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Redaktion E. Märker-Herrmann, Wiesbaden Z Rheumatol 2011 · 70:554–560 DOI 10.1007/s00393-011-0813-7 Online publiziert: 8. Juli 2011 © Springer-Verlag 2011 B. Manger 1  · A. Lindner 2  · K. Manger 3  · J. Wacker 1  · G. Schett 1 1 Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Erlangen 2 Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Erlangen 3 Rheumatologische Praxis, Bamberg Hypertrophe Osteoarthropathie Marie-Bamberger-Syndrom Leitthema Fallbericht Ein 35-jähriger Patient stellte sich mit seit 7 Monaten bestehenden Schmerzen im Bereich beider Sprunggelenke und Knie vor. Durch die Einnahme von Diclofenac ließen sich die Schmerzen komplett unter- drücken; nach multiplen Absetzversuchen seien die Beschwerden jedoch in unver- änderter Stärke wiedergekommen. Seit Kurzem fielen dem Patienten zusätzlich schmerzlose Schwellungen im Bereich der Fingerendglieder und eine Auftreibung der Nagelwurzel auf (. Abb. 1). Zusätz- lich bestünden Abgeschlagenheit, abend- liche subfebrile Temperaturen und gele- gentlich Sodbrennen. Der Patient rauchte bis etwa 1 Jahr zuvor (ca. 10 „packyears“). Bei Vorstellung befand sich der Patient in einem sehr guten Allgemein- und Ernäh- rungszustand. Radiologisch zeigten sich solide sym- metrische Periostauflagerungen im Be- reich der distalen Tibia und Fibula ty- pisch für eine hypertrophe Osteoarthro- pathie (. Abb. 2). Darüber hinaus be- standen keine pathologischen Verände- rungen an Sprunggelenken und Knien. Die Röntgenaufnahme des Thorax zeig- te einen unauffälligen Herz-Lungen-Be- fund; die Spirometrie und Blutgasanaly- se erbrachten Normalbefunde. Zur weiteren Abklärung der Ursache der hypertrophen Osteoarthropathie wur- de eine Positronenemissionstomographie mit 18 F-Fluorodeoxyglukose in Kombi- nation mit Computertomographie (PET- CT) veranlasst. Hier zeigte sich eine aus- geprägte Tracer-Aufnahme im Bereich des unteren Ösophagus und am Übergang zur Kardia (. Abb. 3). In der anschließend durchgeführten Gastroskopie zeigte sich ein von 30 cm bis 42 cm ab oro reichender Tumor, der in den Kardiabereich hineinragte. Zwischen den exophytisch wachsenden Tumorzap- fen zeigte sich zum Teil fibrinbelegte, ex- ulzerierte Schleimhaut (. Abb. 4). Mit- tels Bronchoskopie konnte ein Einwach- sen in das Brochialsystem ausgeschlossen werden. In der Histologie zeigte sich ein unterminierend wachsendes, wenig dif- ferenziertes neuroendokrines Karzinom mit einer hohen Proliferationsrate (MIB- 1 80%). Immunhistologisch zeigte der Tu- mor Positivität für Synaptophysin, CD 56, KI1, EMA und Chromogranin bei Negati- vität für TTF-1, CK5, CK20 und Lu5. Aufgrund der hohen Proliferationsra- te wurde nach Anlage einer PEG-Sonde und eines Portkathetersystems eine Che- motherapie mit 3 Kursen Cisplatin/Eto- posid eingeleitet. Danach kam es zu einer deutlichen Regression; endoskopisch und computertomographisch war kein Tu- morgewebe mehr nachweisbar. Im An- schluss wurde der Patient ösophagekto- miert und ein Jejunuminterponat einge- fügt. Die Operation wurde vom Patien- ten gut vertragen. Die histologische Auf- arbeitung zeigte noch mikroskopische Tu- moranteile. Bei einer Nachsorgeuntersu- chung 3 Monate später fand sich eine so- litäre Hirnmetastase, die operativ entfernt werden konnte und mittels adjuvanter Ra- diotherapie nachbehandelt wurde. Bisher ist der Patient seit mittlerweile 15 Mona- ten beschwerde- und rezidivfrei; die Ge- lenk- und Knochenschmerzen sowie die Fingerveränderungen bildeten sich kom- plett zurück. Abb. 1 9Trommel- schlegelfinger in sehr frühem Stadium mit geringer Auftreibung der Fingerendglieder v. a. auf Höhe der Nagelwurzel 554 | Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2011

