5
22 | Thema Frau Grundmann, in Kempten im Allgäu gibt es seit Ende 2016 ein Hotel, das ganz offensiv mit dem Slogan „Ein Ort ohne Barrieren“ wirbt. Finden Sie als Sachverständige für barrierefreies Bauen diesen Slogan für das Allgäu ART Hotel gerechtfertigt? Wenn ich kurz und knapp ant- worten darf: Wenn es ein Hotel gibt, auf das dieser Slogan zutrifft, dann ist es mit Sicherheit das Allgäu ART Hotel. Auf diese Frage gibt es ein klares Ja von mir. Was macht den Unterschied aus, wenn Sie dieses Hotel betreten? Was unterscheidet dieses Haus von anderen Hotels, die sich das Thema Barrierefrei- heit nicht auf die Fahnen geschrieben haben? Den Unterschied zu anderen Hotels erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält er zuverlässige und leicht nachvollziehbare Detailinfor- mationen. Unter der Rubrik Barriere- freiheit finden Sie ein PDF-Dokument, das visuell und technisch barrierefrei ist, so dass man es auch mit Screenreader lesen kann – und das in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Niederländisch. So kann sich jeder entsprechend seiner persönlichen Bedürfnisse informieren Im Allgäu gibt es seit einem Jahr ein Hotel, das für ein neues Verständnis von Barrierefreiheit steht: Barrierefreiheit bietet Komfort für alle und lässt sich mit anspruchsvollem Design verknüpfen. Ein Interview mit der Architektin Kornelia Grundmann, Sachverständige für barrierefreies Bauen und Inhaberin von gabana – Agentur für Barrierefreiheit. Hotel der Zukunft – barrierefrei und stylisch Interview: Irene Klein

Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

22 | Thema

Frau Grundmann, in Kempten im Allgäu gibt es seit Ende 2016 ein Hotel,das ganz offensiv mit dem Slogan „EinOrt ohne Barrieren“ wirbt. Finden Sie als Sachverständige für barrierefreiesBauen diesen Slogan für das Allgäu ARTHotel gerechtfertigt?

Wenn ich kurz und knapp ant -worten darf: Wenn es ein Hotel gibt, aufdas dieser Slogan zutrifft, dann ist es mitSicherheit das Allgäu ART Hotel. Aufdiese Frage gibt es ein klares Ja von mir.

Was macht den Unterschied aus,wenn Sie dieses Hotel betreten? Was unterscheidet dieses Haus von anderen

Hotels, die sich das Thema Barrierefrei-heit nicht auf die Fahnen geschriebenhaben?

Den Unterschied zu anderen Hotels erkennt der Gast bereits bei der Suchenach einem barrierefreien Hotel. Wenner auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält er zuverlässige undleicht nachvollziehbare Detailinfor -mationen. Unter der Rubrik Barriere -freiheit finden Sie ein PDF-Dokument,das visuell und technisch barrierefrei ist,so dass man es auch mit Screenreaderlesen kann – und das in drei Sprachen:Deutsch, Englisch und Niederländisch.So kann sich jeder entsprechend seinerpersönlichen Bedürfnisse informieren

Im Allgäu gibt es seit einem Jahr ein Hotel, das für ein neues Verständnis von Barrierefreiheit steht: Barrierefreiheit bietet Komfort für alle und lässt sich mit anspruchsvollem Design verknüpfen. Ein Interview mit der Architektin Kornelia Grundmann, Sachverständige für barrierefreies Bauen und Inhaberin von gabana – Agentur für Barrierefreiheit.

Hotel der Zukunft –barrierefreiund stylisch

Interview: Irene Klein

Page 2: Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

Sichtweisen 1-2.18 | 23

und, was ich für ganz wichtig halte, imVorfeld orientieren. Sie sehen, dass sich die Hoteldirektion viele Gedankengemacht hat.

Und wenn Sie das Hotel tatsächlich betreten?

Wenn Sie das Hotel betreten, gelan-gen Sie in eine attraktiv und harmonisch gestaltete Lobby mit viel Holz und vielWärme. Gästen mit Seheinschränkungwird ein taktiles Leitsystem vom Aller-feinsten geboten. Gegenüber der Rezep-tion finden Sie einen taktilen Plan desganzen Hauses. Auch auf jeder Etagegibt es taktile Pläne, um sich zu orientie-ren und die Zimmer zu finden. Es wirdaber auch persönliche Unterstützung angeboten durch eine blinde Mitarbei -terin – ich glaube, es ist die Masseurin,die für die Gäste da ist, um sie durch dasHaus zu führen.

