23
Historischer Verein Bamberg (für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums) e. V. 133. Bericht Bamberg 1997 ýý/ý4ý

Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

  • Upload
    doannhu

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Historischer Verein Bamberg (für die Pflege der Geschichte des

ehemaligen Fürstbistums) e. V.

133. Bericht

Bamberg 1997

ýý/ý4ý

Page 2: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

HEINRICH II. UND SEINE URKUNDEN'

von

HORST ENZENSBERGER

Über den ersten Teil dieses Themas brauche ich nach drei Abenden einer Vorle- sungsreihe nicht mehrbesonders vieleWorte verlieren, über Urkunden jedoch sollte ich

zunächst einiges sagen; obwohl fast jeder seine Erfahrungen mit ihrer oft unreflektier- ten und ungenierten Verwendung haben dürfte, bieten sie doch unkomplizierten Anlaß

zu Feiern, Jubiläen oder Ringvorlesungen. Ob es sich nun um das �Geschenk eines Jahr-

tausends" handelt oder um die Behauptung, ein bestimmtes Bier stamme aus der älte- sten Brauerei der Welt - nicht in Bamberg, aber angeblich auch schon zu Beginn des

zweiten Jahrtausends -, Urkunden mit ihren zuverlässig scheinenden Daten bilden für diese als werbewirksam angesehene Verwendung von Geschichte die Grundlage. Auch die Geschichtswissenschaft hat sich seit fast zweihundert Jahren der Urkunden als Quellen bemächtigt und nur in Ausnahmefällen entfalten sie noch ihren materiellen Charakter. In einem Rechtsstreit um die Werbung der staatlichen Braustätte in Weihen-

stephan wurde mit Urkunden des Klosters argumentiert, wobei das Gericht noch nicht wissen konnte, daß die Weihenstephaner Ansprüche auf einer Fälschung der frühen Neuzeit beruhten; Grund genug für die Bayerische Staatsschuldenverwaltung, 1986 auf das Hauptstaatsarchiv in München Druck auszuüben, um zu verhindern, daß anläßlich des Kongresses der MGH über Fälschungen in der Ausstellung des Archivs auf den Komplex derWeihenstephaner Fälschungen eingegangen würde. Es ist jedoch rühmlich zu vermelden, daß für die bayerische Archivverwaltung wissenschaftliche Erkenntnis fiskalischen Interessen gegenüber den Vorrang hatte und sicher immer noch hat.

Daraus ist zu lernen, daß Urkunden zunächst einmal und auf jeden Fall Denkmäler des Rechts sind, sei es als Abweichung vom allgemein geltenden Recht durch Privilegie- rung, sei es hinsichtlich der Übertragung von Besitz und der damit verbundenen Ge-

rechtsame. Urkunden setzen eine rechtliche Beziehung zwischen Aussteller und Emp- fänger voraus. Die juristische Natur dieser Quellen hat es mit sich gebracht, daß sie zu- nächst von Juristen behandelt wurden und daß die Echtheitskritik, das discrimen veri ac falsi, wie es der französische Benediktiner Jean MABILLON im 17. Jahrhundert auf den Nenner gebracht hat, alle anderen Aspekte zunächst in den Hintergrund drängte. Denn für eine juristische Beweisführung war es unabdingbar, die Authentizität gegnerischer Beweismittel zu erschüttern und zu bestreiten. In diesen Bella diplomatica wurde aber

I Die nach dem Vortrag gezeigten Bilder von Diplomen Heinrichs können hier leider nicht wiedergegeben werden. Etliche Beispiele sind in den Kaiserurkunden in Abbildungen" enthalten. Im übrigen sei auf das Verzeichnis verwiesen, das IRMGARD Frs vorgelegt hat, in dem allerdings die Archivangaben zu berichti-

gen sind, soweit dort das Hauptstaatsarchiv in München genannt ist: IRMGARD FEES: Abbildungsverzeich- nis der original überlieferten fränkischen und deutschen Königs- und Kaiserurkunden von den Merowin-

gern bis zu Heinrich VI. Marburg an der Lahn 1994 (elementa diplomatica, hg. von Peter ROCK, 1). Die

zahlreichen Diplome Heinrichs für das Bistum Bamberg befinden sich jetzt alle im hiesigen Staatsarchiv. Die Zitate der Herrscherurkunden folgen dem üblichen Brauch der Angabe der Nummer in der betreffen- den Ausgabe der Diplomata-Reihe der Monumenta Germaniae Historica. Die Anmerkungen sind auf die

nötigsten Hinweise beschränkt, der Text des Vortrages wurde beibehalten.

61

Page 3: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 - Horst Enzensberger

auch manches parteiische Fehlurteil über Urkunden gefällt. Das notwendige Erörtern

von oft geringfügigen Varianten und Indizien zur Klärung der Echtheitsfrage hat den

Diplomatikern und ihrer Kunst außerhalb des inneren Zirkels der Eingeweihten nicht unbedingt faszinierenden Glanz verliehen, zumal man den rhetorischen Elementen und der graphischen Gestaltung der Urkunden gegenüber den materiell wirksamen und nutzbaren Bestimmungen lange Zeit kaum eine eigenständige historische Aussagekraft

zugestehen wollte. Das galt auch für HARRY BRESSLAU, den Herausgeber der Diplome

Heinrichs II., von dessen negativer Einschätzung des Kaisers wir schon in der ersten Vorlesung unserer Reihe gehört haben. Erst in jüngerer Zeit wurde die historische Di-

mension von Urkundenteilen wie Arenga, Intitulatio oder Datierung richtig erkannt. Hierfür stehen Namen wie HEINRICH FICHTENAU' oder BERND SCHNEIDMÜLLER3. Herrscherurkunden sind, wie wir jetzt wissen, auch Vehikel der Propaganda und der

Selbstdarstellung, der Repräsentation, somit der ideologischen Begründung von Macht

und Herrschaft, vielfach in einerTraditionsreihe, die in einzelnen ihrer Elemente bis auf die Spätantike und das ganz frühe Mittelalter zurückreicht, bisweilen aber auch in be-

wußter Abweichung mit innovatorischem Charakter. Diese jüngere Einsicht in die

nicht-juridischen Seiten mittelalterlicher Dokumente hat sowohl der Untersuchung ih-

rer äußeren Ausstattung als auch ihrer sprachlich-stilistischen Form einen eigenständi- gen Wert zuerkannt, der über die Funktion als Mittel der Urkundenkritik hinausführt.

Andererseits ist aber - zu Recht - von den Urkunden ausgehend die Frage von Gel-

tungsdauer und Bindungswirkung - also ein juristisches Problem - untersucht worden. Die Beobachtung, daß Schenkungen und Verleihungen früherer Herrscher immer wie- der bestätigt wurden, führte zur Frage nach der Verfügungsgewalt des Herrschers am Reichsgut, da solche Neubeurkundungen eines bereits gegebenen Rechtstitels nur sel- ten aus dem angeblichen oder tatsächlichen Verlust früherer Privilegien erklärt werden oder erklärt werden können, also einen anderen wichtigen Grund haben müssen, der den Aufwand für Impetration und Ausfertigung der Urkunden rechtfertigt. Die Befri-

stung der Geltung eines Privilegs können wir schon an einer der frühen Urkunden Heinrichs beobachten, mit der er dem Bischof Heinrich von Würzburg auf die Inter-

vention seiner Gemahlin Kunigunde hin die Abtei Seligenstadt auf Lebenszeit übertra-

gen hat. Das Diplom wurde während seines Aufenthalts in Bamberg im Juli 1002 ausge- stellt. Mit großem Geschick- so groß, daß man in den Kaiserurkunden in Abbildungen dieses Stück geradezu als Beispiel für die Schrift des Nachgeahmten findet, die authenti- sche Fassung ist erst in einem späteren Faszikel veröffentlicht worden - hat man davon in Würzburg ein anderes Exemplar hergestellt, in dem die Übertragung durch quantita- tiv ganz geringfügige Änderungen als in perpetuum erfolgt dargestellt wurde, um so ge- gen die Ubertragung an den Mainzer Erzbischof durch Heinrich IV. vorgehen zu kön-

2

3

HEINRICH FICHTENAU: Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformen. Graz 1957 (MIÖG, Erg. Bd. 18). - HEINRICH FICHTENAU: , Politische` Datierungen des frühen Mittelalters. In: Inti- tulatio II. Lateinische Herrscher- und Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, fig. von HERWIG WOLFRAM. Wien, Köln, Graz 1973 (MIÖG, Erg. Bd. 24), S. 453-548.

BERND SCHNEIDMÜLLER: Karolingische Tradition und frühes französisches Königtum. Untersuchungen

zur Herrschaftslegitimation der westfränkisch-französischen Monarchie im 10. Jahrhundert. \1 iesbaden 1979 (Frankfurter Historische Abhandlungen 22). - BERND SCHNEIDMÜLLER: Herrscher über Land oder Leute? Der kapetingische Herrschertitel in der Zeit Philipps 11. August und seiner Nachfolger (1180)-1270. In: Intitulatio III. Lat. Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum I3. Jahrhun- dert, hg. von H. \VOLFRAM und A. SCHARRER. \1 ien, Köln, Graz 19SS (MIÖG, Erg. Bd. 29), S. 131-164.

62

Page 4: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das ursprüngliche Diplom nicht verschwinden zu lassen, sodaß wir nun unmittel- bar auf die \Vidersprüche aufmerksam gemacht werden. Denn allein die Tatsache der

späteren Schenkung an Mainz würde ja eine ursprünglich unbefristete Schenkung an Würzburg nicht ausschließen, aber eine Würzburger Zustimmung zur Änderung vor- aussetzen.

