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Lorenz Hofer Deutsches Seminar, Universität Basel "Exgüsi! – Easy!" Jugendliche Ausdrucksweisen in einer diglossischen Sprachsituation in einem mehrsprachigen Land – am Beispiel einer Stilisierung in einem Theaterstück von Jugendlichen Abstract: Sprachliche Erneuerungsprozesse zeigen sich bei der Jugendsprache besonders deutlich, auch wenn der unmittelbare Beitrag der Jugendlichen zum Sprachwandel oft überschätzt wird. In der Deutschschweiz sind die Anforderungen an, aber auch die Möglichkeiten für eine als aktuell empfundene Sprechweise vielfältig. Dieses Spannungsfeld wird zusätzlich zu bekannten Themen beherrscht von der Sprachpraxis der Diglossie und ihren Implikationen und einer Diskussion über die Kenntnis der Landessprachen. Unter der Perspektive der Jugendsprache ist daran interessant, wie unter den divergierenden Vorgaben ein synkretistisches und kreatives Patchwork entsteht, das eine hohe Flexibilität und Produktivität zeigt und das weit in die mediale Kultur hinein reicht. Anhand der Dialektfassung eines im Original englischen Theaterstücks über und für Jugendliche wird gezeigt, mit welchen Mitteln im dramatischen Rahmen eine Jugendsprache stilisiert wird, die es so im Alltag nicht gibt, die aber jugendliche Sprechweisen darstellen soll. Die Stilisierung führt zur Herausbildung einer eigenständigen Varietät, deren spezifische strukturelle Merkmale analysiert werden. Abstract: Young members of language communities are often considered as pacesetters of linguistic change. Even if the direct contribution of young people to language change is often overrated, there are many linguistic processes visible in young people's register associated with modernization and generation leaps. In German speaking Switzerland, the demands on speakers to use a language that is up-to-date are completely different. The situation may be adequately described by the metaphor of the Spannungsfeld („field of tension“). This Spannungsfeld is controlled by the diglossic language practice and its implications and by the issue of multilingualism. Under the perspective of the youth language it is interesting so see how a syncretistic and creative patchwork develops under the different, partly diverging guidelines. This patchwork is highly productive. On the basis of the dialect version of an originally English play about and for young people, it can be shown by which means a youth language is stylised in a dramatic framework. This youth language does not exist in everyday life, but it represents the manners of speaking of young people. The stylisation leads to the development of a variety of its own, the specific structural features of which are analysed. Ausgangslage: Dialekt und Diglossie Jugendsprache in der deutschsprachigen Schweiz: Sie wird nicht grundsätzlich anders sein als in Deutschland oder Frankreich, Italien oder Österreich. Aber sie entwickelt sich vor dem Hintergrund der bestehenden Sprachsituation und Sprachkultur. Diese unterscheidet sich in der deutschsprachigen Schweiz nennenswert von der deutschländischen oder französischen. Erstens durch die Tatsache der nationalstaatlichen und verfassungsmässig gewährleisteten

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Lorenz HoferDeutsches Seminar, Universität Basel

"Exgüsi! – Easy!" Jugendliche Ausdrucksweisen in einer diglossischen Sprachsituation in einem mehrsprachigen Land – am Beispiel einer Stilisierung in einem Theaterstück von Jugendlichen

Abstract: Sprachliche Erneuerungsprozesse zeigen sich bei der Jugendsprache besonders deutlich, auch wenn der unmittelbare Beitrag der Jugendlichen zum Sprachwandel oft überschätzt wird. In der Deutschschweiz sind die Anforderungen an, aber auch die Möglichkeiten für eine als aktuell empfundene Sprechweise vielfältig. Dieses Spannungsfeld wird zusätzlich zu bekannten Themen beherrscht von der Sprachpraxis der Diglossie und ihren Implikationen und einer Diskussion über die Kenntnis der Landessprachen. Unter der Perspektive der Jugendsprache ist daran interessant, wie unter den divergierenden Vorgaben ein synkretistisches und kreatives Patchwork entsteht, das eine hohe Flexibilität und Produktivität zeigt und das weit in die mediale Kultur hinein reicht. Anhand der Dialektfassung eines im Original englischen Theaterstücks über und für Jugendliche wird gezeigt, mit welchen Mitteln im dramatischen Rahmen eine Jugendsprache stilisiert wird, die es so im Alltag nicht gibt, die aber jugendliche Sprechweisen darstellen soll. Die Stilisierung führt zur Herausbildung einer eigenständigen Varietät, deren spezifische strukturelle Merkmale analysiert werden.

Abstract: Young members of language communities are often considered as pacesetters of linguistic change. Even if the direct contribution of young people to language change is often overrated, there are many linguistic processes visible in young people's register associated with modernization and generation leaps. In German speaking Switzerland, the demands on speakers to use a language that is up-to-date are completely different. The situation may be adequately described by the metaphor of the Spannungsfeld („field of tension“). This Spannungsfeld is controlled by the diglossic language practice and its implications and by the issue of multilingualism. Under the perspective of the youth language it is interesting so see how a syncretistic and creative patchwork develops under the different, partly diverging guidelines. This patchwork is highly productive. On the basis of the dialect version of an originally English play about and for young people, it can be shown by which means a youth language is stylised in a dramatic framework. This youth language does not exist in everyday life, but it represents the manners of speaking of young people. The stylisation leads to the development of a variety of its own, the specific structural features of which are analysed.

