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Jakob Weber VORWÄRTS Zu den Waffen I Am Montag früh erhielt Josef die Parole, um neun Uhr irrt Humboldthain zu sein. Auf dem Bahnsteig Tegeltraf .,er>auf Heller, Hilde, Kurt, Dutschke, Hannika undnoch ,":~inige andere Kollegen der Hennigsdorfer Betriebe, die (j~Tegel und Umgebung wohnten. Auf allen Mienen lag f~f9udige Erwartung. "Endlich geht's los!". Das war zu- ..'gleich Gruß und Extrakt aller Erörterungen. Der Matrose Kurt lief unruhig hin und her; er schien ungeheuer, auf- ~<;~egt. Die Genossen wurden sich schnell darüber einig,.: daß man sie im Betrieb nicht mehr nötig hatte, daß' keinei' ~rifeuernden Reden notwendig sein würden, um die Hell- higsdorfer zum, Generalstreik, zu bewegen. Im Humboldthain vereinigten sie sich mit fast zwei- fiün.d~ttKollegen. Mit' Gesang ging es durch die Müller- ul1.e! Chausseestraße in die Stadt hinein. ' Di6fürdie Vormittagszeitstarke Belebung den Stra- ßen ließ erkennen, daß ein Großteil der Arbeiterschaft des Nordens den Generalstreik schon begonnen hatte, ohne die' Betriebe aufzusuchen und Beschlüsse abzuwarten. Vielfach waren die Fassaden der grauen Häuser mit roten Fahnen, geschmückt. . Das weite Rund des Alexanderplatzes wimmelte, von Menschen, die Einmündungen der' Zugangsstraßen waren von diskutierenden A.nsammlungen fast verstopft. Last-' kraftwagen, mit Arb~itern besetzt, überquerten den Platz, in der Richtung zum Präsidium, andere kamen mit be- waffneten Arbeitern von dort zurück. Zu Zweierreihen 117

HUde Steinerciml.250x.com/archive/literature/german/weber_vorwaerts.pdfhalb jagt ihr die Schlappschwänze, die Verrat mit Ver-handlungsbereitschaft drapieren, nicht zum Teufel?" Kurt

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Jakob Weber

VORWÄRTS

Zu den Waffen I

Am Montag früh erhielt Josef die Parole, um neun Uhrirrt Humboldthain zu sein. Auf dem Bahnsteig Tegeltraf

.,er>auf Heller, Hilde, Kurt, Dutschke, Hannika undnoch,":~inige andere Kollegen der Hennigsdorfer Betriebe, die(j~Tegel und Umgebung wohnten. Auf allen Mienen lag

f~f9udige Erwartung. "Endlich geht's los!". Das war zu-..'gleich Gruß und Extrakt aller Erörterungen. Der Matrose

Kurt lief unruhig hin und her; er schien ungeheuer, auf-~<;~egt. Die Genossen wurden sich schnell darüber einig,.:daß man sie im Betrieb nicht mehr nötig hatte, daß' keinei'~rifeuernden Reden notwendig sein würden, um die Hell-higsdorfer zum, Generalstreik, zu bewegen.

Im Humboldthain vereinigten sie sich mit fast zwei-fiün.d~ttKollegen. Mit' Gesang ging es durch die Müller-ul1.e! Chausseestraße in die Stadt hinein. '

Di6fürdie Vormittagszeitstarke Belebung den Stra-ßen ließ erkennen, daß ein Großteil der Arbeiterschaftdes Nordens den Generalstreik schon begonnen hatte,ohne die' Betriebe aufzusuchen und Beschlüsse abzuwarten.Vielfach waren die Fassaden der grauen Häuser mit rotenFahnen, geschmückt. .

Das weite Rund des Alexanderplatzes wimmelte, vonMenschen, die Einmündungen der' Zugangsstraßen warenvon diskutierenden A.nsammlungen fast verstopft. Last-'kraftwagen, mit Arb~itern besetzt, überquerten den Platz,in der Richtung zum Präsidium, andere kamen mit be-waffneten Arbeitern von dort zurück. Zu Zweierreihen

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mußten die Hennigsdorfer sich durch die jubelnde Mengedrängen, die das Portal umlagerte. An bewaffneten Postenvorbei ging es in den engen quadratischen Lichthof, ausdessen Hintergrund zwei schußbereite MGs den Eingangschützten. Lautes Stimmengewirr von Kommandorufen.

Heller, der Leiter der Hennigsdorfer Kampfgruppe,verschwand, kam bald zurück und führte die Genossenin einen Keller. Name, Betrieb und Wohnort wurdennotiert, und jeder erhielt aus dem reich gefüllten Waffen-vorrat ein Gewehr. Wieder im Lichthof, atmete Heller,erleichtert auf. "Jetzt geht also der Aufstand endlich los!"sagte er zu Kurt. Aus seinen dunklen Augen strahlteZuversicht. "In Reihen zu vieren marsch." Wieder gingdas schwere Gittertor weit auf. Mit kurzen, aber festenSchritten bahnten sich die Kampfgefährten durch diefreudig winkende Menge ihre Bahn. Der Matrose Kurt~etzte,sich mit ein paar Sätzen an die Spitze. Er schwenkteeine kleine rote Fahne. "Wacht auf, Verdammte dieserErde!':

