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Histiozytose X
6.09.2011 Kerstin Schäfer
Synonyme
Langerhans-Zell-
Histiozytose
Diffuse Retikulo
endotheliose
Hand-Schüller-Christian-Krankheit
Abt-Letterer-Siwe-
Syndrom
Eosinophiles Granulom
Histiozytose X
Definition Erkrankung des dendritischen
Zellsystems reaktive Proliferation von dendritischen
Zellen, die phänotypisch den Langerhans-Zellen der Haut ähneln
keine wirklichen Langerhans-Zellen: fast vollständiger Verlust der Fähigkeit zur
Antigenpräsentation Zellen proliferieren mit geringer Teilungsrate unterschiedliche Marker auf den Zellen
→ Histiozytose X
Hämatopoese
Klassifikation1. Erkrankungen der dendritischen Zellen:
• Langerhans-Zell-Histiozytose• sekundäre dendritische Zellproliferationen• juveniles Xanthogranulom• Erdheim-Chester-Krankheit• solitäre Histiozytosen mit dendritischem Phänotyp
2. Erkrankungen der Makrophagen:• primäre und sekundäre hämophagozytische Lymphohistiozytosen• Sinushistiozytose mit massiver Lymphadenopathie (Rosai-
Dorfman)• Multizentrische Retikulohistiozytose• solitäre Histiozytosen mit Makrophagen-Phänotyp
3. maligne Erkrankungen:• Monozytäre oder myelomonozytäre Leukämien• Monozytisches Sarkom• histiozytisches Sarkom vom dendritischen oder makrophagen Typ
Epidemiologie
Inzidenz: 0,4 / 100.000 Kinder / Jahr
Altersgipfel: 1.-3. Lebensjahr Jungen : Mädchen = 1,3 : 1
Ätiologie Virusinfektion? Perinatale Infektionen? Mutation (57% Onkogen BRAF V600E)? HLA-Assoziation? hochregulierte Gene: TGF-ß, BLC-2, ICAM, CD-14,
CD-2, Osteopontin (aktiviert und rekrutiert T-Zellen zu Entzündungsorten)
IL-2-Rezeptor, Osteoprotegerin bei multisystemischem Befall höher
NFkappa-B bei monosystemischer Form höher (korreliert mit Anzahl der Knochenläsionen)
Flt-3-Ligand und M-CSF (Makrophagen-colony-stimulating-factor) korrelieren mit Ausbreitungsgrad
Leitsymptome sehr variabel:
Symptomlosigkeit diskrete lokalisierte Beschwerden generalisierte Symptome wie Gewichtsverlust,
Gedeihstörung, Unruhe und Fieber häufigste Lokalisation:
Knochen 80% Haut 60%
Pathologie der Läsionen: Infiltrat typischer „Langerhans-Zellen“ aber auch Makrophagen, Lymphozyten, eosinophile
Granulozyten, Riesenzellen
Stadieneinteilung Monosystemische Histiozytose X (single system
disease): unilokulär/multilokulär Knochenbefall: monoostotisch-polyostotisch Hautbefall Lymphknoten: solitär/multipel
Multisystemische Histiozytose X (multisystem disease):
Befall von 2 oder mehr Organen/Organsystemen mit oder ohne Beteiligung von Risikoorganen
Mindestens ein Risikoorgan: Leber, Milz, Lunge, hämatopoetisches System
Spezielle Form: Multifokale Knochenbeteiligung mit ZNS-Risikoregionen: Os
sphenoidale, orbitale, ethmoidale oder temporale
Knochen radiologisch: scharf demarkierte Osteolysen lokale Schwellung Schmerzen Bewegungseinschränkung 34% Schädelbefall, dort teilweise auch
verdrängendes Wachstum je nach Lokalisation: chronische Otitis media,
Otorrhö, Zahnlockerung, Exophthalmus, Diabetes insipidus, Hirnnervenlähmungen
Knochenbefall
(Schleim-)hautbefall umschriebene noduläre Läsionen diffus auftretendes polymorphes,
makulopapulöses Exanthem teilweise ulzerierende Läsionen DD: seborrhoische Dermatitis oder
Mykosen Schleimhäute: Gingivahyperplasie,
Ulzera an Gaumen, Wangenschleimhaut, Zunge oder Lippen
Lymphknoten und Thymus
