geschehens oder als Hintergrund fr die Darstellungmenschlicher Beziehungen, wird sie hufig symbolisch eingesetzt, erscheint als Aus-druck von Stimmungen, die etwas ber Zustnde und Befindlichkeiten der Helden sagensoll. In Werner Herzogs Kaspar-Hauser-Film Jeder fr sich und Gott gegen alle be i-spielsweise wird das Bild des Helden mit dem Bild wogender grner Kornfelder verbun-den, als Ausdruck der Ungewiheit, des spurenlosen Wirkens in der Zeit.

    Hufiger noch als Natur erscheint der umbaute Raum im Film. Der architektonischeUmraum, der durch Menschen geschaffene Raum, ist im Film immer auch Zeichen frhistorische und soziale Gegebenheiten. Durch ihn werden Situationen und Handlungs-felder angelegt. Dazu trug die Geschichte der Baukunst selbst bei, die in ihrer histori-schen Entwicklung auf eine bildhafte Funktion der gebauten Wirklichkeit hinarbeitete.Helmut Frber sieht deshalb eine gradlinige Entwicklung von der Baukunst ber denKinospielfilm zum Fernsehen, weil im bergang von den architektonischen Bildern zu

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    den audiovisuellen, diese sich die Orientierung stiftenden Funktionen der gebautenRume zu eigen gemacht htten: Das Fernsehen hat es von der Baukunst, zumal derStadtbaukunst bernommen, etwas fr alle sichtbar und dauerhaft Vorhandenes zusein, dadurch den Einzelnen ein Gefhl von Sicherheit und einen Zusammenhang her-zustellen, einen Raum, in welchem sie sich orientieren knnen. (Frber 1977, S. 34).

    Architektur im Film lt sich unterscheiden in die Abbildung der realen, auerfilmi-schen Architektur und die speziell fr den Film hergestellte Filmarchitektur im Studio.Der Einsatz von Nachbauten und schlielich freien Konstruktionen im Atelier erfolgtebereits in der Frhzeit, lieen sich doch dadurch die Aufnahmen genauer kalkulierenund unabhngig von Widrigkeiten der Realitt aufnehmen. Es lieen sich Modelle inunterschiedlichen Gren und fr unterschiedliche Zwecke herstellen und gezielt einset-zen. Die Entwicklung von Tricktechniken und special effects hat in solchen Atelierkon-struktionen ihren Ausgangspunkt. Filmarchitektur ist hufig eine Fassadenarchitektur,eine Augenblicksarchitektur, die allein dem Moment ihrer filmischen Fixierung im Filmdient, um danach wieder zerstrt zu werden. Die Entwicklung der Filmarchitektur gehtvon der gemalten Kulissendekoration der frhen Jahre (artifiziell berhht beispielswei-se in Robert Wienes Film Das Cabinet des Dr. Caligari, in dem eine expressive Licht-Schatten-Malerei in Beziehung zu einer expressionistisch gesteigerten Darstellung ge-setzt wurde) zur monumentalen plastischen Architektur der Historien- und Ausstat-tungsfilme Giovanni Pastrones Cabiria, Fritz Langs Nibelungen oder Cecille DeMil-les Samson und Delilah.

    Filmarchitektur kann innerhalb des Films als Staffage ein eher dekoratives Momentdarstellen, ihr werden aber auch strukturell innerhalb der Handlung Rollen bertragen.Sie vermag es, dem schlummernden Unterbewutsein Stimmungen und Gefhle (zu)vermitteln, die alptraumhafte Formen annehmen knnen (Weihsmann 1988, S. 12) undsie kann durch Proportionsverschiebungen und Stilisierungen zum Mitspieler werden.

    Umgekehrt gab es in der Filmgeschichte immer auch die Praxis, Filme in Rumen zudrehen, die auerhalb der Studios vorgefunden wurden. Vor allem der neuere Spielfilmhat durch eine Verbesserung der Aufnahmetechnik (bewegliche und leichte, ge-ruscharme Kameras mit speziellem Geruschschutz, hochempfindlicher Film, mobilereLampen fr die Beleuchtung) den Weg in die Realarchitektur (Weihsmann 1988, S. 15)gefunden. Dazu haben die hheren Kosten eines Nachbaus von Architektur im Studiogegenber der Benutzung realer Bauten beigetragen, aber auch der realistischere Ein-druck, den Filme erwecken, die auerhalb der Ateliers entstehen.

    Fr die Filmwahrnehmung bedeutet die Verlagerung des Spiels in auerfilmische Ru-me eine Verstrkung des Realismuseindrucks , aber auch eine Fiktionalisterung des au-erfilmisch vorgefundenen Raums . Realitt lt sich wie in filmischen Einstellungensehen, bekannte Straenecken lassen Assoziationen an im Film erlebte Situationen ent-stehen.