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10 2/2014 LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE Namen Humanität? der Im Kosovo, Afghanistan, Mali: Deutschland diskutiert die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Ob und wann Gewalt in einem Land mit Gewalt von außen beendet werden darf, ist so umstritten wie die Frage nach dem Erfolg humanitärer Interventionen.

Humanität? der - Leibniz Gemeinschaft: Start · prozentual gesehen so viele aus-ländische Truppen schicken wie 1999 in den Kosovo, bräuchte man eine Million Soldaten. Ein weiterer

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10 2/2014

L E I B N I Z | K R I E G U N D K O N F L I K T E

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Kosovo, Afghanistan, Mali: Deutschland diskutiert die

Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Ob

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beendet werden darf, ist so umstritten wie die Frage

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Eigentlich wollte Ban Ki Moon Anfang April nach Ruanda rei-sen. Dort wurde 20 Jahre nach dem Beginn des Völkermords von 1994 dessen Opfern ge-dacht. Aber der Generalsekre-tär der Vereinten Nationen leg-te einen Zwischenstopp in der Zentralafrikanischen Republik ein. Und statt der Vergangen-heit zu gedenken, warnte er in der Hauptstadt Bangui vor der Zukunft – und vor einem neuen Völkermord.

Muslimische Milizen, die Séléka, stürzten im März 2013 den Präsidenten der Zentral-afrikanischen Republik, Fran-çois Bozizé, und verbreiteten Terror. Christliche Milizen, die Anti-Balaka, wehrten sich mit Racheaktionen. Tausende sind seither gestorben, eine Million Menschen sind auf der Flucht.

Gewalt mit Gewalt beenden?

Ban Ki Moon rief bei seinem Be-such in Bangui die Politiker im Land auf, die ethnisch-religiöse Säuberung zu stoppen. Und er berief eine UN-Truppe mit 12.000 Soldaten ein, die den Konflikt eindämmen soll. Da-mit beginnt im September eine neue humanitäre Interventi-on – und eine neue Diskussion über den Erfolg und Misserfolg solcher Militäreinsätze. Die Fra-

gen sind immer dieselben: Wie legitimieren die Vereinten Na-tionen oder ein einzelnes Land das militärische Eingreifen in einen souveränen Staat? Ist Ge-walt gerechtfertigt, wenn durch sie weitere Gewalt verhindert wird? Und spielen neben den humanitären Gründen ande-re, etwa wirtschaftliche oder geopolitische, Interessen eine Rolle?

In Deutschland hat die De-batte schon ein paar Wochen zuvor begonnen, als Ursula von der Leyen ein stärkeres außen-politisches Engagement in Af-rika forderte. Diese Forderung findet Andreas Mehler berech-tigt. Er ist Direktor des GIGA Instituts für Afrika-Studien des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien in Ham-burg und forscht unter anderem zur deutschen und französi-schen Afrikapolitik. „Gerade er-gibt sich eine graduelle Aufwer-tung Afrikas, das finde ich gut und überfällig, schließlich ist das unser Nachbarkontinent“, sagt er.

Dramatische Lage in Zentralafrika

Mehler begrüßt den Plan, die Zahl der ausländischen Solda-ten in der Zentralafrikanischen Republik von derzeit 8.000 auf über 20.000 zu erhöhen. Schon seit Monaten fordert er ein in-ternationales Eingreifen in dem Land. In Aufsätzen und Artikeln warnt er, es könne sich in ein „zweites Somalia“ verwandeln. Den Begriff „Genozid“, den Ban Ki Moon in Bangui benutzt hat, hält er dagegen für falsch. „Da unterstellt man, es gäbe eine planmäßige Vorbereitung. Das ist nicht der Fall. Trotzdem ist die Lage äußerst dramatisch.“

Deutschland und Frankreich hätten die Chance, sich bei Ein-sätzen in afrikanischen Ländern stärker abzusprechen. „Es macht keinen Sinn, überall ge-mischte Truppen hinzuschi-cken. Jede Truppe soll das tun, was sie gut kann: Frankreich hat hohe logistische Fähigkei-ten und ist erfahren in Kampf-

einsätzen. Die Bundeswehr dagegen versteht sich auf die Ausbildung“, sagt Mehler. Wie schwierig eine solche Zusam-menarbeit ist, zeigt sich derzeit in Mali: Die französische Ar-mee geht mit ihren Soldaten im umkämpften Norden des Lan-des viel höhere Risiken ein als die Bundeswehr, die im relativ friedlichen Süden Soldaten aus-bildet. Frankreich ist deshalb nicht bereit, Deutschland ein Mitspracherecht zu gewähren.