Die Vielzahl der Urkunden Heinrichs II. für seine Gründung Bamberg - es handelt sich mit 83 Diplomen, von denen fast alle im Original erhalten sind, fast um ein Sechstel der überhaupt überlieferten Urkunden des letzten Ottonen -, die in der Verzettelung in einzelne Schenkungsobjekte nicht für eine durchrationalisierte Organisation der Reichskanzlei sprechen, hat ebenfalls zu kritischen Fragen geführt. Die Annahme FAUSSNERS, sie seien in Bausch und Bogen Produkte \Vibalds von Stablo, wird den tat- sächlichen Verhältnissen allerdings nicht gerecht und hat auch schon auf dem Münch- ner Kongreß in der Diskussion Widerspruch herausgefordert, dennoch ist die

�büro- kratische" Bewältigung der Besitzausstattung des Bistums Bamberg recht auffällig und ungewöhnlich. Bei den angeblich am 1. November ausgestellten Dokumenten bezüg- lich der Übertragung von Forchheim geht auch nicht alles mit rechten Dingen zu, ob- wohl sie unter Beteiligung der Kanzlei entstanden sind, doch darüber später mehr. Man wird kaum annehmen dürfen, daß der aus der Kanzlei stammende und ihr als Kanzler für Italien weiterhin verbundene Bischof Eberhard von Bamberg mit der Vielzahl der Diplome für ein Beschäftigungsprogramm zugunsten ehemaliger Mitarbeiter sorgen wollte. Immerhin waren vier Schreiber der Kanzlei Heinrichs ausschließlich in Bamber- ger Angelegenheiten tätig, eine einmalige Erscheinung in der Geschichte der Reichs- kanzlei.

Überhaupt das Thema Reichskanzlei: wir verwenden aus Gründen der vereinfach- ten Verständigung diesen Begriff, müssen uns aber hüten, zuviel in ihn hineinzulesen. Eine wirklich festgefügte Institution mit geordneten, allgemein bekannten Geschäfts- abläufen, einer exklusiven Kompetenz für den Schriftverkehr des Herrschers oder gar einem festen Dienstsitz ist damit nicht verbunden. Die Kanzlei zieht mit dem Herr- scher durch die Lande, hat also oft mit schwierigen äußeren Bedingungen zu kämpfen, und auch eine geordnete Aktenführung ist kaum möglich. Es handelt sich dabei um eine Bezeichnung für diejenigen unter den Kaplänen des Königs bzw. Kaisers, die sich in be- sonderer Weise für die Herstellung von Urkunden eigneten oder sich dafür interessier- ten und die Stil und Formen der Diplome der Vorgänger kannten. Unter Heinrich II. ist es für

�Deutschland" und für �Italien" der Erzbischof von Mainz, in Urkunden für

deutsche Empfänger meist in seiner Funktion als Erzkaplan, in dessen Namen die Re- kognition der Urkunden vom Kanzler durchgeführt wird. Die Kanzler sind neben dem Erzkanzler/Erzkaplan in der Regel auch die einzigen, die wir mit Namen kennen und deren kirchliche Laufbahn wir etwas genauer verfolgen können. Die Namen derjenigen Kräfte, die mit der praktischen Schreibarbeit betraut waren, sind uns nur in Ausnahme- fällen bekannt; in der Beschreibung der Kanzlei werden sie mit Siglen bezeichnet, denn Schrift und Diktat der Urkunden lassen sich ja bestimmten

�Händen" zuordnen. Zu den wenigen Notaren der Ottonenzeit, die wir namentlich kennen, gehört der spätere Bischof Bernward von Hildesheim, der ab 977 für etwa zehn Jahre als Urkundenschrei- ber unter Otto II. und Otto III. nachweisbar ist. Die Rolle der Kanzlei wird dadurch re- lativiert, daß ein erheblicher Teil der Diplome der deutschen Könige und Kaiser über-

63

Page 5: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 " Horst Enzensberger

haupt nicht durch die Reichskanzlei verfaßt oder geschrieben wurde. Im Falle dieser so- genannten Empfängerausfertigung ist es schon viel, wenn die Kanzlei wenigstens einen Teil der Beglaubigungsmerkmale anbrachte. Da inzwischen zwei der für Bamberg täti- gen Notare auch in Bamberger Handschriften nachgewiesen werden konnten, ' gerät man in Versuchung, auch die Diplome Heinrichs für Bamberg als Empfängerausferti-

gung anzusehen, doch handelte es sich dabei aufgrund der Rolle des Bamberger Bi-

schofs Eberhard in der Kanzlei um eine ganz besondere Art der Empfängerausferti-

gung. Läßt man den Fall Bamberg außer Betracht, so ist die Situation unter Heinrich II.

relativ günstig. Mit über 60 derartigen Urkunden beträgt der Anteil an Empfängeraus- fertigung ein Achtel. In den beiden ersten Jahren liegt er allerdings deutlich höher, bei fast einem Fünftel. ' Das zeigt, daß sich die Effizienz der Kanzlei im Laufe der Jahre deutlich verbessert hat.

Der Aufbau der Reichskanzlei

Die Zusammenfassung von deutscher und italienischer Kanzlei, die unter Otto III. in der Person Heriberts, Kanzler für Italien seit 994 und seit Anfang 999 zugleich auch deutscher Kanzler, vollzogen worden war, blieb auch unter Heinrich II. zunächst fort- bestehen. Allerdings kam es insofern zu einer Veränderung, als Heribert, der seit 9. Juli 999 Erzbischof von Köln war, seine Amter in der Kanzlei aber beibehalten hatte, nach dem Regierungsantritt Heinrichs aus dem Amt scheiden mußte, während sich an der formellen Oberleitung durch Erzbischof WXrlligis von Mainz -für Deutschland in seiner Eigenschaft als Erzkaplan -nichts änderte. Das Ausscheiden Heriberts kann nicht ver- wundern, hatte er sich doch den Ansprüchen Heinrichs auf die Nachfolge, wie wir be-

reits von BERND SCHNEIDMÜLLER gehört haben, allzu deutlich entgegengestellt. Nur der Erzbischof von Mainz hatte bereits eine solche traditionelle Position erreicht, daß er auch im Falle politischen Dissenses nicht aus dem Formular der Urkunden hätte gestri- chen werden können - war der Erzbischof Unperson, wurde wenigstens die Mainzer Kirche genannt. Deutsch und italienisch sollen keine Aussage zur Frage der Nationen- bildung sein; sie bedeuten, daß in der Regel für Empfänger aus dem Reich nördlich der Alpen die Rekognition durch den

�deutschen" Kanzler und Erzkanzler erfolgte, für

Empfänger aus dem Königreich Italien durch den für Italien zuständigen. So zeigt sich in der Wahl eines alleinigen Kanzlers für alle Reichsteile durch Heinrich einerseits die institutionelle Kontinuität zu Otto III., da aber eine personelle Kontinuität an der Spit-

ze nicht möglich war, andererseits die Möglichkeit von Veränderungen, die an den Grundstrukturen zunächst nichts ändern, aber doch andere Akzente setzen. Für Hein-

rich war Italien kein eigenständiges Thema, wenn auch aus anderen Gründen als für Ot-

to: Arduin hatte sich in Reichsitalien dem Ottonen entgegengestellt. Sobald sich die po- litischen Konstellationen änderten und eine aktive italienische Politik programmiert werden konnte, hat man eine eigene italienische Abteilung erneut ins Leben gerufen. Personelle Kontinuität ist jedoch bei den Notaren festzustellen: der erste Hauptschrei-

4 Vgl. HARTMUT HOFFMANN: Bamberger Handschriften des 10. und des 11. Jahrhunderts. Hannover 1995 (Monuments Germaniae Historica Schriften 39).

5 14 von den ersten 67 Diplomen.

64

Page 6: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

ber EA war schon unter Otto III. tätig (als Her. F), andere Schreiber Ottos sind aus- hilfsweise beschäftigt.

Als Vertreter des Mainzer Erzbischofs zeichneten in den Urkunden zunächst drei Kanzler, deren Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie als typisch angesehen werden kann. Der erste, Egilbert, schied Anfang Mai 1005 aus, um Bischof von Freising zu wer- den. Ihm folgte Heinrichs Bruder Bruno von Ende Mai 1005 bis Ende April 1006; er wurde zum Bischof von Augsburg erhoben. Sein Nachfolger in der Kanzlei wurde im Mai 1006 Eberhard, der dieses Amt auch nach seiner Ernennung zum Bischof von Bam- berg noch über ein Jahr weiter ausübte. Für die Ausstattung seines Bistums wirkte sich seine Position keineswegs nachteilig aus.

Die Reorganisation der Kanzlei und die Wiedereinrichtung einer italienischen Ab- teilung ist wohl gegen Ende des Jahres 1008 erfolgt. \Villigis von Mainz blieb bis zu sei- nem Tod (122. Februar 1011) formell an der Spitze beider Abteilungen, das Kanzleramt wurde jedoch aufgeteilt. Allerdings sind die politischen Hintergründe dieser Maßnah- me für uns nicht ganz eindeutig erkennbar. Zum Einen ist eine gewisse Nachfrage nach Diplomen von Seiten italienischer Empfänger zu beobachten, was als zunehmende Ab- wendung von Arduin gedeutet werden kann. Zum Anderen könnte man an Burgund denken, das ja als Absicherung des Weges nach Italien gesehen wurde. In der Tat sind die wenigen Diplome Heinrichs II. für burgundische Empfänger von der italienischen Kanzlei ausgefertigt worden. Für eine eigene burgundische Abteilung konnte unter Heinrich noch kein Bedarf entstehen, sie ist erstmals unter Heinrich III. eingerichtet worden. Unter Heinrich V erfolgte dann die erneute Zusammenführung der Abteilun- gen zu einer einheitlichen Reichskanzlei, wenn auch mit verschiedenen Erzkanzlern.

Für deutsche Empfänger zuständiger Kanzler Heinrichs II. wurde der Bruder des Markgrafen von Meißen, Gunther, der schon unter Otto III. Mitglied der Hofkapelle war. Er führte sein Amt, bis er Ende 1023 Erzbischof von Salzburg wurde. Sein erstmals 1024 nachweisbarer Nachfolger Udalrich blieb in den Diensten Konrads II. und starb im Amte 1032, ohne auf einen Bischofsstuhl berufen worden zu sein.

Kanzler für die italienischen Angelegenheiten blieb Eberhard, der nur die Zustän- digkeit für Deutschland an Gunther abgegeben hat. Um die Jahreswende von 1008 zu 1009 gibt es eine Lücke in den urkundlichen Nachweisen - der erste Beleg datiert vom 25. April 1009 -; dies ist aber kein Anlaß, an ein vorübergehendes Ausscheiden Eber- hards aus dem Kanzleramt zu denken.

