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DONNERSTAG, 3. MAI 2018 | SEITE 16 HISTORIE [email protected] Ihr Ansprechpartner Nico Wendt Tel. 03421 721052 Vom „Jünglingsverein“ in Belgern bis zu den Fischen aus Trossin Fundstücke aus alten Zeitungen der letzten Jahrhunderte BELGERN/TROSSIN/SCHILDAU/TORGAU. Im neu dekorierten Saal des „Weißen Ross“ in Belgern feierte der Jünglingsverein sein 17. Stiftungsfest. Nach dem Ein- gangsvers „Lobe den Herren“ und einem Erntedankfest-Prolog ergriff der Herr Su- perintendent Mackenroth das Wort. Es sprach die Bitte aus, „daß auch fernhin die dem Verein wohlgesinnten Söhne und Pflegebefohlenen sowie Lehrlinge dem Jünglingsverein zugeführt werden möch- ten.“ Nachzulesen im „Torgauer Kreis- blatt“ von 1901. Am 15. September 1902 wurde in Trossin der dem dortigen Rittergut gehörende Teich abgefischt. Man entnahm etwa 70 Zentner Karpfen, welche in großen Fäs- sern zum Fährhaus transportiert wurden. Am Fährhaus wurden die Fische in einen Kahn verladen, mit welchem die Fische zur großen Fischhandlung von Friedrich Weise nach Magdeburg gebracht wurden. Im Kreisadressbuch Torgau von 1939 war folgendes zu lesen. Im Jahr 1939 hatte die Stadt Schildau sage und schreibe sechs Bau- und Möbeltischlereien, vier Schuhwarengeschäfte, welche auch Re- paraturen annahmen, sowie vier Schuh- machereien. Am Markt 9 war die Apothe- ke von Friedrich Sauer. Ein bekannter und der einzige Brunnenbauer war Max Baum in der Lindenstraße 2. Zehn Gast- höfe und Gastwirtschaften hatte die Stadt zu bieten. Den Ratskeller leitete damals Werner Lorenz, das Restaurant „Gneise- nau“ stand unter der Leitung von Richard Schulze und Karl Schumann war Inhaber der Gastwirtschaft „Zum gemütlichen Schildauer“ in der Wurzener Straße 16. Ein bekannter Kapellmeister war Kurt Be- cker. Des Weiteren gab es auch noch den Schornsteinfeger Karl Geißler. Anna Lan- ger aus der Torgauer Straße 1 erteilte 1939 Tanzunterricht nicht nur für junge Leute. Gehen wir noch mal auf das Jahr 1890 zu- rück. Die Vorbereitungen für die Auffüh- rungen eines neuen Luther-Festspieles von August Trümpelmann war Ende Juni 1890 im vollen Gange. „Das Rinkartsche Lutherspiel vom Jahre 1617 ist von A. Trümpelmann in eine dem Geschmack der Gegenwart ent- sprechende Gestalt um- gegossen worden“, schrieb man damals. Die „Liedertafel Zinna-Welsau“ veran- staltete 1889/90 interessante Gesangs- konzerte, die in der Lokalzeitung vom 27. Februar 1890 dementsprechend gewür- digt wurden. „Dem Dirigenten Herrn Miethling hat es unendlich viel Mühe, Fleiß und Zeit gekostet, um mit derarti- gem Stimmenmaterial eine gute Auffüh- rung zu erzielen .... Den orchestralen Theil führte die Kapelle unter der Leitung von Herrn Weichhold aus“. Im Kreis- und Adressbuch Torgau von 1939 kann man einiges über die Töpferei Wehner nachlesen. In der Torgauer Wit- tenberger Straße 15, dort, wo sich nach der Wende ein Zeitschriftenladen etab- lierte, betrieb früher Familie Wehner eine Töpferei. Karl Wehner nutzte mit seinem Bruder Fritz den Laden und das Schau- fenster als Verkaufsausstellung. Die ei- gentliche Töpferei befindet sich heute noch in der Großen Webergasse 3 und wurde bereits 1804 gegründet. In einer Anzeige von 1939 wird auf das vielseiti- ge Angebot hingewiesen: Transportable Kachelöfen, Mehr- und Zimmerheizun- gen, eiseren Öfen und Herde, „Sum- ma“-Kachelöfen sowie Wand- und Fuß- bodenplatten. Im Laden konnte man ver- schiedene keramische Erzeugnisse er- werben. Günther Fiege Günther Fiege ist seit vielen Jahren freier Au- tor auf der Historiensei- te. Außerdem hat er schon 400 Gedichte und Schüttelreimge- schichten geschrieben und acht Bücher veröffentlicht. Panzerdenkmal-Einweihung 1975: Schaubilder sorgten für Interesse BEILRODE. Diese historischen Fotos von der Einweihung des Panzerdenkmals 1975 in Beilrode waren der Hingucker beim TZ-Vor-Ort-Treff vergangene Woche im Rahmen der Frühlingstour. Die Gemeinde hatte die Bilder vergrößern und als Schautafeln im Park