Ich Merkel - Spiegel - Juin 2009

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  • 8/15/2019 Ich Merkel - Spiegel - Juin 2009

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    Bei den Touristen im Café EinsteinUnter den Linden fällt die Herrinüber das Kanzleramt glatt durch. InsEinstein geht man nicht wegen des Apfel-strudels, sondern um die Wichtigen undMächtigen zu beobachten. Wer durch dieEingangstür tritt, wird gemustert und ta-xiert. Maybrit Illner oder Karl-Theodor zuGuttenberg lösen aufgeregtes Tuscheln aus.Für Beate Baumann unterbricht niemandsein Gespräch.

    Im hinteren Saal, wo Politiker, Lobbyis-ten und Journalisten vor weißen Tisch-decken sitzen, ist es ein wenig anders. EinHerr im Blazer mit gegeltem Haar nicktBaumann zu. Von einigen Plätzen kom-men verstohlene Blicke. Während Bau-mann einen Kaffee bestellt, flüstern amNachbartisch zwei Männer miteinander.Offenbar haben sie einiges über Baumanngehört. Sie soll sehr mächtig sein.

    Baumann, 45, ist die Frau auf der un-sichtbaren Seite der Macht. Man weiß, dasses sie gibt, aber Genaues ist nicht bekannt.Sie tritt nicht öffentlich auf und gibt keineInterviews. Sie ist ein Phantom.

    Sie ist die „Leiterin des Kanzlerbüros“,heißt es offiziell, aber das sagt nur wenigüber ihre wahre Rolle aus. Sie ist die wich-tigste Beraterin der Kanzlerin, niemandsteht dieser politisch so nahe wie Bau-mann. Zwischen den beiden Frauen herr-sche ein „totales Vertrauensverhältnis“,bemerkte der niedersächsische Minister-präsident Christian Wulff einmal. Es klangdurch, wie sehr ihn das ärgert.

    Wulff hat eher noch untertrieben. Bau-mann und Merkel, das ist die Geschichteeiner Verschmelzung. Baumann hat sichder Kanzlerschaft ebenso verschrieben wie

    Merkel selbst.Es ist kein Bündnis, an dem beide dengleichen Anteil haben. Baumann ist fürMerkel eine wichtige Vertraute, aber mankann sich ein politisches Leben von Ange-la Merkel ohne Beate Baumann vorstel-len. Alles Schöne fällt für Merkel ab, dieMacht, die Aufmerksamkeit, die Anerken-nung in der Öffentlichkeit.

    Während Merkel für ihren Anteil an derKanzlerschaft reich belohnt wird, hat Bau-mann einen mäßig bezahlten Job, in demsie so hart arbeiten muss wie wenige. Dasmacht sie seit mehr als zehn Jahren. Sie hatihr Leben vollkommen dem Karriereglück

    einer anderen gewidmet. Warum?34 d e r s p i e g e l 2 6 / 2 0 0 9

       F   R   A   N   K

       O   S   S   E   N   B   R   I   N   K

    Kanzlerin Merkel, Vertraute Baumann: Herrscherin der kleinen Kreise

    U N I O N

    „Ich, Merkel“Beate Baumann ist Büroleiterin und engste Vertraute der Bundeskanzlerin. Sie hat nur ein politisches

    Ziel, den Machterhalt ihrer Chefin. Es ist die Aufgabe, der sie alles untergeordnet hat:Freundschaften, Karriere, das eigene Leben. Die Geschichte einer Verschmelzung. Von Ralf Neukirch

    Deutschland

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    Ihr Zimmer im siebten Stock des Kanz-leramts verströmt reine Sachlichkeit. EinComputerbildschirm auf dem aufgeräum-ten Schreibtisch, ein Fernseher, eine Besu-cherecke. Es gibt keine Reiseandenken auf dem Regal, keine privaten Fotos, nichtsvon dem Schnickschnack, mit dem vieleihre Arbeitsstätten heimeliger machen. Nurein Strauß Blumen steht verloren auf ei-nem Beistelltisch herum.

    Alles wirkt praktisch, auch die Frau, diein diesem Büro arbeitet. Beate Baumannhat einen Kurzhaarschnitt, sie trägt Hosenund flache Schuhe. Kein Make-up, keinenSchmuck. Man nimmt ihr sofort ab, dasssie kein Interesse an öffentlicher Auf-merksamkeit hat. Baumann ist die Kon-zentration auf das Wesentliche. Es gibt kei-nen Zierrat, der ablenkt, weder in ihrerUmgebung noch an ihr selbst. Es gibt nureine Aufgabe.

