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Text und Fotos: Berit Horenburg Das erste Motorrad hat Royal Enfield 1901 in Großbritannien vorge- stellt. Seit 56 Jahren läuft die Bullet in Indien vom Band, wo Royal Enfield inzwischen Kult ist. So wie die Filme aus der Traumfabrik Bollywood. Wie geht das? P P röttl, pröttl, pröttl. Der Einzy- linder-500er der Royal Enfield Classic bollert. „Meine Freunde beneiden mich.“ Der indische Journalist Varoon P. Anand fährt eine neue Royal Enfield Classic Chrome in der Wüste spazieren. Nur zur Probe. Was ihn völlig aus dem Häuschen bringt: „Royal Enfield ist ein Mythos.“ Die Legende lebt gerade wieder auf. Denn die kleinste indische Motorradmarke siechte jahrelang vor sich hin. Aus vielerlei Gründen. Der Spitzname für die alten En- fields mit getrenntem Motor und Getriebe lautete „Royal Oilfield“. Eine Anspielung auf den steten Ölverlust des ursprünglich bri- tischen Singles, der als Bullet nahezu unver- ändert seit den 1930er Jahren mit Rechts- schaltung gefertigt wurde. Der Tradition, in deren Gefolge sich Royal Enfield als älteste produzierende Motorradmarke der Welt stilisiert, standen Qualitäts- und Handling- Probleme gegenüber. Übrig blieb eine treue Fangemeinde, die sich an Schwungmasse und Drehmoment ergötzte, aber kaum das Überleben des Unternehmens sicherte. Vieles hat sich geändert. Motor und Getriebe bilden jetzt eine Einheit in einem Gehäuse, wobei das Triebwerk europäische Emissionsnormen einhält. Zwei Zündkerzen sind in Indien ein viel beworbenes Muss. Die Schaltung ist bereits seit 2005 links, und neben dem Kick- exisitiert ein Elektrostarter. In die 500er-Version wird das Benzin gar elektronisch eingespritzt. Die Classic wurde im November 2009 in Indien vorgestellt. Ein Volltreffer: „Inzwischen macht sie rund 40 Prozent unserer Verkäufe aus“, sagt Venki Padmanabhan, seit Januar 2011 Geschäfts- führer von Royal Enfield. Insgesamt 90 Prozent aller in Indien verkauften Enfields sind die preiswerteren 350er mit Vergasern und 20 PS Leistung. Auf die Classic 350 R E PORT Royal Enfield-Werksbesuch OUT OF OUT OF BOLLYWOOD BOLLYWOOD Die Marke Royal Enfield entstand 1893 in Großbritannien. Damals stellte das Unterneh- men Fahrräder und Gewehre her. Aus dieser Zeit stammt der Präzision verheißende Slogan „Made like a gun“ (Gemacht wie eine Waffe). 1901 kam das erste Motorrad heraus, aber erst 1933 wurde die Bullet (Kugel) mit 250 cm³ präsentiert. 1939 brachte Royal Enfield einen 125er-Zweitakter: Die Flying Flea (Fliegender Floh) war eine um 25 cm³ erweiterte Kopie der DKW 100 RT, die während des Zweiten Welt- kriegs fahrbereit an Fallschirmen abgeworfen wurde. Zwei indische Geschäftsleute begannen 1949, Royal Enfield nach Indien zu importieren. Die ersten Bausätze montierten Arbeiter 1955 in Madras, bald folgten ganze Motor- räder. In Großbritannien stellte Royal Enfield die Produktion 1970 ein, das letzte Bike, die Interceptor, wurde von einem Parallel-Twin mit 736 cm³ und 52 PS befeuert. In Indien stiegen derweil die Verkaufszahlen der 350er-Bullet, für den Export erweiterte Enfield den Hubraum auf 500 cm³. Das Unternehmen Eicher Motors, das Lastwagen, Busse und Getriebe herstellt, übernahm 1994 Enfield India. 1999 gingen auch die Namensrechte an Royal Enfield nach Indien. Bis 2007 hatte die Bullet getrennte Gehäuse für Motor und Getriebe. www.royalenfield.com HISTORIE Das alte Werk in Chennai: Dort entstehen rund 70 000 Royal Enfields jährlich. 2012 baut das Unternehmen neu Probelauf für jeden 350er- und 500er-Motor: noch vor dem Einbau in den Rahmen Stammen von indischen Zulieferern: Rahmen und Räder. Wie 70 Prozent aller Teile Seit 2011 neuer Ge- schäftsführer von Royal Enfield: Venki Padmanabhan warten die Kunden acht Monate, weil die Produktion hinterherhinkt. Im alten Werk in Thiruvottiyur bei Chen- nai sind nur 200 Leute in Verkauf, Design und Entwicklung tätig. Etwa 1500 Ange- stellte fertigen Motorräder. Sechs Tage die Woche, rund um die Uhr, in drei Schichten. Die Hallen sind sauber gefegt, die gewerk- schaftlich organisierten Arbeiter haben festgelegte Pausen und essen in der Werks- kantine. Statt Robotern und Maschinen herrscht Handarbeit vor. Nach dem Zusam- menbau werden die Motoren in Hilfsrahmen gesteckt. Es folgen Probeläufe, bevor Arbei- ter sie als tragende Elemente in die schwarz lackierten Rahmen verbauen. Blechteile wie Kotflügel und Tank werden verchromt oder von Hand lackiert. Die Linien auf den Tanks ziehen Jaya und sein Bruder Kishore Kumar mit Pinseln - ohne abzusetzen. Rund 70 Prozent der Teile, vom Rahmen über die Räder bis zu den Federelementen, stammen von indischen Zulieferern. Nur die elektro- nischen Einspritzungen kommen von Keihin aus Japan und die Batterien aus Italien. Auf zwei Fließbändern entstehen 350er- und 500er-Bikes, die nach der Endmontage auf einen Prüfstand rollen. Anschließend fährt ein Pilot eine Teststrecke ab, wobei er erneut Motor und Fahrwerk checkt. 1939 2004 1965 1933 Fotos: Royal Enfield Bullet Bullet 350 350 Flying Flying Flea Flea Interceptor Interceptor Bullet Bullet 500 500 23/2011 SZENE 97 96 SZENE MRD23_11 SZENE_Werksbesuch Royal Enfield.indd 96-97 MRD23_11 SZENE_Werksbesuch Royal Enfield.indd 96-97 08.11.2011 15:43:22 08.11.2011 15:43:22

