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83 Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato auf Sizilien Dieter Quast Zusammenfassung Auf dem im Hochmittelalter intensiv besiedelten Monte Iato in der Provinz Pa- lermo auf Sizilien wurden 2008 außerhalb der jährlichen Grabungen der Uni- versität Zürich vier Bronzegefäße bei der Zisterne entdeckt. Drei davon gehören zur Gruppe der „Hanseschalen“, die in romanischer Zeit besonders im Ostsee- gebiet weit verbreitet waren. Die feintypologische Einordnung der Schalen vom Monte Iato ist aufgrund ihrer Erhaltung nicht einfach. Die Darstellungen sind nicht genauer zu rekonstruieren. Eine Schale zeigt eine sehr undeutliche florale Gravur, gehört somit zur Gruppe E nach Weitzmann-Fiedler. Die andere Schale weist zwei gut erkennbare Darstellungsfragmente auf: zum einen eine sitzende Figur, deren Mantel und Faltenwurf klar zu erkennen ist und zum an- deren die Darstellung eines nach rechts blickenden Kopfes mit breitkrempigen Hut vom Gefäßrand. Diese Schale muss daher zur Gruppe B oder C gehören. Vergleichbare Schalen sind aus Sizilien und Süditalien bislang unbekannt, doch ist dieses Fehlen eventuell nur durch den Publikationsstand bedingt. Es gibt einige mittelbyzantinische Bronzeschalen aus dem 10./11. Jahrhundert, in denen man zumindest Vorbilder für die Hanseschalen sehen könnte. Wenn sich die Neufunde gravierter romanischer Bronzeschalen aus dem Mediterraneum und vom Balkan mehren, könnte das ein erneutes Nachdenken einfordern, ob nicht an den Grenzen des Byzantinischen Reiches der Ursprung dieser Form zu suchen ist, die im 12./13. Jahrhundert dann gleichermaßen nördlich und süd- lich der Alpen ein weit verbreitetes Element der „Elitenkultur“ war. Auf dem Monte Iato dienten die Schalen als Rohstofflieferanten. Ein Gürtelbe- schlag aus der Siedlung wurde eindeutig aus dem Blech einer solchen gravier- ten Schale herausgeschnitten. Zitation/cite as: D. Quast, Romani- sche Bronzeschalen vom Monte Iato auf Sizilien. In: C. Rinne/J. Reinhard/E. Roth Heege/S. Teuber (Hrsg.), Vom Bodenfund zum Buch – Archäologie durch die Zeiten – Festschrift für Andreas Heege. Sonderband Histori- sche Archäologie 2017 (Onlineversion), 83–90 <doi.10.18440/ha.2017.107> Archäologie Historische Sonderband 2017

Historische Archäologie - histarch.uni-kiel.de · eine Buchmalerei aus der Emblemata biblica aus dem 13. Jahrhundert (Müller 2006, 44 Abb. 6). Derartige Sets bestehend aus Ausguss-

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Historische Archäologie 2017

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Festschrift für Andreas Heege

Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato

auf Sizilien

Dieter Quast

Zusammenfassung

Auf dem im Hochmittelalter intensiv besiedelten Monte Iato in der Provinz Pa-lermo auf Sizilien wurden 2008 außerhalb der jährlichen Grabungen der Uni-versität Zürich vier Bronzegefäße bei der Zisterne entdeckt. Drei davon gehören zur Gruppe der „Hanseschalen“, die in romanischer Zeit besonders im Ostsee-gebiet weit verbreitet waren. Die feintypologische Einordnung der Schalen vom Monte Iato ist aufgrund ihrer Erhaltung nicht einfach. Die Darstellungen sind nicht genauer zu rekonstruieren. Eine Schale zeigt eine sehr undeutliche florale Gravur, gehört somit zur Gruppe E nach Weitzmann-Fiedler. Die andere Schale weist zwei gut erkennbare Darstellungsfragmente auf: zum einen eine sitzende Figur, deren Mantel und Faltenwurf klar zu erkennen ist und zum an-deren die Darstellung eines nach rechts blickenden Kopfes mit breitkrempigen Hut vom Gefäßrand. Diese Schale muss daher zur Gruppe B oder C gehören. Vergleichbare Schalen sind aus Sizilien und Süditalien bislang unbekannt, doch ist dieses Fehlen eventuell nur durch den Publikationsstand bedingt. Es gibt einige mittelbyzantinische Bronzeschalen aus dem 10./11. Jahrhundert, in denen man zumindest Vorbilder für die Hanseschalen sehen könnte. Wenn sich die Neufunde gravierter romanischer Bronzeschalen aus dem Mediterraneum und vom Balkan mehren, könnte das ein erneutes Nachdenken einfordern, ob nicht an den Grenzen des Byzantinischen Reiches der Ursprung dieser Form zu suchen ist, die im 12./13. Jahrhundert dann gleichermaßen nördlich und süd-lich der Alpen ein weit verbreitetes Element der „Elitenkultur“ war.Auf dem Monte Iato dienten die Schalen als Rohstofflieferanten. Ein Gürtelbe-schlag aus der Siedlung wurde eindeutig aus dem Blech einer solchen gravier-ten Schale herausgeschnitten.

