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FORTBILDUNG _ ÜBERSICHT Anja Buchholtz Medizinische Klinik Israelitisches Krankenhaus , Ha m burg Belastung für die neue Partnerschaft „Ich habe immer schreckliche Blähungen“ Eine 60-jährige Patientin berichtet, seit etwa 20 Jahren unter stärksten post- prandialen Oberbauchschmerzen, Meteorismus und Übelkeit zu leiden. Da diese in einer neu eingegangen Partnerschaft progredient störend sind und sich die Patientin im zwischenmenschlichen Kontakt zunehmend belastet fühlt, sucht sie nun zum ersten Mal wegen dieser Beschwerden einen Arzt auf. - Blähungen sind im Alltagsgebrauch unscharf definiert. Zum einen empfin- den Patienten ein gespanntes Abdomen mit dem Gefühl vermehrter „Luſt im Bauch“, zum anderen ist dies auch ge- bräuchlich bei vermehrten Flatulenzen, verstärktem Aufstoßen und z. T. bei lau- ten Darmgeräuschen. Eine Klärung hin- sichtlich Ausprägung sowie Art und Weise der Symptome ist anzustreben. Unter Meteorismus im eigentlichen Sinne kann nur die rein subjektive Emp- findung eines geblähten Abdomens ver- standen werden, die durch unterschied- liche Faktoren beeinflusst wird und zu einem subjektiven Leidensdruck führt. Meteorismus kann durch eine Kombina- tion unterschiedlicher Pathomechanis- men entstehen: gesteigerte Wahrneh- mung des intraluminalen Füllungszu- standes bei möglicher Distension der Bauchdecke, Störungen des Gastransits und Veränderung der Gas-metabolisie- renden bzw. -produzierenden Darmflora. Ursachen Die häufigste Ursache für isoliert auſtre- tenden Meteorismus (Tab. 1) sind funk - k k tionelle gastrointestinale Störungen wie z. B. das Reizdarmsyndrom oder die funk- tionelle Dyspepsie. Weiterhin tritt Meteo- rismus bei Kohlenhydrat -Malabsorptions- syndromen oder bestimmten Essstörun- gen auf. Seltenere Ursachen sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, schwe- re Malabsoprtionssyndrome und schwere Motilitätsstörungen. Meteorismus kann als Begleitsymptom bei vielen Erkrankun- gen, insbesondere bei Diarrhö und Obsti- pation, in allen Ausprägungen auſtreten. Meteorismus ist besonders bei funk- tionellen gastrointestinalen Störungen eine klinische und soziale Belastung. Aufgrund unzureichender Symptomlin- derung fühlen si g g ch die Betroffenen in so- zialen Belangen deutlich beeinträchtigt. Dies führt zu häufigen Arztkontakten so- wie nicht selten zu einer vermeidbaren Überdiagnostik und erheblichen Kosten. Diagnosesicherung Die gewissenhaſte Abklärung neu aufge- tretener Blähungen ist wichtig, um orga- nische Ursachen zu erkennen (z. B. ein kolorektales Karzinom). Unabdingbar ist neben vielen möglichen technischen Un- tersuchungen die ausführliche Anamne- se, auch hinsichtlich auslösender Fakto- ren (Infekt, bestimmte Nahrungsmittel, Zuckerersatzstoffe), und die körperliche, einschließlich rektale Untersuchung. Durch gezielte Befragung erkennt man häufig schon funktionelle Magen-Darm- Erkrankungen wie funktionelle Dys- pepsie oder Reizdarmsyndrom. Ent - sprechend wichtig ist eine umfassende Anamnese zu Art und Dauer der Be- schwerden sowie Begleitsymptomen (Obstipation, Diarrhö, Schmerzen). Ins- besondere eine postprandiale Verstär- kung muss erfragt werden. Typisch ist, dass sich bei funktionellen Erkrankun- gen die Beschwerden nach Nahrungsauf- nahme sowie im Tagesverlauf verschlim- mern und im Laufe der Nacht verbessern t t . Nach einer ausführlichen Anamnese wird entschieden, ob eine weitere Dia- gnostik notwendig ist oder ein probato- rischer erapieversuch erfolgt. Bei neu Tabelle 1 Diagnostische Kriterien funktioneller Blähungen nach ROM III 1. Gefühl von Blähungen oder sichtbare abdominelle Distension für mindestens drei Tage pro Monat während der vergangenen drei Monate. 2. Die Symptome reichen nicht aus, um die Kriterien für ein Reizdarmsyndrom, eine funk- tionelle Dyspepsie oder andere funktionelle gastrointestinale Störungen zu erfüllen. Beide Kriterien müssen für die vergangenen drei Monate erfüllt sein, und die Symptome müssen mindestens sechs Monate vor Diagnosestellung begonnen haben. 44 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (11)