Hypertrophe Osteoarthropathie

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RedaktionE. Märker-Herrmann, Wiesbaden

Z Rheumatol 2011 · 70:554–560DOI 10.1007/s00393-011-0813-7Online publiziert: 8. Juli 2011© Springer-Verlag 2011

B. Manger1 · A. Lindner2 · K. Manger3 · J. Wacker1 · G. Schett1

1 Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Erlangen2 Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum Erlangen3 Rheumatologische Praxis, Bamberg

Hypertrophe OsteoarthropathieMarie-Bamberger-Syndrom

Leitthema

Fallbericht

Ein 35-jähriger Patient stellte sich mit seit 7 Monaten bestehenden Schmerzen im Bereich beider Sprunggelenke und Knie vor. Durch die Einnahme von Diclofenac ließen sich die Schmerzen komplett unter-drücken; nach multiplen Absetzversuchen seien die Beschwerden jedoch in unver-änderter Stärke wiedergekommen. Seit Kurzem fielen dem Patienten zusätzlich schmerzlose Schwellungen im Bereich der Fingerendglieder und eine Auftreibung der Nagelwurzel auf (. Abb. 1). Zusätz-lich bestünden Abgeschlagenheit, abend-liche subfebrile Temperaturen und gele-gentlich Sodbrennen. Der Patient rauchte bis etwa 1 Jahr zuvor (ca. 10 „packyears“). Bei Vorstellung befand sich der Patient in einem sehr guten Allgemein- und Ernäh-rungszustand.

Radiologisch zeigten sich solide sym-metrische Periostauflagerungen im Be-reich der distalen Tibia und Fibula ty-pisch für eine hypertrophe Osteoarthro-pathie (. Abb. 2). Darüber hinaus be-standen keine pathologischen Verände-rungen an Sprunggelenken und Knien. Die Röntgenaufnahme des Thorax zeig-te einen unauffälligen Herz-Lungen-Be-fund; die Spirometrie und Blutgasanaly-se erbrachten Normalbefunde.

Zur weiteren Abklärung der Ursache der hypertrophen Osteoarthropathie wur-de eine Positronenemissionstomographie mit 18F-Fluorodeoxyglukose in Kombi-nation mit Computertomographie (PET-CT) veranlasst. Hier zeigte sich eine aus-geprägte Tracer-Aufnahme im Bereich des unteren Ösophagus und am Übergang zur Kardia (. Abb. 3).

In der anschließend durchgeführten Gastroskopie zeigte sich ein von 30 cm

bis 42 cm ab oro reichender Tumor, der in den Kardiabereich hineinragte. Zwischen den exophytisch wachsenden Tumorzap-fen zeigte sich zum Teil fibrinbelegte, ex-ulzerierte Schleimhaut (. Abb. 4). Mit-tels Bronchoskopie konnte ein Einwach-sen in das Brochialsystem ausgeschlossen werden. In der Histologie zeigte sich ein unterminierend wachsendes, wenig dif-ferenziertes neuroendokrines Karzinom mit einer hohen Proliferationsrate (MIB-1 80%). Immunhistologisch zeigte der Tu-mor Positivität für Synaptophysin, CD 56, KI1, EMA und Chromogranin bei Negati-vität für TTF-1, CK5, CK20 und Lu5.

Aufgrund der hohen Proliferationsra-te wurde nach Anlage einer PEG-Sonde und eines Portkathetersystems eine Che-motherapie mit 3 Kursen Cisplatin/Eto-posid eingeleitet. Danach kam es zu einer deutlichen Regression; endoskopisch und computertomographisch war kein Tu-morgewebe mehr nachweisbar. Im An-schluss wurde der Patient ösophagekto-miert und ein Jejunuminterponat einge-fügt. Die Operation wurde vom Patien-ten gut vertragen. Die histologische Auf-arbeitung zeigte noch mikroskopische Tu-moranteile. Bei einer Nachsorgeuntersu-chung 3 Monate später fand sich eine so-litäre Hirnmetastase, die operativ entfernt werden konnte und mittels adjuvanter Ra-diotherapie nachbehandelt wurde. Bisher ist der Patient seit mittlerweile 15 Mona-ten beschwerde- und rezidivfrei; die Ge-lenk- und Knochenschmerzen sowie die Fingerveränderungen bildeten sich kom-plett zurück.

