Historisches und Gegenwärtiges - · PDF fileDerwischtänze Historisches und Gegenwärtiges Der Sufismus hat verschiedene Methoden der dynamischen Meditation entwickelt. Eine hiervon

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  • Derwischtnze Historisches und Gegenwrtiges

    Denis E. Mete

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    Mich formte der Gefhrte mit Seinem feurigen Zustand mit solch einer Liebe im Sem.

    Er drehte mich herum wie einen kleinen Vogel. Wie ein ausgedrrter junger Mann,

    der drei Tage nichts gegessen hatte und Brot findet,fat er es, bricht und schlingt es hinunter

    - derartig war ich in Seiner Hand.

    ... wenn ein aufrichtiger Mensch zu tanzen beginnt,beginnen die sieben Himmel, die Erde und alle Geschpfe zu tanzen.

    Wenn ein Glubiger Muammeds im Osten tanztund einer Muammeds im Westen ist,

    so wird er ebenso tanzen und voller Freude sein.

    Schems-i Tabriz, Makalat, Nr 677 u. 678

    Deckblatt / Abbildung 1: sem-Drehtanz aus dem 40tgigen sem-Ritual, Yalova, Trkei, 2007

  • Derwischtnze Historisches und Gegenwrtiges

    Der Sufismus hat verschiedene Methoden der dynamischen Meditation entwickelt. Eine hiervon sind dieDerwischtnze, die als verstrkte Form des ikr-Gebetes erachtet werden. Das ikr-Gebet ist das Herzstckder sufischen Praxis und wird mit Gottesgedenken bersetzt. Es gibt zwei Hauptgruppen des ikr-Gebetes:den stimmhaften ikr, der Gottesnamen akustisch vernehmbar macht, oft mit gewissen Bewegungsablufenund starker Atmung verbunden, und den stillen ikr, der zumeist aus der inneren Bewegung des gedachtenGottesnamen resultiert und verstrkt in die kontemplativen Zustnde des Mystikers bergehen lt.

    Die ltesten Erwhnungen der Gebetstnze findet man bereits im 8.Jh. bei den Verteidigungsreden der Sufisentgegen der rein uerlich orientierten Gelehrtenwelt, die die Tnze als religis unlegitmiert erachteten.1

    Neben dem urn gilt die Prophetenberlieferung (hadith) als Kriterium der islmischen Rechtssprechung,die aber auch das ictihad, die selbststndige Analogieschlufindung, erlaubt und dies vor allem gegenberDingen, die weder im urn noch im Hadith zu finden sind. Das betraf auch die Derwischtnze. Die Sufisweisen eigene bermittlungswege bis zurck zum Propheten auf, die jedoch keine allgemeine Besttigungdurch die Orthodoxie erhlt.2 Die Riten wurden auch zu verschiedenen Zeiten verboten: Im OsmanischenReich zwischen 1666 und 1684 in der ra der salafitischen zdels,3 in Saudiarabien bei denWahabiten ab 1780 bis heute,4 in der Sowietunion bis zum Zusammenbruch des Regimes,5 oder in derTrkei offiziell seit Atatrk im Jahre 1925, als er die Derwischkonvente schlieen lie.

    Eine interessante Beschreibung der Derwischtanz-Kontroversen zur Zeit der zdels im OsmanischenReich erhalten wir von dem reisenden Literaten Evliy eleb (m.1683) bei der Beschreibung der StadtEdirne:6

    Desweiteren im Inneren der Stadt das Konvent des erhabenen eys Abdl dir el-Cln .....Jeden Freitag versammeln sich viele Tausende um das Geheimnsi Gottes Wissender (rif-i billh), die das Einheitsbekenntnis mit dem ikr (tevd tekr) vollziehen. Nach dem Gebet und derLobpreisung werden smtlichen Liebenden Gottes (u) Wohltaten erwiesen. Viele Male steinigtendie Gesetzesglubigen (ehl-i er) diese Leute mit Worten der Schmhung und Eifersucht, indem siesagten: tevd und ras (hier: ritualisierter tevd und {Gebets-} Tanz sind verboten (arm)!

