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3 Gisela Schäfer Hilfeschrei Und Du, Gott? Gedichte aus einer Zeit der Not Engelsdorfer Verlag Leipzig 2012 copyright

Hilfeschrei Und Du, Gott? - engelsdorfer-verlag.de · Knochen gehenden Dekubitus. Dass sein Körper und seine Seele das alles überstanden haben, ist wie ein Wunder. Während mein

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Gisela Schäfer

Hilfeschrei

Und Du, Gott?

Gedichte aus einer Zeit der Not

Engelsdorfer Verlag Leipzig 2012

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Bibliografische Information durch die Deutsche National-bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86268-974-3

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte bei der Autorin

Fotos: Gisela Schäfer Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

11,00 Euro (D)

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Vorwort von Viola Will

Dieser Gedichtband ist in einer schwierigen und für die Autorin sehr belastenden Zeit entstanden. Der geliebte Partner wird zum Pflegefall mit langen Auf-enthalten auf Intensivstationen bzw. im Pflegeheim. Emotional und sehr berührend fasst sie die täglichen Erlebnisse in Worte. Viele Gedichte beginnen mit der düsteren Darstellung der Situation des Kranken, gefolgt von dem eigenen Gefühlskampf der Autorin, wo sie nach dem Warum fragt, Ansätze des Verste-hens formuliert, um dann direkt wieder von Verzweif-lung und der Aussichtslosigkeit überrannt zu werden. Das Besondere an diesen Gedichten ist, dass sie oft trotz allem mit einem Hoffnungsschimmer enden, der offen lässt, dass es vielleicht doch noch gut ausgehen könnte. Es werden viele Einsichten geboten in die Gefühle der Kranken und Angehörigen, welche viel zu häufig übersehen werden. Für Menschen in ähnlichen Situationen kann dieser Gedichtband, vor allem in Verbindung mit dem Buch „Horror Segen Intensivstation“ eine große Hilfe sein, da ihnen diese Texte ein wohltuendes Verstehen bringen und das ausdrücken, was sie selbst vielleicht nicht formulieren können.

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Aber ebenso wichtig halte ich diesen Gedichtband/ das Buch für Angehörige der medizinischen Berufe, damit sie nie den Blick auf die „Nebenschauplätze“ = Menschenwürde und Menschlichkeit der Patienten und der Familienmitglieder übersehen – trotz ihrer übermäßigen Herausforderung, die die tägliche Arbeit besonders auf einer Intensivstation mit sich bringt.

Viola Will, Therapeutin

Vorwort von Gisela Schäfer

Diese Gedichte entstanden in einer Zeit größter seelischer Not. Mein Mann hatte einen Herzinfarkt und musste sich einer vierfachen Bypass-Operation unterziehen. Anstatt in den Tagen danach, wie es üblich ist, auf die Normal-Station verlegt zu werden, brachte er sechs Monate in der Intensiv-Station zu. Eine gesundheitliche Katastrophe folgte auf die andere, Katastrophen, wie sie gelegentlich vorkom-men, diese bei dem einen, jene bei dem anderen Patienten. Aber bei meinem Mann häuften sie sich in unglaublicher Weise. Fünfmal musste er operiert werden, dreimal hatte er einen septischen Schock, den nur die wenigsten Kranken überleben, mindestens viermal sprang er dem Tod von der Schüppe, und zweimal sagten mir die Ärzte, sie könnten nichts mehr

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für ihn tun... Er wurde von drei verschiedenen Appa-raten am Leben gehalten und mit Höchstdosierungen an Antibiotika, Herz-Kreislauf-Medikamenten und Schmerzmitteln gefüttert, die allein schon zum Tode hätten führen können. Tagelang lag er im künstlichen Koma, musste einen Luftröhren-Schnitt bekommen und konnte danach neun Monate lang nicht sprechen. Außerdem hatte er nach kurzer Zeit einen bis auf den Knochen gehenden Dekubitus. Dass sein Körper und seine Seele das alles überstanden haben, ist wie ein Wunder. Während mein Mann, dessen geplagter Körper das alles verkraften musste, durch die riesigen Mengen an Medikamenten nur wenig von all dem bewusst mitbe-kam, was mit ihm geschah, habe ich unendlich gelit-ten. Ich war täglich fünf, sechs Stunden bei ihm, hielt seine Hand und wurde fast zerfressen von Angst und Sorge. Immer wieder tauchten neue Probleme auf, immer wieder überwand er sie, es ging ein wenig bergauf, aber ständig gab es neue Infekte, und das ganze Spiel mit erneuten Antibiotika und Dialysen begann von vorne, da sehr bald die Nieren versagten. Es war eine nicht zu ertragende Nervenzerreißprobe. Ich glaubte oft, den Verstand zu verlieren. Am Anfang betete ich um Gesundung, aber nach Wochen war ich so weit, dass mir ein baldiger Tod als die gnädigste Lösung erschien. Ich wurde zermahlen zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Eine solch entsetzliche Zeit würde ich niemandem wünschen.

