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Hier wird Wissen Wirklichkeit Neue Wege und Dimensionen der Weiterbildungsberatung – Chancen und Grenzen einer (längst überfälligen) Professionalisierung Vortrag im Odenwaldinstitut „Zukunft braucht Weiterbildung - wir gestalten sie mit" vom 26./27. April 2007 Prof. Dr. Dieter Nittel

Hier wird Wissen Wirklichkeit Neue Wege und Dimensionen der Weiterbildungsberatung – Chancen und Grenzen einer (längst überfälligen) Professionalisierung

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Hier wird Wissen Wirklichkeit

Neue Wege und Dimensionen der

Weiterbildungsberatung – Chancen und Grenzen einer (längst

überfälligen) Professionalisierung Vortrag im Odenwaldinstitut „Zukunft braucht

Weiterbildung - wir gestalten sie mit" vom 26./27. April 2007

Prof. Dr. Dieter Nittel

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Fahrplan meines Vortrags

1. Eigene Bezüge zum Thema

2. Arbeit am Begriff: Was ist Beratung? Die Handlungslogik von Beratung

3. Weiterbildungsberatung vs. Beratung in der Weiterbildung

4. Chancen und Grenzen einer weiteren Professionalisierung

5. Neue Wege und Konzepte

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I. Eigene Bezüge zum Thema

1985 – 1988 Durchführung des Modellprojektes „Zugehende stadtteilorientierte Beratung älterer Menschen“ (im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit) – Leitung des qualitativen Teilprojektes

Seit 1999 kontinuierlich Lehrveranstaltungen an der J.W. Goethe-Universität zur Beratung: Vermittlung von Werkzeugen zur Analyse tatsächlich abgelaufener Beratungsprozesse

Seit 1999 Betreuung von Qualifikationsarbeiten zur WB-Beratung

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Frankfurter Qualifikationsarbeiten zum Thema „Beratung“ – einige Beispiele

Jens Schupp: „Die Möglichkeit der Kompetenzentwicklung im Coachingprozess“ (2007)

Andreas Noll: „Evaluation von Coaching-Prozessen - untersucht am Coaching-Prozess der Frankfurter Sparkasse 1822. Eine empirische Untersuchung“ (2005)

 C. Hoppe: „Beraten, Begleiten, Unterstützen – die Bedeutung von Lernberatung für das selbstgesteuerte Lernen in einem Selbstlernzentrum. Eine empirische Untersuchung“ (2005)

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Beispiele für Qualifikationsarbeiten zum Thema „Beratung“

Pamela Faber: „Weiterbildungsberatung – Evaluation und Fallstudien aus einer Beratungsstelle. Zur Qualität und Rolle der Beratung innerhalb beruflicher Lebensläufe“ (2005)

Stefan Pörtner: „Anforderungsstruktur und Praktiken der Berufswahlberatung“ (2006)

Cornelia Maier: „Pädagogische Professionalität als Element von Existenzgründungsberatung“ (2007)

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II. Arbeit am Begriff (Definition) – die Handlungslogik von Beratung

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Was ist Beratung?

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Normalform von Beratung weist drei Schritte auf:

1. Der Ratsuchende artikuliert ein Problem oder ein Wissensdefizit, das seine lebenspraktische Handlungsorientierung betrifft.

2. Der Ratgeber beschäftigt sich auf Veranlassung des Ratsuchenden damit und unternimmt Lösungsanstrengungen.

3. Der Ratsuchende behält die Entscheidungskompetenz für seine Handlungsplanung und die Autonomie bei der Problembearbeitung.

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Die Normalform von Beratung - Arbeitsteilung RG + RS

Problempräsentation (RS)

Entwicklung einer Problemsicht (RG)

Festlegung des Beratungsgegenstandes (RG + RS)

Lösungsentwicklung (RG)

Lösungsverarbeitung (RS)

Vorbereitung der Realisierung (RS + RG)

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Problempräsentation

Anzeigen eines Problems und Zuschreibung eines Problems

Aufdeckung der Problemkonstitution (Genese, Bedingungen)

Zuspitzung auf eine Problemstellung

Problembewertung

Verdeutlichung eigener Lösungsprojektionen und Lösungsversuche

Bewertung der eigenen Lösungskompetenz

..........

.........

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Vollständiges Modell ---- siehe handout

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Kernproblem in der Weiterbildungsberatung:

Ungeklärtes Verhältnis zwischen einem eher diffusen alltagsweltlichen Verständnis von Beratung, dem (vermeintlich klaren) Auftrag der Einrichtung und der (unbekannten) Beratungspraxis vor Ort.

