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7. Oktobert 2012 In dieser Ausgabe: Mystikerin und Prophetin Am 10. Mai dieses Jahres ist sie offiziell hei- liggesprochen worden und am 7. Oktober wird sie – erst als vierte Frau überhaupt – zur Kirchenlehrerin erhoben. Mehr über Leben und Wirken der heiligen Hildegard von Bin- gen lesen Sie auf den , SEITEN 3 und 4 Bodenständige Visionärin Das Leben der Hildegard von Bingen ist verfilmt worden. Schauspielerin Barbara Sukowa hat die Rolle der Ordensfrau in dem Film „Vision“ übernommen – eine Herausfor- derung. , SEITE 7 Wurzeln liegen in Eibingen Vor fast 25 Jahren sind Schwestern aus der Abtei St. Hildegard ins Bistum Hildesheim gekommen. Die Benediktinerinnen im Kloster Marienrode sind der von der hl. Hildegard gegründeten Mutterabtei immer noch sehr eng verbunden. , SEITEN 8 UND 9 Neue Kirchenlehrerin Erhebung am 7. Oktober durch Papst Benedikt XVI. in Rom Die meisten heutigen Zeitgenossen kennen Hildegard von Bingen in erster Linie als Autorin der medizinisch-naturkund- lichen Schriften, als Kom- ponistin oder durch Rezepte aus der Klosterküche. Doch das Leben und Werk Hilde- gards von Bingen umfasst weit mehr: Sie war vor allem Benediktinerin, Äbtissin, Theologin, Politikerin und Schriftstellerin. Gleich zweimal wird Hildegard von Bingen in diesem Jahr von der Kirche in den Mittelpunkt ge- rückt, erst die Heiligsprechung und jetzt die Erhebung zur Kir- chenlehrerin. Dabei handelt es sich eigentlich um eine logische und längst überfällige Fort- schreibung der Lebensgeschich- te dieser Ordensfrau, die nicht erst seit ihrer Heiligsprechung am 10. Mai in der Kirche verehrt wird. Schon zu Lebzeiten hatte sie großes Ansehen. Ihr Rat war bei den Großen und Mächtigen in und außerhalb der Kirche ge- schätzt und ihre Ermahnungen durchaus gefürchtet. Aber noch mehr als bei den Herrschern war Hildegard beim einfachen Volk beliebt und ge- achtet. Ihre weiten Seelsorgerei- sen und öffentlichen Predigten machten sie bereits zu Lebzeiten zu einer Volksheiligen. Sie wur- de als „Prohetin der Deutschen“ bezeichnet und schon kurz nach ihrem Tod als Heilige verehrt. Auch wenn ein frühes Hei- ligsprechungsverfahren im 13. Jahrhundert nicht abge- schlossen wurde, wurden Kir- chen nach ihr benannt oder auch die von ihr gegründete Abtei St. Hildegard in Eibingen. Vieles von dem, was die hei- lige Hildegard schon in ihrer Zeit gepredigt oder geschrieben hat, ist heute aktueller denn je. Themen wie Bewahrung der Schöpfung oder Tipps, wie man ein ausgeglichenes Leben füh- ren kann, hat sie schon in ihren Schriften behandelt. „Hildegard hat uns auch heu- te noch einiges zu sagen. Kaum eine Frau aus dem Mittelalter ist noch nach fast 1000 Jahren so bekannt wie sie“, sagt Dr. Wolf- gang Schuhmacher, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Ruperts- berg und Vorsitzender der Ru- pertsberger Hildegard-Gesell- schaft. Seit Langem beschäftigt er sich intensiv mit Leben und Werk der Heiligen: „Hildegard von Bingen weckt in Menschen heute neu die Sehnsucht nach einer ganzheitlich gelebten Spi- ritualität.“ Hildegard von Bingen Ein Service Ihrer Die wahre Dreiheit in der wahren Einheit (Bild aus dem Scivias).

Hildegard von Bingen · 2012-10-04 · pertsberger Hildegard-Gesell-schaft. Seit Langem beschäftigt er sich intensiv mit Leben und Werk der Heiligen: „Hildegard von Bingen weckt

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Page 1: Hildegard von Bingen · 2012-10-04 · pertsberger Hildegard-Gesell-schaft. Seit Langem beschäftigt er sich intensiv mit Leben und Werk der Heiligen: „Hildegard von Bingen weckt

7. Oktobert 2012

In dieser Ausgabe:

Mystikerin und Prophetin Am 10. Mai dieses Jahres ist sie offi ziell hei-liggesprochen worden und am 7. Oktober wird sie – erst als vierte Frau überhaupt – zur Kirchenlehrerin erhoben. Mehr über Leben und Wirken der heiligen Hildegard von Bin-gen lesen Sie auf den ,SEITEN 3 und 4

Bodenständige VisionärinDas Leben der Hildegard von Bingen ist verfi lmt worden. Schauspielerin Barbara Sukowa hat die Rolle der Ordensfrau in dem Film „Vision“ übernommen – eine Herausfor-derung. ,SEITE 7

Wurzeln liegen in EibingenVor fast 25 Jahren sind Schwestern aus der Abtei St. Hildegard ins Bistum Hildesheim gekommen. Die Benediktinerinnen im Kloster Marienrode sind der von der hl. Hildegard gegründeten Mutterabtei immer noch sehr eng verbunden. ,SEITEN 8 UND 9

Neue KirchenlehrerinErhebung am 7. Oktober durch Papst Benedikt XVI. in Rom

Die meisten heutigenZeitgenossen kennenHildegard von Bingen inerster Linie als Autorinder medizinisch-naturkund-lichen Schriften, als Kom-ponistin oder durch Rezepte aus der Klosterküche. Doch das Leben und Werk Hilde-gards von Bingen umfasst weit mehr: Sie war vor allem Benediktinerin, Äbtissin, Theologin, Politikerin und Schriftstellerin.

Gleich zweimal wird Hildegard von Bingen in diesem Jahr von der Kirche in den Mittelpunkt ge-rückt, erst die Heiligsprechung und jetzt die Erhebung zur Kir-chenlehrerin. Dabei handelt es sich eigentlich um eine logische und längst überfällige Fort-schreibung der Lebensgeschich-te dieser Ordensfrau, die nicht erst seit ihrer Heiligsprechung am 10. Mai in der Kirche verehrt wird. Schon zu Lebzeiten hatte sie großes Ansehen. Ihr Rat war bei den Großen und Mächtigen

in und außerhalb der Kirche ge-schätzt und ihre Ermahnungen durchaus gefürchtet.

Aber noch mehr als bei den Herrschern war Hildegard beim einfachen Volk beliebt und ge-achtet. Ihre weiten Seelsorgerei-sen und öffentlichen Predigten machten sie bereits zu Lebzeiten zu einer Volksheiligen. Sie wur-de als „Prohetin der Deutschen“ bezeichnet und schon kurz nach ihrem Tod als Heilige verehrt.

Auch wenn ein frühes Hei-

ligsprechungsverfahren im 13. Jahrhundert nicht abge-schlossen wurde, wurden Kir-chen nach ihr benannt oder auch die von ihr gegründete Abtei St. Hildegard in Eibingen.

Vieles von dem, was die hei-lige Hildegard schon in ihrer Zeit gepredigt oder geschrieben hat, ist heute aktueller denn je. Themen wie Bewahrung der Schöpfung oder Tipps, wie man ein ausgeglichenes Leben füh-ren kann, hat sie schon in ihren Schriften behandelt.

„Hildegard hat uns auch heu-te noch einiges zu sagen. Kaum eine Frau aus dem Mittelalter ist noch nach fast 1000 Jahren so bekannt wie sie“, sagt Dr. Wolf-gang Schuhmacher, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Ruperts-berg und Vorsitzender der Ru-pertsberger Hildegard-Gesell-schaft. Seit Langem beschäftigt er sich intensiv mit Leben und Werk der Heiligen: „Hildegard von Bingen weckt in Menschen heute neu die Sehnsucht nach einer ganzheitlich gelebten Spi-ritualität.“

7. Oktobert 2012

Hildegard

von Bingen

Ein Service Ihrer

Die wahre Dreiheit in der wahren Einheit (Bild aus dem Scivias).

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Hildegard von Bingen2 7. Oktober 2012

Heiligsprechungsdekret

Papst Benedikt XVI. würdigt im Heilig-sprechungsdekret vom 10. Mai 2012die Bedeutung Hilde-gards für die Kirche folgendermaßen:„In der Person Hil-degards von Bingen stehen die Lehre und das alltägliche Leben in vollstem Einklang. Die Tugenden, die sie mit großem Einsatz lebte, sind fest in der Heiligen Schrift, der Liturgie und bei den Kirchenvätern verwurzelt. Sie führte sie unter dem Licht der Benedik-tusregel mit Klugheit zur Vollendung. Sie verband ihren schar-fen Geist und die Gabe, mit der sie die himmlischen Dinge verstand, mit bestän-digem Gehorsam, Einfachheit, Liebe und Gastfreund-schaft. Sie bemühte sich darum, dass in ihren zahlreichen Schriften ausschließ-lich die göttliche

Offenbarung kund-getan und Gott in seiner klaren Liebe erkannt wird. Hilde-gards Lehre zeichnet sich sowohl durch die Tiefgründigkeit und die Richtigkeit ihrer Auslegungen aus als auch durch die Neuigkeit ihrer Visionen, welche dieGrenzen ihres Zeit-alters weit über-schreiten: Ihre Texte, die mit der wahren Liebe des Intellekts durchdrungen sind, bringen eine außer-gewöhnliche Lebens-kraft (viriditas) und Frische hervor, wenn man sie betrach-tet im Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, der Inkarnation, der Kirche, der Mensch-heit und der Natur, die der Mensch als Gottes Geschöpf zu betrachten und der er zu dienen hat.“

Heiligsprechungs­dekret vom 10. Mai 2012

Papst würdigt Hildegard

Ihr Geburtsort und die meis­ten ihrer Wirkungsstätten liegen im Bistum Mainz. Da­rum gibt es dort immer noch eine sehr enge Verbindung zu der neue Kirchenlehrerin, so der Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann:

Die hl. Hildegard von Bingen, die von 1098 bis 1179 lebte, wird schon sehr früh nach ihrem Tod als heiligmäßig verehrt. Dies geschieht vor allem in den be-nediktinischen Klöstern und in den Dörfern und Städten des Umlandes.