Der Tod des \Villigis eröffnete neue Möglichkeiten. Sein Mainzer Nachfolger Er- canbald wurde in den deutschen Diplomen sofort in der Rekognitionszeile genannt, in den italienischen ist die Nennung eines Erzkanzlers in den Jahren 1011 und 1012 an- scheinend unterblieben - allerdings sind die Nachweise nicht sehr zahlreich. Selbst wenn man sich sofort zum Abweichen vom Herkommen entschlossen hatte, wofür der Verzicht auf die Nennung spricht, wollte man auf eine mögliche Provokation des neuen Erzbischofs wohl verzichten. Lange vor dem Romzug jedoch wurde die Entscheidung öffentlich vollzogen: von Februar 1013 bis zum Tode Kaiser Heinrichs wurde Eberhard von Bamberg als italienischer Erzkanzler genannt. Konrad II. ersetzte ihn aber sofort in dieser Funktion durch den Mainzer Erzbischof Aribo, erstes deutliches Zeichen für den Rückgang der politischen Bedeutung Eberhards unter dem Nachfolger Heinrichs II.

Eberhard wäre zumindest zuzutrauen, daß er sich nicht auf den Titel des Erzkanz- lers beschränkte, sondern auch tätigen Anteil an den Geschäften nahm. So ist etwa ein

65

Page 7: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 " Horst Enzensberger

Diplom für die Bamberger Kirche, in Rom am 15. Februar 1014 ausgestellt, durch die italienische Kanzlei ausgefertigt worden, obwohl eigentlich nach den Regeln für einen deutschen Empfänger die deutsche Rekognition üblich gewesen wäre und die Abwe- senheit des Kanzlers dafür keinen Hinderungsgrund darstellte.

Eberhards Nachfolger im italienischen Kanzleramt war bis April 1016 Heinrich, der bereits im Herbst 1015 Bischof von Parma wurde. Ihm folgte der Bamberger Dom-

propst Pilgrim aus dem Hause der bayerischen Pfalzgrafen, der 1021 zum Erzbischof

von Köln erhoben wurde. Von 1016 bis 1021 waren die italienischen Angelegenheiten fest in

�Bamberger" Hand, also auch zur Zeit des Papstbesuches und des Auftreten des

Meles in Bamberg. Der 1006 als Kaplan belegte Theoderich amtierte von 1021 bis in den Sommer 1023 als Kanzler, er ist wohl im Amt verstorben. Sein Nachfolger Hugo (ab 2. September 1023 belegt) diente auch Konrad II. als italienischer Kanzler und wurde 1027 Bischof von Parma.

Auf die nicht namentlich faßbaren zwölf Notare im Einzelnen einzugehen, ist hier

nicht angezeigt. Fünf weitere sind in der italienischen Abteilung nachzuweisen. Wir be-

sitzen jedoch die ausdrückliche Nachricht, daß der Bischof Erich von Havelberg als Schreiber in der Kanzlei Heinrichs II. tätig war. Dieses Zeugnis stammt aus dem Jahre 1012,6 durch den Schriftvergleich läßt sich seine Tätigkeit für die Jahre zwischen 1006'

und 10198 bestimmen.

Der Aufbau der fränkischen Königsurkunde

Invocatio, symbolisch und verbal Intitulatio mit Legitimationsformel Arenga Publicatio Narratio Dispositio Corroboratio Unterfertigungen (Signumzeile mit Monogramm, Rekognitionszeile) Datierung

Das Formular ist unter Heinrich weiterhin unverändert, wenn auch in einzelnen Punkten Entwicklungen zu beobachten sind.

Seit Ludwig dem Deutschen findet sich in den ostfränkischen Urkunden die verbale Invokationsformel in der trinitarischen Fassungln nomine sanctae et individuae trinita- tis (Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit). Sie bleibt auch in den fol- genden Jahrhunderten in Gebrauch und setzt sich ebenfalls in einer entsprechenden deutschen Fassung durch. Zur Deutung ist natürlich eher der Theologiehistoriker auf- gerufen als der profane Diplomatiker. Seit der gleichen Zeit ist auch der Titel rex ohne weitere Spezifikation üblich; erst mit Heinrich V tritt der Zusatz Romanorum hinzu und wird dann zum Standard. Das läßt sich in verschiedener Weise interpretieren: ent-

6DH. II. 242 von 1012 Januar 21. 7DH. II. 106. 8DH. 11.416.

66

Page 8: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

weder hat man noch keine Notwendigkeit empfunden, das Königtum genauer zu be- zeichnen, oder man hat bewußt darauf verzichtet, um sich verschiedene politische Op- tionen offenzuhalten. Nach der Kaiserkrönung führt Heinrich den unter Otto III. zur Regel gewordenen Titel Romanorum imperatoraugustus, der in der Stauferzeit noch um etsemper erweitert wird'. Nicht als offizielle Äußerung der Kanzlei anzusehen sind der Zusatz electus in D 23 für Tegernsee, das Empfängerausfertigung ist, und der Titel rex Teutonicorun: in D 424, dieser ist das \Vterk eines Brixener Schreibers und spiegelt die Auffassung aus einem Grenzgebiet.

Über die Arenga wird noch zu sprechen sein; sie findet sich nur in einem Teil der Urkunden Heinrichs. 10 In vielen Diplomen folgt auf die Intitulatio unmittelbar die an einen allgemeinen Kreis gerichtete Kundmachungsformel, eine eigentliche Adresse gibt es in den ottonischen und salischen Urkunden noch nicht. Weniger formelhaft geprägt sind Narratio und Dispositio, da sie vom konkreten Sachverhalt des Diploms abhängen. Mit der Narratio, der Schilderung des Sachverhalts, verbindet sich die Petitio, in der vor allem der Intervention hochstehender Persönlichkeiten, oft der Kunigundes, gedacht wird. Auf den Rechtsinhalt, das Thema der Dispositio, folgt in ottonischer Zeit für ita- lienische Empfänger eine Pönformel, für den deutschen Bereich wird sie erst im 12. Jahrhundert häufiger. Am Ende des Textes steht die Corroboratio, in der die Beglau- bigungsmittel der Urkunde namhaft gemacht werden: die schriftliche Aufzeichnung des Dokuments, die eigenhändige Beteiligung des Ausstellers und der Abdruck des Sie- gels. Vor allem für die Bezeichnung der Urkunde und des Rechtsgeschäftes gibt es eine gewisse Variationsbreite der Begriffe: carta, pagina, preceptum; donatio, traditio, con- cambium, auctoritas.

Es folgen -in der Regel in dieser Reihenfolge -Signumzeile mit Monogramm -we- gen des Namens Heinrich mußte hier eine neue Grundform gefunden werden, die von den Nachfolgern beibehalten werden konnte -, Rekognition und Datierung. Rechts von den Kanzleiunterfertigungen ist das Wachssiegel eingedrückt, während Metallsie- gel an einer Plica befestigt werden.

Der Symbolcharakter der Urkunden und ihrer Bestandteile

Zu den graphischen Schmuckelementen gehört die Auszeichungsschrift in Form der Elongata, die die erste Zeile, aber auch Monogramm- und Rekognitionszeile be- herrscht. Letztlich imitiert sie die Reservatschrift der spätantiken und frühbyzantini- schen Kaiserurkunde, die sogenannten �litterae caelestes". Die ältere Form einer beson- deren Ausstattung von Urkunden in Hinblick auf Beschreibstoff und Schrift sind die Purpururkunden, bei denen der Text mit Goldtinte auf purpurgefärbtem Pergament eingetragen wird. Unbestreitbares Vorbild der Chrysographie ist die Gewohnheit der byzantinischen Kaiserkanzlei, die in einigen Fällen auch im Okzident nachgeahmt wird. Dabei ist allerdings zu beachten, daß im Osten diese Purpururkunden Kanzleioriginale sind, während derartige Stücke im Westen in der Regel Zweitausfertigungen von oft auch noch erhaltenen Kanzleidokumenten in normaler Schrift- und Pergamentausstat-

v Semper augustus kommt vereinzelt auch schon unter Heinrich II. vor. 10 FRIEDRICH HAUSMANN/ALFRED GAWLIK: Arengenverzeichnis zu den Königs- und Kaiserurkunden von

den IMSeroningern bis Heinrich VI. München 1987 (MGH Hilfsmittel 9) bietet eine Übersicht nach den Initien, aber auch Register der Aussteller.

67

Page 9: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 " Horst Enzensberger

tung darstellen. " Der Anteil der Herrscherkanzlei beschränkte sich dabei oft auf die Beglaubigung, während die Urkunden als solche zu den Empfängerausfertigungen zu zählen sind. Die Goldbulle dagegen kann zu den äußeren Merkmalen gerechnet werden, mit denen auch normalen Kanzleiprodukten gegen ein entsprechendes besonderes Ent-

gelt ein besonderes Gepränge verliehen werden konnte. Die Briefe byzantinischer Kaiser an die Päpste im zwölften Jahrhundert wiesen kei-

ne Besiegelung auf; sie waren auf Purpurpergament mit Goldschrift geschrieben, womit man der Feierlichkeit Genüge getan zu haben annahm. 12

Ebenfalls für päpstliche Empfänger gedacht waren die Purpurexemplare des Otto-

nianums von 96213 und dessen heute verlorene Neuausfertigung durch Heinrich II. von 1020,11 das Henricianum. Zu den bekanntesten Stücken dieser Art zählt wohl die Hei-

ratsurkunde Ottos II. für seine Gemahlin Theophanu von 972.15 Die Imitation des by-

zantinischen Vorbilds ist dabei handgreiflich; vielleicht hat sie auch dazu geführt, daß

eine Besiegelung mit einer Goldbulle nicht erfolgte, aber möglicherweise eine Goldbul- le beigelegt wurde. 16

Die Verwendung von Metallsiegeln ist zunächst eine Charakteristik des mediterra- nen Raumes, obwohl hier, und dies gilt in besonderem Maße auch für Italien, die Ver-

wendung von Wachssiegeln zumindest in den germanisch beeinflußten Gebieten durchaus geläufig ist. Ganz ohne Besiegelung kommt das von einem öffentlich autori- sierten Notar geschriebene Instrument aus, das auf dem Gebiet der Privaturkunde in Italien eine dominierende Rolle spielt. " Die bekannteste Form des Metallsiegels ist die Bleibulle, die durch ihre Verwendung in der Kanzlei der Päpste im ganzen christlichen

I CARLRICHARD BRÜHL: Purpururkunden. In: Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze. Band II: Studien zur Diplomatik. Hildesheim, München, Zürich 1989, S. 601-619, hier S. 615-619.