Nach dem Einbiegen in die Lindenstraße eilten vom:Belle-Alliance-Platz her kleine Gruppen von Arbeiternund Arbeiterinnen den Kolonnen entgegen, überall wur-.den Fenster geöffnet. Von weit her kam Gesang. "Halt!",kommandierte Heller. Sie befanden sich vor einem brei-ten Geschäftsgebäude. Zwischen mit Stuck markiertenQuadern stand in großen Buchstaben: VORWÄRTS.Heller eilte in das Haus, um nach einigen Minuten imersten Stock am Erker zu erscheinen. Aus den Seiten-fenstern ragten drohend die Läufe schwerer MGs. "Kommtherein!" rief ervund Kurt kommandierte: "Links um, mirnach,"

Im ersten Hof wurden die Hennigsdorfer von Ange-hörigen mehrerer Betriebsgruppen lebhaft begrüßt. Hellerwar wieder da, um sie in einen großen Saal zu führen.An langen Tischen ließen sie sich nieder. Vor und neben

, ,Wandregalen standen einzelne Pritschen, für die anderen

Besatzungsmitglieder lagen Strohsäcke und Strohbünde1bereit. Noch ein Nebenraum wurde den Hennigsdorfernzugewiesen. Arbeiter strömten herein, man machte sichmiteinander bekannt.

Spärliches Licht glühte auf, Heller kam. Er sprach inernstem Ton. "Von zwölf Uhr nachts an übernehmen wirdie Wachen. Und morgen früh werden wir getrennt. EinTeil von uns kommt vielleicht zu Büxenstein, eine GruppeZur Druckerei der ,Roten Fahne'." Kurt lachte. "Dasmacht doch nichts. Dafür sind wir rote Soldaten."

Als das frühe Tageslicht in die breiten Hofschächteeindrang, begann im ersten Hof ein Motor zu brummen;Fehlzündungen mischten sich wie Schüsse in das Rumo-ren, das bald in regelmäßigen Rhythmus überging. Nach-einander wurden Fenster hell, das Geklapper von Stiefelntönte, Gestalten tauchten auf. "Fertig machen!" schalltees vom Wagen herunter. Etwa zwanzig Männer stiegenauf. Während der erste ausfuhr, kam aus dem Durchgangein zweiter Wagen, der mit einem MG bestückt war. Hin-ter dem Fahrerstand gewahrte Josef den Genossen Heller.Der schwarze, gestutzte Schnurrbart und die dichtenAugenbrauen gaben dem Gesicht einen finsteren Aus-druck, doch seine Stimme war gelassen und verriet Freude."Kommt herauf! Ich bringe euch zur ,Roten Fahne'.'"

Von irgendwoher hallte fern ein Schuß, und noch einer.Die Genossen sahen sich an und liefen auseinander, jederin sein Revier.

Am Spätnachmittag drangen erneut Gesang und Hoch-rufe von Demonstrationen in die Höfe und das Haus.Delegationen kamen, Mitglieder der Besatzung eilten hin-aus; freudige Begrüßungen wurden ausgetauscht. Ver-einzelt trennten sich Männer von den Demonstranten;um sich der Besatzung anzuschließen. Bis in den spätenAbend schallten von nah und fern die Weisen von Ar,beiterliedern. Bald kündeten Schüsse, deren Herkunft nurvermutet werden konnte, den Beginn neuer Kämpfe an.'

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Es wurde Nacht, Kundschafter ineldeten,daß ein Pan-zerwagen in Anfahrt war; es erging der Befehl Zur Bereit-schaft. Josef Reber wurde der Bemannung der MGs ime:sten St.ock zugeteilt. Sie waren auf Tischen 'gelagert,die Gardinen waren zur Seite gerafft. Am Boden standendie offenen Kästen mit Patronengurten.

Das Licht verlosch, unten knarrte das Gittertor. DieStraße war völlig vereinsamt. Vor fast allen Wohnungender gegenüberliegenden Häuser waren die Läden ~nd Ja-lousien heruntergelassen, nur aus vereinzelten Etagen-fenstern stahl sich Lichtschein. Ein gedämpfter Ruf wurdelaut: "Sie kommen!" Die Schützen machten sich feuer-bereit ; aber es kam die Anweisung, nur auf besonderenBefehl in den Kampf einzugreifen. An der Ecke des Belle-Alliance-Platzes blitzten Mündungsfeuer auf, Schüsse ver-hallten, unten aus dem Hause wurde geantwortet. Ein nochunförmig scheinender Schatten tauchte auf; ein Panzer-wagen, klobig und eckig wie ein Wagen der Müllabfuhr,bog in die Lindenstraße ein. Auf Augenblicke schobenJosefund seine Genossen die Gesichter dicht an die Scheiben.'

Sie sahen, wie in dem Augenblick, da der Panzerfeuernd das Haus erreichte, unten eine Gestalt pfeilschnellZur Bürgersteigkante vorsprang. Und schon erfolgte eineschwere Detonation; ein greller Lichtschein erhellte aufSekundenbruchteile die Straße. Das Feuer, aus dem Pan-zer schwieg. Eine geballte Ladung, direkt unter die Motor-haube geschleudert, hatte ihn kampfunfähig gemacht.;Wie ein ausgedienter Straßenbahnwagen hurnpelte erunter lautem Hallo' weiter.

