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64 Bergsteiger 03⁄12 AUF TOUR Auf vergessenen Pfaden Jahrhundertelang sind Reformierte in Frankreich als Ketzer verfolgt worden. Tausende flohen in die Schweiz oder nach Deutsch- land. Wer ihren Wegen heute folgt, erlebt ein Stück unbekannte Provence. Von Iris Kürschner (Text und Fotos) Hugenoenweg in Frankreich Gern gesehene Begleiter: Dank der Gepäckesel geht es stets flo voran.

Hugenottenweg in Frankreich Auf vergessenen Pfaden · Blüte, ein Meer von blauer Iris. Die Farben überschlagen sich. Das berühmte Licht der Provence, von Künstlern so gerne zu

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64 Bergsteiger 03⁄12

Auf tour

Auf vergessenen Pfaden Jahrhundertelang sind

Reformierte in Frankreich als Ketzer verfolgt worden. Tausende flohen in die Schweiz oder nach Deutsch-land. Wer ihren Wegen heute folgt, erlebt ein Stück unbekannte Provence. Von Iris Kürschner (Text und Fotos)

Hugenottenweg in Frankreich

Gern gesehene Begleiter: Dank der Gepäckesel geht es stets flott voran.

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Eine dunkle Gestalt huscht durch die Nacht. Treffpunkt ist ein Wäldchen oberhalb von Poet-Laval, ein kleines Nest in der nördlichen Drôme. Es ist der 27.

März 1686. »Die Reise wird gefährlich sein. Frankreich zu verlassen ist uns verboten. Eine lebenslange Galeerenstrafe schwebt über unseren Köpfen.« Frau und Kind muss der Hugenotte zurücklassen, weil das Töch-terchen noch zu klein ist. In Genf will er Geld verdienen und seine Lieben nachkom-men lassen. Er schafft es nach Genf. »Wir sind nicht die einzigen, die sich in Genf drängen. Die Flüchtlinge kommen jeden Monat zu mehreren Hunderten an...« Ihm werden seine Papiere und die Kleidung ge-stohlen. So muss er auf der Suche nach Ar-beit weiter nach Bern ziehen. Seine Familie hat er nie wieder gesehen.

Geheime PfadeEin Schicksal von vielen. Johannes Melsen hat es in seinem Büchlein »Alles einfach... die Geschichte einer komplizierten Reise« auf Grundlage historischer Dokumente in Form eines Tagebuchs nachgezeichnet. Mel-sen ist der Koordinator der französischen Wegstrecke »Sur les pas des huguenots – Auf den Spuren der Hugenotten«, die von Poet-Laval durch die Drôme und weiter nach Genf führt. Aus seiner Idee, den Exilweg der Hugenot-ten durch die Drôme wieder lebendig zu machen, hat sich mittlerweile ein europäi-sches Gemeinschaftsprojekt entwickelt, ein grenzüberschreitender Kulturwanderweg, der auf 1800 Kilometer bis ins deutsche Bad Karlshafen führt. Symbol ist eine blaue Scheibe mit weißer Figur. Sie erinnert an das »méreau«, eine geprägte Münze, die den Hugenotten als Erkennungszeichen zur Teilnahme an ihren geheimen Gottes-diensten diente. »Dank der Forschungen von Pierre Bolle, Professor an der Universi-tät Grenoble, entspricht die Route ziemlich genau dem historischen Verlauf«, so Melsen. »Zumindest eines der Hauptf luchtwege, denn innerhalb Frankreichs gab es ein gan-zes Netz geheimer Pfade. Der Charakter des Wegverlaufs ändert sich jenseits der Grenze. In der Schweiz und in Deutschland nutzten die Exilanten offizielle Wege und Transport-arten. Kein Wunder – dort wurden sie ja nicht verfolgt.«

Auf vergessenen Pfaden

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Der einstige Exilweg der Hugenotten ist heute ein grenzüberschreitender Kulturwanderweg.

