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Hintergrund: Moldau Nr. 41 / Juni 2014 | 1 Assoziierungsabkommen mit der EU – Ein weiterer Schritt auf dem europäischen Weg Raimar Wagner und Daniel Kaddik Am 27. Juni 2014 unterzeichnete die Republik Moldau das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. Während sich damit für das Land Chancen für Wohlstand und eine europä- ische Integration eröffnen, spielt Russland ein gefährliches Spiel. 24 Jahre nach der Verabschiedung der neuen moldauischen Verfassung sieht die junge Republik Mol- dau mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens (AA) und des Abkommens zur Schaffung einer vertieften umfassenden Freihandelszone (DCFTA - Deep and Comprehensive Free Trade Agree- ment) mit der Europäischen Union (EU) in Brüssel am 27. Juni einer neuen Ära entgegen. Dabei war der Weg der ehemaligen Sowjetrepublik alles andere als leicht. Der vorher zaghaft ange- gangene proeuropäische Kurs der zwischen europäischen, amerikanischen und russischen Interessen hin und her lavierenden Regierungen wurde nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 2001 mit dem Staatspräsidenten Vladimir Voronin an der Spitze wieder gestoppt. Erst der Machtwechsel zur alles anderen als stabilen Regierung der Allianz für Europäische Integration (AIE) führte dazu, dass Moldau im Januar 2010 im Rahmen der Östlichen Partnerschaft die Verhandlungen mit der EU erneut aufnahm. Vorläufiger Höhepunkt war der vom Beginn der Ukrainekrise überschattete Gipfel von Vilnius im No- vember 2013, in dessen Vorfeld die Regierung in Kiew die Vorbereitungen für das Assoziierungsab- kommen überraschend zugunsten des Handels mit Russland absagte. Moldau, ebenso wie Georgien, paraphierte offiziell das Vertragswerk, wodurch die Tür für eine baldige Unterzeichnung von AA und DCFTA geöffnet wurde. Mit der endgültigen Unterzeichnung fanden die Verhandlungen ein erfolgrei- ches Ende. Dennoch bleiben kritische Stimmen. Prorussische Kräfte machen sich das für viele Menschen nicht greifbare AA zunutze und schüren Misstrauen und Angst. Der befürchtete Verlust von Absatzmärkten und Arbeitsplätzen wird ebenso angeführt wie eine Art „Kolonialisierung“ durch die EU. Waren aus der Hintergrund: Moldau Nr. 41 / 30. Juni 2014

Hintergrund Moldau 30.06.2014

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Hintergrund: Moldau Nr. 41 / Juni 2014 | 1

Assoziierungsabkommen mit der EU – Ein weiterer Schritt

auf dem europäischen Weg

Raimar Wagner und Daniel Kaddik

Am 27. Juni 2014 unterzeichnete die Republik Moldau das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen

mit der Europäischen Union. Während sich damit für das Land Chancen für Wohlstand und eine europä-

ische Integration eröffnen, spielt Russland ein gefährliches Spiel.

24 Jahre nach der Verabschiedung der neuen moldauischen Verfassung sieht die junge Republik Mol-

dau mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens (AA) und des Abkommens zur Schaffung

einer vertieften umfassenden Freihandelszone (DCFTA - Deep and Comprehensive Free Trade Agree-

ment) mit der Europäischen Union (EU) in Brüssel am 27. Juni einer neuen Ära entgegen.

Dabei war der Weg der ehemaligen Sowjetrepublik alles andere als leicht. Der vorher zaghaft ange-

gangene proeuropäische Kurs der zwischen europäischen, amerikanischen und russischen Interessen

hin und her lavierenden Regierungen wurde nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 2001

mit dem Staatspräsidenten Vladimir Voronin an der Spitze wieder gestoppt. Erst der Machtwechsel zur

alles anderen als stabilen Regierung der Allianz für Europäische Integration (AIE) führte dazu, dass

Moldau im Januar 2010 im Rahmen der Östlichen Partnerschaft die Verhandlungen mit der EU erneut

aufnahm.