Ausgangslage: Dialekt und Diglossie

Jugendsprache in der deutschsprachigen Schweiz: Sie wird nicht grundsätzlich anders sein als in Deutschland oder Frankreich, Italien oder Österreich. Aber sie entwickelt sich vor dem Hintergrund der bestehenden Sprachsituation und Sprachkultur. Diese unterscheidet sich in der deutschsprachigen Schweiz nennenswert von der deutschländischen oder französischen. Erstens durch die Tatsache der nationalstaatlichen und verfassungsmässig gewährleisteten

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Mehrsprachigkeit, zweitens, und von einem sprachbiografischen Standpunkt aus gesehen grundlegend, durch die Diglossie. Neuland hat festgestellt, dass innerhalb von Deutschland Differenzen in der jugendsprachlichen Lexik festzustellen. Im dialektal geprägten Süden wird besonders deutlich, dass eine Jugendsprache, oder besser gesagt: ein jugendsprachliches Register richtig nur zu interpretieren ist vor der Tatsache, dass es parallel dazu ein Dialektregister gibt, das nichts mit Jugendsprache zu tun hat, sondern dessen sich SprecherInnen jeden Alters bedienen können. Bei Ehmanns Untersuchung von 1992 in Südostdeutschland wird man den Eindruck nicht ganz los, dass Fremd- und Eigeneinschätzung auseinanderklaffen, wenn es darum geht, Jugendsprache festzumachen: Die Aussensicht, d.h. die Sicht Ehmanns, tendiert dazu, das Untersuchte als Jugendsprache zu etikettieren (die Untersuchung von Jugendsprache ist ja auch das erklärte Ziel von Ehmanns Arbeit). Ehmann fragt die Jugendlichen auch entsprechend danach. Deren Antworten gehen jedoch eher in die Richtung, dass sie sagen, die sprächen einfach Dialekt, allenfalls mehr Dialekt als andere soziale Gruppen. Ihre Selbstinterpretation und sprachliche Identifikation verläuft offensichtlich eher über die Kategorie des Dialekts, nicht über die Kategorie der Jugendsprache. Dies dürfte kennzeichnend sein für Sprachsituationen, in denen dialektale Sprechweisen bei vielen sozialen Gruppen als Kommunikationsmittel eine wichtige Rolle spielen, wie im ganzen Süden des deutschen Sprachgebiets. Die Sprachsituation in diesem Süden ist inhomogen. In Lörrach etwa, ganz im Südwesten Deutschlands, findet man die Kontinuumssituation mit vielen starken DialektsprecherInnen, die sich sprachlich relativ frei zwischen Standard und Dialekt bewegen. Auf der andern Seite des Rheins, nur ein paar Kilometer entfernt in Basel, spricht eine grosse Mehrheit von SprecherInnen fast nur Dialekt und verwendet die Standardsprache nur für schriftlichkeitsnahe Kommunikation. Hier wird man kaum aus den Leuten herausbringen, sie selbst oder diese oder jene Person sprächen mehr oder weniger Dialekt, sondern sie werden von sich behaupten, sie sprächen Baseldeutsch, Berndeutsch, Zürichdeutsch, einen andern Dialekt oder ein Gemisch von verschiedenen Dialekten. Allenfalls unterscheiden sie zwischen echtem und verwaschenem Dialekt u.Ä. Es wird jedoch kaum jemand daran zweifeln, nicht einmal zweisprachige MigrantInnen der zweiten Generation, dass sie Dialekt sprechen und nicht Schriftdeutsch – so wird die Standardsprache nicht ohne Grund in der deutschsprachigen Schweiz oft bezeichnet. Die Sprachsituation der Diglossie mit ihrem hohen Stellenwert des Dialekts und seiner klaren Abgrenzung gegenüber der Standardsprache hat Auswirkungen auf die Stilistik des Sprechens und damit auch auf die Beschaffenheit von Gruppensprachen und deren Stilisierungsmöglichkeiten. Die geografische Fächerung und vor allem die Wahrnehmung der dialektalen Sprechweisen und ihrer Unterschiede ist in der dt. Schweiz sehr ausgeprägt, aber nur schwach

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sozial oder situativ markiert. Die Distanz zur Standardsprache hat also für die Alltagssprache keinen Markierungscharakter, sie ist in jedem Fall gegeben, und wenn sie nicht gegeben ist, so schliesst man daraus eher auf eine mangelnde Kompetenz des Sprechers, deutlich zwischen standardlichen und dialektalen Merkmalen unterscheiden zu können (z.B. Einleitung von Relativsätzen mit der, die, das statt mit dem Einheitsrelativpronomen wo). Und gerade eine solche mangelnde Kompetenz der Differenzierung zwischen Standard und Dialekt wird gerne jeweils der jüngeren Sprechergeneration zugeschrieben. Das gehört geradezu zum Stereotyp der Jugendsprache in der deutschsprachigen Schweiz: Dass sie eine Sprachvarietät ist, die sich von den traditionellen Dialekten entfernt, indem sie standardsprachliche, substandardliche deutschländische oder englische Varianten und Muster aufnimmt (z.B. Scheisse, ciaoi, fuck, shit, easy).

Ein Blick zurück …

kann Klarheit darüber verschaffen, inwiefern Ausdrucksweisen und Sprachverhalten, die früher als jugendsprachlich angesehen wurden, Eingang in die Alltagssprache verschiedenster Gruppen gefunden haben.Der Volkskundler und Lehrer Eduard Strübin hat in der Nordwestschweiz seit den Vierzigerjahren Beobachtungen zur Veränderung des Dialekts und insbesondere zur Sprache der Schüler gemacht und entsprechendes Material gesammelt. Er hat schon 1975 formuliert, was die Jugendspracheforschung später dann auch formuliert hat: Dass es Jugendsprache nicht gibt, sondern dass sie immer nur in actu konstituiert wirdStrübin fasst die „Eigentümlichkeiten jugendlicher Sprechweise“ in folgende vier Punkte:

"1. Die Lust am schöpferischen (auf gut deutsch: kreativen) Sprachspiel;2. die Freude am Starken, Schnellen, Lauten (an der Intensität); 3. der Hang zum Derben und Grobianischen; endlich, 1, 2 und 3 in sich schliessend, 4. das Übergewicht des Gefühls."

Das Material, das Strübin in der Folge ausbreitet, ist dann doch wieder weit stärker als man das auf Grund seiner programmatischen „Eigentümlichkeiten“ erwarten könnte, am Lexikon und dem phraseologischen Wortschatz orientiert. Wort- und Phrasenlisten mit Bedeutungserläuterungen gehören zum Standardinventar der Beschäftigung mit Jugend-, Schüler- und Studentensprache. Das Material von Strübin stammt aus der Zeit, in der ich im selben Dorf, in dem Strübin unterrichtete, zur Schule gehend, die Wörter, die er auflistet, hätte verwenden sollen. Vieles davon hatte ich nun aber gerade nicht von meinen MitschülerInnen aufgeschnappt, sondern von meinen Eltern. Es war also allenfalls die Sprache der mittleren Generation (die vielleicht gerne als „aufgeschlossen“ gelten wollte), mitnichten aber die Sprache der Jugend. Und es

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ist heute – jedenfalls in Restbeständen – eher die Sprache der älteren Generation – es ist immer noch die Sprache meiner Eltern. Also relativ wenig des Transitorischen, das der Jugendsprache immer wieder zugeschrieben wird, eher eine Sprechergeneration, die einmal gewisse Neuerungen geschaffen oder wenigstens übernommen hat, die sie dann bis ins Alter als Sprachhabitus mitnimmt.