HISTORIE OOUT OF UT OF BBOLLYWOODOLLYWOOD - Royal Enfield SZENE_Werksbesuch … · Text und Fotos: Berit Horenburg Das erste Motorrad hat Royal Enfield 1901 in Großbritannien vorge-stellt

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Text und Fotos: Berit Horenburg

Das erste Motorrad hat Royal Enfield 1901 in Großbritannien vorge-stellt. Seit 56 Jahren läuft die Bullet in Indien vom Band, wo Royal Enfield inzwischen Kult ist. So wie die Filme aus der Traumfabrik Bollywood. Wie geht das?

PPröttl, pröttl, pröttl. Der Einzy-linder-500er der Royal Enfi eld

Classic bollert. „Meine Freunde beneiden mich.“ Der indische Journalist Varoon P. Anand fährt eine neue Royal Enfi eld Classic Chrome in der Wüste spazieren. Nur zur Probe. Was ihn völlig aus dem Häuschen bringt: „Royal Enfi eld ist ein Mythos.“

Die Legende lebt gerade wieder auf. Denn die kleinste indische Motorradmarke siechte jahrelang vor sich hin. Aus vielerlei Gründen. Der Spitzname für die alten En-fi elds mit getrenntem Motor und Getriebe lautete „Royal Oilfi eld“. Eine Anspielung auf den steten Ölverlust des ursprünglich bri-tischen Singles, der als Bullet nahezu unver-ändert seit den 1930er Jahren mit Rechts-schaltung gefertigt wurde. Der Tradition, in deren Gefolge sich Royal Enfi eld als älteste produzierende Motorradmarke der Welt stilisiert, standen Qualitäts- und Handling-Probleme gegenüber. Übrig blieb eine treue Fangemeinde, die sich an Schwungmasse und Drehmoment ergötzte, aber kaum das Überleben des Unternehmens sicherte.