WERNER OHNSORGE: Der Beitrag der abendländischen Überlieferung zur byzantinischen Sphragistik. In: Konstantinopel und der Okzident. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländi-

sehen Beziehungen und des Kaisertums. Darmstadt 1966, S. 280-286, hier S. 281. - FRANZ DÖLGER/JO.

HANNES KARAYANNOPULOS: Byzantinische Urkundenlehre. ErsterAbschnitt: Die Kaiserurkunden. Mün-

chen 1968 (Byzantinisches Handbuch im Rahmen des Handbuchs der Altertumswissenschaft, 3.1,1), S. 90. Diese Urkunden waren in griechischer Sprache geschrieben, aber von einer lateinischen Überset-

zung auf demselben Blatt begleitet. -WERNER OHNSORGE: Das nach Goslar gelangte Auslandsschreiben

des Konstantinos IX. Monomachos für Kaiser Heinrich III. von 1049. In: Abendland und Byzanz ...,

S. 317- 32, hier S. 322 f. - BRÜHL (wie Anm. 11) S. 605 f. Im Inventar des päpstlichen Archivs vom März 1339 (cd. HEINRICH DENIFLE: Die päpstlichen Registerbände des 13. Jahrhunderts und das Inventar der-

selben vom Jahr 1339. In: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886) S. 1-105)

sind neben den drei noch erhaltenen Purpurrollen mit Goldschrift in griechischer und lateinischerSprache

zwei weitere lateinische byzantinische Purpurrollen verzeichnet (DENIFLE S. 98).

D O. I. 235. - Vgl. BRÜHL (wie Anm. 11) S. 610.

D H. Il. 427. - Vgl. BRÜHL (wie Anm. 11) S. 611,616.

D O. I1.21. -BRÜHL (wie Anm. 11) S. 610.

BRÜHL (wie Anm. 11) S. 619 mit Anm. 133.

RICHARD HEUBERGER: Allgemeine Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Leipzig, Berlin 1921 (Grundriß der Geschichtswissenschaft, hg. von ALOYS MEISTER, Reihe I, Abt. 2 a), S. 10-26,37-46. - ALESSANDRO PRATESI: Genesi e forme del documento medievale. Roma 1979 (Jouvence. Guide 3), S. 43-56. - Notariato medievale Bolognese. Tomo I: Scritti di GtORGIO CENCErTI. Roma 1977 (Studi sto- rici sul notariato italiano III). - Per una storia del notariato meridionale. Contributi di M. ArtELOTTI/ H. BRESC/M. CARAVALE/G. CASSANDRO/\ý VON FALKENHAUSEN/M. GAw rr/A. LEONE. Roma 1982 (Studi storici sul notariato italiano VI).

12

13

14

15

16

17

68

Page 10: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

Abendland eine bekannte Erscheinung war. Sehr selten sind Silberbullen, " etwas häufi- ger finden wir Goldbullen, von denen 68 in der Vatikanischen Sammlung enthalten sind, " die vor einigen Jahren auch hier in Bamberg gezeigt worden ist.

Ausgangspunkt für die Anwendung von Metallsiegeln auch im Okzident20 ist die Gewohnheit der oströmischen Kaiserkanzlei und der von ihr beeinflußten Beurkun- dungsstellen, z. B. der byzantinischen Beamten und der griechischen Bischöfe, Metall- siegel unter Verwendung verschiedener Metallsorten zu benutzen. Jedoch ist dabei zu bedenken, daß der Beglaubigungscharakter des Siegels im byzantinischen Reich zumin- dest im Frühmittelalter oft überhaupt nicht vorhanden war. 2t Die Verhältnisse ändern sich hier erst nach den fränkischen Eroberungen, d. h. nach dem IV Kreuzzug. Gerade die Goldbulle stellte eine Ehrung dar für den Empfänger, sie wurde der Urkunde zu- nächst beigelegt und in ihrem Gewicht nach der Stellung des Empfängers im byzantini- schen Reichs- und Hofprotokoll bemessen. Darüber besitzen wir das Zeugnis des Kon- stantin Porphyrogennetos (905-959) in seinem berühmten

�Zeremonienbuch", das ge-

wissermaßen eine Tarifliste der byzantinischen Goldbullen enthält. Später ist allerdings auch in Byzanz eine Standardisierung eingetreten. Daneben waren noch, wenn auch sel- ten, Silberbullen in Verwendung und für einfachere Dokumente und in den Beamtenur- kunden die Bleibullen.

Seit der späten fränkischen Zeit ist die Verwendung von Goldbullen durch die frän- kischen bzw deutschen Kaiser des Mittelalters bezeugt. ̀ Das älteste erhaltene Original

18 WILHELM EWALD: Siegelkunde. München, Berlin 1914 (Nachdruck 1969) (Handbuch der mittelalterli- chen und neueren Geschichte, Abt. IV), S. 150 f.; bekannt sind vor allem venezianische Beispiele aus der Neuzeit (EWALD S. 175).

19 Awo MARTINI: I sigilli d'oro dell'Archivio Segreto Vaticano. Con una nota storica di MARTINO GIUSTI. Prefazione di ALESSANDRO PRATESI. Milano 1984. Außer den Siegeln ist auch eine große Zahl der Urkun- den, an denen sich diese Bullen befinden, in dem Band abgebildet, wobei sich die Illustrationen im italieni-

schen und im englischen Teil ergänzen. Die Anhänge über die Siegellegenden, die Herstellungstechnik

und die Herstellermarken auf den Kapseln sind zweisprachig, ebenso die Indizes. Der Katalog zur Aus-

stellung Die Goldsiegelsammlung aus dem Geheimarchiv des Vatikans". München o. J. (1990), ohne Sei-

tenzählung, enthält die Übersetzung einer leicht überarbeiteten, teilweise gekürzten Fassung der Introdu-

zione von MARTINI zu dem oben erwähnten Band. Die Siegelbeschreibung sind ebenfalls gekürzt; die aus- führliche Dokumentation der zugehörigen Urkunden wurde m. E. in unvertretbarer Weise auf ein Mini-

mum reduziert. Die gelegentlich auftretenden Großbuchstaben bei den Katalognummern, die im übrigen denen bei MARTINI entsprechen, bedeuten, daß von einem Bullentyp mehrere Exemplare in den Beständen des Vatikanischen Archivs vorhanden sind. Mit Ausnahme Friedrichs II. (Nr. 4A und 4B) und der Kapseln Karl Emanuels III. von Savoyen (35 A, 35 B) wurde in derBambergerAusstellung jeweils nur ein Exemplar

eines Siegeltyps gezeigt. Allgemein zu den Goldbullen vgl. EWALD (wie Anm. 18) S. 145-150. - Zur Her-

stellung EWALD (wie Anm. 18) S. 61,119,121; ALFRED GAWUK: Goldbulle. In: Lexikon des Mittelalters IV München, Zürich 1959, Sp. 1539 f. (mit Literatur).

20 EWALD (wie Anm. 18) S. 143 f., der für die päpstliche Bleibulle nicht ausschließt, daß unmittelbar Muster der römischen Kaiserzeit weitergewirkt haben, während für die Goldbulle der abendländischen Kaiser By- zanz das auslösende Vorbild gewesen sei.

21 OHNSORGE: Der Beitrag der abendländischen Überlieferung (wie Anm. 12) S. 280-286. 22 EWALD (nie Anm. 18) S. 145 f. Daneben finden sich im 11. Jahrhundert vor allem für die Beglaubigungs-

schreiben der nach Konstantinopel gesandten Vertreter der abendländischen Herrscher auch Bleibullen und Otto III. hat für die Darstellung des Kaisers byzantinische Muster nachahmen lassen; vgl. WERNER OHNSORGE: Ottos III. Legation an Basileios II. vom Jahre 998. Ein Beitrag zur Frage des byzantinischen Einflusses auf die Mletallsiegelpraxis des Westens. In: Abendland und Byzanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kaisertums. Darmstadt 1963, S. 28S-299.

69

Page 11: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82. Horst Enzensberger

einer Goldbulle eines Kaisers der Römer befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv

zu Wien. Es handelt sich dabei um ein Privileg Heinrichs 11.3 für das Stift Göß in der Steiermark von 1020.11 Heinrich II. hat 1003,1007 und während der Kaiserzeit 10 14- 1024 ebenso Bleibullen verwenden lassen. Auch hierin ist eine gewisse Anlehnung an das Vorbild Ottos III. zu erkennen, der seit 998 überhaupt nur noch Metallsiegel ver- wenden ließ. Bleibullen finden sich dann noch in der Kaiserzeit Konrads II. und unter Heinrich III., danach kommen, wenn überhaupt, nur noch Goldbullen als Metallsiegel

zur Anwendung. Diese Besonderheit führte dann auch zur Bezeichnung der jeweiligen Urkunde als �Goldbulle" -von Eger, von Rimini usR: - oder als Goldene Bulle" wie bei Karl IV.

Unter Heinrich II. wird die Aurea Roma, die Verbildlichung der Romidee, die erst- mals als Begriff bei Otto III. auftaucht, noch nicht weiter entwickelt. Erst unter seinem Nachfolger Konrad II. wird sie zum ständigen Bestandteil des Revers der Goldbulle. Um eine realistische Darstellung Roms handelt es sich bei derAurea Roma allerdings nicht25 Der HexameterRoma caputmundi regitorbis frena rotundi (Rom, das Haupt der Welt, lenkt die Zügel des runden Erdkreises) begleitet ebenfalls seit Konrad II. als Um- schrift auf der Rückseite der Bullenstempel diese Darstellung der Kaiserstadt, während bei Otto III. die Renovatio imperii Romanorum2b und bei Heinrich II. gar die Renovatio regni Francorum27 als programmatische Aussage - wie bei Ludwig dem Frommen, Karl III. und Arnulf - auf den Bullen gebräuchlich war, anscheinend jedoch nur in einem eng begrenzten Zeitraum. Sehr viel aussagekräftiger als die Formulierung scheint mir die Verwendung der karolingischen Monogrammform auf den späteren Bullenstempeln zu sein, die einen augenfälligen Anschluß an die karolingische Tradition zeigt, und dies

nicht unmittelbar nach dem Regierungsantritt Heinrichs. Dabei wird das Monogramm mit den Apostelfürsten verbunden, aus ihm lassen sich Sanctus Petrus und Sanctus Patt- lus herauslesen. In der Literatur hat dieses symbolische Faktum allerdings viel weniger Beachtung gefunden als die vorher genannte Devise. Heinrichs Ausgreifen nach Bur- gund, der Plan des Anschlusses eines Teils des großfränkischen Reiches an das Reich der Ostfranken, erweist sich unter Berücksichtigung der Siegel doch als Durchführung ei- nes längerfristigen Programms, das jedoch vor dem zu Frankreich sich umgestaltenden westfränkischen Reich und seiner eigenen karolingischen Tradition Halt machte.