"Feuer!" klang es von unten herauf. Die Soldaten, diedem Panzer, durch dessen Feuer gedeckt, gefolgt waren,zogen sich zurück. Etliche versuchten sich an den Haus-wänden unsichtbar zu machen, mußten aber weichen.Das MG, an dem Josef saß, das die Straßeneinmündu,ngbeherrschte, trieb sie zur Eile an_i taumelnd verschwan-den die letzten um die Ecken.

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,Aufdie Verfolgung des Feindes wurde verzichtet; denn

die Kampfleitung vermutete, daß der Panzer vorgeschicktwar, um den "Vorwärts" zu blockieren und damit einenAngriff auf die Druckerei der "Roten Fahne" zu sichern.Kundschafter bestätigten, daß das Panzerkommandosehrschwach war und die Besatzung der "Roten Fahne': nochhartnäckiger im Kampf stehe.

Sofort gingen zwei vollbesetzte Wagen zum Entsatz ab.

HUde Steiner

Trotz des lärmenden Getriebes von roten Soldaten,lauten Kommandos und Lastwagen schlief Josef nach derBefreiung der "Roten Fahne" noch am Mittag wie ineiner Narkose. Wieder einmal schwangen sich Hochrufeund Gesang von draußen herein. Heinrich Reber undGöschke kamen, wurden freudig begrüßt und umringt.Sie rühmten sich, daß die Hennigsdorfer tagtäglich zuTausenden auf der Straße wären, wurden aber dadurchin eine Diskussion über den Sinn und Zweck verwickelt,den diese unablässig andauernden Kundgebungen habensollten. "Warum greift ihr nicht in den Kampf ein? Wes-halb jagt ihr die Schlappschwänze, die Verrat mit Ver-handlungsbereitschaft drapieren, nicht zum Teufel?" Kurtdrängte sich zu Heinrich vor. "Wenn ein Generalstreiklänger als acht Tage dauert, geht alles drunter und drü-ber; das ist dann Wasser auf die Mühlen der Reaktion!"

Heinrich vertrat die Ansicht, daß die Regierung ZumNachgeben eben durch den gewaltigen Streik gezwungenwerde. Eine kleine Frau pflanzte sich vor Heinrich auf:""Sie hält euch zum Narren, um Zeit zu gewinnen. l\mersten Tage Verhandlungen anbieten, das ist Verrat!",Die Sprecherin war HUde Steiner aus einer anderen Be-'triebsgruppe. Göschke kannte sie aus der Bewegung undmusterte sie jetzt etwas abschätzig: ihre stolze Haltung,das Koppel mit der Patronentasche und die blaue Schirm-

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mütze.vuriterder-ein paar schwarze Locken hervorquollen."Was machst du denn hier?" " , ' ,. ,)ch schieße mit dem MG-vorläufig blind!" antwortete,

SIe, und -Kurt ergänzte schmunzelnd: "Bilde ist in Ord-nung!" Da ging Göschke zu einem anderen Thema über., Josef drängte sich zu Heinrich durch. Die erste Frage an

d~n Bruder war, ob er etwas zu essen mitgebracht habe.DIe Aktentaschen' der beiden Funktionäre waren prallvoll.. ~ährend Hilde sich an der Ausgabe der Päckchenbet~lhgte, gab Heinrich bekannt, daß eine große Sammel-aktl~n im ?ange sei, dann setzte er sich mit Josef einwemg abseits, Bald nötigte Göschke zum Aufbruch. Hildefolgte Göschke und den beiden Brüdern nach draußen.Auf dem .Weg~ ..ber.ichtete Heinrich, wie Nosketruppena~derUmve~slta~ die Straße Unter den Linden gesäuberthatten. Dabei ware unter anderem ,ein Arbeiter fest-genomm.enworden, der gerufen haben sollte: "Nieder mitder Regierung!" Er hatte sich gegen die Verhaftung ge-wehrt und war zu Boden gestürzt. Der Soldat setzte ihm:den Gewehrlauf auf die Brust und fragte ihn: "Hast dugerufen oder nicht?" Auf das laute "Nein!" drückte de~Soldat ab, trat gelassen zu seinem Feldwebel heran, Um!

z~ melden: "Der Spartakist ist mit einer Lüge auf denLIppen gestorben", machte eine Kehrtwendung und 'voll-endete laut, wie für sich: "Das Aas!" Heinrich.bemerktenoch, wie die Menge vor Empörung laut aufgeschrienhabe., Mit einem Satz war Hilde Steiner neben Heinrich.

Gleichzei~ig mit dem entsetzten: Josef fragte sie: ;,Uridw~shabt Ihr gemacht?" Göschke murmelte: "Was sollten':Ir machen, ohne Waffen?" Auch Heinrich rechtfertigtesIch:. "Ihr. sagt das so leichthin: Was habt ihr gemacht?",

Hilde rief: "Ihr wart Tausende, vielleicht zehntausendsie nur ein paar Dutzend. Im Sturm hättet ihr die BandeentWaf:?en.können!" Sie ~ob eine, Faust.;,Ihr - Hennigs-dorfer! SIe musterte die Gestalt Heinrichs jetzt mit

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Geringschätzung. "Und zwei Minuten ab ist der Mar-stall!"