    Derwischtnze Denis E. Mete Wien 2007 www.artmete.at

    _______________________________1 Das Sendschreiben al-Quayrs ber das Sufitum, Ab l-Qsim al-Quayr, bers. Richard Gramlich, Wiesbaden 1989, p 461-79.2 Islam asndan mzik ve sem, Sleyman Uluda, Istanbul 2005 (1976), p 66; sowie: risale-i huccetus-sem, Ismail Ankarav, in: Minhcul-Fukara, fakirlerin yolu, Istanbul 1996, p 365. 3 Sufi and Dissident in the ottoman empire, Niyz-i Mr (1618-1694), Derin Terzinolu, Cambridge 1999, p 106;4 Sufis and Anti-Sufis, Elisabeth Sirriyeh, Richmond 1999.5 Mystics and Comissars, Sufism in the Soviet Union, Alexandre Benningsen u. S.Enders Wimbush, London 1985, p 81.6 Edirne im 17.Jahrhundert nach Evliy eleb, Ein Beitrag zur Kenntnis der Osmanischen Stadt, Klaus Kreiser, Freiburg 1975, p111-2; (159 a)

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    Jene schwiegen und nderten ihr Zeremoniell (yn) in keiner Weise. Sie sprachen die koranischenVerse: Gedenkt unablssig Gottes! (urn 33:41); Ihr Glubigen! Wenn am Freitag zum Gebetgerufen wird, dann wendet euch mit Eifer dem Gedenken Gottes zu und lasst das Kaufgeschft! ( 52:9); Und du siehst die Engel auf allen Seiten den Thron umgeben, indem sie ihren Herrn lobpreisen. ( 34:75) Das Einheistbekenntnis ablegend drehen sie sich, als drehten sie sich um den Thron desErbarmers und vollziehen den reinen Kreistanz (sem-i saf). Sie befolgen da Zeremoniell der dirs.Wie oft auch von hchster Seite Verbote (wrtlich: Befehlsschreiben: emr-i erfler) eintrafen, so lieen sie sich davon nicht stren und ruhten keinen Augenblick im Rhmen der Einheit Gottes.

    Bezeichnend ist in diesem Bericht, dass die eigene Legitimierung der Derwische anhand von urnver-sen geschieht und diese sich in ihrer Praxis nicht behindern lassen.

    Die Bezeichnung sam oder sem, wrtl. hren, bezeichnet die Zusammenknfte der Sufis mit Tanz,Musik und Gottesanrufung. Sie sind bereits im 9.Jh in Bara und Badad geschichtlich belegt.7 DasZerreien der Kleider, welche in der Exstase Sitte war, wurde zum Anlass fr die Enstehung derFlickengewnder der Derwische.8 Mit der Verbindung der zentralasiatischen Kultur fanden auch zahlrei-che Trancetechniken Eingang in den Sufismus. Hoca Amed Yesev in orasan und ihm nachfolgend derBektaiya-Orden in Anatolien und Balkan legten auch groern Wert auf gemeinsame Gebetstnze vonFrauen und Mnnern, was aus einer Schwchung arabischer Traditionen zurck zufhren ist. In denBekta-Dorfgemeinschaften wird ein-zweimal pro Woche semah getanzt, bei den Mevlevs sind dieberhmten Drehtnze sem einmal wchentlich in Form der mukbele-Zeremonie in Anwendung. Diealvet, Rufa und adir- Derwischorden pflegen den kiyam-ikr, das stehende ikr-Gebet und auch dendevrn, den Gebetsreigen. Die Saads kennen wie die Sarmanen aus Afghanistan die Methode der gefro-renen Haltungen, die ein Derwisch stundenlang in ungewhnliche Haltungen verweilen lsst. DerWechsel der Haltungen kann aber auch in kurzen Einheiten getanzt werden. Es sind Positionen, die mitspezifischen Gottesnamen verbunden werden.