Heute sind vor allem die Diö-zesen Limburg, Mainz und Trier Regionen der Hildegard-Vereh-rung. Im Bereich des Bistums Limburg ist ihr Grab in der Pfarr-kirche Eibingen bei Rüdesheim, ganz in der Nähe des gleichna-migen Klosters. In der Diözese Trier gibt es zwei Gedenkstätten: der Disibodenberg als das Klos-ter, in das sie eintrat, und das Kloster Rupertsberg, das von ihr selbst gegründet wurde und im heutigen Bingerbrück zu finden wäre, aber von den Schweden im Dreißigjährigen Krieg völlig zer-stört worden ist. In der Diözese Mainz finden wir in Bingen und seiner Umgebung immer wieder Hinweise auf ihr Leben und Wir-ken, wie der Ordensmann und Historiker Josef Krasenbrink in vielen Studien aufzeigen konnte.

Enge Verbindung zur hl. Hildegard

Alle diese Stätten lagen vom 12. bis zum Beginn des 19. Jahr-hunderts im alten großen Erz-bistum Mainz. Darum ist das Bistum Mainz auch heute noch in enger Verbindung mit der Hei-ligen, die nicht zufällig deswe-gen auch den Zusatz „Hildegard von Bingen“ trägt. Da sie wohl in Bermersheim bei Alzey geboren wurde, haben wir in der Diöze-se auch heute noch den bemer-kenswerten Ort ihrer Geburt.

Deswegen freuen wir uns von Herzen über die Erhebung der hl. Hildegard zur Kirchenlehre-rin. Was ist damit gemeint? Die Kirche kennt bis Ende des 20. Jahrhunderts 30 Kirchenlehrer

sehr unterschiedlicher Herkunft. Alles Männer. Sie zeichnen sich aus durch Zuverlässigkeit der Lehre, Heiligkeit ihres Lebens, eine große theologische Leistung und die Anerkennung durch den Papst. Man findet sie im Unter-schied zu den Kirchenvätern, die in der antiken Welt beheimatet sind, in allen Jahrhunderten.

Es ist viel zu wenig bemerkt worden und aufgefallen, was es bedeutet, dass die Päpste Paul VI., Johannes Paul II. und nun Benedikt XVI. in den letzten 40 Jahren vier große Frauen zu Kirchenlehrerinnen erhoben ha-ben: Katharina von Siena, Teresa von Avila, Theresia von Lisieux und nun Hildegard von Bingen. Sie sind alle auf ihre Weise in Italien, Spanien und Frankreich auch kulturell außerordentlich anerkannt. Die hl. Hildegard kommt als einzige aus dem mit-teleuropäischen, deutschspra-chigen Kulturraum. Sie haben alle höchste Bedeutung für die Erneuerung der Kirche.

Es ist nicht leicht, sich der Ge-stalt der hl. Hildegard zu nähern. Sie bezeichnet sich immer wie-der als „einfältigen Menschen“, als ungelehrt. In Wirklichkeit aber zählt sie nach unseren heu-tigen Maßstäben zu den gro ßen Frauengestalten des ganzen Mit-

telalters: Sie ist Ärztin, Kompo-nistin, Verfasserin großer Werke über die Welt und den Menschen, kennt die Bibel und die Kirchen-väter, kennt sich aber auch in den Naturwissenschaften und in der Medizin sowie im Acker-bau gut aus. Berühmt wurde sie vor allem durch ihre „Visionen“, die in ihren drei Hauptschriften zu finden sind. Sie findet heute auch außerhalb von Kirche und Theologie immer mehr höchste Anerkennung.

Sie hat viel zu sagen über Tiefe des Glaubens

Wir bewundern diese „deut-sche Prophetin“, wie sie bald heißt. Aber sie bleibt uns immer auch fremd, sodass wir uns sehr um das Verständnis ihrer Gedan-ken mühen müssen. Es wird die Aufgabe der kommenden Zeit sein, sie auch als Kirchenlehre-rin in ihrer Bedeutung für unse-re Tage tiefer zu begreifen. Wir danken Papst Benedikt XVI. für dieses große Geschenk der Er-hebung zur Kirchenlehrerin. Sie hat unserer Zeit, gerade wo sie uns fremd erscheint, noch viel zu sagen über die Heiligkeit des Le-bens und die Tiefe des Glaubens.

Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Wer ist die heilige Hildegard von Bingen?Karl Kardinal Lehmann aus Mainz über die neue Kirchenlehrerin

Nicht nur für den Mainzer Bischof, Karl Kardinal Leh-mann, zählt die hl. Hildegard zu den großen Frauengestalten des Mittelalters. Foto: kna-bild

Kirchenlehrer ist ein Titel, den der Papst für herausragende Leistungen in der Theologie und in der Glaubensweitergabe vergibt. In der Regel wurden mit diesem Titel bestimmte ausgewählte Heilige der Kirche geehrt; in seltenen Ausnahmen, wie zum Beispiel bei Albertus Magnus, erfolgte die Heilig-sprechung zugleich mit der Erhebung zum Kirchenlehrer.

Der Titel Kirchen-lehrer entwickelte sich ab dem 13. Jahr-hundert. Im Gegen-satz zu den Kirchen-vätern ist der Titel Kirchenlehrer nicht auf das christliche

Altertum beschränkt. Die Kirchenlehrer

bringen den Men-schen ihrer Zeit und oftmals auch spä-terer Zeiten die Lehre des eigentlichen Kirchenlehrers Jesus Christus auf beson-dere Weise nahe und sind damit Zeugen der Glaubenslehre der Kirche.

Gemäß der Festle-gung durch Papst Be-nedikt XIV. aus dem Jahr 1741 sind vier Merkmale erforder-lich: Rechtgläubig-keit der Lehre, Hei-ligkeit des Lebens, herausragende Lehre und Anerkennung beziehungsweise offizielle Ernennung durch die Kirche.

Was ist ein Kirchenlehrer?

Stichwort

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Hildegard von Bingen

Die Erhebung Hilde-gards zur Kirchenleh-rerin wird hoffentlich den Blick künftig verstärkt auf die Theo logie der heili-gen Hildegard len-ken. Sie reiht sich in die große Reihe der Kirchenlehrer und Kirchenlehrerinnen ein und braucht mit ihrer wahrhaft kos-mologischen Theo-logie den Vergleich mit ihren Zeitgenos-sen Bernhard von Clairvaux, Hugo von Sankt-Viktor oder Anselm von Canter-bury keineswegs zu scheuen. Sie hat uns in ihren Werken eine einzigartige, umfassende Ver-hältnisbestimmung von Gott, Welt und Mensch vorgelegt. Ich denke, hier gibt es für die Theologen noch viele Schätze zu heben. Mir persön-lich ist dabei beson-ders wichtig, dass sie uns Menschen, die immer neu in der kosmischen Ausei-nandersetzung zwi-schen Gut und Böse stehen, immer wie-der zur Bekehrung

und zur Hinwendung zu Christus einlädt. Hildegard lehrt uns, dass die Liebe zur Schöpfung, die Liebe zum Menschen, die Liebe zu Gott und die Liebe zur Kirche eine untrennbare Einheit bilden und dass die ganze Welt, der gan-ze Kosmos, als Ort der Theophanie, als Ort der Selbstoffen-barung Gottes und außerdem als ein Bild des Menschen zu verstehen ist. Wenn das kein groß-artiger Ansatz ist!

Äbtissin Clementia Killewald

7. Oktober 2012 3

Nachgefragt

Was bedeutet die Erhebung zur Kirchenlehrerin?

Hildegard von Bingen ist in der von Männern domi-nierten Welt des Mittelalters eine Ausnahmeerschei-nung, die bis heute fasziniert. Dieser

fesselnde Roman von Hermann Multhaupt, der die historischen Tatsachen nicht verfälscht, lässt ihre Gedanken und Visi-onen, die sie bereits als Kind hat, leben-dig werden und führt den Leser zu ihren Lebensstationen.

Hermann Mult-haupt: „Hildegard von Bingen – In sei nem Licht“ , St.-Benno-Verlag, ISBN: 978-37462-3355-0, 9,95 Euro.

Buch-Tipp

Hildegard von Bingen –In seinem Licht

Von Wolfgang Schuhmacher

Hildegard ist in aller Munde. Kaum ein anderer Mensch, und schon gar keine Frau ist nach fast tausend Jahren so bekannt wie die Heilige vom Rupertsberg.

Die Zeitgenossin von Kaiser Friedrich Barbarossa und des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux wurde im Jah-re 1098 in Bermersheim in der Nähe von Alzey in Rheinhessen geboren. Sie ist das zehnte Kind des Edelfreien Hildebert von Bermersheim und seiner Frau Mechthild. Die Vita Hildegards hält fest, dass ihre Familie sich sowohl durch hohen Adel wie auch durch erleuchteten Ruf und Namen auszeichnete und mit „äußeren Gütern reich ge-segnet“ war.

Neben Bermersheim werden als mögliche Geburtsorte auch Schloss Böckelheim an der Nahe und Niederhosenbach im Kreis Birkenfeld ins Feld geführt. Es ist allerdings auffällig, dass das Güterverzeichnis des durch Hildegard 1150 gegründeten Klos ters Rupertsberg über neun Seiten hinweg zahlreiche Eintra-gungen über Schenkungen aus dem Bermersheimer Gebiet auf-führt. Auch andere Urkunden geben deutliche Hinweise, die auf Bermersheim als Geburtsort Hildegards hinweisen. Daher nennt auch das durch Papst Be-

nedikt XVI. am 10. Mai 2012 er-lassene Heiligsprechungsdekret Bermersheim als Geburtsort der heiligen Hildegard.