Vorläufiger Höhepunkt war der vom Beginn der Ukrainekrise überschattete Gipfel von Vilnius im No-

vember 2013, in dessen Vorfeld die Regierung in Kiew die Vorbereitungen für das Assoziierungsab-

kommen überraschend zugunsten des Handels mit Russland absagte. Moldau, ebenso wie Georgien,

paraphierte offiziell das Vertragswerk, wodurch die Tür für eine baldige Unterzeichnung von AA und

DCFTA geöffnet wurde. Mit der endgültigen Unterzeichnung fanden die Verhandlungen ein erfolgrei-

ches Ende.

Dennoch bleiben kritische Stimmen. Prorussische Kräfte machen sich das für viele Menschen nicht

greifbare AA zunutze und schüren Misstrauen und Angst. Der befürchtete Verlust von Absatzmärkten

und Arbeitsplätzen wird ebenso angeführt wie eine Art „Kolonialisierung“ durch die EU. Waren aus der

Hintergrund:

Moldau

Nr. 41 / 30. Juni 2014

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EU würden die Märkte überschwemmen und Moldau zum reinen Absatzmarkt unter der Kontrolle aus

Brüssel werden.

Der Verlust der Selbstständigkeit und der eigenen

Identität könne nur durch eine weitere Anbindung

an Russland verhindert werden. Besonders die viel

genutzten russischsprachigen Medien und die kom-

munistische Opposition schüren dieses Misstrauen,

das überwiegend in kleinen Städten und ländlichen

Gebieten verfängt. Dabei bietet eine engere Bindung

an die EU besonders für junge Menschen in Moldau

eine große Chance: Während in der EU neue Ab-

satzmärkte für moldauische Produkte erschlossen

und somit Arbeitsplätze entstehen könnten, öffnet

sich den Moldauern der Bildungsmarkt in der EU für

Studium und Berufsausbildung. Zudem erleichtert

das Abkommen ausländische Direktinvestitionen

(FDI) in dem für Produzenten attraktiven Standort Moldau. Schließlich bietet sich die Chance auf eine

beschleunigte demokratische Entwicklung des Landes.

Auswirkungen der Abkommen für Moldau

Als eine erste positive Auswirkung all dieser Schritte für die moldauische Bevölkerung kann die Mög-

lichkeit zur visafreien Einreise in die Staaten der EU gesehen werden, die im April dieses Jahres für die

ca. 3,5 Millionen Einwohner in Kraft trat. Mit dem DCFTA ist nun auch der zollfreie Handel mit den

EU-Staaten und der Türkei gesichert, was dem Land neue Perspektiven auf einem Markt mit über 500

Millionen Menschen eröffnet. Dies ist vor allem für den Export landwirtschaftlicher Produkte wichtig,

die bislang eher in Richtung Russische Föderation geflossen sind. Jedoch muss Moldau noch seine

Gesetzgebung an die EU-Richtlinien anpassen, die Grenzen sichern, ein investitionsfreundliches Klima

schaffen und vor allem die Korruption bekämpfen. Durch diese Maßnahmen erhofft man sich eine

Steigerung der Exporte und die Ansiedlung von neuen Investoren. Diese könnten gerade am Sonder-

status Moldaus Interesse haben, welcher nicht nur Kostenvorteile bietet, sondern durch die bilateralen

Abkommen mit den Staaten der Eurasischen Handelsunion bestimmte Handelsvorteile in diese Region

gewährt.

Dabei ist das Bekenntnis der Moldauer zur EU gut begründet. Neben den historischen Verbindungen

zeigen dies vor allem auch die Wirtschaftsindikatoren: Die EU ist schon jetzt der bedeutendste Han-

delspartner Moldaus mit 54 % des Gesamtvolumens, gefolgt von der Ukraine (15 %) und Russland (12

%). Für etwa zwei Milliarden Euro wurden Maschinen, Transportausrüstung, chemische Produkte,

Treibstoffe sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse importiert. Exportierende Sektoren waren bisher vor

allem die Landwirtschaft und die Textilindustrie mit 940 Millionen Euro. Die Hälfte der ausländischen

Direktinvestitionen kommt schon jetzt aus den Mitgliedsstaaten der EU.