23 Vgl. WERNER OHNSORGE: Die Legation des Kaisers Basileios II. an Heinrich II. In: Abendland und By- zanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte derbyzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kai- sertums. Darmstadt 1963, S. 300-316, bes. S. 304 f.

EWALD, (wie Anm. 18) S. 121 Anm. 3,146. -Bei Orro PosSE: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1806. I. Band: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von Pippin bis Ludwig den Bayern. Dresden 1909, Tafel XI sind nur Bleibullen aufgenommen. -Eine Goldbulle befand sich auch an derNeu- ausfertigung des Privilegs Ottos I. für die Römische Kirche durch Heinrich II., dem heute verlorenen Henricianum, doch handelt es sich dabei nicht um die ursprüngliche Kanzleiausfertigung; vgl. BRÜHL (wie Anm. 11) S. 616.

Nur auf der Goldbulle Ludwigs IV., des Bayern, Wird eine realistische Darstellung Roms angestrebt, auf der ebenfalls ein Rundbau im Zentrum steht; vgl. EWALD (wie Anm. 18) S. 200 und Tafel 25,6. Seit Maximi- lian I. wird das Rombild auf dem Revers durch Wappen ersetzt (EWALD S. 200).

EWALD (wie Anm. 18) S. 199 f.

Als bewußter Rückgriff auf die karolingische Tradition in Rücksicht auf Byzanz gedeutet von OHNSORGE (wie Anm. 18) S. 309 f. -EWALD (wie Anm. 18) S. 199 registriert das Faktum, ohne es historisch zu werten.

24

25

26

27

70

Page 12: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

Die Verantwortung des Ausstellers und seine Beteiligung

Die persönliche Beteiligung des Herrschers an seinen Urkunden beschränkte sich seit den Karolingern in der Regel auf das Einfügen des Vollziehungsstrichs in das Mono- gramm, der oft von der Kanzlei vorgezogen war und vom König nur nachgezogen wer- den mußte. Andere Formen der Beteiligung an der Unterfertigung sind als Ausnahmen zu betrachten. Während bei Otto III. wohl in vier Fällen eine Unterschrift angenom- men werden kann, 2s geht für Heinrich die eigenhändige Beteiligung kaum über das übli- che Maß hinaus. Hier sind allerdings nur Hypothesen möglich, denn die Originale der fraglichen Dokumente haben sich nicht erhalten. Als Herzog von Bayern steht seine al- lographe Unterschrift auf einem Placitum Ottos III. von 996 (D O. 111.227). " Auf der Urkunde über den GandersheimerJurisdiktionsstreit bzw auf der verbrannten Ausfer- tigung von 1007 hat Heinrich zumindest das Kreuz eigenhändig eingesetzt (D. 255)30; ähnliches ist für das Heinricianum anzunehmen". Eine eigenhändige Unterschrift + Ego Enricus imperator dürfte sich auf dem Placitum für Montecassino von 1022 be- funden haben, das nur im Register des Petrus Diaconus überliefert ist. 32 Ob der ab- schriftlichen Überlieferung ein Verbum des Konsenses zum Opfer gefallen ist, d. h. daß

ein intei fui, adprobo, consensi oder dgl. zu ergänzen wäre, wie zuletzt mein Vorgänger WALDEMiAR SCHLÖGL angenommen hat, scheint mir angesichts des italienischen Um- feldes nicht zwingend notwendig.

Den Anteil der Herrscher, in deren Namen Urkunden ausgestellt wurden, an deren

stilistischer Gestaltung hat man in der Diplomatik traditionellerweise meist recht ge- ring eingeschätzt und allenfalls einige Ausnahmen registriert, so bei Friedrich II., an- sonsten aber deren Nichtbeteiligung geradezu dogmatisch angenommen. Dabei man- gelt es keineswegs an Nachrichten, die zeigen, daß die Kanzleien oder die mit der mate- riellen Herstellung der Urkunden befaßten Notare und Schreiber nicht am Herrscher

vorbei die Texte formuliert haben, sondern durchaus die Gedanken und Vorstellungen ihrer Auftraggeber zum Ausdruck brachten, mochten auch nicht alle Herrscher von ih-

ren Sprachkenntnissen her in der Lage sein, einen lateinischen Urkundentext überhaupt oder in seinen stilistischen Feinheiten zu verstehen. Heinrich II. ist hier eher eine Aus-

nahme, da er als literatus anzusehen ist. Diese Ausbildung zuletzt in Hildesheim setzte ihn durchaus imstande, bei seinen Urkunden ein gewichtiges Wort zu sprechen und auch konkreten Einfluß auf die sprachliche Gestaltung der Urkunde zu nehmen.

Auch die Verantwortung des Ausstellers für den Sachinhalt seiner Urkunden wurde durch eine mögliche Unkenntnis nicht berührt, wobei hier vor allem an die Urkunden der Könige und Päpste gedacht ist. Bei den Notariatsinstrumenten trug der Notar eine vergleichbare Verantwortung für die Richtigkeit seiner Aufzeichnungen. Als Norm

28

29

30

31

32

\\7ALDF-ýtAR SCH LÖGL: Die Unterfertigung deutscher Könige von der Karolingerzeit bis zum Interregnum durch Kreuz und Unterschrift. Beiträge zur Geschichte und zur Technik der Unterfertigung im Mittelal-

ter. Kallmünz 197S (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften, 16) S. 7749.

SCHLÖGL (wie Anm. 2S) S. 90.

SCHLÖGL (wie Anm. 2S) S. 90-92.

SCHLÖGL (wie Anm. 2S) S. 92-94.

D 465. - Vgl. SCHLÖGL (wie Anm. 28) S. 95-97.

71

Page 13: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-52. Horst Enzensberger

faßbar wird die Verantwortung allerdings meist erst im Laufe des dreizehnten Jahrhun- derts: auch hier ist Friedrich II. mit seinen Konstitutionen von Melfi und den dazugehö-

rigen Novellen zu nennen. Wie aber sowohl die Kanzleiordnung Friedrichs als auch ver- schiedene Novellen zeigen, konnte diese generelle Verantwortung des Herrschers trotzdem zu einer Delegation von Routineaufgaben führen, bei denen die unmittelbare persönliche Entscheidung nicht mehr verlangt und erwartet wurde: non expectata con- scientia imperatoris. Andererseits beweist gerade der Umstand der ausdrücklichen De- legation von Routineentscheidungen, daß man vorher mit der direkten Beteiligung des Ausstellers zu rechnen hat. Dies gilt auch für die Zeit Heinrichs und seiner Nachfolger, unter denen die Urkunden noch nicht so differenziert auf die unterschiedlichen Rechtsakte eingehen.

Letztlich sind ja auch die Schilderungen über das Vorbringen von Petitionen und in unserer Zeit die Nennung von Interventionen in der Narratio und die Formulierung ei- nes Beurkundungsbefehls Anzeichen dafür, daß man eine Beteiligung des Ausstellers durchaus angenommen hat. Für die Vorgespräche waren meist führende Mitglieder ei- ner Kanzlei zuständig, oft sogar die Kanzler, die Regel ist auch die auf einen Vollzie- hungsstrich oder vergleichbares beschränkte eigenhändige Beteiligung des Ausstellers, eine Mitwirkung an der Stilisierung der Urkunde bleibt dagegen außer Betracht. Mit Unkenntnis der in den Urkunden ausgedrückten Gedankenführung darf man dies aller- dings nicht gleichsetzen, dazu ist auch der symbolische \Vert dieser Dokumente zu hoch, die ja bisweilen in einer rechtsförmlichen Handlung dem Empfänger ausgehän- digt wurden: zumindest ist dies die den Urkundendatierungen zugrunde liegende Ge- dankenführung; aber auch sonst haben diese Vorgänge in der Historiographie ihren Niederschlag gefunden und Darstellungen in Handschriften zeigen den Augenblick ei- ner solchen Aushändigung.