    Wie kann Angela Merkel Kanzlerin blei-ben? Das ist die wichtigste Frage für Bea-te Baumann, eigentlich die einzige. Alles

    andere hat nur eine abgeleitete Funktion:politische Inhalte, die Partei, persönlicheLoyalitäten. Baumann identifiziert sich to-tal mit dieser Aufgabe. Im Gespräch sagtsie manchmal „ich“, wenn sie Merkelmeint. Dann verbessert sie sich schnell:„Ich, Merkel“. Es wirkt wie eine An-maßung, aber es könnte auch das Gegen-teil sein: Die Preisgabe des eigenen Ichs,um einem anderen Ich vollkommen die-nen zu können.

    Besessen oder auch nur verkniffen wirktBaumann allerdings nicht, im Gegenteil. Siehat Spaß am politischen Spiel. Sie kannkomplizierte Situationen präzise analysie-

    ren, sie in fassbare Bestandteile zerlegenund zu einem neuen Bild zusammensetzen.Es ist wie bei dem chinesischen LegespielTangram, wo aus ein paar Dreiecken undVierecken plötzlich etwas Überraschendesentsteht, ein Boot oder ein Haus.

    Für ihre Aufgabe hat Baumann einen ei-genen Begriff geprägt. Sie ist für die „To-nalität“ der Kanzlerschaft zuständig. DieTonalität, das sind nicht nur die Reden undInterviews Merkels. Es ist das Gesamtbildder Kanzlerin, ihre politischen Gesten, ihreAuftritte. Wenn Merkel den Papst wegenseiner Haltung zur Piusbruderschaft kriti-

    siert oder dem designierten US-Präsident-schaftskandidaten Barack Obama einenRedeauftritt vor dem Brandenburger Torverwehrt, dann gehört das zur Tonalität.

    Vor zwei Jahren stand Merkel vor derFrage, ob sie den Dalai Lama im Kanzler-amt zum Gespräch treffen sollte. Dieaußenpolitischen Experten rieten ab.Die Chinesen würden sich düpiert fühlen,die Beziehungen zum wichtigsten LandAsiens wären belastet.

    Baumann sah nicht Deutschland, sie sahMerkel. Der Dalai Lama ist im Westen be-liebt. Merkel könnte zeigen, wie wichtigihr die Menschenrechte sind. Warum soll-

    te sie sich vorschreiben lassen, wen sie als

    Gast empfängt? Baumann definierte Welt-politik nach den Interessen der Kanzlerin.

    Merkel empfing den Dalai Lama. Ob esden Beziehungen zu China dauerhaft ge-schadet hat, ist schwer zu sagen. MerkelsAnsehen bei vielen Bürgern hat es jeden-falls genutzt.

    Man muss nicht lange mit Baumann re-den, um zu ergründen, warum Merkel sichauf sie verlässt. Beide haben den gleichenanalytischen Blick auf die Welt. Sie sehendie Eitelkeit der anderen Mitspieler undnutzen sie. Sie haben ein sehr kühles Ver-hältnis zur Politik.

    Das gilt auch für die eigene Partei. Bau-mann fühlt sich dem liberalen Flügel derUnion verbunden, aber es ist ähnlich wiebei der Kanzlerin: Wenn es um die CDUgeht, spürt man kein Feuer in ihr.

    Die Partei ist wichtig, weil sie MerkelsMachtbasis ist. Baumann sorgt dafür, dass

    das so bleibt. Sie führt faktisch die Partei-zentrale; einzelne Abteilungsleiter imAdenauer-Haus wie Organisationschef Ulf Leisner und der Marketingexperte Oliver

    Röseler sind ihr durch persönliche Loya-litäten verbunden.Kollateralschäden bleiben bei dieser

    Herrschaftstechnik nicht aus. Der jetzigeFraktionschef Volker Kauder gab sein Amtals Generalsekretär vor dreieinhalb Jah-ren auch deshalb auf, weil er sich nichtlänger von Baumann vorschreiben lassenwollte, welche Plakate er für den Wahl-kampf auszuwählen hat.

    Michael Spreng, Medienberater des frü-heren CSU-Chefs Edmund Stoiber, erin-nert sich gut an die Wahlkampfbespre-chungen mit Baumann vor der Bundes-

    * Mit Anhängern nach seinem Besuch im Kanzleramt 2007.

    tagswahl im Jahr 2002. Dem damaligenGeneralsekretär Laurenz Meyer fuhr sieoft rüde über den Mund. „Das machen wiranders“, blaffte sie. „Die Vorsitzende willes so.“ Danach war die Diskussion been-det. Baumann kann sehr scharf sein, sehrverletzend.