Auch die Ruinen des ehemals prachtvollen Klosters auf dem Disibodenberg bei Odernheim am Glan in der Verbandsge-meinde Bad Sobernheim lassen noch erahnen, an welch spiritu-ell reicher und anregender Stät-te Hildegard ihre geistliche Prä-gung erhielt. Eingehüllt in eine Kathedrale von Bäumen helfen die Überreste des ehemaligen Klosters auch heute noch Men-schen, ihren Blick und ihr Herz Gott zu öffnen.

Mit 14 Jahren kam sie auf den Disibodenberg

Hierhin wurde Hildegard im Alter von 14 Jahren von ihren El-tern gebracht und Gott geweiht. Der Disibodenberg hatte schon seit dem 7. Jahrhundert für die Missionierung des Naheraumes eine große Bedeutung. Am Ort des heiligen Disibod errichtete Erzbischof Willigis von Mainz um die Jahrtausendwende ein Kanonikerstift. 1108 entsandte der Mainzer Erzbischof Ruthard Benediktiner zum Disiboden-berg, die dort mit dem Bau eines neuen Klosters begonnen haben.

Dem jungen Kloster war ei-ne Frauenklause angeschlossen, in die Hildegard mit der Klaus-nerin Jutta von Sponheim und zwei weiteren jungen Mädchen – vermutlich im Jahre 1112 am

Allerheiligentag – einzog. Hil-degard und die beiden anderen Mädchen wurden Jutta zur Er-ziehung anvertraut.

Prägung Hildegards durch Jutta von Sponheim

Durch Jutta hat Hildegard ne-ben der für sie zentralen Erfah-rung benediktinischer Spiritu-alität eine umfassende Bildung und geistige Prägung erhalten. Auch wenn Hildegard sich später selbst immer wieder als eine un-gebildete Frau bezeichnet hat, lässt doch ihr Lebenswerk erken-nen, wie vielschichtig sie hier im benediktinischen Umfeld der Mönche gefördert wurde. Ihre Kenntnisse in Theologie, Natur- und Heilkunde, ihr Blick auf den Kosmos, auf Welt und Mensch, ihre Lieder, aber auch ihre zahl-reichen Briefe lassen erahnen, welch reichen Schatz sie hier für ihr späteres Wirken erhielt.

Im Jahr 1115 entschied sich Hildegard endgültig für das be-nediktinische Leben und legte – vermutlich vor Bischof Otto von Bamberg – ihre Ordensgelübde ab. Nach dem Tod von Jutta von Sponheim 1136 wurde Hilde-gard einmütig zur Nachfolgerin Juttas als Meisterin der Frau-enklause gewählt. Dort waren mittlerweile zehn Frauen ver-sammelt.

Eine tief greifende Verände-rung brachte im Jahr 1141 ein vi-sionäres Offenbarungserlebnis.

kFortsetzung auf Seite 4

Mystikerin und ProphetinÜber das Leben und Wirken der heiligen Hildegard von Bingen

Holzrelief der Hildegard von Bingen in der Hildegard-Gedächtniskirche Bingerbrück. Foto: SchuhmacherÄbtissin Clementia Killewald ist die 39. Nachfolgerin der hl. Hildegard. Foto: Abtei

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Hildegard von Bingen4 7. Oktober 2012

Patronat im Bistum

Hattorf (wal). Von den gut 20 Kirchen und Kapellen in Deutschland, die der heiligen Hildegard von Bingen geweiht sind, befindet sich auch ein Gotteshaus im Bistum Hildes­heim – die Kirche St. Hildegard in Hattorf im Harz.

Die Kirche wurde im September 1959 geweiht – und ihre „Paten“ hatten bei der Wahl des Pat­roziniums einen Herzenswunsch. Das Gotteshaus ist eine „Patenschaftkirche“. Das Bonifatiuswerk hatte das Bistum Speyer als Paten für die im Westharz entstehende Kirche gewinnen können. 75 000 Mark ha­ben die Speyerer Katholiken

Der Name war ein Herzenswunsch aus Speyer

kFortsetzung von Seite 3Hildegard selbst beschreibt in ihrem Erstlingswerk „Scivias“ diese Erfahrung: „Es geschah im Jahre 1141 der Menschwerdung des Sohnes Gottes Jesus Chris­tus, als ich 42 Jahre und sieben Monate alt war; ein feuriges Licht mit stärkstem Leuchten, das aus dem offenen Himmel kam, durchströmte mein gan­zes Gehirn und meine Brust und entflammte sie, ohne jedoch zu verbrennen, doch war es heiß, wie die Sonne das erwärmt, wo­rauf sie ihre Strahlen wirft. Und plötzlich verstand ich die Be­deutung der Schriftauslegung, nämlich des Psalters, des Evan­geliums und der anderen katho­lischen Bände sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments.“

Schon als Kind hatte Hildegard Visionen

Zunächst behielt sie diese Er­fahrungen für sich und sprach mit niemandem darüber und versenkte sie in tiefem Schwei­gen. Später schreibt sie, sie habe diese Vision erhalten „wachend und umsichtig bei klarem Ver­stand mit den Augen und Oh­ren des inneren Menschen an zugänglichen Orten nach dem Willen Gottes“. Schon als Kind hatte Hildegard bereits Visionen. Wenn andere Men­schen sich über sie wunderten, schämte sie sich allerdings nach einer solchen Schau. Das wollte sie in späteren Jahren vermei­den und hüllte sich daher oft in eine Mauer des Schweigens. Jetzt aber, in ihrem 43. Lebens­jahr, erhielt Hildegard von Gott selbst in einer Stimme aus dem Himmel den Auftrag: „Schreibe nieder, was du siehst und hörst.“ Aus den privaten und sie oft quä­lenden Visionen wird nun ihre Berufung. Dadurch wird Hilde­gard in die Reihe der alttesta­mentlichen Propheten gestellt, die immer von Gott selbst ihren Auftrag erhalten haben.

Hildegard weigerte sich zu­nächst, der Aufforderung zum Schreiben nachzukommen – aus Selbstzweifel und aus Argwohn gegenüber der Möglichkeit von Missverständnissen. Sie wurde krank, war wie gelähmt und be­gann dann schließlich doch zu schreiben. Ihr erstes theologisch­visionäres Werk „Scivias“ been­dete sie nach mühevoller Arbeit in zehn Jahren im Jahr 1151.

Allmählich wurde Hildegard bekannter. Auf der Synode in Trier 1147/48 setzte sich Bern­hard von Clairvaux für sie ein. Papst Eugen III. entsandte eine Delegation zum Disibodenberg,

um Hildegards Sehergabe zu überprüfen. Schließlich bestä­tigte er ihre Gabe und ermuti­gte sie, die später „Prophetissa Teutonica“, also Prophetin der Deutschen, genannt werden sollte, zu weiteren Schriften. Diese päpstliche Ermutigung Hildegards war ein überaus un­gewöhnlicher Akt.

Die Klause auf dem Disibo­denberg wurde mit der Zeit zu klein. So fasste Hildegard 1147, nachdem sie in einer Vision dazu den Auftrag erhalten hatte, den Entschluss, den Disibodenberg zu verlassen. Der neue Ort wur­de ihr in einer geistigen Schau gezeigt. So zog sie – trotz des anfänglichen Widerstandes des Abtes vom Disibodenberg – zwi­schen 1147 und 1151 mit ihren Nonnen zum Rupertsberg an den Zusammenfluss von Rhein und Nahe. Hier hatte einst der heili­ge Rupertus als Einsiedler gelebt. Die Weihe der Kirche des Klos­ters Rupertsberg im Jahre 1152 ist urkundlich bezeugt. Obwohl es in der Klosteranlage bereits fließendes Wasser gegeben ha­ben soll, beschreibt Wibert von Gembloux die Klosteranlage als eher bescheiden.

Sie stärkt den Glauben und wehrt Irrlehren ab

Seine geistige Strahlkraft er­hielt das Kloster Rupertsberg durch seine Äbtissin Hildegard. Sie sorgte sich um das geistli­che und leibliche Wohlergehen der Schwestern. Diese Worte aus dem Heiligsprechungsdekret vom 10. Mai 2012 umschreiben das vielfältige Tun Hildegards als

Äbtissin auf dem Rupertsberg: „Außerhalb des Klosters setzte sie sich eifrig für die Stärkung des christlichen Glaubens und der Werke ein, indem sie die Irrlehre der Katharer abwehrte, die Erneuerung der Kirche mit Schriften und Predigten unter­stützte und die Verbesserung der Disziplin und Lebensweise des Klerus förderte.“

Sicherheit verliehen dem Klos ­ter die Besitz­ und Schutzurkun­de des Mainzer Erzbischofs Ar­nold vom 22. Mai 1158 und die Schutzurkunde von Kaiser Fried­rich I. Barbarossa am 1. April 1163, der das Kloster unter seinen persönlichen Schutz stellte. 1165 gründete Hildegard ein zweites Kloster in Eibingen in der Nähe von Rüdesheim, indem sie ein verwaistes Augustinerklos ter er­warb und es für 30 Benediktine­rinnen herrichten ließ. Sie selbst fuhr regelmäßig über den Rhein vom Rupertsberg aus zu ihrer neuen Klostergemeinschaft.

Predigtreisen auf Bitten des Papstes

Das Kloster Rupertsberg je­doch blieb ihr Hauptwirkungs­ort. Hier schrieb sie nach ihrem Erstlingswerk Scivias ihre wei­teren Werke. Auf dem Ruperts­berg komponierte sie auch ihre 77 Lieder und Hymnen und ver­fasste ihr Singspiel „Ordo Virtu­tum“. Von hier aus schrieb sie ihre 428 Briefe an Arme und Rei­che, Päpste, Äbte und Kaiser und einfache Mönche und Nonnen, in denen sie als Posaune Gottes, immer ganz die Prophetin, als Mahnerin und Seelsorgerin oder auch als Politikerin erscheint.

