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2005 Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Zur Diskussion gestellt Roland Berger Nachtrag: Flucht aus Deutschland? Unternehmen zwischen wirtschaftlicher Logik und sozialer Verantwortung Forschungsergebnisse Ludger Wößmann Kleinere Klassen = bessere Leistungen? Doina Maria Radulescu Deutschland braucht eine Reform der (Kapital-)Ein- kommensbesteuerung Daten und Prognosen Joachim Gürtler und Arno Städtler Dynamisches Wachstum in der Leasingbranche Annette Weichselberger Westdeutsche Industrie: 2005 Investitionsanstieg von 4% geplant Im Blickpunkt André Kunkel Kreditmarkt: besseres Angebot für das verarbeitende Gewerbe Matthias Balz Branchen im Blickpunkt: Weltbiermarkt ifo Schnelldienst 58. Jg., 36.–37. KW, 16. September 2005 17

ifo Schnelldienst 17/2005 · Doina Maria Radulescu In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die für eine Reform der Einkommensbe-steuerung in Deutschland plädieren. Die Reformvorschläge

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2005

Institut fürWirtschaftsforschungan der Universität München

Zur Diskussion gestelltRoland BergerQ Nachtrag: Flucht aus Deutschland? Unternehmen

zwischen wirtschaftlicher Logik und sozialer Verantwortung

ForschungsergebnisseLudger WößmannQ Kleinere Klassen = bessere Leistungen?

Doina Maria RadulescuQ Deutschland braucht eine Reform der (Kapital-)Ein-

kommensbesteuerung

Daten und PrognosenJoachim Gürtler und Arno StädtlerQ Dynamisches Wachstum in der Leasingbranche

Annette WeichselbergerQ Westdeutsche Industrie: 2005 Investitionsanstieg

von 4% geplant

Im BlickpunktAndré KunkelQ Kreditmarkt: besseres Angebot für das verarbeitende

Gewerbe

Matthias BalzQ Branchen im Blickpunkt: Weltbiermarkt

ifo Schnelldienst58. Jg., 36.–37. KW, 16. September 2005

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ISSN 0018-974 X

Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Prof. Dr. Gebhard Flaig, Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel, Dr. Heidemarie C. Sherman, Dr. Martin Werding.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design.Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung.Druck: Fritz Kriechbaumer, Taufkirchen.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

ifo Schnelldienst

Nachtrag: Flucht aus Deutschland? Unternehmen zwischen wirtschaftlicher Logik und sozialer Verantwortung

Vom 27. bis 29. Mai 2005 veranstaltete die Akademie für politische Bildung Tut-zing eine Konferenz zu dem Thema »Outsourcing«. Ergänzend zu den drei Beiträ-gen im Schnelldienst Nr. 13/2005, ist hier der Vortrag von Prof. Dr. h.c. RolandBerger, Roland Berger Strategy Consultants, dokumentiert. Er weist darauf in,dass Offshoring den Firmen dabei hilft, im globalen Wettbewerb zu bestehen:»Offshoring ist ein Symptom der Tatsache, dass sich die internationale Arbeitstei-lung geändert hat und dass Hochlohnländer innovativer werden müssen, um ihrenWohlstand zu halten.«

Kleinere Klassen = bessere Leistungen?Ludger Wößmann

Welche Reformen sollten im deutschen Schulsystem umgesetzt werden? In die-ser und den kommenden drei Ausgaben des ifo Schnelldienstes berichtet die Ar-tikelserie »Ökonomische Beiträge zur Schuldebatte« über die Befunde zahlreicherForschungsarbeiten der Abteilung Humankapital und Strukturwandel des ifo Insti-tuts zu vier bildungspolitisch zentralen Themenbereichen. Dazu wird mit Hilfe um-fangreicher empirischer Untersuchungsmethoden ermittelt, was man aus den in-ternationalen Schülerleistungsvergleichen wie PISA, IGLU und TIMSS für die deut-sche Schulpolitik lernen kann. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Fra-ge, inwieweit durch kleinere Schulklassengrößen die Leistungen der Schüler ver-bessert werden können. Die durchgeführten mikroökonometrische Studien kom-men zu dem Ergebnis, dass eine Verkleinerung der Klassen zu keinen größerenLerneffekten führt.

Deutschland braucht eine Reform der (Kapital-)Einkommens-besteuerungDoina Maria Radulescu

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die für eine Reform der Einkommensbe-steuerung in Deutschland plädieren. Die Reformvorschläge reichen von der vonKirchhof vorgeschlagenen Einfachsteuer bis zur Einführung einer dualen Einkom-mensteuer, die vom Sachverständigenrat und von Sinn bevorzugt wird. Einigkeitbesteht darin, dass eine umfassende Steuerreform das Wirtschaftswachstumfördern, eine erhöhte Effizienz und Neutralität gewährleisten und angemesseneStaatseinnahmen sichern soll. Vor diesem Hintergrund analysiert dieser Artikeldie Steuerpolitik der Regierungskoalition während den beiden letzten Legislatur-perioden, um festzustellen, ob und inwieweit die seit 1998 bereits durchgeführtenMaßnahmen diesen Zielen entsprechen.

Dynamisches Wachstum in der Leasingbranche – die Anzeichen für eine Belebung der Investitionstätigkeit mehren sichJoachim Gürtler und Arno Städtler

Nach den jüngsten Ergebnissen des ifo Konjunkturtests Leasing sind die Leasing-gesellschaften mit ihrer aktuellen Geschäftslage sehr zufrieden. Und zur Mitte des

ifo Schnelldienst 17/2005

Zur Diskussion gestellt

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Forschungsergebnisse

Daten und Prognosen

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Jahres 2005 mehren sich auch die Anzeichen, die auf eine leichte Verbesserungdes Investitionsklimas hoffen lassen. Die Unternehmen schätzten im zweitenQuartal des laufenden Jahres nicht nur die aktuelle Geschäftslage sehr viel güns-tiger ein als zuvor, sondern auch in ihren Erwartungen äußerten sich die Testteil-nehmer zuversichtlicher: Per saldo 28% hoffen auf bessere Geschäfte im zweitenHalbjahr 2005 (Vorquartal: 24%). Auch der geglättete Stimmungsindikator, der inder zweiten Jahreshälfte 2004 mehr oder weniger auf der Stelle trat, setzte seinenAufwärtstrend fort. Der auf den Zukunftseinschätzungen der Leasinggesellschaf-ten basierende Investitionsindex, der zusammen vom ifo Institut und dem Bun-desverband Deutscher Leasing-Unternehmen (BDL) ermittelt wird und ein aussa-gefähiger Indikator für die Prognose der Ausrüstungsinvestitionen ist, lässt auf hö-here Ausrüstungsinvestitionen im Jahr 2005 gegenüber dem Vorjahr schließen.Nach dem derzeitigen Berechnungsstand dürften die nominalen gesamtwirt-schaftlichen Investitionen in Ausrüstungsgüter und sonstige Anlagen in diesemJahr in einer Größenordnung von rund 3% zulegen.

Westdeutsche Industrie plant nach drei Jahren rückläufiger Investitionen für 2005 einen Anstieg von 4%Annette Weichselberger

Nach den Ergebnissen des aktuellen ifo Investitionstests hat das westdeutscheverarbeitende Gewerbe zwar seine Investitionen in 2004 – entgegen den ur-sprünglichen Absichten – nochmals gekürzt. Für 2005 ist aber ein Anstieg von 4%geplant. Vorrangiges Investitionsmotiv ist in diesem Jahr die Erweiterung, dabeiaber weniger die klassische Erweiterung, d.h. der Ausbau der Kapazitäten beste-hender Produktionsprogramme, als vielmehr die Erweiterung bzw. Änderung derProduktpalette. Von den 62% der Unternehmen, die für 2005 Erweiterungsinves-titionen planen, wollen fast zwei Drittel in derartige Umstrukturierungsmaßnahmeninvestieren.

Kreditmarkt: besseres Angebot für das verarbeitende GewerbeAndré Kunkel

Für die Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe hat sich wiederholt dieLage auf dem Kreditmarkt gebessert. Das ist das Ergebnis aus dem aktuellen ifoKonjunkturtest im August 2005. Zwar beurteilen immer noch 35% der Firmendie Kreditvergabe der Banken als restriktiv, doch 57% empfinden die Vergabe-praxis als »normal bzw. üblich«. Die restlichen 8% bescheinigen den Kredit-instituten sogar eine entgegenkommende Kreditpolitik. Dementsprechend hatsich das Kreditklima im verarbeitenden Gewerbe innerhalb eines Jahres von– 42,6 auf – 26,9 erhöht.

Branchen im Blickpunkt: Anmerkungen und Daten zum WeltbiermarktMatthias Balz

Im Jahr 1004 ist die Bierproduktion weltweit im Vergleich zum Vorjahr um 4,8%angestiegen, in Europa verlief das Wachstum mit 2,5% unterdurchschnittlich, undin Deutschland wurde ein Rückgang um 1,2% beobachtet. Gewachsen ist derBierausstoß vornehmlich in den osteuropäischen Staaten.

Im Blickpunkt

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58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

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Outsourcing, Offshoringund unternehmerischeWettbewerbsfähigkeit

Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in dasAusland, und hier vor allem in Niedriglohn-länder, ist zu einem bestimmenden The-ma der wirtschaftspolitischen Debatte ge-worden. Die Furcht vor Arbeitsplatzverla-gerungen ruft bei Arbeitnehmern Ängstehervor, was auf politischer Ebene nichtselten populistisch ausgenutzt wird. Eswerden dabei allerdings oft ganz verschie-dene Prozesse miteinander vermischt.Während Outsourcing allgemein das Aus-lagern von Unternehmensprozessen anexterne Unternehmen meint, bezeichnetOffshoring die Verlagerung von Produkti-onsprozessen oder Dienstleistungen inandere Länder. Dies kann unternehmens-intern oder -extern geschehen. Es sind al-so die Offshoring-Aktivitäten von Unter-nehmen, die im Zentrum der Diskussionstehen.

Es gibt aktuell viele Beispiele von Unter-nehmen, die Aktivitäten vor allem nachOsteuropa verlagern. Was treibt diesenOffshoring-Trend? Zwei Gründe sind ent-scheidend. Erstens sind die Arbeitskos-ten und die Steuerbelastung in Osteuro-pa wesentlich niedriger. Während die ef-fektive Steuerbelastung deutscher Unter-nehmen bei 36,1% liegt, beträgt sie bei-spielsweise in Ungarn die Hälfte, 18,1%.Die Unterschiede in den Arbeitskostensind noch höher, ungarische Arbeiter ver-dienen nur ein Siebtel des Lohns ihrerdeutschen Kollegen. Diese Kostendiffe-renzen und die aus der EU-Erweiterungresultierende Rechtssicherheit macht Ost-europa als Standort höchst attraktiv; be-dingt durch die geographische Nähe istbesonders für deutsche Firmen der Ko-ordinierungsaufwand bei Auslagerungenvergleichsweise gering. Zweitens wach-sen die meisten ausländischen Märktewesentlich schneller als der deutsche. Imletzten Jahr ist das verfügbare Einkom-men in Deutschland sogar um 0,1% zu-rückgegangen, während es in China um11% und in der Tschechischen Republikum fast 15% gestiegen ist. Unternehmen,die wachsen wollen, müssen dies vorran-gig auf ausländischen Märkten tun.

Offshoring ermöglicht Firmen deshalb,zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen. Zumeinen können durch Produktion vor Ortneue Märkte erschlossen werden. Ande-rerseits können die Kosten gesenkt wer-den, indem Produktionsprozesse in ein-zelne Stufen zerlegt werden und am je-weils kostengünstigsten Standort produ-ziert wird. Deshalb ist Offshoring für Fir-men vor allem eine Möglichkeit, die Vor-teile der internationalen Arbeitsteilung zunutzen und so Wettbewerbsfähigkeit,Wachstum und Rendite zu steigern.

Deutschland in der internationalenArbeitsteilung

Kaum ein Land profitiert so sehr von frei-em Handel, offenen Märkten und der in-ternationalen Arbeitsteilung wie Deutsch-land. 2004 exportierten wir Waren im Wertvon 733 Mrd. €, während sich die Impor-te auf 577 Mrd. € beliefen. Unsere Export-quote beträgt 39,1% des Bruttoinlandpro-dukts und liegt damit um ca. 50% höherals die Frankreichs oder Großbritanniens.

In den letzten 20 Jahren haben deutscheUnternehmen ihren Bestand an auslän-dischen Direktinvestitionen von 33 auf623 Mrd. € gesteigert und die Zahl ihrerausländischen Beschäftigten von 1,7 auf4,2 Millionen erhöht. 800 000 Arbeitsplät-ze davon entstanden seit 1993 allein inMittel- und Osteuropa.

Dennoch ist das deutsche Engagementim Ausland bisher alles andere als über-durchschnittlich hoch. Im Verhältnis zumBIP betragen die deutschen Direktinves-titionsbestände knapp 26%, der Durch-schnitt aller Industrieländer liegt knapp hö-her, und Großbritannien erreicht einenWert von 63%. Die meisten Direktinves-titionen deutscher Firmen sind dabeimarkterschließend und generieren zusätz-liche Wertschöpfung und Beschäftigungim Ausland. Fast 70% der deutschen Aus-landsinvestitionen werden im Dienstleis-tungssektor getätigt, in dem Markter-schließung das dominante Motiv ist.

Unternehmen zwischen wirtschaftlicher Logik und sozialer Verantwortung

Nachtrag: Flucht aus Deutschland?

Prof. Dr. h.c. Roland Berger*

* Prof. Dr. h.c. Roland Berger, Chairman der RolandBerger Strategy Consultants GmbH, München.

Zur Diskussion gestellt

Ursächlich für das gestiegene Auslandsengagement ist nichtzuletzt, dass zumindest für die großen deutschen Firmendas Ausland inzwischen wichtiger ist als der Heimatmarkt.Die Dax-Firmen erzielen im Durchschnitt 66% ihrer Umsätzeim Ausland, dieser Anteil liegt bei Firmen wie Daimler-Chrys-ler, Bayer oder Schering bereits bei über 85%. Diese Umsatz-verteilung macht eine globalere Verteilung der Wertschöpfungunausweichlich, globale Märkte erfordern globale Wertschöp-fung und damit Offshoring. Eine Studie von Roland BergerStrategy Consultants und der Unctad ergab, dass 40% derdeutschen und 44% der europäischen Unternehmen in nächs-ter Zeit beabsichtigen, Dienstleistungsjobs ins Ausland zu ver-lagern. Vor allem deshalb, weil sie sich davon geringere Ar-beitskosten erwarten. Die Einsparungen von bisher erfolg-ten Offshoring-Aktivitäten betragen zwischen 20 und 40%,und 61% der befragten Firmen bewerten ihre bisherigen Ser-vice-Offshoring-Aktivitäten als sehr erfolgreich. Der Trend zumOffshoring ist also keine vorübergehende Erscheinung. Er wirdweitergehen, und er muss weitergehen, wenn sich deutscheFirmen ihre Wettbewerbsfähigkeit bewahren wollen.

Offshoring und Arbeitsplätze

Welche Effekte Offshoring auf einheimische Arbeitsplätzehat, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Es gibt zweigegenläufige Effekte. Der erste Effekt sind Arbeitsplatzver-luste durch Verlagerung ins Ausland. Dem steht allerdingsgegenüber, dass durch diese Verlagerungen die Firmen wett-bewerbsfähiger werden und dann eventuell auch wieder Be-schäftigte im Inland einstellen.

Offensichtlich ist aber, dass arbeitsintensive Produktion inDeutschland kaum noch konkurrenzfähig ist. Im Standort-wettbewerb ist vor allem die Produktion standardisierbarerGüter von Verlagerung betroffen. Deswegen importiertDeutschland auch beispielsweise 98% seines Bedarfs anSchuhen aus Niedriglohnländern. Güter, die nur geringeKnow-how-Anforderungen haben, werden zwangsläufig ent-weder von heimischen Firmen im Ausland produziert oderdirekt von dort importiert.

Es werden aber nicht nur zunehmend fertige Produkte im-portiert, sondern auch immer mehr Vorleistungen. Die ge-stiegenen ausländischen Vorleistungen sind auch einer derHauptgründe dafür, dass in der Industrie trotz eines um 19%gestiegenen Produktionswertes zwischen 1995 und 2003die Beschäftigung um 8% – oder 690 000 Beschäftigte –gesunken ist. Ebenso tragen Vorleistungsimporte zu dendeutschen Exporterfolgen bei. Der Anteil der inländischenWirtschaftsleistung an den Exporten ist von 73% 1991 auf61% 2002 gesunken. In der deutschen Vorzeige-Branche,der Automobilindustrie, ist der Anteil der Vorleistungsimpor-te aus Ländern mit niedrigem Lohnniveau von 9,4% 1980auf fast 41% 2002 gestiegen.

Die Öffnung der osteuropäischen Volkswirtschaften und ih-re niedrigen Lohnkosten führten zu einer Verlagerungswel-le von deutschen Firmen. Schätzungen zufolge wurden bis2001 aus Kostengründen 91 000 Arbeitsplätze verlagert –bei einer Gesamtzahl von 460 000 in Osteuropa von deut-schen Großfirmen geschaffenen Arbeitsplätzen. Bis 2007sind weitere 360 000 Jobs in der Produktion durch Verla-gerung bedroht. Offshoring betrifft ebenso Dienstleistungen,auch wenn kulturelle Barrieren wie Sprache das Potentialvon Dienstleistungs-Offshoring begrenzen. Bisher haben vorallem die Finanz- und Technologiebranchen Dienstleistun-gen im großen Stil ausgelagert. Auch dieser Trend wird wei-tergehen. Bis 2009 könnten laut der Deutschen Bank imDienstleistungsbereich weitere 500 000 Jobs verloren ge-hen. Wenn man die Gesamtzahl von 24 Mill. Beschäftigtenim gesamten Dienstleistungsbereich in Deutschland bedenkt,ist zwar nur ein kleiner Teil der Arbeitsplätze bedroht, aberbei der schwierigen Arbeitsmarktlage in Deutschland ist dieGrößenordnung doch signifikant.

Verlagerungen haben aber nicht nur direkte, sondern auchindirekte Effekte auf Arbeitsplätze und den Arbeitsmarkt. Daeinfache Arbeiten in Niedriglohnländern billiger ausgeführtwerden können, geraten – außer bei lokalen Dienstleistun-gen – die Löhne geringqualifizierter Arbeitsnehmer inDeutschland unter Druck. Das DIW schätzt, dass Offsho-ring die Löhne Niedrigqualifizierter um bis 1,8% senkt, wäh-rend die Löhne Hochqualifizierter wegen ihrer spezialisier-ten Fähigkeiten um bis zu 3,3% steigen.

Andererseits, und das ist der gegenläufige Effekt, muss Off-shoring nicht zwangsläufig zu Arbeitsplatzverlusten führen.Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat in ei-ner Umfrage herausgefunden, dass Auslandsinvestitionennur in 21% der Fälle weniger Beschäftigung im Inland nachsich zogen, während in 60% der Fälle die Auslandsinvesti-tionen entweder zur Sicherung der inländischen Arbeitsplät-ze oder sogar zu einem Aufbau führten. Ein Aufbau von Ar-beitsplätzen im Ausland ist deswegen nicht gleichbedeu-tend mit einem Abbau im Inland. Die meisten der ausländi-schen Arbeitsplätze deutscher Firmen wären im Inland ver-mutlich gar nicht entstanden.

Für Unternehmen ist Offshoring deshalb in erster Linie einMittel zur Kostensenkung, erhöhter Wettbewerbsfähigkeitund Expansion in neue Märkte ohne notwendigerweise im-mer zu Beschäftigungsverlusten zu führen. Studien der Bun-desbank und der Europäischen Investitionsbank kommenzu dem Schluss, dass die Osterweiterung per saldo keineAuswirkungen auf Beschäftigung in Deutschland hatte be-ziehungsweise dass es keinen signifikanten Zusammenhangzwischen Auslandsinvestitionen und inländischer Beschäf-tigung gibt. Offshoring ist jedoch ein Ausdruck davon, dassDeutschland im Bereich einfacher Produkte und Dienstleis-tungen, die mit geringqualifizierten Arbeitskräften hergestellt

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Zur Diskussion gestellt

werden, nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Angesichts desLohngefälles zwischen Deutschland und Osteuropa, aberauch China, ist dies offensichtlich. Deshalb hat Offshoringvolkswirtschaftlich eine segensreiche Wirkung, nämlich dennotwendigen Strukturwandel zu beschleunigen.

Ein Hochlohnland wie Deutschland kann seinen Wohlstandnur durch Innovation erhalten. Angesichts des deutschenLohnniveaus können wir nicht über Kosten konkurrieren, diedeutsche Wirtschaft ist vielmehr gezwungen, Produkte her-zustellen, die andere Volkswirtschaften noch nicht herstellenkönnen und die sie deshalb teuer bezahlen. Leistungsdiffe-renzierung ist hier das Schlüsselwort. Durch überlegene Leis-tungen und Produkte kann Deutschland eine Innovationsren-te erzielen, die Wohlstand und Arbeitsplätze sichert.