Vieles hat sich geändert. Motor und Getriebe bilden jetzt eine Einheit in einem Gehäuse, wobei das Triebwerk europäische Emissionsnormen einhält. Zwei Zündkerzen sind in Indien ein viel beworbenes Muss. Die Schaltung ist bereits seit 2005 links, und neben dem Kick- exisitiert ein Elektrostarter. In die 500er-Version wird das Benzin gar elektronisch eingespritzt. Die Classic wurde im November 2009 in Indien vorgestellt. Ein Volltreff er: „Inzwischen macht sie rund 40 Prozent unserer Verkäufe aus“, sagt Venki Padmanabhan, seit Januar 2011 Geschäfts-führer von Royal Enfi eld. Insgesamt 90 Prozent aller in Indien verkauften Enfi elds sind die preiswerteren 350er mit Vergasern und 20 PS Leistung. Auf die Classic 350

R E P O R TRoyal Enfield-Werksbesuch

OUT OF OUT OF BOLLYWOODBOLLYWOOD

Die Marke Royal Enfi eld entstand 1893 in Großbritannien. Damals stellte das Unterneh- men Fahrräder und Gewehre her. Aus dieser Zeit stammt der Präzision verheißende Slogan „Made like a gun“ (Gemacht wie eine Waff e). 1901 kam das erste Motorrad heraus, aber erst 1933 wurde die Bullet (Kugel) mit 250 cm³ präsentiert. 1939 brachte Royal Enfi eld einen 125er-Zweitakter: Die Flying Flea (Fliegender Floh) war eine um 25 cm³ erweiterte Kopie der DKW 100 RT, die während des Zweiten Welt- kriegs fahrbereit an Fallschirmen abgeworfen wurde. Zwei indische Geschäftsleute begannen 1949, Royal Enfi eld nach Indien zu importieren.

Die ersten Bausätze montierten Arbeiter 1955 in Madras, bald folgten ganze Motor- räder. In Großbritannien stellte Royal Enfi eld die Produktion 1970 ein, das letzte Bike, die Interceptor, wurde von einem Parallel-Twin mit 736 cm³ und 52 PS befeuert. In Indien stiegen derweil die Verkaufszahlen der 350er-Bullet, für den Export erweiterte Enfi eld den Hubraum auf 500 cm³. Das Unternehmen Eicher Motors, das Lastwagen, Busse und Getriebe herstellt, übernahm 1994 Enfi eld India. 1999 gingen auch die Namensrechte an Royal Enfi eld nach Indien. Bis 2007 hatte die Bullet getrennte Gehäuse für Motor und Getriebe. www.royalenfi eld.com

HISTORIE

Das alte Werk in Chennai: Dort entstehen rund 70 000 Royal Enfields jährlich. 2012 baut das Unternehmen neu

Probelauf für jeden 350er- und 500er-Motor: noch vor dem Einbau in den Rahmen

Stammen von indischen Zulieferern: Rahmen und Räder. Wie 70 Prozent aller Teile

Seit 2011 neuer Ge-schäftsführer von Royal Enfield: Venki Padmanabhan

warten die Kunden acht Monate, weil die Produktion hinterherhinkt.

Im alten Werk in Thiruvottiyur bei Chen-nai sind nur 200 Leute in Verkauf, Design und Entwicklung tätig. Etwa 1500 Ange-stellte fertigen Motorräder. Sechs Tage die Woche, rund um die Uhr, in drei Schichten. Die Hallen sind sauber gefegt, die gewerk-schaftlich organisierten Arbeiter haben festgelegte Pausen und essen in der Werks-kantine. Statt Robotern und Maschinen herrscht Handarbeit vor. Nach dem Zusam-menbau werden die Motoren in Hilfsrahmen gesteckt. Es folgen Probeläufe, bevor Arbei-ter sie als tragende Elemente in die schwarz

lackierten Rahmen verbauen. Blechteile wie Kotfl ügel und Tank werden verchromt oder von Hand lackiert. Die Linien auf den Tanks ziehen Jaya und sein Bruder Kishore Kumar mit Pinseln - ohne abzusetzen. Rund 70 Prozent der Teile, vom Rahmen über die Räder bis zu den Federelementen, stammen von indischen Zulieferern. Nur die elektro-nischen Einspritzungen kommen von Keihin aus Japan und die Batterien aus Italien. Auf zwei Fließbändern entstehen 350er- und 500er-Bikes, die nach der Endmontage auf einen Prüfstand rollen. Anschließend fährt ein Pilot eine Teststrecke ab, wobei er erneut Motor und Fahrwerk checkt.

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? Wie führen Sie eine traditionsreiche Marke wie Royal Enfi eld in die Zukunft?