Zivilgesellschaft stärken, Konflikten vorbeugenBewaffnete Konflikte wie die in Mali oder der Zentralafrika-nischen Republik bahnen sich oft über Jahrzehnte an. „Der Putsch der Séléka in Bangui kam nicht überraschend“, so Andreas Mehler. „Der gestürzte Präsident, François Bozizé, ist zehn Jahre zuvor auf dieselbe Weise an die Macht gekommen.“ Wissenschaftler, sagt Andreas Mehler, könnten mit großem Abstand und mit historischer Tiefe auf die Konflikte blicken.

„Hätten mehr tun können und mehr tun müssen.“ Ban Ki Moon in Kigali zum Völkermord in Ruanda,

der vor 20 Jahren begann.

Folgenschwere Fälschung: Im Weltsicher-heitsrat präsentiert der damalige US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vermeintliche Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen.

„Gerade ergibt sich eine Aufwer-tung Afrikas, das finde ich gut und

überfällig.“

Andreas Mehler GIGA Leibniz-Institut

für Globale und Regionale Studien

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Viele Forscher beraten deshalb Politiker – in Gremien, Diskussi-onspapieren oder Hintergrund-gesprächen. Andreas Mehler ist Mitglied eines Beirats, der die Bundesregierung beim Thema „zivile Krisenprävention“ berät. Prävention – etwa durch diplo-matische Bemühungen oder die Stärkung der lokalen Zivilge-sellschaft – hält er für die beste und wirksamste Maßnahme.

Wie erfolgreich Interventio-nen sind, ist politisch umstrit-ten. Matthias Dembinski und Thorsten Gromes von der Hes-sischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) ha-ben erstmals das Gelingen ver-schiedener humanitärer Inter-ventionen über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht. Das Ergebnis: Nur bei einem Drittel der Interventionen zwi-schen 1947 und 2005 endete die organisierte Gewalt zwischen den einheimischen Konflikt-parteien innerhalb eines Jahres. „Das ist kein Wert, der auf eine hohe Erfolgswahrscheinlich-keit humanitärer militärischer Interventionen hinweist“, sagt Dembinski. Die Studie sei aller-dings noch vorläufig und des-halb nicht geeignet, um einzelne

Inter ventionsentscheidungen zu bewerten. Denn methodisch gebe es noch Schwierigkeiten: „Zu Flüchtlingszahlen gibt es oft keine verlässlichen Daten. Deshalb haben wir Flüchtlings-ströme als Indikator von Erfolg nicht berücksichtigt“, sagt Dem-binski. „Und Opferzahlen liegen meist nur auf Jahresbasis vor. Dann können wir nicht sehen, ob diese Menschen vor, wäh-rend oder nach der Interven-tion gestorben sind“, ergänzt Thorsten Gromes.

Erfolgsrezept UN-Mandat?

Erfolgreich seien vor allem Mis-sionen in kleinen Ländern, wie Osttimor oder Sierra Leone. Dort könne mit relativ geringem finanziellen Aufwand viel er-reicht werden. Denn die Dichte der ausländischen Soldaten ist in kleinen Ländern so hoch, wie das in größeren Ländern logis-tisch gar nicht möglich wäre. Wollte man etwa in den Kongo prozentual gesehen so viele aus-ländische Truppen schicken wie 1999 in den Kosovo, bräuchte man eine Million Soldaten.

Ein weiterer Faktor für den Er-folg sind die Akteure. „Es gibt in der Wissenschaft die Ver-mutung, dass Einsätze mit UN-Mandat erfolgreicher sind als solche von Einzelstaaten ohne internationale Autorisierung“, erklärt Matthias Dembinski. Als Beispiel würden oft der erste und zweite Irakkrieg genannt. „Nach unserem Verständnis keine humanitären Interventi-onen.“ Der erste – durch Reso-lution 678 des UN-Sicherheits-rates gedeckte – Irakkrieg von 1990/91 gilt als erfolgreich; der zweite (2003) hingegen als his-torischer Fehler. „Stabilisierung und Befriedung des Landes sind auch deshalb gescheitert, weil die Intervention international so umstritten war und die Le-gitimation der UN fehlte“, sagt Dembinski. In Deutschland hät-ten humanitäre Interventionen anders als etwa in Frankreich grundsätzlich einen schlechten Ruf.