Zitation/cite as: D. Quast, Romani-

sche Bronzeschalen vom Monte Iato

auf Sizilien. In: C. Rinne/J. Reinhard/E.

Roth Heege/S. Teuber (Hrsg.), Vom

Bodenfund zum Buch – Archäologie

durch die Zeiten – Festschrift für

Andreas Heege. Sonderband Histori-

sche Archäologie 2017 (Onlineversion),

83–90 <doi.10.18440/ha.2017.107>

ArchäologieHistorischeSonderband 2017

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Seit 1971 führt der Fachbereich für Klassische Archäologie der Universität Zürich Ausgrabungen auf dem Monte Iato in der Provinz Palermo auf Sizilien durch, seit 2011 ergänzt von den Untersuchungen der Universität Innsbruck, Institut für Archäologien, Klassische und Provinzialrömische Archäologie, im Westquartier „zwischen Aphroditetempel und archaischem Haus“ (Abb. 1). Das Hauptinteres-se dieser Untersuchungen galt und gilt den archaischen und den hellenistischen Befunden des griechischen Iaitas und dort dem Theater und der Agora. Während der Ort in römischer Zeit als Ietas nur auf bescheidenerem Niveau weiterexistier-te, bildete die hochmittelalterliche Besiedlung einen letzten Höhepunkt in der Nutzung des Berges (vgl. zusammenfassend Isler 2000). Die Bewohner waren größtenteils Muslime, die Giato gerade in normannischer Zeit als Rückzugsge-biet nutzten. Die Schriftquellen nennen die Ansiedlung als einen der letzten Orte des muslimischen Widerstands gegen den Stauferkaiser Friedrich II., der die

Abb. 1. Monte Iato: 1. Lage. 2. Blick von Südwesten auf den Monte Iato (Karte: Michael Ober, RGZM, Foto: Dieter Quast).

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Stadt 1246 nach längerer Belagerung eroberte und zerstörte (Isler 1995; Maurici 1987. Vgl. allgem. zur Geschichte Siziliens Booms / Higgs 2016). Die Überleben-den wurden nach Apulien, nach Lucera, deportiert (Taylor 2003; Clemens / Mat-heus 2008). Eine Überraschung erbrachten daher die Innsbrucker Ausgrabungen 2012/13. Unter dem Versturz einer Mauer kam im Bereich I in einem mittelalterli-chen Wohnhaus (I-K WQ 478) eine Münze Konradins, geprägt zwischen 1254 und 1258 zutage, die somit eine Nutzung nach 1246 belegt (Kistler / Öhlinger / Mölk 2014, 181). In welchem Umfang allerdings mit einer Besiedlung nach der Zerstö-rung zu rechnen ist, bleibt erst einmal unklar. Im Kleinfundbestand deutet bislang nichts auf eine umfangreiche Nutzung nach 1246 hin.Die Grabungen auf dem Monte Iato haben einen umfangreichen Bestand an Kleinfunden zutage gefördert, der sicher zu den bedeutendsten im westlichen Mittelmeerraum gehört. Während die Keramik (Isler 1984; Ritter-Lutz 1991) und die Öllampen (Käch 2006) bereits vorgelegt wurden, fehlt bislang eine Publika-tion der nichtkeramischen Kleinfunde 1. Aus diesem Bestand sollen hier einige Bronzegefäße vorgestellt werden, die al-lerdings nicht während der Ausgrabungen zutage kamen. Im Jahre 2009 gab ein Wärter des archäologischen Parks (Parco Archeologico di Monte Iato) vier Bronzegefäße im Grabungshaus ab, die im Jahr zuvor angeblich bei der Zister-ne auf dem Monte Iato gefunden worden waren. Genauere Angaben zu den Fundumständen liegen nicht vor. Bei den Gefäßen handelt es sich um drei zum Teil stark verbeulte, unvollständige Bronzeschalen und um einen kleinen Mör-ser (Inv.-Nr. B 2138 – B 2141. Abb. 2,1). Letzterer ist gegossen und wiegt bei nur 4,3 cm Höhe 116 gr. Eine gute Parallele – allerdings mit einer gravierten Verzie-rung im Oberteil liegt aus Hama in Syrien vor (Abb. 2,2) und stammt aus einem Kontext des 13./14. Jahrhunderts (Ploug et al. 1969, 38–40 mit Abb. 12,6).Weit interessanter sind allerdings die fragmentierten Bronzeschalen. Sie sind nicht gegossen, sondern getrieben. Der Randdurchmesser liegt zwischen 32 und 36 cm, die Höhe bei 7 bis 8 cm, das Gewicht zwischen 300 und 400 gr. Zwei der drei Schalen sind dekoriert 2. Wenngleich die Darstellungen nur un-vollständig zu rekonstruieren sind, erlauben sie doch eine eindeutige Zuwei-sung der Schalen in die Gruppe der sog. Hanseschalen. Ihren Namen verdanken die romanischen Gefäße ihrer weiträumigen Verbreitung, die man in der For-schung mit der Handelstätigkeit des Hansischen Städtebundes in Verbindung brachte. Eine Verbreitungskarte zeigt das gehäufte Vorkommen dieser Scha-len im Ostseegebiet, vor allem im Baltikum, bis hin nach Novgorod, aber auch in Skandinavien, Polen, Ungarn bis hin ins Rheingebiet und die Niederlande (Poklewski 1961; Weitzmann-Fiedler 1981; Biczó 1992; Lovag 1999, 78–81 Nr.