Auf die Bitte der Päpste Hadri­an IV. und später Alexander III. unternahm sie – zu damaliger Zeit ungewöhnlich – ab dem Jahr 1159 einige Predigtreisen, um an öffentlichen Orten und in etli­chen Kathedralen die Menschen aufzurütteln, unter anderem in Köln, Trier, Lüttich, Mainz, Metz, Bamberg und Würzburg. Sie warnte vor der Gefahr der Katharer, die damals mit ihrer Kirche und Staat gefährdenden Lehre ganz Westeuropa überzo­gen. Aber vor allem legte sie die Wunden der Kirche offen und ermahnte Klerus, Herrscher, Bi­schöfe und einfache Menschen zu einem Leben nach dem Wil­len des lebendigen Lichtes – also nach Gottes Willen.

Nachdem Hildegard im Som­mer 1179 von schwerer Krank­heit heimgesucht wurde, starb sie am 17. September 1179 auf dem Rupertsberg bei Bingen, umgeben von ihren Schwestern.

Szenen aus dem Leben Hildegards in der Gedächtniskirche Binger-grück. Foto: Schuhmacher

innerhalb kürzester Zeit gesammelt. Vor allem die Frauenver­bände engagierten sich für die Vertrie­benengemeinde in der Diaspora, allen voran die Schwester des damaligen Bi­schofs Isidor Markus Emanuel.

Der Grundstein wurde ebenfalls von der Diözese Speyer gestiftet. Aber gerade die emsig sammelnden Frauen aus Speyer, die die Kirche auch mit Paramenten und Gewändern für Altar und Gottesdienst ausstatteten baten darum, dem Gottes­haus „den Namen ei­ner großen heiligen Frau unserer Heimat zu geben: der heili­gen Hildegard von Bingen“, wie es der damalige Speyerer Domkapitular Thiebes bei der Grundsteinlegung ausdrückte. Er erinnerte daran, dass die Heilige dem Benedikti­nerorden an­gehörte: „Dem Orden, der auch in diesem Land so

Großes geschaffen hat; die Kirchen und Abteien zu Hildes­heim, zu Goslar, zu Lamspringe und zu Zellerfeld. Der alte Glaube ist nicht un­tergegangen, er wird mit diesem Grund­stein aufs Neue in die Erde dieses Landes gesenkt.“

Das Bildnis der Heiligen in der Hattorfer Kirche.

Die Kirche St. Hildegard in Hattorf. Fotos: Kwiotek

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Hildegard von Bingen

Rund um die Heiligspre-chung Hildegards von Bingen und ihrer Erhebung zur Kirchenlehrerin sind zahlreiche Bücher er-schienen. Hier eine kleine Auswahl:

Ein Begleiter durch das Jahr ist „Der Klang der Seele“. Für jeden Tag gibt es einen kleinen Vers aus dem reichen Schatz Hildegards

zu lesen. Lebensweisheiten, Religiöses oder Poetisches wechseln sich ab. Und: Für jeden Tag gibt es zusätzlich

einen praktischen Tipp zu Gesundheit, Ernährung oder Garten.

„Der Klang der Seele, 365 Lebensimpulse“ ist im St.-Benno-Verlag erschienen und kostet 9,95 Euro.ISBN: 978-3-7462-3463-2

Hildegard Strickerschmidt ist Hildegard-Expertin. Für ihr Buch „Mit Seele, Leib und Sinnen – Tugenden und Laster“ hat die Diplom-Heilpädagogin das Buch der Lebensverdienste, „Liber Vitae meritorum“, der hei-ligen Hildegard untersucht. Hildegard hat darin Gegen-satzpaare von Tugenden und Lastern gebildet. Ihre Erkenntnis: Wer den Lastern folgt, aus Bequemlichkeit, Egoismus oder anderen Gründen nicht mehr das tut, was er als richtig erkannt hat, verkümmert an Leib und Seele. Wer aber den

Tugenden folgt, sammelt geistige Lebenskräfte, die Schwung und Freude ins Leben bringen. Anhand

ausgewählter Laster-Tugend-Paare versucht die Autorin aufzuzeigen, wie man mithilfe der heiligen Hildegard ein glückliches Leben führen kann.

„Mit Seele, Leib und Sinnen – Tugenden und Laster“ von Hildegard Strickerschmidt ist im St.-Benno-Verlag erschienen und kostet 9,95 Euro. ISBN: 978-3-7462-3467-0

Dass Fenchel gut ist für die Verdauung, Salbeitee bei Halsschmerzen hilft und Sellerie rheumatische Beschwerden lindert, ist be-kannt. Aber was ist mit der Pfi ngstrose, Brombeeren, der Schlüsselblume oder der Brennessel? Die heilige Hildegard wusste auch um ihre heilenden Wirkungen. So hilft die Schlüsselblume bei Melancholie, Depres-sionen und Alpträumen. In Wein gekochte Pfi ngst-rosenwurzeln und -samen lindern die Beschwerden bei Erkältung und Bronchitis.

Bei Magenverstimmung soll man frisches Brennessel-kraut essen. Ein mit Honig, Bertramwurzeln, Wein und Oreganum selbstgemach-tes Brombeerelexier kann sogar schon kleinen Kindern gegen Husten verabreicht werden: „Je nach Größe und Alter einen halben bis zwei Teelöffel.“ Neben dem Kräuterwissen im Buch „Die Hildegard Pfl anzen-Apo-theke“ beschreibt der Autor Reinhard Schiller auch ganz genau, was man zur Herstel-lung von eigenen Heilmit-teln braucht und worauf man dabei achten muss. Auch über Nebenwirkungen der pfl anzlichen Heilmittel wird aufgeklärt.

„Die Hildegard Pfl anzen- Apotheke – Heilpfl anzen für ein gesundes Leben“ von Reinhard Schiller ist im St.-Beno-Verlag erschienen und kostet 14,95 Euro.ISBN: 978-3-7462-3466-3

7. Oktober 2012 5

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Hildegard von Bingen6 7. Oktober 2012

In Nebraska inspiriert sie Künstler, in Italien Sänger. Feministinnen bauen sie in ihre Kunst ein. Hilde-gard von Bingen bewegt heute die Menschen rund um den Globus. Sie ist ein weltweiter Star.

Die nördlichsten Hildegard-Freunde sind mit Sicherheit die Mitglieder der finnischen Hildegardgesellschaft. Sie treffen sich in der westfin-nischen Küstenstadt Oulu, um Rezepte auszutauschen und Hildegards Kompositi-onen aufzuführen. In Semi-naren, die dort angeboten werden, können die Finnen die Naturmedizin der „Pyhän Hildegardin“ kennenlernen.

„Starke Frau, die mit den Mächtigen stritt“

Als Expertin, die weiß, wie sich die Menschen gesund er-nähren, dafür ist Hildegard in ganz Europa bekannt. Pro-dukte nach Hildegards Re-zepten sind in vielen Ländern erhältlich. In Warschau und Krakau können Freunde von Hildegards Heilkunst Dinkel-produkte über das Internet bestellen. Im schwedischen Städtchen Valbo betreibt Annika Norin ein Online-Ge-schäft mit dem Namen „Veri-ditas“. Hier können ihre Kun-den Hautpflege, Kräuter und Bücher kaufen. Und auch in der Slowakei bietet ein Hilde-gard-Online-Portal Cremes, Suppen und Säfte an.

Im Süden Europas, im ita-lienischen Como, schätzen die Menschen Hildegard von Bingen als Musikerin. Der Frauenchor „Hildegard von Bingen“ widmet sich ausschließlich Werken von Komponistinnen. Der Diri-gentin Tiziana Fumagalli be-deutet Hildegard von Bingen sehr viel in ihrem Leben. „Ich bewundere Hildegard dafür, dass sie sehr selbstbewusst mit den Mächtigen ihrer Zeit stritt. Sie war eine starke Frau, auch in Situationen, in denen sie sich schwach fühlte“, sagt die italienische Musikerin. Für sie sind Hil-degards Kompositionen das Wichtigste: „Ihre Musik ist sehr weiblich. Das gefällt

mir. Sie ist schwierig und ih-rer Zeit weit voraus. Die No-ten gehen von den tiefsten Tönen zu den höchsten. Und ich mag, dass ich ihren Atem in ihrer Musik spüren kann.“

„Gott hat kreative Menschen geschaffen“

Als Künstlerin wird Hilde-gard von Bingen auch jenseits des Atlantiks, in den USA, in Nebraska, geschätzt. Im dortigen Hildegard-Zentrum bieten Ehrenamtliche Kunst-kurse an und richten Krea-tivwettbewerbe für Schüler aus. Die Präsidentin des Zent rums, Kim Einspahr, sagt über Hildegard von Bingen: „Für mich persönlich ist Hil-degards Kunst ein Zeichen für die ’göttliche Einmischung‘ in der Welt, für eine „erwachte Kreativität“, die von spiritu-ellem Licht und einem of-fenen Herzen inspiriert ist. Wir im Hildegard-Zentrum glauben, dass Kreativität den Menschen auf einen spi-rituellen Weg führen kann. Gott hat uns als kreative Menschen geschaffen. Das zu entdecken, dazu ermutigt uns Hildegards Werk.“

Ihre Heiligsprechung und Erhebung zur Kirchenleh-rerin beweise, dass sie eine zeitlose Persönlichkeit sei, meint Kim Einspahr. Als sie die Nachricht erhalten ha-ben, seien sie im Hildegard-

Zentrums außer sich vor Be-geisterung gewesen. Gefreut hat sich auch Carole Levin, Geschichtsprofessorin an der Universität von Nebraska. Sie bewundert Hildegard für ih-ren tiefen Glauben und Mut.

Die Hildegard-Freunde im Mittleren Westen der USA verehren Hildegard von Bingen nicht nur als Künst-lerin. Das Zentrum möchte ein neues Gebäude für seine Kunst-Projekte errichten. Da es Hildegard von Bingen sehr wichtig war, im Einklang mit der Schöpfung zu leben, soll es ökologischen Kriterien entsprechen.

Hildegard von Bingen ist auch in New York anzu-treffen. Im Brooklyn Muse-um, im Elizabeth A. Sackler Zentrum für feministische Kunst, scheint die Binger Heilige an einem Bankett-Tisch zu sitzen, zusammen mit Judith aus dem Alten Testament, der Astronomin Caroline Herschel und der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf. Hildegards Tischläufer wurde mit der englischen Stickereitech-nik gestaltet, mit der im 13. Jahrhundert liturgische Ge-wänder verschönert wurden. Das Motiv auf ihrem Teller ist einer gotischen Fensterrose nachempfunden.