aufhängen lassen. Auf- grund des enormen Zuspruches druckt TZ diese Aufnahmen heute noch einmal auf der Histo- rienseite ab. Vielleicht erkennt sich sogar der eine oder andere wieder, der damals an der Ze- remonie teilgenommen hat. Fotos: Gemeindeverwaltung Beilrode Die Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin 2007 feierte das Krankenhaus Jubiläum / Auszüge aus der Festschrift (39) TORGAU. Nach dem Krieg konnte das Krankenhaus Torgau wieder für zivile Zwecke genutzt werden. Auf der Frauen- station wurden zwei Kinderzimmer ein- gerichtet. Dort lagen Säuglinge und Kin- der, die von Internisten betreut wurden. Kinder mit akuten chirurgischen Erkran- kungen lagen im chirurgischen Kinder- zimmer. Kinder mit Augen-Operationen und HNO-Operationen lagen in Keller- räumen, oft neben den älteren Patienten. Wegen der hohen Säuglingssterblichkeit im Kreis Torgau wurde im Jahre 1957 die Kinderstation mit zwei Zimmern einge- richtet Als erster Kinderarzt kam Herr Dr. Müller aus Dresden nach Torgau und mit ihm wurden zwei Kinderschwestern ein- gestellt. Herr Dr. Müller arbeitete als Be- legarzt und übernahm die beiden Kinder- zimmer der Inneren Abteilung. Auf Druck des Bezirksarztes und des Bezirkspädia- ters, Herrn Prof. Pfeifer, wurde 1958 die eigenständige Kinderabteilung eingerich- tet. Dafür wurde die ehemalige Gynäko- logische Station im zweien Stockwerk ge- schlossen. Die Geburtenzahl hielt sich bis 1990 bei 800 pro Jahr und fiel nach der Wende 1992 auf 228. Als akute Neugeborenenerkrankungen standen im Vordergrund das Atemnotsyn- drom, Fehlbildungen. Die häufigsten Er- krankungen im Säuglingsalter waren schwere Enteritisfälle mit Übergang bis zur Toxikose. Der Schweregrad wurde an- hand des Atemtyps eingestuft. Es erfolg- te die Infusionsbehandlung und seit 1965 die Pufferung mit Bikarbonat. Bis 1970 war die sogenannte pri- mär abszedierende Staphylokok- kenpneumonie eine relativ häufi- ge Erkrankung von Säuglingen und Kleinstkindern bis zu zwei Jahren. Im Kleinkindesalter stan- den die respiratorischen Erkran- kungen im Vordergrund. 1962 verstarben in der Isolierabteilung zwei Kleinkinder an der Diphtherie, sie waren beide nicht geimpft. 1965 verstarben in- nerhalb einer Woche vier Kleinkinder an Masernkomplikationen. Die Mütter-, Säuglings- und Kindersterb- lichkeit wurde staatlich überwacht. Die Kreiskommission tagte monatlich, die Be- zirkskommission halbjährlich. Die Ob- duktion aller verstorbenen Säuglinge und Kinder war Pflicht. Die Maßnahmen führten zu einer raschen Absenkung der Säuglingssterblichkeit. Bei den Infektionskrankheiten kam es in allen Altersgruppen häufiger zu Kompli- kationen. Die Besuchszeit war auf sonn- tags zwischen 14 und 15 Uhr beschränkt und die Mütter durften aus Hygienegrün- den nicht in die Zimmer und nur von der Tür aus ihre Kinder sehen. Die Neugebo- renen lagen im Kinderzimmer der Kinder- abteilung und wurden den Müttern zu den Stillzeiten gebracht. Herr Dr. Müller kam im September 1960 von einem Kin- derkongress in Kassel nicht wieder nach Torgau zurück. Dies hätte das Aus für die eben errichtete Kinderabteilung bedeu- ten können. Zu dieser Zeit war Dr. Hettmer Pflichtassistent im 5. Halbjahr und arbeitete gerade auf der Kinderabteilung. Die Kinder- abteilung sollte aber wegen der erhöhten Säuglingssterb- lichkeit von 30 Prozent unbe- dingt erhalten bleiben. Die Kin- derklinik Leipzig übernahm mit zwei erfahrenen Stationsärzten und dem Chefarzt, Herrn Dr. Maul, die Führung der Abteilung. Die Leipziger Kollegen kamen zweimal in der Woche nach Torgau. Im Dezember kam denn der bulgarische Kinderarzt, Herr Dr. Angelow nach Torgau, übernahm die Leitung der Kinderabteilung im Kreis und war außer- dem in der Poliklinik tätig. Dr. Hettmer wurde zur Ausbildung an die Universi- tätskinderklinik Leipzig delegiert. Nach dreijähriger Tätigkeit in Torgau wurde Herr Dr. Angelow im Dezember 1964 von seiner Regierung zurückberufen. Mit der Facharztprüfung wurde Dr. Hettmer am 15. Januar 1965 Leiter der Kinderabtei- lung. Alle der in Torgau tätigen Kinder- und Allgemeinärzte erlernten die prakti- sche Pädiatrie in dieser Abteilung. Nach der Wende wurde die Station umgewan- delt. Die Besuchszeiten wurden verlän- gert. Trotz der beengten Verhältnisse konnten in Einzelfällen auch Mütter auf Liegen bei ihren Kindern schlafen. Pädi- atrische, chirurgische und ophthalmolo- gische Fälle wurden gleichermaßen be- handelt, die Geburtenzahlen waren wie- der am Steigen. 