Hilde zog Josef vom Bruder fort.Die Genossen gingen wieder auseinander, hin und her,

oder standen in ohnmächtiger Wut und ballten fluchenddie Fäuste.

Draußen zog die Dämmerung auf. EinLastwagen rolltevon hinten in den ersten Hof. Rufe erschallten: "Mossesteht im Kampf!" - "Gruppe Schwarzkopf heraus!" ImNu war der Wagen besetzt, Hochrufe begleiteten die Aus-fahrt. Hilde Steiner stand neben dem Durchgang :zum'zweiten Hof. Mechanisch hob sie den Arm, blieb aberstumm. Sehnsüchtig sah sie dem Wagen nach.

"Lieblqlecht kommt!"

Nach der Ablösung konnte Josef bis in den hellenMorgen keine Ruhe finden; mit dem Beginn des täglichenLärms fiel er in Halbschlaf. Nicht allein, daß das vieler-lei Reden ihn störte, auch die Erlebnisse der letzten Tagegaben ihm mancherlei überlegung auf. Als die Ermüdungihn gegen Mittag endlich übermannte, drang plötzlichungewöhnlich starkes und vielfältiges Rufen an sein Ohr.Die Saaltür wurde aufgestoßen, ein im Rahmen stehen-.der Genosse stampfte mit dem Gewehrko.1be,n auf denBoden. "Lieb knecht kommt!" .>

. Alle sprangen von den Lagern, von Stühlen und Tischenauf, sprachen vor sich hin "Liebknecht!" oder liefen mit'dem Namen' "Liebknecht" auf den Lippen hinaus. DerRuf pflanzte sich durch das ganze Haus fort. Aus' denTordurchgängen strömten die Kameraden~it und ohneWaffen herbei, von den Fenstern schallte es. in den Hof:"Liebknecht ist da!" "

Kaum hatte Liebknecht in Begleitung von zwei Ge-nossen ,den Hof' .betreten, war er schon von jubelnden;Männern eingeschlossen: Ältere Genossen erkannten in:

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derrbeiderr Begleitern die Genossen .Wilhelm Pieck undOtto Franke und drängten sich vor, um ihnen die Handzu drücken. Aus denEtagenfenstern wuchsen kleine roteFahnen;' ausgestreckte Arme hoben die Gewehre Zur Be-grüßung; der Hof wurde gepreßt voll, die Tordurchgängeverstopft. Von der Straße drängten Menschen nach dasTor wurde geschlossen. . ,

. Nachdem Klaas die Besucher begrüßt hatte, wurdeLIebknecht zu einem Wagen geleitet, seine Gestalt über

. dieMass~ hinausgehoben; "Liebknecht spricht!" ging es,Ruhe gebietend, von Mund zu Mund. Die Gesichter,meistgrau,. ha~t und abgespannt, doch mit hellen Augen, reck-ten ~lch Ihm Zu. "Brüder! Genossen!" begann er. .

Liebknecht sprach. Das war die echte Stimme der~evolution, Anklage gegen die Ausbeuter, die ihre Macht :nicht aus der Hand geben wollten, aber auch gegen die.Verräter, die Ebert und Scheidemann, die Heuchler undZwischenträger, die Unabhängigen Haase, Dittmann undBarth. Ob denn die revolutionären Obleute und die Ver-trauensleute der Großbetriebe, wie die radikalen Elementede.r USPD, wüßten, um was es ginge, ob sie jetzt willensseien, zu handeln, welche Maßnahmen sie ergriffen hät-ten, um in der gegenwärtigen Situation, die das Schicksalder Revolution zum mindesten für den nächsten Zeit-abschnitt entscheide, den Sieg zu sichern?

Hier wurde er durch eine Flut von Zurufen unter-brochen: "Nichts!" - "Nein!" - "Wir wollen kämpfen!"- "Die Weißen vertreiben!" Am Eingang öffneten dieP?sten das Gittertor, das Knirschen drang bis in den Hof,die Masse der eindringenden Menschen staute die großeAnsammlung weitet zusammen, füllte den Torweg und.umbrandete draußen das Haus.

Liebknecht . klagte die Führer der USPD an, daß sietäglich sechs- bis siebenhunderttausend Proletarier ohneFührung in den Straßen umherdemonstrieren ließen daß.die Körperschaften, die sich revolutionär nennen, 'übeIC

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einen Vergleich mit Ebern-Scheidemann berieten. Leiden-schaftlich begründete Liebknecht. daß der Zentralrat unddie Regierung sich selbstverständlich verhandlungsbereitzeigen würden, solange sie Zeit brauchten, die Gegen-revolution schlagkräftig zu sammeln, daß sie verhandeln,verschleppen, abbrechen und Verhandlungen wieder auf-nehmen, so wie es ihnen zweckmäßig erscheine, um end-lich zuzuschlagen. Die Gegner entwaffnen, die Massenbewaffnen, alle wirklichen Machtpositionen besetzen, dassei die Aufgabe: Rasch handeln, denn die Stunden derRevolution zählen in der Weltgeschichte für Monate, ihreTage für Jahre. Stürmischer müsse der Ruf ertönen:Nieder mit Ebert-Scheidemann! a~f daß den Führernder Streik bewegung jede Lust am weiteren Verhandelnvergehe und der Mut zu Taten wachse.