„Ich habe immer schreckliche Blähungen“

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FORTBILDUNG_ÜBERSICHT

Anja BuchholtzMedizinische Klinik Israelitisches Krankenhaus, Hamburg

Belastung für die neue Partnerschaft

„Ich habe immer schreckliche Blähungen“Eine 60-jährige Patientin berichtet, seit etwa 20 Jahren unter stärksten post-prandialen Oberbauchschmerzen, Meteorismus und Übelkeit zu leiden. Da diese in einer neu eingegangen Partnerschaft progredient störend sind und sich die Patientin im zwischenmenschlichen Kontakt zunehmend belastet fühlt, sucht sie nun zum ersten Mal wegen dieser Beschwerden einen Arzt auf.

−Blähungen sind im Alltagsgebrauch unscharf de� niert. Zum einen emp� n-den Patienten ein gespanntes Abdomen mit dem Gefühl vermehrter „Lu� im Bauch“, zum anderen ist dies auch ge-bräuchlich bei vermehrten Flatulenzen, verstärktem Aufstoßen und z. T. bei lau-ten Darmgeräuschen. Eine Klärung hin-sichtlich Ausprägung sowie Art und Weise der Symptome ist anzustreben.

Unter Meteorismus im eigentlichen Sinne kann nur die rein subjektive Emp-� ndung eines geblähten Abdomens ver-standen werden, die durch unterschied-liche Faktoren beein� usst wird und zu einem subjektiven Leidensdruck führt. Meteorismus kann durch eine Kombina-tion unterschiedlicher Pathomechanis-men entstehen: gesteigerte Wahrneh-mung des intraluminalen Füllungszu-standes bei möglicher Distension der

Bauchdecke, Störungen des Gastransitsund Veränderung der Gas-metabolisie-renden bzw. -produzierenden Darm� ora.

UrsachenDie häu� gste Ursache für isoliert au� re-tenden Meteorismus (Tab. 1) sind funk-tenden Meteorismus (Tab. 1) sind funk-tenden Meteorismus (Tab. 1) sind funktionelle gastrointestinale Störungen wie z.B. das Reizdarmsyndrom oder die funk-tionelle Dyspepsie. Weiterhin tritt Meteo-rismus bei Kohlenhydrat-Malabsorptions-syndromen oder bestimmten Essstörun-gen auf. Seltenere Ursachen sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, schwe-re Malabsoprtionssyndrome und schwere Motilitätsstörungen. Meteorismus kann als Begleitsymptom bei vielen Erkrankun-gen, insbesondere bei Diarrhö und Obsti-pation, in allen Ausprägungen au� reten.

Meteorismus ist besonders bei funk-Meteorismus ist besonders bei funk-Meteorismus ist besonders bei funktionellen gastrointestinalen Störungen

eine klinische und soziale Belastung. Aufgrund unzureichender Symptomlin-derung fühlen siderung fühlen siderung ch die Betro� enen in so-zialen Belangen deutlich beeinträchtigt. Dies führt zu häu� gen Arztkontakten so-wie nicht selten zu einer vermeidbaren Überdiagnostik und erheblichen Kosten.

DiagnosesicherungDie gewissenha� e Abklärung neu aufge-Die gewissenha� e Abklärung neu aufge-Die gewissenha� e Abklärung neu auftretener Blähungen ist wichtig, um orga-nische Ursachen zu erkennen (z. B. ein kolorektales Karzinom). Unabdingbar ist neben vielen möglichen technischen Un-tersuchungen die ausführliche Anamne-se, auch hinsichtlich auslösender Fakto-ren (Infekt, bestimmte Nahrungsmittel, Zuckerersatzsto� e), und die körperliche, einschließlich rektale Untersuchung. Durch gezielte Befragung erkennt manhäu� g schon funktionelle Magen-Darm-Erkrankungen wie funktionelle Dys-pepsie oder Reizdarmsyndrom. Ent-sprechend wichtig ist eine umfassende Anamnese zu Art und Dauer der Be-schwerden sowie Begleitsymptomen(Obstipation, Diarrhö, Schmerzen). Ins-besondere eine postprandiale Verstär-kung muss erfragt werden. Typisch ist, dass sich bei funktionellen Erkrankun-gen die Beschwerden nach Nahrungsauf-nahme sowie im Tagesverlauf verschlim-mern und im Laufeaufeauf der Nacht verbessern der Nacht verbessern der Nacht .