Deswegen zwingt Offshoring und die damit einhergehendeneue internationale Arbeitsteilung Deutschland zu höherwer-tiger Wertschöpfung. Offshoring von einfachen Tätigkeitenist ein nicht aufzuhaltender Prozess. Dies muss akzeptiert wer-den, und Ressourcen müssen in innovative Branchen umge-lenkt werden, nämlich in wissensintensive Branchen, in de-nen das Humankapital hoch produktiv eingesetzt werden kannund deren Output von Niedriglohnländern kaum reproduziertwerden kann. Mit anderen Worten, ein schneller Wandel vonder Industrie- zur Wissensgesellschaft ist unabdingbar.

Wirtschaftspolitische Implikationen

Um aber den Wandel in Richtung Wissensgesellschaft er-folgreich bewältigen zu können, ist wirtschaftspolitischesUmsteuern auf vielen Gebieten erforderlich. Wir brauchenmehr Ressourcen für die Zukunft; die Bereiche Bildung, For-schung und Entwicklung, Familienpolitik sind Beispiele da-für. Momentan geben wir zu viel Geld für Subventionen oderden Wohlfahrtsstaat aus.

In vielen Bereichen, die für die Wissensgesellschaft und fürdie künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von heraus-ragender Bedeutung sind, hinkt Deutschland hinterher. DerAkademiker-Anteil in Deutschland liegt um 17 Prozentpunk-te niedriger als der in den USA und Finnland. Pro 1 000 Ein-wohner weist Deutschland nur 8,4 Hochschulabschlüssein Natur- und Ingenieurwissenschaften auf, während es inFinnland 17,4% sind. Die Bildungsausgaben in Deutschlandbetragen 5,3% des BIP, während Länder wie die USA oderDänemark mehr als 7% des BIP für Bildung ausgeben. Si-cher ein Hauptgrund dafür, dass Deutschland bei derPISA-Studie unter ferner liefen rangiert. Ebenso wird lebens-langes Lernen und berufliche Weiterbildung in Deutschlandvernachlässigt, einer der Kernbereiche für die Wissensge-sellschaft. Während sich in Deutschland 6% der Beschäf-tigten an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen,sind es in Schweden fast 35% und in der Schweiz 25%.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Input für Innovation.Deutschland ist weit vom Lissabon-Ziel entfernt, das besagt,dass bis 2010 3% des BIP für Forschung und Entwicklungausgegeben werden sollen. Momentan liegen wir bei 2,5%und wenden damit – relativ betrachtet – nur 60% der schwe-dischen F&E-Ausgaben auf. Um bis 2010 das Lissabon-Zielzu erreichen, bräuchten wir jährlich nominale Ausgabenstei-gerungen von 8 bis 10%, ein Ziel, das nicht in Sicht ist. Eben-so ist die Verfügbarkeit von Venture Capital, der Vorbedin-gung für die Gründung von High-Tech-Unternehmen, inDeutschland niedrig. Venture-Capital-Investitionen in Groß-britannien sind – im Verhältnis zum BIP – doppelt so hochund in den USA sogar viermal so hoch.

Innovationspolitik ist allerdings nicht das einzige Handlungs-feld, auf dem etwas passieren muss. Da die Nachfrage nachniedrigqualifizierter Arbeit in Deutschland ohne gegenläufigepolitische Maßnahmen zurückgeht, muss sowohl das Arbeits-angebot, beispielsweise durch die »aktivierende Sozialhilfe«des ifo Instituts, wie auch die Nachfrage nach geringqualifi-zierter Arbeit erhöht werden, beispielsweise durch steuerli-che Entlastung einfacher Tätigkeiten. Die Beschäftigungspro-bleme Niedrigqualifizierter, die die Hauptgruppe der Arbeits-losen darstellen, verschärfen sich sonst dramatisch.

Ein weiteres wichtiges Feld für eine bessere wirtschaftlichePerformance Deutschlands betrifft die Regulierung. Die Ran-kings des World Economic Forums und des IMD dokumen-tieren immer wieder, dass in kaum einem Land die Büro-kratie so ausufernd und der Arbeitsmarkt so reguliert ist. Bei-des sind Wettbewerbsnachteile vor allem für potentielle Grün-der und damit für den Aufbau neuer Arbeitsplätze. Aber nurdurch neue Unternehmen kann die deutsche Volkswirtschaftin die schnell wachsenden High-Tech-Branchen eindringen.Deswegen ist auch gesellschaftlicher Wandel in Richtung ei-ner höheren Wertschätzung von Unternehmertum eine wich-tige Voraussetzung für den benötigten Strukturwandel.

Die Beschleunigung des Strukturwandels ist unabdingbareVoraussetzung dafür, dass sich die wirtschaftliche Perfor-mance Deutschlands langfristig verbessert. Offshoring ist da-bei nicht das Problem und sollte auch politisch nicht zum Pro-blem gemacht werden. Firmen müssen ihre Wettbewerbsfä-higkeit erhalten, um im globalen Wettbewerb zu bestehen,und Offshoring kann ihnen dabei helfen. Offshoring ist einSymptom der Tatsache, dass sich die internationale Arbeits-teilung geändert hat und dass Hochlohnländer innovativerwerden müssen, um ihren Wohlstand zu halten. Genau die-se Herausforderung muss Deutschland annehmen.

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Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind kog-nitive Basiskompetenzen, wie sie etwa inder PISA-Studie getestet wurden, vonhöchster Relevanz. Anhand von PISA-Vorgängerstudien, die zwischen Mitte der1960er und Anfang der 1990er Jahreschulische Leistungen im internationalenVergleich testeten, konnte gezeigt wer-den, dass Basiskompetenzen in Mathe-matik und Naturwissenschaften einenstarken Einfluss auf das spätere Wachs-tum der Volkswirtschaften und das er-reichte wirtschaftliche Entwicklungsniveauhaben.1 Diese empirische Evidenz belegtdie reale Bedeutung neuerer Wachstums-theorien, die die Bedeutung des Human-kapitals der Bevölkerung für die langfris-tige Entwicklung von Volkswirtschaftenhervorheben (vgl. etwa Jones 2002). Dasses neben dem ökonomischen auch im all-gemeinen öffentlichen Interesse liegt, wiegut unsere Schulen abschneiden, zeigen

die regelmäßig mit den Veröffentlichungender neuesten PISA-Ergebnisse ausbre-chenden Debatten über die wichtigstenPrioritäten der Bildungspolitik.

Mit der Erkenntnis der makroökonomi-schen Relevanz der Schülerleistungen fürdie Gesamtwirtschaft wurde verständli-cherweise auch das mikroökonomischeInteresse an deren individuellen Bestim-mungsfaktoren geweckt. So beschäftigtsich die mikroökonomische Forschungzunehmend damit, wie schulische Bildungam effizientesten zur Verfügung gestelltwerden kann. Mit der Frage nach der ins-titutionellen Gestaltung des Schulsys-tems, die die Bildungsbereitstellung ambesten gewährleistet, werden sich die letz-ten beiden Beiträge der im ifo Schnell-dienst veröffentlichten »ÖkonomischenBeiträge zur Schuldebatte« beschäftigen.

In diesem und im nächsten Heft soll esaber zunächst darum gehen, inwiefern ei-ne Ausweitung der Bildungsbudgets zueiner Steigerung der erlernten Basiskom-petenzen der Schüler beitragen kann. Der

Ludger Wößmann

Kleinere Klassen = bessere Leistungen?

Wie jedes Jahr machen sich Eltern zu Beginn des neuen Schuljahres Gedanken darüber, worauf

sie achten müssen, damit ihre Kinder eine qualitativ hochwertige Schulbildung erhalten. Sollten

sie dafür plädieren, dass zusätzliche Lehrer eingestellt werden? Oder muss zu Hause dringend

ein Computer mit der neuesten Lernsoftware angeschafft werden? Brauchen wir bundeseinheitli-

che Standards? Oder muss schon viel eher, im frühkindlichen Bereich, mit spielendem Lernen an-

gesetzt werden? Was muss an Reformen im deutschen Schulsystem geschehen? Aus ökonomischer

Sicht sind dies äußerst berechtigte Fragen über gebotene Prioritäten bildungspolitischen Han-

delns, denn die bildungsökonomische Forschung hat gezeigt, dass Bildungsleistungen für die Zu-

kunftschancen von Individuen und Volkswirtschaften von entscheidender Bedeutung sind. Und

die bildungsökonomische Forschung hat auch einige interessante Antworten auf die gerade ge-

stellten Fragen parat, die zum Teil recht unerwartet sein dürften.

In dieser und den kommenden drei Ausgaben des ifo Schnelldienstes berichtet die Artikelserie

»Ökonomische Beiträge zur Schuldebatte« über die Befunde zahlreicher Forschungsarbeiten der

Abteilung Humankapital und Strukturwandel des ifo Instituts zu vier bildungspolitisch zentralen

Themenbereichen: Effekte der Klassengröße, Computereinsatz beim Lernen, institutionelle Re-

formen zur Effizienzsteigerung im Schulsystem und Bestimmungsgründe der Chancengleichheit

in der Bildung. Dazu wird mit Hilfe umfangreicher empirischer Untersuchungsmethoden ermittelt,

was man aus den internationalen Schülerleistungsvergleichen wie PISA, IGLU und TIMSS für die

deutsche Schulpolitik lernen kann. Der vorliegende Artikel beginnt mit dem wohl meistdiskutier-

ten Reformvorschlag: Sollen die Landesregierungen zusätzliche Lehrer einstellen, um damit die

Klassengrößen in den Schulen zu verkleinern? Aufwändige mikroökonometrische Studien deuten

darauf hin, dass die schulischen Leistungen dadurch kaum verbessert werden können.

1 Vgl. dazu Hanushek und Kimko (2000); Barro(2001); Wößmann (2003a) und Gundlach und Wöß-mann (2004). Für einen generellen aktuellen Über-blick bildungsökonomischer Forschung vgl. Ha-nushek und Welch (2006).

Forschungsergebnisse

58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

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vorliegende Beitrag befasst sich mit der wohlam meisten vorgebrachten Forderung: Soll-ten wir nicht mehr Geld einsetzen, um dieKlassengrößen zu verkleinern, in denen dieSchülerinnen und Schüler unterrichtet wer-den? In ökonomischer Betrachtungsweisemüsste der Nutzen, den eine Verkleinerungder Klassen – zum Beispiel von durchschnitt-lich 25 auf 19 Schüler – möglicherweise her-vorruft, ihren Kosten gegenübergestellt wer-den. Diese Kosten sind durchaus nicht ver-nachlässigbar: In diesem Beispiel entsprä-chen sie einem Anstieg von rund einem Vier-tel des gesamten Bildungsbudgets! Nurwenn Verkleinerungen der Klassengrößenkosteneffizient wären, wenn ihr Nutzen alsodiese Kosten überstiege, wäre es wirklichsinnvoll, die Klassen zu verkleinern. In Anbe-tracht der fundamentalen Bedeutung die-ser Fragestellung ist es erstaunlich, dass wirin Deutschland bisher über die Effekte von Klassengrößenauf die Leistungen der Schüler eigentlich so gut wie nichtswissen. Nach einer aggregierten Betrachtung möglicher Ef-fekte zusätzlicher Bildungsausgaben werden im Folgendenkonventionelle Schätzungen von Klassengrößeneffekten inDeutschland und deren methodische Probleme sowie zweiquasi-experimentelle Methoden zur Identifikation kausalerKlassengrößeneffekte vorgestellt – die eine anhand natürli-cher Kohortenschwankungen, die andere anhand regelin-duzierter Diskontinuitäten –, bevor der Beitrag mit einer kur-zen Analyse des Zusammenhangs zwischen Lehrerqualitätund Klassengrößeneffekten sowie einer Zusammenfassungmit Ausblick schließt.

Das aggregierte Bild: Ausgabenvergleiche zwischen Ländern und über die Zeit

Wir beginnen mit zwei aggregierten Betrachtungen, in de-nen die Bildungsausgaben und die Schülerleistungen zwi-schen Ländern und über die Zeit verglichen werden. Ge-ben die Länder, die bei PISA und Co. die Spitzenplätze ein-nehmen, systematisch mehr für ihr Schulsystem aus als dieLänder, die auf den hinteren Plätzen abschneiden? Abbil-dung 1 stellt den internationalen Zusammenhang zwischenAusgabenniveaus und Mathematikleistungen in der neues-ten PISA-Studie dar. Das Ergebnis ist aus verschiedensteninternationalen Vergleichstests lange bekannt: Länder mithöheren Bildungsausgaben schneiden im Ländervergleichnicht systematisch besser ab.

Zwar zieht die OECD (2004, 101) aus dieser Abbildung dieSchlussfolgerung, dass ein positiver Zusammenhang zwi-schen Ausgaben und Schülerleistungen besteht, weil sichbei Berücksichtigung aller Länder und ohne Beachtung sons-tiger Effekte eine statistisch schwach signifikante positive

Korrelation ergibt (durch die rote Linie wiedergegeben). Aberschon eine einfache Betrachtung der Abbildung zeigt, wieabwegig ein solcher Schluss ist: Ganz offensichtlich basiertdieser ohnehin sehr schwache positive Zusammenhang ein-zig und allein darauf, dass Mexiko – und zu einem geringe-ren Maße Griechenland – sowohl niedrige Ausgaben als auchniedrige Leistungen aufweisen, und es gibt sicherlich nochandere Gründe dafür, dass diese Länder sehr schwach ab-schneiden. Ohne Berücksichtigung dieser beiden Länder er-gibt sich nicht der geringste Zusammenhang zwischen Aus-gaben und Leistungen (durch die blaue Linie wiedergege-ben). Statistisch gesehen können Ausgabenunterschiedekeine Erklärung der internationalen Varianz der Schülerleis-tungen liefern (das R2 dieser Regressionsgeraden beträgt0,01). Im Durchschnitt schneiden Länder mit hohen Bildungs-ausgaben genauso ab wie Länder mit niedrigen Bildungs-ausgaben.

Dieses für eine auf Ausgabenerhöhungen fokussierte Bil-dungspolitik ernüchternde Bild ergab sich genauso schonin vorherigen internationalen Schülertests wie etwa TIMSS(vgl. Wößmann 2002), und eine gleichzeitige Berücksichti-gung weiterer Einflussfaktoren verändert an dieser Einschät-zung nichts Wesentliches. Ausgaben pro Schüler sind einumfassendes Maß des Inputs im Bildungssektor, das nichtnur Personalkosten, sondern auch materielle Kosten be-rücksichtigt. Allerdings sind internationale Ausgabenverglei-che immer mit dem Problem der relevanten Wechselkurs-umrechnung belastet (hier wurde eine Kaufkraftparitäten-umrechnung gewählt), und in nahezu allen Ländern machendie Personalkosten über drei Viertel der gesamten Ausga-ben aus. Damit bietet sich auch die Klassengröße als nicht-monetäres Inputmaß, das einen großen Teil der Ausgabenbestimmt, für internationale Vergleiche an. Bei einer Betrach-tung der Klassengröße statt des Ausgabenniveaus ergibtsich allerdings das gleiche Bild wie in Abbildung 1.

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Kumulierte Bildungsausgaben pro Schüler

PISA-2003-Mathematikleistung

Quelle: OECD (2004, 102, 358) sowie eigene Berechnungen.

Island

DeutschlandIrland

Österreich

BelgienNiederlande

Frank-reich

Italien

Finnland

R 2 = 0,15

Spanien

Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Mathematikleistung in PISA 2003 und den kumulierten Ausgaben für Bildungsinstitutionen pro Schüler im Alter von 6 bis 15 Jahren, in US-Dollar, konvertiert mit Kaufkraftparitäten.

Ausgaben pro Schüler und Schülerleistungen im Ländervergleich

R 2 = 0,01

Mexiko

Griechenland

Slowak. Rep.

Tschech. Rep.

Ungarn

Schweiz

USA

Korea

Polen

Portugal

Norwegen

Dänemark

JapanKanada

AustralienSchweden

Abb. 1

Forschungsergebnisse

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Ist das Bild anders, wenn wir uns Veränderungen der Aus-gaben über die Zeit innerhalb einzelner Länder anschau-en? Wie Abbildung 2 darlegt, hat eine dezidierte Studie derzeitlichen Veränderungen von Ausgaben und Schülerleis-tungen gezeigt, dass sich die realen Bildungsausgaben proSchüler in allen betrachteten OECD-Ländern zwischen An-fang der 1970er und Mitte der 1990er Jahre substantiell er-höht haben.2 In Deutschland sind die realen Ausgaben proSchüler in dem betrachteten 25-Jahres-Zeitraum im Durch-schnitt jedes Jahr um 2,9% gestiegen. Über 25 Jahre machtdas insgesamt sage und schreibe mehr als eine Verdoppe-lung der pro Schüler verfügbaren finanziellen Mittel aus!Wie hat sich diese Ausgabenexplosion auf die von den Schü-lern erlernten Basiskompetenzen ausgewirkt? Zwar ist einLeistungsvergleich über einen so langen Zeitraum nicht leicht,aber Analysen internationaler Vergleichstests von 1970 und1994/95 legen nahe, dass sich an den Durchschnittsleis-tungen der Schüler in allen betrachteten Ländern nichts We-sentliches getan hat. Wenn überhaupt, dann sind die Leis-tungen deutscher Schüler im Durchschnitt leicht gesun-ken. Neueste Berechnungen legen aber nahe, dass sichdie durchschnittlichen Leistungen deutscher Schüler in Ma-thematik und Naturwissenschaften von Anfang der 1970erJahre bis heute so gut wie gar nicht verändert haben (vgl.Hanushek und Wößmann 2005). Aus konstantem Outputbei steigendem Input lässt sich auf eine »sinkende Produk-tivität der Schulen« (vgl. Gundlach und Wößmann 2000)schließen. Jedenfalls haben die immensen Erhöhungen derAusgaben über die Zeit in Deutschland und anderswo nichtzu einer Verbesserung der Schülerleistungen geführt.

Tatsächlich ist die Ausgabensteigerung in Deutschland wieauch in vielen anderen Ländern zu einem wesentlichen Teildurch eine Verringerung des Schüler-Lehrer-Verhältnissesbegründet. Zwischen 1960 und 1995 ist das durchschnitt-liche Schüler-Lehrer-Verhältnis in allgemeinbildenden Schu-

len in Deutschland nach UNESCO-Daten von 26,7 auf16,0 gesunken.3 Auch wenn diese Daten immer mit etwasVorsicht zu betrachten sind, so zeigen sie doch sicherlicheinen klaren langfristigen Trend zu durchschnittlich kleine-ren Klassen auf, welcher sich nicht in nennenswert besse-ren Schülerleistungen widergespiegelt hat.

Konventionelle Schätzung von Klassengrößen-effekten

Bessere Länder geben nicht mehr für ihre Bildung aus, undAusgabensteigerungen haben nicht zu Leistungsverbesse-rungen geführt. Aber ist es trotz dieses aggregierten Bildesnicht so, dass Schüler, die in kleineren Klassen unterrichtetwerden, mehr lernen? Seltsamerweise ist dies für Deutsch-land bisher kaum untersucht worden. In den USA gibt esdazu seit den 1960er Jahren Hunderte von empirischenSchätzungen, die den Zusammenhang zwischen Testleis-tungen von Schülern und verschiedenen Ausstattungsmerk-malen, insbesondere der Klassengröße, schätzen (vgl. Ha-nushek 2002 für einen Überblick). In der absoluten Mehr-zahl kommen diese Studien zum gleichen Befund wie dasaggregierte Bild: Sie finden kaum Evidenz für signifikanteLeistungseffekte einer besseren Ressourcenausstattung,insbesondere nicht kleinerer Schulklassen.

Um vergleichbare Evidenz für Deutschland zu erhalten, bie-tet es sich an, die Daten des TIMSS-Tests (»Third Interna-tional Mathematics and Science Study«) zu nutzen, der 1995von der International Association for the Evaluation of Edu-cational Achievement (IEA) durchgeführt wurde. Im Vergleichzur PISA-Studie, die in jeder Klasse nur einzelne Schüler ge-testet hat, hat TIMSS den Vorteil, dass in jeder Schule einekomplette siebte und eine komplette achte Klasse getestetwurde. Diese Datenstruktur mit zwei getesteten Jahrgangs-

stufen ermöglicht auch die Durchführung ei-ner speziellen Schätzmethode, wie weiter un-ten näher erläutert wird. Der hier verwende-te deutsche TIMSS-Datensatz umfasst5 620 Schüler in 130 Schulen, die eine re-präsentative Stichprobe der deutschenSiebt- und Achtklässler darstellen. Die durch-schnittliche Klassengröße in Deutschlandliegt in TIMSS bei 24,6 Schülern. Die kleins-te getestete Klasse hatte 10, die größte34 Schüler. Im Durchschnitt erreichten diedeutschen Schüler im TIMSS-Mathematik-test 497 Punkte (was sehr nah am interna-tionalen Durchschnitt von 500 liegt), mit ei-ner Standardabweichung von 88 Punkten.