Als Liebknecht den Namen Noske erwähnte, wurde eswieder still. Noske habe den Auftrag, sich als Arbeiter.rnörder zu versuchen, aber noch fühle er sich nicht starkgenug. Ein für diesen Tag geplanter Angriff sei plötzlichabgesagt worden, doch gewiß nicht, um die Arbeiter-kämpfer zu schonen. Die Truppen, die vonPotsdamherbeordert waren, hätten sich geweigert, zurückzu-marschieren.

Eine Hand Liebknechts lag auf dem Maschinengewehr,mit der anderen wies er geradeaus, wie um die Erkennt-nis der Zukunft vorwegzunehmen. In seine Züge tratenVerachtung und Bitterkeit:

"Schon stehen sie am Pranger der Geschichte! Nie gabes solche Judasse in der Welt wie sie, die nicht nur ihrHeiligstes verrieten, sondern auch mit eigenen Händenans Kreuz schlagen. Wie die deutsche Sozialdemokratie1914 tiefer sank als jede andere, so bietet sie heute das.Abscheu erregendste Bild. Die französische Bourgeoisiemußte die Junischlächter von 1848 und die Maischlächtervon 1871 aus ihren eigenen Reihen nehmen. Die deutscheBourgeoisie braucht sich nicht selbst zu bemühen,

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Sozialdemokraten vollführen das schmutzig. feige Werk!Drachensaat! Zertrümmert eure Feinde!"

Totenstille umgab ihn, auch noch als sein ausgestreck-ter Arm langsam sank. Eine lebhafte Bewegung gingdurch die Massen. Unten und ringsum, wie von den hohen:Wänden streckten sich ihm Hände und Gewehre ent-gegen. "Wir weichen nicht!" - .Liebknecht soll unsführen!" - "Wir wollen angreifen!" Im immer wiederaufflackernden Beifall halfen Genossen Liebknecht vom:Wagen, um ihn mit seinen Gefährten in das Haus zubegleiten.

Die Versammlung löste sich auf, lebhaft debattierendschoben sich die Gruppen durch die Torwege, Gesangdrängte sich in das Stampfen der Tritte auf den Treppen.

:Während die Posten den Hof räumten, bat eine großeAnzahl von Demonstranten um Aufnahme in den Kreisder Besatzung, was freudig begrüßt wurde. Bald kamKlaas mit Liebknecht und seinen Gefährten aus demHause zurück. Draußen empfing ihn die Menge, die denAusgang umlagerte und sich bis zum Belle-Alliance-Platzausdehnte, mit anhaltenden Ovationen. In dem Augen-blick, da der Wagen sich in Bewegung setzte, brauste einLastkraftwagen durch die Ausfahrt, um Liebknecht inkurzem Abstand zu folgen. Erst tags zuvor war versuchtworden, seinen Wagen umzuwerfen. Arbeiter, die des:Weges gekommen waren, hatten die Bande verjagt undden Genossen begleitet, bis eine belebtere Straße erreichtwurde:

Das Ultimatum

Die Zugänge zum "Vorwärts" waren von den Noske-truppen abgeriegelt. Heller stand, mit einem Koffer zu Fü-ßen, bei Hilde im ersten Hof. Er berichtete ihr, wie er sichmit dem Koffer, der Handgranaten und ein paar MG-Schlösser enthielt, durch die Absperrung geschleust hatte.

Der-Ruf: "Versammlung!" ri~ Hilde Steiner und Heller

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in das Geschehen im Hause zurück. ;,Versammlung!",schallte es durch die Höfe und in den Treppenschächten..Doppelwechen stellen!" Hilde informierte Heller, daßeine Regierungskommission im Hause wäre. "Sicher istman sich nicht einig geworden."

Die mondhellen Höfe belebten sich, die Treppenhäuserwaren erfüllt vom Schlürfen und Stampfen der Stiefel,vom Reden der Hinaufeilenden. An den Seiten des Saaleshingen Bilder alter Sozialistenführer. Während die letz-ten Reihen sich füllten, nahmen Klaas und Odermann aneinem Tische Platz, der hinter einer Balustrade stand.Zu ihnen gesellten sich drei Männer mit hellen, glattenGesichtern. Ihre blanken Stiefel zogen unwillkürlich dieBlicke auf sich. Die drei aber sahen mit gespieltemGleichmut auf die Versammelten.