Insgesamt haben Interven-tionen seit den 90er Jahren stark zugenommen. Das liegt zum einen am Fall des Eisernen Vorhangs. „Der Ost-West-Kon-flikt hat humanitäre Interven-tionen weitgehend verhindert“, Fo

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Verstärktes Engagement: Deutsche Soldaten im afghanischen Kabul. Immer wieder werden Forderungen laut, die Bundeswehr müsse auch bei Friedenseinsätzen in Afrika aktiver werden.

„Es gibt die Vermutung, dass Einsätze mit UN-Mandat erfolgreicher sind.“

Matthias Dembinski Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

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sagt Dembinski. „Als Folge der Umbrüche der Jahre 1989/90 entwickelte sich ein neues nor-matives Verständnis, das den Schutz des Menschen in den Mittelpunkt rückte.“

Eine weitere Rolle spielte der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994, bei dem die Verein-ten Nationen viel zu spät und viel zu zögerlich eingriffen. Mindestens 800.000 Menschen starben. „Die internationale Ge-meinschaft hat versagt“, räumte Kofi Anan, der damals die UN-Abteilung für Friedenseinsätze leitete, später ein. Und forder-te: „Die Welt muss besser dafür gerüstet sein, um Völkermord zu verhindern und entschieden handeln, wenn die Vorsorge versagt.“

Intervention aus Verantwortung

In der Folge des Genozids wur-de eine Kommission – genannt ICISS – einberufen, die eng mit den Vereinten Nationen zusam-menarbeitete. Sie sollte unter-suchen, wann humanitäre Inter-ventionen und Interventionen, um die Demokratie in einem Land wiederherzustellen, ge-rechtfertigt sind. Im Jahr 2001

veröffentlichte sie ihren Report unter dem Titel „responsibility to protect“, zu Deutsch: „Schutz-verantwortung.“ Demnach ist ein militärisches Eingreifen gerecht-fertigt, wenn „eine akute Bedro-hung des Lebens einer großen Anzahl von Menschen“ vorliegt.

Humanitäre Tradition

Damit entstand ein neuer – wenn auch sehr vager – Rah-men für eine jahrhundertealte Praxis. Vorläufer der humanitä-ren Intervention gab es schon im 17. Jahrhundert, etwa im Drei-ßigjährigen Krieg, als Staaten aus konfessioneller Solidarität intervenierten, um Glaubens-brüder zu schützen. Der Begriff der humanitären Intervention entwickelte sich erst im 19. Jahr-hundert.

Der Historiker Fabian Klose untersucht am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz die Anfänge der humanitären Intervention. „Im Laufe des 18. Jahrhunderts ent-stand eine grundlegend neue Gefühlsordnung“, sagt er. „Die Menschen begannen, Mitgefühl zu empfinden.“ Die Philosophie der Aufklärung, aber auch reli-

giöse Tendenzen und der Sen-timentalismus in der Literatur waren Gründe für diesen Menta-litätswandel.

1808 fand die erste Interven-tion statt: Die britische Marine schickte Schiffe nach Westafrika, um den Sklavenhandel zu been-den. Mit Texten, Pamphleten und Symbolen – wie dem berühmten Bild eines knienden Sklaven von Josiah Wedgewood – wurden die Menschen mobilisiert, sich gegen den Sklavenhandel zu engagieren. Um Menschenrech-te ging es damals jedoch nicht. „Das war ein paternalistisches Konzept“, sagt Klose. „Die Herr-schaft über schwarze Menschen galt nicht als falsch. Man wollte nur humanitäre Normen einhal-ten und extreme Formen von Gewalt verhindern.“

Frankreich beteiligte sich – anders als Spanien, Portugal und die Niederlande – nicht an die-sem ersten humanitären Einsatz unter britischer Führung. Die Regierung in Paris behauptete, Großbritannien verfolge wirt-schaftliche Interessen und wolle in Wahrheit seine Vormachtstel-lung ausbauen. Ein Verdacht, der noch heute jeder humanitä-ren Intervention anhaftet.

mounia meiborg

Proteste:Der zweite Irakkrieg

wurde wie hier in Washington weltweit kritisiert. Wohl auch,

weil eine Legitimation auf Basis des Völker-

rechts fehlte.

„Die Menschen begannen,

Mitgefühl zu empfinden.“

Fabian Klose Leibniz-Institut für Europäische

Geschichte