    Die musikalische Begleitung zur stimmhaften Gottesanrufung wird zumeist durch Mutrib-Musikgrupppenbegleitet. Es kommen Rahmentrommeln, Becken, Rebb-Stabgeigen, Ney-Rohrflten, Ud-Laute und Saz-Laute zum Einsatz. Die Gesnge beinhalten mystische Gedichte, die zuweilen in den freienGesangsimprovisationen whrend der Tnze rubato gesungen werden. Die rhythmischen Formen sindsogenannte Aksak-Rhythmen, hinkende Rhythmen, die auch die Begleitung zum stimmhaften ikr-Gebetbilden. Sie sind zentral in der dynamischen Entwicklung des Trancezustandes und pulsieren mit Atmungund der Bewegung des Krpers.

    Derwischtnze Denis E. Mete Wien 2007 www.artmete.at

    _______________________________7 Sufism, the formative period, Ahmet Karamustafa, Edinburgh 2007, p 1;sowie: Islam asndan mzik ve sem, Sleyman Uluda,Istanbul 2005, p 179; 8 A sufi rule for novices, Kitb db al-murdn, Abu Hafiz Suraward, bers. Menahem Milson, London 1975.

  • Mutrb. Sufimusiker, hier: Mevlev-Ney-Fltisten, Neyzen genannt, entnommen aus: Levn, Surnme, 1727.

    Das alles in diesen Seancen dient der Erweckung des Herzen und der Umleitung der Krfte der Triebseelein hhere Bahnen der Krper-Geistkonstitution. Wer seine Triebseele erkennt, erkennt Gott. ist einLeitwort unter den Sufis und beinhaltet die Aktivierung verborgener Krfte im Menschen, die jedoch nurunter strenger Kontrolle von Sufimeistern sinnvoll in neue Formen gegossen werden. In der Sufi-Sichthaben die Organe, Gelenke und Gliedmaen ebenso geistige Funktionen, die als Kommunikations-elemente in den Transformationsprozessen zu sprechen beginnen. Dieses Sprechen kann man auch inden Beschreibungen von Trance-Zustnde finden, worin halbmotorische Bewegungsablufe wie vonselbst die Gliedmaen im Gebetstanz bewegen lassen und somit in ihrer Dynamik auch eine eigeneSprache, als Gebrde, aufweisen. Es lt diese Anreihung von verschiedenen Bewegungsablufe ebensoals eine kosmische Sprache verstehen. Dass dies zum Ausdruck des Lebens selbst wird, hat der Begrnderdes Ordens der drehenden Derwische, der Mevlevs, Mevln Celaleddin-i Rm so ausgedrckt:

    Ein Zweig vom Himmelstanze ist nur aller Reigen auf Erden, und vom Seelentanze sind die Tnze des Lebens gleich Zweigen.Es hrte Gottes Urzeit-Ruf, tanzend ward es und berauscht, Nichtsein war es und wurde zum Sein.10

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    Kudm, Kesselpauken, die neben denRahmentrommeln in den Sufi-Zeremonien eine wichtige Rolle spielen.Whrend die Ney den Geist des Menschen reprsentiert, sind die KudmSymbol fr die physische Existenz desMenschen.

    Rebb, die Stabgeige, dasInstrument, dass MevlnCelaleddn-i Rm selbstgespielt hatte, wurde vorallem wegen seiner sphri-schen Klnge in denSeancen sehr geschtzt.

    Abbild. 2

    Abbild. 3

    Abbild. 4

    Derwischtnze Denis E. Mete Wien 2007 www.artmete.at

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    10 Dvn-i Kabr, Tehran 1957, Nr 1832. bersetzung: A.Schimmel,

  • In diesem Gedicht finden wir die Erwhnung, dass der Urklang zum Tanz geworden ist und somit dasGeschaffene ebenso in den Tanz gebracht hat - wenn nicht sogar aus dem Tanz heraus geschaffen worden ist.Der Anthroposoph Theodor Schwenk hat anhand von Organformen im Menschen und in Tieren vieleStudien dargelegt, worin er zeigt, dass signifikante Parallellen zwischen kanalisierten Energiestrmen undgegebenen Krperstrukturen existieren.11 Somit knnten wir auch das Wort fr Natu