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iiina :
LEBEN & LIEBEN
erregt, hatte aber nie einen Orgasmus undftihlte mich hinterher einfach nur leer.
§7ährend ich mit den Männern schlief, spürte
ich zwar eine gewisse Erregung, doch le mehrMänner ich gehabt hatte, desto stumpferwurde das Gefühl. Das Paradoxe war, dass
der Drang nach Erfüllung mit iedem Manngrößer wurde. Meine Gedanken kreisten nurnoch darum, wo und wann ich wohl endlichden Richtigen finden würde.
Das ging über einige Jahre so. Mit meinen
Freundinnen redete ich nie darüber, überhauptversuchte ich, das Thema ,,Beziehung" garnicht erst aufkommen zu lassen. Als ich Ende
20 wa4 begann ich mich allmählich zu fragen:
§(ie funktioniert eigentlich eine ,,normale"Liebesbeziehung? §üie fühlt sich Sex an, wennman jemanden liebt und sich geborgen fühlt?Wenn ich nach dem Sex gefragt wurde,wie es gewesen sei, sagte ich: ,,Angenehm."In §Tahrheit wollte ich nur schnell weg.
Bis zum nächsten Morgen blieb ich nie. Ichhabe bestimmt einige Männer dadurchverletzt - und ich habe mir selbst damit weh-getan. Das weiß ich heute.
Für iemanden, der diese Sucht nicht haq istes bestimmt schwer nachvollziehbar, warumich nicht einfach aufgehört habe, Männerzu treffen. Aber ich konnte nicht! Der ständige
Gedanke an Sex, diese ständige Suche nach
dem nächsten Mal, bei dem ich vielleichtetwas wie Liebe spüren würde, bestimmtemein Leben vollkommen. Ich fühlte michgetrieben, war unruhig und traf meine
Freunde immer seltener.
Auch mein Ruf in der Firma litt darunter.Offen sprachen meine Kollegen zwar nichtüber mich, aber oft kamen zweideutigeSprüche oder komische Seitenblicke. Einmalsagte mein Chef ziemlich wütend: ,,Sie sind inletzter Zeit wahnsinnig unkonzentriert.Vielleicht sollten Sie nachts mal schlafen." Dabekam ich Angst, meinen Job zu verlieren.
Und es gab noch etwas anderes, das mirAngst machte: Aids. Eigentlich verhütete ichzwar immer mit Kondomen. Aber manchmalwollte mein Sexpartner das nicht, und ich ließihn gewähren, weil ich ihn nicht vergraulen
wollte. Deshalb spielte ich das Risiko herunteroder verdrängte es einfach. §7enn ich aber
Mein Rüind,er Firrnalitt unterm,einer
Sucht, auchtnein Chefsah mi.ch
sClwrnkomisch an
alleine war, dachte ich immer häufiger: Hierläuft irgendwas falsch, das geht so nichtweiter. In diesen Situationen wollte ich nurnoch raus aus diesem Leben. Ich fragte mich:Wo willst du denn noch Männer 6nden,wenn du so weitermachst? §üillst du immerweiter abstumpfen? §7o hört das alles auf?