Eine Studie des moldauischen Think-Tanks „Expert Grup“ von 2012 zeigte, dass es bei einer Unter-

zeichnung des AA und des DCFTA zu einer Steigerung des BIPs um bis zu 6,4 % und der Exporte um

11,3 % kommen könnte. Auch die Importe dürften um 6,1 %, das allgemeine Wohlstandsniveau der

Bevölkerung um 5 % steigen. Der damit einhergehende höhere Konsum würde überdies die Einnahmen

des Staatshaushalts um 1,6 % erhöhen, ohne dabei mögliche weitere positive Effekte durch eine effi-

zientere Verwaltung mit einzukalkulieren.

Orthodoxe Kathedrale am Hauptplatz in Chisinau / Foto: FNF-

Projektbüro Südosteuropa

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Der Breitritt zur Zollunion mit Russland hingegen

würde einen Rückgang des BIPs von 9,6 % sowie

von 17 % bei den Exporten nach sich ziehen. Damit

würde der heimische Konsum um 10,2 %, das all-

gemeine Wohlstandsniveau um 6,6 % zurückgehen.

Zwar lockt Russland mit einer Verringerung der Gas-

preise, diese würde sich nach den Berechnungen der

Expert Grup jedoch kaum auf die Wirtschaft und

Privathaushalte auswirken.

Trotz dieses positiven Ausblicks bleibt die aktuelle

allgemeine Wirtschaftslage besorgniserregend. Das

BIP pro Kopf beträgt nur 3.800 Dollar im Jahr, wo-

von die Armut des Großteils der Bevölkerung bered-

tes Zeugnis liefert. Die Abhängigkeit der Wirtschaft vom „Geld von außen“ bleibt hoch: 25 % der Mit-

tel machen ausländische Investitionen sowie die europäischen und amerikanischen Hilfs- und Förder-

gelder aus, weitere 24 % werden von den Rücküberweisungen der im Ausland lebenden und arbeiten-

den Moldauer gedeckt. Ein nicht unerheblicher Teil der Letztgenannten arbeitet in Moskau. Entspre-

chend groß ist die Angst davor, dass Russland nun die Einreise- und Arbeitsbedingungen verschärft;

ein Bedrohungsszenario, was von russischen Medien und der kommunistischen Opposition nur allzu

gern genutzt wird. Bereits 2013 hatte der russische Exportstopp für moldauischen Wein Verluste von

etwa 135 Millionen Dollar verursacht.

Stolpersteine auf dem Weg in die EU

Tatsache ist, dass der Gipfel von Vilnius und die Krise in der Ukraine Einfluss auf die Unterzeichnung

zum jetzigen Zeitpunkt gehabt haben. Noch sind die wirklich heiklen Themen in Moldau jedoch nicht

aus dem Weg geräumt. Die mehrheitlich prorussische Minderheit in der separatistischen und weiterhin

nicht anerkannten Republik Transnistrien, wo noch immer die vierzehnte Russische Armee stationiert

ist, sowie die unabhängige Region Gagausien bauen auf massive russische Finanzierung und Unter-

stützung. Auch sprachen sich die Regierungen der beiden Regionen mehrmals für ihre Unabhängigkeit

und den Beitritt zur Russischen Föderation aus, was durch durchgeführte Referenden mit jeweils

deutlich über 90 % Zustimmung vermeintlich legitimiert wurde. Das Zustandekommen und die Durch-

führung der Referenden haben jedoch keinen demokratischen Standards entsprochen. Klare Drohun-

gen kamen immer wieder vom gagausischen Gouverneur Mihail Formuzal und dem transnistrischen

Regierungschef Yevgeny Shevchiuc, welche im Falle der Unterzeichnung des AA konkrete Abspal-

tungsmaßnahmen in Aussicht stellten.