Oft funktionieren Leitsysteme nicht lückenlos. Ist das im Allgäu ART Hotel anders, so dass der blinde oder seh -behinderte Gast den Weg vom Foyer insZimmer sicher findet?

Das Leitsystem führt nicht bis insZimmer, das wäre übertrieben. Aber die Orientierung ist gewährleistet. Sie werden durch die Eingangstür zur Rezeption geleitet, dann zum Aufzug.Wenn Sie oben aus dem Aufzug aus -steigen, stoßen Sie auf einen taktilenPlan, mit dessen Hilfe Sie sich orien -tieren können. Dann geht es weiter linksoder rechts in die Flure mit einem Handlauf, der taktil beschriftet ist undan den Zimmertüren die jeweilige Zimmernummer ebenfalls taktil anzeigt.

Sie selbst sind Rollstuhlnutzerin.Was ist für Sie das große Plus des Hauses?

Das große Plus ist natürlich dieSchwellenlosigkeit, die für mich Voraus-setzung ist, um mich frei in dem Haus bewegen zu können. An der Rezeptiongibt es einen unterfahrbaren Rezep -tionstisch. Links davon sind zwei barrierefreie WCs, die den Vorschriftenentsprechen. Es gibt zwölf Zimmer für Rollstuhlnutzer, die hervorragendausgestattet sind. Im Restaurant kommen Sie an das Büffet heran, kön-nen die Tische unterfahren, kommenraus auf die Terrasse, alles äußerst angenehm. Was mir aber genauso wich-tig ist: Die Innenarchitektur ist modern

Auf einem Sofa sitzend: KorneliaGrundmann in legerer Kleidungstützt ihr Kinn in eine Hand und lächelt dem Betrachter entgegen.

Page 3: Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

24 | Thema

Der Eingangsbereich des Allgäu ART Hotels: Rezeption und Fahrstühlesind mit Leitlinien erschlossen, dazwischen eine Wasserwand.

ist, ist das aber schwierig. Was die Fragewirtschaftlicher Vorteile betrifft, so machen die meisten Hoteliers leider den Fehler, dass sie denken: Was brin gen mir die zwei „Behinderten“?Dabei unterschätzen sie, dass sich ganze Fa milien, ganze Gruppen nach diesenein, zwei Menschen mit Einschränkung richten, wenn sie zum Beispiel ihren Urlaub, ihre Seminare oder Feiern pla-nen. Ein behinderter Mensch bringt oft mehrere nicht behinderte Menschenin ein Hotel. Wirtschaftlicher Vorteil?Ein klares Ja von mir.

Was immer wieder angeführt wird, ist, dass die Kosten zu hoch sind, dass barrierefreies Bauen zu teuer ist. Was istan dieser Behauptung dran?

und ansprechend, regel recht stylisch.Das zeigt, dass sich Barriere freiheit und gutes Design miteinander verbin-den lassen.

Der demografische Wandel ist in vollem Gange und macht Barriere -freiheit zu einer Notwendigkeit. Könnendaraus zum Beispiel für Betreiber einessolchen Hotels wirtschaftliche Vorteile er wachsen?

Den demografischen Wandelhaben wir längst hinter uns, wir steckenmitten im Prozess. Dass es eine zwin-gende Notwendigkeit gibt, barrierefreizu bauen, liegt auf der Hand. Wir werden älter und leben länger. Jederwill komfortabel in seinem Eigenheim bleiben. Wenn es nicht barrierefrei

Page 4: Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

Sichtweisen 1-2.18 | 25

Hotellounge mit bequemen Sofas, Stehlampen wie Bäumen, Teppichen wieBaumscheiben und im Hintergrund einer Fototapete, die einen Wald zeigt.

Wenn Sie die annähernde Perfek-tion wie im Allgäu ART Hotel erreichen wollen, müssen Sie natürlich Geld in die Hand nehmen. Da reden wir wirklichüber Kosten. Aber es gibt auch Lösun-gen, die nicht perfekt, aber gut sind und ganz viel Erleichterung bringen.Wenn wir über solche Lösungen sprechen, sind die Mehrkosten minimal.Wir reden heute nicht mehr darüber, ob ein Aufzug gebaut werden muss, das ist Standard, ob eine bodengleicheDusche gebaut werden muss, das istStandard. Vielleicht gehören Fernseher,die mit Sprachmodus bedienbar sind, in zwei, drei Jahren auch zum Standard.Die Diskussionen beziehen sich immernoch zu oft auf die Thematik Behin -derung. Dabei sollten wir uns besser am

Stand der Technik orientieren. Nein, wir reden nicht über Wahnsinns -summen, gewiss nicht.