Klaas erhob sich, um zu erklären, daß die Regierungs-vertreter Kapitulation verlangten. Stürmischer Protest,mit hartem Gelächter durchmischt, antwortete ihm.;,Ultimatum? Haha!" - "Bis früh um sechs?" - "So wasVerrücktes!" Klaas hob beschwichtigend beide Hände:"Bei Annahme freier Abzug, bei Ablehnung Einsatzschwerer Waffen." Zahlreiche Genossen sprangen vonden, Plätzen auf und ballten die Fäuste. Die Zwischenrufeübersteigerten sich und waren kaum verständlich. "Ihrwollt euch wohl stark machen?" - "Noske triumphiertzu früh!" - "Anmaßung!" - "Freier Abzug? Bauern-fängerei!".- "Mal Ruhe!" schrie jemand. Die Stimme war trotz desüberlauten Tones klar. Die starten Gesichter der Ern-pörten tauchten wieder in die Reihen der Kameradenzurück, die Fäuste wurden eingezogen. Doch es schien,als wachse eine kalte Wand des Hasses zwischen denMenschen und den drei Regierungsvertretern hoch, Klaastrat ans Pult. "Die Leitung hat das Ultimatum abgelehntund wünscht, daß ihr selbst entscheidet. Freier Abzugwird zugesichert." Klaas hatte noch nichtausgesprochen;

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und-schon schallte erneut höhnisches Gelächter; ;,Daskönnen sie., Kindern erzählen!" Gellend rief jemand:,,,fijnaus' hier!",Au~ die Frage an die drei, ob sie etwas zu bemerkenhätten, erhob sich einer zögernd: "Meine He-chm-Kol-legen. Ich muß sehr bedauern. Zum Verhandeln sind wir.nicht beauftragt. Wir haben lediglich die Forderung der'Regierung mitzuteilen und im Falle der Annahme überdie Abwicklung eine Verständigung herbeizuführen. "So-fort schlug ihm eine harte Stimme entgegen: "Wo seidihr als Gewerkschaftsfunktionäre einmal so eisern ge-wesen, als es um unsere Interessen ging?" Beifall brausteauf und erneute Zurufe "Armselige Verräter!" - "Trau-rige Wichte!" Wieder sprang einer auf und wies zurWand: "Unter diesen Bildern habt ihr vier Jahre Hoch-verrat an der Sache getrieben!" Die drei saßen wieWachsfiguren.'HUde Steiner trat vor. "Ihr habt recht. Vertrauen

wäre ,selbstmord! Hier ist der Beweis!" Unter großer Er-'regung streckte sie eine Hand halb rückwärts über ihreSchultern hinweg. "Seit diese Burschen hier uns .zur Un-tätigkeit nötigen, wird draußen der Ring enger gezogen.,Die Privathäuser werden, von Noskesöldnern besetzt."

"Da habt ihr's!" - "So eine Bande!" - "Halunken!" -,;Gekaufte Gesellen!" Hilde kam nicht-dazu, weiter zureden; ein Posten mit Gewehr, der eilig hereinkam undHilde beiseite schob, erzwang wieder Ruhe. Aller.Augenhingen an seinem 'Gesicht. Er streckte eine Hand aus:~,Ein Regierungsflugzeug kreist über, uns und machtZielaufnahmen, denn es wirft Leuchtkugeln ab.", - ;,Hört-hört !"-Rufe, die .laut wurden, gingen im neu aufkom-menden Protest unter. Dann trat Totenstille ein, und Mo-torengeräusch wurde hörbar, Der Posten schrie weiter:"Auf .dernDach des Patentamtes werden MGs aufgebaut!"In wilder 'Hast war die Anklage herausgesprudelt. Wäh .•rend die drei vor dem Blick von Klaas die Augen senkten

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und einer sich erhobvum von bedauerlichem Irrtum zureden; drang die Mehrzahl der Versammelten gegen dieBalustrade vor. "Eine Lücke in der Befehlsübermittlung",stammelte der ältere der Noskevertreter, "Ich bedauredas, aber .,« Er wurde überschrien. "Raus mit der Bande!"-"Verhaften!" -"Klar!"

Von draußen kam ein Kommando: "Alles bereit-machen!" Eine neue Meldung wurde in den Tumult hin-eingegeben: "In der Alten Jakobstraße wird ein Geschützpostiert!"

Klaas hob erneut beide Hände, als könne er damit die,Brandung abwehren. Und wieder verschaffte sich dieklare Stimme von vorhin Gehör. Sie verlangte die Ver-haftung der Regierungsvertreter bis zur Zurücknahmeder letzten Maßnahmen. Die Annahme erfolgte einstim-mig.

Vor dem 'Eingang lagen Telefonzellen, die in nor-malen Zeiten für Berichterstatter reserviert waren. OhneWiderspruch ließen sich die drei Regierungsvertreter insie einschließen. Der Strom der Genossen ergoß sichunter lauten Zwiegesprächen über die Treppen und indie Höfe. Bald lag der Bau still. Noch einmal' durch-flutete Lärm den weiten Bau, als von der Kampfleitungdie Parole ,,Alarmbereitschaft!" durchgegeben wurde.Vom Torgitter her hallte schwach der Tritt der Wachen.

Heller entschloß sich, einen Erkundungsgang zu unter-nehmen. Er ging eine kurze Strecke die Lindenstraßenach rechts und wieder zurück. Fern hallten Schüsse, ab'und zu das Rumpeln von Fahrzeugen. Die Straße war;dunkel, nur an der Kreuzung der Ritterstraße schwankteein Licht. '

"Bis zum letzten Atemzuge I"

In den frühen Morgenstunden war die Delegation vonOdermannfreigelassen worden. .Darauf hatte der Feindoffenbar gewartet. Denn bald danach setzte vom Platz;

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aus Schützen- und anschließend,MG-Feuer ein. Das imErker postierte MG antwortete. "Alles auf Posten!";schallte es-überall im Hause. Eine Gruppe bestieg, miteinem schweren MG und Handgranaten ausgerüstet, einenPünftonner. Das Gittertor knarrte, langsam schob sich derWagen gegen den Platz vor.