70

80

90

100

110

0 1 2 3 4 5 6 7Veränderung der Bildungsausgaben (Prozent pro Jahr)

Veränderung der Schülerleistung (1970 = 100)

Quelle: Wößmann (2002, 106).

DeutschlandBelgien

Niederlande

Frankreich

Italien

Zusammenhang zwischen der Veränderung der Schülerleistung (Schülerleistung 1994/95 relativ zu 1970) und der Veränderung der Bildungsausgaben (durchschnittliche jährliche Veränderungsrate der realen Bildungs- ausgaben pro Schüler zwischen 1970 und 1994/95 in Prozent).

Ausgaben pro Schüler und Schülerleistungen über die Zeit

Großbritannien

USA

Neuseeland

Japan

Australien

Schweden

Abb. 2

2 Für Details der Analyse vgl. Gundlach und Wößmann(2000); Gundlach et al. (2001) sowie Wößmann (2002).

3 Leider liegen keine vergleichbaren Daten vor, um die-se Zeitreihe ohne Strukturbruch bis heute fortzuführen.

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Für eine Abschätzung der Größe der geschätzten Effektebietet es sich an, diese mit dem durchschnittlichen Leis-tungsunterschied zwischen der siebten und achten Klassezu vergleichen, welcher in Deutschland 25 Punkte beträgt.Dieses »Jahrgangsstufenäquivalent« gibt an, wie viel dieSchüler im Durchschnitt in einem Schuljahr lernen.

Betrachtet man den einfachen Zusammenhang zwischender jeweiligen Klassengröße und den Mathematikleistungender Schüler in Deutschland, so ist dieser erstaunlicherwei-se positiv. Das heißt, dass bei einfacher Betrachtung dieSchülerleistungen in größeren Klassen nicht schlechter, son-dern sogar besser sind! In Abbildung 3 ist dieser Zusam-menhang durch die türkisfarbene Linie dargestellt: Mit stei-gender Klassengröße nimmt die TIMSS-Testpunktzahl zu.

Eine solche einfache Betrachtungsweise ignoriert natürlich,dass die Schülerleistungen sehr stark vom familiären Hinter-grund und möglicherweise auch von der weiteren Ausstattungder Schulen beeinflusst werden. Wenn z.B. Kinder aus hoch-gebildeten Elternhäusern in der Mittelstufe im Durchschnitt aufSchulen mit größeren Klassen gehen, so beeinflusst dies deneinfachen Zusammenhang zwischen Klassengröße und Schü-lerleistung. Deshalb ist es bei konventionellen Schätzungenvon Klassengrößeneffekten üblich, Einflüsse des familiären Hin-tergrunds mit entsprechenden ökonometrischen Methodenherauszurechnen (vgl. Hanushek 2002).

Schätzen wir auf diese konventionelle Art den Klassengrö-ßeneffekt anhand der deutschen TIMSS-Mikrodaten, indemwir für jeden Schüler individuell die Einflüsse zahlreicher per-sönlicher, familiärer und schulischer Merkmale konstant hal-ten, so verringert sich zwar die Größe des positiven Zu-sammenhanges zwischen Klassengröße und Schülerleis-tung, aber er bleibt immer noch statistisch signifikant posi-tiv, wie die rote Linie in Abbildung 3 zeigt.4,5

Das methodische Problem: Endogenität

Woher kommt dieser seltsame Befund, dassdie Schülerleistungen in größeren Klassen imDurchschnitt besser sind? Es liegt nahe, da-rin keinen kausalen Effekt der Klassengrößeauf die Leistungen zu sehen. Stattdessenist zu berücksichtigen, dass die Klassengrö-ße nicht nur Ursache, sondern auch Folgeder Schülerleistungen sein kann. Eine gan-ze Reihe von Wirkungsmechanismen kommtin Frage, die dazu führen, dass Klassengrö-ße und Schülerleistungen gemeinsam be-stimmt werden, was zu einem signifikantenZusammenhang zwischen den beiden füh-ren kann, ohne dass ein kausaler Effekt derKlassengröße auf die Leistungen vorläge (vgl.dazu West und Wößmann 2005).

So können zum Beispiel die Aufteilung der Schüler auf Schu-len mit unterschiedlichen Klassengrößen aufgrund von Re-gelungen des Schulsystems sowie die Zuweisung der Schü-ler in verschiedene Klassen innerhalb einer Schule auf denLeistungen dieser Schüler basieren. Dies ist gerade im mehr-gliedrigen Schulsystem in Deutschland der Fall, wo relativleistungsschwache Schüler Hauptschulen besuchen, die imDurchschnitt etwas kleinere Klassengrößen aufweisen. Die-ser Effekt ist in Abbildung 4 durch den Pfeil von den Schü-lerleistungen hin zur Klassengröße dargestellt, der gewis-sermaßen eine umgekehrte Kausalität zu dem uns interes-sierenden kausalen Effekt der Klassengröße auf die Schü-lerleistungen darstellt.

Auch können die Wahlentscheidungen der Eltern, wo siewohnen und zu welcher Schule (mit welchen Klassengrö-

400

425

450

475

500

525

550

15 20 25 30

Ohne Kontrollvariablen

Mit Kontrollvariablen

Fixe Schuleffekte

Natürliche Fluktuationen

Diskontinuitäten

Kosteneffizienz (Project STAR)

Klassengröße

Schülerleistung (Testpunkte)

Quelle: Wößmann (2005) und eigene Berechnungen anhand des TIMSS-Datensatzes.

Geschätzter Zusammenhang zwischen den Schülerleistungen im TIMSS-Mathematiktest und der spezifischen Klassengröße im Mathematikunterricht.

Klassengröße und Schülerleistungen in Deutschland

Abb. 3

4 Die in dieser und allen weiteren Schätzungen berücksichtigten Variablendes familiären Hintergrundes, die aus Hintergrundfragebögen der in TIMSSgetesteten Schüler stammen, sind: drei Indikatorvariablen für den Bildungs-stand der Eltern, vier Indikatorvariablen über die Anzahl der im Haushaltverfügbaren Bücher, Indikatorvariablen darüber, ob der Schüler mit bei-den Elternteilen zusammenlebt und ob er in Deutschland geboren wurde,zwei Indikatorvariablen über die geographische Lage der Schule (dörflichbis großstädtisch), das Geschlecht und Alter des Schülers sowie die Jahr-gangsstufe. Außerdem kontrolliert die Schätzung für zwei Indikatorvaria-blen über die materielle Ausstattung der Schule, für die jährliche Unter-richtszeit sowie das Geschlecht und die Lehrerfahrung des Mathematik-lehrers. Da der benutzte Datensatz auch zugeschätzte Werte für fehlendeAngaben in den Hintergrundfragebögen enthält, kontrollieren die Schät-zungen zusätzlich noch für Imputationsindikatoren für jede Variable sowieInteraktionseffekte dieser Indikatoren mit der jeweiligen Variable, was si-cherstellt, dass die berichteten Ergebnisse nicht von den Zuschätzungenbestimmt werden. Vgl. Wößmann (2005) für Details.

5 In ähnlicher methodischer Vorgehensweise schätzt Baumgartner (2003)den Zusammenhang zwischen durchschnittlichen Klassengrößen inner-halb von deutschen Land- und Stadtkreisen und den im Sozioökonomi-schen Panel erhobenen Einstiegsgehältern unter Kontrolle weiterer Ein-flussfaktoren und findet keinen statistisch signifikanten Zusammenhangzwischen Klassengröße und Arbeitseinkommen. Allerdings besteht bei ei-ner solchen Betrachtung von Klassengrößenmaßen auf regionaler Ebenedie Gefahr von Aggregationsverzerrungen (vgl. Fertig und Wright 2005).

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ßen) sie ihre Kinder schicken wollen, mit den Leistungender Schüler korreliert sein. In diesem Fall könnten die Wahl-entscheidungen der Eltern einen im Modell unberücksich-tigten Einflussfaktor darstellen, der gleichzeitig die Klassen-größe und die Schülerleistungen beeinflusst (vgl. Abb. 4).

Die Wohnort- und Schulwahlentscheidungen der Eltern,die systematische Aufteilung der Schüler auf Schulen unddie Klassenaufteilung innerhalb von Schulen sind Beispieledafür, wie die Klassengrößen innerhalb des Modells (»en-dogen«) zusammen (»simultan«) mit den Schülerleistungenbestimmt werden. Dieses Endogenitäts- und Simultanitäts-problem stellt das Hauptproblem der Schätzung des Ein-flusses von Klassengrößen (oder anderer schulischer Res-sourcen) auf die Schülerleistungen, und damit der bisher be-schriebenen Evidenz, dar. Wann immer Wahlentscheidun-gen dazu führen, dass Schüler in nicht zufälliger Weise inKlassen unterschiedlicher Größe unterrichtet werden, ist diebeobachtete Variation in Klassengrößen zumindest teilwei-se verursacht von Variationen in Schülerleistungen bezie-hungsweise korreliert mit anderen Determinanten der Schü-lerleistungen. Deshalb kann eine einfache Schätzung vonKlassengrößeneffekten mit konventionellen ökonometrischenMethoden zu verzerrten Ergebnissen führen (vgl. Hoxby2000). Eine kausale Interpretation des zuvor berichteten po-sitiven Zusammenhangs zwischen Klassengrößen und Schü-lerleistungen in Deutschland ist deshalb nicht möglich.

Identifikation von Klassengrößeneffekten durchnatürliche Kohortenschwankungen

Um zu einer kausalen Aussage kommen zu können, mussder kausale Klassengrößeneffekt aus dem gesamten Zu-sammenhang zwischen Klassengröße und Schülerleistung,der zumindest teilweise auch durch Zuweisungsentschei-dungen bedingt ist, herausgefiltert werden. Dazu bedarf eseiner empirischen Identifikationsstrategie, die solche Klas-

sengrößenvariationen identifiziert, die nicht durch Endoge-nitäts- und Simultanitätsprobleme hervorgerufen wurden,die also in Bezug auf die Schülerleistungen »exogen« sind.In der Literatur werden drei Möglichkeiten zur Identifikationvon zufälliger oder exogener Variation in Klassengrößen vor-geschlagen. Die erste besteht darin, ein explizites Experi-ment durchzuführen, das Schüler in zufälliger Weise auf Klas-sen unterschiedlicher Größe aufteilt. Ein solches explizitesKlassengrößenexperiment liegt für Deutschland nicht vor.Das einzige größere bisher überhaupt durchgeführte Klas-sengrößenexperiment ist das so genannte »Project STAR«,das in den 1980er Jahren im US-Bundesstaat Tennesseedurchgeführt wurde und dort auf die Existenz von Klassen-größeneffekten hindeutete (vgl. dazu Krueger 1999). Leiderhaben explizite Experimente im Allgemeinen (vgl. Hoxby2000) und Project STAR im Besonderen (Hanushek 1999)einige Probleme und Defizite aufzuweisen, die die Validitätund Allgemeingültigkeit der Ergebnisse in Frage stellen.

Für deutsche Evidenz verbleiben also nur die weiteren zweiIdentifikationsstrategien, die beide eine quasi-experimen-telle Herangehensweise verfolgen, um durch so genannte»natürliche« Experimente hervorgerufene exogene Variatio-nen in Klassengrößen zu identifizieren. In solchen Fällen istes möglich, durch entsprechende ökonometrische Metho-den die Schätzung des Klassengrößeneffektes auf einensolchen Teil der gesamten Klassengrößenvariation zu be-schränken, der exogen in Bezug auf die Schülerleistungenist. Im Prinzip vergleichen diese Schätzungen damit Schü-lerleistungen in Klassen, deren Größe aus exogenen Grün-den unterschiedlich ist. Diese Vorgehensweise ermöglichteine kausale Aussage über die Größe des Klassengrößen-effekts.

Der erste Vorschlag, solche quasi-experimentelle Evidenzzu erlangen, besteht darin, solche Unterschiede in Klas-sengrößen zu nutzen, die aufgrund von natürlichen Fluk-tuationen in der Größe aufeinander folgender Jahrgangsstu-fen einer Schule entstehen (vgl. Hoxby 2000). So werden re-gelmäßig durch eine »Laune der Natur« im Einzugsbereicheiner Schule in einem Schuljahrgang ein paar Kinder mehrgeboren als im nächsten – etwa indem im einen Jahr mehrKinder Ende Juni, im nächsten Jahr mehr Kinder Anfang Juligeboren werden. Diese leichten Schwankungen in der Grö-ße der Jahrgangsstufe kann man als »natürliches« Experi-ment auffassen: Sie rufen Variationen in der durchschnittli-chen Klassengröße in zwei aufeinander folgenden Jahr-gangsstufen einer Schule hervor, die weder aufgrund derLeistungen der Schüler noch aufgrund irgendwelcher Zu-weisungsentscheidungen des Schulsystems verursacht wur-den, sondern eben exogen sind in Bezug auf die Leistun-gen der Schüler. Damit erlauben natürliche Fluktuationen inder Jahrgangsstufengröße, lediglich einen solchen Teil derVariation der Klassengrößen über die Zeit zu nutzen, der

Zuweisungen zwischen und

innerhalb von Schulen

Kausaler Effekt

der Klassengröße

SchülerleistungKlassengröße

Unberücksichtigte

Einflussfaktoren

Abb. 4Das Endogenitäts- und Simultanitätsproblem

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durch kleine Schwankungen in der Kohortengröße der Ge-burtenjahrgänge hervorgerufen wurde.

Wößmann und West (2005) haben eine Variante dieser Iden-tifikationsstrategie entwickelt, die spezifische Merkmale desTIMSS-Datensatzes ausnutzt. Die Intuition dieses Ansatzesist wie folgt. Da zahlreiche Wahlentscheidungen die Allo-kation von Schülern auf verschiedene Schulen in nicht-zu-fälliger Weise bestimmen, wird für die Schätzung von Klas-sengrößeneffekten in einem ersten Schritt die gesamte Va-riation, die zwischen Schulen besteht, durch die Berück-sichtigung eines kompletten Satzes fixer Schuleffekte her-ausgerechnet. Damit basiert die Schätzung ausschließ-lich auf Variationen, die innerhalb einzelner Schulen beste-hen. Da die Zuweisung auf verschiedene Klassen inner-halb eines Jahrgangs aber auch innerhalb der Schulen innicht-zufälliger Weise vonstatten gehen kann, werden ineinem zweiten Schritt Klassengrößenvariationen innerhalbeinzelner Schulen nur insoweit berücksichtigt, als sie durchVariationen in der durchschnittlichen Klassengröße zwischender siebten und achten Jahrgangsstufe der Schule verur-sacht werden. Solche Variationen sind nicht durch Zuwei-sungsentscheidungen beeinflusst, sondern spiegeln in ers-ter Linie eben die zufälligen Unterschiede in der Größe derGeburtenjahrgänge wider, die zu Schwankungen in derdurchschnittlichen Klassengröße zwischen zwei Jahrgän-gen führen.6

Gibt es nun systematische Unterschiede in den Leistungenvon Schülern in verschiedenen Klassen, die aufgrund derexogenen Variation unterschiedlich groß sind, so lassen sichdiese Leistungsunterschiede als kausale Folge der Klassen-größenunterschiede interpretieren. Kurz gefasst identifiziertdiese Identifikationsstrategie also kausale Klassengrößen-effekte, indem sie die relativen Leistungen der Schüler zwei-er Jahrgangsstufen innerhalb einzelner Schulen dem Teil derKlassengrößenunterschiede gegenüberstellt, der Unterschie-de in der durchschnittlichen Klassengröße zwischen denJahrgangsstufen widerspiegelt.

Wie aus der Beschreibung der Identifikationsstrategie deut-lich wird, benötigt man für ihre Umsetzung einen recht spe-zifischen Datensatz. Man benötigt nicht nur Daten für meh-rere Klassen innerhalb einzelner Schulen zur Berücksich-tigung fixer Schuleffekte, sondern auch Daten für Klassenaus mehreren Jahrgangsstufen innerhalb der Schulen, daansonsten durch die Benutzung der durchschnittlichenKlassengröße der Jahrgangsstufe keine Klassengrößen-variation mehr für die Schätzung übrig bliebe. Darüber hi-naus muss der Datensatz auch noch Informationen so-wohl über die tatsächlichen Klassengrößen als auch überdie durchschnittlichen Klassengrößen der Jahrgangsstu-

fen beinhalten. All diese Merkmale treffen auf den TIMSS-Datensatz zu.

Die orangefarbene Linie in Abbildung 3 gibt zunächst die Er-gebnisse einer Schätzung der Klassengrößeneffekte wieder,die zusätzlich zur konventionellen Schätzmethode nur fixeSchuleffekte berücksichtigt, die also sämtliche Variationenzwischen Schulen unberücksichtigt lässt und nur Variatio-nen innerhalb der Schulen einbezieht (vgl. Wößmann 2005für Details zu diesen Ergebnissen für Deutschland). Der sogeschätzte Klassengrößeneffekt ist nicht von Zuweisungs-entscheidungen zwischen Schulen beeinflusst, kann abernoch durch Zuweisungsentscheidungen innerhalb der Schu-len verzerrt sein. Wie die orangefarbene Linie zeigt, ver-schwindet in dieser Betrachtungsweise der positive Zusam-menhang zwischen Klassengröße und Schülerleistungen,und es findet sich überhaupt kein nennenswerter Zusam-menhang mehr. Dies deutet darauf hin, dass die zuvor be-obachtete positive Korrelation vor allem aufgrund von Zu-weisungsentscheidungen zwischen Schulen verursacht war.

Um auch noch Verzerrungen durch Zuweisungen innerhalbvon Schulen auszuschließen, berichtet die grüne Linie in Ab-bildung 3 die komplette quasi-experimentelle Identifikations-strategie, die zusätzlich nur solche Unterschiede zwischender siebten und achten Klasse einer jeden Schule berück-sichtigt, die aufgrund von Unterschieden in der durchschnitt-lichen Klassengröße zwischen diesen beiden Jahrgangsstu-fen und damit aufgrund der natürlichen Fluktuationen inden Jahrgangsstufenstärken hervorgerufen wurden. Es er-gibt sich ein minimaler, statistisch nicht von null zu unter-scheidender negativer Zusammenhang zwischen Klassen-größe und Schülerleistungen. Weitere Spezifikationstestsuntermauern die Interpretation, dass die Annahmen dieserIdentifikationsstrategie zutreffen, dass sich diese Schätzungalso als kausaler Effekt der Klassengröße interpretieren lässt(vgl. Wößmann und West 2005 sowie Wößmann 2005).7

Heißt die Tatsache, dass der geschätzte Effekt sich statis-tisch nicht signifikant von null unterscheidet, dass der Ef-fekt tatsächlich sehr klein ist, oder könnte das Ergebnis auchaufgrund einer wenig präzisen Schätzung zustande kom-men? Um die statistische Präzision des geschätzten Ef-fektes wiederzugeben, bildet Abbildung 5 nicht nur den ge-schätzten Effekt, sondern auch ein Signifikanzband ab. Mit95%iger Wahrscheinlichkeit liegt der tatsächliche Effekt in-nerhalb dieses Signifikanzbandes, was üblicherweise derDefinition für statistische Signifikanz entspricht. Das grüneSignifikanzband gibt wiederum das Ergebnis der Identifi-kationsstrategie durch natürliche Fluktuationen wieder. Dergeschätzte Effekt – durch das Kreuz wiedergegeben – be-

6 Für eine detaillierte Diskussion der Validität der Identifikationsstrategiesiehe Wößmann und West (2005).

7 Die in den Abbildungen 3 und 5 wiedergegebenen Ergebnisse der auf na-türlichen Fluktuationen und Diskontinuitäten beruhenden Spezifikationenberücksichtigen auch mögliche Effekte der Leistungen der Mitschüler aufdie Leistungen der einzelnen Schüler; vgl. Wößmann (2005) für Details.

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trägt – 6,9, was bedeutet, dass mit jeder Erhöhung der Klas-sengröße um 10% die durchschnittliche Leistung in der Klas-se um 0,69 TIMSS-Testpunkte sinkt. Wie schon die grüneLinie in Abbildung 3 angedeutet hat, ist eine Größenord-nung von 0,69 Punkten pro 10%iger Klassengrößenver-ringerung nach jeglichem Maßstab verschwindend wenig– etwa verglichen mit dem zuvor angesprochenen Jahr-gangsstufenäquivalent von 25 Punkten. Die beiden Stri-che oberhalb und unterhalb des Kreuzes in Abbildung 5 ge-ben nun das 95%ige Signifikanzband an. Wir können unssehr sicher sein, dass der tatsächliche Effekt innerhalb die-ses Bandes liegt – das heißt, dass er weder größer als75,3 noch kleiner als – 89,1 ist.