Die Handlungslogik von Beratung wird in Theorie und Praxis der Weiterbildungsberatung nicht berücksichtigt!

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III. Weiterbildungsberatung vs. Beratung in der Weiterbildung

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Beratung in der Weiterbildung (Brainstorming)

Lernberatung

Einstufungsberatung (Fremdsprachen)

Organisationsberatung

Teilnehmerberatung

Supervision

Weiterbildungsberatung i.e.S.

Karriereberatung

Coaching (Varianten)

Kollegiale Beratung

Kursleiterberatung bzw.

Dozentenberatung

Technikunterstützte Beratung in der WB

Mobile Beratung

Problemorientierte Beratung

Laufbahnberatung

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Weiterbildungsberatung!

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Quelle: Schiersmann/Remmele (2004): Beratungsfelder in der Weiterbildung

PersonenbezogeneBeratung

Organisationsbezogene Beratung

Weiterbildungs-/Kompetenz-

entwicklungsberatung

Weiterbildungsberatung

LernberatungQualifizierungs-

Beratungfür Betriebe

Organisations-Beratung für WB-

Einrichtungen

Unterscheidung von Beratungsformen

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WB-Beratung Person/Teilnehmer WB-System

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PersonenbezogeneBeratung

Organisationsbezogene Beratung

Weiterbildungs-/Kompetenz-

entwicklungsberatung

Weiterbildungsberatung

InformationAufklärung

Qualifizierungs-Beratung

für Betriebe

Kollektive WB-Beratung

Unterscheidung von Beratungsformen

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Weiterbildungsberatung – Meilensteine ihrer Entwicklung (1)

Publikation „Beratung in der Erziehung“ (Mollenhauer) – 1960er Jahre theoretische Fundierung

Bildungsreform: WB als vierte Säule -- WB-Beratung integraler Bestandteil

Forderung der UNESCO-Kommission 1973: Ausbau eines institutionalisierten Informations- und Beratungsangebotes

1980er Jahre Funkkolleg „Beratung in der Erziehung“

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Weiterbildungsberatung – Meilensteine ihrer Entwicklung (2)

1980er Jahre bundesweite Modellprojekte zur Weiterbildungsberatung … keine nennenswerten Konsequenzen (zentrale Institution: Deutscher Städtetag)

1990er Jahre Entwicklung von Programmen zur Zusatzqualifikation (DIE) – Zunehmende Ausdifferenzierung der Weiterbildungsberatung

Zweite Hälfte der 1990er Jahre: Qualitätsdiskussion in der WB Qualitätsdiskussion – widersprüchliche Einheit von Gestaltungsabsichten und Gestaltungsunwillen der Bildungspolitik

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Weiterbildungsberatung – Meilensteine ihrer Entwicklung (3)

Die 2000er Jahre – der Beratungsmarkt boomt

Die Bundesagentur für Arbeit „stößt“ Berufsberatung sukzessiv ab

2000 Deutscher Bundestag - in einem Entschließungsantrag heißt es: „die Beratung zu verbessern und ein Weiterbildungsberatungssystem auszubauen“

2007 bleibt es bei der Einschätzung von 1974

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Erwachsenenbildung: „ein Beratungs-notstandsgebiet par excellence“

(Aurin 1974)

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Daten und Fakten über die Ist-Situation (Schiersmann/Remmele 2004)

Einrichtungen: Weiterbildungsberatungsstellen, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, WB-Einrichtungen, Großunternehmen, Arbeitsämter, Freiberufler

Häufigste Finanzierungsquelle: 1. Landesmittel, 2. Kommunale Mittel – Perspektive: Eigenmittel werden wichtiger

Zielgruppenspezifische Ansprache ist momentan noch dominant (64% ja)

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Daten und Fakten über die Ist-Situation (Schiersmann/Remmele 2004)

Baden-Würtemberg 31 (12,9%)

Bayern 26 (7,9%)

Berlin 17 (5,2%)

Bremen 6 (1,8%)

Hamburg 5 (1,5%)

Hessen 28 ( 8,5%)

Mecklenburg – Vorp. 15 (4,6%)

NRW 97 (29, 5%)

Rheinland-Pfalz 17 (5,2 %)

Saarland 3 (0,9%)

Sachsen 6 (1,8%)

Sachsen-Anhalt 5 (1,5%)

Schleswig-Holstein 29 (8,8 %)

Thüringen 7 (2,1%)

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Daten und Fakten über die Ist-Situation: Kompetenzen von Beraterinnen/Beratern