! Royal Enfi eld ist der älteste Motor-radproduzent weltweit, der immer noch Motorräder herstellt. Allerdings überlebte die Firma die letzten zehn, 15 Jahre nur knapp. Die grundlegenden Fragen waren 2001, als wir gerade noch 20 000 Motorrä-der bauten, warum kaufen so wenige Royal Enfi eld, und wie ändern wir das? Zuerst ging es darum, Minimalstandards zu errei-chen, was Produktion, Service und Qualität angeht. Was uns weit vorangebracht hat, war die neue Bullet, die 2008 herauskam

und vielen Kunden gefallen hat. Gleichzei-tig hat sie unser neues Triebwerk erfolg-reich eingeführt, das die Euro-3-Emissions-norm einhält. Dadurch hat sich vieles ge-ändert. Enfi eld als Unternehmen operiert nicht mehr am Abgrund, sondern läuft gut. Wir investieren in die Zukunft, seien es neue Motorräder, neue Motorenplattfor-men oder bessere Auslieferung. Bei allem Fortschritt muss Royal Enfi eld jedoch an die Tradition denken. Das klassische Aus-sehen ist wichtig, die Technologie muss aber modern sein. Wir werden jedoch nie

einen Supersportler bauen. Royal Enfi eld steht für Motorräder, die einfach zu fahren und zu handhaben sind und Spaß machen.

? Welche Motorräder baut Royal Enfi eld?

! Derzeit haben wir eine Plattform mit 350- und 500-cm³-Motoren und die drei Motorradfamilien Bullet, Thunderbird und Classic. Wir werden einen Café Racer auf der gleichen Plattform bauen. In Zukunft wollen wir unseren Horizont erweitern, aber noch ist nichts entschieden. Wir konzentrieren uns zunächst darauf, die bestehende Plattform zu verbessern.

? Wie viele Motorräder produzieren und verkaufen Sie in welchen Märkten?

! Im Jahr 2010 haben wir 53 000 Motorräder produziert, dieses Jahr haben wir diese Marke bereits im September erreicht. Ende des Jahres werden es über 70 000 Bikes sein. Wir stellen derzeit rund

„Das klassische Styling ist wichtig, die Technik muss modern sein“Siddhartha Lal, Geschäftsführer und Miteigner des Lkw- und Busherstellers Eicher Motors,

der Konzernmutter von Royal Enfi eld. Von 2001 bis 2004 war Lal Chef von Royal Enfi eld.

Siddhartha Lal,

leidenschaft-

licher Motorrad-

fahrer und

Geschäftsführer

von Eicher

Motors, zu

deren Firmen-

gruppe Royal

Enfi eld gehört

Professionelles Marketing von Royal Enfi eld:

für Männer, die eine Freundin suchen, und für

Aussteiger, die im Himalaya neu beginnen

Filmen, die sich Millionen Inder ansehen, räkeln sich mit Vorliebe auf den Sitzen von Royal Enfi elds, die Werbekampagnen wenden sich gezielt an junge Männer. Zum Beispiel mit dem Appell „Leave Home“, zu Deutsch: Verlassen Sie Ihr Elternhaus. Unter-stützt durch die Ansage: „Nur drei Prozent der Frauen haben Freunde, die noch zu Hause leben. 88 Prozent haben welche, die allein leben.“ In einem Land, wo Eltern noch Ehen arrangieren, riecht das nach Abenteu-er. Wer mit einer Royal Enfi eld fährt, unter-scheidet sich von Tausenden Honda- und Bajaj-Piloten. Anders als die anderen wollen auch in Indien immer mehr Leute sein.

Dazu gehört Urlaub. „Inder mit Bürojobs arbeiten bis zu 16 Stunden am Tag“, sagt Padmanabhan. Royal Enfi eld verkauft sich als Freizeitvergnügen. Eine neue Erfi ndung in Indien, wo der Patriarch auf einem Bike oft die ganze Familie transportiert.