Abb. 1 9 Trommel-schlegelfinger in sehr frühem Stadium mit geringer Auftreibung der Fingerendglieder v. a. auf Höhe der Nagelwurzel

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Historie

Bereits seit der Antike wird das Auftre-ten von Trommelschlegelfingern als ein klinisch schlechtes Zeichen gewertet. Die erste überlieferte Beschreibung stammt von Hippokrates aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. [1]. Am Ende des 19. Jahrhun-derts beschrieben etwa zeitgleich Eugen

von Bamberger und Pierre Marie die Be-obachtung, dass diese typischen Finger-veränderungen oft gemeinsam mit peri-ostalen Proliferationen der langen Röh-renknochen auftreten [2, 3, 4]. Beides waren offensichtlich verschiedene Ma-nifestationen der gleichen Erkrankung, die seither auch als (pulmonale) hyper-trophe Osteoarthropathie (HOA) oder

als Marie-Bamberger-Syndrom bezeich-net wird.

Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel

Die Erkennung von ausgeprägten Trom-melschlegelfingern und Uhrglasnägeln ist einfach; in frühen Krankheitsstadien kann dies jedoch durchaus diagnosti-sche Schwierigkeiten bereiten. Als ein-fach zu erhebender Messparameter hat sich das Verhältnis des distalen phalan-gealen Durchmessers (DPD) zum inter-phalangealen Durchmesser (IPD) be-währt (. Abb. 5a, b). Dieses ist unab-hängig von Alter, Geschlecht und Her-kunft bei Gesunden stets kleiner als 1, bei Trommelschlegeldeformität dagegen grö-ßer als 1 [5].

Diese Veränderung beruht auf der Pro-liferation von Bindegewebe zwischen Na-gelmatrix und distaler Phalanx. Normal-erweise ist der Durchmesser des Nagel-betts geringer als 2 mm. In Autopsiebe-funden bei Patienten mit Trommelschle-gelfingern ist dieser vergrößert. Histolo-gisch finden sich unreife Fibroblasten, Lymphozyten und Eosinophile sowie ver-mehrt Bindegewebsfasern und Gefäße. Die Veränderungen treten meist symme-trisch an mehreren Fingern beider Hände auf, und identische Veränderungen kön-nen sich auch an den Zehen ausbilden (. Abb. 5c).

Trommelschlegelfinger sind häufig schmerzlos und werden vom Patienten oft über längere Zeit nicht bemerkt. In Kom-bination mit einer HOA können jedoch auch Schmerzen, Dysästhesien und vege-tative Symptome wie Hyperhidrose in den betroffenen Regionen auftreten.

Differenzialdiagnose

Die Differenzialdiagnose von Trommel-schlegelfingern ist umfangreich und in . Tab. 1 zusammengestellt. Eine para-neoplastische Genese ist umso wahr-scheinlicher, je schneller sich die Verän-derungen entwickeln, je schmerzhafter sie sind und je ausgeprägter unspezifische Begleitsymptome (subfebrile Temperatu-ren, Gewichtsverlust) und Entzündungs-parameter (C-reaktives Protein, Leuko-zytose, Thrombozytose) vorliegen [6, 7].

Abb. 2 8 Solide Periostreaktion mit welliger Kontur an der dorsalen Fibula; glatte Periost-auflagerung an der Vorderkante der Tibia durch vermehrt strahlentransparente Zone vom vent-ralen Tibiaschaft abgesetzt

Abb. 3 8 PET-CT: deutliche Anreicherung von 18F-Fluorodeoxyglukose im Bereich des dista-len Ösophagus

Abb. 4 9 Endosko-pischer Befund eines 12 cm großen, exophy-tisch und exulzerie-rend wachsenden Tumors im distalen Ösophagus

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Leitthema

Der Rheumatologe sollte wissen, dass es neben diesen, durch echte Bindege-webszunahme bedingten Verformun-gen auch „Pseudotrommelschlegelfinger“ gibt, die durch eine Verkürzung der Fin-gerendglieder bei ossären Resorptionsvor-gängen der distalen Phalangen entstehen [8, 9]; . Tab. 2 gibt einen Überblick über Erkrankungen, die ursächlich für solche Knochenresorptionen sein können.