vor allem zervikale Lymphknotenschwellung
begleitendes Lymphödem Thymusvergrößerung und
mediastinale Lymphknotenschwellung (DD: Lymphom)
Lunge
Risikoorgan? im Kindesalter eher selten, ab dem
Adoleszentenalter häufiger: Rauchen gilt als Risikofaktor der pulmonalen Histiozytose X
zystische und noduläre Veränderungen → Destruktion des Lungengewebes
eingeschränkte Lungenfunktion „spontaner“ Pneumothorax oft erstes Zeichen
eines Lungenbefalls Thorakale Schmerzen Tachypnoe, Dyspnoe
Leber und Milz Risikoorgane
Hepato- und Splenomegalie knotige oder zystische Veränderungen in
der Leber Transaminasenerhöhung hepatische Dysfunktion (Hypalbuminämie,
Hyperbilirubinämie) sklerosierende Cholangitis
Knochenmark Meist in Kombination mit disseminiertem Befall
von Leber, Milz, Lymphknoten und Haut Risikoorgan Thrombozytopenie Anämie Neutropenie Übergang in myelodysplastisches Syndrom
beschrieben Langerhans-Zellen aber auch oft ohne
Zytopenie im Knochenmark anwesend
Endokrines System Diabetes insipidus (4% erstes Zeichen einer
Histiozytose) 51% andere hypophysäre Einschränkungen
(Wachstumshormonmangel) innerhalb eines Jahres nach Manifestation des Diabetes insipidus
erhöhtes Risiko bei multisystemischem Befall oder Befall von Schädelknochen=>nach 15 Jahren: 20% mit Diabetes insipidus
Gastrointestinaltrakt
2%: Manifestation durch Diarrhö und Malabsorption
vor allem Duodenum (86%) 64%: Rektum, Sigmoid, Kolon
ZNS Diabetes insipidus Neurodegeneration:
Bilaterale symmetrische Läsionen im Zerebellum oder den Basalganglien
Ataxie, Verhaltensstörungen, kognitive Dysfunktion
Verschattungen/Veränderungen von Mastoid oder Nasennebenhöhlen
1%: Granulome im Hirngewebe oder Plexus => Liquorzirkulationsstörungen
Basis-Diagnostik Anamnese (Autoimmunerkrankungen in der Familie) Körperliche Untersuchung Differentialblutbild, BSG, Transaminasen, Bilirubin,
Albumin, Gesamt-Eiweiß, yGT, Gerinnung Urinstatus + Harnosmolalität + spezifisches
Gewicht des Urins Röntgen-Thorax Radiologischer Skelettstatus (evtl. Szinti, eher PET) Sono Abdomen Biopsie! (Immunhistochemie mit Nachweis von
CD1a und CD207 oder Elektronenmikroskopie mit Nachweis von Birbeck-Granula)
Erweiterte Diagnostik Knochenmarksbiopsie mit Anti-CD1-Markern bei
multisystemischem Befall oder monosystemischem, aber multilokulärem Befall mit ungeklärter Zytopenie
HLA-Typisierung bei multisystemischem Befall mit Risikoorganen
ggf. CT-Thorax und Lungenfunktion, (Lungenbiopsie) ggf. Röntgenuntersuchung der Zähne Leberbiopsie bei Leberfunktionsstörung Ggf. ÖGD und Koloskopie Ggf. endokrinologische Diagnostik inklusive Durstversuch
bei V.a. Diabetes insipidus CT-Schädel bei V.a. Beteiligung von Orbita oder Mastoid MRT-Schädel bei V.a. ZNS-Beteiligung Ggf. HNO-Konsil Neurologisches/Psychologisches Konsil bei Auffälligkeiten
Therapie risiskoadaptiert nach Studienprotokoll in
kinderonkologische Zentren bei lokaler Histiozytose ggf. „wait and see“,
sonst nur lokale Therapie Multisystem-Befall: Kortikoide + Zytostatika,
Lokalmaßnahmen nur bei spezieller Indikation Intensivere Therapie mit mehreren Zytostatika
nicht zwangsläufig besseres Outcome fibrotische Veränderungen und Osteolysen
persistieren oft → kein Hinweis für ein Nichtansprechen
Therapie des lokalen Haut- oder Lymphknotenbefalls
generell lokale Therapie nur bei lokalem Befall