Abb. 2. Kleine Bronzebecher / Mörser. 1 Monte Iato, 2 Hama (SYR). M 1:1,1 Zeichnung Michael Ober, RGZM, 2 Nach Ploug et al. 1969, 35 Abb. 11,2.

1 Die Kleinfunde des Innsbrucker Gra-bungen werden von Nicole Mölck aufgearbeitet, der umfangreiche Be-stand der Züricher Grabungen wur-den mir zur Bearbeitung überlassen. Dafür und für die uneingeschränkte und stets freundschaftliche Unter-stützung möchte ich Christoph Reus-ser und Martin Mohr herzlich danken.

2 Eine weitere unverzierte romanische Bronzeschale wurde während der Gra-bungen geborgen (Inv.-NR. B 1289).

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Abb. 3. Monte Iato: Bronzeschalen, 1–2 Skizzen aus dem Inventarbuch, 2–4 Umzeichnungen einiger Details der Gravur, 3 Zeichnungen der Schalen (ohne Verzierungen), 5–7 M. 1:3, sonst o. M. 1–2 Nach Inventarbuch Monte Iato, Universität Zürich, 3–4 Umzeichnung Monika Weber, RGZM, 5–7 Zeichnung Michael Ober, RGZM.

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192–199; Szatmári 2014; Toropova 2014). Vereinzelt treten Hanseschalen auch in Süddeutschland und Italien auf, sogar auf der Krim und in Jerusalem. Obwohl der Terminus Hanseschale in der Wissenschaft gebräuchlich ist, ist er dennoch irreführend, denn die Schalen datieren ins 12. und 13. Jahrhundert, somit in die Zeit vor dem Höhenpunkt des hanseatischen Städtebundes (allg. Hammel-Kie-sow 2002; Hammel-Kiesow u. a. 2015). Neutraler ist der Terminus „romanische Bronzeschalen“.

Die meisten Hanseschalen sind graviert und lassen sich anhand der Darstellun-gen in unterschiedliche Gruppen aufteilen. Die wichtigsten Publikationen sind der Corpus-Band von Josepha Weitzmann-Fiedler und die Studie zu Gebrauch und Bedeutung von Bronzegeschirr von Ulrich Müller (Weitzmann-Fiedler 1981; Müller 2006). Müller hat die verzierten Schalen in fünf Gruppen mit weiteren Untergruppen gegliedert (Müller 2006, 135–194) :

Gruppe A: Schalen mit mythologischen und christlichen ThemenGruppe B: Schalen mit Tugend- und LasterdarstellungenGruppe C: Schalen mit FigurenreduktionGruppe D: Schalen mit TierdarstellungenGruppe E: Schalen mit floralen und geometrischen Motiven