Hypertrophe Osteoarthropathie

Das Vollbild der HOA ist gekennzeichnet durch folgende Trias:F  Trommelschlegelfinger (bzw. -zehen)

und Uhrglasnägel,F  Knochen- und Gelenkschmerzen,F  proliferative Periostitis.

Das Ausmaß der muskuloskelettalen Symptomatik ist sehr variabel. Die Arth-ralgien und Knochenschmerzen betref-fen bei den meisten Patienten weitgehend symmetrisch die Knie und Sprunggelen-ke sowie die distalen Anteile von Femur, Tibia und Fibula. Eine Beteiligung klei-nerer Gelenke (Hand- und Fingergelen-ke) ist seltener; Schulter- oder Ellbogen-schmerzen sind eher die Ausnahme [10]. Eine Synovitis mit Ergussbildung, Mor-gensteifigkeit und erhöhten serologischen Entzündungsparametern (Blutsenkungs-geschwindigkeit, C-reaktives Protein) ist nicht selten [11]. Rheumafaktoren, antinu-kleäre Antikörper und Antikörper gegen zitrullinierte Peptide finden sich nicht oder allenfalls in unspezifisch niedrigen Titern. In den in der Literatur berichteten Fällen von Synovialanalyse bei HOA wird eine nichtentzündliche, weitgehend klare und normal visköse Gelenkflüssigkeit be-schrieben. Die Leukozytenzahl liegt unter 1000/mm3 und der Neutrophilenanteil unter 25% [10, 12].

Die klassische radiologische erkenn-bare Periostreaktion ist eine ossifizier-te Lamelle, die sich durch eine strahlen-transparente Zone vom Schaft des Röh-renknochens absetzt. Im weiteren Ver-lauf entsteht eine teils geschichtete, teils solide Periostreaktion mit welliger Kon-tur, die der Kompakta direkt aufsitzt und diese verdickt erscheinen lässt (. Abb. 2; [14]). Betroffen sind am häufigsten die distalen Anteile von Femur, Tibia und Fi-

Zusammenfassung · Abstract

Z Rheumatol 2011 · 70:554–560 DOI 10.1007/s00393-011-0813-7© Springer-Verlag 2011

B. Manger · A. Lindner · K. Manger · J. Wacker · G. Schett

Hypertrophe Osteoarthropathie. Marie-Bamberger-Syndrom

ZusammenfassungDie hypertrophe Osteoarthropathie (HOA) ist die klassische paraneoplastische Erkrankung in der Rheumatologie, charakterisiert durch die Trias aus Trommelschlegelfingern mit Uhrglasnägeln, Gelenk- und Knochenschmer-zen sowie proliferativer Periostitis. Diese Kon-stellation sollte Anlass zu einer intensiven Tu-morsuche sein, wobei in der Regel intratho-rakale Malignome zugrunde liegen. Wir be-richten hier über einen Patienten mit HOA im Rahmen eines neuroendokrinen Ösophagus-karzinoms. Differenzialdiagnostisch kommen eine Reihe anderer nichtmaligner Erkrankun-gen der Lunge, des Herzens oder anderer Or-

gane in Frage. Selten tritt auch eine primä-re, familiäre Form der HOA auf, deren geneti-scher Hintergrund vor Kurzem entschlüsselt wurde. Neue Erkenntnisse zur Pathophysio-logie dieser Erkrankung haben auch zu einer Erweiterung der diagnostischen und thera-peutischen Möglichkeiten geführt.

SchlüsselwörterHypertrophe Osteoarthropathie · Marie-Bamberger-Syndrom · Paraneoplasie · Trommmelschlegelfinger · Periostitis

Hypertrophic osteoarthropathy. Bamberger-Marie disease

AbstractHypertrophic osteoarthropathy (HOA) is the classical neoplastic disease in rheumatolo-gy characterized by a combination of digi-tal clubbing, joint and bone pain, and prolif-erative periostitis. This combination of symp-toms should initiate an intensive search for an underlying malignant disease usually of thoracic organs. Here we report the case of a patient with HOA and neuroendocrine car-cinoma of the esophagus. Other non-malig-nant disorders of the lungs, heart and other organs should be considered in the differen-

tial diagnosis. In addition, rare cases of a pri-mary hereditary form of HOA exist and the genetic background has recently been dis-covered. Thus, new insights into the patho-physiology have improved diagnostic and therapeutic options for this disorder.