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Mein Leben lang war ich gläubig. Aber in diesen schrecklichen Monaten habe ich an Gott gezweifelt. Ich wusste schließlich nicht mehr, was ich denken und worum ich bitten sollte, zumal die Ärzte mir sagten, die Chancen, dass mein Mannes überlebte, wären geringer als die, dass er es nicht schaffte. Außerdem drohte ihm, wenn er mit dem Leben davonkommen würde, ein Aufenthalt in einem Schwerstpflegeheim, wo er beatmet werden müsste und nie mehr würde sprechen können. In dieser schlimmen und nicht enden wollenden Zeit, die sich über mehr als ein Jahr hinzog, schrieb ich Gedichte, die mir, denke ich, geholfen haben, nicht irre zu werden. Täglich legte ich das nieder, was auf-grund der augenblicklichen Situation an Gefühlen und Gedanken in mir war, meistens schon an seinem Bett. Auf diese Weise konnte ich ein wenig von dem unerträglichen Druck loslassen. Natürlich habe ich auch nahe stehende Menschen gehabt, die sich liebevoll um mich kümmerten, allen voran meine Kinder, aber auch einige Freunde. So konnte ich letztendlich diese grauenhaften Monate überstehen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Wenn ich in diesem Buch einen Großteil meiner Gedichte niedergelegt habe, so habe ich es getan, um anderen, die in einer ähnlichen Lage sind, ein wenig Hilfe zu geben. Sie werden sich verstanden fühlen, wenn sie wie ich Verzweiflung, Angst und Panik erleben, und sicher Vertrauen und Zuversicht aufbau-

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en können, wenn sie lesen, wie ich es geschafft habe. Und etwas werden sie mitbekommen: dass bei sol-chen verzweiflungsvollen Erfahrungen ähnlich wie in der Trauer am Anfang Aufbegehren und Kampf stehen und langsam der Weg zum „Herr, dein Wille geschehe!“ hinführt; denn das ist die einzige Möglich-keit, wieder in den Frieden zu kommen. Die Gedichte sind in der Reihenfolge angeordnet, wie ich sie geschrieben habe. Sie als Leser werden Zeuge des ständigen Hin und Her zwischen Angst, Sorge, Panik und Hoffnung in mir – je nach Befinden mei-nes Mannes. Sie erleben Verzweiflung, Resignation, Revolte und schließlich Ergebung in das Schicksal mit, also all das, was sich in mir abspielte, und daneben meine Auseinandersetzung mit Gott, meine Anklage, meine Zweifel und schließlich das Akzeptie-ren, auch wenn ich nicht wusste, wie die Zukunft für uns aussehen würde.

Gisela Schäfer

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Schlaflose Nacht

Die Stille scheint zu schreien um mich her. So einsam ist es in der dunklen Nacht. Nur einer ist es, der da mit mir wacht,

der halbe Mond in seinem Wolkenmeer.

Das Herz liegt in der Brust mir drückend schwer. Wie lange ist es her, dass ich gelacht?

Der Tag hat Angst und Schrecken mir gebracht. Das Nebenbett ist schweigsam und so leer.

Wie geht es ihm mit seinem kranken Herzen?

Wie gerne nähme ich ihm Druck und Schmerzen, ich fühl der Liebe innig starkes Band.

Doch will ich lösen mich von Angst und Sorgen

und nur vertrauen auf den neuen Morgen, weiß ich ihn doch in meines Gottes Hand.

Dieses Gedicht schrieb ich, als ich meinen Mann ins Kranken-haus gebracht hatte, – noch vor der Herz-Operation

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Intensivstation

Sehr einsam liegt der Kranke in dem Raum, er rührt sich nicht, doch hebt sich seine Brust. Rings um den Körper läuft ein ganzer Wust

von Schläuchen – wär’n sie doch nur Traum!