„Wir bieten Trips an. Darüber hinaus gibt es 200 Klubs von Enfi eld-Besitzern in Indien, die 20 bis 700 Mitglieder haben“, sagt Koshy. Die großen Touren mit klangvollen Namen wie „Himalayan Odyssey“ oder „Rann of Kutch“, welche Mechaniker und Mediziner begleiten, werden in Kurzversion per Video im Internet veröff entlicht. Einmal im Jahr feiern die Fans eine Riesenparty in

jahr 2013 die Produktion anlaufen soll, ist für 150 000 Motorräder pro Jahr ausgelegt und mit über 200 000 Quadratmetern fünfmal so groß wie das alte. „Wir haben Daimler und Nissan als Nachbarn“, frohlockt Enfi eld-Verkaufsleiter Shaji Koshy. Zunächst wech-

Statt 52 574 Motorräder wie im ver-gangenen Jahr produziert Enfi eld 2011 über 70 000. Damit ist die Kapazität im veralteten Werk ausgereizt. Im September 2011 hat das Unternehmen Land gekauft. Das neue Werk bei Chennai, in dem bereits im Früh-

6500 bis 7000 Motorräder pro Monat her. Derzeit beträgt die Wartezeit bis zur Liefe-rung sechs bis acht Monate. Rund 95 Pro-zent werden in Indien verkauft. Nur rund fünf Prozent in Märkten wie Großbritan-nien, USA, Deutschland, Frankreich, Italien. Bis 2015 möchten wir 15 Prozent exportie-ren. Im Jahr 2013 werden wir unsere Pro-duktion in einem neuen Werk auf 150 000 Stück verdoppeln. Zudem bieten wir Zubehör wie Helme und Jacken an.

? In Indien wirbt Royal Enfi eld für Motorrad-fahren als Freizeitvergnügen. Wie funktioniert das?

! Die meisten Inder kaufen sich Motorräder, um zur Arbeit zu fahren. Das geht auch mit Royal Enfi elds. Denn das sind praktische Motorräder. Zudem bieten wir acht große Touren zum Beispiel in den Himalaya und nach Rajasthan sowie Hun-derte von lokalen Ausfahrten. In den ent-wickelten Ländern könnte Royal Enfi eld ein cooles, städtisches Motorrad sein, das gut aussieht, wenig verbraucht und kostet.

? Welchen Wert nimmt Royal Enfi eld bei Eicher ein?

! Die Eicher-Gruppe hat 2010 mehr als eine Milliarde US-Dollar umgesetzt. Royal Enfi eld hat einen Anteil von zehn bis 15 Prozent, wächst aber derzeit mit 50 Prozent stärker als das Lkw- und Bus-geschäft mit 30 Prozent Plus. Wir glauben an das Potenzial von Royal Enfi eld.

Letzte Prüfung vor der Probefahrt: Spiegel und Blinker sind schon in Plastik gehüllt für den Versand

Altes Styling, nagelneues Bike: Die Royal Enfield Classic Chrome mit 27 PS kam im Sep-tember auf den indischen Markt. Liebevoll gestaltet mit den bekannten Positionslich-tern (rechts) und Einzelsattel statt Sitzbank

Wie am Fließband: Inzwischen verlassen mehr als 6000 Motor-räder monatlich das alte Werk

Ruhige Hand: Alle Linien auf den Tanks von Royal Enfields malen die Brüder Jaya und Kishore Kumar

Ganz von Hand: Die meisten Teile schrauben Arbeiter zusammen. Roboter gibt es noch nicht

seln Lackierung und Endmontage in die neuen Hallen, die Motoren werden weiter-hin in Thiruvottiyur gebaut. Ans neue, moderne Werk ist ein Museum gekoppelt.

Denn das Marketing von Royal Enfi eld funktioniert: Schönheiten in Bollywood-

Goa. „So verkaufen wir Motorräder“, meint Padmanabhan. „Keep riding.“ Denn Mythos hin oder her, die Einzylinder-Bikes mit einem Gewicht von über 185 Kilogramm gelten in Indien, wo 100-cm3-Mopeds mit 100 Kilogramm üblich sind, als schwere Machoteile.

Eine neue Version der Classic 500, die Enfi eld im September 2011 präsentierte, kostet als Classic Chrome umgerechnet 2200 Euro in Neu-Dheli. Änderungen: neues Mapping der Einspritzanlage, 19- statt 18-Zoll-Rad vorn. Die modifi zierte Achsaufnahme an der Gabel sorgt für mehr Nachlauf. Die Hoff nung, dadurch alle Pro-

bleme wie den instabilen Geradeauslauf bei höheren Geschwindigkeiten in den Griff zu bekommen, erfüllte sich nicht. Was auf den miserablen indischen Straßen, wo sich Kühe tummeln und Anarchie herrscht, jedoch keine Rolle spielt. „Wir arbeiten an der Quali-tät und am Handling“, so Padmanabhan.