Der Hildegard-Tisch ist Teil eines Kunstwerks der Amerikanerin Judy Chicago.

Die feministische Künstlerin hat „The Dinner Party“ in den 1970er-Jahren geschaf-fen. 39 Frauen, die in der Ge-schichte eine Rolle spielen, werden mit einem festlich gedeckten Tisch geehrt. Die Tische bilden ein Dreieck, sodass die Frauen sich anzu-schauen scheinen. Auf den Boden sind 999 Namen wei-terer bedeutender Frauen geschrieben.

Im Einklang mit der Natur leben

Hildegard von Bingens Ruf reicht jetzt auch in die digi-tale Welt. 134 Personen in Polen gefällt Hildegard von Bingen auf Facebook. Auch mehrere spanisch und nie-derländisch sprechende Hil-degards von Bingen haben ein Facebook-Profil. Jede von ihnen hat etwa 20 bis 50 Freunde. Viele von ihnen ha-ben den „Gefällt mir“ -Knopf gedrückt, als verkündet wur-de, dass sie zur Kirchenlehre-rin erhoben wird. Besonders häufig diskutieren die Nutzer über ihre Rezepte und darü-ber, wo ihre Produkte erhält-lich sind. So verbreitet sich ihr Wissen auch im Web 2.0. Die heilige Hildegard hätte sicherlich nichts dagegen, wenn so immer mehr Men-schen in der ganzen Welt im Einklang mit sich und der Natur lebten.

6 7. Oktober 2012

Zwischen Oulu und New YorkOb als Ildegarda, Hildegardin oder Hildegarde: Die „neue“ Heilige wird weltweit verehrt

Hildegard-Tisch im Brooklyn-Museum. Er steht zwischen dem Tisch von Eleonore von Aquitanien, Königin von England, und Petronilla de Meath, die in Irland als erste Hexe verbrannt worden ist. Foto: Judy Chicago, Image/Jook Leung

Antiphon (Wechselgesang)

„O quam mirabilis“

Wie wunderbar ist doch das Wissen im Herzen der Gottheit,das urewig jedes Geschöpf hat erschaut!Denn Gott, da er blickte ins Antlitz des Menschen,den er gebildet,er sah all sein Werk insgesamt in dieser Menschengestalt.Wie wunderbar ist dieser Hauch,der also den Menschen erweckte!

Hildegard von Bingen

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Hildegard von Bingen

Von Ulrike Schwerdtfeger

„Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bin-gen“: Es ist schon eine Weile her, dass dieser Film in den deutschen Kinos lief. 2009 verfilmte Regisseurin Margarethe von Trotta das Leben der Heiligen, gespielt von Barbara Sukowa.

Für die Schauspielerin ist Hil-degard von Bingen mehr als eine „Kräuter-Nonne“: „Ich finde, sie ist eine facetten-reiche Persönlichkeit“, sagt Barbara Sukowa. „Als Visio-närin, Heilerin, Komponistin

und eigenwillige Magistra ei-nes Benediktinerinnenklos-ters im 12. Jahrhundert war sie eine überaus bedeutende Person der damaligen Zeit.“ Zugleich sei sie eine mit al-len Wassern gewaschene Ge-schäftsfrau gewesen, die ihre Interessen gegenüber hohen kirchlichen Würdenträgern durchzusetzen wusste.

Im Film „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“, der längst auch auf DVD erhältlich ist, spielt Sukowa die junge Benedikti-nernonne Hildegard, die ei-ne seherische Begabung hat. Als sich diese Gabe herum-spricht, wird die Ordensfrau berühmt. Doch sie irritiert

damit manchen Zeitgenos-sen: Was, wenn die Seherin einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat? Hildegard spürt die Skepsis und setzt al-les daran, ein eigenes Kloster zu gründen.

Ihre Visionen haben Grenzen gesprengt

„Sie war eine Frau, die sich etwas genommen hat, was ihr die damalige Gesellschaft verwehrt hat“, weiß Barbara Sukowa. „Hildegards gesell-schaftliche Möglichkeiten als Nonne und Äbtissin in einem Kloster waren sehr begrenzt. Durch ihre Visionen hat sie diese Grenzen gesprengt.“ Ihre Visionen wurden von der Institution Kirche aner-kannt. „Dadurch hat sie sich einen Freiraum geschaffen, in dem sie sich im modernen Sinne verwirklichen konn-te.“ Sukowa, die aus Bremen stammt, ist für den Film in die Rolle einer Heiligen ge-schlüpft, die ein unglaubli-ches Arbeitspensum bewäl-tigte und dennoch für die damalige Zeit ungewöhnlich alt wurde: Am 17. September 1179 starb sie mit 81 Jah-ren auf dem Rupertsberg bei Bingen.

„Hildegard war eine Frau mit sehr wachem Intellekt, die – trotz physischer Schwä-che – zielstrebig, hartnäckig und kraftvoll war“, sagt Su-

kowa. „Eine Kämpferin, die wusste, wie sie zum Ziel kommt und die sich in der Männerwelt dieser Kirche oft klein gemacht hat, um gehört zu werden.“

Für Sukowa war es eine Herausforderung, sich in die Denkwelt eines Menschen hineinzuversetzen, der vor 1000 Jahren gelebt hat und fest im Glaubensbild des 12. Jahrhunderts verwur-zelt war, einer Zeit, in der die Menschen an Himmel und Hölle, Verdammnis und Auferstehung glaub-ten. „Mir hilft es in solchen Fällen, wenn ich mir in dem Material etwas suche, das eine Verbindung zum Heute schafft, und bei der Person auf etwas stoße, das mit mir selbst zu tun hat“, so Suko-wa. Freundschaft und Tod –

bei diesen Themen spürte sie eine starke Verbindung. Eine Annäherung an die Heilige gelang der Schauspielerin auch über Hildegards Briefe. Außerdem half es ihr, sich die Ordensfrau als Leiterin eines großen Konzerns vor-zustellen: „Da braucht man – ebenso wie bei der Gründung und Führung eines Klosters – Logistik und Strategie.“

Schauspielerin hat sich im Kloster vorbereitet

Um sich in ihre Rolle hi-neinzufühlen, sah sich die Schauspielerin alte Gemälde an und achtete darauf, wie die Leute ihre Hände falteten, welche Kleidung sie trugen und was sie für Posen ein-nahmen. Sie las die Benedik-tinerregel und in der Bibel, insbesondere die Psalmen. Und sie unternahm Spazier-gänge durchs Kloster: „Wenn man sich innerhalb dieser ro-manischen Mauern bewegt“, findet Sukowa, „kann man einiges von der Atmosphäre einatmen.“

Auch mit ihrem Glauben beschäftigt sich die Schau-spielerin seit den Dreharbei-ten wieder intensiver. Der Film habe erneut einen Kon-flikt in ihr aufgebrochen: „Mal empfinde ich sehr stark“, so die 62-Jährige, „mal bin ich ganz rausgeworfen aus dem Glauben.“

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Bodenständige VisionärinHildegard, die unerschrockene Nonne, bot auch Stoff für einen Kinofilm

Zur Info

„Vision“Der Film „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ von Regisseurin Margarethe von Trotta ist auch als DVD erhältlich. Darsteller: Barbara Suko-wa, Heino Ferch, Hannah Herzsprung, Alexander Held, Lena Stolze, Paula Kalenberg, Sunnyi Melles, Deutschland 2009, Laufzeit: 111 Minuten, 12,95 Euro

Mehr als eine „Kräuter-Nonne“: Hildegard von Bingen wird im Film als eine ziel-strebige Frau mit wachem Intellekt dargestellt, die durch ihre Visionen Grenzen gesprengt hat. Fotos: Concorde Filmverleih

Die junge Benediktinerin, gespielt von Barbara Sukowa, irritiert mit ihrer seherischen Begabung manchen Zeitgenossen.

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Hildegard von Bingen

Von Edmund Deppe

Marienrode. Vor 24 Jah-ren, am 4. Mai 1988, zogen 10 Schwestern der Abtei St. Hildegard aus Eibingen ins Kloster Marienrode ein. Inzwischen ist der Konvent ein eigenständiges Priorat. Doch die Wurzeln zur Abtei St. Hildegard im Rheingau sind nicht vergessen.

Wer allerdings glaubt, in Mari­enrode würde die heilige Hilde­gard einem auf Schritt und Tritt begegnen, der dürfte eher ent­täuscht sein. Auf den ersten Blick findet man sie nur in den Regalen des Klosterladens. Aber so wie der Geist des heiligen Benedikt, des Ordensgründers, ist auch der Geist der heiligen Hildegard spürbar. Die Benediktinerinnen freuen sich darüber, dass diese große Frau des Mittelalters von Papst Benedikt XVI. zur Kirchen­lehrerin erhoben wird.

Hildegard sieht sichals Teil des „Ganzen“

„Hildegard hat mit allen Sin­nen die sie umgebende Welt wahrgenommen, sie hat im Herzen des Ganzen gelebt und sich als Teil dieses Ganzen ver­standen“, sagt Priorin Schwester Maria Elisabeth Bücker. „Hil­degard hat das bezeichnet als: eingeästet in den Kosmos. Alles Tun und auch alles Unterlassen stehen miteinander in Wechsel­wirkung.“

Schwester Maria Elisabeth sieht sich und ihre Mitschwes­tern in der Tradition Hildegards.

„Immerhin liegen unsere Wur­zeln in Eibingen, in der von Hil­degard gegründeten Abtei St. Hildegard – auch wenn nicht mehr alle von uns direkt von dort gekommen sind. Aber auch die Schwestern, die hier in Mari­enrode eingetreten sind, spüren die Verbindung.“ Für Schwester Maria Elisabeth steht fest: „Auch Marienrode ist ein Kloster der heiligen Hildegard!“

Diese Verbindung mit Hilde­gard wird auch in einer Ikone deutlich, die eine Mitschwester vor Jahren angefertigt hat und die heute im Gemeinschafts­raum des Konvents hängt.