Eine andere Beobachtung betrifft die Kleinräumigkeit. Vor etwa zehn Jahren tauchte in Basel die Interjektion tschöss auf, die häufig von jüngeren Sprechern verwendet wurde. Sie schaffte sogar den Sprung zum Adverb und kann ausserdem auch noch als Abschiedsgruss verwendet werden (als Variante von tschüss). Man konnte und kann in Basel also Sätze äussern sagen wie: Tschöss, isch das e geils Konzärt gsii! „Boah, war das ein geiles Konzert“. Oder: Das isch e tschöss guete Song! „Das ist ein echt guter Song“. Ausserhalb der Nordwestschweiz ist tschöss fast völlig unbekannt, die meisten von mir Befragten behaupten, es noch nie gehört zu haben. Die kleinräumige Verbreitung von Lexemen ist etwas sehr typisches für die traditionelle Dialektlandschaft der deutschsprachigen Schweiz, wie man sich leicht durch einen Blick in den Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) überzeugen kann. Solche kleinräumigen entwickeln sich auch heute immer noch, wie man am Beispiel von tschöss sehen kann.

Eine neue Entwicklung ist im Titel des Beitrages angesprochen und soll zum Hauptteil überleiten: Das englische Adjektiv easy ist vermutlich seit dem Film Easy Rider von 1969 relativ bekannt und ist mit der Bedeutung „leicht, locker“ nach und nach in den aktiven Wortschatz der jüngeren deutschsprachigen Sprecher übergegangen. In dem im Titel zitierten Gesprächsbeitragspaar wird es aber in einer neuen Art und Weise verwendet, nämlich als Routine-Element nach einer Entschuldigung (Das aus dem Französischen stammende Exgüsi! (aus Excusez) entspricht dem standardsprachlichen Entschuldigung oder Verzeihung). Als solches hat es den Zweck, die Entschuldigung anzunehmen und die Kommunikationssituation zu normalisieren. Dafür werden in der Regel im Schweizerdeutschen Ausdrücke wie macht nüt, scho rächt, scho guet, oder bitte. Nicht zufällig geht es bei diesem und dem vorangegangen Beispiel um Phänomene, die der Pragmatik zuzurechnen sind und damit Sprache in actu betreffen.

Die beschriebene Situation in der deutschsprachigen Schweiz hat Folgen nicht nur für die Herausbildung, sondern auch für die Stilisierung von Jugendsprache: Eine Stilisierung als Dialektalisierung ist nicht möglich, da alles immer schon Dialekt ist: Jugendliche stehen realistisch betrachtet nicht vor der Wahl, Dialekt zu sprechen oder Standardsprache. Es bleiben die Möglichkeiten der „Ethnisierung“ oder eine Erweiterung mit neuen, neu erfundenen oder für neu

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erfunden gehaltenen Elementen.Wirklich viel Neues kann auf der Ebene des Lexikons offenbar nicht eingebracht werden, das zeigen die Sammlungen, die genau das beweisen wollen: Ihre Dürftigkeit besteht darin, dass sie jeweils nur wenige neue lexikalische Morpheme präsentieren – oder gar keine: Affengeil, Oberaffengeil, so die Titel von zwei Jugendsprache-Lexika – und dann doch nicht, wie man hätte erwarten können, Oberaffentittengeil, sondern Voll konkret – das ein Produkt der Medienindustrie sein dürfte (vermutlich in die Welt gesetzt vom Comedy-Duo Dragan und Alder / Mundstuhl und durch das Radio und TV verbreitet). Warum das so ist, liegt auf der Hand: Man würde von einer (stilisierten) Jugendsprache, die viele neue lexikalische Morpheme braucht, nicht viel verstehen. Deshalb muss eine Stilisierung, die verstanden werden will, eher auf der semantischen oder dann aber auf der strukturellen Seite der Sprache ansetzen, bei Elementen, die hochredundant sind und nach kurzer Gewöhnung als Entsprechungen zu standardsprachlichen Varianten interpretiert werden. Die Rekombination von schon vorhandenen Strukturen bzw. Strukturinventaren und deren Bedeutungen ist nicht nur beim natürlichen Sprachwandel im engeren Sinne ein wichtiges Prinzip, sondern sie scheint es ebenso bei der Stilisierung bestimmter Sprechweisen zu sein.

Literarische Selbststilisierung

Was im Folgenden untersucht wird, ist eine literarische Selbststilisierung von mutmasslich jugendsprachlichen Ausdrucksweisen anhand eines dramatischen Textes, der von Jugendlichen aus dem Englischen übersetzt und aufgeführt wurde. Beim Text handelt es sich um das Stück Disco Pigs von 1996 des Iren Enda Walsh . Das Theaterstück wurde in Basel vom Jungen Theater Basel im Herbst 1998 aufgeführt. Diese Gruppe kennt eine in die Siebzigerjahre zurückreichende Tradition des Theaters mit Dialekttexten. Man geht offenbar davon aus, dass Dialekt besonders geeignet ist für Theaterstücke mit jugendspezifischem Inhalt und jugendlichem Publikum. Im dramatischen Prozess – Konzipieren, Schreiben, Übersetzen, Inszenieren, Proben, Aufführen, Rezipieren – geschehen viele stilisierende Umformungen und Reduktionen, sowohl inhaltlich als auch formal. Dazu gehört die Sprache als zentrales Element des Dramatischen. Im vorliegenden handelt es sich um eine Mischung von Selbst- und Fremdstilisierung, da Jugendliche Jugendliche spielen und da Jugendliche massgeblich an der Übersetzung des Stückes beteiligt waren. Aber Stilisierung wovon? Dazu bedarf es für den Inhalt des dramatischen Textes einer minimalen Inhaltsangabe:

„Disco Pigs“, das sind Schwein und Mücker [im englischen Original und in der Basler Übersetzung Pig und Runt], auf der wilden Jagd nach Leben im kalten Herzen der Nacht von Pork-City. Ohne Rücksicht auf Verluste prügelt, säuft und tanzt sich das

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Pärchen durch die Stadt. Sie sind König und Königin, denn sie feiern ihren 17. Geburtstag. Seit ihrer Geburt sind sie verschworene Freunde, sie haben ihre eigene Sprache, sie haben ihren eigenen Tanz. Aber die Dinge ändern sich, und Schwein spürt, daß er Mücker verliert. Ein neues Leben beginnt, und er muß um sie kämpfen. Am Ende des ersten Abends nehmen sie ein Taxi zum Meer und träumen sich davon. Das Ende der zweiten Nacht wird die Liebe bringen oder das Ende der Freundschaft der Unzertrennlichen.