Wäre – 89,1 – mit einer 10%igen Verringerung der Klassen-größe steigt die Leistung um 8,9 Testpunkte – ein großerEffekt? Um diese Frage beantworten zu können, bietet essich an, auf die eingangs angesprochene Kosten-Nutzen-Überlegung zurückzukommen. Bei welcher Effektgröße wä-ren die durch Klassenverkleinerungen hervorgerufenen Kos-ten durch die von den Leistungssteigerungen hervorgeru-fenen zukünftigen Einkommenssteigerungen aufgewogen?Krueger (1999) hat für das bereits angesprochene Klas-sengrößenexperiment »Project STAR« eine Effektgröße er-mittelt, zu der er eine grobe Kosten-Nutzen-Rechnung auf-stellt, die die Kosten in der gleichen Größenordnung siehtwie den Nutzen. Kruegers Effektgröße würde auf die TIMSS-

Skala übertragen etwa einem Wert von –100 entsprechen.Seine Berechnungen sind allerdings recht umstritten (vgl.Carneiro und Heckman 2003), und zwei weitere Überle-gungen deuten zusätzlich darauf hin, dass die kosteneffi-ziente Effektgröße in Deutschland absolut eher noch höher(sprich: weiter im negativen Bereich) liegen dürfte. Zum ei-nen sind die Bildungsrenditen am deutschen Arbeitsmarkteher geringer als in den USA, was zumindest für die Erträ-ge auf quantitative Maße der Bildung wiederholt gezeigt wur-de (vgl. etwa Trostel et al. 2002; Wößmann 2003b). Gleich-zeitig sind die Lehrergehälter in Deutschland im internatio-nalen Vergleich relativ hoch.

Nimmt man Kruegers Effektgröße trotzdem als einen ers-ten Richtwert für mögliche Kosteneffizienz, dann ist immernoch klar, dass der kausale Effekt der Klassengröße aufdie Schülerleistungen in Deutschland weit von jeglicher kos-teneffizienten Größe entfernt sein dürfte (vgl. die hellblaueLinien in Abb. 3 und 5). Wie Abbildung 5 zeigt, ist nicht nurder geschätzte Effekt weit von einer kosteneffizienten Grö-ßenordnung entfernt, sondern die Kosteneffizienz liegt nichteinmal im 95%-Konfidenzband des geschätzten Effekts: Mitweit über 95%iger Sicherheit ist der für Deutschland ge-schätzte Klassengrößeneffekt (absolut) kleiner als Kruegerswomöglich kosteneffiziente Schätzung für das Projekt STAR.Abbildung 5 zeigt auch, dass das Konfidenzband der aufnatürlichen Fluktuationen beruhenden Spezifikation größerist als das der zuvor berichteten Spezifikationen, weil dieökonometrische Methode hohe Ansprüche an die Datenstellt. Die Schätzung, die nur die fixen Schuleffekte berück-sichtigt, ist im Vergleich dazu zum Beispiel noch präziser.

Als Ergebnis dieser quasi-experimentellen Untersuchunglässt sich also festhalten, dass in der Mittelstufe in Deutsch-land kein nennenswerter kausaler Effekt der Klassengrößeauf die mathematischen Schülerleistungen vorliegt.

Identifikation von Klassengrößeneffekten durchregelinduzierte Diskontinuitäten

Die Robustheit dieses Befundes lässt sich mit einer zweitenquasi-experimentellen Identifikationsstrategie überprüfen. Die-se von Angrist und Lavy (1999) vorgeschlagene Strategie bautdarauf auf, dass es vielerorts eine maximale Klassengrößegibt, über die Klassengrößen üblicherweise nicht hinausge-hen dürfen. Aufgrund dieser Regel kommt es zu einem nicht-linearen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Schüler ineiner Jahrgangsstufe und der durchschnittlichen Klassengrö-ße, wie sie für Deutschland in Abbildung 6 abgebildet ist.Der in der TIMSS-Studie zu beobachtende Zusammenhangdeutet darauf hin, dass in Deutschland in den meisten Fälleneine explizite oder implizite Regel vorliegt, die eine maxima-le Klassengröße von 30 Schülern vorsieht. Dies führt zu ei-nem sägenförmigen Zusammenhang zwischen durchschnitt-

-250

-200

-150

-100

-50

0

50

100

150

Quelle: Wößmann (2005) und eigene Berechnungen anhand des TIMSS-

Die Kreuze geben den mit den unterschiedlichen Methoden geschätzten Effekt der (logarithmierten) Klassengröße auf die TIMSS-Mathematikleistungen wieder. Die Striche oberhalb und unterhalb der Kreuze geben das Intervall von plus/minus zwei Standardfehlern an, was etwa einem statistischen Signifikanzband von 95%iger Wahrscheinlichkeit entspricht.

Größe des Klassengrößeneffekts und Kosteneffizienz

Kosteneffizienz (Project STAR)

Oh

ne

Ko

ntr

ollv

aria

ble

n

Mit

Ko

ntr

ollv

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ble

n

Fix

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ffekt

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ne

n

Dis

kon

tinu

itäte

n

Datensatzes

Abb. 5

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licher Klassengröße und Jahrgangsstufen-größe: Die Klassengröße steigt mit der Jahr-gangsstufengröße bis zu einem Wert von 30.Aber sobald 31 Schüler in der Jahrgangsstu-fe sind, wird eine zweite Klasse aufgemacht,und die durchschnittliche Klassengröße sinktabrupt auf 31/2 = 15,5 Schüler. Dann wächstsie wieder mit der Jahrgangsstufengröße, bisletztere einen Wert von 60 und die durch-schnittliche Klassengröße damit einen Wertvon 30 erreicht hat. Bei einer Jahrgangsstu-fengröße von 61 Schülern wird eine dritteKlasse aufgemacht, so dass die durchschnitt-liche Klassengröße wieder abrupt abfällt, auf61/3 = 20,3 Schüler, usw. Wie aus Abbil-dung 6 ersichtlich, trifft dieses Muster für diedeutschen siebten und achten Klassen zwarnicht perfekt, aber doch einigermaßen klarerkennbar zu. Neben leichten Berichtsfehlernin den Daten gibt es also wohl auch Ausnahmen, in denenKlassengrößen durchaus einmal über 30 Schüler hinausge-hen oder in denen zusätzliche Klassen aufgemacht werden,ohne dass dies aufgrund der 30er-Regel schon notwendigwäre.8 Aber im Großen und Ganzen trifft dieses Muster zu.

Da die beschriebenen großen Sprünge in der durchschnitt-lichen Klassengröße ausschließlich aufgrund der Regel zurmaximalen Klassengröße zustande kommen, kann die durchsie hervorgerufene Variation in der Klassengröße wiederumals »exogen« in Bezug auf die Schülerleistungen angese-hen werden. Die Regelung führt also zu einem weiteren »na-türlichen« Experiment, das Variationen in der Klassengrößehervorruft, die weder durch die Schülerleistungen noch durchZuweisungsentscheidungen hervorgerufen wurden (für De-tails dieser Strategie vgl. Wößmann 2005).

In der empirischen Schätzung werden in diesem Fall alsonur die in Abbildung 6 gezeigten nicht-linearen Schwan-kungen in der durchschnittlichen Klassengröße aufgrund derRegel zur maximalen Klassengröße genutzt. Es wird alsoim Prinzip betrachtet, ob Schüler, die aufgrund einer Jahr-gangsstufengröße von 31 oder 61 in relativ kleinen Klassenvon 15 bis 21 Schülern unterrichtet werden, im TIMSS-Testbesser abschneiden als Schüler, die aufgrund einer Jahr-gangsstufengröße von 30 oder 60 in relativ großen Klassenvon 30 Schülern unterrichtet werden. Da die empirische Me-thode ausschließlich solche Variationen in den Klassengrö-ßen nutzt, die aufgrund der Regel vorhergesagt werden kön-nen, macht es für die Validität der Schätzung nichts, dassdas beschriebene Muster in Deutschland nicht ganz per-fekt vorliegt. Eine »unsaubere« Anwendung der Regel wür-

de nur dazu führen, dass der Effekt statistisch ungenauergeschätzt werden kann.

Wie die in den Abbildungen 3 und 5 blau dargestellten Er-gebnisse der auf solchen regelinduzierten Diskontinuitäten inder Klassengröße basierenden quasi-experimentellen Identi-fikationsstrategie zeigen, erweist sich der geschätzte Effektals genau genug, um eine sinnvolle Aussage über die Größedes Klassengrößeneffekts treffen zu können. Und diese Aus-sage lautet wie schon im Falle der ersten quasi-experimen-tellen Untersuchung: Der kausale Effekt der Klassengröße aufdie Schülerleistungen lässt sich statistisch nicht signifikant vonnull unterscheiden und ist mit großer Gewissheit nicht so groß,dass die Kosten einer Klassengrößenreduktion ihren Nutzenaufwiegen würden. Dabei ist die statistische Präzision dieserSchätzung noch höher als die der zuvor betrachteten Identi-fikationsstrategie, was in dem schmaleren Signifikanzbandzum Ausdruck kommt (vgl. Wößmann 2005 für eine Diskus-sion der verbleibenden Unzulänglichkeiten der Ergebnisse).

Beide Strategien zur Schätzung des kausalen Klassengrößen-effektes mittels quasi-experimenteller Herangehensweisen,die durch »natürliche« Experimente hervorgerufene exogeneVariationen in Klassengrößen identifizieren, kommen also zudemselben Schluss: Verkleinerungen der Klassen führen inDeutschland kaum zu nennenswerten Verbesserungen dermathematischen Leistungen der Schüler, so dass eine solcheMaßnahme weit von jeglicher Kosteneffizienz entfernt wäre.

Lehrerqualität und Klassengrößeneffekte

Wößmann (2005) und Wößmann und West (2005) schät-zen Klassengrößeneffekte in vergleichbarer Weise für zahl-reiche weitere Länder. Es zeigt sich, dass Deutschland keinAusnahmefall ist: In nahezu allen Ländern sind die Effekteso klein, dass eine kosteneffiziente Größenordnung ausge-

8 Leider war in dieser Untersuchung eine Nutzung der offiziellen Klassentei-ler nach Bundesländern und Schularten nicht möglich, weil der Forschungdie Identifikation von Bundesländern und Schularten in den deutschenSchülerleistungstests im Allgemeinen nicht ermöglicht wird.

Abb. 6

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schlossen werden kann. Ausnahmen stellen lediglich Island,und zu einem geringeren Maße Griechenland, dar. Damitstellt sich die Frage, warum einige Länder Klassengrößen-effekte aufweisen und andere nicht. Die angesprochenenStudien gehen dieser Frage nach, indem sie testen, ob diegeschätzte Effektgröße systematisch mit anderen Merk-malen der Länder variiert. Sie finden systematische Unter-schiede weder für Kinder mit verschiedenem familiären Hin-tergrund, noch für Länder mit Unterschieden in der Durch-schnittsleistung, dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand,der durchschnittlichen Klassengröße oder dem Ausgaben-niveau im Schulsystem.

Demgegenüber scheint das Auftreten von Klassengrößen-effekten aber mit dem Gehaltsniveau und Bildungsstand derLehrer zusammenzuhängen: Klassengrößeneffekte tretennur in Ländern mit einem relativ niedrigen Gehaltsniveau undrelativ geringer Ausbildung der Lehrer auf, während Ländermit relativ hohen Lehrergehältern und langer Lehrerausbil-dung keine Klassengrößeneffekte aufweisen. Ebenso ist dergeschätzte Klassengrößeneffekt innerhalb von Ländern, indenen der Ausbildungsstand der Lehrer variiert, in solchenKlassen größer, die von Lehrern mit geringerer Ausbildungunterrichtet werden.

Sieht man das durchschnittliche Gehalts- und Ausbildungs-niveau der Lehrer als Maße für das allgemeine Fähigkeits-niveau der Lehrerschaft an, so legen diese Befunde die In-terpretation nahe, dass relativ fähige Lehrer mit dem Unter-richt in großen Klassen genauso gut zurechtkommen wie inkleinen Klassen. Darum ergibt sich bei ihnen kein Effekt derKlassengröße auf die Schülerleistungen. Demgegenüberscheinen weniger fähige Lehrer mit dem Unterricht in gro-ßen Klassen überfordert, während sie in kleinen Klassen ei-nigermaßen zurechtkommen. Damit ergibt sich bei ihnen einKlassengrößeneffekt. Die Ergebnisse legen also nahe, dassKlassengrößeneffekte nur bei einer relativ niedrigen Qualitätder Lehrerschaft auftreten. Kleinere Klassen führen also nurin den wenigsten Fällen zu besseren Schülerleistungen – undvor allem nur in Ländern mit niedrigen Lehrergehältern undkurzer Ausbildung der Lehrer, zu denen Deutschland nichtgehört.

Zusammenfassung und Ausblick

Die berichteten aggregierten und individuellen Ergebnissezum Einfluss von Ausgaben und Klassengrößen auf die Leis-tungen der Schüler liefern keinerlei Evidenz, dass höhereAusgaben oder kleinere Klassen automatisch zu einem bes-seren schulischen Lernen führen würden. Aus ökonomischerSicht scheint klar: Eine Kosteneffizienz von pauschalen Ver-kleinerungen der Klassengrößen ist in Deutschland zumin-dest in den weiterführenden Schulen nicht gegeben. Voneiner Größenordnung, die eine ökonomische Rechtfertigung

sicherstellen könnte, sind die in der Realität beobachtbarenEffekte kleinerer Klassen auf das Erlernte der Schüler weitentfernt. Dies sagt nichts darüber aus, ob die Einstellung zu-sätzlicher Lehrer mit dem Ziel, Unterrichtsausfall zu verrin-gern, nicht vielleicht ein sinnvolles bildungspolitisches Instru-ment sein könnte (worüber wir wiederum wenig wissen).Aber die Einstellung zusätzlicher Lehrer zur Verkleinerungder Klassen kann mit einer möglichen Steigerung der erlern-ten Basiskompetenzen der Schüler nicht begründet werden.Allerdings mag es andere Interessen geben, die für Verklei-nerungen der Klassen sprechen. Es ist leicht vorstellbar, dasses etwa durchaus im Interesse der Lehrer sein kann, in klei-neren Klassen zu unterrichten: Als Lehrer an der Universi-tät kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es in klei-neren Klassen oftmals leichter ist, die Ordnung aufrecht zuerhalten, ganz zu schweigen davon, dass man unvergleich-lich weniger Korrekturaufwand bei Tests und Klausuren hat,wenn man 5 statt 500 Studenten unterrichtet! Aber ob die-ses Interesse von Lehrern die immensen Kosten kleinererKlassen rechtfertigen kann, sei hier dahingestellt …

Bedeuten die hier berichteten eher dürftigen Befunde zu denLerneffekten kleinerer Klassen und höherer Bildungsaus-gaben, dass Lehrer und Schulen für den Bildungserfolg nichtrelevant sind? Weit gefehlt! So können etwa Rivkin et al.(2005) einen außergewöhnlich umfangreichen Datensatzüber die jährliche Entwicklung der schulischen Leistungenaller texanischen Schüler über viele Jahre nutzen, um de-ren Leistungen als »Value added« von einem zum nächstenJahr zu messen. Anhand solch umfangreicher Daten kön-nen sie zeigen, dass unterschiedliche Schulen, und unter-schiedliche Lehrer innerhalb derselben Schule, denselbenSchülern ganz unterschiedlich viel zusätzliches Wissen bei-bringen. Es gibt also durchaus große Unterschiede im Bil-dungserfolg verschiedener Schulen und Lehrer. Nur lässtsich diese Variation in der Qualität der Lehre so gut wienicht auf messbare Eigenschaften der Lehrerschaft, wie et-wa deren Bildungsstand und Lehrerfahrung, zurückführen.9

Der Befund deutet darauf hin, dass es einerseits sehr fähi-ges Lehrpersonal gibt, das den Schülern viel beibringt, undandererseits auch Lehrpersonal, bei dem die Schüler sehrwenig lernen. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, die al-len Eltern aus eigener Erfahrung bekannt ist. Nur mindertdieser Befund die Möglichkeit der Schulpolitik, die Bildungs-chancen der Schüler anhand von Maßnahmen, die an leichtbeobachtbaren Merkmalen der Lehrer ansetzen, zu verbes-sern. Schulen und Lehrer sind zwar sehr relevant – aber lei-der lässt sich diese Relevanz nicht an leicht zu messendenMerkmalen festmachen.

Von einer solch ergiebigen, weil erkenntnisgewinnenden Da-tenlage, die neues Wissen darüber entstehen lässt, was für

9 Die einzige Ausnahme besteht darin, dass ganz neue Lehrer in ihrem ers-ten Jahr den Schülern weniger Wissen vermitteln.

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das schulische Wohl unserer Kinder wichtig ist und was nicht,sind wir in Deutschland derzeit noch weit entfernt. Hierzu-lande können wir leider nur davon träumen, solch für die Ent-wicklung der Basiskompetenzen der Schüler fundamenta-les Wissen zu sammeln: Berechtigte Datenschutzbedenkenwerden hierzulande dazu verwendet, jeglichen nutzbringen-den Zugang von Forschern zu relevanten Leistungs- undHintergrunddaten deutscher Schülerinnen und Schüler zuverhindern. Auch in dieser Hinsicht muss sich in unseremLande statt »mehr desselben« einiges Grundlegendes ver-ändern, bevor wir zu wirklichen Verbesserungen der Bil-dungschancen unserer Kinder kommen.

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Vor der Steuerreform ist nach der Steu-erreform. Diese Aussage trifft vor allem aufdie derzeitige Diskussion in Deutschlandzu. Obwohl die letzte Stufe der von derKoalition verabschiedeten Steuerreform2000 erst mit Beginn dieses Jahres inKraft getreten ist, werden bereits wiederneue Steuerreformvorschläge sowohl vonder Bundesregierung als auch von derOpposition ausgearbeitet. Sie reichen vonder von Kirchhof vorgeschlagenen Ein-fachsteuer, der Konsumsteuer (vgl. Rose2003) bis zur Einführung einer dualen Ein-kommensteuer, die vom Sachverständi-genrat und Sinn bevorzugt wird.

Alle sind sich darin einig, dass in der Steu-erpolitik etwas unternommen werdenmuss, um den abgeschlagenen Spitzen-reiter der EU, Deutschland, wieder auf denrichtigen Weg zu bringen.

Bei allen Unterschieden in den vorge-schlagenen Konzepten besteht aber Ei-nigkeit hinsichtlich des Ziels einer umfas-senden Steuerreform: Es gilt, das Wirt-schaftswachstum zu fördern und das Be-stehen im internationalen Steuerwettbe-werb zu erleichtern. Des Weiteren soll ei-ne derartige Reform zu einer Erhöhungder Effizienz beitragen, die Neutralität desSteuersystems gewährleisten und nichtzuletzt angemessene Staatseinnahmensichern.

Nun hat schon die Regierungskoalitionwährend den letzten beiden Legislaturpe-rioden bereits umfangreiche Maßnahmenin der Steuerpolitik inklusive massiverSteuerentlastungen ergriffen. Bevor wei-tere Reformschritte unternommen wer-den, ist es notwendig, sich ein Bild zu ma-chen, ob man den genannten Zielen nicht

schon näher gekommen ist. Im Folgen-den werden dementsprechend die vonder Bundesregierung verabschiedetenMaßnahmen vor dem Hintergrund dieserZiele dargestellt und analysiert.

Deutschlands sinkendes Wirtschaftswachstum und der erhöhte Steuerwettbewerb in der Europäischen Union

Einer der wichtigsten Gründe, die für ei-ne Reform des deutschen Steuersystemssprechen, ist das sinkende Wirtschafts-wachstum. Deutschland, früher das Landdes Wirtschaftswunders und Vorreiter inEuropa, bildet jetzt das Schlusslicht in derwirtschaftlichen Dynamik: Die neuen EU-Mitgliedstaaten weisen demgegenüber re-kordverdächtige Wachstumsraten von et-wa 4% in Tschechien oder rund 6% in denbaltischen Ländern auf. Das voraussicht-liche durchschnittliche Wachstum von4,5% für diese Länder in 2005 ist weit grö-ßer als die Wachstumsraten Frankreichs(2,2%) oder Großbritanniens (2,8%). Miteinem erwarteten Wachstum von 1,7% imJahr 2005 schneidet Deutschland amschlechtesten ab. Diese schwache öko-nomische Entwicklung ist unter anderemauf die sinkenden Investitionen zurückzu-führen. Wie aus Abbildung 1 ersichtlichsind die Pro-Kopf-Investitionen zwischen2000 und 2005 um etwa 20% von 5 540 €auf 4 474 € gesunken.