Spuren der Heiligen im Kloster Marienrode

Hildegard und Benedikt ste­hen neben einem Weinstock. Zwischen den Rebzweigen sind Klöster und Kirchen zu sehen, die Früchte des Lebens der Hei­ligen: die Klöster Disibodenberg und Rupertsberg, das ehemalige Kloster in Eibingen, die Abtei St. Hildegard und das Kloster Ma­rienrode. Es sind Orte, die von Hildegard gegründet wurden, in denen sie wirkte oder die in ihrer Nachfolge stehen. „In dieser Iko­ne wird deutlich, dass die heilige Hildegard die große benedikti­nische Tradition bereichert und entfaltet hat, sodass sie zu Recht neben dem heiligen Benedikt als

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Kloster Marienrode „Marienrode ist ein Hildegard-Kloster!“Enge Verbundenheit mit der Mutterabtei St. Hildegard in Eibingen

Gedanken Schwester Ma-ria Elisa beth: „Verbunden durch die ge-meinsame be-nediktinische Tradition fühle ich mich mit der heiligen Hildegard verwandt.“Fotos: Deppe

Das Kloster Marienrode ist eingebettet in zwei Traditionen – die des Ordensgründers Benedikt von Nursia und die der heiligen Hildegard.

22. Mai 1125: Gründung eines Augustiner­Chorherrenstifts

von ca. 1220–1259: Doppelkloster mit Augus­tiner­Chorfrauen

1259–1806: zisterziensisches Klosterleben im „monasterium novalis sanctae Mariae“ (Klo­ster Marienrode) bis zur Aufhebung während der Säkularisation

seit 1806: Aus der ehemaligen Klosterkirche wird die katholische Pfarrkirche für die Ge­meinden Marienrode und Neuhof

1806–1986: Nutzung des Klosters als Gutshof (seit 1864 Klostergut Marienrode in der Ver­waltung der Klosterkammer Hannover)

1983/84: Bischof Dr. Josef Homeyer wirbt in der Abtei St. Hildegard für eine Neugründung im Bistum Hildesheim

Am 11.11.1984 stimmt die Gemeinschaft unter Äbtissin Edeltraud Forster diesem Anliegen zu

1985–1989: Erwerb der Klostergebäude durch das Bistum Hildesheim, Renovierung und Umgestaltung der Kloster­ und Pfarrkir­che

5. Mai 1988: Neubeginn des klösterlichen Lebens durch zehn Schwestern der Benedik­tinerinnen­Abtei St. Hildegard, Rüdesheim­Eibingen

5. Mai 1998: Erhebung zum Koventual­Priorat und Einsetzung der Priorin Sr. Maria Elisabeth Bücker OSB

28. Mai 2002: erste eigenständige Wahl einer Konventualpriorin; Sr. Maria Elisabeth Bücker OSB wurde vom Konvent in ihrem Amt für 12 Jahre bestätigt

seit 2011: im Kloster Marienrode leben elf Konventfrauen und ein Spiritual

„Der Himmel auf Erden ist überall,wo Menschen von der Liebe zu Gott,zu ihren Mitmenschen und sich selbsterfüllt sind.“

„Der wechselhafte Mensch braucht einen Halt. Er bedarf der Disziplin und der straffen Lebensführung.“

Hildegard von Bingen

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Hildegard von Bingen

Arbeiterin im Weinberg er­scheint.“

Schwester Maria Elisabeth macht auf eine weitere wichtige Spur der großen Ordensfrau aufmerksam. Im Altar der Mari­enroder Klosterkirche ruht eine Reliquie der Heiligen, direkt ne­ben einer Reliquie des heiligen Bischofs Godehard von Hildes­heim. Auch der Gedenktag der Heiligen wird am 17. September in Marienrode gefeiert. Dennoch stehen diese äußeren Spuren für die Priorin nicht an erster Stelle: „Wichtig ist, dass Hildegard vor allem in uns lebt.“

Mehr als Kräutermedizin und Kochrezepte

Schade findet die Priorin, dass Hildegard viel zu oft auf Kräu­ter, Medizin, Kochen und Na­turwissenschaft reduziert wird. „Ich hoffe aber, dass ihre nicht immer leicht verständlichen theologischen Werke durch ihre Erhebung zur Kirchenlehrerin zukünftig mehr gewürdigt wer­den.“ Dass sie sich mit Heilkräu­tern auskannte, sei nichts Beson­deres gewesen, denn gerade in den mittelalterlichen Klöstern habe man ein großes Wissen um die Heilkraft der Kräuter und die Zusammenhänge der Natur gehabt. Da sei Hildegard keine Ausnahme gewesen. „Sie hat ihre Umwelt und die Natur in­tensiv beobachtet. Sie war offen für alles, besonders auch für die Menschen, für ihre Mitschwes­tern genauso wie für die Gäste, die das Kloster besuchten“, so Schwester Maria Elisabeth. „Hil­degard hat die Welt mit allem, was auf ihr lebt, als uns anver­traute Schöpfung Gottes erfah­ren.“

Die Priorin gehört selbst zu

den Schwestern, die noch di­rekt von Eibingen aus der Abtei St. Hildegard ins Bistum Hildes­heim gerufen wurden. Hilde­gard ist für sie natürlich mehr als nur eine Heilige unter anderen. „Ich fühle mich durch unsere ge­meinsame Ordenstradition mit ihr verwandt und ich freue mich, dass sie jetzt zur Kirchenlehrerin erhoben wird.“ Dieser Schritt, da ist sich die Ordensfrau sicher, ist längst überfällig. „Hildegard hat nämlich auch den Menschen heute noch etwas zu sagen, so wie sie schon zu Lebzeiten den Großen und Mächtigen ins Ge­wissen geredet, ihnen Ratschlä­ge gegeben und auch tröstende Worte gefunden hat. Vor den Mächtigen der Kirche hatte sie keine Angst. Innerkirchliche Missstände hat sie mit deut­lichen Worten angeprangert

und man hat auf sie gehört, weil ihre Gottverbundenheit nicht zu übersehen war. Manchmal wäre es gut, so eine Hildegard auch heute zu haben. Von Hildegard könnten wir wieder neu lernen, dass Gott sowohl der Herr der Welt als auch der Herr der Kir­che ist.“

Die innere Haltung, die Le­bensweise und Einstellung der zierlichen und kränklichen Hil­degard beeindrucken Schwester Maria Elisabeth immer wieder, vor allem aber ihr auf Gott hinge­ordnetes Leben. „Ihr Leben mit und in Gott, das ist es, was diese Frau wohl am meisten auszeich­net. Wichtiger noch als ihre theo­logischen Werke ist für mich das innere Licht, das sie als Vision gesehen hat. Sie hat das nicht für sich behalten, sodass dieses innere Licht nun bis in unsere Zeit hinein strahlt.“

Kirchenlehrerin mit aktueller Botschaft

Wenn Schwester Maria Eli­sabeth überlegt, was die heili­ge Hildegard eigentlich als Kir­chenlehrerin auszeichnet, dann ist es ihre zentrale Botschaft. „Diese Botschaft ist heute noch so aktuell wie damals. Sie lau­tet schlicht: „Gott ist da!“ Hilde­gards Leben ist ein kraftvolles Zeugnis dafür, dass Gott heute ebenso wie an jedem anderen Punkt der Geschichte gegenwär­tig ist. „Da steckt alles drin – Vertrauen, Glaube, Zuversicht, Hoffnung und Liebe“, so die Ordensfrau. „Aus einer solchen Verbundenheit mit Gott heraus die Zeichen der Zeit zu erken­nen, das ist vielleicht das Wich­tigste, was Hildegard uns heute zeigen will. Sci Vias – Wisse die Wege.“

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Hildegard-Musik

Zwei Augenhast du, o Gott, mir gegeben,

um den Weg zu wählen, den ich gehen soll.

Wenn ich mich nämlich im Finstern verberge,

kann ich ganz mutwillig handeln;im Licht aber werde ich gesehen,

und statt Belohnung ziehe ich mir Strafe zu.

Lebendiger Gott,ich rufe dich an,

führ mich den Weg des Lichts.Heile meine bösen Geschwüre,

dass ich mich am Tag nicht schämen muss.

Zerreiß die Stricke meiner Gefangenschaft.

(Aus: Gebete der hl. Hildegard)

Gebet des älter werdenden Menschen

Gebet

Buch- und Kunsthandlung

Figur der heiligen Hildegard im Konventraum in Marienrode.

Schwester Maria Immaculata spielt gern Stücke der heiligen Hildegard auf der Orgel in der Klosterkirche. Schon in Eibingen hat sich die ehemalige Kantorin des Marienroder Konvents intensiv mit der Musik der Heiligen befasst und an der ersten kritischen Ausgabe der musikalischen Werke Hildegards mitge­arbeitet.

„Bei uns im Kloster­laden gab es auch bei der Heiligsprechung Hildegards keine vermehrte Nachfrage nach Hildegard­Lite­ratur. In unserer Ab­tei in Eibingen sieht das ganz anders aus. Aber da kommen die Menschen auch extra hin, um etwas über Hildegard von Bingen zu erfahren“, sagt Schwester Re­nata. Sie gehört zum Team der Buch­ und Kunsthandlung des Klosters Marienrode.

Im Kloster Marienrode leben die Benediktinerinnen nach der Regel „ora et labora“, „bete und arbeite“. Ihren Le-bensunterhalt erwirtschaften sie unter anderem mit dem Klosterladen und der Führung des Exerzitienhauses.