notten gelten heutzutage »als Wegbereiter der Gewissensfreiheit und als Beispiel für Standhaftigkeit und die Notwendigkeit reli-giöser und bürgerlicher Toleranz«, schreibt Eberhard Gresch im Vorwort seines Stan-dardwerks »Die Hugenotten«.Die Esel sind mit unserem Gepäck beladen. Es geht auf steinigen Pfaden in die Höhe. Der lichte Eichenwald lässt genug Sicht zum Bestaunen der Landschaft, die sich als Hügelteppich um uns ausbreitet. Es duf-tet am Wegesrand nach wildem Lavendel, Thymian, Ginster und Rosmarin. In unmit-telbarer Nähe bäumen sich die Trois Becs: monumentale Felsklippen, denen eine Lau-ne der Natur drei Schnäbel aufgesetzt hat. Faszinierender Blickfang, während wir den Col de la Chaudière passieren. Ein Nachtlager finden wir in der abgelege-nen »L´Arche des 3 Becs« – sogar mit dem Luxus von Schwimmbad und Sauna. An-derntags dürfen wir ein bisschen den Stra-pazen nachfühlen, die auf dem Fluchtweg Alltag waren. Der Weg ist zäh, es geht auf und ab durch schluchtartig eingegrabene Täler, ein gnadenloser Sprühregen drückt für ein paar Stunden aufs Gemüt. St-Benoît wirkt verlassen, nur die auf einem Felssporn thronende Dorfkirche gibt uns für eine Wei-le Schutz. Die knorrigen Reben durch die wir aus dem Roanne-Tal steigen, gehören bereits zum Clairette-Anbaugebiet, jenem fruchtig-erfrischenden Perlwein, mit dem sich das Städtchen Die rühmt. Nebel wab-bert mystisch durch die Gebirgsfalten und über die Hochebene von Rimon-et-Savel.

Ostersonntag am Croix de JustinStockdunkle Nacht. Die Lichtkegel unserer Stirnlampen irren durchs Gelände. Wo ist der richtige Weg? Gut, dass es schon däm-mert, als wir abenteuerliche Felsbänder queren. Der Zauber des anbrechenden Ta-ges nimmt gefangen. Die pure Stille wird nur von Käuzchen und knackendem Geäst unterbrochen. Just zum Sonnenaufgang taucht das wuchtige Kreuz auf. Seit einem Jahrzehnt ist die Osterzeremonie am Croix de Justin Tradition. Von dort hat man einen herrlichen Blick ins Dios.»Es war 1952, als drei Männer aus dem Louisendorf ins Dios kamen und sich als Hugenotten von Die outeten«, erzählt Paul Castelnau, langjähriger Pfarrer von Die und Bourdeaux. »Daraus hat sich eine enge Städ-tepartnerschaft entwickelt. Louisendorf bei Marburg in Hessen wurde 1688 von 16 Hu-genottenfamilien gegründet.« Der 71-Jähri-ge spricht gut deutsch – er hat in Heidel-berg studiert. Jetzt ist er pensioniert. Aber weil es nicht mehr genügend Pfarrer im Di-

Provenzalischer FrühlingszauberHimmlischer Duft durchströmt das ar-chaische Nest. Der Flieder steht in voller Blüte, ein Meer von blauer Iris. Die Farben überschlagen sich. Das berühmte Licht der Provence, von Künstlern so gerne zu Pa-pier gebracht, es beginnt in der nördlichen Drôme, wo die letzten Nussbaumhaine mit den ersten Lavendelfeldern zusammentref-fen. Herrscht zur Osterzeit im Norden noch Schmuddelwetter, ist der Frühling hier schon weit fortgeschritten. Ja, sommerlich ist uns zumute, weil wir abends noch hemds-ärmelig herumwandeln können. Vom Burg-hügel in Bourdeaux, eine Tagesetappe von Poet-Laval entfernt, lässt es sich weit über die Landschaft blicken. Auf manchem Feld fällt ein ummauertes Karree ins Auge. Ein jeder Hof hatte seinen Privatfriedhof, da es Huge-notten untersagt war, auf dem kirchlichen Friedhof begraben zu sein. Bourdeaux war einst zu 99 Prozent hugenottisch.

Esel als GepäckträgerPascaline und Barbara wollen uns ein Stück mit ihren Eseln begleiten. Ein eingespieltes Team, denn im Herbst 2010 sind sie die 400 Kilometer vom Musée du Protestantisme Dauphinois in Poet-Laval bis zum Musée de la Réforme in Genf an einem Stück ge-wandert. »Der Weg ist brandaktuell, denn Flucht, Exil, Toleranz und Integration bestimmen mehr als genug die heutigen Schlagzeilen«, sagt Pascaline. Die Huge-

Abgelegene Hütte mit Sauna und Schwimmbad: »L´Arche des 3 Becs«

Blaue Iris, Lavendel, Flieder: Die Blumen in der Provence verzaubern Auge und Nase.