Am Auslauf der Straße wurde er derart mit MG-Salvenüberschüttet, daß alle Kameraden, außer der Bemannungdes MG, die durch den Führerbau gedeckt war, sich aufden Wagenboden ducken mußte. Das MG im Erker legte:Sperrfeuer auf den Rand des Platzes. Im Hause herrschteatemlose Spannung, der Wagen kam langsam vor dasHaus zurück. Von ihm aus schallte der im Feuer nur,schwach vernehmbare Ruf: "Auf dem Platz ist ein Ge-schütz aufgestellt!"

"Ein Minenwerfer!' - "Verräterbande!" - "DieHunde!"

"Es geht los!" Weitere Reden gingen in einem Kurzen, Knall und Gurgeln verloren. Ein dumpfer Stoß, unter;

dem die auf dem Hof stehenden Männer unwillkürfichdie Köpfe einzogen, gleichzeitig aber die Gewehrläufean die Hüften rissen, ließ das Haus erzittern. Ein Kra-chen, Bersten und Klirren von Scheiben zer;iß die Luft.

'Schweres Poltern folgte, in das sich Geschrei und Hurra-rufe mischten. Durch geplatzte Scheiben stob Staub und'Rauch in den Hof. Genossen, die durch die Pförtnerlogeaus dem Hause stürzten, waren', mit Mauerstaub über-

.achüttet. Offenbar -hatte eine Mine die Vorderfront desHauses eingerissen. Sofort gingen eine Anzahl, und mitihnen weitere Genossen in das Haus zurück; um Gefal-lene oder, Verschüttete zu bergen.

Klaas rief die Besatzung zu einer neuen Beratungzu-sammen.i..Wir kämpfen bis auf den letzten Mann!" wurdeihm zugerufen. Andere fluchten,weil vom Polizeipräsi-dium kein Entsatzversuch unternommen werde. Wieder'andere verlangten Durchhalten, da der Generalstreik

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immer 110ch stehe. Klaas mahnte: "Denkt an alles, auchan eure Familien!"

Nun böllerte von der Alten Jakobstraße her Artillerie.Getöse folgte. Rauch schlich aus dem letzten Hof vor;jemand rief: ;,Das Papierlager brennt!", 'Noch einmal

.schlug Klaas vor, Parlamentäre zu den Nosketruppenzu schicken, um freien Abzug zu erwirken. Ein junger,schwarzhaariger .Mensch mit klugem, blassem Gesicht

i stellte sich als erster zur Verfügung. Es war der DichterWerner Möller. Fernbach, ein Redakteur, trat neben ihn,dann Arthur Schöttler, der Funktionär der "SchwarzenKatzen", und vier andere Mitkämpfer..

"Abstimmen!" Vom dritten Hof kam das Geknattervon MGs.

"Vom Dach des Patentamtes wird geschossen!"Wieder donnerte eine Mine gegen das Vorderhaus und

riß es von der vierten Etage bis herunter ein. Schwer:rollte der Nachhall der Detonation über, die Dächer hin-weg.

Sieben Männer, geführt von einem Genossen, der einekleine weiße Fahne trug, traten durch einen engen Spaltdes Tores auf die Straße. Das Feuer verstummte.

Wie Stunden schlichen die Minuten erwartungsvollerStille, die nur von Zeit zu Zeit durch ein Stöhnen oder,einen Fluch belebt wurde.

Vom Patentamt her kam wieder Geknatter. Auchdraußen prasselten erneut MG-Garben gegen die zer-trümmerte Fassade und das Tor. Empört brachen dieGenossen durch das Haus vor auf die Straße, warfen ge-ballte Handgranatenladungen, schnellten ins Haus zu-rück. Detonationen, Schreie und Flüche durchbrachenden Peuerlärrn.

Dann gellte es klagend in den Hof. "Genossen! UnsereParlamentäre sind erschossen worden!" - "Genossen!'Genossen!" hallte es schaurig von den hohen Wänden,zurück. "Noske! Der Hund!"

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"Noske hat unsere Parlamentäre umgebracht!",,,Die weiße Fahne geschändet!",,,Rache!" 'Mit vor ohnmächtiger Wut starren Mienen standen sie

sich gegenüber. Matt erhellte die frühe Morgendämme- -'rung die aschfahlen, verschmutzten Gesichter. Klaas gingmit weit aufgerissenen Augen, aus denen Haß und Ent-.setzen sprang, über den Hof. Vereinzelt sprach man ihnan; er reagierte nicht. Leise, stoßweise redete e~ vorsich hin., Nach kurzer Beratung wurde Kampf bis Zum letztenAtemzug beschlossen. Der kleinen Pause, die nach dem.zweiten Minenwurf eintrat, folgte neuer MG-Beschuß.Die Genossen konnten das MG am ersten Tor nicht hal-ten und schleppten es zurück. Und schon prasselte feind-liches MG-Feuer in den Hof. Das Gitter wurde durch einegeballte Ladung gesprengt. " ' ,, '

Während die Genossen sich zum Nahkampf bereit-machten, hockte Hilde Steiner neben dem zweiten Durch-gang an einem schweren MG, neben ihr der Gurtführer,ein junger Genosse. Unter dem Rattern der Waffe zitterteder ganze Körper. Feiner Rauch stieg hoch, schlug, vongelindem Luftzug niedergedrückt, in ihr Gesicht. '

Vorn dritten Hof her verstärkte sich der Druck. DieGenossen besetzten die unteren Fenster, andere eiltennach hinten und wieder vor. Von der Alten jakobstraßedrangen die Söldner, ein. Von dort und aus dem Hinter"haus kamen Wut-, und Schreckensschreie.