Die rückläufigen Investitionen, die nega-tive Auswirkungen auf das Wachstum unddie Beschäftigung haben, sind unter an-derem ein Ergebnis des erhöhten interna-tionalen Steuerwettbewerbs: Hohe deut-sche Steuersätze verursachen Kapital-

(Kapital-)Einkommensbesteuerung

Doina Maria Radulescu

Deutschland braucht eine Reform der

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die für eine Reform der Einkommensbesteuerung in Deutsch-

land plädieren. Die Steuerreformvorschläge reichen von der von Kirchhof vorgeschlagenen Einfach-

steuer bis zur Einführung einer dualen Einkommensteuer, die vom Sachverständigenrat und von Sinn

bevorzugt wird. Dabei sind sich alle Kritiker einig, dass eine umfassende Steuerreform das Wirtschafts-

wachstum fördern, eine erhöhte Effizienz und Neutralität des Steuersystems gewährleisten und ange-

messene Staatseinnahmen sichern soll. Vor diesem Hintergrund analysiert dieser Artikel die Steuerpo-

litik der Regierungskoalition während den beiden letzten Legislaturperioden, um festzustellen, ob und

inwieweit die bereits durchgeführten Maßnahmen seit 1998 diesen Zielen entsprechen.

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exporte, da Unternehmen ihre Produktion und ihre Steuer-bemessungsgrundlage ins Ausland verlagern.

Dies ergibt sich nicht nur aus der Theorie der Kapitaleinkom-mensbesteuerung, sondern wird auch durch empirische Stu-dien belegt. Die Theorie besagt, dass in einer kleinen offe-nen Volkswirtschaft mobiles Kapital elastisch auf darauf er-hobene Kapitalsteuern reagiert (vgl. Sinn 1997), so dass ho-he Steuersätze zu einer Kapitalflucht führen.

Empirischer Nachweis findet sich beispielsweise in der Stu-die von Büttner und Ruf (2004). Sie belegt, dass eine Sen-kung des tariflichen Steuersatzes eines Landes um 10 Pro-zentpunkte die Chance einer Direktinvestition von Seitendeutscher Unternehmen in diesem Land um 20% erhöht.So kann man leicht berechnen, dass die erst kürzlich ver-abschiedeten Steuersatzsenkungen in Österreich, Tsche-

chien oder Zypern zu weiteren Direktinves-titionen seitens deutscher Unternehmen füh-ren können. Deshalb haben zurzeit alle Maß-nahmen, welche Deutschland als Standortwieder attraktiver machen, eine herausra-gende Bedeutung.

Werden Investitionen in Deutschland aussteuerlicher Sicht wieder relativ billiger, wer-den die Nettoerträge der Investoren steigen.Diese könnten sich dann eher für Investitio-nen in Deutschland entscheiden, was auchpositive Beschäftigungseffekte zur Folge ha-ben und dementsprechend auch die wirt-schaftliche Situation der Arbeitnehmer ver-bessern würde.

Schon die von der Regierungskoalition ver-abschiedete Steuerreform 2000 zielte darauf,dem immer schärferen internationalen Steu-

erwettbewerb durch Steuersatzsenkungen entgegenzuwir-ken. In nur sechs Jahren ist der Spitzensteuersatz der per-sönlichen Einkommensteuer um 9 Prozentpunkte von 51 auf42% gesunken (vgl. Tab. 1).

Darüber hinaus hat die Koalition ein neues System der Un-ternehmensbesteuerung eingeführt. Bis zum Jahr 2001 wur-den einbehaltene Gewinne mit 40% und ausgeschüttete Ge-winne mit 30% besteuert. Seit der Reform gilt ein einheitli-cher Körperschaftsteuersatz von 25%, und das Vollanrech-nungsverfahren wurde durch das Halbeinkünfteverfahren1

ersetzt. Da das Vollanrechnungsverfahren nur für Aktionäremit Wohnsitz in Deutschland galt, stellte es eine Diskrimi-

Entwicklung der deutschen Pro-Kopf-Anlageinvestitionen

Quelle: Statistisches Bundesamt, Berechnungen des ifo Instituts.

EUR pro Kopf

Abb. 1

Tab. 1

Entwicklung der Steuersätze zwischen 1998 und 2005 – Angaben in %

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Eingangssatz 25,9 23,9 22,9 19,9 19,9 19,9 16,0 15

Spitzensteuersatz 53 53 51 48,5 48,5 48,5 45 42

Körperschaftsteuersatz (einbehal-tene Gewinne) 45 40 40 25 25 26,5 25 25

Effektiver Steuersatz für eine Kapi-talgesellschaft inkl. Gewerbesteuerund Solidaritätszuschlag. 56,1 51,6 51,6 38,3 38,3 39,6 38,3 38,3

Annahmen: 1. Bis 2000 Vollanrechnungsverfahren, ab 2001 Halbeinkünfteverfahren. Bei einem Einkommensbezieher derhöchsten Progressionsstufe inkl. Solidaritätszuschlag. – 2. Durchschnittliche Gewerbesteuerhebesätze: 1998: 390%; 1999:389%; 2000: 389%; 2001: 385%; 2002: 386%; 2003: 387%. Für 2004 und 2005 wurde der durchschnittliche Hebesatz von

2003 verwendet, da keine genaueren Angaben vom Statistischen Bundesamt vorliegen. – 3. Bei Personengesellschaften ab2001 Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuerschuld in Höhe des 1,8fachen des Gewerbesteuermess-betrages

Quelle: BMF; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

1 Das Halbeinkünfteverfahren besagt, dass nur die Hälfte der Dividende derpersönlichen Einkommensteuer unterliegt.

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nierung der ausländischen Aktionäre dar (vgl. Fuest undHuber 2000). Der Paradigmenwechsel hat aber somit auchdazu geführt, dass inländische Aktionäre für ihre ausländi-schen Dividenden nun auch das neue Verfahren in Anspruchnehmen und damit noch leichter von internationalen Steu-ersatzunterschieden profitieren können. Somit stellt dieseMaßnahme eine weitere Gefährdung der inländischen Investi-tionstätigkeit dar.

Die Reduktion der tariflichen Steuersätze begünstigt aller-dings nicht alle Investitionen gleichermaßen. Für Investitio-nen mit geringen Erträgen ergibt sich aus der Reduktionder Steuersätze, aber auch aus der Verschärfung der Ab-schreibungsbedingungen ein Anstieg der Kapitalkosten. Fürdie Beurteilung der Steuerreform sollte diese zusätzlicheKomponente nicht außer Acht gelassen werden.

Betrachtet man die Höhe der Gewinnsteuersätze im euro-päischen Vergleich (vgl. Abb. 2), wird deutlich, dass Deutsch-land trotz dieser Steuerentlastungen mit einer effektiven Steu-erbelastung von 38,3% (einschließlich Solidaritätszuschlag5,5% und Gewerbesteuer) immer noch an der Spitze liegt.Die effektive Steuerbelastung der Unternehmensgewinnein Deutschland ist beispielsweise rund 8 Prozentpunkte hö-her als in Großbritannien. Der EU-Durchschnitt (mit Ausnah-me von Dänemark und Luxemburg) liegt bei 32,2%.

Berücksichtigt man zusätzlich die neuen EU-Mitgliedstaa-ten, die attraktive Investitionsmöglichkeiten durch äußerstniedrige gesetzliche Steuersätze ermöglichen, so wird dervorherrschende Steuerwettbewerb noch deutlicher. Die nied-rigsten tariflichen Steuersätze von 15% sind in Litauen, Lett-land und Zypern vorzufinden, wobei der durchschnittliche

Satz in den neuen EU-Mitgliedstaaten nur21,5% erreicht (vgl. Abb. 2). Somit liegtder deutsche gesetzliche Steuersatz umca. 6 Prozentpunkte über dem durch-schnittlichen Satz der EU15-Staaten undsogar fast 17 Prozentpunkte höher alsder durchschnittliche Gewinnsteuersatzder neuen EU-Mitgliedstaaten. Der Steu-erwettbewerb ist also sehr hoch und wirdsich sogar verschärfen, wenn man diezukünftigen steuerlichen Änderungen be-rücksichtigt, welche in verschiedenenLändern beschlossen wurden.2 Er führtzu sinkenden inländischen Investitionenund zu steigenden Kapitalexporten.

Diese Art von Kapitalflucht hat in den letz-ten Jahren sogar zugenommen. Dabeikönnte auch eine Rolle spielen, dassdurch die Einführung des Euro Deutsch-land nicht mehr mit vergleichsweise nied-rigen Zinsen Investoren anlocken und so-

mit andere Standortnachteile kompensieren kann, da dieEinführung der einheitlichen Währung zu einer Angleichungder Zinssätze im Euroraum geführt hat (vgl. Sinn 1997).

So entscheiden sich immer mehr Investoren für eine Verla-gerung der Produktion ins Ausland. Die Ergebnisse einerUmfrage des Deutschen Industrie und Handelskammerta-ges aus dem Jahr 2003 bei ca. 10 000 Unternehmen ergab,dass 18% der Industrieunternehmen wegen den deutschenStandortnachteilen in den letzten drei Jahren Teile ihrer Pro-duktion ins Ausland verlagert haben und fast 25% dieserUnternehmen für die nächsten Jahre Ähnliches planen. LautKapitalverkehrsbilanz der Deutschen Bundesbank ist zwi-schen 1990–2002 das Direktinvestitionsvermögen deutscherUnternehmen um ca. 536 Mrd. € gestiegen, und die An-zahl ausländischer Tochterunternehmen hat sich um mehrals 14 000 Unternehmen erhöht (vgl. Sachverständigenrat2004). Diese Entwicklungen sind nicht nur auf Markterschlie-ßungsstrategien zurückzuführen, sondern auch auf die hie-sigen Standortnachteile und somit auf die steuerlichen Rah-menbedingungen.

Im Hinblick auf diese Entwicklungen lässt sich also feststel-len, dass eine Unternehmensteuerreform für Deutschlandals Hochsteuerland weiterhin erforderlich ist. Die Reduktionder tariflichen Steuersätze ging nicht weit genug, um dieWettbewerbsposition des Standortes deutlich zu verbes-sern. So hat man die ungünstigen Nebeneffekte auf die Ka-

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Gewinnsteuersätze in Europa

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32,2%

21,5%

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%

Abb. 2

Annahmen: Die dargestellten Gewinnsteuersätze beziehen sich auf Körperschaften. Sie setzen sichzusammen aus der Körperschaftsteuer sowie Steuern nachgeordneter Gebietskörperschaften. DieDarstellung der übrigen EU15 bezieht sich auf die verbleibenden EU-Staaten ohne Dänemark undLuxemburg.

Quelle: ifo Institut; http://www.cesifo-group.de.

2 Die Tschechische Republik hat 2005 den Körperschaftsteuersatz von 28 auf26% reduziert und wird diesen ab 2006 auf 24% senken. Seit 2005 gilt inZypern ein Steuersatz von 10%. Dieses Jahr wurde auch in Österreichund in Finnland die Körperschaftsteuer von 34 auf 25% bzw. von 28 auf26% reduziert.

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pitalkosten in Kauf genommen, ohne dieStandortattraktivität wirklich zu verbessern.

Fehlende Neutralität des Steuer-systems

Ein weiteres Kriterium, das ein effizientes Steu-ersystem erfüllen muss, ist die Gewährleistungder Neutralität hinsichtlich der Rechtsformwahlsowie die Vermeidung von Verzerrungen be-züglich der Investitions- und Finanzierungs-entscheidung der Unternehmen und der Kon-sum-Spar-Entscheidung der Haushalte.

Zwar wurden durch die Steuerpolitik der Koa-lition die gesetzlichen Steuersätze gesenkt,aber das zweite Vorhaben, nämlich die Ge-staltung eines rechtsformneutraleren Steuer-systems (vgl. Bundestagsdrucksache 2000),wurde nicht erreicht. Obwohl die Steuerreform 2000 die Be-lastung der Personenunternehmen verringert hat, sind dieAuswirkungen auf Körperschaften zwiespältig. Kapitalgesell-schaften, die Investitionen über einbehaltene Gewinne finan-zieren, werden bevorzugt, gefolgt von Personenunternehmen;die höchste Belastung trifft Kapitalgesellschaften, die Gewin-ne ausschütten.3 Die Steuersatzunterschiede zwischen Per-sonengesellschaften und Körperschaften haben in den letz-ten Jahren sogar zugenommen (vgl. Spengel und Wiegard2004). So ist der Unterschied in der Besteuerung ausgeschüt-teter Gewinne zwischen Körperschaften und Personengesell-schaften von 4 Prozentpunkten im Jahr 2003 auf 6,6 Prozent-punkten im Jahr 2005 gestiegen (vgl. Tab. 2).

Durch die unterschiedliche Behandlung von Dividenden undVeräußerungsgewinnen sowie durch die Ab-ziehbarkeit von Fremdkapitalzinsen von derBemessungsgrundlage der Körperschaft-steuer werden die Investitions- und Finan-zierungsentscheidungen der Unternehmenverzerrt, und die Außenfinanzierung von In-vestitionen gilt weiterhin als günstigste Fi-nanzierungsquelle.

Fortschritte sind auch kaum zu verzeichnenbei einer weiteren bedeutenden Verzerrung,nämlich die Konsum-Spar-Entscheidung derHaushalte. Diese Verzerrung ist das Ergeb-nis eines Doppelbesteuerungsphänomens.So wirkt eine Steuer auf Kapital wie eine dop-pelte Steuer auf den Lohn, da die Nettoein-künfte aus Arbeit noch einmal bei der Rea-lisierung der Zinseinkünfte besteuert werden

(vgl. Sinn 2003). Um diese zusätzliche Belastung des zu-künftigen Konsums zu vermeiden, sollte die Besteuerungder Kapitalakkumulation so niedrig wie möglich ausfallen(vgl. Boadway 2004).

Sinkende Steuereinnahmen

Außer den oben angeführten Argumenten spricht auch dieEntwicklung der Steuereinnahmen für eine Reform der Ka-pitaleinkommensbesteuerung. Wie man der Abbildung 3entnehmen kann, ist in den letzten Jahren das Pro-Kopf-Körperschaftsteueraufkommen drastisch gesunken, undzwar von etwa 295 € im Jahr 2000 auf nur 159 € im Jahr2004, was also einen Rückgang um fast 46% bedeutet.

Tab. 2

Gesetzliche Steuersätze für Kapital- und Personengesellschaften

Kapitalgesellschaft Personengesellschaft

Einbehaltene Gewinne

2003 39,6 51,1

2004 38,3 48,0

2005 38,3 45,4

Ausgeschüttete Gewinne

2003 55,1 51,1

2004 53,0 48,0

2005 52,0 45,4

Anmerkungen: Der Spitzensteuersatz wird angewendet. Körperschaftenunterliegen der Körperschaftsteuer, dem Solidaritätszuschlag und derGewerbesteuer. Personengesellschaften unterliegen der persönlichen

Einkommensteuer dem Solidaritätszuschlag und der Gewerbesteuer,wobei ein Teil der letzteren auf die Einkommensteuerschuld angerechnetwerden kann. Die Hälfte der ausgeschütteten Gewinne von Körper-

schaften unterliegt der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag.

Quelle: BMF (2004); Spengel und Wiegard (2004); Berechnungen des ifo

Instituts.

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Pro-Kopf-Körperschaftsteueraufkommen

EUR pro Kopf

Annahmen: Aufkommen der Körperschaftsteuer pro Einwohner in konstanten Preisen, ab 1991 Gesamtdeutschland. Aufkommen

2004/2005 laut Steuerschätzung November 2004. In der Graphik ist nur der Steuersatz auf einbehaltene Gewinne abgebildet.

Quelle: ifo; http://www.cesifo-group.de.

Entwicklung des Körperschaftsteueraufkommens

Annahmen: Aufkommen der Körperschaftsteuer pro Einwohner in konstanten Preisen, ab 1991Gesamtdeutschland. Aufkommen 2004/2005 laut Steuerschätzung November 2004. In der Gra-phik ist nur der Steuersatz auf einbehaltene Gewinne abgebildet.

Quelle: ifo Institut; http://www.cesifo-group.de.

Abb. 3

3 Wobei die maximale Grenzbesteuerung unterstellt wird.

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Der starke Ausfall 2001 (– 426 Mill. €) ist zum einen auf dieschlechte Konjunktur und damit einhergehende geringe Un-ternehmensgewinne zurückzuführen, vor allem aber durchdie im deutschen Steuerrecht innewohnende »Verwendungs-fiktion« zu erklären. Danach werden im Falle einer Ausschüt-tung zunächst die am höchsten belasteten thesaurierten Ge-winne verwendet, was zu einem Ersatz alter durch neue Ei-genkapitaltöpfe führte. So konnte eine Kapitalgesellschaft2001 Gewinne ausschütten, die vor 1999 mit 45% besteu-ert wurden, und neue Gewinne thesaurieren, die einer ge-ringeren Belastung unterlagen. Durch diese einfache Um-schichtung konnte ein Unternehmen Steuern in Höhe von15% des Umschichtungsvolumens sparen. Die mit der Steu-erreform verbundene Ermäßigung wurde somit auf einbe-haltene Gewinne vergangener Perioden ausgedehnt und derfrühere thesaurierte Eigenkapitalbestand der Unternehmensteuerlich unnötig entlastet (vgl. Sinn 2002). Eine wachs-tumsfördernde Steuerpolitik sollte dementsprechend nur dieGewinne entlasten, die für Investitionen verwendet durch In-vestitionen geschaffen werden.

Es stellt sich also wieder die Frage, ob die jetzigen Steuer-sätze sowie das derzeitige System der Kapitaleinkommens-besteuerung in dieser Form noch zu rechtfertigen ist.

Eine weitere Steuerentlastung würde zum einen die inländi-sche Investitionstätigkeit ankurbeln und somit zu erhöhtenSteuereinnahmen durch eine verbreiterte Steuerbemes-sungsgrundlage führen und zum anderen die Anreize erhö-hen, Gewinne im Inland und nicht in einem Niedrigsteuer-land zu versteuern.

Schlussfolgerung

Insgesamt lässt sich also feststellen, dass die Steuerreformdie Verzerrungen bezüglich der Investitions-, der Finanzie-rungsentscheidungen und der Rechtsformwahl der Unter-nehmen nicht beseitigt, in einigen Bereichen sogar verschärfthat. Darüber hinaus wurde die Position Deutschlands imSteuerwettbewerb durch die während der letzten beiden Le-gislaturperioden verabschiedeten Maßnahmen nur mäßiggestärkt.

Angesichts der aktuellen Probleme Deutschlands ist also ei-ne umfassende Steuerreform unausweichlich. Sie ist viel-leicht ebenso dringend gebraucht wie im Jahr 1998.

Literatur

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Leasing-Geschäftsklima deutlichverbessert

Der Geschäftsklimaindikator für die deut-sche Leasingbranche lässt nun einen kla-ren Aufwärtstrend erkennen. Die befrag-ten Unternehmen schätzten im zweitenQuartal des laufenden Jahres vor allemdie aktuelle Geschäftslage sehr viel güns-tiger ein als zuvor, aber auch in ihren Ge-schäftserwartungen äußerten sich dieTestteilnehmer etwas zuversichtlicher.Der ifo Geschäftsklimaindex machte da-durch einen Sprung von sieben Zählernauf insgesamt 32 Prozentpunkte und er-reichte damit den höchsten Stand seitfast vier Jahren (vgl. Abb. 1). Das ist imVergleich mit anderen Wirtschaftsberei-chen ein sehr hohes Niveau. Auch dergeglättete1 Indikator, der in der zweitenJahreshälfte 2004 mehr oder weniger aufder Stelle trat, setzte in den ersten bei-den Quartalen 2005 seinen Aufwärts-trend fort. Im Detail bewerteten 37% derLeasinggesellschaften ihren Geschäfts-gang im Laufe des zweiten Quartals 2005als gut, 62% als befriedigend, und nur1% der Testteilnehmer empfand die au-genblickliche Geschäftssituation alsschlecht. Die Lageurteile verbessertensich damit von per saldo + 26% auf+ 36%. Das Vertrauen in die kommendeEntwicklung hat dagegen nicht ganz sodeutlich zugenommen, per saldo hoffen

aber gleichwohl 28% der Testteilnehmer(1. Quartal 2005: 24%) auf bessere Ge-schäfte im zweiten Halbjahr 2005. Ins-gesamt ist das Mobilien-Leasing nachAngaben des BDL (BundesverbandDeutscher Leasing-Unternehmen, Ber-lin) im ersten Halbjahr gegenüber der ent-sprechenden Vorjahresperiode um etwa9% gewachsen. Zu dieser Entwicklungtrugen vor allem die Käufe von neuen Au-tos bei, wie der kräftige Schub bei denKraftfahrzeug-Neuzulassungen zeigt.Das Leasing konnte erneut deutlicheMarktanteilsgewinne realisieren, die Mo-bilien-Leasingquote erreichte mit 24,2%bereits im vergangenen Jahr einen neu-en Rekordwert (Städtler 2004).