KeywordsHypertrophic osteoarthropathy · Bamberger-Marie disease · Paraneoplastic syndromes · Finger clubbing · Periostitis

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bula, seltener von Ulna und Radius so-wie Metecarpal- und Metatarsalschäfte. Erosive Veränderungen an den Gelen-ken werden nicht berichtet. In der Kno-chenszintigraphie zeigt sich während der Mineralisationsphase eine Tracer-Anrei-cherung in den betroffenen Arealen [10]. Wenn zur Tumordiagnostik bei Patienten mit HOA ein PET-CT durchgeführt wird, kann sich die periostale Stoffwechselstei-gerung auch durch vermehrte Aufnahme von 18F-Fluorodeoxyglukose deutlich zei-gen ([14]; . Abb. 6).

Eine proliferative Periostitis ist je-doch kein für die HOA spezifischer Be-fund. . Tab. 3 gibt einen Überblick über weitere Differenzialdiagnosen, bei denen sich periostale Veränderungen im Rönt-genbild nachweisen lassen.

Epidemiologie

Beschwerden am Bewegungsapparat im Rahmen einer malignen Erkrankung sind nicht selten. Bei 60 Patienten (45 solide Tumoren, 15 hämatolymphatische Erkran-kungen), die sich in Behandlung in einer onkologischen Klinik befanden (Radio- oder Chemotherapie), wurde eine rheu-matologische Untersuchung veranlasst: 17 der Patienten litten unter Arthralgien, 14 unter Myalgien. Bei 10 Patienten ließ sich eine Tenosynovitis der Fingerbeuge-sehnen objektivieren, bei 3 eine Synovitis peripherer Gelenke. Nur 5 Patienten hat-ten eine klassische HOA [15].

> Im Rahmen einer malignen Erkrankung kommt es häufig zu Beschwerden am Bewegungsapparat

Zwei aktuelle Publikationen beschäftigen sich mit der Häufigkeit der HOA in gro-ßen Kollektiven von Patienten mit Bron-chialkarzinom. Bei 4,5% von 1226 die-ser Patienten fand sich in der Knochen-szintigraphie ein erhöhter Tracer-Upta-ke im Bereich von Femur und/oder Tibia. Nur 10 Patienten (0,8%) hatten zusätzlich Trommelschlegelfinger und Arthralgien, sodass die Diagnose einer HOA gestellt werden konnte [16]. Diese Daten werden bestätigt durch eine weitere retrospek-tive Auswertung, bei der sich mit 0,72% HOA-Fällen bei 2625 Bronchialkarzino-men eine nahezu identische Inzidenz er-gibt [17]. In allen veröffentlichten Fallse-rien findet sich eine HOA ganz überwie-gend bei nichtkleinzelligen Bronchialkar-zinomen, und bei diesen sind überpro-portional häufig Adenokarzinome vertre-ten [18].

Pathophysiologie

Über die gemeinsame Pathogenese bei den unterschiedlichen zugrunde liegen-den Erkrankungen einer HOA wird im-mer noch geforscht; verschiedene Wachs-tumsfaktoren wie „platelet derived growth factor“ (PDGF) und „vascular endotheli-al growth factor“ (VEGF) wurden schon angeschuldigt [1, 19, 20]. Bei Maligno-men können diese direkt von den Tu-morzellen gebildet werden, bei benig-

nen Grunderkrankungen (z. B. zyanoti-sche Vitien) kann es durch arteriovenö-se Shunts zur Ausschwemmung von Me-gakaryozytenfragmenten in die periphe-ren Gefäße kommen, die dort die PDGF freisetzen oder die Produktion von VEGF durch Endothelzellen bewirken. VEGF wiederum führt zu Fibroblastenwachs-tum an den Fingerspitzen und zur perios-talen Osteoblastenstimulation. Im Gegen-satz zu Literaturberichten konnten wir bei dem eingangs geschilderten Patienten kei-ne erhöhten VEGF-Plasmaspiegel nach-weisen [1].