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Hildegard von Bingen10 7. Oktober 2012

Von Christa Kaddar

Brigitte Pregenzer ist Hilde-gardberaterin, Buchautorin, hält Vorträge, leitet Seminare und hat in Dornbirn in Öster-reich die Hildegardakademie gegründet. Ein Wort der hei-ligen Hildegard von Bingen ist ihr Leitmotiv: „Pfl ege das Leben, wo du es triffst.“

„Ich lebe – nach meiner eige-nen Einschätzung – völlig nach Hildegard und ich spüre den Unterschied, wenn ich mich vo-rübergehend nicht mehr nach Hildegard ernähre oder nicht nach den sechs Goldenen Le-bensregeln lebe“, sagt Brigitte Pregenzer. Wenn sie so aus der Balance komme, könne sie gleich gegensteuern. „Die Lebenspfl e-ge ist ein Achtsamwerden und ein Bewusstwerden, speziell der alltäglichen Dinge“, betont Pre-genzer, die zufällig vor 26 Jah-ren über einen „Dinkeltag“ zu Hildegard kam. „Erst viel später waren es die Gewürze, die mich vom Geschmack und von der Wirkung her faszinierten und die Heilmittel, die prompt und nachhaltig wirkten.“

Menschen sollen „einfach“ leben

Im Selbststudium, durch Li-teratur, Vorträge und Seminare bildete sie sich vor über 15 Jah-ren zur Hildegardberaterin aus – eine Ausbildung dafür gab es nicht. „Deshalb habe ich 2008 die Hildegardakademie gegrün-det, um Referenten auszubilden, die diese Lehre fundiert weiter-verbreiten können.“ Wichtig ist es ihr, dass an der Akademie außer ihr weitere kompetente Fachleute als Referenten arbei-ten, um die Qualität und Mei-nungsvielfalt der Ausbildung zu gewährleisten.

In den Büchern von Brigitte Pregenzer, die sie mit Brigitte Schmidle gemeinsam verfasste, gehen neben der Ernährung al-le wichtigen Lebensthemen pa-rallel einher. Sei es das Fasten, die Geistes- und Talentpfl ege, die Eigenverantwortung für Ge-sundheit und Krankheit oder das Thema Spiritualität. „Die Hildegardlehre umfasst all diese Bereiche“, sagt die Autorin. Die Titel der Bücher lauten bezeich-

nenderweise „Einfach leben“, „Einfach für Kinder“, „Einfach gesund“ und „Einfach kochen“ und sollen signalisieren, dass es einfach sein kann, nach Hilde-gard zu leben und dass man es ausprobieren soll.

Die Seminare und Vorträge werden von Menschen aller Al-tersgruppen besucht. „Es sind Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen und spüren, dass sie mehr vom Leben möch-ten, als es der ‚Markt’ zu bieten scheint. Es sind Menschen, die erahnen oder erkennen, dass Zufriedenheit in ihrem Inneren stattfi ndet“, hat Pregenzer beob-achtet. Immer wieder gelangen danach „Erfolgsmeldungen“ zu ihr, sei es von Menschen, denen der Grippewein bei einem grip-palen Infekt geholfen hat, von Frauen, die übermäßige Wal-lungen in den Wechseljahren mit Wasserlinsenelixir in den Griff bekommen haben oder auch von Familien, die durch die Hilde-gardernährung insgesamt in ei-ne bessere Stimmung gelangen.

„Kindern, die Bettnässer wa-ren, hat es geholfen, morgens ei-nen warmen Dinkelgetreidebrei zu essen. Hildegard hat gesagt, dass die erste Mahlzeit des Tages warm sein und aus Getreide be-stehen soll“, erklärt Pregenzer. Auch Menschen mit Burnout-Symptomen konnte sie helfen. „Das ist ja letztlich eine Depres-

sion, die sich aufgrund von zu hoher Belastung entwickelt hat. Da ist es wichtig, wieder in die Freude zu kommen und sich selbst und seine Bedürfnisse zu spüren. Mit Aaronstab kann man das unterstützen – ganz ohne Ne-benwirkungen“, so die Expertin.

Fasten nach Hildegard sorgt für Zufriedenheit

Brigitte Pregenzer freut sich auch, wenn sie erfährt, dass sie als Multiplikatorin Wirkung erzielt. Ein Unternehmen, in dem sie einen Vortrag über das sanfte Brotfasten nach Hilde-gard gehalten hat, bietet jetzt jährlich eine Fastenwoche für die Mitarbeiter an. „70 Prozent der Teilnehmer sind Männer, die gemerkt haben, dass Fasten auch neben der Arbeit geht. Die Betriebsküche bereitet in dieser Zeit die Fastensuppe zu und bie-tet Tee für die Fastenden an“, berichtet Pregenzer. „Menschen, die jedes Jahr fasten, erzählen mir, dass sie zufriedener werden und sich selbst wieder spüren.“

„Drei Absolventinnen, die bei mir die Ausbildung gemacht ha-ben, haben in Reith im Alpbachtal ein Geschäft mit Hildegard-Pro-dukten eröffnet“, erzählt Brigitte Pregenzer voller Freude, „und sie haben dort einen Garten nach Hildegard angelegt, der bereits als Ausfl ugsziel gilt.

„Pfl ege das Leben“Brigitte Pregenzer hat die Hildegardlehre in ihr Leben integriert

Zitat

„Aufmerksames Zuhören kann genau-so Lebenspfl ege sein wie ein liebevoll zubereitetes Essen. Dankbarkeit für die scheinbar selbstverständliche Gesund-heit und Wertschätzung gegenüber Freunden ist ebenfalls eine Möglichkeit das Leben zu pfl egen. Freude über eine schöne Wolkenstimmung oder Musik, die mir gefällt, gehören auch dazu. Das Leben fi ndet stets und überall statt, in meiner unmittelbaren Umgebung und mit meinen Mitmenschen – es fi ndet im Nahbereich statt und nicht im Fern-sehen und bei Events.“

Brigitte Pregenzer

Brigitte Pre-genzer hat in Österreich die erste Hilde-gardakademie gegründet, die die Lehren der Hildegard von Bingen vermit-telt. Foto: Privat Die Hildegardakademie Brigitte Pregenzer

macht es sich zur Aufgabe, den Bogen zwi-schen bodenständigem Tun und geistigem Wachstum zu spannen und mit lebensbe-jahenden und lebensfrohen Inhalten zu bereichern. Sie versteht sich als eine Stätte, in der die Lehre der Hildegard von Bingen zeitgemäß gelebt und durch regen Austausch über die Landesgrenzen hinaus lebendig gehalten und verbreitet wird. Sie bietet Raum und Zeit, um Lernen und Lehren erfahrbar zu machen, Interesse zu wecken und zu verbrei-ten, sich mitzuteilen und auszutauschen und Respekt und Achtsamkeit zu üben.

Informationen im Internet unter www.pre-genzer.info

Stichwort

Buch-Tipp

Der Scivias-KodexDer illuminierte Ru-pertsberger Scivias-Kodex gehört zu den wenigen Pracht-handschriften des 12. Jahrhunderts. Die 35 Miniaturen, die die Visionen der großen deutschen Prophetin Hildegard von Bingen in Bilder umsetzen, machen

das unsagbare Geheimnis Gottes anschaulich und öffnen dem Betrachter wie von selbst ein Fenster zum Himmel. Was Hildegard von Bingen im lebendigen Licht erschaute, kann der Leser in diesem faszinierenden Pracht-bildband erfahren und meditieren. Die er-läuternden Texte geben Aufschluss über den Inhalt der Visionen und erklären die reiche Symbolkraft der Bilder.

„Geschaut im lebendigen Licht – Die Mini-aturen des Liber Scivias der Hildegard von Bingen“, Herausgeber: Benediktinerinnenabtei St. Hildegard, Beuroner Kunstverlag, 2011, 143 Seiten, 35 farbige Abbildungen, gebun-den, ISBN-13: 9783870712495

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Hildegard von Bingen7. Oktober 2012 11

Ausstellung

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„Sie inspiriert mich“Schwester Christophora Janssen arbeitet in der Abtei St. Hildegard

Von Christa Kaddar

Für die Ausstellung „Virtus et Vitium“ hat Schwester Christophora Janssen fünf Skulpturen im Dialog mit Hildegard von Bingen ge-schaffen. Während der Arbeit an ihren Werken las sie im „Liber vitae meritorum - dem „Buch der Lebensverdienste“ von Hildegard.

„Ich habe lange gebraucht, um mich Hildegard zu nähern“, sagt Schwester Christophora. „Als Ju-gendliche habe ich ‚Liber Scivias’ gelesen, aber der Funke sprang nicht über.“ Mit Blick auf die Ausstellung hat sie angefangen, das Buch ‚Liber vitae meritorum’ zu lesen. Dadurch hat sie sich Schritt für Schritt einen Zugang zu der Heiligen geschaffen. „Hil-degard inspiriert mich als Künst-lerin, weil sie selbst Künstlerin war. All die Jahre davor war mir Hildegard theologisch zu kom-pliziert.“ Im „Liber vitae meri-torum“ findet sie den Kampf der Tugenden und Laster psycholo-gisch sehr feinfühlig beschrie-ben. „Das ganze Werk ist sehr bildhaft – auch ich denke sehr bildhaft“, so die Nonne.

In ihrem Atelier steht eine große Skulptur der Heiligen, säulenartig gestaltet, wie alle ihre Skulpturen. Ihre Hildegard wendet das Gesicht nach oben. Die Seherin, die Visionärin? Dem Rücken ihrer Hildegard

hat sie die Form und Struktur einer Feder gegeben. „Hildegard schrieb in ihren Briefen öfter, dass sie eine Feder in der Hand Gottes sei.“

Die 47-jährige Ordensschwes-ter hatte in ihrer Jugend weder geplant, in einen Orden einzu-treten noch Künstlerin zu wer-den. Aufgewachsen ist sie in Essen; in Freiburg hat sie ein Theologiestudium begonnen. 1985, nach dem ersten Semes-ter, besuchte sie die Abtei in Ei-bingen und wusste: „In dieser Gemeinschaft will ich leben und arbeiten.“ Vier Monate dauerte es, bis sie Äbtissin Edeltraud Forster überzeugt hatte, sie auf-zunehmen. Neun Jahre dauerte es, bis ihr künstlerisches Talent durch den Benediktinermönch Joseph Belling in Maria Laach entdeckt wurde. 1999 nahm sie das Studium der Künstlerischen Keramik an der Fachhochschule

in Höhr-Grenzhausen auf, das sie 2003 mit einem Diplom ab-schloss.