Nach der Vertragsunterzeichnung stehen nun alle Zeichen auf Wahlkampf. Die am 30. November an-

stehende Parlamentswahl wird zum innenpolitischen Lackmustest aller proeuropäischen Kräfte, da

sich bei einem Sieg der Kommunisten der proeuropäische Kurs erneut wenden könnte. Etliche Umfra-

gen zeigen, dass noch etwa 50 % der Bevölkerung pro-russisch eingestellt sind. Auch zeigen die letz-

ten Erfahrungen in der Ukraine, dass Russland Moldau nicht kampflos der EU überlassen wird. Dies

sieht man zum Beispiel an der Übergabe der Verwaltung des Flughafens in der Hauptstadt Chisinau an

eine russische Firma wie auch am Verkauf der Mehrheitsanteile der moldauischen Sparkasse an eine

russische Bank. Der Partner der Stiftung, die Liberale Partei PL, wertete dies als „Angriff auf die natio-

nale Sicherheit“ und sprach aus der Opposition heraus öffentlich von Staatsverrat sowie von Korrupti-

on der Regierung. Dementsprechend wird die Bekämpfung der Korruption eine weitere große Heraus-

EU-Flaggen sind überall in Chisinau zu sehen, so auch hier am

Studentenwohnheim / Foto: FNF-Projektbüro Südosteuropa

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forderung darstellen, denn ohne Korruption innerhalb der regierenden AIE wären wohl solche Fälle

nicht möglich gewesen.

Für den Erfolg eines möglichen künftigen Beitritts

zur EU, den bereits mehrere europäische Spitzenpo-

litiker in Aussicht gestellt haben, spielen auch die

Beziehungen zum Nachbarstaat Rumänien eine

wichtige Rolle. Abgesehen von der gemeinsamen

Sprache gehörte Moldau im Mittelalter zur histori-

schen Provinz Moldau, die sich nach der Trennung

vom zaristischen Russland im Ersten Weltkrieg im

Jahr 1918 mit „Großrumänien“ vereinte, um dann

1940 von Stalin erneut in die Sowjetunion einge-

gliedert zu werden. Obgleich eine Wiedervereini-

gung für Rumänien wohl eher einen Kostenfaktor

darstellen würde, als handfeste ökonomische Vor-

teile mit sich zu bringen, wird dieses Thema seit der

Unabhängigkeit beider Staaten in der öffentlichen Debatte immer wieder aufgeworfen und stark emo-

tionalisiert. Der rumänische Staatspräsident Traian Basescu sagte zum Unmut der moldauischen Re-

gierung öffentlich beim Gipfeltreffen in Vilnius, dass die Wiedervereinigung Rumäniens mit Moldau

„das neue nationale Projekt Rumäniens“ sein müsse. Dieses Anliegen befürworten allerdings laut Um-

fragen nur 10 % aller Moldauer, die in den letzten 20 Jahren einen eigenen Nationalstolz entwickelt

haben. Der rumänische Premierminister Victor Ponta widersprach dann schlichtend Basescus Aussage.

Oberste Priorität Rumäniens sei nach Ponta die Eingliederung Moldaus in die EU. Und hier entpuppt

sich der größere EU-Bruder bereits als ein massiver Push-Faktor, der bereits Fakten schafft: Bis zum

Sommer soll eine aus Rumänien gebaute Gaspipeline die Energieunabhängigkeit des Landes gegenüber

Russland stärken. Außerdem beliefert Rumänien Moldau mit Strom und hat seine künftige Energie-

strategie so ausgelegt, dass es auch vollständig Moldau beliefern kann. Es kommen Zuschüsse im Bil-

dungswesen hinzu, welches nun dem rumänischen angeglichen wird. Rumänien gewährt Hilfe bei der

Übernahme der europäischen Gesetzgebung. Dazu kommt noch die Einbürgerung von moldauischen

Staatsangehörigen. Bis heute haben etwa 400.000 Menschen vom vereinfachten Einbürgerungsver-

fahren Gebrauch gemacht. Selbst moldauische Spitzenpolitiker haben oftmals die doppelte Staatsan-

gehörigkeit.

Damit ist das Ziel klar. Von Juni bis Dezember 2019 wird Rumänien die EU-Präsidentschaft überneh-

men, und hier ist sich die rumänische Politik parteiübergreifend wohl einig: Die Moldau sollte dann

der EU beitreten. Mit Blick auf die Beitrittsmüdigkeit der alten EU-Mitglieder und die weiterhin beste-

henden Probleme Moldaus ein mehr als ambitioniertes Ziel.

Raimar Wagner ist FNF-Projektkoordinator für Rumänien und Moldau.

Daniel Kaddik ist der FNF-Projektleiter für Südosteuropa.

Moldauische Flagge mit Parlamentslogo / Foto: FNF-Projektbüro

Südosteuropa

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