    Vor ihren Ausbrüchen ist selbst die Che-fin nicht sicher. Als vor einiger Zeit beieiner Besprechung mit Mitarbeitern dieRede auf ein Statement Merkels kam, fuhrBaumann die Kanzlerin an: „Wie konntenSie nur so etwas sagen!“ Die Zuhörerzuckten zusammen. Merkel nahm den Vor-wurf wortlos hin.

    Baumann ist die Einzige, die sich solcheGrenzüberschreitungen erlauben darf. Sieist trotzdem mit Merkel immer noch beim„Sie“. Vermutlich ist das eine Art Siche-rung dafür, dass eine Mindestdistanz ge-wahrt bleibt.

    Baumann und Merkel, das ist grenzen-lose Loyalität, aber nicht uneingeschränk-te Bewunderung. Niemand in der CDUanalysiert Merkels Schwächen kühler als

    Baumann, ihre Zögerlichkeit, ihre Fehl-einschätzungen. Niemand benennt sie kla-rer. Baumann darf das, weil sie nur Mer-kels Erfolg will und nichts für sich selbst.

    Eine Beziehung wie zwischen Merkelund Baumann entsteht in der Politik nurunter außergewöhnlichen Umständen. Da-bei begann sie als Zufallsbekanntschaft.Wulff, seinerzeit im CDU-Vorstand vonNiedersachsen, vermittelte Baumann 1992an Merkel, damals Frauenministerin undstellvertretende CDU-Vorsitzende. Sie such-te einen Mitarbeiter für ihr Büro im Kon-rad-Adenauer-Haus.

    Eigentlich wollte Baumann Lehrerin für

    Deutsch und Englisch werden, doch died e r s p i e g e l 2 6 / 2 0 0 9 35

       S   E   A   N

       G   A   L   L   U   P

       /   G   E   T   T   Y

       I   M   A   G   E   S

    Merkel-Gast Dalai Lama*: Weltpolitik nach den Interessen der Kanzlerin

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    Politik machte ihr Spaß. Merkel holte sieals Referentin ins Jugendministerium und1994 ins Umweltministerium. Es war dasübliche Chef-Mitarbeiter-Verhältnis, ver-trauensvoll, aber nicht sehr eng.

    Das ändert sich, als 1999 die Parteispen-denaffäre über die CDU hereinbrach. Dieunerfahrene Generalsekretärin musste dieCDU durch die schwierigste Situation ihrerGeschichte steuern. Die wichtigen Dingeerfuhren Merkel und ihre Mitarbeiter ausden Medien. Der abgewählte Kanzler Hel-mut Kohl und der neue Parteichef Wolf-gang Schäuble redeten nicht über das, wassie wussten.

    Baumann stand oft abends am BonnerHauptbahnhof, um die Zeitung des nächs-ten Tages zu kaufen. Wenn sie MerkelsBüro betrat, sagte sie statt einer Be-grüßung: „Nichts Schlimmes!“ Es sei denn,es war wieder etwas Schlimmes passiert.

    Merkel hätte im Strudel der Ereignisseuntergehen können. Doch sie löste sichvon Kohl, von Schäuble, am Ende stieg siezur Parteivorsitzenden auf. Baumanns

    Hingabe und ihr wachsender Einfluss auf Merkel erklären sich aus dieser Erfahrung.Als Merkels Kanzlerschaft während der

    Verhandlungen über die Gesundheitsre-form im Herbst 2006 in die Krise rutschte,drängte ihr Sprecher Ulrich Wilhelm zumHandeln. Die Kanzlerin sollte zeigen, dassihr die Regierung nicht entgleitet. Wilhelmhat bei Stoiber gelernt. Dort ging es jedeWoche darum, Handlungsfähigkeit zu de-monstrieren.

    Baumann war dagegen. Sie hält so etwasfür eine typische Männerreaktion. Das pas-se nicht zu Merkel, sagte sie. Es wäre derfalsche Ton. Männer glaubten immer, sie

    müssten handeln. Das hat Baumann in der

    Parteispendenaffäre erlebt. Die Stärke derFrauen sieht sie darin, dass sie wartenkönnen. Baumann ist sich sicher, dassSchäuble als Parteivorsitzender überlebthätte, wenn er nur ruhig geblieben wäre.Merkel hörte auch diesmal wieder auf sie.

    Auf der Leitungsebene des Kanzleramtsist es noch stiller als in den Fluren dar-unter. Man hört keine Schritte, kein Tür-schlagen. Nur manchmal dringt aus einemZimmer das Klingeln eines Telefons oderdas Klappern einer Tastatur. BaumannsBüro ist auf dem gleichen Gang wie dasder Kanzlerin, nur einige Vorzimmer lie-gen dazwischen. Die Türen sind meist of-fen, man sieht sich häufig, es sind nurein paar Schritte zum anderen. SigridKrampitz, die Büroleiterin von GerhardSchröder, arbeitete einen Stock tiefer. Eswar eines der ersten Dinge, die Merkeländerte.