Damit Royal Enfi eld weiterhin Erfolge feiert, sind neue Motorräder geplant. Einen Café Racer mit neuem Rahmen hat die Fir-ma für 2012 bereits angekündigt. Weiterhin gibt es Gerüchte über geplante 700-cm3-Bikes und eine Dieselversion. Eins ist laut Padmanabhan sicher: „Wir wollen die DNA bewahren. Der Beat muss bleiben.“

ROYAL ENFIELD CLASSICROYAL ENFIELD CLASSIC

Änderung: Die vorverlegten Achs-aufnahmen an der Classic von 2009 (rechts) sind 2011 verschwunden

Vorschrift: Sari Guard. Damit die Kleidung der hinten im Damensitz platzierten Frauen sich nicht verfängt

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TVS Motor Company15,0 %

Honda Motorcycle &Scooter India

13,2 %

India YamahaMotor

2,3 %

MahindraTwo Wheelers

1,4 %

Royal Enfield(Unit of Eicher)

0,5 %

Suzuki Motor-cycle India

2,4 %

Bajaj Auto 20,5 %

Hero Honda Motors 44,7 %

Stunts am Tag der Republik: Indisches Militär auf Enfield. Mit Sturzbügeln

Das Grauen: Nummernschild vorn. Usus: Das Bike des Chefs wird bewacht

Der Motorradmarkt in Indien ist nach China der zweitgrößte der Welt. Was kaufen Inder? Und warum?D M d k i I di i h Chi d

Das geht abDas geht ab

IIndien steckt voller Gegensätze. Mit einem enormen Wirtschaftswachstum

von mehr als acht Prozent jährlich gehört der Subkontinent nach China zu den welt-weit am stärksten expandierenden Volks-wirtschaften. Gleichzeitig leben 28 Prozent der 1,2 Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag (0,72 Euro). Weltweit beheimatet Indien aber auch die meisten Milliardäre, wie das Auswärtige Amt in Berlin weiß. Dazwischen sorgt eine wachsende Mittelschicht für steigenden Konsum. Das jährliche Einkom-men von 16 Millionen Haushalten wird auf 300 000 bis 500 000 Rupien (4350 bis 7250

Euro) geschätzt, was am unteren Ende etwa der fi nanziellen Mindestanforderung zur Anschaff ung eines motorisierten Zweirads entspricht.

In den Megastädten wie Neu-Delhi mit 22 Millionen Einwohnern und Mumbai mit knapp 20 Millionen Einwohnern sind die Straßen ständig verstopft. Die gesamte Infrastruktur ist in einem schlechten Zu-stand, und es mangelt an öff entlichen Verkehrssystemen. Motorräder sind preis-wert, brauchen wenig Sprit, Straßen- und Parkraum. Vor allem junge Männer ziehen sie deshalb den Autos vor, während Frauen Roller bewegen.

Von den rund 15,5 Millionen Fahrzeu-gen, die in Indien produziert werden, sind 76 Prozent motorisierte Zweiräder. Damit ist Indien nach China der zweitgrößte Motorradmarkt der Erde. Insgesamt setzt die indische Fahrzeugindustrie jährlich mehr als 38 Milliarden US-Dollar um und beschäftigt über 13 Millionen Menschen.

Bei den Motorrädern gehören rund 72 Prozent zum Einstiegslevel. Diese Economy-Klasse umfasst Bikes mit 75 bis 125 cm3. Typisch ist die Hero Honda Splendor mit 100 cm3, 7,4 PS Leistung und 109 Kilo-gramm Gewicht, die in Neu-Dheli 46 000

Rupien (670 Euro) kostet und sich in Indien seit 1994 immerhin zwölf Millionen Mal verkauft hat. Teurere Bikes, die jenseits von 50 000 Rupien (730 Euro) erhältlich sind, machen rund 27 Prozent aus und haben bis zu 250 cm3, zum Beispiel Bajaj Pulsar oder Hero Honda Glamour. Das Premium-segment über 250 cm3 umfasst derzeit nur rund ein Prozent des indischen Marktes. Allerdings liegen die Prognosen für die nächsten zehn Jahre bei bis zu 250 000 Stück jährlich. www.bajajauto.com, www.heromotorcorp.com

Honda trennt sich

Einstieg lohnt sich

Bikes verkaufen sich

Marktanteile motorisierte Zweiräder 2010/11 Entwicklung der Verkaufszahlen

Die absolute Nummer eins des indischen Motorradmarkts war Hero Honda, ein Joint Venture, aus dem Honda im Dezember 2010 ausstieg. Hero Motor Corporation hat 4000 Händler in Indien und darf existierende Honda-Modelle weiterbauen. Honda selbst verkauft derzeit vor allem Roller und ist die Nummer vier hinter Bajaj Auto und TVS Motor Company. Ob Honda den Markt 2012 umkrempelt?