330 pro Jahr. Mit Vollen- dung seines 65. Lebensjahres begann Herr Dr. Hettmer am 30. Juni 1995 ein neues bewegtes Leben mit vielen Fern- reisen - er ging keineswegs in den Ruhe- stand. Nachfolger wurde im Frühjahr 1996 Dr. Pernice. Der Anbau des Kreiskranken- hauses 1996 für den OP-Trakt, die Chir- urgie, Gynäkologie und Verwaltung und die folgende Rekonstruktion des Altbaus 1997 ermöglichte die Neukonzeption der Kinderabteilung für eine fortschrittliche interdisziplinäre Kinderbetreuung mit Be- gleitmüttern im Sinne der Empfehlungen der Krankenhausgesellschaft und die Ent- wicklung von Spezialstrecken wie Neo- natologie, Neuropädiatrie, Gastroentero- logie, Immunologie sowie eine Intensivie- rung der Zusammenarbeit mit der Chiru- gischen Abeitlung, Gynäkologie, HNO und Augenabteilung. Dr. med. Walter Pernice 2007 feierte das Krankenhaus Torgau 100-jähriges Bestehen. Das war ein stol- zes Jubiläum und ein würdiger Anlass zum Feiern. Damals wur- de eigens ein Buch erarbeitet, das interessante Ge- schichten aus Ver- gangenheit und Ge- genwart enthält. Mit freundlicher Geneh- migung aus dem Krankenhaus darf die TZ einige Episo- den übernehmen. Frau Dr. Elisabeth Over. Foto: Hans Plohoff „Säuberung“ nach dem Kriegsende So mancher nutzte die Chance und qualifizierte sich zum Neulehrer TORGAU. Nach dem Ende des 2. Weltkrie- ges erfolgte eine politische Säuberung. Ehemalige Lehrer wurden zum Teil ent- lassen, junge Menschen, aus den ver- schiedensten Berufen kommend, die vor- her keine dementsprechenden Bildungs- chancen hatten, wurden im Fernstudium und in Kursen zum Neulehrer ausgebil- det. Sie waren hoch motiviert, unterrich- teten am Tag und lernten oft in der Nacht. Die besondere Schwierigkeit und Heraus- forderung bestand darin, dass sie aus Mangel an Lehrern fast alle Unterrichts- fächer übernehmen mussten. Das bedeu- tete für manche Tischlerhand sogar, ein- mal die Woche mit einem Fahrrad, des- sen Mantel mit Draht umwickelt war, aus dem Schuldorf nach Torgau zur bekann- ten Geigenlehrerin; Frau Szymanski, zu strampeln. Bezahlung waren Wurstschnit- ten. Manche ehemalige Lehrer kamen zur Überprüfung in ein Lager. So auch Leh- rer Wäsch aus Weßnig. Er erzählte mir Anfang der siebziger Jahre, als ich die Ortsbibliothek von ihm übernahm, dass er nur dank Wildkräutern, die er durch den Zaun „angelte“, diese Zeit überleb- te. Das erinnerte mich stark an Wolfgang Borcherts „Die Hundeblume“. Meine Mutter wurde zu DDR- Zeiten für den DFD geworben, aber sie weigerte sich strikt. Unter der vorigen Regierung sam- melte sie in der NS-Frauenschaft die Mit- gliedsbeiträge ein und trug Essen für Be- dürftige aus. In der neuen Zeit wurde die Vorsitzende der Torgauer Ortsgruppe von der russischen Besatzung vorgeladen, und um „ihre Haut zu retten“, nannte sie natürlich sämtliche Namen der Mitglie- der. So bekam eines Tages auch meine Mutter eine Vorladung, zur Kommandan- tur zu kommen. Eine Nachbarin riet ihr, mich mitzunehmen, da es allgemein hieß, zu Kindern, vornehmlich kleinen, wären die Russen sehr human. So ging ich an der Hand der Mutter als „Schutzschild“ mit. Ein Offizier fragte nach den Tätig- keiten in der Frauenschaft, ein Dolmet- scher übersetzte. Meiner Mutter, eine stille, schüchterne Frau, sah man wohl ihre politische Unge- fährlichkeit an; Parteizugehörigkeit gab es auch keine. Als der Offizier nach mei- nem Vater fragte und Stalingrad hörte, konnte sie wieder gehen. Von der Kom- mandantur hörte sie glücklicherweise nie wieder etwas. Margot Weiß