Auch die Befragungsergebnisse zumNeugeschäft bestätigen die kräftigeNachfrageentwicklung: Drei von vierLeasinggesellschaften verzeichneten imzweiten Vierteljahr 2005 höhere Vertrags-abschlüsse, nur rund ein Zehntel der Be-fragungsteilnehmer mussten von April bisJuni 2005 ein Minus in Kauf nehmen. Po-sitiv ist vor allem, dass der Saldo mit+ 65% noch etwas höher ist als zur ver-gleichbaren Vorjahreszeit. Allerdings wur-den die hoffungsvollen Erwartungen derletzten Erhebung zurückgenommen: Nurnoch knapp jedes dritte Leasingunter-nehmen geht für die nächsten Monatevon einem höheren Neugeschäft aus,65% rechnen mit einer unverändertenEntwicklung, 14% der Testteilnehmer be-fürchten eher eine Abnahme. Dieses Vo-tum (mit per saldo + 27% gegenüber

Anzeichen für eine Belebung der Investitionstätigkeitmehren sich

Joachim Gürtler und Arno Städtler

Dynamisches Wachstum in der Leasingbranche – die

Nach den jüngsten Befragungsergebnissen des ifo Konjunkturtests Leasing sind die Leasingge-

sellschaften mit ihrer derzeitigen Geschäftslage sehr zufrieden. Deren Erfolg beruht großenteils

auf erneuten Marktanteilsgewinnen. Zur Mitte des Jahres 2005 mehren sich auch die Anzeichen,

die zumindest auf eine leichte Verbesserung des Investitionsklimas bzw. eine teilweise Auflösung

des inzwischen nicht unbedeutenden Investitionsstaus in den Unternehmen hoffen lassen. Be-

reits 2004 hatten die Unternehmen ihre Investitionszurückhaltung allmählich gelockert und wie-

der etwas vermehrt in Ausrüstungsgüter investiert. In der Quartalsbetrachtung standen einem

Rückgang im ersten Vierteljahr 2004, einer Stagnation im zweiten Jahresviertel, deutliche Zuwäch-

se im dritten und vierten Quartal gegenüber. Im Jahresdurchschnitt 2004 ergab sich insgesamt

für Investitionen in Ausrüstungen (in jeweiligen Preisen) eine Zunahme von 11/2% (Statistisches

Bundesamt 2005). Es stellt sich die Frage, ob die Investitionsentwicklung in 2005 an den aufwärts

gerichteten Trend des vergangenen Jahres anschließen kann und es im laufenden Jahr zu einer

spürbaren Belebung kommen wird.

1 Die Glättung ersetzt derzeit noch eine Saisonbe-reinigung, die erst durchgeführt werden kann, wenndie Zeitreihe ausreichend lang ist.

Daten und Prognosen

+ 47%) lässt nur den Schluss zu, dass sich das kräftigeWachstum des Neugeschäfts nun eher verlangsamt fort-setzen wird.

Die Aufhellung des Geschäftsklimas im KraftfahrzeugLeasing ist ausschließlich auf eine bessere Beurteilung deraktuellen Geschäftslage zurückzuführen, in den Geschäfts-erwartungen drückte sich dagegen weiterhin nur sehr be-dachter Optimismus aus (per saldo + 4%). Nach wie vorist der Geschäftsklimaindex ungünstiger als im Durch-schnitt der gesamten Leasingbranche und mit 18,5 Pro-zentpunkten sogar noch unerfreulicher als vor einem Jahr.Das Neugeschäft zog im Berichtsquartal spürbar an, nachden Befragungsergebnissen verbuchten gegenüber demvergleichbaren Vorjahresquartal per saldo zwei Drittel derLeasinggesellschaften eine Zunahme. Eine weitere Auf-wärtstendenz zeichnete sich aber offenbar nicht ab, beiden Perspektiven hielten sich optimistische und pessimis-

tische Stimmen nur die Waage. Die Mehr-heit der Testteilnehmer (97%) rechnet fürdas dritte Quartal 2005 lediglich mit einergleichbleibenden Entwicklung.

Rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen behindern das Leasinggeschäft

Jede zweite Leasinggesellschaft – und da-mit noch etwas häufiger als in den letztendrei Quartalen – klagte zur Jahresmitte 2005über Behinderungen der Geschäftstätigkeit.Obwohl sich das Neugeschäft im Laufe deszweiten Quartals deutlich belebte, nanntenunverändert 16% der Testteilnehmer bei denEinflussfaktoren zur Behinderung der Ge-schäftstätigkeit »unzureichende Nachfrage«.Ein Jahr zuvor lag der Meldeanteil mit 21%allerdings noch etwas höher. Kleinere undmittlere Leasinggesellschaften scheinenhäufiger davon betroffen zu sein. Deutlichheraus fallen die Unternehmen mit einemNeugeschäftsvolumen von 150 bis 500 Mill. €pro Jahr, mehr als 40% der Testteilnehmerbemängelten eine ungenügende Nachfrage,die großen Unternehmen der Branche be-richteten dagegen nur vereinzelt darüber. Anerster Stelle der negativen Einflussfaktorenstanden nach wie vor Hindernisse durchrechtliche und steuerliche Rahmenbedingun-gen; 29% der Unternehmen beanstandetendies, kaum weniger als zuvor. Obwohl die»Leasingsteuer« und andere problematischeSteuerprojekte der Bundesregierung bereitszum Jahresende 2003 vom Bundesrat ge-

stoppt wurden, ist das Misstrauen der Befragten hinsicht-lich der Steuerpolitik noch nicht ganz vom Tisch. »Kollate-ralschäden«, wie bei der bereits eingeführten Mindeststeu-er, werden offenbar – wenn auch in wesentlich geringeremUmfang – im Bereich der Refinanzierung nicht ganz aus-geschlossen. Auch die neue Konzeption der Gewerbe-steuer wird mittelfristig noch kommen. Refinanzierungs-probleme nannten in der aktuellen Umfrage 7% der Test-teilnehmer, Mangel an Fachkräften scheint mit 3% der Nen-nungen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. SonstigeEinflussgrößen wurden unverändert mit 1% der Meldun-gen nur vereinzelt angegeben.

Weiterhin geringe Beschäftigungszuwächse

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in der deutschenLeasingbranche ist nach wie vor günstig, einen wesentli-chen Beitrag zur Verminderung der Arbeitslosigkeit ver-

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Entwicklung des Neugeschäftsgegenüber Vorquartal

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%

Beschäftigungserwartungen3 Monate

Geschäftsklima im Mobilien-Leasing hellt sich spürbar auf 2. Berichtsquartal 2005

* Mittelwerte aus den Firmenmeldungen zur gegenwärtigen und der in den nächsten 6 Monaten erwarteten Geschäftslage.** Saldo: Differenz aus den %-Anteilen der positiven und negativen Firmenmeldungen.

Quelle: ifo Konjunkturtest, Leasing 2005.

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2002 2003 2004 2005

%

Erwartungen im Neugeschäft3 Monate

günstiger ungünstiger Saldo **

Geschäftsklima*

Abb. 1

Daten und Prognosen

mag dieser Bereich indes aber nicht zu leisten. Im Durch-schnitt des vergangenen Jahres dürfte der Beschäftigungs-zuwachs gerade mal bei 1/2% gelegen haben. Etwas hö-her (um knapp 1%) fiel das Plus im Laufe des zweiten Quar-tals 2005 aus. Dabei fällt auf – im Gegensatz zur letztenErhebung –, dass der Beschäftigungssaldo nun in allen Lea-singunternehmen positiv ist. Nachdem sich vom Herbst2002 bis zum Jahresende 2003 bei den Beschäftigungs-perspektiven zuversichtliche und pessimistische Stimmenmehr oder weniger die Waage hielten, festigte sich im Lau-fe des vergangenen Jahres der vorsichtige Optimismus. Amaktuellen Rand sieht das Bild wie folgt aus: Vier von fünfTestfirmen wollen ihre Personalkapazität in der nahen Zu-kunft in etwa halten, 15% erwarten ein Plus, nur noch 2%der Unternehmen sehen Personaleinschnitte vor. Zwischenden einzelnen Größenklassen zeigen sich kaum noch Un-terschiede, der Saldo bewegt sich zwischen 12 und 15%,wobei die kleineren Gesellschaften etwas zuversichtlichersind (vgl. Abb. 2).

Moderate Belebung der gesamtwirtschaftlichenAusrüstungsinvestitionen in Aussicht

Zur Jahresmitte 2005 mehrten sich die Anzeichen, diezumindest auf eine leichte Verbesserung des Investitions-klimas bzw. eine teilweise Auflösung des inzwischen nichtunbedeutenden Investitionsstaus in den Unternehmen hof-

fen lassen. Seit dem zweiten Quartal 2004 sind die durch-schnittlichen Veränderungsraten der Ausrüstungsinvesti-tionen in nominaler Betrachtung positiv, wenn auch mit ab-nehmender Tendenz im ersten Vierteljahr 2005. Nachdemdas ifo Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft sichvon Februar bis Mai 2005 laufend verschlechterte, erhol-te sich der Indikator im Juni moderat und im Juli sogar kräf-tig. Im August trübte sich der Stimmungsindikator aller-dings wieder etwas ein, lediglich die Geschäftserwartun-gen hellten sich weiter auf. Die Pkw-Neuzulassungen nah-men im Juni gegenüber dem Vorjahr zu, immerhin um8,2%. Im Juli ergab sich zum vierten Mal in Folge ein Plus,wenn auch saisonüblich die Zunahme schwächer ausfiel(+ 1,2%). Das bedeutet für die ersten sieben Monate die-ses Jahres einen Zuwachs von immerhin 2,3% (KraftfahrtBundesamt 2005). Der Automobilverband VDA hat seinePrognose für 2005 nun von 3,25 Millionen Pkw-Neuzu-lassungen auf 3,3 Millionen angehoben, das wäre gegen-über 2004 ein Zuwachs von etwa 1%. Auch die Auftrags-eingänge der deutschen Industrie aus dem Inland legtenim Juni im Vorjahresvergleich um 4% zu und haben Hoff-nungen auf ein Anziehen der Konjunktur im Herbst neueNahrung gegeben. Der kräftige Anstieg der Investitions-güternachfrage (+ 4,2%) dürfte auch die Ausrüstungsin-vestitionen weiter beflügeln.

Zudem gibt es auch zwei empirische Quellen mit einemdirekten Bezug zur gesamten inländischen Investitionskon-junktur, die auf ein zumindest moderates Wachstum derAusrüstungsinvestitionen in diesem Jahr hindeuten: Nachden Ergebnissen des ifo Investitionstests will das vom Ex-port verwöhnte verarbeitende Gewerbe – nach dem Pla-nungsstand vom Frühjahr 2005 – seine Investitionen in die-sem Jahr nominal um etwa 4% ausweiten, nach einemMinus im vergangenen Jahr (Weichselberger 2005). Auchder soeben ermittelte ifo Investitionsindikator, der gemein-sam vom ifo Institut und dem Bundesverband DeutscherLeasing-Unternehmen (BDL) erstellt wird, lässt für 2005 aufhöhere Ausrüstungsinvestitionen (einschließlich der sons-tigen Anlagen) schließen. Neben dieser positiven Botschaftzeigt der Indikator jedoch auch, dass gegen Ende des Jah-res eher wieder mit einem Nachlassen der Investitionsdy-namik zu rechnen ist. Nach dem derzeitigen Berechnungs-stand dürften die nominalen gesamtwirtschaftlichen Inves-titionen in Ausrüstungen und sonstige Anlagen in diesemJahr in einer Größenordnung um rund 3% zulegen (vgl.Abb. 3). Damit könnte das Vorjahresniveau sogar über-troffen werden.

Nach den aktuellen Befragungsergebnissen aus dem ifoKonjunkturtest Leasing sind zwar die Leasinggesellschaf-ten mit ihrem derzeitigen Geschäftsverlauf sehr zufrieden,die Geschäftserwartungen für die zweite Jahreshälfte 2005haben sich dagegen nur minimal verbessert. Dies bestä-tigt auch der monatliche Konjunkturtest Leasing für Juli,

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Beschäftigungserwartungen

Originalwerte

geglättete Werte

Quelle: ifo Konjunkturtest, Leasing 2005.

* Saldo: Differenz aus den %-Anteilen der positiven und negativen

Firmenmeldungen.

Mobilien-Leasing:

Beschäftigung nimmt leicht zu

2. Berichtsquartal 2005

% Saldo in % *

Abb. 2

Daten und Prognosen

er zeigt eine deutlich günstigere Beurteilung der aktuellenLage, die Erwartungen für die nächsten Monate treten je-doch auf der Stelle. Überraschend positiv sind dagegendie (revidierten) amtlichen Zahlen vom Statistischen Bun-desamt zu den Ausrüstungsinvestitionen: Nach einem no-minalen Plus von 2,8% im ersten Quartal 2005 stiegen dieAusgaben für Ausrüstungen kräftig und lagen im zweitenQuartal dieses Jahres um (nominal) 6,3% höher als im ent-sprechenden Vorjahresquartal. In realer Rechnung stie-gen die Investitionen sogar um 7,5% (Statistisches Bun-desamt 2005).

Die verschiedenen günstigen Signale können aber noch nichtals klare Trendwende zum Positiven interpretiert werden, da-für ist die Entwicklung noch nicht nachhaltig genug. Belas-tend für die Konjunkturentwicklung ist vor allem die anhal-tende Schwäche des privaten Verbrauchs; das Konsumkli-ma ist weiterhin unterkühlt. Der GfK-Konsumklimaindex hatsich zwar im August des laufenden Jahres erstmals seit Aprilwieder leicht verbessert, dies als eine dauerhafte Verbes-serung der Verbrauchskonjunktur zu interpretieren erscheintaber verfrüht. GfK-Analysisten begründen dies vor allemmit der Aussicht auf eine Mehrwertsteuererhöhung nach derBundestagswahl, die die Konsumenten zu vorgezogenenKäufen veranlassen dürfte. Der anhaltende Höhenflug desÖlpreises ist nach wie vor eine ernste Gefahr für die Konsu-mentenstimmung (o. V. 2005a). Auch der Bundesverband

der deutschen Industrie (BDI) ist der Ansicht, dass die hart-näckige Konsumschwäche so schnell nicht überwundenwird (o. V. 2005b). Die Hoffnungen für ein leichtes Anziehender Binnenkonjunktur richten sich daher auf ein freundli-cheres Investitionsklima.

Literatur

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Ausrüstungsinvestitionen (nominal)

Ausrüstungen geschätzt aus KT-Leasing

Prognose d. Ausrüstungen mit KT-Leasing

Quelle: ifo Konjunkturtest, Leasing 2005, Statistisches Bundesamt, Berechnungen

des ifo Instituts, 1. Quartal 2005, Berechnungsstand 29. August 2005.

Zurückhaltung bei den gesamtwirtschaftlichen

Ausrüstungsinvestitionen schwindet allmählich

- geschätzt aus den Geschäftserwartungen Mobilien-Leasing -

Wachstumsrate gegen Vorjahr in %

Abb. 3

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2004: Nochmaliger Investitions-rückgang von 31/2%

Deutschland wächst kaum noch und ver-fügt nur noch über eine im internationa-len Vergleich relativ niedrige Investitions-quote. Die gesamtwirtschaftliche Nettoin-vestitionsquote (Anteil der um die Ab-schreibungen verminderten Investitionenam Bruttoinlandsprodukt) betrug im Jahr2004 nur noch 2,8% und lag damit in-nerhalb der EU-Länder auf dem letztenPlatz (vgl. Abb.1).

Besonders wichtig für die wirtschaftlicheEntwicklung sind die Investitionen des ver-arbeitenden Gewerbes. Die westdeutscheIndustrie hat nach den aktuellen Meldun-gen der Unternehmen ihre Investitionenim letzten Jahr gekürzt, damit waren dieInvestitionen im westdeutschen verarbei-tenden Gewerbe im dritten Jahr in Folgerückläufig. Mit knapp 39 Mrd. € (vgl.Tab. 1) wurde der Vorjahreswert um 31⁄2%verfehlt. Der reale Rückgang war mit– 21⁄2% etwas schwächer, da die Preisefür Ausrüstungsgüter, auf die der Groß-teil der Investitionen des verarbeitendenGewerbes entfallen, im letzten Jahr erneutzurückgingen. Der Anteil der Ausrüstungs-investitionen betrug im letzten Jahr 88%.Lediglich 12% der Investitionen wurdenfür neue Bauten ausgegeben (vgl. Tab. 2).

In den neuen Bundesländern sind die In-dustrieinvestitionen 2004 nach den zu-letzt veröffentlichten Daten dagegen spür-bar – um nominal 16% (real 17%) gestie-gen (vgl. Jäckel 2005, 23 ff.). Insgesamthat das verarbeitende Gewerbe inDeutschland damit seine Ausgaben für

neue Bauten und Ausrüstungsgüter no-minal um 1% gekürzt (real ± 0%).

Weiter verhaltene Investitions-tätigkeit in den meisten Branchen

Auch in den meisten Hauptgruppen desverarbeitenden Gewerbes wurden die In-vestitionen 2004 gekürzt. Nur das Nah-rungs- und Genussmittelgewerbe erhöh-te seine Ausgaben für neue Bauten undAusrüstungsgüter, und zwar um rund 5%.Im Bergbau bewegten sich die Ausgabenfür neue Sachanlagen in der Größenord-nung von 2003.

Der stärkste Rückgang war mit – 8% imGrundstoff- und Produktionsgütergewer-be zu verzeichnen, was in erster Linie aufdie Investitionskürzung (– 12%) in der che-mischen Industrie zurückzuführen ist. Ge-messen am Investitionsvolumen hat die-

rückläufiger Investitionen für 2005 einen Anstieg von 4%

Annette Weichselberger

Westdeutsche Industrie plant nach drei Jahren

Das ifo Institut erhebt zweimal jährlich Daten zur Investitionsentwicklung im verarbeitenden Ge-

werbe. Nach den Ergebnissen des aktuellen ifo Investitionstests hat das westdeutsche verarbei-

tende Gewerbe zwar seine Investitionen in 2004 – entgegen den ursprünglichen Absichten – noch-

mals gekürzt. Für 2005 ist den aktuellen Meldungen zu Folge aber ein Anstieg geplant. An dem

schwerpunktmäßig in den Monaten März bis Juni durchgeführten Investitionstest in den alten Bun-

desländern haben sich ca. 1 800 Unternehmen beteiligt; gemessen an den Investitionen repräsen-

tieren sie das verarbeitende Gewerbe Westdeutschlands zu 56%. Erfasst wurden neben der In-

vestitionsentwicklung in den vergangenen beiden Jahren die Investitionspläne für 2005 sowie die

Zielsetzung der Investitionstätigkeit.

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Frankreich Deutschland Großbritannien Finnland

Entwicklung der Nettoinvestitionsquoten in ausgewählten Ländern

Quelle: OECD, Berechnungen des ifo Instituts Investitionstest (West).

%

Abb. 1

Daten und Prognosen

se Branche im Grundstoff- und Produktionsgütergewerbe einGewicht von über 50%. Den stärksten Rückgang von rundzwei Fünfteln meldete jedoch die Mineralölverarbeitung (ein-schließlich Vertrieb). Deutlich eingeschränkt wurden die Aus-gaben für neue Bauten und Ausrüstungsgüter auch von denGießereien und der Gummiverarbeitung (jeweils um rund15%). Demgegenüber fiel der Rückgang bei den Ziehereiennur gering aus (– 5%). Ein im Vergleich zu 2003 weitgehendunverändertes Investitionsniveau war im letzten Jahr in dereisenschaffenden Industrie, im NE-Bereich und in der Holz-bearbeitung zu verzeichnen. Erhöht wurden die Investitions-ausgaben 2004 im Grundstoff- und Produktionsgütergewer-be nur von dem Bereich Steine und Erden (+ 15%) sowievon der Zellstoff-, Papier- und Pappeerzeugung (+ 25%).

Im Investitionsgüter produzierenden Gewerbe wurden dieAusgaben für neue Investitionsgüter 2004 im Durchschnittum 3% eingeschränkt. Der Straßenfahrzeugbau, der – ge-messen an seinem Investitionsvolumen – im Investitions-güter produzierenden Gewerbe einen Anteil von fast 50%

und im verarbeitenden Gewerbe ein Anteilvon 25% hat, kürzte seine Investitionen imletzten Jahr um rund 8%, nachdem er imLaufe der letzten zehn Jahre seine Ausga-ben für neue Bauten und Ausrüstungsgüterin Westdeutschland verdoppelt hatte. Einge-schränkt wurden die Investitionsausgabenauch im Stahl- und Leichtmetallbau, in derStahlverformung und im Schiffbau. Die Rück-gänge in diesen Branchen bewegen sich zwi-schen 5 und gut 10%. Ein im Vergleich zu2003 unverändertes Investitionsniveau mel-deten die Elektrotechnik und der Luft- undRaumfahrzeugbau. Ihre Investitionen deut-lich erhöht (um knapp 15%) haben im letz-ten Jahr die Hersteller von EBM-Waren unddie von EDV-Geräten. Etwas niedrigere Plus-raten von rund 5% meldeten der Maschinen-bau sowie die Feimechanik und Optik.