Das war der Zeitpunkt, als ich anfing,Hilfe zu suchen. Erst im Internet. Ich googelte
die'§[orte,,Beziehungsstörung" und,fhera-pie". Dabei stieß ich auf ein Zentrum fürHypnosetherapie, das auch auf Sexualstörun-gen spezialisiert war. Dort stand etwas von
,,ganzheitlicher Befreiung von extremenGedanken, Emotionen oder Gewohnheiten".Genau das wollte ich! Trotzdem dauerte es
eine §üeile, bis ich mich dazu durchringenkonnte anzurufen. Aber dann war es die beste
Entscheidung, die ich hatte treffen können.Die Therapie war sehr berührend und an-
strengend. In der Hypnose gibt es ein Verfah-ren, das sich ,,Regression" nennt. Dabei führteinen der Therapeut in Gedanken in die eigene
Kindheit zurück. Ich erlebte noch einmal, wiees in meinem Elternhaus zuging - vor allemaber merkte ich, wie sehr ich das alles ver-
drängt hatte: die Kälte meiner Eltern, ihreStrenge und körperliche Distanz. Nie wurdenmeine Schwester und ich in den Arm genom-
men, es gab keine Gute-Nacht-Geschichten.Meine Geburtstage waren nie fröhlich, eher
lästige Pflichtveranstaltungen. Das warder Alltag bei uns - und auch Gewalt gehörte
dazu, mein Vater schlug meine Mutter. >>
i
g6 tfundin 2o/2or4
LEBEN & LIEBEN
Vor allem ein Erlebnis erinnerte ich in der
Regression als einen Schlüsselmoment: MeineEltern stritten sich im §Tohnzimmer. MeineSchwester und ich waren auch da, doch wirwurden von ihnen gar nicht wahrgenommen.Ich war wie gelähmt: Ich hatte große Angstum meine Eltern und gleichzeitig vor ihnen.Ich liebte und hasste sie. Der Streit wurdedann so heftig, dass mein Vater meine Mutterschlug und sie in eine Vitrine stürzte.Die Scherben splitterten, es war überall Blut:auf ihrem Kopf, in ihrem Gesicht, auf dem
Teppich. Ich rannte in mein Zimmer, machte
die Tür zu und beschloss an diesem Tag,
überhaupt keine Gefühle mehr zu haben. Anall das konnte ich mich plötzlich erinnern.Und ich verstand, dass ich deshalb niemals
eine normale Beziehung zu einem Mannaufbauen konnte, weil ich unbewusst fürchte-te, es könnte zu einem ähnlich gefährlichenMoment kommen - obwohl ich mir doch eine
liebevolle Beziehung mehr als alles anderegewünscht hatte.
Seitdem ist alles anders. Nach der Therapiekehrte allmählich eine große Erleichterungoder Fröhlichkeit in mein Leben ein. Heute,nach zwei Jahren, sehe ich meine Freunde
wieder regelmäßig. Ich habe sogar männlicheBekannte, die ich einfach nur freundschaft-lich treffe. Das Schönste aber: Ich habe michinzwischen verliebt und bin glücklich mitmeinem Freund. Er weiß von meiner Ver-gangenheit und akzeptiert sie. Es hat langegedauert, bis ich das erste Mal mit ihmgeschlafen habe. Aber ich weiß, dass ich vonihm aufrichtig geliebt werde. Und ich genieße
nicht nur den Sex mit ihm sehr - ich wünsche
mir jetzt auch selbst Kinder. (t
Irundin-Autorin Katrin Blanterlebte, wie tabuisiert das Thema Sexsucht bei
Frauen ist: Erst nach langen Vorgesprächen erklärte sicheine Betroffene zu diesem lnterview bereit.
Nikolai Hanf-Dressler ist Leiterdes Hypnos-Zentrums für Hypnosein Berlin. Wir sprachen mit ihmüber Sexsucht bei Frauen.
Herr lla4f-Dressler, wo liegt derUnterschied zwischen einem in-tensioen Sexleben und Sexsucht?Die Kontakte von Sexsüchtigen sindselten befriedigend. Eher selbst-
zerstörerisch und zwanghaft. DieBetroffenen können ihr Verhaltennicht mehr steuern, selbst wenn es
negative Konsequenzen hat.Wie sehen d,ie l{onsequenzen aus?Das sind körperliche Beschwerdenwie Infektionen, wenn es zu unge-
schütztem Sex kommt. Aber auchImageschäden im Berufsleben undverkümmerte soziale Beziehungen.Die Betroffenen sind oft einsam.Ist höt$ger Sex schon ein Indiz?Absolut nicht. §üenn man frischverliebt ist, ist es nicht ungewöhn-lich, sehr häufg Sex zu haben, daist man noch kein Sexsüchtiger.Sucht bedeutet immer: Dominanzdes Themas über andere Lebens-bereiche und Kontrollverlust.Gibt es einen anterschledzwischen Frauen und Mönnern?Ja. Sexsucht kommt bei Männernviel häufiger vor als bei Frauen.70 bis 80 Prozent sind Männer. Es
gibt drei typische Symptome: DerBetroffene befriedigt sich häufigselbst, schaut sich stundenlangpornografisches Material an oderhat sehr oft Sex. Männer neigenzu den ersten beiden Symptomen,Frauen eher zum dritten.Gibt es typische arsachenfüreine Sexsucht?Nein. Wie bei anderen Süchtensind viele Einflüsse entscheidend.Kindheit, Persönlichkeit undVeranlagung spielen eine Rolle.
Erste Hilfe und lnfos für Betroffenebieten Selbsthllfegruppen(anonyme-sexsuechtige.de, slaa.de).