Auch wenn es inzwischen sehr gelungene Beispiele für Barrierefreiheitgibt, bleibt das Image eher negativ.Woran liegt das? Und was kann man tun, um Barrierefreiheit aus der Behinderten-nische herauszuholen?

Die Schweizer sprechen von Hindernisfreiheit, die Engländer vonAccessi bility, also Zugänglichkeit, undwir haben das Wort Barrierefreiheit. So schlimm finde ich dieses Wort garnicht. Barrieren können manchmal garnicht so schlecht sein. Und Freiheit? Es gibt für mich kein schöneres Wort als Freiheit. Das Problem liegt meiner

Page 5: Hotel der Zukunft– barrierefrei und stylisch · erkennt der Gast bereits bei der Suche nach einem barrierefreien Hotel. Wenn er auf die Webseite des Allgäu ART Hotels geht, erhält

26 | Thema

Meinung nach in der Kommunikation.Barrierefreiheit lässt sich wunderbar alsKomfort für alle verkaufen. Das passiertaber viel zu selten. Stattdessen kommtman immer wieder auf die Behinderungzurück. Natürlich waren es Menschenmit Einschränkungen, die das Ganze ins Rollen gebracht haben, was ja auchgut ist. Man hätte sich in der Außen -dar stellung aber leichter getan, wennman die Thematik anders angegangenwäre. Ganz wichtig ist hier die Politik.Sie ist gefragt, um das Image von Barrierefreiheit mit Aufklärung, mitKampagnen zu verbessern. Es gibt Länder, in denen gar nicht mehr darüberdiskutiert wird. Bei uns dagegen erscheint es mir manchmal so, als wärenwir in einem Science-Fiction-Film. Dabeimuss barrierefreies Bauen so selbstver-ständlich werden wie das Zähneputzen.

Wie reagieren Fachleute auf ein Beispiel wie das Allgäu ART Hotel, dasBarrierefreiheit mit anspruchsvollem Design verknüpft? Können Sie bei Archi-tekten ein Umdenken beobachten?

Ja und nein. Es gibt Architekten und Planer, die sich gegen dieses Themasträuben. Auf der anderen Seite gibt es Finanzgeber, die Barrierefreiheit fordern. Dann sind die Architekten imGrunde gezwungen, es umzusetzen. Nur tun sie es nicht – das erlebe ich draußen. Vor einigen Wochen haben wir im Allgäu ART Hotel ein Seminar veranstaltet: „Das Hotel der Zukunft – flexibel und barrierefrei“. Am Endehaben mir Architekten aus Berlin gesagt:„Wow, dass das so stylisch ist und derMarkt so groß ist, das hätten wir nichtgeglaubt. Das müssen wir unseren Auftraggebern vermitteln.“ In der Tat:

Man muss den Leuten die Hemmungennehmen, ihnen die Vorteile aufzeigen.Planer und Architekten können sichobendrein einen Wettbewerbsvorteilverschaffen, indem sie das Fachwissen erwerben. Denn das ist der nächstePunkt: Wer das Richtige machen will,nämlich Barrierefreiheit umsetzen,macht es längst nicht immer richtig.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Leuchtturm-Projekte wie das Hotel im Allgäu realisieren zu können? Sie beraten die Bauwirt-schaft und Hotellerie in Deutschland,Österreich und der Schweiz. Welche Erfahrungen sammeln Sie dabei?

Als Erstes brauchen Sie diejenigen,die in der Barrierefreiheit einen Wertsehen. Investoren, die die Notwendig-keit er kennen, aber auch die wirtschaft -lichen Vorteile, die ein solches Hotel in sich birgt. Dann brauchen Sie ein entsprechendes Grundstück, einen Ort, an dem man das realisieren kann. DieInfra struktur und die Umgebung müssen passen, damit der Gast ver -weilen will. Und Sie brauchen natürlichdie Finan zierung. Diese drei Punktehalte ich für die wichtigsten Voraus -setzungen, um Leuchtturm- Projekte wiedas Allgäu ART Hotel zu realisieren. Undwas mich optimistisch stimmt: Ich weißvon einigen interes santen Projekten, die in Deutschland in Planung sind.

Die Agentur gabana im Internet: www.gabana.net

Kontakt Allgäu ART HotelTel.: 08 31 / 5 40-86 00, E-Mail: [email protected], www.allgaeuarthotel.de