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DONNERSTAG, 3. MAI 2018 | SEITE 16

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Ihr Ansprechpartner

Nico Wendt Tel. 03421 721052

Vom „Jünglingsverein“ in Belgern bis zu den Fischen aus Trossin

Fundstücke aus alten Zeitungen der letzten Jahrhunderte

BELGERN/TROSSIN/SCHILDAU/TORGAU. Im neu dekorierten Saal des „Weißen Ross“ in Belgern feierte der Jünglingsverein sein 17. Stiftungsfest. Nach dem Ein-gangsvers „Lobe den Herren“ und einem Erntedankfest-Prolog ergriff der Herr Su-perintendent Mackenroth das Wort. Es sprach die Bitte aus, „daß auch fernhin die dem Verein wohlgesinnten Söhne und Pflegebefohlenen sowie Lehrlinge dem Jünglingsverein zugeführt werden möch-ten.“ Nachzulesen im „Torgauer Kreis-blatt“ von 1901.Am 15. September 1902 wurde in Trossin der dem dortigen Rittergut gehörende Teich abgefischt. Man entnahm etwa 70 Zentner Karpfen, welche in großen Fäs-sern zum Fährhaus transportiert wurden. Am Fährhaus wurden die Fische in einen Kahn verladen, mit welchem die Fische zur großen Fischhandlung von Friedrich Weise nach Magdeburg gebracht wurden.Im Kreisadressbuch Torgau von 1939 war folgendes zu lesen. Im Jahr 1939 hatte die Stadt Schildau sage und schreibe sechs Bau- und Möbeltischlereien, vier Schuhwarengeschäfte, welche auch Re-paraturen annahmen, sowie vier Schuh-machereien. Am Markt 9 war die Apothe-ke von Friedrich Sauer. Ein bekannter und der einzige Brunnenbauer war Max Baum in der Lindenstraße 2. Zehn Gast-