Die Einordnung der Schalen vom Monte Iato ist aufgrund ihrer Erhaltung nicht einfach. Die Darstellungen sind nicht mehr genauer zu rekonstruieren. Die Schale mit der Inv.-Nr. B 2141 (Abb. 3,6) zeigt eine sehr undeutliche flo-rale Gravur, sie gehört somit zur Gruppe E (zur Datierung vgl. Müller 2006, 125 Abb. 38). Die andere Schale (Inv.-Nr. B 2138. Abb. 3,1–5) weist zwei gut erkennbare Darstellungsfragmente auf: zum einen eine sitzende Figur, deren Mantel und Faltenwurf klar zu erkennen ist (vermutlich vom Schalenboden) und zum anderen die Darstellung eines nach rechts blickenden Kopfes mit breitkrempigen Hut vom Gefäßrand. Schon diese kurze Beschreibung zeigt, dass die Schale zur Gruppe B oder C gehören muss (zur Datierung vgl. Müller 2006, 125 Abb. 38). Die Figur mit dem Hut findet sich in beiden Gruppen wieder. Gute Vergleichsbei-spiele stellen etwa die Schalen aus Bonn, Großfriedewalde in Ostdeutschland, Kuhmoinen in Finnland, Westerwijk in den Niederlanden, aus Riga in Lettland und von mehreren anderen Fundorten bekannt. Büsten mit breitkrempigen Hut können sowohl bei der zentralen Darstellung im Mittelmedaillon vorkommen, aber auch bei den randlichen Szenen, wie bei dem Exemplar aus Sizilien. Die sitzende Figur ist ebenfalls weit verbreitet, sie findet sich auf den Mittelmedail-lons der Schalen und den randlichen Szenen. Diese Darstellung tritt nur bei der Gruppe der Tugend- und Lasterschalen auf. Damit ist ein Hinweis auf die Einord-nung dieser Schale gewonnen. Ein Vergleichsbeispiel, nämlich die Schale aus Ladenburg, zeigt das Aussehen eines Exemplars mit am Rand personifizierten Tugenden (Eckerle 1983). Sie sind anhand der Beischriften zu identifizieren: Bo-nitas (Güte), Benignitas (Freundlichkeit), Mansuetudo (Wohlgesittung), Castitas (Keuschheit), Modestia (Bescheidenheit), Religio (Glaube), Prudentia (Klugheit), Pax (Frieden), Oboedientia (Gehorsam), Temperantia (Bescheidenheit), Fortitudo (Tapferkeit), Iustitia (Gerechtigkeit), Pietas (Frömmigkeit), Providentia (Voraus-sicht), Ratio oder Patientia (Einsicht oder Geduld). Die Figur im Mittelmedaillon, ohne begleitende Inschrift, wird als Humanitas (Demut) interpretiert.

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Die Funktion der romanischen Bronzeschalen ist unklar, und es ist keineswegs wahrscheinlich, dass es eine einheitliche Nutzung für sie gab. Es gibt einige Becken mit Ausguss, etwa aus Xanten, die vermuten lassen, dass die Becken paarweise zum Waschen der Hände genutzt wurden (Müller 2006, 326 Nr. 98, Taf. 2). Dies zeigt auch eine Buchmalerei aus der Emblemata biblica aus dem 13. Jahrhundert (Müller 2006, 44 Abb. 6). Derartige Sets bestehend aus Ausguss- und Auffangbecken, sie waren über das Bestehen der romanischen Bronzeschalen hinaus in Gebrauch, wie Bei-spiele aus Limoges aus der Zeit um 1300 zeigen (Kat. Nürnberg 2007, 181 Abb.165; 413 Nr. 290; Kat. Daoulas 1991, 148–149 Nr. 181). Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Verbreitung der Hanseschalen. Auf den ersten Blick deutet sich an, dass es sich bei unseren Schalen zweifellos um eine Form handelt, die aus dem nördlichen Mitteleuropa stammen muss. Dass die Verbreitung allerdings mit dem realen Vorkommen im 12./13. Jahrhundert übereinstimmt, ist keinesfalls so sicher. Gerade im Ostseegebiet ist das gehäufte Vorkommen vor allem dadurch bedingt, dass dort in vielen Regionen die Toten noch mit Beigaben bestattet wurden (vgl. die Verbreitung der Bronzeschalen, die aus Gräbern stammen: Müller 2006, 102 Karte 7,2). Hinzu kommt der Forschungs-stand. Im nördlichen Mitteleuropa sind diese Schalen so bekannt, dass selbst kleinste Fragment aus Siedlungen sofort publiziert werden. Kann man gleiches für den Mittelmeerraum voraussetzen? Vor dem Bekanntwerden der drei Schalen vom Monte Iato bildeten in Italien die Funde aus Rom die südlichsten Hansescha-len (von Hessen 1984). Für die Auswertung der Schalen vom Monte Iato ist es sinnvoll, den Fokus zu wechseln und sie aus mediterraner Perspektive zu betrachten. Es gibt einige mit-