Nach einer ausführlichen Anamnese wird entschieden, ob eine weitere Dia-gnostik notwendig ist oder ein probato-rischer � erapieversuch erfolgt. Bei neu

Tabelle 1

Diagnostische Kriterien funktioneller Blähungen nach ROM III1. Gefühl von Blähungen oder sichtbare abdominelle Distension für mindestens drei

Tage pro Monat während der vergangenen drei Monate.2. Die Symptome reichen nicht aus, um die Kriterien für ein Reizdarmsyndrom, eine funk-

tionelle Dyspepsie oder andere funktionelle gastrointestinale Störungen zu erfüllen.

Beide Kriterien müssen für die vergangenen drei Monate erfüllt sein, und die Symptome müssen mindestenssechs Monate vor Diagnosestellung begonnen haben.

44 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (11)

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aufgetretener Neigung zu Meteorismus (< sechs Monate) und au� älliger Anam-nese sollte mindestens eine Basis-Dia-gnostik durchgeführt werden.

Zur Basisdiagnostik zählt eine Blut-entnahme inkl. Blutbild und CRP. Indi-viduell ergänzt wird diese durch: Serum-elektrolyte, Nierenretentionswerte, Blut-zucker, Leber- und Pankreasenzyme,Schilddrüsenhormone. Des Weiteren sollte einmalig Stuhl auf pathogene Kei-me und okkultes Blut untersucht werden. Die Basisdiagnostik wird abgerundet durch einen abdominellen Ultraschall.

Je nach individueller Konstellation, r Konstellation, rinsbesondere hinsichtlich Muster, Schwe-re, Dauer und Dynamik des Meteorismus, kann eine weitere Diagnostik sinnvoll sein. Wichtig ist dabei erneut die Erfas-sung von möglichen „Alarmsymptomen“ (Tab. 2). Sollte bisher noch keine endos-kopische Diagnostik erfolgt sein, sollte sie zu diesem Zeitpunkt erwogen werden.

Zur Diagnose morphologisch nicht fassbarer Erkrankungen, z.B. einer bak-

teriellen Fehlbesiedelung des Dünn-darms, Laktose- oder Fruktoseintoleranz sind gastrointestinale Funktionsuntersu-chungen hilfreich. Gängig ist Gängig ist Gängig der Hder Hder 2-Atemtest. Möglich ist auch eine Kombi-nation mit C13-Atemtesten, um eine ver-zögerte Magenentleerung sowie eine exo-krine Pankreasinsu� zienz zu erfassenkrine Pankreasinsu� zienz zu erfassenkrine Pankreasinsu� zienz .

TherapieDie Berücksichtigung von Begleiter-scheinungen wie häu� ges Aufstoßen, Flatulenz, Obstipation oder Bauch-schmerzen, die bereits auf Ursachen für Blähungen hinweisen, ist für eine indi-viduelle, zielgerichtete � erapie wichtig.

Funktioneller Meteorismus ist ein zumeist schwer zu behandelndes Symp-tom. Primär sollte der Patient auf die Be-achtung einfacher, nicht medikamentö-ser Maßnahmen hingewiesen werden. 1. Körperliche Bewegung beschleunigt den intraluminalen Gastransit und kann die Gasretention verhindern. 2. Durch langsames Essen unter stress-freien Bedingungen und gutes Kauen kann bei der Nahrungsaufnahme ge-schluckte Lu� reduziert werden. 3. Unregelmäßige und übermäßige Mahlzeiten, v. a. zur Nacht, vermeiden.