höfe und Gastwirtschaften hatte die Stadt zu bieten. Den Ratskeller leitete damals Werner Lorenz, das Restaurant „Gneise-nau“ stand unter der Leitung von Richard Schulze und Karl Schumann war Inhaber der Gastwirtschaft „Zum gemütlichen Schildauer“ in der Wurzener Straße 16. Ein bekannter Kapellmeister war Kurt Be-cker. Des Weiteren gab es auch noch den Schornsteinfeger Karl Geißler. Anna Lan-ger aus der Torgauer Straße 1 erteilte 1939 Tanzunterricht nicht nur für junge Leute. Gehen wir noch mal auf das Jahr 1890 zu-rück. Die Vorbereitungen für die Auffüh-rungen eines neuen Luther-Festspieles von August Trümpelmann war Ende Juni 1890 im vollen Gange. „Das Rinkartsche Lutherspiel vom Jahre 1617 ist von A. Trümpelmann in eine dem Geschmack der Gegenwart ent-sprechende Gestalt um-

gegossen worden“, schrieb man damals. Die „Liedertafel Zinna-Welsau“ veran-staltete 1889/90 interessante Gesangs-konzerte, die in der Lokalzeitung vom 27. Februar 1890 dementsprechend gewür-digt wurden. „Dem Dirigenten Herrn Miethling hat es unendlich viel Mühe, Fleiß und Zeit gekostet, um mit derarti-gem Stimmenmaterial eine gute Auffüh-rung zu erzielen .... Den orchestralen Theil führte die Kapelle unter der Leitung von Herrn Weichhold aus“. Im Kreis- und Adressbuch Torgau von 1939 kann man einiges über die Töpferei Wehner nachlesen. In der Torgauer Wit-tenberger Straße 15, dort, wo sich nach der Wende ein Zeitschriftenladen etab-lierte, betrieb früher Familie Wehner eine Töpferei. Karl Wehner nutzte mit seinem Bruder Fritz den Laden und das Schau-fenster als Verkaufsausstellung. Die ei-gentliche Töpferei befindet sich heute noch in der Großen Webergasse 3 und wurde bereits 1804 gegründet. In einer Anzeige von 1939 wird auf das vielseiti-ge Angebot hingewiesen: Transportable Kachelöfen, Mehr- und Zimmerheizun-gen, eiseren Öfen und Herde, „Sum-ma“-Kachelöfen sowie Wand- und Fuß-bodenplatten. Im Laden konnte man ver-schiedene keramische Erzeugnisse er-werben. Günther Fiege

Günther Fiege ist seit vielen Jahren freier Au-tor auf der Historiensei-te. Außerdem hat er schon 400 Gedichte und Schüttelreimge-schichten geschrieben und acht Bücher veröffentlicht.

Panzerdenkmal-Einweihung 1975: Schaubilder sorgten für Interesse

BEILRODE. Diese historischen Fotos von der Einweihung des Panzerdenkmals 1975 in Beilrode waren der Hingucker beim TZ-Vor-Ort-Treff vergangene Woche im Rahmen der Frühlingstour. Die Gemeinde hatte die Bilder vergrößern und als Schautafeln im Park aufhängen lassen. Auf-

grund des enormen Zuspruches druckt TZ diese Aufnahmen heute noch einmal auf der Histo-rienseite ab. Vielleicht erkennt sich sogar der eine oder andere wieder, der damals an der Ze-remonie teilgenommen hat. Fotos: Gemeindeverwaltung Beilrode

Die Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin

2007 feierte das Krankenhaus Jubiläum / Auszüge aus der Festschrift (39)