Abb. 4. Byzantinische Patene, 10./11. Jahrhundert, ohne Fundort, jetzt Ash-molean Museum Oxford, Dm. 26 cm (nach Sevrugian 1992, 14 Abb. 6).

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3 Zur Gesamtverbreitung Müller 2006, 102–103 Karte 7–8; 215–237. Müller 2006, 237, geht von Vorformen im skandinavischen und karolingischen Raum aus.

Abb. 5. Monte Iato: Schnallenbeschlag aus einem Blech einer gravierten ro-manischen Schale geschnitten. M. 1:1 (Zeichnung: Michael Ober, RGZM).

telbyzantinische Bronzeschalen, in denen man zumindest Vorbilder für die Han-seschalen sehen kann (zusammenfassend Sevrugian 1992). Zu erwähnen wäre eine Schale aus Adana in Kilikien, die in das 11. Jahrhundert datiert wird (Abb. 4) (Kat. Genève 2016, 34–341 Nr. 374). Weitere vergleichbare Schalen liegen aus den Museen Berlin, Washington, Kiew und Oxford vor; sie werden anhand stilis-tischer Vergleiche ins 10./11. Jahrhundert datiert (Ross 1962, 73–74 Nr. 90, Taf. 49 „Constantinopel“, Kat. Slg. Khanenko 1902, 32 Nr. 249, Taf. 11. – Sevrugian 1992. Zur Datierung ebd. 33). Es handelt sich dabei – wie gesagt – nicht um Hansescha-len, sondern um ältere Formen, die als Vorbilder gedient haben könnten. Wenn sich die Neufunde gravierter romanischer Bronzeschalen aus dem Mediterrane-um und vom Balkan mehren (Popović 1999, 241–244), könnte das ein erneutes Nachdenken einfordern, ob nicht an den Grenzen des Byzantinischen Reiches der Ursprung dieser Form zu suchen ist, die im 12./13. Jahrhundert dann gleicher-maßen nördlich und südlich der Alpen ein weit verbreitetes Element der „Eliten-kultur“ war 3. Man wird aber natürlich auch nicht ausschließen können, dass die Schalen vom Iato aus dem nordalpinen Raum importiert wurden.

Beim derzeitigen Forschungsstand bleibt die Frage, wie die romanischen Scha-len auf den Monte Iato gelangten und welche Funktion sie dort hatten. Vorerst deutet nichts darauf hin, dass sie auf dem Berg angefertigt wurden. Sie gelang-te durch einen wie auch immer gearteten Warentransfer in die Stadt – von wo auch immer. Ganz unabhängig von der Funktion und der Bedeutung der Dar-stellungen im Inneren der Schalen wird die letzte, profane Nutzung als Roh-stofflieferant deutlich. Ein Gürtelbeschlag vom Monte Iato wurde aus einem Blechstück gearbeitet, das aus einer gravierten Hanseschale herausgeschnitten worden war (Abb. 5). Auch nördlich der Alpen war den Bronzeschalen oftmals ein solches Schicksal bestimmt. Dort wurden Bleche der Becken häufiger für Messerscheidenbeschläge recycelt (Müller 2006, 133–135 (mit älterer Lit.)).

Wie wichtig Bronzefunde für die Metallversorgung Giatos waren, zeigen auch einige Bruchstücke von Kirchenglocken, die man zum Einschmelzen vorberei-tet hatte. Aber auch bei vielen andern Bronzefunden, gerade bei jenen des spä-ten 12. / frühen 13. Jahrhunderts zeigt sich, dass sie anscheinend zerstückelt worden waren, um sie für eine Wiederverwendung bzw. zur Herstellung not-wendiger Produkte vorzubereiten. Diese Objekte werfen ein Schlaglicht auf die Situation der letzten Bewohner Giatos.

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Literatur

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Priv.-Doz.Dr. habil. Dieter Quast M.A.

Römisch-GermanischesZentralmuseum

Leibniz Forschungsinstitut für Archäologie

Ernst-Ludwig-Platz 2D-55116 Mainz