Das Verbrauchsgüter produzierende Gewerbe insgesamtreduzierte seine Investitionen in 2004 um knapp 3%. Rück-gänge zwischen 10 und 15% meldeten die Herstellung undVerarbeitung von Glas, die Druckerei und Vervielfältigung so-wie das Textil- und das Ledergewerbe. Die Kunststoffver-arbeitung hat ihre Investitionsausgaben im letzten Jahr umrund 5% eingeschränkt. In der Feinkeramik bewegten sichdie Ausgaben für neue Bauten und Ausrüstungsgüter 2004auf dem Vorjahresniveau. Investitionssteigerungen von 5 bis10% waren in folgenden Branchen zu verzeichnen: Holzver-arbeitung, Bekleidungsgewerbe und Herstellung von Mu-sikinstrumenten, Spielwaren, Schmuck usw. Die stärkste Er-höhung im Verbrauchsgüter produzierenden Gewerbe mel-dete mit 20% die Papier- und Pappeverarbeitung.

2005: Investitionsanstieg um 4% geplant

Nach dem derzeitigen Planungsstand werden die Investi-tionen im westdeutschen verarbeitenden Gewerbe 2005

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Tab. 1

Bruttoanlageinvestitionen

Mill. � Veränderungsraten

Bereich 2003 2004 2003/2002

2004/2003

2005/2004

Bergbau 850 850 + 47 ± 0 + 18Verarbeitendes Gewerbe 40 075 38 625 – 5 – 4 + 4

davon: Grundstoff- und Produk- tionsgütergewerbe 9 585 8 790 – 9 – 8 + 8 Investitionsgüter produ- zierendes Gewerbe

22 415 21 720 – 1 – 3 + 3

Verbrauchsgüter produ-

zierendes Gewerbe

4 675 4 555 – 14 – 3 + 3

Nahrungs- und Genuss- mittelgewerbe

3 400 3 560 ± 0 + 5 + 3

Bergbau und verarbei-tendes Gewerbe

a)40 925 39 475 – 4 – 4 + 4

a) Ohne Baugewerbe, allgemeine Energie- und öffentliche Wasserver-

sorgung.

Quelle: ifo Investitionstest.

Tab. 2

Zusammensetzung der Investitionen

Anteile an den gesamten Bruttoanlageinvestitionen in %

Betriebsbautena)

(einschl. in Bau befindlicher)Ausrüstungen

b)

Bereich 2001 2002 2003 2004 2001 2002 2003 2004

Verarbeitendes Gewerbe 13 14 13 12 87 86 87 88

davon: Grundstoff- und Produktionsgütergewerbe 11 14 10 11 89 86 90 89

Investitionsgüter produzierendes Gewerbe 13 14 13 12 87 86 87 88 Verbrauchsgüter produzierendes Gewerbe 15 16 13 18 85 84 87 82 Nahrungs- und Genussmittelgewerbe 17 15 17 10 83 85 83 90a) Ohne Wohnungsbauten. –

b)Diese Position enthält Maschinen und maschinelle Anlagen (einschl. in Aufstellung befind-

licher) sowie Fahrzeuge, Werkzeuge, Betriebs- und Geschäftsausstattung.

Quelle: ifo Investitionstest.

Daten und Prognosen

zunehmen. Betrachtet man die von den Unternehmen ge-meldeten Investitionstendenzen, so planen 56% der Test-teilnehmer mehr und 37% weniger als 2004 zu investieren.Die restlichen Firmen (8%) wollen ihre Ausgaben für neue

Bauten und Ausrüstungsgüter konstant halten (vgl. Tab. 3).Der Saldo aus den »Mehr«- und »Weniger«-Meldungen liegtdamit bei + 19 (vgl. Abb. 2). Zum Zeitpunkt der letztenErhebung, im Herbst 2004, hatte sich aus den Investi-tionstendenzen für 2005 ein Saldo von + 13 ergeben. Be-rücksichtigt man ferner die von den Unternehmen gemel-deten quantitativen Angaben, so dürften die Investitionendes verarbeitenden Gewerbes 2005 nominal gut 4% überdem Vorjahresniveau liegen. Da im verarbeitenden Gewer-be – wie oben erwähnt – in erster Linie in neue Ausrüstungs-güter investiert und erwartet wird, dass die Preise für Aus-rüstungsgüter auch in diesem Jahr weiter rückläufig seinwerden, liegt der reale Anstieg der Investitionen in 2005sogar bei 51/2%. Damit hat die westdeutsche Industrie ih-re Investitionsbudgets für 2005 gegenüber dem Herbst letz-ten Jahres aufgestockt, was sicher zum Teil auf Verschie-bungen von Investitionsvorhaben von 2004 in dieses Jahrzurückzuführen ist. Nach den Meldungen vom Herbst 2004war für 2005 ein nominaler Investitionsanstieg von knapp2% geplant.

Das verarbeitende Gewerbe in den neuen Bundesländernhat – nach den zuletzt veröffentlichten Ergebnissen – für2005 ein Investitionsvolumen geplant, das nominal 7% (real– 5%) hinter dem vom Vorjahr zurückbleibt. Damit liegt derfür dieses Jahr im deutschen verarbeitenden Gewerbe ins-gesamt geplante Investitionsanstieg nominal bei 21⁄2% (realbei knapp 4%).

Ein Indikator für die Investitionsneigung in der Industrie istauch die Entwicklung der Auftragseingänge bei den Indus-trieausrüstern des Maschinenbaus (vgl. Abb. 3). Nachdemdiese im letzten Jahr kontinuierlich rückläufig waren, ziehensie seit Anfang des Jahres langsam wieder an. Auch die Um-sätze der Hersteller von Maschinen für die Industrie sind inden letzten drei Monaten wieder deutlich gestiegen.

58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

27

Tab. 3

Tendenzen der Investitionsplanung

Im Jahr 2005 wollen gegenüber 2004

... % der Unternehmena) investieren

zum Vergleich: Pläne für

Bereich

mehr gleich-

viel

weniger Saldob)

2004 2003 2002 2001 2000

Verarbeitendes Gewerbe 56 8 37 + 19 + 28 + 6 + 16 32 + 16

davon: Grundstoff- und Produktions-

gütergewerbe 55 16 29 + 26 + 6 – 24 + 5 32 + 19

Investitionsgüter produzieren-

des Gewerbe 55 7 38 + 17 + 41 + 14 + 28 38 + 23

Verbrauchsgüter produzieren-

des Gewerbe 56 2 42 + 14 + 9 + 3 + 4 19 + 13

Nahrungs- und Genussmittel-

gewerbe 59 1 40 + 19 + 29 + 45 – 2 – 9 – 32a) Gewichtet mit dem Firmenumsatz. –

b)Differenz der Prozentanteile der gewichteten »Mehr«- und »Weniger«-Meldungen

aus der jeweiligen Erhebung.

Quelle: ifo Investitionstest.

-40

-20

0

20

40

60

-40

-20

0

20

40

60

75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05

Planung und tatsächliche Entwicklung der Investitionen in der westdeutschen Industrie

Quelle: ifo Investitionstest (West).

-30

-20

-10

0

10

20

30

74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04-30

-20

-10

0

10

20

30

Per saldo 19% für Investitionserhöhungen

Geplante Veränderungsrate: + 4 %

a) Differenz zwischen den "Mehr"- und den "Weniger"-Meldungen, Stand jeweils März-Juni des laufenden Jahres.b) Bruttoanlageinvestitionen der westdeutschen Industrie, 2004 vorläufig, 2005 ermittelt aufgrund der Planangaben.

Tendenzsaldena) in %

nominale Veränderungsratenb) in %

Abb. 2

Daten und Prognosen

Investitionssteigerungen auf breiter Ebene

Nach den aktuellen Meldungen sind 2005 in allen Haupt-gruppen des verarbeitenden Gewerbes Investitionszuwäch-se zu erwarten. Die Nahrungs- und Genussmittelherstellerwollen ihre Investitionen in diesem Jahr im Durchschnitt umknapp 3% erhöhen. Im Bergbau ist ein kräftiger Anstiegvon fast 18% geplant.

Im Grundstoff- und Produktionsgütergewerbe werden dieInvestitionen in 2005 nach den aktuell vorliegenden Mel-dungen der Unternehmen um knapp 8% steigen. Diestärksten Erhöhungen von 20 bzw. 40% sind in der eisen-schaffenden Industrie und in der Mineralölverarbeitung (ein-schließlich Vertrieb) geplant. Zuwächse um 10 bis 15% mel-deten die Branche Steine und Erden und die Gießereien.Etwas niedriger – zwischen 5 und 10% – sind die zu er-wartenden Investitionsaufstockungen in der chemischenIndustrie, im NE-Bereich, in der Holzbearbeitung sowie beiden Ziehereien und Kaltwalzwerken. Die Gummiverarbei-tung geht von einem Investitionsniveau aus, das etwa demdes Vorjahres entspricht. Die einzige Branche im Grund-stoff- und Produktionsgütergewerbe, die nach den aktu-ellen Plänen ihre Investitionen kürzen will, ist die Papier-

und Pappeerzeugung. Sie hatte jedoch ihre Ausgaben fürneue Bauten und Maschinen in den beiden letzten Jahrendeutlich aufgestockt.

Der im Investitionsgüter produzierenden Gewerbe für 2005im Durchschnitt geplante Investitionszuwachs liegt bei rund3%. Dieser relativ geringe Zuwachs ist auf die Entwicklungder Investitionstätigkeit der Straßenfahrzeughersteller zu-rückzuführen, die sich inzwischen auf einem sehr hohen Ni-veau bewegt. Sie wollen in diesem Jahr ihre Investitionenum weitere 4% kürzen. Da der Straßenfahrzeugbau wieoben erwähnt – gemessen an den Investitionen – ein star-kes Gewicht hat, haben die Kürzungen in dieser Brancheentsprechende Auswirkungen auf die Investitionsentwick-lung im Investitionsgewerbe und im verarbeitenden Gewer-be insgesamt. Ohne den Straßenfahrzeugbau ergäbe sichfür das Investitionsgüter produzierende Gewerbe ein An-stieg von 10% und für das verarbeitende Gewerbe ein In-vestitionszuwachs von 7%. Neben dem Straßenfahrzeug-bau meldeten in dieser Hauptgruppe nur noch die Herstel-ler von EDV-Geräten einen Rückgang (– 5%). Die Herstel-ler von EBM-Waren wollen in gleichem Umfang wie 2004in neue Bauten und Ausrüstungsgüter investieren. Eine kräf-tige Investitionssteigerung um rund ein Viertel plant dage-gen der Luft- und Raumfahrzeugbau. Die Branchen Elek-trotechnik, Maschinenbau, Stahlverformung und Schiffbauhaben für 2005 deutliche Investitionsaufstockungen umrund 10% vorgesehen. Etwas geringere Steigerungen – umetwa 5% – meldeten der Stahl- und Leichtmetallbau unddie Feinmechanik, Optik.

Im Verbrauchsgüter produzierenden Gewerbe ist 2005 – ins-gesamt gesehen – mit einem Investitionsvolumen zu rech-nen, das um gut 3% über dem des Vorjahres liegt. Deutli-che Erhöhungen von 10 bzw. 15% haben das Bekleidungs-gewerbe und der Bereich Druckerei und Vervielfältigunggeplant. Nicht ganz so starke Zuwächse – um gut 5% – sindin den Branchen Kunststoffverarbeitung, Feinkeramik undin der Herstellung von Musikinstrumenten, Spielwaren,Schmuck usw. vorgesehen. Ein im Vergleich zum letztenJahr unverändertes Investitionsvolumen planen die Herstel-lung und Verarbeitung von Glas und das Textilgewerbe. Kür-zungen um 5 bis gut 10% sind demgegenüber in der Holz-verarbeitung, in der Papier- und Pappeverarbeitung und imLedergewerbe zu erwarten.

Umstellungen des Produktionssortiments stehenweiterhin im Vordergrund

Wie die aktuellen Erhebungsergebnisse zeigen, verfolgendie Unternehmen mit ihren Investitionen in Westdeutsch-land in erster Linie Erweiterungsmaßnahmen, und zwarsowohl im letzten wie auch in diesem Jahr (vgl. Abb. 4). Indiesem Jahr stehen bei 62% der Unternehmen Erweite-

i fo Schne l ld ienst 17/2005 – 58. Jahrgang

28

25

50

75

100

125

89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 0525

50

75

100

125

Maschinen für die Industrie a), Inland Auftragseingang b)

Umsatz b)

Quelle: VDMA, ifo Institut.

Nachfrage der westdeutschen Industrie nach Ausrüstungsgütern

Ausrüstungsinvestitionenwestdeutsche Industrie

2000 = 100

In jeweiligen Preisen, Indexwerte

a) Hersteller von Baustoffmaschinen, Hütten- u. Walzwerksanlagen, Gießereimaschinen, Apparatebau, Holzbearbeitungsmaschinen, Gummi- u. Kunststoffmaschinen, Druck- u. Papiermaschinen, Werkzeugmaschi- nen, Präzisionswerkzeuge, Schuh- u. Ledermaschinen, Trocknungsanla- gen, Textilmaschinen, Nähmaschinen und Nahrungsmittelmaschinen.b) Saisonbereinigt und geglättet.

Abb. 3

Daten und Prognosen

rungsmaßnahmen im Vordergrund (vgl. Tab. 4). Dieses Er-gebnis bedeutet jedoch nicht, dass fast zwei Drittel der In-vestitionsausgaben ausschließlich in Erweiterungen fließen.Vielmehr sehen die meisten Unternehmen, die durchausauch Rationalisierungsinvestitionen und Ersatzbeschaffun-gen durchführen, in der Erweiterung den Schwerpunkt ih-rer Investitionstätigkeit. Allerdings wird hierbei weniger indie Erweiterung bereits bestehender Produktionsprogram-me (Kapazitätserweiterung im klassischen Sinne) investiert,sondern vor allem in die Änderung bzw. Ausweitung vonProduktionsprogrammen (vgl. Tab. 5). In diesem Jahr wol-len 38% der Unternehmen in erster Linie in die Umstellungihrer Produktionssortimente investieren. Nach den Ergeb-nissen des Investitionstests hat die Kapazitätserweiterung

im klassischen Sinne zugunsten der Um-strukturierung des Produktionsprogrammsin den letzten Jahren immer mehr an Bedeu-tung verloren. Ersatzbeschaffungen sind2005 für gut ein Fünftel der Unternehmendas vorrangige Investitionsmotiv. Das Ratio-nalisierungsmotiv hat im Laufe der letztenJahre an Bedeutung verloren. Nur noch je-des sechste Unternehmen investiert in die-sem Jahr in erster Linie in Rationalisierungs-maßnahmen. 1994 lag der entsprechendeWert noch bei 40%.

Das Erweiterungsmotiv (inklusive der obenangesprochenen Umstrukturierungen) do-miniert auch in allen Hauptgruppen. AufBranchenebene spielt dieses Motiv – so-wohl 2004 als auch 2005 – im Straßen-fahrzeugbau, im Luft- und Raumfahrzeug-

bau, in der Gummiverarbeitung und in der chemischenIndustrie eine überdurchschnittliche Rolle. In diesem Jahrwill auch die Stahlverformung verstärkt in Erweiterungs-maßnahmen investieren. In fast all diesen Branchen die-nen diese Maßnahmen jedoch einer Umstrukturierung derProduktpalette. Lediglich der Luft- und Raumfahrzeug-bau will, nachdem die Produktion des neuen Airbussesgerade erst anläuft, in erster Linie die Produktionska-pazitäten seines bestehenden Produktionsprogrammsausweiten.

Ersatzbeschaffungen stehen 2005 in fast allen Hauptgrup-pen auf dem zweiten bzw. im Investitionsgüter produzie-renden Gewerbe auf dem dritten Platz. In folgenden Bran-

58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

29

Tab. 4

Zielsetzung der Investitionen

Als Hauptziel ihrer Investitionen nannten ... % der Unternehmena)

Kapazitätserweiterung Rationalisierung Ersatzbeschaffung

Bereich

2002 2003 2004 2005

geplant

2002 2003 2004 2005

geplant

2002 2003 2004 2005

geplant

Verarbeitendes

Gewerbe 53 52 58 62 22 20 18 17 25 28 24 21 davon:

Grundstoff- u. Produktions- gütergewerbe 43 44 48 51 23 16 16 16 34 40 36 33

Investitions- güter produz.

Gewerbe 63 64 68 70 22 16 15 17 15 20 17 13

Verbrauchs-

güter produz. Gewerbe 32 35 42 48 29 33 25 24 39 32 33 28

Nahrungs- u. Genussmittel-

gewerbe 52 26 38 59 7 39 31 5 41 35 31 36a) Gewichtet mit dem Firmenumsatz.

Quelle: ifo Investitionstest.

0

20

40

60

80

100

75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05

Umstrukturierungen des Produktionsprogramms stehen im Vordergrund

Als Hauptziel der Investitionstätigkeit nannten ...% der Unternehmen a)

Quelle: ifo Investitionstest (West).

a) Meldungen aus dem westdeutschen verarbeitenden Gewerbe, gewichtet mit dem Firmenumsatz. Stand März-Mai für das jeweilige Vorjahr, 2005 vorläufig.

Erweiterung i.e.S.

Rationalisierung

Ersatzbeschaffung

% %

Ausweitung/Änderung des Produkionstprogramms

Abb. 4

Daten und Prognosen

chen haben Ersatzbeschaffungen 2005 ein relativ großesGewicht: in der Mineralölverarbeitung (einschließlich Ver-trieb), in der NE-Branche, in der Feinmechanik, Optik so-wie im Leder- und im Bekleidungsgewerbe. Im letzten Jahrhat auch der Bereich Steine und Erden und die Herstel-lung von EDV-Geräten stark in Ersatzbeschaffungen in-vestiert.

Rationalisierungsmaßnahmen liegen im Investitionsgüterproduzierenden Gewerbe 2005 auf dem zweiten Platz,während sie in den übrigen Hauptgruppen drittrangig sind.Betrachtet man die Branchenergebnisse, so ist das Ra-tionalisierungsmotiv in diesem Jahr überdurchschnittlichwichtig in der eisenschaffenden Industrie, in der Holzbe-arbeitung, im Schiffbau und bei den Herstellern von EDV-Geräten.

Zusammenfassung

Deutschland wächst kaum noch und verfügt nur noch übereine im internationalen Vergleich relativ niedrige Investitions-quote. Die gesamtwirtschaftliche Nettoinvestitionsquote (An-teil der um die Abschreibungen verminderten Investitionenam Bruttoinlandsprodukt) betrug im Jahr 2004 nur noch2,8% und lag damit innerhalb der EU-Länder auf dem letz-ten Platz.

Besonders wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung sinddie Investitionen des verarbeitenden Gewerbes. Das west-deutsche verarbeitende Gewerbe hat 2004 knapp 39 Mrd.€ in neue Bauten und Ausrüstungsgüter investiert und sodas Vorjahresniveau nominal um 31⁄2% verfehlt. Der realeRückgang war mit – 21⁄2% etwas schwächer, da die Preisefür Ausrüstungsgüter, auf die der Großteil der Investitionendes verarbeitenden Gewerbes entfallen, im letzten Jahr er-neut zurückgingen. Damit waren die Investitionen des ver-arbeitenden Gewerbes Westdeutschlands im dritten Jahr

in Folge rückläufig. Verglichen mit den ursprünglichen Plä-nen der Unternehmen für 2004, zeigen die aktuellen Er-gebnisse, dass die vorgesehenen Investitionen zum Teil nichtrealisiert wurden.

Nach den aktuell vorliegenden Plänen der Unternehmen für2005 ist für das laufende Jahr im verarbeitenden GewerbeWestdeutschlands ein Investitionsanstieg um nominal gut4% (real 51/2%) zu erwarten. Betrachtet man die Ergebnis-se auf Branchenebene, so zeigt sich, dass die meisten Bran-chen in 2005 ihre Ausgaben für neue Bauten und Ausrüs-tungsgüter erhöhen wollen. Gebremst wird die Investitions-entwicklung des westdeutschen verarbeitenden Gewerbesjedoch durch die Ausgabenkürzungen des Straßenfahrzeug-baus. Aufgrund seiner regen Investitionstätigkeit in den vo-rangegangenen Jahren tätigt der Straßenfahrzeugbau mitt-lerweile ein Viertel der Investitionen des verarbeitenden Ge-werbes. Betrachtet man die Entwicklung ohne den Straßen-fahrzeugbau, rechnet man also die Investitionen dieser Bran-che heraus, so ergeben sich für das restliche verarbeiten-de Gewerbe Veränderungsraten von nominal knapp – 2%in 2004 und + 7% in 2005 (real knapp – 1% in 2004 und81⁄2% in 2005).