Neue pathogenetische Erkenntnis-se ergeben sich aus neuen Untersuchun-gen zur Genetik der primären HOA, die ohne auslösende Erkrankung bereits im Kindesalter und familiär gehäuft auftritt. Der zugrunde liegende genetische Defekt wurde nun entschlüsselt: Mutationen des Enzyms 15-Hydroxyprostaglandin-Dehy-drogenase bewirken einen gestörten Ab-bau von Prostaglandin E2 (PGE2). Die er-höhten PGE2-Spiegel wiederum führen zu Trommelschlegelfingern, periostalen Pro-liferationen, Hautverdickungen, Hyperhi-drose („Pachydermoperiostose“) und ggf. persistierendem Ductus arteriosus Botalli. Eine dauerhafte Gabe von nichtsteroida-len Antirheumatika (NSAR) stellt bei die-sem Krankheitsbild die kausale Therapie der Wahl dar [21, 22].

Therapie

Bei sekundärer HOA ist die kausale The-rapie der Grunderkrankung das Vorgehen der ersten Wahl – im Falle einer Paraneo-plasie also die komplette chirurgische, strahlen- oder chemotherapeutische Ent-fernung des Tumorgewebes. Gelingt dies, besteht eine gute Aussicht auf Rückbil-dung oder zumindest deutliche Besserung der muskuloskelettalen Beschwerden wie im eingangs geschilderten Fall. Eine ku-rative Tumortherapie ist jedoch nicht im-mer möglich, und gelegentlich können dennoch Knochen- und Gelenkschmer-zen persistieren und erheblich zur Morbi-dität beitragen [23].

Meist sprechen die Beschwerden aus-gezeichnet auf eine Therapie mit Aspirin, konventionellen NSAR oder Coxiben an, was ein indirekter Hinweis darauf ist, dass die oben besprochenen Prostaglandine

Tab. 1  Differenzialdiagnose von Trommelschlegelfingern

Paraneoplasie (HOA, Marie-Bamberger-Syndom)- Intrathorakale Tumoren (bronchial, pleural,

ösophageal)

Chronische arterielle Hypoxie- Restriktive Lungenerkrankungen- Obstruktive Lungenerkrankungen- Zyanotische Herzfehler

Sonstige (sehr selten)- Entzündliche Darmerkrankungen, Sprue- Schilddrüsen- und Lebererkrankungen- Endokarditis, HIV, Tbc- Infizierte Gefäßprothesen

Idiopathisch, familiär

Tab. 2  Ursachen für Pseudotrommel-schlegelfinger

Hyperparathyreoidismus

Progressive systemische Sklerose

Sarkoidose (Ostitis cystoides multiplex Jüngling)

Genetische Fingerabnormalien (z.B. Kirner-Syndrom)

Akrale Raumforderungen (Hämangiome, Metastasen)

Tab. 3  Differenzialdiagnose von proliferativen Periostreaktionen

Hypertrophe Osteoarthropathie

Psoriasisarthritis

Insertionstendopathien

Akromegalie

Chronische Osteomyelitis

Benigne und maligne Knochentumoren

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Leitthema

auch bei der sekundären HOA eine Rolle spielen. Wohl nur noch von historischem Interesse ist die früher in therapierefrak-tären Fällen praktizierte Vagotomie [23].

Dagegen wurden in neueren Fallbe-richten Octreotid [24, 25] und Bisphos-phonate mit gutem Erfolg für die sympto-matische Therapie eingesetzt. Neben der Wirkung auf den Knochenstoffwechsel ist sowohl für Bisphosphonate wie auch für Octreotid ein inhibitorischer Effekt auf die Produktion von VEGF nachgewiesen [25, 26]. Es bleibt abzuwarten, inwieweit neue in der Tumortherapie eingesetzte VEGF-Antagonisten auch Eingang in die symptomatische Behandlung der HOA finden werden.

Fazit für die Praxis

F  Die HOA (Marie-Bamberger-Syndrom) ist die klassische Paraneoplasie in der Rheumatologie.

F  Zugrunde liegen in der Regel  intrathorakale Malignome.

F  Die Differenzialdiagnose ist umfang-reich; die HOA kann auch bei ver-schiedenen benignen Grunderkran-kungen oder hereditär vorkommen.

F  Die HOA ist charakterisiert durch-Trommelschlegelfinger und Uhrglas-nägel, Knochen- und Gelenkschmer-zen sowie eine proliferative Periosti-tis.

F  Die proliferative Periostitis lässt sich an den distalen Enden der langen Röhrenknochen meist symmetrisch im Röntgenbild oder mit szintigraphi-schen Methoden nachweisen.