Der ehemalige Hugenottenweg erstreckt sich über eine Länge von 1800 Kilometern.

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Vom Hochplateau über Rimon-et-Savel bietet sich ein eindrucksvoller Blick auf die Trois Becs.

Nicht immer ist der Weg klar erkennbar: kurz vor Rimon-et-Savel.

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KOmPaKT

Auf den Spuren der Hugenotten

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Früh losgehen lohnt sicht: Die Ostermesse am Croix du Justin beginnt bei Sonnenaufgang.

anreise: Mit dem Zug bis Montélimar (www.sncf.fr), dann per Bus bis Poet-Laval. Mit dem Auto von Genf über Grenoble kommend auf der A49 über Valence bis Montélimar, weiter auf der D540 bis Poet-Laval.Information: Atout France in Frankfurt, Tel. 0 69/74 55 56, [email protected], www.franceguide.com; Comité Départemental du Tourisme de la Drôme in Valence, www.drometouris-me.com; Verein Hugenot-ten- und Waldenserpfad, www.hugenotten-waldenser-pfad.eu. Auf www.surles- pasdeshuguenots.eu finden sich in der Rubrik »Der Weg in Frankreich« alle Etappen auf Karten dargestellt.Karten & Führer: IGN 1:25000 Blätter 3038 E, 3138 OT, 3137 OT, 3237 OT. Vor Ort erhältlich ist der Führer »Guide Étape.

Sur les Pas des Huguenots«. Auch wenn die Wegbe-schreibung französisch ist, sind die Faltkarten mit exakter Routenführung sehr praktisch.Veranstalter: Seit drei Jahren wird die Strecke durch die Drôme mit Gepäcktransport individuell oder mit Führern angeboten. Besonders attraktiv ist die Osterwoche, in der täglich themenbezogene Attraktionen geboten werden. Besondere Huge-nottenessen, mal ein Konzert, mal eine Zusam-menkunft in der Kirche, Dorfführungen, etc. Der Höhepunkt ist eine Nachtwanderung am Ostersonntag, um bei Sonnenaufgang eine Zeremonie am Croix de Justin miterleben zu können. Vercors Escapade, Tel. 00 33/4 75 22 07 62, www.vercors-escapade.com.

Genaue Informationen auf deutsch kann Paul Zeller geben: paul@vercors- escapade.com

Route:Poet-Laval – Dieulefit:

einfach, 1½ Std., 171 Hm, +8 J. Dieulefit – Bourdeaux:

einfach, 4 Std.,

681 Hm, +8 J. Bourdeaux – La Chau-

dière: mittel, 4 Std., 890 Hm, +8 J. La Chaudière – Rimon-

et-Savel: mittel, 5 Std., 1177 Hm, +8 J. Rimon-et-Savel – Die:

mittel, 5 Std., 671 Hm, +8 J. Die – Valcroissant:

mittel, 2 Std., 695 Hm, +8 J. Valcroissant – Châtillon-

en-Diois: mittel, 4 Std., 880 Hm, +8 J. Châtillon-en-Diois – Les

Nonières: mittel, 4 Std., 1151 Hm, +8 J.Les Nonières – Le Percy:

mittel, 5½ Std., 1108 Hm, +8 J.