Nach draußen fällt der Blick auf kahlen Baum. Wie weit entfernt sind Freude, Wonne, Lust und nahe Sorge, Angst, Bedrückung, Frust!

Auf schnelle Heilung hoffen kann ich kaum.

Der Monitor dort zeichnet Kurven bunt, es ändert sich nicht viel in einer Stund’.

Ich träum von einem Leben unbeschwert.

Ach, Vater, wär’n die Sorgen schon vorbei, der Kranke könnte atmen, froh und frei! Ich bitte, dass sich Angst in Freude kehrt!

Das erste Gedicht nach der Operation. Mein Mann lag im künstlichen Koma, angeschlossen an unge-zählte Apparate. Überall hingen Schläuche aus ihm heraus. Es war ein erschreckender Anblick. Die Ärzte erklärten mir, bei meinem Mann würde die Genesung lange dauern, es wäre aber kein Grund zur Besorgnis.

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Festgehaltene Tränen

In meinem Halse sitzt ein dicker Kloß. Wie gerne weinte ich ihn laut hinaus.

Er sitzt so fest – wie werde ich ihn los? Nein, Tränen passen nicht ins Krankenhaus.

Es trifft die Seele dort so mancher Stoß.

Ich fühl mich schwach und klein wie eine Maus und wäre doch so gerne stark und groß,

hielt statt des Strohhalms einen Blumenstrauß.

Gedanken durch die Angstvisionen wandern, doch hoffe ich von einem Tag zum andern,

dass alle Sorgen finden bald ein Ende.

Mein Mann liebt’ es so sehr, mal Spaß zu machen. Ach, lass mich doch wie früher mit ihm lachen! Ich leg den Wunsch, o Herr, in Deine Hände.

Ich war voll Sorge, weil ein Tag nach dem anderen verging und mein Mann noch immer im Koma lag. Aber ich hoffte halt, ihn in kurzer Zeit wieder daheim zu haben.

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Wohin?

Ich irre in der Wohnung hin und her. Wo soll ich hin mit diesem großen Schmerz? Wie lang erträgt ihn noch ein armes Herz?

Es drücken Lasten auf die Schultern schwer.

Die Augen nässt ein ganzes Tränenmeer, sie blicken blind und trostlos bodenwärts.

Wird’s wieder Frühling werden, wieder März? Der Hoffnungskübel scheint so leer, so leer.

Wo find ich Trost noch, Vater, wo und wann

um den geliebten, ach, so kranken Mann? Ich stehe hilflos da mit bloßen Händen.

Wird es für uns noch eine Zukunft geben,

noch mal gemeinsam ein Stück frohes Leben? Ich flehe: Lass das Schicksal sich bald wenden.

Es zerriss mich fast, als mein Mann aus dem Koma erwachte und so grauenhaft nach Luft rang, dass es nicht mit anzusehen war. An diesem Tag befürchtete ich das Schlimmste.

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Tränen

Wie viele Tränen kann ein Mensch wohl weinen? Sie fließen unentwegt aus mir heraus.

Hat denn nicht Mitleid schon das Krankenhaus? Was mich an Sorgen frisst, sind keine kleinen.

Mag auch die Sonne manchmal draußen scheinen,

in mir sieht düster es und trostlos aus. Die täglichen Berichte sind ein Graus.

Ich weine um den Liebsten, um den einen,

Des Körper so geschwächt und voller Schmerzen nach einer schweren Op(e)ration am Herzen;

die Atmung, sie ist mühsam, voller Qual.

Ich leide mit, wenn ich ihn leiden seh. Nicht Weihnacht gibt’s für mich, nicht Freud’, nicht

Schnee. Nur noch „Gesundheit“ denk ich viele Mal’.

Es war ein trauriges Weihnachtsfest in diesem Jahr.

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Einsamkeit

Ich gehe einsam durch den langen Flur. Die Tritte hallen in dem leeren Raum.

An schnelle Heilung glauben kann ich kaum, wär’ dankbar für die kleinsten Schritte nur.

An jedem Tag hoff ich auf eine Spur,

die mir verrät, ein Fortschritt ist nicht Schaum, auf lange Sicht die Besserung kein Traum,

das Lebenslied spielt nicht mehr Moll, doch Dur!

Mit Zittern steh ich vor verschloss’ner Tür. Wie geht es ihm? Was gäbe ich dafür, hört ich doch eine positive Kunde!

Doch solche Worte spricht man leider nicht.