Die Wachstumsraten auf dem indischen Markt sind enorm. Royal Enfi eld spielt als einziger einheimischer Produzent von 500-cm³-Bikes eine Rolle in der Nische. Neben den japanischen Herstellern, den indischen Produzenten Bajaj, TVS Motor, Mahindra und Hero Motors wol-len jetzt viele Marken ein Stück vom Kuchen. Harley-Davidson, Hyosung und Ducati sind 2011 eingestiegen, Triumph folgt 2012.

Der Markt für motorisierte Zweiräder in Indien explodiert. Von April 2004 bis März 2005 sind 6,2 Millionen Motorräder und Roller verkauft worden. Im Geschäftsjahr 2010/2011 waren es mit 11,8 Millionen knapp doppelt so viele. Laut Vorhersagen wird die 20-Millionen-Grenze 2015 locker geknackt. Von den 15,5 Millionen Fahrzeu-gen samt Autos, Bussen, Lkws, die in Indien 2010/2011 verkauft wurden, sind knapp zwölf Millionen oder rund 76 Prozent motorisierte Zweiräder. Die unterteilen sich wiederum in knapp drei Millionen Scooter, neun Millionen Bikes und sehr wenige Mopeds mit 50 cm³ für 16-Jährige.

? Bajaj Auto gehört zu Indiens Top-30-Unter-nehmen. Im Geschäftsjahr 2010/2011 hat Bajaj mehr als 3,8 Millionen Motorräder produziert und davon 1,2 Millionen exportiert. Zu 48 Prozent gehört das Unternehmen der Familie Bajaj. Wie viel Geldreser-ven hat die Firma?

! Derzeit etwa eine Milliarde US-Dol-lar. Und es wird mehr. Dieses Jahr haben wir einen Überschuss von 600 Millionen Dollar nach Steuern erwirtschaftet. Wir werden dieses Geld hoff entlich reinvestie-ren, um weltweit zu expandieren.

? Bajaj hat 39,7 Prozent Anteile an KTM. Sie haben sich jedoch auch Ducati und Triumph angesehen. Warum wurde daraus nichts?

! Wir wollten in einem Premiummarkt repräsentiert sein, in dem unsere eigenen Produkte nicht relevant sind. Bei Ducati gaben wir schnell auf. Von der Politik bis zu den Gewerkschaften in Bologna – wir haben ähnliche Probleme in Indien und damit genug zu tun. Triumph hat in Thai-land eigene Werke aufgebaut und uns nicht gebraucht. Bei KTM war alles perfekt: Wir waren wie Yin und Yang. Für uns sahen KTM-Bikes ziemlich schräg aus, als kämen sie aus einem Zoo. Aber die Zusammen-

arbeit hat sich wundervoll entwickelt. KTM muss unabhängig bleiben. Sonst wäre die Zukunft von KTM gefährdet.

? Wie sieht Ihre Zukunft mit KTM aus?

! Die Produkte von KTM sind stark – auch ohne Bajaj. Die Kostenstrukturen in Österreich sind jedoch anders als die in Asien. Die ideale Rolle für Bajaj ist, KTM bei der Verbesserung der Kostenstrukturen zu unterstützen, indem wir Plattformen kombinieren. Noch besser: Die KTM 125 Duke wird komplett in Indien produziert, was die Kosten um rund 35 Prozent senkt, verglichen mit einer Produktion in Öster-reich. Deswegen ist sie auf dem euro-päischen Markt so günstig. Zudem wird unser künftiges Pulsar-Modell auf dem KTM-Motor basieren. Unsere Produkte sind also miteinander verbunden.

? Wie steht es um das Verhältnis zu Kawasaki?