Ein zweiter Punkt ist betrifft die Frage, welche Sprachform stilisiert und damit zur „eigenen Sprache“ wird. Ich interpretiere es vorläufig so, dass die Protagonisten eine stilisierte Sprache sprechen, deren Substrat das ist, was wir als Jugendsprache bezeichnen würden, also etwas zwischen Sprechstil und Varietät, ein inhomogenes Bündel vieler sprachlicher Merkmale, die bis weit in die Pragmatik hinein reichen. Diese Jugendsprache ist jedoch, wie alle Mündlichkeit in der deutschsprachigen Schweiz, stark lokal geprägt, und im vorliegenden Fall wird man die fragliche Stilisierung areal in Basel verorten und als eine Art von Baseldeutsch bezeichnen.Ich möchte anhand von Beispielen aus dem ins Baseldeutsche übersetzen Disco Pigs zeigen, welche Ausprägung die Sprache der Dramatis Personae durch die Stilisierungen erfährt. Die Beobachtungen sind in fünf Bereiche von auffälligen Texteigenschaften gegliedert – wobei die Kategorie des Auffälligen bewusst als weite Arbeitskategorie gewählt ist, die den Blick nicht zu sehr:

1. Lexikalische und phraseologische Texteigenschaften2. Morphologische, phonologische und phonetische Texteigenschaften3. Syntaktische Texteigenschaften4. Stereotyper Gebrauch von Varietäten zur Erzeugung von Distanz (u.Ä.) 5. „Textintensität“,formale und semantische Verdichtung und Verschiebung

(Tropen). (Dieser Punkt wird im Folgenden nicht weiter behandelt.)

(1) Lexikalische und Phraseologische Texteigenschaften

Eine erste Gruppe von Ausdrücken, die sich im Manuskript von Disco Pigs finden, bilden diejenigen, die die niedrigste Stilschicht des Sprechens über Sexualität und Körperfunktionen bilden: Sex, Verfick di „verfick dich“, Fick die ussm Wääg „fick dich aus dem Weg“, Ficker „Ficker“, Wixer „Wichser“, witerwixe „weiterwichsen“, foooock „fuck“, Sex im Schritt, geil; dann auch eine Reihe von Ausdrücken, die andere durch den Ersatz von Lauten „sexualisieren“: voll zum fotze („voll zum fotzen“ für „voll zum kotzen“), Schwanzflächi („Schwanzfläche“ für „Tanzfläche“). Schliesslich Intensivbildungen durch Reihung semantisch verwandter Morpheme: Scheiss-Piissräge „Scheisspissregen“. Diese Art der sprachlichen Produktivität ist als jugendsprachliches (Ad-hoc-)Verfahren bekannt und weiter nicht spektakulär. Interessanter ist eine zweite Gruppe von Ausdrücken: die englischen Wörter und

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englisch-deutsche Hybridbildungen. Es ist weniger ihre Frequenz als ihre Vielgestaltigkeit, die bemerkenswert ist. Das geht von namenartigen Bezeichnungen wie Mister Terminator und Bomber Girl über Interjektionen wie Surprise! Surprise! und Redemitteln wie Oooooooookeydokey bis zu hybriden Adjektivkomposita wie neuborn für „neugeboren“ oder Nominalkomposita wie Dräcksworld „Dreckswelt“. Aber auch ganze Phrasemstrukturen werden übernommmen und lexikalisch z.T. deutsch, z.T. englisch gefüllt, wie in slow’n’zart, das einem ähnlichen Muster wie etwa Rock’n’Roll folgt. Mit Zitatcharakter tauchen auch ganze englische Syntagmen auf, wie Lessgo Disco! „Let’s go (to the) disco“ oder Bang bang is the name offa game „Peng peng heist das Spiel“. Dann aber auch wieder solche mit deutschen und englischen Elementen wie Happy Boys, happy Girls imme Meer vo Happy Sound „glückliche Jungs, glückliche Mädels in einem Meer von glücklichem Sound“. Oder mit deutschem Kern und englischer lexikalischer Füllung: Yeah, desisches voll, yeah yeah, da real real Sound „Yeah, das ist es, yeah, yeah, der echt echte Sound“. An einigen Stellen wird die Funktion des Englischen als reines Stilelement vollends deutlich, wenn ein englischer Ausdruck offensichtlich dazu verwendet wird, eine Assonanz herzustellen wie im Folgenden: Dasch so gail! Vollstyle! „Das ist so geil! Vollstyle!“. Ähnlich auch in Nominalkomposita: Ficki-Face „Fick-Gesicht“. – Die Partikel easy, die im Titel des Beitrages angesprochen ist, findet sich im untersuchten Text auch, und die Bedeutung ist ebenfalls ähnlich wie bereits erwähnt: Problem glöös. Easy. In dieser Phrase also quasi eine pleonastische Wiederaufnahme des soeben Gesagten: Problem gelöst – kein Problem. Eine dritte Gruppe von Ausdrücken machen Verballhornungen bestehender Ausdrücke aus: Söilistation für Säuglingsstation, Sauespital für Frauespital „Frauenspital“, Faselstadt für Baselstadt, Faselland für Basel-Land. Aus Weyermann (dem Namen einer bekannten Schweizer Läuferin) wird Eyermann, Spott steht für Sport, hippidy häppidy Börfdei und häppy Bööfdei für Happy Birthday, sau-nit für au nit „auch nicht“, jessesmol für jedesmol „jedes Mal“, Schwanzflächi für Tanzflächi „Tanzfläche“, Furztag-Gschänk für Geburtstagsgschänk „Geburtstagsgeschenk“, Alle-naiv-Bäiz für Alternativbeiz „Alternativkneipe“ und schliesslich Fozzäidank für Gott sei Dank. Einige Phraseolexeme werden produktiv ummodelliert, so vo Kopf bis Fues „Kopf bis Fuss“, das zu vo Zopf bis Shoes wird, oder ein Merkspruch für die Abfolge der Nadelbewegungen beim Stricken, der traditionell lautet: iinestäche, umeschloo, duurezieh und aabelooh „hereinstechen, herumschlagen, durchziehen und hinunterlassen“ wird semantisch teilweise ins Feld der Nahrungsaufnahme transformiert und zu iinesuuge, umeschloh, durezieh und uuseloh. Sesam öffne dich wird zu Seeschlamm öffne dich. Andere Phrasen werden unverändert verwendet, so ruck-zuck, Zrugg an Absänder „zurück an den Absender“, Dä Schwanz iizieh „den Schwanz einziehen“.