„Ein Weg nach aufwärts ist noch nicht in Sicht.“ Mein Herz zerreißt es fast in dieser Stunde.

Ich erhoffte von einem Tag zum anderen die Nachricht, dass der Kranke über den Berg sei. Aber darauf musste ich sieben Mona-te warten.

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Kampf der Gefühle

Die Stille in der Wohnung schreit so laut, ich laufe ohne Ruhe hin und her.

Mich zu entspannen fällt so quälend schwer. Nichts kommt mir in den Sinn, das mich erbaut.

So viele Tränen sind im Hals gestaut, die düsteren Gedanken quälen sehr.

Fast platzt mein Kopf, und doch fühl ich mich leer, die Lebensfreude ist hinweggetaut.

Die schwarze Angst packt mich an meiner Kehle,

ringt mit der Hoffnung um die matte Seele. Mal baue ich ein Stück Vertrauen auf.

Dann drückt die nächste Hiobsbotschaft nieder,

und in mir tönen die Verzweiflungslieder. Oh, Vater, drehe um solch Lebens Lauf!

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Getrenntes Leid

Die sonst so straffen Schultern hängen nieder. Ein jeder Schritt scheint so unendlich schwer, wenn keine Aussicht trägt die Hoffnung mehr.

So rot geweint und wund die Augenlider…

Der starke Körper, der stets Halt gegeben, liegt da, so hilflos, ausgeliefert, schwach,

und weit entfernt der Geist, der sonst so wach. Ist dieses Vegetieren noch ein Leben?

Zwei Menschen tragen einsam solch ein Leid.

Geht nie vorüber diese Ohnmacht-Zeit? Gefesselt sind uns beiden uns’re Hände.

Schenk ihm Gesundheit, Gott, noch frohe Jahre, und wenn’s nicht sein darf, dann die Totenbahre.

Doch mach, ich fleh’, der Quälerei ein Ende!

Unter den septischen Schocks und dem hohen Fieber war mein Mann meist ohne Bewusstsein, sein Körper litt und kämpfte. Es war quälend anzusehen, und der Tod schien eine Erlösung.

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Angst vor dem Abschied

Ein jeder ist in Gottes Hand geborgen, denn Seine Liebe hüllt uns immer ein,

und dennoch graut mir vor dem neuen Morgen, glaub ich auch an der höchsten Allmacht Sein.

Es scheint, mein Mann macht sich bereit zu gehen,

das Leben ward ihm unerträglich schwer. Wie kann ich ohne ihn noch sicher stehen?

Ich gehe unter in dem Tränenmeer.

Ich wünsche ihm, er hätte ausgelitten, und dennoch fürchte ich den schlimmen Tag,

da er den Weg endgültig hat beschritten und auch die letzte Hoffnung schwinden mag.

Noch kann ich seinen warmen Arm berühren

und weinend küssen seine matte Hand. Wohin, o Gott, willst du mich denn noch führen?

Werd ich bald einsam irren übers Land?

Dieses Gedicht kann auf die Melodie „Von guten Mächten

treu und still umgeben“ von Dietrich Bonhoeffer gesungen werden. Ich schrieb es, als mein Mann wieder dem Tode so nah

war.

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Würde?

Was ist man noch, liegt man auf Intensiv? Nicht Mensch mehr, nein, nur eins noch: Kreatur.

Von Selbstbestimmung nicht die kleinste Spur, Ins Bodenlose sank die Würde tief.

Es wird das Weltbild des Patienten schief.

Er muss erdulden, was ihm widerfuhr, das Ausgeliefertsein, so krass und pur,

erträglich nur, wenn er – vergessend – schlief.

So hilflos stehn die Angehör’gen da, dem Liebsten, ach, so fern, wenn auch ganz nah!

Wie grausam ist doch oft des Lebens Lauf!

Zu tun bleibt nichts, – die Hände sind gebunden, man fleht, um Fassung ringend, ums Gesunden.

Wann hören Sorge und Verzweiflung auf?

Auf der Intensiv-Station der ersten Klinik wurden alle Aktionen bei offener Tür durchgeführt, das Reinigen der Patienten, auch kleinere Eingriffe. Alle Vorbeigehenden – auch Besucher, Boten, Putzfrauen ... – konnten hineinschauen und taten es oft genug. Ich habe das immer als totale Verletzung der Menschenwürde empfunden, die doch laut Grundgesetz unantastbar ist...

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