Die Porträts, die im Atelier hängen, zeugen von Schwester Christophoras Talent als Male-rin. Von größerer Bedeutung ist für sie jedoch ihre Arbeit als Bild-hauerin mit dem erdhaften Ma-terial. „Als ich begann, Figuren aus Ton zu formen, habe ich ein-fach nur das innere Bedürfnis gespürt, Ton in die Hand zu neh-men und in dem Formen meiner Hände etwas auszudrücken, was mich persönlich bewegt und be-trifft. Mich erinnert das immer wieder an die Schöpfungsge-schichte. Wir sind ja ‚Mitschöp-fer’ Gottes – auch das ist übri-gens ein Wort von Hildegard.“ Die Skulpturen von Schwester Christophora Janssen drücken eine in sich ruhende Kraft und Besonnenheit aus, die sie auch selbst ausstrahlt.

„Virtus et Vitium“Die Ausstellung „Virtus et Vitium – Licht. Schatten. Mensch“ zeigt zum Buch „Liber Vitae Meritorum“ (Buch der Lebensver-dienste) der Hilde-gard von Bingen zeitgenössische Arbeiten an fünf liturgischen Orten und Wirkungsstät-ten. Neben derKlos terkirche sind das die Rüdeshei-mer Pfarrkirche St. Jakobus und die Eibinger Kirche St. Hildegard, fer ner die St.-Hildegard-Gedächtniskirche in Bingen-Bingerbrück und das Hildegard-Forum der Kreuz-schwestern auf demBin ger Rochus-berg. Ein Pilger-weg verbindet die Ausstellungsorte. Die Ausstellung ist bis zum 23. März zu sehen.

Die fünf überle-bensgroßen Säulen aus Keramik, die Schwes-ter Christophora Janssen für die Ausstellung „Virtus et Vitium“ geschaffen hat, bestehen jeweils aus drei Teilen, die sich nach oben hin verjüngen. Das symbolisiert die Göttlichkeit der Trinität, ein wichtiger Aspekt in der Theo-logie der heiligen Hildegard.

Weitere Informationen im Internet unter www.virtus-et-vitium.de und www.keramik.abtei-st-hildegard.de

Schwester Christophora Janssen in ihrem Atelier in der Abtei St. Hildegard in Eibingen. Fotos: Kaddar

Die Säule zum dritten Buch steht in der Abtei-kirche in Eibingen.

Impressum

„Hildegard von Bingen“ ist eine Sonderausga-be der KirchenZeitung – Die Woche im Bistum Hildesheim. Herausgeber: Der Bischof von Hildesheim. Verlags- und Redaktionsleiter und verantwortlich für den Gesamt inhalt (Text und Anzeigen): Matthias Bode (Domhof 24, 31134 Hildesheim) Redaktion: Thomas Pohlmann, Rüdiger Wala, Edmund Deppe. Kontakt: 31134 Hildesheim, Domhof 24, Telefon (0 51 21) 307-800. Internet: www.kiz-online.de, E-Mail: [email protected]: Bernward Mediengesellschaft mbH, 31134 Hildesheim, Domhof 24, Telefon (0 51 21) 307-800, Telefax (0 51 21) 307-801. Handelsregister Hildesheim Nr. B147. Ge-schäftsführer: Thomas Hagenhoff, Hildes-heim. E-Mail: [email protected]: Georg Coordes.Druck: DRM GmbH & Co.KG, Alexander-Fleming-Ring 2, 65428 Rüsselsheim.

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Hildegard von Bingen12 7. Oktober 2012

Von Wolfgang Schuhmacher

Der Mensch lebt nicht allein auf der Welt. Das mag banal klingen. Denn schon beim Verlassen des Hauses begeg-nen wir anderen Menschen. In der Familie, im Straßen-verkehr und auf der Arbeit müssen wir auf andere Rücksicht nehmen, wenn Zusammenleben gelingen will. Als Menschen erken-nen wir uns mitten in einer Welt, in der sich an den ver-schiedensten Stellen vieles Unterschiedliche miteinan-der berührt und aufeinander einwirkt. Keine Handlung, keine Unterlassung bleibt ohne Folgen.

Bereits Hildegard von Bingen hat diese Realität in ihren Visionen eindrucksvoll beschrieben. Alles steht in dieser Welt miteinander in Verbindung, ist aufeinander bezogen und wirkt auf das andere ein. Der Mensch steht dabei im Zentrum der Schöpfung, in der alles Le-bendige von Bedeutung ist.

Besonders eindrucksvoll ist dies in ihrer Miniatur „der Kosmosmensch“ zu sehen, einem nach ihren Anweisungen gemalten Bild. Die Entstehung der Kosmos-schrift, nach deren Inhalt die Miniatur angefertigt wurde, ist in den Jahren 1170–1173 anzusetzen. Das Manuskript ist in der Rupertsberger Schreibstube noch nach den Anweisungen Hildegards angefertigt worden. Aus ihm stammen die im Folgenden wiederge-gebenen Zitate.

Sofort fällt der Blick auf die androgyne Gestalt des Menschen. Sie steht für den Menschen schlechthin. Er steht in der Mitte des Weltenbaus im Kosmosrad. „Denn er ist bedeutender als alle übrigen Geschöpfe. An Statur ist er zwar klein, an Kraft seiner Seele jedoch gewaltig.“

Er steht da aufrecht mit ausgebreiteten Armen, seine Fingerspitzen berühren

auf beiden Seiten einen der Kreise. Die Kreise stellen sich in unterschiedlichen Farben dar, in blauen und weißen Schichten. Sie ste-hen (von außen nach innen) für den Äther, das Wasser, die Luft mit Wolken und Regen.

Da sind verschiedene Li-nien, die die Kreise und den Menschen wie Goldfäden durchziehen und unter-schiedliche Bereiche im Bild miteinander verbinden. Der Mensch ist verbunden mit der ganzen Schöpfung. „Denn wie der Mensch mit seinen leiblichen Augen überall die Geschöpfe sieht, so sieht er im Glauben überall Gott und erkennt ihn durch die Geschöpfe, weil er einsieht, dass er ihr Schöpfer ist.“

„Empfängt von ihnen grünende Lebensfrische“

In der Mitte erkennt man eine dicke braune Kugel. Sie steht für die Erde, auf der unser Leben stattfindet. Sie wird gleichsam von den anderen Weltstoffen rings-um gehalten, „ist mit ihnen verbunden und empfängt von ihnen ununterbrochen die grünende Lebensfrische wie auch die Fruchtbarkeit“.

Im Übergang vom blauen zu den beiden roten Kreisen sieht man verteilt in alle vier Richtungen Tierköpfe, den eines Leoparden, eines Wolfes, Löwen und eines Bären, die wieder von ande-ren Köpfen umgeben sind. „All diese Köpfe hauchen in das beschriebene Rad und auf die Gestalt des Menschen zu.“ Sie bedeuten die Windkräfte, die in den verschiedenen Sphären ent-stehen. „So üben die Winde ihre Werke aus, wie dies der Mensch mit seinen Armen und Händen tut; jede Tat kommt aus einem bestimm-ten Wissen, unterliegt einem vorgefassten Plan und bringt etwas im Weltzusammen-

Der Kosmos-Mensch, einnach An-weisungen vonHildegard gemaltes Bild.Foto: Abtei St. Hilde-gard,Rüdesheim-Eibingen

Der Kosmos-MenschGedanken über den „Weltenbau“

hang zur Entscheidung.“Auch sind oberhalb des

Menschen sieben Planeten zu sehen, die ebenfalls ihre Strahlen auf die Tierköpfe und den Menschen hin senden. Hildegard zeigt: Alles ist geordnet in Gottes Schöpfung. Jedes Ge-schöpf hat seine Aufgabe und seinen Ort. „Nichts leidet Mangel, nirgendwo erhält sich die Unordnung, keinem steht ein Übermaß zu. Denn die Werke Gottes leben in einer einheitlichen Ordnung.“

Der Blick fällt auf die beiden äußeren Kreise, den einen in hellem leucht-endem Rot, den anderen in Schwarz-Rot gehalten. Diese Kreise bedeuten hell leuchtendes und schwarzes Feuer. Das schwarze Feuer symbolisiert die richtende Härte des Schöpfers, den Hildegard hier den Urle-bendigen nennt. Das hell leuchtende Feuer umfängt alle anderen Kreise und durchstrahlt sie mit der Liebe des Urlebendigen.

Sie rief alles, was ist, ins Leben.

Der Urlebendige, Gott der Vater und Schöpfer aller Dinge, trägt, gleich einer schwangeren Frau, den gesamten Kosmos in seinem Herzen.

„Im Flammenkreuz der Liebe umarmt er alles Geschaffene“

Die Hände in dem leuch-tenden Feuerkreis bergen die gesamte Schöpfung in sich, die durch Jesus Christus gehalten wird. Im Flammenkreuz der Liebe umarmt er alles Geschaf-fene.

Für Hildegard ist jeder Mensch in ein Beziehungs-geflecht gestellt, das in drei Richtungen weist: nach oben zu Gott, nach rechts und links zu den Mitmen-schen und nach unten zur Tier- und Sachwelt. Im Leben geht es darum, dass der Mensch erkennt, wie sehr er in dieses Bezugs- und Beziehungsgeflecht

eingebunden ist. Es ist die Aufgabe des Menschen, sich in der Schöpfung ein-zuordnen und so die eige-ne, angemessene und vom Schöpfer gedachte Stellung zu finden.

Diese Erkenntnis aus dem Mittelalter kann uns heute Anstoß zum eigenen Nachdenken sein. Wir leben in einer Welt, die immer enger zusammenrückt. Wir leben in einer Welt, in der vieles, was geschieht, un-mittelbare Auswirkungen auf ganze Regionen hat. Denken wir nur an Tscher-nobyl und Fukushima. Die Menschen können es sich heute nicht mehr leis ten, sich egoistisch nur um sich selbst zu drehen und allein die eigenen Interessen selbstsüchtig zu verfolgen. Sie müssen lernen, die besondere Ver antwortung für die Mit- und Umwelt zu übernehmen. Der Mensch ist dabei getragen von der Liebe des Schöpfergottes, der ihm die nötige Lebens-kraft täglich neu schenkt.