TORGAU. Nach dem Krieg konnte das Krankenhaus Torgau wieder für zivile Zwecke genutzt werden. Auf der Frauen-station wurden zwei Kinderzimmer ein-gerichtet. Dort lagen Säuglinge und Kin-der, die von Internisten betreut wurden. Kinder mit akuten chirurgischen Erkran-kungen lagen im chirurgischen Kinder-zimmer. Kinder mit Augen-Operationen und HNO-Operationen lagen in Keller-räumen, oft neben den älteren Patienten. Wegen der hohen Säuglingssterblichkeit im Kreis Torgau wurde im Jahre 1957 die Kinderstation mit zwei Zimmern einge-richtet Als erster Kinderarzt kam Herr Dr. Müller aus Dresden nach Torgau und mit ihm wurden zwei Kinderschwestern ein-gestellt. Herr Dr. Müller arbeitete als Be-legarzt und übernahm die beiden Kinder-zimmer der Inneren Abteilung. Auf Druck des Bezirksarztes und des Bezirkspädia-ters, Herrn Prof. Pfeifer, wurde 1958 die eigenständige Kinderabteilung eingerich-tet. Dafür wurde die ehemalige Gynäko-logische Station im zweien Stockwerk ge-schlossen. Die Geburtenzahl hielt sich bis 1990 bei 800 pro Jahr und fiel nach der Wende 1992 auf 228. Als akute Neugeborenenerkrankungen standen im Vordergrund das Atemnotsyn-drom, Fehlbildungen. Die häufigsten Er-krankungen im Säuglingsalter waren schwere Enteritisfälle mit Übergang bis zur Toxikose. Der Schweregrad wurde an-hand des Atemtyps eingestuft. Es erfolg-te die Infusionsbehandlung und seit 1965 die Pufferung mit Bikarbonat. Bis 1970 war die sogenannte pri-mär abszedierende Staphylokok-kenpneumonie eine relativ häufi-ge Erkrankung von Säuglingen und Kleinstkindern bis zu zwei Jahren. Im Kleinkindesalter stan-den die respiratorischen Erkran-kungen im Vordergrund. 1962 verstarben in der Isolierabteilung zwei Kleinkinder an der Diphtherie, sie waren beide nicht geimpft. 1965 verstarben in-nerhalb einer Woche vier Kleinkinder an Masernkomplikationen.Die Mütter-, Säuglings- und Kindersterb-lichkeit wurde staatlich überwacht. Die Kreiskommission tagte monatlich, die Be-zirkskommission halbjährlich. Die Ob-duktion aller verstorbenen Säuglinge und Kinder war Pflicht.

Die Maßnahmen führten zu einer raschen Absenkung der Säuglingssterblichkeit. Bei den Infektionskrankheiten kam es in allen Altersgruppen häufiger zu Kompli-kationen. Die Besuchszeit war auf sonn-tags zwischen 14 und 15 Uhr beschränkt und die Mütter durften aus Hygienegrün-den nicht in die Zimmer und nur von der Tür aus ihre Kinder sehen. Die Neugebo-renen lagen im Kinderzimmer der Kinder-abteilung und wurden den Müttern zu den Stillzeiten gebracht. Herr Dr. Müller kam im September 1960 von einem Kin-derkongress in Kassel nicht wieder nach Torgau zurück. Dies hätte das Aus für die eben errichtete Kinderabteilung bedeu-ten können.

Zu dieser Zeit war Dr. Hettmer Pflichtassistent im 5. Halbjahr und arbeitete gerade auf der Kinderabteilung. Die Kinder-abteilung sollte aber wegen der erhöhten Säuglingssterb-lichkeit von 30 Prozent unbe-dingt erhalten bleiben. Die Kin-derklinik Leipzig übernahm mit zwei erfahrenen Stationsärzten

und dem Chefarzt, Herrn Dr. Maul, die Führung der Abteilung. Die Leipziger Kollegen kamen zweimal in der Woche nach Torgau. Im Dezember kam denn der bulgarische Kinderarzt, Herr Dr. Angelow nach Torgau, übernahm die Leitung der Kinderabteilung im Kreis und war außer-dem in der Poliklinik tätig. Dr. Hettmer wurde zur Ausbildung an die Universi-tätskinderklinik Leipzig delegiert. Nach

dreijähriger Tätigkeit in Torgau wurde Herr Dr. Angelow im Dezember 1964 von seiner Regierung zurückberufen. Mit der Facharztprüfung wurde Dr. Hettmer am 15. Januar 1965 Leiter der Kinderabtei-lung. Alle der in Torgau tätigen Kinder- und Allgemeinärzte erlernten die prakti-sche Pädiatrie in dieser Abteilung. Nach der Wende wurde die Station umgewan-delt. Die Besuchszeiten wurden verlän-gert. Trotz der beengten Verhältnisse konnten in Einzelfällen auch Mütter auf Liegen bei ihren Kindern schlafen. Pädi-atrische, chirurgische und ophthalmolo-gische Fälle wurden gleichermaßen be-handelt, die Geburtenzahlen waren wie-der am Steigen. 330 pro Jahr. Mit Vollen-dung seines 65. Lebensjahres begann Herr Dr. Hettmer am 30. Juni 1995 ein neues bewegtes Leben mit vielen Fern-reisen - er ging keineswegs in den Ruhe-stand.Nachfolger wurde im Frühjahr 1996 Dr. Pernice. Der Anbau des Kreiskranken-hauses 1996 für den OP-Trakt, die Chir-urgie, Gynäkologie und Verwaltung und die folgende Rekonstruktion des Altbaus 1997 ermöglichte die Neukonzeption der Kinderabteilung für eine fortschrittliche interdisziplinäre Kinderbetreuung mit Be-gleitmüttern im Sinne der Empfehlungen der Krankenhausgesellschaft und die Ent-wicklung von Spezialstrecken wie Neo-natologie, Neuropädiatrie, Gastroentero-logie, Immunologie sowie eine Intensivie-rung der Zusammenarbeit mit der Chiru-gischen Abeitlung, Gynäkologie, HNO und Augenabteilung. Dr. med. Walter Pernice