HARTMUT HOFFMANN hat nun unlängst in einer interessanten Studie gezeigt, daß

man zumindest für Otto III. und Heinrich II. darlegen kann, wo und wie sie sich per- sönlich an der Formulierung von Privilegien beteiligt haben, die in ihrem Namen ausge- stellt wurden. " Zwar trifft dies nur für einen sehr geringen Teil der überlieferten Diplo-

me zu; sie sind aber oft von großer Bedeutung wegen ihres Empfängers. So etwa das D 0.111.390 für den Bischof Bernward von Hildesheim vom 23. Januar 1001, das schon durch die Intitulatio Otto tercius Romanus Saxonicus et Italicus, apostolorwn seraus, do-

no Dei Romani orbis Imperator augustus, die nur dieses eine Mal auftritt, ins Auge fällt,

während der Rechtsinhalt dieser Schenkung unauffällig ist. Auch die Narratio mit der Erzählung vom Rombesuch des Bischofs ist ungewöhnlich, ebenfalls die Gedankenfüh-

rung der Dispositio. Allerdings sehe ich in ihr weniger \Vidersprüche als HOFFMANN, denn die Einschränkung durch die fehlende Zustimmung der Reichsfürsten (Sed quia ad perfectum nostrae voluntatis sine magnatorwan nostrorum consilio peruenire prohibiti sumus) führt ja gerade dazu, daß der Kaiser auf eine Schenkung aus seinem Erbgut ange- wiesen ist, was in diesem Falle vielleicht zu bescheideneren Dimensionen dieser Schen- kung geführt hat. Die Pönformel mit dem Judasstrick greift in italienischen Urkunden

verbreitete Motive auf und die Corroboratio verrät eine sehr unmittelbare Beteiligung

33 HARTMUT HOFFMANN: Eigendiktat in den Urkunden Ottos III. und Heinrichs H. In: DA 44 (1988) S. 390-423.

72

Page 14: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

Ottos an der Entstehung der Urkunde: ... cartam finde conscriptam nostraque mann non

solrun literatam sed etiamn corroboratam ... Bisher scheint man diese Formulierung überlesen zu haben, obwohl immerhin MATHILDE UHLIRZ schon eine persönliche Einflußnahme des Kaisers auf die Textge- staltung annahm" HOFFMANT' kommt nun zu dem Schluß, man müsse dies als eigen- händige Niederschrift eines Konzepts für dieses Diplom verstehen, das dann von einem Hildesheimer Schreiber, also einem Empfängerschreiber, mundiert wurde. 35

Bei Heinrich II. sind die besonderen Mitteilungen über seine Ehe, die eher unmoti- viert in etlichen seiner Diplome zu stehen scheinen, Anlaß zu Überlegungen über das persönliche Diktat. Sie sind Kirchen zugedacht, denen der Kaiser in besonderem Maße verbunden war. Paderborn und Kaufungen, eine Stiftung der Kunigunde. Auch enthal- ten alle acht Diplome Vermögensverfügungen direkter oder indirekter Art zugunsten der Kaiserin. Dabei betont der Kaiser vor allem den realen fleischlichen Charakter der ehelichen Beziehung zwischen den Gatten qui in Christo sumus una caro, was für die Formulierung durch einen Kanzleinotar doch zu persönlich klingt, denn das Bibelzitat hat man durchaus im Literalsinn verstanden und in einem Fall ist dies noch durch copu- latio, wenn auch divina copulatio, unterstrichen worden. Dies spricht dafür, daß Hein-

rich als diffamierend empfundenen Gerüchten entgegentreten wollte, wenn auch in

vorsichtiger Art für Kenner sprachlicher Feinheiten. Aber nicht nur über seine Ehe, sondern auch andere biographische Umstände oder seine besondere Verehrung für die Heiligen Mauritius und Benedikt hat sich Heinrich persönlich geäußert. Diese beson- dere Anteilnahme gilt deutschen Kirchen wie Magdeburg und Hildesheim, Aachen und Paderborn, Straßburg und auch Bamberg, in Italien ist nur Montecassino dem Kaiser ein Anliegen. In der Arenga von D 474, der Schenkung der Burg Rocca d'Evandro, formu- liert er in der Arenga, Benedikt habe er seit seit seiner Kindheit geliebt und seiner Für- sprache verdanke er mehrmals die Heilung von Krankheiten. Somit bestätigt Heinrich selbst die sachliche Richtigkeit der späteren Ausgestaltung in den Legenden und in der Chronik von Montecassino.

D H. 11.255, die Beilegung des Gandersheimer Streits zwischen Bernward von Hil- desheim und \Vrilligis von Mainz, ist als diplomatische Leistung des Kaisers selbst- auch in der Formulierung-anzusehen. Dies betrifft vor allem die Kritik an Willigis, aber auch die Selbstkritik Heinrichs mit dem Eingeständnis eigener Fehler. Das Diplom ist eben- falls wegen des Umstandes von Interesse, daß es sich hier um eine Neuausfertigung ei- ner verlorenen Urkunde handelt, die aufgrund der beim Empfänger angelegten Ab- schrift hergestellt werden konnte. Dies ist auch ein Hinweis darauf, daß die Reichs- kanzlei selbst keinerlei Unterlagen über die von ihr ausgefertigten Dokumente zur Ver- fügung hatte. Die Urkunde galt lange als Kriegsverlust, sie hat sich jedoch glücklicher- weise erhalten.

Es liegt auch nahe, in der rhetorischen Motivation der ersten Urkunden für die Aus-

stattung des neu gegründeten Bistums Bamberg, also in deren Arengen, zumindestens die Gedanken des Königs zu erkennen, falls man an eine textliche Vorgabe für die Stili-

sierung nicht denken möchte. Wenn man Heinrich aber die Formulierung der Aussagen

34 M. UHURZ: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Otto II. und Otto III., 2 (1954) S. 361 f. - M. UHURZ: Rechtsfragen in den Urkunden Kaiser Ottos III. In: I problemi comuni dell'Europa post-ca- rolingia. Spoleto 1955 (Settimane Spoleto 2), S. 241-244.

35 HOFFMANN (wie Anm. 33) S. 395 f.

73

Page 15: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 - Horst Enzensberger

über seine Ehe und andere persönliche Äußerungen zutraut, dann sollte man ihm auch einen direkten Einfluß auf die Begründung der Förderung Bambergs zugestehen. Die beiden ersten Urkunden, darunter die Schenkung von Hallstadt, die ein halbes Jahr vor dem Beschluß der Frankfurter Synode ausgestellt wurden, entwickeln den allgemein üblichen Gedanken des jenseitigen Nutzens irdischer\Vohltätigkeit zugunsten der Kir- chen, der in ähnlichem Wortlaut auch schon in früheren Urkunden für andere Empfän- ger - und auch noch später - vorkommt. �\Venn wir die Kirchen Gottes wiederherzu- stellen oder durch die Gabe irgendeiner Sache auszustatten uns bemühen, so haben wir keinen Zweifel daran, daß uns daraus der Vorteil eines Ausgleichs in der Ewigkeit er- wachsen wird. " So lautet die etwas ausgefeiltere Fassung von D 135. Dies muß nicht auf den König unmittelbar zurückgehen. In allen unter dem Datum des Synodalprotokolls

ausgestellten Diplomen und in späteren, insgesamt in 34 Urkunden für Bamberg, findet

sich die auch in den Codex Udalrici aufgenommene Arenga mit dem Initium Saluberri- mis igitursacri eloquii institutionibus, die als Mahnung derHeiligen Schrift das Bemühen um den Erwerb eines Platzes im Himmel aeterna co, rsistoria gegen Hingabe irdischer Güter und Nutzens erkennt und die Gründung des Bistums auf dem väterlichen Erbgut Bamberg somit als Befolgung göttlichen Gebots darstellt36. Hier ist die persönliche Be- teiligung gut vorstellbar. Biblisch weiter ausgearbeitet steht die Arenga auch in der fikti-

ven Urkunde Heinrichs - eine Zusammenfassung der zahlreichen Einzelurkunden des Bamberger Archivs -, die Adalbert in seine Vita Heinrici aufgenommen hat".

Auch in der Anwendung derArenga, die übrigens häufig fehlt, ist zunächst derAn-

schluß an die Tradition vor allem Ottos III. festzustellen, allerdings begünstigt durch die Tatsache, daß von den neun ältesten Diplomen mit Arenga sieben Bestätigungen von Vorurkunden mit wörtlichen Übernahmen sind. Der ersten eigenständigen Formu- lierung der Kanzlei Heinrichs im Diplom für das Stift Haug ist die Uberzeugung zu ent- nehmen, daß die Vermehrung kirchlichen Besitzes das regnum deutlich zu verlängern vermag und zur Gemeinschaft der Seele mit den Erwählten Gottes führt. Aufgegriffen wird dies in derselben Urkunde in einer bedingenden Klausel mit der Zweckbestimmung der Schenkung: quatinus pro nostra cottidie apud deum intercedant sospitate et regni nostri stabilitate atque pro salute anime dilecti quondam nostri nepotis dive memorie boni OT- TONIS imperatoris, also die tägliche Fürbitte um persönliche Wohlbehaltenheit, Stabi- lität der Königsherrschaft und das Seelenheil des Neffen, des guten Kaisers Otto. Die Erfüllung der Bitten der Untertanen um Beistand in ihren necessitates ist Ausübung der hergebrachten consuetudo vorangegangener Könige: den bewußt formulierten An- schluß an die Tradition der Herrscher finden wir als Motiv der Arenga in der schon er- wähnten Schenkung von Seligenstadt an den Würzburger Bischof. Konkrete Bezüge finden wir in den Diplomen für die Alte Kapelle zu Regensburg: 33 Si collapsa vetustate. Durch die Übertragung an Bamberg kamen auch diese Urkunden dorthin, sodaß Udal- rich diesen Text ebenfalls in seine Sammlung aufnehmen konnte. Auf die späteren Be-

36 Saluberrimis igitursacri eloquii institrrtionibus enrdimuretadmonemur, ist temporrlia relinquentes bona et terrena postponentes commoda aeterna etsinefinentansura in celisstrrdeamusadipisci consistoria. Quapropter nos dominicis non surdum auditrrns prebentes preceptis et deifcis obtemperando intendentes suasionibus ... quendam nostrae patentae hereditatis locum Babeuberc dictum in sedent et culmen episcopates sublimando provexitnus ... Andere Beispiele unter den Beilagen S. 80.

37 Diese Arbeit hätte man eigentlich von der Kanzlei erwarten können!

38 DD 26,28.

74

Page 16: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

ziehungen Bambergs zur Reichskanzlei einzugehen, wofür der Codex Udalrici ein Zeugnis ist, würde hier zu weit führen. Nicht immer handelt es sich in den Arengen um Gedankengut der Kanzlei: daß es allen Menschen von Gott zugestanden sei, nach Gut- dünken künftige Schätze anzuhäufen, wurde von einem Parteischreiber formuliert, als Heinrich dem KlosterTegernsee einen Hof in Regensburg, der Hauptstadt des Herzog-

tums, schenkte: Dum crnzctis ntortalibus a deo concessum sit secundum proprium arbitri- unt unitrscuiusque pro felicitate et spe mansura sibi praecavendo posse thesaurizarefutura bona, iccirco

... Damit genug des ideologischen Beiwerks von Urkunden. Die konkre-

ten Aussagen stehen in derDispositio, zu der die Pertinenzformel gehört, die ich nun an einigen Beispielen miteinander vergleichen will.