! Wir importieren und verkaufen Kawasaki. In Indien konkurrieren Kawasaki und KTM nicht, weil KTM ein Nischenpro-dukt anbietet. Unsere Zusammenarbeit ist auch sinnvoll in Märkten wie den Philippi-nen, wo Kawasaki Bajaj-Produkte unter

unserem Markennamen verkauft. Genau umgekehrt wie in Indien, wo wir Kawasaki vertreiben. Hier ist die Ninja 250 so erfolg-reich, weil unsere Bajaj-Händler sie verkau-fen. In unserem Werk in Chakan werden wir rund 100 Ninja 250 pro Monat aus Kits zusammenbauen. Wenn wir sie importie-ren, müssen wir um die 100 Prozent Zoll bezahlen. Wenn wir sie mit ein paar indischen Teilen herstellen, sind es nur noch zwölf Prozent Zoll.

? Wie entwickelt sich der indische Markt?

! Als wir 2001 die erste Pulsar auf den Markt brachten, unterschied sie sich funda-mental von Hero Hondas mit 100 cm³, die als Bikes für Pendler dienen. Als Sport-motorräder gelten in Indien Zweiräder mit Hubräumen zwischen 125 und 250 cm³. Jedes zweite in Indien verkaufte Sportmo-torrad ist derzeit eine Pulsar. Den gleichen Erfolg sage ich KTM in Indien voraus. Unser neuer Pulsar-Motor basiert auf dem KTM-Triebwerk, hat auch vier Ventile, aber zwei

„Bajaj und KTM sind wie Yin und Yang. Sie passen perfekt“Bajaj ist die Nummer zwei auf dem indischen Motorradmarkt und besitzt 39,3 Prozent von

KTM. Der britische Journalist Alan Cathcart interviewte den Chef Rajiv Bajaj.

Rajiv Bajaj (44),

Managing Direc-

tor von Bajaj

Auto, arbeitet

seit 1990 in der

Bajaj-Gruppe,

die sein Urgroß-

vater Jamnalal

Bajaj gründete

Werden in Indien produziert: KTM 125 Duke und Bajaj Pulsar 220 mit 21 PS

Zündkerzen, und wir bieten zudem eine luftgekühlte Variante an. Die Duke wird in Indien in einer 200er-Version verkauft, weil wir keinen 125er-Führerschein haben und uns mehr Erfolg mit einem größerem Hub-raum versprechen. Während die Pulsar 220, das schnellste in Indien entwickelte Sport-bike, etwas mehr als 1000 Euro kosten wird, wird die KTM 200 Duke hier wohl für 2200 Euro feilgeboten. Wir werden KTM in 30 eigenen Showrooms in den größten Städ-ten präsentieren. Ebenso die 350er-Duke in verschiedenen Versionen. Das Premium-segment ist derzeit jedoch nicht größer als 4000 Einheiten pro Monat in ganz Indien.

? Bajaj hat bis 1971 Vespa-Roller verkauft. Piaggio bringt 2012 einen 125er-Viertaktroller auf den indischen Markt. Eine Gefahr für Sie?

! Derzeit bestehen rund 70 Prozent des indischen Zweiradmarkts aus Motorrädern. Auch weltweit sind von den 50 Millionen motorisierten Zweirädern rund 60 Prozent Motorräder. Vier Millionen von den 30 Millio-nen verkauften Motorrädern hat Bajaj pro-duziert. Wir wollen insgesamt zehn Millionen Bikes pro Jahr bauen. Dann überlegen wir uns, ob wir wieder auf Roller setzen.

? Die Nummer eins in Indien, Hero Honda, hat ab 2012 kein Joint Venture mehr mit Honda. Was erwarten Sie davon?

! Bis jetzt ist Honda in Indien nur mit Rollern erfolgreich. Wir erwarten jedoch bei Motorrädern eine sehr starke Konkur-renz ab 2012. Zusammen mit KTM sind wir gut aufgestellt.

6,27,0

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Für die Geschäftsjahre 2004-2011

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R E P O R TMotorradmarkt-Entwicklung in Indien

Verkaufszahlen 2010/11 nach Herstellern

Verkaufte Stückzahlin Mio.

Verkaufte Stückzahl*in Mio.

+35,2 %*Die Prozente ergeben sich aus dem Vergleich mit den Stückzahlen des Geschäftsjahrs 2009/2010

+17,0 % +30,1 % +31,0 %+24,3 % +49,2 %+8,7 %+134,1%

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