Nun drangen einzelne Weiße auch durch das Vorder-haus, "dtirch die Loge und Fenster vor. Der, Nahkampfbegann.

Bilde Steiner streifte mit dem MG den Torweg, .dieLogentür und die, benachbarten Fenster ab. Der Gurt-Iührer lag schwer getroffen leblos neben ihr. Ein Ge-nosse, der hinzustürzen wollte, wurde von hinten nieder-gestreckt. Hilde schoß pausenlos weiter. Sie schien mit

der Waffe verwachsen. Ihr Baal' hing aufgelöst auf den.Schultern.'

Der Angriff stockte. Der Arm eines Soldaten hob wiezum Wurf eine Handgranate, besann sich aber. Bei derEnge des Hofes wäre er selbst verletzt worden. '

Plötzlich stieß Hilde einen halblauten Schrei aus. EineLadehemmung lähmte die Waffe. Im selben Augenblickwurde das Mädchen angefallen und überwältigt. Klaasschlug einen Söldner, der gegen sie den Gewehrkolbenerhob, mit einer Eisenstange nieder. Er selbst wurdedurch einen Kolbenschlag zu Boden geworfen.

Mit erhobenen Händen standen die überwältigten anden Hauswänden. Mehrere Kämpfer lagen tot oder schwer.,verwundet am Boden. Aus dem Hause gellten Angst-schreie von Frauen; zwei Weiße schleppten eine Ge-nossin, die als Büroarbeiterin tätig gewesen war, an denHaaren aus dem Treppenhaus in den Hof, wobei anderesie mit den Stiefeln traten. Hilde Steiner schrie empörtauf, versuchte sich loszureißen, um der Genossin zuhelfen.

Un~er weiteren Söldnern, die in den "Vorwärts" ein-'drangen, befanden sich zwei Sanitäter in Zivil. Es warenehemalige Angehörige der "Vorwärts"-Besatzung. Siedenunzierten Klaas, Heller und andere als Furiktionäre .Die Soldaten schlugen wild auf die bezeichneten Ge~'nossen ein. "Spitzel, elende!" rief Klaas, und ein Paust-schlag landete mitten in seinem Gesicht.

Eskortiert von Bewaffneten wurden weit über zwei-'hundert Gefangene im Eiltempo auf die Straße gejagt.Aus dem Spalier der johlenden und schimpfenden Mengeschlug man mit den Fäusten, mit Spazierstöcken undSchirmen auf sie ein. Im Laufschritt mit erhobenen oderim Nacken verschränkten Händen ging es über den Belle-Alliance-Platz. Geschrei begleitete sie. "Mordbrenned~' -"Spartakistenschweine!" - .Raubgesindel l"

Besonders die wenigen Frauen wurden mit Schmähun-

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gen überschüttet. ~ ;,Elende Vettell',' - "Kommunisten-hure, du!"

"Ah! Die Rosa!" Das galt Hilde Steiner, die, außenlaufend, schweren Mißhandlungen ausgesetzt war. Ihr.Gesicht war stark verschmutzt, und die Kleidung hingschmierig und unordentlich auf dem Körper. Stock-schläge trafen den Kopf und das Gesicht. Man riß sie anKleidern und Haaren aus der Reihe. Soldaten stießen siezurück. Sie taumelte und stöhnte unter den Schlägen,doch die Lippen blieben fest zusammengepreßt.

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f[!Jern er Möller

KLASSENJUSTIZ

o preß dich Zorn, in einen einzigen Schreiund spreng die Kettenlast der Tyrannei!

o werde zur lodernden Flamme, du Haßund leuchte, leucht ohn Unterlaß!

Du wilder Schmerz, der die Kehle uns schnürt,zum Tambour werd, der die Trommel rührt!DieWerbetrommel! Ihr prasselnder Klangfliege stürmend die Reihen entlang!Ihr Männer heraus! Ihr Herzen empor!Du dumpfer Groll, brich brausend hervor!Schieß auf, du Saat, die du selber gesät!Wir wollen dich hegen früh und spät.Empor ihr Herzen! Ein hartes Wortscheuche das letzte Zagen fort.Die Hirne durchfahr's wie zündender Blitz:Du Fluch des Heute - du Klassenjustiz!Dich brachte die bleiche Furcht ans Licht.Die Klassenfurcht vor dem Weltgericht.Die Furcht vor dem Riesen, der aufgeschrecktempor die düstere Stirne reckt.Gezeugt bist du vom Klasseninstinkt;der Klassenkampf hat dein Feld gedüngt.Nun schlägst du die gierigen Krallen ein,wie die tückische Sphinx mit dem Herzen von Stein.

Drum werbe, du Trommel, werbe gut,erfülle die Herzen mit zornigem Mut .

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