    Am Anfang, als im Kanzleramt eine neuzusammengewürfelte Truppe die Arbeitaufnahm, da wusste noch nicht jeder, woseine Macht endet. Kanzleramtschef Tho-

    mas de Maizière dachte, er sei auch zu-ständig für die politische Strategie. Er hat-te da etwas missverstanden. Baumann hatihm das schnell klargemacht.

    Das ist eine ihrer Belohnungen: dieMächtigste im Umfeld der Kanzlerin zusein. Und sie ist genau der Typus für dieseRolle. Sie ist nicht die Frau, die erwartet,dass der eigene Auftritt in größeren Krei-sen Wirkung erzielt. Ihre Unscheinbarkeitist so, dass sie nicht zu überwinden ist.

    Deshalb verlagert sie ihre Wünsche auf den ganz großen Erfolg auf Merkel. De-ren Belohnungen werden zu den eige-nen. Für deren großes Leben wird sie zur

    Architektin. Von einem Privatleben der

    Beate Baumann ist so gut wie nichts be-kannt.

    Aber aus dieser Unterwerfung machtBaumann keine tumbe Dienerschaft. Sieist selbstbewusst und intelligent genug, umsich zur Herrscherin der kleinen Kreise zumachen, wo es nicht auf Strahlkraft an-kommt, sondern auf das Argument, auf dieEntschlossenheit.

    Baumann ist überzeugt davon, dass ihreAusnahmestellung Merkel nutzt. Es ist dieSicherheit einer Frau, die sich bisher gegenalle Widerstände durchgesetzt hat. Merkelist doch Kanzlerin geworden. Wo ist dasProblem?

    Aber es gibt Probleme. Die gemeinsa-me Zeit, die ähnliche Sicht auf die Weltführen dazu, dass Teile der Wirklichkeitausgeblendet bleiben. Baumann hat Mer-kel lange in dem Glauben unterstützt, dasses zweitrangig sei, wie sie sich im Fern-sehen präsentiere, welche Kleider sie trageoder ob sie geschminkt sei. Sie fand es zuRecht unverschämt, wenn Edmund Stoi-

    ber sich in Talkshows darüber ausließ, dassMerkel mehr aus sich machen könnte.Aber es war wichtig, dass Merkel irgend-wann begann, stärker auf diese Dingezu achten. Baumann hat das lange nichterkannt.

    Merkels Probleme liegen ausgerechnetin dem Bereich, für den Baumann ver-antwortlich ist: Die Tonalität stimmt oftnicht. Sie findet für große Ereignisseselten eine eigene Sprache. Sie hat dieWeltwirtschaftskrise, die das Ende derGroßen Koalition überschattet, nicht auf einen Begriff bringen können, der hän-gengeblieben wäre. In einer Situation, in

    der man nicht nur handeln, sondern aucherklären musste, hatte sie keine Botschaftan das Volk.

    Baumann verfasst die wichtigen Reden,sie liest jedes Interview. Es ist der Bereich,in dem ihr Einfluss am stärksten ist. Abersie schafft es nicht, Merkel zu geben, wasihr fehlt.

    Ein guter Redenschreiber könnte hel-fen. Das finden selbst enge Vertraute Mer-kels. Vielleicht würden dann wenigstenseinige Sätze funkeln. Aber Baumann iststrikt dagegen. Sie fürchtet, dass Merkeldann nicht mehr authentisch wirkt. Dabei

    klingt Merkel in ihren Reden gar nicht wieMerkel. Sie kann auch bei öffentlichenAuftritten klar und präzise sein, wenn sienicht nur abliest. Ihre Manuskripte sinddagegen in einer Kunstsprache verfasst. Siesind ein Destillat dessen, was Baumann füreine authentische Merkel-Rede hält. UndMerkel offenbar auch.

    Ein Redenschreiber würde Merkel nichtweniger authentisch machen, aber er könn-te ihr Bild ein wenig verändern. So weitdürfte es nicht kommen. An diesem Bildhat Beate Baumann mehr als 15 Jahre ge-malt. Es ist ihr Opus magnum, ihr Meis-terwerk. Sie wird es sich von niemandem

    aus der Hand nehmen lassen.

    Deutschland

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    Bundeskanzler Schröder, Büroleiterin Krampitz 2005: Einen Stock tiefer    N   I   C   O   L   E

       M   A   S   K   U   S