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Sogenannt Kindersprachliches, also sprachliche Elemente, die für Kinder gedacht sind, ist ebenfalls zu finden: Mampfi mache für „essen“, Härdöpfelstock mit viil Soss „Kartoffelstock mit viel Sauce“ (dies weniger sprachliche als sachlich etwas, was Kindern gefällt), njam-njam, Luglug! Dä Muhmuh! „Schau schau, die Kuh!“. Und, damit verwandt, lautmalerische, z.T. reduplizierende Ausdrücke: Dätsch-daätsch-dätsch!, klitsch-klatsch, klitsch-klatsch, Pig da Knochbrächer: Knack, knack, knack „Pig der Knochenbrecher“ (zum Genus und den Flexionsmarkierungen s. unten), brösel, Pletz-fetz-los!Schliesslich finden sich auch Ausdrücke Neuschöpfungen bzw. Neu-Komposita snd: quiecki (Adjektiv, das nur einmal vorkommt und dessen Bedeutung sich nicht bestimmten lässt), dramadruurig „dramatraurig“, Siffhuen „Dreckhuhn“, Tänkzwärg „Denkzwerg“ und Tönder-Wumms (vermutlich als Bezeichnung für eine grosse, schwere Person).

Neben den beschriebenen phraseologischen und lexikalischen Besonderheiten enthält die baseldeutsche Übersetzung Ausdrücke, die zum allgemein bekannten jugendsprachlichen Inventar gehören: raffe „begreifen“, Frässi „Fresse“, Schtudiii „Student“, Tussi, Brätscher „wuchtiger Mensch“, abfackle „abfackeln“, ächte Kolleg „echter Kumpel“.

(2) Morphologische, phonologische und phonetische Texteigenschaften

Bemerkenswerter als die lexikalischen Texteigenschaften sind die morphologischen, phonologischen und phonetischen. Hier fällt zunächst einmal ins Auge, was typisch für kolloquiales Sprechen ist: Es gibt viele Assimilationen, Enklisen und Tilgungen von Lauten oder ganzen Silben: ’taaltoll „total toll“, ’taalschwach „total schwach“, ’tt kseit „hat gesagt“, Problem glös „Problem gelöst“, knausoschs „genau so ist es“. Einige dieser Merkmale gelten zudem als soziolektale Marker im Baseldeutschen, und zwar als Marker des traditionellen Unterschichtsdialekts des Kleinbasels, desjenigen Stadtteils rechts des Rheins, der seit dem 19. Jh. das Basler Einwanderungsquartier ist. Viele der vorkommenden Assimilationen, Enklisen und Tilgungen sind jedoch ungewöhnlich, vor allem die Tilgung von Phonemen zu Beginn von wortinitialen Wurzelmorphemen: anz für ganz, ich ii’s für ich bii’s „ich bin’s“, anz läi für ganz eläi „ganz allein“. Dies erinnert am ehesten an ein Stadium des Spracherwerbs, bei dem die Bildung von (initialen) Plosiven noch erschwert ist und deshalb häufig unterbleibt. Möglicherweise ist diese regressive Tendenz der Stilisierung intendiert und soll beim Zuhörer / Zuschauer die Konnotation des Kindlichen, Unbeholfenen hervorrufen – im Falle von „ganz allein“ liefe dies dem propositionalen Gehalt zumindest nicht zuwider. Aber auch der Ausfall von Konsonanten am Wortende ist in vielen Fällen ungewöhnlich, besonders bei Verben, die ja wesentliche grammatische Informationen am Wortende tragen: völlig verpenn für völlig verpennt, Problem

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glöös für Problem glööst „Problem gelöst“, findä Pig zum kotzä für findet Pig zum Kotze „findet Pig zum Kotzen“, bewee uns slow’n’zart für beweege uns slow’n’zart „bewegen uns langsam und zart“. Bei den letzten Beispielen handelt es sich um die Flexionsmarkierungen der Verben, bei bewegen sogar auch noch um den Stammauslaut, die weggefallen sind. Dies legt den Schluss nahe, dass es sich um eine Varietät handelt, die sich nun doch nicht nur in einigen lexikalischen Belangen von der unmarkierten Basler Varietät unterscheidet, sondern auch in grammatischer Hinsicht. Es gibt dafür weitere Indizien. So ist an vielen Stellen so etwas wie ein Einheitsgenus festzustellen, wenn der bestimmte Artikel steht: dä Meer für s Meer „das Meer“, dä Farb vo dä Liebi für d Farb vo dr Liebi „die Farbe der Liebe“, i dä Lädeli für i däm Lädeli bzw. im Lädeli „im dem / im Lädelchen“. In eine ähnliche Richtung gehen undurchsichtige Verbindungen von Präpositionen und Artikel, in denen das Genus oder die Definitheit nicht mehr klar zu erkennen ist: ufene Knopf für uf e Knopf oder auf dr Knopf „auf einen / den Knopf“; anene Bar für an ere Bar oder an der Bar „an einer / der Bar“. Das geht z.T. bis zum Weglassen des Determinators nach Präpositionen: an Meer für am Meer. Allerdings treten in unmittelbarer Nachbarschaft dann wieder analytische Formen auf (Präposition und und Determinator getrennt): An Meer! Zu dä nägscht Sunnenuntergang! also formal: „An Meer! Zu dem nächsten Sonnenuntergang“, obschon semantisch vermutlich zu verstehen ist: „An das / ans Meer! Zum / zu dem nächsten Sonnenuntergang“. Auch nicht flektierende Wortbildungsmorpheme werden modifiziert. Am prominentesten ist die Reduktion des Adjektivsuffixes –ig zu –i: wunzi, winzi, völli statt wunzig „winzig“, winzig „winzig“, völlig „völlig“.