Zur Interpretation von Urkundenformeln

Viele Formeln sehen auf den ersten Blick gleichförmig aus, die Variationen scheinen bedeutungslos. Indes ist dies nicht so, wie am Beispiel der Pertinenzformel gezeigt wer- den soll. Diese Formel beschreibt die verschiedenen Bestandteile wie liegende und fah-

rende Habe sowie Hörige und Rechte, die zu einem verliehenen Besitz gehören. Dabei

werden in der Regel die örtlichen Besonderheiten berücksichtigt, wie sich besonders im Vergleich zeigt. Betrachten wir zwei in Bamberg im Jahre 1002 ausgestellten Urkunden

nebeneinander, die beide den Bischof von Würzburg als Beteiligten haben. Das erste Di-

plom betrifft die Übertragung der Abtei Seligenstadt an Bischof Heinrich, das zweite, auf Fürsprache des Würzburger Bischofs, die von Forchheim, Erlangen und Eggols- heim an das vor \Vürzburg gelegene Johannisstift (Stift Haug)39 - nach der Gründung des Bistums Bamberg mußte das Würzburger Stift für seinen Verzicht auf diese Schen- kung, die für die abgerundete Ausstattung von Bamberg benötigt wurde, entsprechend entschädigt werden, bevor der Forchheimer Güterkomplex tatsächlich an Bamberg übertragen werden konnte.

\\rie langfristig auch immer die Planungen für eine kirchliche Gründung in Bamberg gewesen sein mögen, 1002 kann davon noch keinesfalls die Rede sein, sonst hätte man Besitz in Forchheim, der für eine rationale Ausstattung Bambergs so naheliegend war, nicht an Würzburg übertragen dürfen. 1007 ist wohl die Absicht der Schenkung Forchheims zu datieren, beide Diplome tragen das Datum der Frankfurter Synode vom 1. November, von einer Realisierung kann aber zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein. Schon den Vorbemerkungen zu den DD 169 und 170 hätte jeder Leser entnehmen können, daß die materielle Herstellung beider Urkunden erst erheblich später erfolgte. Konsequenzen für die historische Deutung hat man bisher daraus jedoch nicht gezo- gen. D 169, die Schenkung der zum Königshof Forchheim gehörenden Ortschaften und Eigenleute, hat Ba 1, der erste �Bamberger" Schreiber, unter Verwendung des For- mulars für die Gründungsausstattung-wegen derNennung von Eberhards Nachfolger im Kanzleramt - frühestens 1009 niedergeschrieben. Auch die Übertragung des predi- um Forchheim nennt in der Rekognitionszeile den Kanzler Gunther, sie ist von Ba II, der von Mai 1009 bis November 1021 nachweisbar ist, gar erst nach 1017 niederge- schrieben worden, wenn auch unter Verwendung eines vorhandenen Blanketts aus der

39 Vgl. nunE, N'NoBÜNZ GründungsausstattungundGüterteilungdesWürzburgerKollegiatstiftesHaugim Spiegel der älteren Papsturkunden. In \\Türzburger Diözesangeschichtsblätte 57 (1995), S. 33-78, hier vor allem S. 35 ff. und die Karte auf S. 36. Forchheim war seit 976 Würzburger Besitz.

75

Page 17: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 " Horst Enzensberger

'Bistum Würzburg (Seligenstadt)

cum omnibus eidem abbatia epertinentibus in quibuscumque villis vel pagis sive territoriis et comitatibus, idest mobilibus et immobilibus,

servis et ancillis, ingenuis et fiscalinis, areis, aedificiis, agris, terris cultis et incultis, pratis,

pascuis sive compascuis, silvis, forestis, venationibits, vineis, vinetis,

aquis aquaruntque decursibus,

piscationibus, molendinis, viis et inviis,

exitibus et reditibus, qugsitis et inquirendis ac caeteris que quolibet modo vocaripossunt appendiciis et utensilibus.

Stift Haug (Forchheim, Erlangen ... )

... ipsam autem abbatiam et modo dictas villas et omnes villas sibi pertinentes cum ecclesiis, decimis, tributariis, servis et ancillis,

areis, aedificiis, terris cultis et incultis,

agris, pratis, campis, pascuis, silvis, venationibus apumque pascuis qug vulgo dicuntur cidaluiteidis, aquis aquarumque decursibus,

piscationibus, molendinis, viis, inviis,

exitibus sive reditibus tammodo quaesitis quam inquirendis

...

tres nostri iuris prespiteros cunt omni suppellectile eorum

Tabelle 1: Vergleich der Pertinenzformeln zwischen DD. H. 11.5 und 3

Feder des ED, der die Aktion von 1007 geleitet hatte, und in deutlicher Anlehnung an den Stil des Formulars. Ein geringerer zeitlicher Abstand zwischen Rechtsakt und schriftlicher Fixierung wäre nicht ungewöhnlich, hier handelt es sich um eine zu große Diskrepanz als daß sie nur durch die Verzögerung in den Arbeitsabläufen einer Kanzlei erklärt werden könnte. Für mich liegt folgende Deutung nahe: Da die Möglichkeit eines Widerrufs des früheren Privilegs für Würzburg durch den König offensichtlich nicht gegeben war und die Würzburger zu einem Verzicht nicht bereit waren und wohl Wider- stand leisteten, kamen die Dinge erst in Fluß, nachdem sich der Bamberger und der Würzburger Bischof auf einen Tausch geeinigt hatten, der vom Kaiser am 26. Oktober 1017 bestätigt wurde. Gaukönigshofen und Trennfeld, Besitz aus der zweiten Ausstat- tungsphase, wurden von Bamberg an \Vürzburg abgetreten, um Forchheim zu erhalten. Für die Beurkundung griff man auf das noch zur Verfügung stehende Material zurück - Pergament war teuer! - und hat damit auch den Zusammenhang mit der großen Grün- dungsausstattung von 1007 hergestellt. Auch wenn dies als Plan wohl zutreffen mag, so muß es meiner Meinung nach als unwahrscheinlich angesehen werden, daß Bamberg

vor 1017 tatsächlich in den Besitz von Forchheim kam. Man könnte allenfalls anneh-

76

Page 18: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

men, daß die Übertragung derjenigen Pertinenzen, die in der Hand des Königs geblie- ben waren, einige Zeit vor der Übertragung des Königshofes erfolgt ist. Der Tausch von 1017 diente nicht der Arrondierung des Forchheimer Besitzkomplexes, wie noch STÖR- MER 1996 angenommen hat, er schuf überhaupt erst die Voraussetzungen zur realen Durchführung der Schenkung.

Kehren wir zu den Pertinenzformeln zurück. In der Schenkung von Seligenstadt haben wir folgende Fassung:... in loco qui dicitur Selegonostat in pago Moinechgouue [in der darauf folgenden Angabe der Grafschaft fehlt der Name des Grafen in beiden über- lieferten Fassungen, die dafür frei gelassene Lücke läßt verschiedene Deutungen zu]" cum omnibus eidenm abbatiae I pertinentibus in quibuscunmgtte villis vel pagis sive territori- is et conzitatibus, idest nmobilibus et imnmobilibmts, servis et ancillis, ingenuis etfiscalinis, ar- eis, aedificiis, agris, 1 terris cultis et incultis, pratis, pascuis sive compascuis, silvis, forestis, venationibus, vineis, vinetis, aquisaquarumgttedecursibits, piscationibus, molendinis, viis et inviis, eritibmts et 1 reditibus, gugsitis et inquirendis ac caeteris qug quolibet modo vocari possunt appendiciis et mrtensilibus ...

Hier zeigt sich jedenfalls eine sachlich bedingte Gliederung der Liste, die zunächst den Besitz an anderen Orten generell einschließt, dann Fahrhabe und Liegenschaften

ebenfalls in allgemeiner Form nennt, bevor mit der Nennung der Personen in ihrer un- terschiedlichen Rechtsstellung die detaillierte Beschreibung der an die Wirtschaftsord- nung geknüpften Verhältnisse beginnt., wie wir sie schon aus der Lex Baiuvariorum kennen. Diese Leute benötigen Hofstatt und Gebäude für Wohnen und Wirtschaften, dann Äcker, bebautes und unbebautes (aber bebaubares) Land, Wiesen, Weiden oder Gemeinschaftsweiden, \Vald und Forst, Jagdrecht, Weinstöcke und Weinberge, ihren Anteil an stehenden und fließenden Gewässern, Fischerei, Mühlen, Wege und Unwege, Ausgänge und Zugänge, sowohl schon geschaffene als auch solche, die noch anzulegen (zu finden oder zu suchen) waren und als erneute Generalklausel was sonst noch an Zu-

gehör und Nutzbarkeiten genannt werden könnte. Etwas andere sozioökonomische Verhältnisse finden wir in der Forchheimer Ge-

gend, weshalb dort auch eine andere Zusammenstellung der Liste festzustellen ist:

... dedimus abbatiam Forecheim villasque Erlangon et Eggoluesheim appellatas adiacentes

in pago Ratintzgortui atque in comitatu Heinrici comitis sitas, ipsam autem abbatiam et modo dictasvillas et omnesvillassibi pertinentes cum ecclesiis, decimis, tributariis, servis et ancillis, areis, aedificiis, terris cultis et incttltis, agris, pratis, campis, pascuis, silvis, venatio- nibus apu nque pascuis que vulgo dicuntur cidaluiteidis, aquis aquarumque decursibus, piscationibus, molendinis, viis, inviis, exitibus sive reditibus tammodo quaesitis quam in- gttirendis prenonminatae sancti BaptistaeJohannis firnma traditione conferimus et de nostro iure in suum ins et don, ininn: ommnino tmansfundinuts ... Außerdem werden noch drei un- freie Priester mit ihrem Hausgerät übergeben, deren Namen in der Urkunde auf einer

40 WILHELM STÖRHER: Heinrichs II. Schenkungen an Bamberg: zur Topographie und Typologie des Königs- und bayerischen Herzogsguts um die Jahrtausendwende in Franken und Bayern. In: Deutsche Kö- nigspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Vierter Band: Pfalzen - Reichsgut-Königshöfe, hg. von LUTZ Fr st: E. Göttingen 1996, S. 377-408, bes. S. 384 f. Störmers Beitrag ist auch separat erschienen.

41 Derartige Lücken kommen auch in anderen Diplomen vor, sie nur mit Schlamperei oder Unkenntnis er- klären zu wollen, vereinfacht den Sachverhalt wohl zu stark.