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os gibt, springt er öfter ein. »Als Pierre Gay, Priester von Die, anno 1551 Luthers und Calvins Theorie aus Paris mitbrachte und verkündete, das war wie ein Feuer«, sagt er. »Fast alle hier wurden evangelisch. Die Zeit war reif, man war mit dem Katholizismus nicht zufrieden. Reformiert kommt vom lateinischen reformare: erneuert, von Miss-bräuchen gereinigt.« Den darauf folgenden Religionsstreitigkeiten versuchte Heinrich IV. mit dem Edikt von Nantes 1598 Einhalt zu gewähren. In dieser Zeit wurde Die mit seinen 4000 Hugenotten zur Hochburg des Protestantismus, gestärkt durch die Grün-dung einer »Académie« (Universität) 1604, wo hochkarätige Lehrer unterrichteten. Doch die Unterdrückung blieb, verschärfte sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts und er-reichte mit der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 ihren Höhepunkt. Die Akade-mie wurde geschlossen, Kirchen zerstört, Pfarrer vertrieben und Dragoner ausge-schickt, die gewaltsam den Religionswech-sel zu erzwingen versuchten. Ein wirksa-mes Mittel war die Entführung der Kinder. Unzählige Reformierte starben auf dem Scheiterhaufen, wurden eingesperrt und misshandelt. Diejenigen, die nicht flohen, lebten ihren Glauben im Untergrund wei-ter, trafen sich – »du désert« (in der Wüs-te) nannten sie es – zu heimlichen Got-tesdiensten im Wald. »Gespenstisch muss das auf die Katholiken von damals gewirkt haben«, vermutet der Pfarrer. »In Tours ver-glich man sie mit dem Stadtgeist Hugo Ca-pet und verspottete sie als ›huguenots‹, als Hugenotten. So entstand der Name, den die reformierten Franzosen selbst übrigens nie benutzt haben.«Paul Castelnau stimmt zum Gesang an, während Noèmie Woodward, eine junge Pastorin aus dem Dios, mit ihrer Geige den Chor begleitet. Von der stimmungsvollen Predigt erfüllt, nimmt man den Abstieg mit 1000 Höhen-metern nach Die ganz anders wahr. Der Hauptort des Dios hat viel Charme. Die engen Gassen sind auch mittags noch an-genehm kühl. Und überall finden sich ge-schichtsträchtige Ecken, wie etwa römische Hinterlassenschaften, Patriziervillen oder barocke Türschnitzereien.

Hugenottenschmaus in DieAm Abend wird uns ein köstliches Essen aufgetischt, gekocht nach alten hugenot-tischen Rezepten, die Christa Gombel aus dem hessischen Greifenthal zusammenge-tragen hat. Die Suche nach den Vorfahren ihres Mannes hat sie vor 25 Jahren nach Menglon geführt – ein kleines Dorf un-

weit von Die. »Die Überraschung war unbe-schreiblich, als wir vor der Tür der Familie Rambaud standen und sagten: Wir sind eure deutschen Verwandten«, erinnert sie sich. Die Massenauswanderung nach der Annullierung des Edikts von Nantes hat Frankreich rund eine Viertel Million qua-

lifizierte Fachkräfte gekostet. Vor allem auch in Deutschland waren die gebildeten »Réfugiés« (Flüchtlinge) willkommen. »Graf Wilhelm Moritz zu Solms-Greifenstein ließ für sie sogar ein ganzes Dorf räumen«, er-zählt Christa Gombel. »Das Land war vom Dreißigjährigen Krieg ausgebrannt. Die Hugenotten brachten neue Techniken mit, waren tüchtig und förderten die Wirtschaft. Weil Daubhausen nicht genug Platz bot, stellte der Graf noch einen nah gelegenen Meierhof zur Verfügung, um den das Dorf Greifenthal entstand.« Der Meierhof, der 1685 Théophile Ram-baud übergeben worden war, ist bis heute im Besitz der Familie, in die Christa Gombel eingeheiratet hat und wo sie mit hugenot-tischen Kochseminaren Furore macht. Im September 2001 erhielt sie für ihre Bemü-hungen im Dienste der deutsch-französi-schen Freundschaft und Verständigung der Kulturorden der französischen Regierung.

am Fuße des VercorsAn den dramatischen Felsfluchten des Ver-cors entlang führt uns der Exilweg über das fotogene Burgdorf Châtillon zum Col de Menée, dem Mitternachtspass. Zu Ehren der Flüchtlinge, die den Pass zur mitternächtli-chen Stunde überschritten, prangt ein gro-ßes Holzkreuz am Scheitel. »Aime Dieu et va ton chemin« gibt die Inschrift den Wan-derern mit auf den Weg. ◀

Die kleine Stadt Die war einst eine vielbe-achtete Hochburg des Protestantismus.

Die Hugenotten verstanden etwas vom Essen: Auflauf nach einem alten Rezept

Wer durch Châtillon bummelt, fühlt sich sofort um Jahrhunderte zurückversetzt.

Die Massenauswanderung hat Frankreich rund eine Viertel Million Fachkräfte gekostet.