Neben den verschiedenen Reduktionen ist ein gegenteiliges Phänomen zu beobachten, und zwar die Insertion von Morphemen. Es ist vor allem ein Morphem, das eingesetzt wird, und zwar in ganz verschiedenen funktionalen Kontexten. Es ist –ene bzw. –eni, je nach Kontext auch nur –ne oder –e. Eigentlichen Dummy-Charakter hat das Morphem in Ausdrücken wie sonene Glück „so ein Glück“, was regulär ja nur sone(s) Glück heisst. Nur –e finden wir in Bett „Bett“, das neu im Plural dann Bette heisst (statt Bett oder Better), dann auch, möglicherweise als Pluralmarkierung in ihreni für ihre (gewöhnlich in der 3. P. Sg. F und in der 3. P. Pl. gleichlautetend ihri) und öireni Methodene für öiri Methode „euere Methoden“. Hier wird auch deutlich, wie eine Funktionszuschreibung nur teilweise möglich ist. Im letztgenannten Fall kann man nicht von einer Pluralmarkierung sprechen in dem Sinne, dass damit eine neue, sich von einer vormals gleichlautenden Singular-Form unterscheidende Form geschaffen würde (wie bei ihri / ihreni). Die Funktion des –eni-Morphems besteht wohl eher auf einer lautlichen Harmonisierung mit Methodene. Ein zumindest vordergründiger Mangel an syntaktischer Funktionalität wird in den

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folgenden Beispielen deutlich: Hännnzene für hänn si „haben sie“; Wasene wänn dä sii?, Wännene sii wi Mami un Papi. Die Morphem-Insertion von –ene und ähnlichen Formen scheint damit auf der Ebene der Wortbildung weitgehend funktionslos und bedeutungsleer zu sein. Als Stilelement hat sie aber mit Sicherheit eine Funktion, auch wenn diese nicht ganz einfach anzugeben ist. Manche Rezipienten mag sie an das (Kinder-)Spiel erinnern, bei dem jede Sprechsilbe von Inhaltswötern mit einer zusätzlichen, konsonantisch gleichbleibend und vokalisch mit dem vorangegangenen Vokal harmonierenden Silbe angereichert wird, oder auch an sehr informelle und kindersprachliche Ausdrucksweisen wie waseliwas? „Was?, Was ist denn?“.

(3) Syntax

An einigen Stellen im Text von Disco Pigs fehlen neben dem Subjektspronomen syntaktisch relevante Verbmorpheme. So fehlt im Satz Wänn elleiloh sii für Wänn elleigloh sii „wollen alleingelassen werden“ das Partizipialmorphem g- „ge-“. Es finden sich auch Sätze ohne finites Verb: Ich sein dä Mama! statt Ich bi d Mama „Ich bin die Mama“ und solche ganz ohne Verb: Das nit ich, näi, näi, näi! statt Das bi nit ich, näi, näi, näi! „Das bin nicht, nein, nein, nein!“ Aber nicht nur solche foreigner-talk-ähnliche „Neuerungen“ finden sich, sondern auch Archaismen, nämlich tue „tun“ als Hilfsverb für die Bildung analytischer Konjunktivformen: Stell mol vor, dä Hächt tääti huunner Meter Bruschtschwimme uff dä alti Runt! statt zeitgemässer: … würdi hundert Meter … „Stell dir mal vor, dieser Hecht würde hundert Meter brustschwimmen auf Runt“ (als Metapher für den Koitus). – Und noch ein anders Beispiel, das auch abweichende snytaktische Eigenschaften zeigt: Will riisi Ruumschiffakete, fahr zu dä Kosmos uffe – un zu allene Funkel-Schtärnli – un oobe sitz i mini Unntertasche un lueg aaba uff dä gross, gross Blau statt Ich will e riisigi Ruumschiffrakete, fahr zum Kosmos uffe – und zu allne Funkel-Schtärnli – und oobe sitz i i mini Unntertasse un lueg aabe uff s grosse, groose Blau „Ich will eine riesige Raumschiffrakete, fahre zum Kosmos hinauf – und zu all en Funkel-Sternen – und oben setze ich mich in meine Untertasse und schaue herab auf das grosse, grosse Blau“. Hier sind gleich mehrere Elemente, von denen oben die Rede war, in einem Satz vereint.

(4) Stereotyper Gebrauch von Varietäten (zur Erzeugung von Distanz)

In der Literatur wurde der Bricolage-Charakter von jugendsprachlichen Ausdrucksweisen wiederholt hervorgehoben. Ein Realisierungsmuster dieser Bricolage ist der Einsatz von mehr oder weniger stereotypisierten Fremdvarietäten in zusammenhängenden Textpassagen – also nicht nur in Form von ganz kurzen Versatzstücken (Punkt 4). Konversationen mit mehreren Dialekten sind in der deutschsprachigen Schweiz absolut alltäglich und für die Beteiligten meistens unauffällig. Helen Christen hat dies auf die Formel des

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polylektalen Dialogs gebracht. Dies gilt jedoch nicht immer und überall. Gerade die jugendliche Peer-group-Kommunikation kann homogenisierenden Einfluss auf die Varietäten der Beteiligten haben. Umso mehr können Varietäten, die von derjenigen der Peer-group abweichen, markiert sein. D.h. auch, dass sie für bestimmte rhetorische Effekte und zur Symbolisierung von Distanz oder Rollen eingesetzt werden können. Im untersuchten Text lässt sich dies an der Stelle beobachten, als Pig und Runt spätnachts bei der Palace-Disco ankommen, dort aber mit einem Türsteher konfrontiert sind, der sie erst nicht einlässt. Der Türsteher wird von Runt gespielt. Dieser Türsteher spricht Berndeutsch, eine im Allgemeinen eigentlich neutral bis positiv konnotierte Varietät in der deutschsprachigen Schweiz.Nachstehend wird die entsprechende Passage aus dem Manuskript der baseldeutschen Übersetzung von Disco Pigs wiedergegeben:

Runt: Dä Pig sch fach viil z schlau für dä Tankzwärg! Dä Typ verzieht dä Frässi wie Härdöpfelschtock mit vrdruggt Ärbsli, lueg aabe uff dä Pig undä säit: „I gloube, du kennsch mi chline Brüetsch.“

Der Pig ist einfach viel zu schlau für diesen Denkzwerg! Der Typ verzieht die Fresse wie Kartoffelbrei mit zerdrückten Erbsen, schaut auf Pig runter und sagt: „Ich glaube, du kennst meinen kleinen Brüetsch“ (Bruder)

Pig: Di Brüetsch, wäsöttessii, Mister Terminator?