77

Page 19: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 - Horst Enzensberger

ursprünglich freigelassenen Stelle nachgetragen wurden: Acemannum, Diothohran et Annonem.

Ein Unterschied liegt in der Übertragung von Kirchen mit kirchentypischen Ele- menten: Zehnt und Zinspflichtige. In der landwirtschaftlichen Struktur ist auf die Dif- ferenzierung von pratis und campis und das Fehlen von compasc uis und forestis hinzu-

weisen. Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen Weinbaue= im Falle Seligen- stadt und Bienenzucht im Forchheimer Gebiet, während Wasser- und Wegerechte bis

auf die verwendeten Konjunktionen wieder völlig übereinstimmen. Eine vereinfachte Zusammenstellung des Zubehörs wird im Formular für die Bam-

berger Ausstattung verwendet, das mit vicus, villa und ecclesia eingeleitet wird: auf re- gionale Unterschiede kann und will man im Weiteren nicht eingehen, daher fehlen die Angaben über die Art der Feldbewirtschaftung und die Weiderechte, dafür wird mit sa- gina die Nutzung des Waldes zur Mast ständig erwähnt, Wasserrechte werden nur mit aquis wiedergegeben, bei der Wassernutzung werden mola und molendinum genannt und mit der abschliessenden Klausel ceteris utilitatibus ... wird dann alles eingeschlos- sen, was nicht im Einzelnen aufgeführt ist. Diese stark verallgemeinerte Formulierung der Pertinenzen war notwendig, um ohne zeitraubende Ermittlung der konkreten Ver- hältnisse bei den einzelnen, territorial breit gestreuten Schenkungsobjekten fehlerhafte Angaben, die zu Widerspruch und Rechtsunsicherheit Anlaß gegeben hätten, von vor- neherein zu vermeiden. Wollte man mit STÖRMER die Existenz eines ottonischen Tafel- güterverzeichnisses postulieren, könnte man daraus für seine Beschaffenheit jedenfalls den Schluß ziehen, daß Angaben über die Besitzstruktur an den einzelnen Orten darin

wohl kaum enthalten gewesen sein dürften. Vielleicht hat es aberauch eine Kommission von sachverständigen Kennern gegeben; Spuren in der Überlieferung konnten bisher jedenfalls nicht ermittelt werden.

Schließlich noch wenige Beobachtungen zu anderen Teilen der Diplome. Am Schluß der Urkunde für Haug (D 3) wird auch der eigentliche Zweck der Schenkung bzw. die damit verbundene Auflage der ständigen Fürbitte genannt. An erster Stelle steht das ungestörte Wohl der Regierung Heinrichs, an zweiter das Seelenheil seines Vorgängers und Neffen Otto. Dies ist nun einerseits formelhaft, andererseits ist darin sicher auch die Überzeugung des Ausstellers vom tieferen Sinn seiner Handlungen zu erkennen.

Konkret deuten möchte ich auch, was in D 453 für Bamberg steht: qualiter nos pro remedio anime nostre antecessorumque nostrorum necnon pro salute dilectae coniugis no- strae Cunigunde videlicet imperatricis augustae. Neben dem Seelenheil des Kaisers und seiner Vorgänger wird die salus der Kaiserin genannt, also die körperliche Gesundheit, nicht die der Seele. Sollte nicht auch dies als ganzpersönliches Anliegen Heinrichs -und damit als seine Formulierung - zu verstehen sein?

Zusammenfassend lassen sich im Urkundenwesen Heinrichs II. Kontinuität und Wandel, Tradition und Fortschritt beobachten. Dies gilt zunächst für den persönlichen Anteil des Herrschers am Diktat seiner Urkunden. Hier geht Heinrich weit über das von Otto III. gesetzte Maß hinaus, findet darin allerdings keinen Nachfolger. Das gilt ferner für die Siegel, bei denen zunächst ottonische Vorbilderabgewandelt werden. Der auf dem

42 Wein wird auch in D 134, der Schenkung von Hallstadt an Bamberg, genannt.

78

Page 20: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

Throne sitzende König, nach der spätmittelalterlichen Bezeichnung von uns Majestäts- siegel genannt, greift das Vorbild des letzten Stempels Ottos III. auf, mit Heinrich wird dies zum Standardtyp des deutschen Herrschersiegels. Bei der Verwendung von Blei- bullen werden der Brauch des Vorgängers und byzantinische Traditionen übernommen, aber mit karolingischem Anspruch gefüllt. Der Bruch mit der ottonischen Tradition im Monogramm war wegen des anderen Namens unausweichlich, während im Titel keine Veränderungen eintraten. Die Differenzierung der Kanzlei nach deutschen und italieni- schen Empfängern konnte sich ebenso auf frühere Übung berufen wie die anfängliche Fortführung einer ungeteilten Organisation. Hinter den Veränderungen lassen sich po- litische Prinzipien erkennen, wenn auch nicht immer sehr deutlich.

Erwähnt werden sollte schließlich noch der Anteil der Kanzlei an Schriftstücken, die nicht eigentlich als Diplome Heinrichs H. angesehen werden können wie das Syn- odalprotokoll über die Gründung des Bistums Bamberg. Auf einem anderen Jubiläums- stück dieses Jahres, der Ostarichi-Urkunde, findet sich nicht das Siegel Ottos III., son- dern dasjenige Heinrichs - man sieht darin heute jedoch nicht mehr eine Bestätigung durch Heinrich, sondern nimmt an, daß dieses Siegel später an der Urkunde angebracht wurde, ohne daß man dafür einen Grund angeben könnte.

Daß seine Stiftungen für das Seelenheil von Erfolg gekrönt waren, darf man bei ei- nem Kaiser, der später heiliggesprochen wurde, doch wohl annehmen, aber auch das Ziel der Sicherung seiner memoria hat Heinrich II. erreicht, mag sie in Form unserer Ringvorlesung auch anders ausgefallen sein als er sich das hatte vorstellen können.

79

Page 21: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 - Horst Enzensberger

BEILAGEN

Aufbau Pertinenzformel43

vicis DD 134,144,145,146, usw

villis DD 134,144,145,146, usw, 242,335a

ecclesüs DD 3,22,144,145,146, usw:, 409

capellis DD 144, decimis D3

(rebus) mobilibus et immobilibus DD 2,5; 134,144,145,146, uswc

tributariis D3

mancipiis utriusque sexus DD 22,242,335 a+b, 409,453

familiis utriusque sexus DD 134,283

(x) servis etancillis, DD 3,5,144,145,146, usw ingenuis etfiscalinis D5

censualibus D 134

(x) areis ! DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw:, 242, 409,453

(x) aedifucüs DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw:, 242, 409,453

(X) agris DD 2,3,5,335a + b, 453

(x) terris cultis et incultis, , DD 2,3,5,134,144,145,146, usn:, 242,283, 409

cultis et incultis D 22,335a +b

(x) pratis , DD 2,3,5,22,134,242,335a+b, 409,453

campis D 3,335a+b

(x) pascuis 1 DD 2,3,22,134,242,335a+b, 409,453

sive compasauis DD 2,5,22,134

(x) silvis DD 3,5,22,134,144,145,146,242,335a + b, 453

silvaticis D 134, forestis (forestibus) DD 5,144,145,146, usw.,

saginis 1D 144,145,146, usw:

43 Die Tabelle ist nach der Reihenfolge in DD 5 und 3 angelegt - dort gemeinsames Vokabular mit (x) ge- kennzeichnet - und durch spätere Begriffe ergänzt.

80

Page 22: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

Heinrich II. und seine Urkunden

(X) venationibus DD 2,3,5,144,145,146, usw 242,335a + b,

vineis, D 5,134,409,453

vinetis, D5,134,453

(x) aquis aquarrmrque [-veJ deaersibus DD 2,3,5,22,134,242,283,335a + b, 453

aquis D 144,145,146, usw

(x) piscationibrrs DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw., 242, 283,335a + b, 453

(x) molendinis DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw, 242,

283,335a + b, 409

niolis D 134,144,145,146, usw.,

(x) viis et iýiviis DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw., 242, ( 283,335a + b, 453

(x) exitibus et jeditibus DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw., 242,

1 283,335a + b, 453

(x) quesitis et inquirendis DD 2,3,5,22,134,144,145,146, usw, 242,

_83,335a+b, 453

omnibus (ceteris) ... utilitatibus ... pertinentibus

DD 134,144,145,146, usw., 283,335a +b

quicquid in illis utilitati appendet D 22

utensilibus DD 453

ceteris ... appendicüs D2

Beispiele von Arengen

Si ratlonablles fidelium petitiones quas nobis pro suis necessitatibus innotuerint ad ef- fectum perzlucinurs et veterem regunr priorum consuetudinem exercemus alios ad fadeli-

tatenr nobis e_iliibendam incitamus. Proinde notum sit omnibus fzdelibus nostrispresentibus scilicet et ficturis qualiter ...

Si ad hocsumus intenti et desiderio pleni ut proprietates ecclesiarum dei de die in diem adaugmentemus regnum adhocnobis commissum diutiusprolongari et infuturo cum electis aninre nostrae renurnerari procul dubio scinnrs.

Ad hoc nos divine dispositionis providentia gratia et honore imperatoriae dignitatis sublimavit utquanto erga nossua exuberantberteftcia tanto ei gratius nostra servitus sit de- vota. Haec nos sollicita consideratione intuentes

... de bonis suis que nobis gratuite pietate

contulit sanctae site aecclesiae quanr ad gratiam et honorem nominis scci sub honore sancti

Si

Page 23: Historischer Verein Bamberg - mgh-bibliothek.de · Heinrich II. und seine Urkunden nen. Erfolg war dieser Fälschung allerdings nicht beschieden. Ein Fehler war es jeden- falls, das

BHVB 133 (1997) 61-82 " Horst Enzensberger

Petri apostolorum principis ex nostra hereditate in Babenberc ad episcopatum proveximus volumus esse munifici ne beneficiis eins umque appareamus ingrati.

Quamvis generaliter in omnes catholicaefidei cultores nos liberales et largos esse conve- niat, specialiter tarnen in dilcectissimam nostri coniugem Chunigundam scilicet imperatri- cem augustam, qui in Christo sumus una taro, nos liberalissimos et largissirrtos esse res ipsa et ratio compellit.

82