Kommunikationsfähigkeit bzw. Gesprächskompetenz 97%

Einfühlungs- und Wahrnehmungsvermögen 96%

Detaillierte Kenntnisse des Weiterbildungsmarkts 90%

Breites Wissens- und Erfahrungsspektrum 89%

Kenntnisse in Beratungsmethoden: 74% der eigenständigen Beratungsstellen (circa 50% bei anderen WB-Stellen)

Betriebswirtschaftliche Kenntnisse 25%

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Daten und Fakten über die Ist-Situation: Fachliche Herkunft

WB-Beratungsstellen: 51% Pädagogen, 8 % Geisteswissenschaftler, 9 % Betriebswissenschaftler, 10% Technik/Naturwiss.

WB-Berater IHK: 24 % Pädagogen, 6 % Geisteswissenschaftler, 36 % Betriebswissenschaftler, 17 % Techniker/Naturwissenschaftler

WB-Berater HWK: 25% Pädagogen, 3 % Geisteswiss., 25 Betriebswissenschaft., 22 Techniker/Naturwiss.

FB-Leiter WB-Einrichtungen: 48% Päd., 23% Geisteswiss. 9 % Betriebswirtschaft 7 % Technik/Naturwissenschaft

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4. Chancen und Grenzen einer weiteren Professionalisierung

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Chancen

Komplexität des Weiterbildungsmarktes bleibt bestehen

Der Bedarf nach qualitativ hochwertiger personenbezogener Beratung wird steigen

Die Bundesagentur gibt Beratungsfunktion ab

Abstimmungsprobleme zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem nehmen nicht ab, sondern zu

Weiterbildungsinstitutionen haben sich gegenüber dem sozialen Wandel immer flexibel verhalten

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Chancen

Die alltagsweltlich verankerten Problemlösungskapazitäten werden weiterhin schwinden

Die Individualisierungstendenzen in den Berufsbiographien nehmen nicht ab, sondern sie nehmen zu

Demographischer Wandel produziert die Notwendigkeit, brach liegende Kompetenzen und Qualifikationen gesellschaftlich zu nutzen

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Grenzen

Es gibt keine juristische Basis von Weiterbildungsberatung

Für die Träger ist der Ausbau der WB-Beratung mit nicht antizipierbaren Risiken (Folgefinanzierung) verbunden

Es gibt keine „mit einer Stimme sprechende“ Berufskultur

Kosten für lebenslanges Lernen werden auf die Bürger abgeschoben – der Staat löst sich von der öffentlichen Verantwortung

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5. Neue Wege und Konzepte

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Neue Wege und Konzepte – im Überblick

Pluralisierung des Angebots von Weiterbildungsberatung

Integration von Verfahren zur Kompetenzerfassung und Diagnose in die Beratungsarbeit

„Intelligente Kommerzialisierung“ von Weiterbildungsberatung (Robin-Hood-Prinzip)

Wechsel bzw. Changieren von personen- und organisationsbezogener Weiterbildungsberatung

Ausdifferenzierung von Informations-, Aufklärungs- und Beratungsangeboten und gleichzeitige Integration

Verwissenschaftlichung und Professionalisierung

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Neue Wege und Konzepte – im Überblick

Klassische „Zielgruppenorientierung“ nimmt ab

Von der Angebots- zur Nachfrageorientierung

Praxisbeispiel: Bildungsscheck (Ministerium für Arbeit und Gesundheit in NRW): Weiterbildungsberatungsstellen sollen mit kleinen und mittelgroßen Unternehmen individuell zugeschnittene Inhalte für berufliche Weiterbildung finden. Dies wird z.T. staatlich subventioniert.

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Beispiel für die Pluralisierung des Angebots

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WB- Beratung

Mobile B.Technikgestützte B. Karrierecoaching

Laufbahn-beratung

Informationsorientierte B. Klientenorientierte B.

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Integration von Verfahren zur Kompetenzerfassung und Diagnose in die Beratungsarbeit

Profil-Pass

Kompetenz- und Wissensbäume

„Berufsbiographische Landkarten“

Psychologische Verfahren i.e.S.

Berufliche Einstufungstests

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Neue Wege und Konzepte – Was habe ich vergessen?

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Eine letzte Information, die Sie nachdenklich machen sollte:

Beratung - ein ökonomisch relevantes Feld:

Die Zahl stammt von 1996 (FAZ): In Deutschland gibt es 44.000 Unternehmensberater in 9000 Gesellschaften – Umsatz 14 Milliarden DM

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!