Deinen Brüetsch, was soll das sein, Mister Terminator?

Runt [als Türsteher]: Er het i däm Läädali i Chliihüünige gschaffet, wo d gloub o scho bisch gsii. Aber itz gaat er haut go schtämpfle.

Er hat in dem kleinen Laden in Kleinhüningen gearbeitet, wo du glaube ich auch schon gewesen bist. Aber jetzt gerade geht er stempeln (ist er arbeitslos).

Pig: Truurig, truurig, dramatruurig. Traurig, traurig, dramatraurig.Runt: Dä Runt lueg zue, wi di dä Vergangehäit – halli-hallo – dä Pig uff dä Schultere klopf. Läädeli? Schwäinhünige? Fuck.

Die Runt schaut zu, wie die Vergangenheit – halli-hallo – dem Pig auf die Schulter klopft. Kleiner Laden? Schweinhüningen? Fuck.

Pig: Ahjo! Dä Fuchsi! Kenn i, ächte Kolleg – so!

Ah ja! Der Fuchsi! Kenne ich, echter Kumpel – so!

Runt: Abba Mister Terminator, [sic] wäiss wär Pig isch.

Aber Mister Terminator weiss wer Pig ist.

Pig: Dä plassier sini riisi Schuufelhann uff mini Schädel unn säit:

Der platziert seine riesige Schaufelhand auf meinem Schädel und sagt:

Runt [als Türsteher]: Dä chlii Wichser gaat mer säuber uuf der Sack.

Dieser kleine Wichser geht mir tierisch auf den Keks.

Pig (Lacht.): Fozzäidank! (Beide lachen) (lacht): Fotzseidank! (Beide lachen)Runt [als Türsteher]: Exgüsee, i müessd de no s Koodwort haa.

Entschuldigung, ich müsste dann noch das Codewort haben.

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Pig: He? Was, Boss? Codewort? Codewort hesch gsäit, Kollega? Aha. Dä Codewort muesch höre.

Hä? Was, Boss? Codewort? Codewort hast du gesagt, Kumpel? Aha.

Runt [als Türsteher]: Du weisch doch: Was isch d Farb vo dr Liebi?

Du weisst doch: Was ist die Farbe der Liebe?

Pig: (Pause) Wassere Liebi? (Pause) Welche Liebe? Runt [als Türsteher]: D Liebi, wo du schpüürsch. … D Liebe, wo dr es soublöds Grinse vom einte n Ohr zum andere verpasset und wo dr im nächschte n Ougeblick dr Hals duureschniidt. [als Runt:] (Pause) Lueg übre zu dä Pig. Undä Pig schtoh do, knauso verloore do wi dä Runt. Mirzwäi zämme käi Ahnig, gäll? Mirzwäi anz läi uff dä Schtääge vo dä Palace mit Ficky Fuchsi sini Scheiss-Bruder. Ha dä Gfühl, Schtunde ticke numm fach vor sich hii (Nach einer Pause) Abba plösslich, dä Pig, wie vo ganz wit wäg:

Die Liebe, die du spürst. … Die Liebe, die dir ein saublödes Grinsen vom einen Ohr zum andern verpasst und die dir im nächsten Augenblick den Hals durchschneidet. (Pause) Schau rüber zu Pig. Und der Pig steht da, genauso verloren wie die Runt. Wir zwei zusammen keine Ahnung, gell? Wir zwei ganz allein auf der Treppe des Palace mit dem Scheiss-Bruder von Ficky Fuchsi. Habe das Gefühl, die Stunden ticken nur einfach vor sich hin (Nach einer Pause:) Aber plötzlich, der Pig, wie von ganz weit weg:

Pig: Blau. Blau sch dä Farb vo dä Liebi. Sch blau, oder?

Blau. Blau ist die Farbe der Liebe. S’ist blau, oder nicht?

Runt: Und dä Mister Terminator mit dä pinke Fliege wink mizzin gorillamässige Hand und quaak: Garderobe links!

Und der Mister Terminator mit der pinkfarbenen Fliege winkt mit seiner gorillamässigen Hand und quakt: Garderobe links!

Gleich zu Beginn der Äusserungen des Türstehers finden wir einige Marker, die auf westliches Schweizerdeutsch und auf Berndeutsch im Besonderen hindeuten: der [ou]-Diphthong in gloub „glaube“ und dann vor allem Brüetsch, das umgangssprachliche berndeutsche Wort für „Bruder“. Damit wird, entgegen dem Stereotyp, dass Berndeutsch gemütlich sei, die dramatisch gesehen negativ besetzte Figur des Türstehers eingeführt. Pig versteht den Türsteher zuerst gar nicht, als dieser von Brüetsch spricht. Die Distanz der Figuren wird hier durch eine sprachliche Distanz unterstrichen, die bis zum Nichtverstehen geht,. Abgesehen von allen Stereotypen und Assoziationen scheint die Verwendung des Berndeutschen hier primär einfach die Funktion zu haben, Distanz zu markieren.