bei isoliertem Hautbefall evtl. Spontanheilung abwarten oder topische Kortikoide
Achtung bei Patienten < 1 Jahr mit lokalem Hautbefall: 40% entwickeln multisystemischen Befall
bei isoliertem Lymphknotenbefall evtl. Spontanheilung abwarten oder operative Entfernung
Therapie bei lokaler Knochenbeteiligung bei monoostotischem Befall ggf. abwartende Haltung
bei Beschwerdefreiheit bei isolierten Knochenherden diagnostische Biopsie oft
ausreichend als Anreiz für Heilung ggf. gleichzeitig intraläsionale Kortikoidapplikation operative Entfernung (Kürettage mit/ohne
Spongiosaauffüllung), wenn mit Diagnosefindung gekoppelt und Kortikoidapplikation nicht möglich
Radiatio, wenn Risiko von Komplikationen durch chirurgischen Eingriff zu hoch ist (z.B. Wirbelsäule)
bei ZNS-Risiko-Lokalisationen (Orbita, Mastoid, Os temporale oder sphenoidale) oder Kieferbeteiligung systemische Therapie vorziehen
Systemische Therapie bei multisystemischem Befall, bei
multifokalem Knochenbefall, bei speziellem lokalen Befall (ZNS-Risiko-Befall)
intensive Initialtherapie über 6-8 Wochen, dann mildere Dauertherapie (12 Monate)
meist Kombination aus Prednison und Vinblastin, bei Beteiligung von Risikoorganen ggf. zusätzlich Methotrexat (6-Mercaptopurin oder Etoposid)
bei Nichtansprechen/Therapierefraktärität ggf. Cytarabinoside (Ara-C) und 2-Chlorodeoxyadenosin (2-CdA) (Myelotoxizität!)
ggf. allogene Stammzelltransplantation
Prognose bei lokalisierter Histiozytose sehr gut Kinder > 2 Jahre ohne Beteiligung von Risikofaktoren: 5-
Jahres-Überlebensrate: 100% Kinder <2 Jahre schlechtere Prognose? (häufiger
Multisystembefall) abhängig von der Beteiligung von Risikoorganen gutes initiales Ansprechen auf systemische
Chemotherapie ist prognostisch günstig Mortalität bei Beteiligung von Risikoorganen und
schlechtem Ansprechen ca. 66% Reaktivierung bei multisytemischer Erkrankung in ca.
50%, meist in den ersten beiden Jahren (vor allem Knochenreaktivierung)
bei Multisystembefall Spätschäden in ca. 70% (Lokalbefall 24%)
Nachsorge / Spätschäden nach Studienprotokollen Reaktivierung oder Spätschäden? krankheits- und therapiebedingte Schäden v.a. endokrinologische Spätschäden (35%) (Diabetes
insipidus, Wachstumshormonmangel) orthopädische Beeinträchtigungen (Korsett) neurologische Schäden (ZNS-Beteiligung oder
Nervenkompression bei Beteiligung von Wirbelsäule und Extremitäten)
Leberinsuffizienz und Cholangitiden Hörstörungen bis Hörverlust Zahnprobleme maligne Erkrankungen (myeloische Leukämie,
Hirntumoren, HCC)
Literatur AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie in der
pädiatrischen Onkologie und Hämatologie: Langerhans-Zell-Histiozytose (2008)
Gadner, H.; Gaedicke, G.; Niemeyer, C.; Ritter, J.; Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Springer Verlag 2006
Uptodate (2011): Langerhans-Zell-Histiozytose www.uptodate.com/contents/langerhans-cell-histiocytosis
Dermatology Image Atlas: http://dermatlas.med.jhmi.edu/derm/
Dermatology Information System: www.dermis.net
Zelltyp Gewebe
Monozyten Knochenmark und Blut
Gewebemakrophagen ubiquitär
Alveolarmakrophagen Lunge
Kupffer-Zellen Leber
Pleuramakrophagen Pleura
Peritonealmakrophagen Peritoneum
Synoviazellen (Typ A) Synovia
Mikroglia ZNS
Plazentamakrophagen Plazenta
Osteoklasten Knochen
Epitheloidzellen Granulome
Dendritische Zellen ubiquitär
Langerhans-Zellen Haut