2007 feierte das Krankenhaus Torgau 100-jähriges Bestehen. Das war ein stol-zes Jubiläum und ein würdiger Anlass zum Feiern. Damals wur- de eigens ein Buch erarbeitet, das interessante Ge-schichten aus Ver-gangenheit und Ge-genwart enthält. Mit freundlicher Geneh-migung aus dem Krankenhaus darf die TZ einige Episo-den übernehmen.

Frau Dr. Elisabeth Over. Foto: Hans Plohoff

„Säuberung“ nach dem KriegsendeSo mancher nutzte die Chance und qualifizierte sich zum Neulehrer

TORGAU. Nach dem Ende des 2. Weltkrie-ges erfolgte eine politische Säuberung. Ehemalige Lehrer wurden zum Teil ent-lassen, junge Menschen, aus den ver-schiedensten Berufen kommend, die vor-her keine dementsprechenden Bildungs-chancen hatten, wurden im Fernstudium und in Kursen zum Neulehrer ausgebil-det. Sie waren hoch motiviert, unterrich-teten am Tag und lernten oft in der Nacht. Die besondere Schwierigkeit und Heraus-forderung bestand darin, dass sie aus Mangel an Lehrern fast alle Unterrichts-fächer übernehmen mussten. Das bedeu-tete für manche Tischlerhand sogar, ein-mal die Woche mit einem Fahrrad, des-sen Mantel mit Draht umwickelt war, aus dem Schuldorf nach Torgau zur bekann-ten Geigenlehrerin; Frau Szymanski, zu

strampeln. Bezahlung waren Wurstschnit-ten. Manche ehemalige Lehrer kamen zur Überprüfung in ein Lager. So auch Leh-rer Wäsch aus Weßnig. Er erzählte mir Anfang der siebziger Jahre, als ich die Ortsbibliothek von ihm übernahm, dass er nur dank Wildkräutern, die er durch den Zaun „angelte“, diese Zeit überleb-te. Das erinnerte mich stark an Wolfgang Borcherts „Die Hundeblume“. Meine Mutter wurde zu DDR- Zeiten für den DFD geworben, aber sie weigerte sich strikt. Unter der vorigen Regierung sam-melte sie in der NS-Frauenschaft die Mit-gliedsbeiträge ein und trug Essen für Be-dürftige aus. In der neuen Zeit wurde die Vorsitzende der Torgauer Ortsgruppe von der russischen Besatzung vorgeladen, und um „ihre Haut zu retten“, nannte sie

natürlich sämtliche Namen der Mitglie-der. So bekam eines Tages auch meine Mutter eine Vorladung, zur Kommandan-tur zu kommen. Eine Nachbarin riet ihr, mich mitzunehmen, da es allgemein hieß, zu Kindern, vornehmlich kleinen, wären die Russen sehr human. So ging ich an der Hand der Mutter als „Schutzschild“ mit. Ein Offizier fragte nach den Tätig-keiten in der Frauenschaft, ein Dolmet-scher übersetzte.Meiner Mutter, eine stille, schüchterne Frau, sah man wohl ihre politische Unge-fährlichkeit an; Parteizugehörigkeit gab es auch keine. Als der Offizier nach mei-nem Vater fragte und Stalingrad hörte, konnte sie wieder gehen. Von der Kom-mandantur hörte sie glücklicherweise nie wieder etwas. Margot Weiß