Schluss

Welche Erkenntnisse lassen sich abschliessend anhand des analysierten dramatischen Textes über Jugendsprache im Allgemeinen und über Jugendsprache in der deutschsprachigen Schweiz formulieren? Die künstlerische Stilisierung jugendsprachlicher Sprechweisen lässt sich so

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weit treiben, dass eine Sprachvarietät mit einem „Eigenleben“ entsteht, die die regionalen jugendsprachlichen Merkmale deutlicher hervortreten lässt. Sie bildet keine bestehende Varietät ab und geht über den Sprechstil, die transitorische Gruppensprache, das Register oder den Situolekt hinaus. Das lässt sich auf der Parole-Ebene etwa daran ablesen, dass das Verständnis sowohl bei der ersten schriftlichen Lektüre als auch beim mündlichen Vortrag auch für einen nativen Alemannischsprecher (und –leser) erschwert ist. Auf der strukturellen Ebene ist das u.A. daran abzulesen, dass im Bereich der Morphologie bekannte Unterscheidungen verwischt werden (z.B. die Kategorie des Genus) und neue Elemente eingeführt werden (auf der Ebene der Wortbildung Morpheme, die in erster Linie stilistische Funktion haben). Als Basismerkmale dienen jedoch soziolektale und situative Merkmale der Substratvarietät (des Baseldeutschen), die mit grosser Konsequenz verwendet und weiterentwickelt werden.Angesichts jüngerer Entwicklungen im tatsächlichen Sprachgebrauch erstaunt es, dass sich im Text praktisch keine Anhaltspunkte für eine sprachliche Ethnisierung finden. Dies umso mehr, als das Milieu, in dem man sich das Drama von Pig und Runt vorstellt, auch in Basel sehr stark durch ethnische und linguistische Minderheiten geprägt ist: Italiener, Spanier, Ex-Jugoslawen, Türken. Es finden sich jedoch praktisch keine direkt erkennbaren Einflüsse der entsprechenden Sprachen, dagegen an einigen Stellen Merkmale, die typisch für Foreigner-Talk sind. Elemente der stereotypisierten Varietäten von Balkan- oder Türken-Slang (z.B. voll konkret, krass) sind nicht vorhanden. Französisch, zweite Landessprache und Sprache der unmittelbaren Umgebung von Basel, spielt überhaupt keine Rolle bei den sprachlichen Innovationen, die im analysierten Text anzutreffen sind. Dagegen sind Englisch und die deutsche Standardsprache die Quellvarietäten, die in erster Linie lexikalisches Material liefern. Für die isolierende, flexionsvermindernde Tendenz, die im untersuchten Text zu beobachten ist, kann man vielleicht das Englische als eine von verschiedenen möglichen Quellen sehen – allerdings gehört die Tendenz der Flexionsreduktion auch im Schweizerdeutschen zu den sprachistorischen Konstanten der Entwicklung. Das Verschwinden der Flexionsendungen des Verbs kann weiter auch als Grammatikalisierung von lernersprachlichen Fehlern angesehen werden.

Exgüsi! – Easy! heisst es im Titel dieses Beitrages. Beide Ausdrücke kommen im analysierten Theater-Text vor, wenn auch nicht in zwei aufeinander folgenden Turns wie im Titel. Der Titel entstammt jedoch einer Alltagsbegebenheit, die sich etwa zwei Jahre nach der Aufführung von Disco Pigs in Basel abgespielt hat: Ich entschuldigte mich mit Exgüsi! worauf die angesprochene Person – ein Student – die Entschuldigung mit Easy! annahm. Es ist vielleicht weniger die Frage, ob die Fiktion, in diesem Fall ein dramatischer

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Text, die Realität übertrifft (man kann vielleicht das Doing Youth so auffassen), als vielmehr die verwandte Frage, ob der künstlerische Ausdruck das Alltagsgeschehen vorwegnimmt, indem er verschiedene Elemente, die durchaus eine Basis im alltäglichen Sprachgeschehen haben, aufnimmt, kombiniert und erweitert. Anhand des analysierten Materials lässt sich diese Frage nur ansatzweise beantworten. Es lässt sich jedoch zeigen, dass die künstlerische Stilisierung der Jugendsprache nicht nur weit über die gängigen Klischees in den Medien hinausgeht, sondern – ausgehend von den Mitteln des lokalen Sprachgebrauchs – eine neue Jugendsprachwirklichkeit herstellen kann.

Literatur:

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Jugendlichen. Opladen.Ehmann, Hermann. 1992a. Affengeil: ein Lexikon der Jugendsprache. München.Ehmann, Hermann. 1996. Oberaffengeil: neues Lexikon der Jugendsprache. München.Ehmann, Hermann. 2001. Voll konkret: Das neueste Lexikon der Jugendsprache. München.GWDS. 2000. Duden: das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden.

Mannheim.Hengartner, Thomas. 1995. „Dialekteinschätzung zwischen Kantonsstereotyp und

Hörbeurteilung: Faktoren der Einschätzung schweizerdeutscher Dialekte“ In: Löffler, Heinrich (Hrsg.): Alemannische Dialektforschung: Bilanz und Perspektiven; Beiträge zur 11. Arbeitstagung alemannischer Dialektologen. Tübingen, Basel, 81-95.

Hofer, Lorenz. 1997. Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire: eine variationslinguistische Untersuchung am Beispiel des Baseldeutschen. Tübingen, Basel.

Jakob, Karlheinz. 1994. „Bedeutung der transitorischen Gruppensprachen für den Sprachwandel“ In: Löffler, Heinrich; Jakob, Karlheinz; Kelle, Bernhard (Hrsg.): Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich: Studien zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart; Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag. Berlin, New York, 197-207.

Junges Theater Basel. 1998. Disco Pigs (Baseldeutsche Übersetzung). MS, Basel. Neuland, Eva. 1998. „Vergleichende Beobachtungen zum Sprachgebrauch von Jugendlichen

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Neuland, Eva. 2001. „Doing Youth: zur medialen Konstruktion von Jugend und Jugendsprache“ In: Sprachreport 1, 5-10.

Neuland, Eva. Im Druck. „Subkulturelle Stile: Tendenzen der Substandardisierung in der deutschen Gegenwartssprache am Beispiel der „Quersprachigkeit“ von Jugendlichen“ In: List, Gudula; List, Günther (Hrsg.): Quersprachigkeit: Zum transkulturellen

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Registergebrauch in Laut- und Gebärdensprachen.Rampton, Ben. 1995. Crossing: Language and ethnicity among adolescents. London.Schlobinski, Peter; Kohl, Gaby; Ludewigt, Irmgard. 1993. Jugendsprache: Fiktion und

Wirklichkeit. Opladen.SDS: Sprachatlas der deutschen Schweiz; begründet von Heinrich Baumgartner und Rudolf

Hotzenköcherle; in Zusammenarbeit mit Konrad Lobeck, Robert Schläpfer, Rudolf Trüb und unter Mitwirkung von Paul Zinsli, hrsg. von Rudolf Hotzenköcherle; 8 Bände. (Hrsg.). 1962-1996. Bern.

Strübin, Eduard. 1944. „Strömungen in einer Stadtmundart“ In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 41, 226ff.

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