F  Spezifische Laborparameter existie-ren nicht; Entzündungsparameter sind unspezifisch erhöht.

F  Nach erfolgreicher Tumortherapie bil-den sich die Symptome meist zurück. 

Wiederauftreten zeigt ein Rezidiv oder Metastasen an.

F  Ist dies nicht der Fall, sprechen die Symptome oft sehr gut auf Prosta-glandinhemmer an. Bisphosphonate oder Octreotid sind mögliche Alterna-tiven.

KorrespondenzadresseProf. B. Manger

Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum ErlangenKrankenhausstr. 12, 91054 Erlangenbernhard.manger@ uk-erlangen.de

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Abb. 5 8 Beim gesunden Finger ist der interphalangeale Durchmesser (IPD) in Höhe des Fingerendgelenks dorsovolar gemessen stets größer als der distale phalangeale Durchmesser (DPD) in Höhe der Nagelwurzel (a); beim Trommelschlegel-finger kehrt sich dieses Verhältnis um (b). c Trommelschlegelzehen beim gleichen Patienten

Abb. 6 7 Peritibiale Anreicherungen von 18F-Fluorodeoxyglu-

kose in der PET-CT bei HOA

559Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2011  | 

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Eva-Luise-Köhler-Forschungs-preis für Seltene Erkrankungen 2012

Die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für

Menschen mit Seltenen Erkrankungen ver-

gibt in enger Kooperation mit der Allianz

Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE

e.V.) zum fünften Mal einen Preis für For-

schungsprojekte, die sich seltenen Erkran-

kungen widmen. Der mit 50.000 Euro dotier-

te Forschungspreis ist nach der Schirmherrin

der ACHSE, Frau Eva Luise Köhler, benannt.

Allein in Deutschland sind bis zu 4 Millionen

Menschen von einer der über 5.000 Seltenen

Erkrankungen betroffen. Viele bedeuten für

den Patienten eine deutliche Verminderung

der Lebensqualität und der Lebensdauer.

Durch den Mangel an Forschung fehlen

Medikamente und Therapien. Mit dem Eva-

Luise-Köhler-Forschungspreis soll die Durch-

führung bzw. Anschubfinanzierung eines am

Patientennutzen orientierten Forschungspro-

jektes im Bereich der Seltenen Erkrankungen

ermöglicht werden. Der Forschungspreis

macht zudem Wissenschaft, Industrie und

Gesellschaft darauf aufmerksam, dass die

Forschung zu den vordringlichsten Aufgaben

der Gesundheitspolitik gehören sollte.

Bewerbungsschluss für den Forschungspreis

ist der 3. Oktober 2011. Am 28. Februar 2012

erfolgt in Berlin die feierliche Vergabe an den

oder die Preisträger. Interessierte Wissen-

schaftler erhalten detaillierte Informationen

zur Bewerbung und die Bewerbungsunter-

lagen unter www.achse-online.de.

Quelle:

Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen

(ACHSE e. V.), www.achse-online.de

Fachnachrichten

Gelenk- und Organschäden bei Gicht

Etwa 2% Prozent der Deutschen leiden an

Gicht. Ohne Therapie lagern sich Harnsäure-

kristalle in Knochen, Gelenken und inneren

Organen ab und können diese nachhaltig

schädigen. Vor diesem Hintergrund weist die

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie

(DGRh) darauf hin, dass nur ein dauerhaftes

Absenken des Harnsäurespiegels unter 6

mg/dl ein Fortschreiten der Erkrankung ver-

hindern kann. Hierfür stehen verschiedene

Medikamente zur Verfügung, die die Produk-

tion von Harnsäure im Körper vermindern.

Zudem kommen Wirkstoffe zum Einsatz,

die das Ausscheiden der Harnsäure über

die Nieren verbessern. Zu Therapiebeginn

werden abgelagerte Harnsäurekristalle durch

die Medikamente aufgelöst. So kann es zu

einem kurzfristigen Anstieg der Harnsäure-

konzentration im Blut kommen, wodurch sich

das Risiko für akute Gichtanfälle erhöht. Die

zusätzliche Gabe von antiinflammatorischen

Medikamenten zur Suppression von IL-β;

sowie in geringeren Dosen Colchizin kann die

Zahl der Anfälle jedoch deutlich verringern.

Quelle:

Deutsche Gesellschaft für

Rheumatologie, Berlin,

www.drgh.de