Gleiches gilt für stark kohlensäurehalti-ge Getränke und Kaugummikauen. 4. Eine sog. Gasreduktionsdiät kann pro-batorisch versucht werden (blähende Le-bensmittel vermeiden, s. Tab. 3). Diese ist v.a. bei Blähungen e� ektiv, die mit Flatu-lenz einhergehen. Da künstliche Süßstof-fe durch eine Malabsorption Blähungen verstärken können, sollten diese gemie-den werden. Teezubereitungen aus Küm-mel, Fenchel oder Anis unterstützen die entblähende Wirkung und haben sich aufgrund ihrer verdauungsfördernden und kramp� ösenden E� ekte bewährt. Bei schwerster und konservativ nicht r und konservativ nicht rführbarer Problematik kann eine sog. FODMAP-(fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols-)Redukti-onsdiät angestrebt werden. Hier handelt Hier handelt Hieres sich um eine Gruppe von Kohlenhy-draten und mehrwertigen Alkoholen, diein vielen Nahrungsmitteln vorkommen. Des Weiteren kann eine zeitlich begrenz-te glutenfreie Diät (max. vier Wochen) für den Patienten teilweise hilfreich sein.

Medikamentöse Optionen sind pro-kinetisch wirksame Substanzen wie Domperidon, MCP oder Prucaloprid so-wie Spasmolytika wie z. B. Mebeverin und Buscopan. Sog. entschäumende Me-dikamente verhindern durch die Ober-� ächeneigenscha� der Silikon-Dioxid-Mixturen die Ansammlung größerer lokaler Gasmengen im Darm; Kautablet-ten oder Suspensionen sind frei verkäuf-lich. Probatorisch können außerdem Phytotherapeutika wie Pfe� erminzöl oder Iberogast eingesetzt werden.

Neuere Daten sprechen außerdem für eine Wirksamkeit von Probiotika sowie Rifaximin, ein nicht-resorbierbares und lokal im Darm wirksames Antibiotikum, insbesondere bei bakterieller Fehlbe-siedlung (o� -label-use). Weiter wurde gezeigt, dass zu den Mahlzeiten einge-nommene Pankreasenzyme Meteoris-musbeschwerden nach fett- und kalori-enreichem Essen lindern können.

Anschrift der Verfasserin:Anja Buchholtz Medizinische Klinik Israelitisches Krankenhaus Orchideenstieg 14 D-22297 HamburgE-Mail: [email protected]

FORTBILDUNG_ÜBERSICHT

Kasuistik

Wie ging es weiter?Die Patientin kann keinen eindeutigen Trigger der Beschwerden nennen. Gewichtsver-lust, Erbrechen und Stuhlveränderungen verneint sie. Die letzte Koloskopie (vor zwei Jahren) war unau� ällig. Eine Gastroskopie bei Oberbauchschmerzen hatte den V.a. ein Duodenaldivertikel gezeigt. In der klinischen Untersuchung inkl. digital rektaler Unter-suchung zeigt sich ein unau� älliger Status. Bei einer Blutbildkontrolle vor sechs Mona-ten und einer Abdomensonogra� e bei akuten Unterbauchschmerzen hatten sich kei-nerlei Au� älligkeiten ergeben. Mit einem Glukose-Atem-Test detektieren Sie eine bak-terielle Fehlbesiedelung. Nach einer topischen antibiotischen Therapie (o� -label-use) über 14 Tage berichtet die Patientin über eine deutliche Linderung der Beschwerden.

Tabelle 2

Alarmsymptome für soma-tische Beschwerdeursachen

− Leitsymptom Diarrhö

− Fieber

− Blut im Stuhl

− Gewichtsverlust > 10% bei unver-änderter Nahrungszufuhr

− Nächtliche Symptomatik

− Kolonkarzinom in der Familie

− Erstmanifestation der Beschwer-den > 50. Lebensjahr

− Kurze (< 6–12 Monate) Anamnese und progrediente Symptomatik

− Im Basislabor Anämie und erhöhte Entzündungszeichen

phot

os.c

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Tabelle 3

Stark blähende Lebensmittel

− Erbsen

− Bohnen

− Linsen

− Rosenkohl

− Zwiebeln

− Knoblauch

− Sellerie

− Karotten

− Bananen

− P� aumen

− Aprikosen

− Weizenkleie

− Vollkornbrot

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Literatur1. Meteorismus – Ursachen und gezielte Thera-

pieansätze Bloating – causes and treatmentsDtsch. Arztebl. 2005; 102(47): A-3264 / B-2758 / C-257

2. S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: De� nition, Pa-thophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesell-schaft für Verdauungs- und Sto� wechsel-krankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM), AWMF-Registriernummer: 021/016

3. P. Layer, U. Rosien Praktische Gastroenterolo-gie, München, 4. Au� age 2011