Vorrangiges Investitionsmotiv ist in diesem Jahr die Er-weiterung, dabei aber weniger die klassische Erweiterung,d.h. der Ausbau der Kapazitäten bestehender Produkti-onsprogramme, als vielmehr die Erweiterung bzw. Ände-rung der Produktpalette. Von den 62% der Unternehmen,die für 2005 Erweiterungsinvestitionen planen, wollen fastzwei Drittel in derartige Umstrukturierungsmaßnahmeninvestieren. An zweiter Stelle stehen Ersatzbeschaffungen.Rationalisierungsmaßnahmen haben in den letzten Jahrenan Bedeutung verloren und stehen nur noch am drittenPlatz.

Berücksichtigt man neben den Investitionen der westdeut-schen Industrie auch die des verarbeitenden Gewerbes in

i fo Schne l ld ienst 17/2005 – 58. Jahrgang

30

Tab. 5

Erweiterungsinvestitionen und Produktionsprogramm

... % der Unternehmena) nahmen in erster Linie Erweiterungsinvestitionen vor, und zwar unterb)

Beibehaltung des Produktionsprogramms

Änderung bzw. Ausweitung desProduktionsprogramms

Bereich 2002 2003 20042005

geplant2002 2003 2004

2005 geplant

Verarbeitendes Gewerbe 17 17 18 20 36 34 36 38 davon: Grundstoff- und Produktionsgütergewerbe 24 21 17 16 17 20 29 30 Investitionsgüter produzierendes Gewerbe 13 15 16 18 50 48 48 47 Verbrauchsgüter produzierendes Gewerbe 24 20 24 22 8 14 18 26 Nahrungs- und Genussmittelgewerbe 9 12 28 39 43 12 7 16a) Gewichtet mit dem Firmenumsatz. – b) Die hier aufgeführten Prozentsätze ergänzen sich nicht zu den Anteilen für dieHauptziele (Tab. 4), da ein Teil der Firmen hierzu keine Angaben machte.

Quelle: ifo Investitionstest.

Daten und Prognosen

Ostdeutschland, so hat das verarbeitende GewerbeDeutschlands insgesamt – nach den Meldungen der Un-ternehmen – seine Ausgaben für neue Bauten und Ausrüs-tungsgüter 2004 nominal um 1% gekürzt (real ± 0%). Für2005 ist nach den derzeitigen Planungen im verarbeiten-den Gewerbe Deutschlands insgesamt ein Anstieg von no-minal 21⁄2% (real + 4%) zu erwarten.

Literatur

Jäckel, P. (2005), »Investitionen im Verarbeitende Gewerbe der neuen Bun-desländer: 2004 kräftiger Gesamtanstieg, für 2005 Plus-/Minus-Vorgabenzwischen den Branchen ausgeglichen«, ifo Schnelldienst 58(10), 23–28.

58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

31

i fo Schne l ld ienst 17/2005 – 58. Jahrgang

32

Für die Unternehmen des verarbeitendenGewerbes hat sich wiederholt die Lage aufdem Kreditmarkt gebessert. Das ist das Er-gebnis aus dem aktuellen ifo Konjunktur-test im August 2005. Zwar beurteilen im-mer noch 35% der Firmen die Kreditver-gabe der Banken als restriktiv, doch 57%empfinden die Vergabepraxis als »normalbzw. üblich«. Die restlichen 8% bescheini-gen den Kreditinstituten sogar eine entge-genkommende Kreditpolitik. Dementspre-chend hat sich das Kreditklima1 im ver-arbeitenden Gewerbe innerhalb eines Jah-res von – 42,6 auf – 26,9 erhöht (vgl.Abb. 1).

Die besseren Finanzierungsmöglichkeitenhaben wie schon bei der letzten Umfrageim März 2005 alle Bereiche erfasst. DieEinschätzung der Kreditvergabe ist in denöstlichen Bundesländern dennoch etwasschlechter als in den westlichen Regionender Republik. Und größere Unternehmenmit mehr als 250 Mitarbeitern haben esanscheinend leichter, sich Kredite zu ver-schaffen, als kleine Unternehmen mit we-niger als 50 Mitarbeitern (vgl. Abb. 2).

Die Kreditinstitute ihrerseits verzeichnenvor allem eine geringere Nachfrage nachlangfristigen Unternehmenskrediten undsehen sich einem verstärkten Wettbe-werbsdruck durch die Konkurrenzinstitu-te ausgesetzt. Mit wachsendem Konkur-renzdruck sind die Banken auch bereit,weitere Zugeständnisse bei der Kreditpo-litik zu machen. Diese Resultate werdenaus der Bankenumfrage2 in Deutschlanddeutlich. Der Nachfrageschwund spiegeltsich auch in dem seit Jahren rückläufigenKreditbestand im verarbeitenden Gewer-be wider (vgl. Abb. 3).

Infolge dieser Entwicklung können sich auchFirmen mit schlechterer Geschäftlage überbessere Finanzierungsmöglichkeiten bei denBanken freuen. Denn auch die Unterneh-men mit einer aktuell nicht so gut einge-schätzten Situation melden ein günstigeresKreditklima als in den vorherigen Umfragen(vgl. Abb. 4).

verarbeitende Gewerbe

André Kunkel

Kreditmarkt: besseres Angebot für das

Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3

1 Prozentsaldo der Antworten »entgegenkommend« und»restriktiv«.

2 Vgl. Deutsche Bundesbank, Bank Lending Survey, Er-gebnisse für Deutschland, Juli 2005.

58. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 17/2005

Im Blickpunkt 33

Fazit

Insgesamt hat sich das Kreditklima im verarbeitenden Ge-werbe weiter gebessert. Die zurückhaltendere Kreditnach-frage der Unternehmen einerseits und der Konkurrenzdruckunter den Kreditinstituten andererseits spiegeln sich in demweiter gestiegenen Kreditklima wider. Für die Unternehmenhat sich, bedingt durch diese Situation, die Finanzierungs-möglichkeit per Kredit innerhalb von zwei Jahren deutlichgebessert.

Kategorisierte Ergebnisse des Kreditklimas

Jun03

Aug 03

Mrz04

Aug 04

Mrz05

Aug 05

verarb. Gewerbe – 53,2 – 53,6 – 46,9 – 42,6 – 32,4 – 26,9

Ostdeutschland – 56,9 – 54,2 – 51,6 – 47,7 – 39,0 – 37,0

Westdeutschland – 52,2 – 53,5 – 45,7 – 41,4 – 30,8 – 24,1

Größenklassen

groß – 44,6 – 44,3 – 35,7 – 30,6 – 20,8 – 16,1

mittelständisch – 55,9 – 56,0 – 51,7 – 46,0 – 33,8 – 27,4

klein und kleinst – 61,4 – 63,3 – 55,0 – 55,0 – 46,6 – 40,6

Geschäftslage

gut – 30,5 – 33,6 – 26,1 – 21,8 – 6,6 – 3,6

befriedigend – 48,5 – 50,8 – 44,5 – 40,1 – 29,2 – 25,4

schlecht – 64,8 – 63,9 – 59,5 – 63,4 – 51,3 – 45,3

Abb. 4

i fo Schne l ld ienst 17/2005 – 58. Jahrgang

34

Weltweit ist die Bierproduktion 2004 (1,55 Mrd. hl) im Ver-gleich zum Vorjahr um 4,8% angestiegen, in Europa (knapp530 Mill. hl Gesamterzeugung) verlief das Wachstum mit2,5% unterdurchschnittlich. Innerhalb Europas war die Ent-wicklung dabei sehr unterschiedlich(vgl. Barth & Sohn 2005).In Deutschland (mit über 100 Mill. hl dem europäischen Staatmit der größten Braumenge, weltweit nach China und USAan dritter Stelle) wurde nach dem Barth-Bericht ein Rück-gang um 1,2% beobachtet.1 In Frankreich (16,8 Mill. hl) be-trug die Schrumpfung sogar 7,2% und in den Niederlan-den (23,8 Mill. hl) – 5,2%. Gewachsen ist der Bierausstoßvornehmlich in den osteuropäischen Staaten: Russland2

(16,4%), Armenien (94,4%), Georgien (50%), Moldawien(14,8%), Estland (13,4%), Litauen (12,3%), Rumänien(11,9%), Weißrussland (10%), Mazedonien (5,3%), Türkei

(5,2%), Ukraine (3,9%), Albanien (2,6%), Polen (1,5%), Tsche-chien (1,1%). Von den großen Erzeugerländern (vgl. Abb. 1und 2) erzielte weltweit nach Russland China (291 Mill. hl)mit 14,5% das größte Mengenwachstum. In diesen Regio-nen konsumiert die einheimische Bevölkerung immer stär-ker Bier. In Lateinamerika ist eine ähnliche Entwicklung zubeobachten, in Afrika verzeichnen die Länder Nigeria undÄgypten spürbare Verbrauchszuwächse. Südafrika mit demoperativen Sitz des britischen SAB-Miller-Konzerns (mit148,3 Mill. hl drittgrößter Brauer der Welt, vgl. Abb. 2) giltbereits als entwickelter Biermarkt.

Der Konzentrationsprozess innerhalb der Brauereiwirt-schaft hat sich weltweit 2004 weiter beschleunigt. Die zehngrößten Brauereikonzerne der Welt vereinigten 2004 knapp

60% der Weltbiererzeugung auf sich, 2003betrug der Anteil noch 53%. Hier wirken sichdie abgelaufenen Fusionen und Übernah-men bzw. Beteiligungen aus. Die größtedeutsche Brauereigruppe (Radeberger imOetkerkonzern) steht mit 14,2 Mill. hl Pro-duktionsvolumen (2004) auf Platz 19 derWeltrangliste der größten Brauereikonzer-ne und -gruppen, die Bitburger-Gruppe(8,6 Mill. hl/2004) auf Platz 31, die Oettinger-Gruppe (6,4 Mill. hl/2004) folgt auf Platz 35,und Krombacher (5,5 Mill. hl/2004) erreichtPlatz 38. Angeführt wird die Liste vom bel-gisch/brasilianischen Brauriesen InBev(193,4 Mill. hl weltweit), der in Deutschlandu.a. an der Becks-Gruppe und an der Spa-

zum Weltbiermarkt

Matthias Balz

Branchen im Blickpunkt: Anmerkungen und Daten

9.6%

5.9%

2.4%2.3%

3.8%1.9%

7.3%

2.8%

10.3%

12.5%

38.9%

Inbev (Interbrew-Belgien/AmBev-Brasilien)

Anheuser-Busch (USA)

SAB Miller (VK/Südafrika)

Heineken (Niederlande)

Carlsberg (Dänemark)

Molson-Coors (USA/Kanada)

Modelo (Mexiko)

Tsingtao (China)

BBH (Russland)

Scottish & Newcastle (VK)

Rest 38.9 % und:

Radeberger (Deutschland) 0.9 %

Bitburger (Deutschland) 0.6 %

Oettinger (Deutschland) 0.4 %

Krombacher (Deutschland) 0.4 %

Weltbiermarkt: Aufteilung nach den größten Brauereikonzernen

Quelle: Joh. Barth & Sohn: Der Barth Bericht Hopfen 2004/2005, Nürnberg 2005.

Rest

insgesamt 41.2 %

6.8%

27.1%

16.6%

18.8%

9.6%

3.0%1.6%

15.0%

Deutschland

Rest Europa

USA

Rest Amerika

China

Rest Asien

Südafrika

Rest Afrika

Weltbiererzeugung nach Regionen, 2004

Quelle: Joh. Barth & Sohn: Der Barth Bericht Hopfen 2004/2005, Nürnberg 2005.

Europa insgesamt

33.9 %

Amerika insgesamt

31.6 %

Asien insgesamt

28.4 %

Afrika insgesamt

4.6 %

Australien/Ozeanien 1.4 %

darunter:

Produktion:

1.55 Mrd hl

Abb. 2

Abb. 1

1 Die Angaben des Deutschen Brauer-Bundes weisen2004 einen Anstieg des Bierausstoßes in Deutschlandauf 106,2 Mill. hl (+ 0,2%) aus, nachdem er 2003 um2,1% geschrumpft war, der inländische Verbrauchging dabei 2004 um 1,7% auf 95,5 Mill. hl zurück(2003: – 3,2%), der Export von deutschem Bier (wich-tigstes Abnehmerland: Italien mit einem Anteil von mehrals einem Fünftel) stieg 2004 um 1,9% an (2003:+ 9,4%, vgl. http://www.brauer-bund.de. Das Statis-tische Bundesamt konstatiert für 2004 einen Anstiegdes Bierabsatzes um 0,2% als Folge gestiegener Bier-exporte in EU-Länder, der versteuerte Inlandsverbrauchging hingegen um 1,5% auf 91,9 Mill. hl zurück, vgl.Statistisches Bundesamt, FS 14 Reihe 9.2.1 und Sta-tistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 27. Ja-nuar 2005. Biermischgetränke haben danach 2004 er-neut einen Rückgang um 6,3% auf 2 578 103 hl hin-nehmen müssen, der Rekord in diesem Segment wur-de im Jahr 2002 mit 2 921 002 hl erzielt. Vgl. auch Balz(2004).

2 Mit über 85 Mill. hl zweitgrößtes europäisches Bier-brauland. Der boomende russische Biermarkt (Pro-Kopf-Verbrauch liegt 2005 erst bei 50 Liter) ist zumgrößten Teil fest in der Hand westlicher Bierkonzerne,die sich regelrechte Übernahmeschlachten liefern undden Markt eindeutig dominieren: 36,4% Marktanteilliegen bei einem Joint Venture von Carlsberg und Scot-tish Newcastle, InBev kommt auf 17%, Heineken ver-fügt demnächst über 15%, und SAB Miller hält knapp10%. Nur die russische Ochakovo ist noch unabhän-gig (knapp 6% Martanteil) (vgl. Handelsblatt vom19. August 2005, S. 14).

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Im Blickpunkt 35

ten-Franziskaner/Löwenbräu-Gruppe aus München betei-ligt ist.3 Die niederländische Heineken (in Deutschland ge-hören hierzu u.a. die Paulaner-Gruppe/München bzw. dieBayerische Brauholding, zu der auch Kulmbacher und derKarlsbergverbund zählen) nimmt weltweit mit 112,6 Mill. hlPlatz 4 ein.4 Die dänische Carlsberg-Gruppe5 (92 Mill. hl),die 2004 bei der Holsten-Brauerei-Gruppe eingestiegen ist,rangiert auf Platz 5 (vgl. Abb. 2). Die größten 40 Brauerei-konzerne der Welt vereinigen knapp 84% des Weltbier-ausstoßes auf sich.

Beim Hopfenanbau und der Hopfenernte liegt Deutsch-land in der Welt unangefochten mit einem Anteil von 36%(mehr als 33 200 t in 2004, ein Zuwachs gegenüber 2003von 8 000 t) deutlich an erster Stelle (vgl. Tabelle). Mit gro-ßem Abstand folgen die USA (2004: 25 000 t = 27% Welt-anteil) und China (2004 mit 9 650 t = 10,5%) sowie Tsche-chien (2004: 6 310 t = 6,8%). Am Welthopfenmarkt hat sichebenfalls in der Vermarktung (Hopfenhandel und Hopfen-verarbeitung) als Marktführer eine weltweit agierende Grup-pe herausgebildet, die Barth-Haas-Gruppe (Weltmarktan-teil: ca. 35%), zu der in Deutschland die Nürnberger FirmaJoh. Barth & Sohn zählt und die über weitere Unternehmenin USA, VK, Australien und China verfügt. Dabei beschrän-ken sich die Einsatzmöglichkeiten des Rohstoffes Hopfennicht mehr ausschließlich auf die Brauwirtschaft, sondernneue Absatzbereiche und Produktinnovationen werden inForm von Hilfsstoffen in der Nahrungsmittelindustrie er-schlossen bis hin zu Einsatzmöglichkeiten, die die krebs-präventive Wirkung des im Hopfen enthaltenen Wirkstoffes»Xanthohumol« bietet.

Der deutsche Biermarkt gehört im internationalen Vergleichzu den am meisten diversifizierten, er ist äußerst hetero-gen und durch viele regionale Besonderheiten und Spe-zialitäten geprägt (»Bier als Teil der Heimat bzw. der hei-mischen Kultur«). Entsprechend vielfältig und verglichenmit den Weltkonkurrenten klein strukturiert stellt sich auchdie deutsche Brauwirtschaft dar6, die mehrheitlich mittel-ständisch strukturiert ist. Als Folge der internationalen Ent-

wicklung und Globalisierung haben einzelne große deut-sche Brauereien und -Gruppen den Anschluss an interna-tionale Brauereikonzerne (Inbev; Carlsberg; Heineken) ge-sucht und erfolgreich vertraglich geregelt. Wie der Deut-sche Brauer-Bund7 feststellt, gestaltet sich der deutscheBiermarkt im dritten Jahrtausend zunehmend schwieri-ger. So war im ersten Quartal 2005 ein Absatzminus von3,5% zu verkraften. Gemäß den allgemeinen Trends beimprivaten Konsum in Deutschland sind Billigangebote (Bil-ligbiere) auch am Biermarkt auf dem Vormarsch und sor-gen für einen enormen Preisdruck für die deutsche Brau-wirtschaft. Bei der jungen Generation unter 25 Jahren istBier bei weitem nicht mehr so beliebt wie bei den Vorgän-gergenerationen, sie sind weniger markenverbunden bzw.produkttreu und wechseln öfters Produkt sowie Ge-schmacksrichtung. Gleichwohl liegt der Pro-Kopf-Ver-brauch8 bei der deutschen Bevölkerung mit 115,8 l je Ein-wohner nach den Tschechen und den Iren in Europa nachwie vor am höchsten. Politische und rechtliche Rahmen-bedingungen (Stichworte: Promillegrenze und Diskussionum Werbeverbote und Vereinheitlichung der Abgabealterfür alkoholhaltige Getränke generell durch die EU-Admi-nistration) erschweren die Absatzsituation zusätzlich. Diedeutschen Brauer haben deshalb ein Memorandum: »Bier– Genuss – Lebensfreude« zum verantwortungsgerech-ten Konsum von Bier verabschiedet. Mit neuen Sorten/Pro-duktinnovationen und der Renaissance süffiger Export-biere (Stichwort: Goldsorten) sowie Biermischgetränkenversucht die Branche den Schrumpfungstendenzen bei derNachfrage gegenzusteuern und Alternativen zu dem nachwie vor dominierenden herberen Pilsbier am Markt zu plat-zieren. Neuerungen bei den Vertriebs- bzw. Absatzstrate-

3 2005 verkauft InBev seinen 12%-Anteil an der spanischen Brauerei So-ciedad Anonima Damm (Nr. 3 in Spanien mit 21% Marktanteil), die InBev-Strategie lautet: Konzentration auf die attraktiven Wachstumsmärkte imOsten (Russland, China) und Brasilien: 2005 Übernahme der BrauereiTinkoff aus St. Petersburg (vgl. Lebensmittelzeitung 12. und 18. August2005 und www.inbev.com).

4 Heineken baut 2005 seine Position in Russland aus und kauft den russi-schen Brauer Taranov für 560 Mill. US-Dollar, dadurch erhöht sich derMarktanteil der Heineken-Gruppe in Russland auf 15% (vgl. Lebensmit-telzeitung vom 16. August 2005):

5 Carlsberg stärkt 2005 seine Marktposition in Südostasien und kauft eine50%-Beteiligung an einer Brauerei in Kambodscha. In China erweitert dieGruppe ihr Engagement in der westlichen Provinz Qinghai. Den Mehr-heitsanteil an der russischen Brauerei Baltika (gemeinsam mit dem Brau-konzern Scottish & Newcastle) stockt Carlsberg durch Aktienkauf nun-mehr um zusätzliche 4% auf (vgl. Lebensmittelzeitung vom 15. und 17. Au-gust 2005 und http://info.carlsberg.com/Info/frameset.htm).

6 In 2004: 1274 Betriebene Braustätten, davon 796 bis 5 000 hl Gesamt-jahreserzeugung, vgl. Statistisches Bundesamt, FS 14, Reihe 9.2.2.

Die Welterzeugung von Hopfen

Weltregion Ernte 2004 – 1 000 t

Europa 53,7

darunter: Deutschland 33,2

Tschechien 6,3

Asien 10,1

darunter: China 9,7

Amerika 25,2

darunter: USA 25,04

Afrika 0,99

Australien/Ozeanien 2,2

Welt 92,3

Quelle: Barth & Sohn (2005).

7 Deutscher Brauer-Bund, Pressekonferenz vom 23. Juni 2005 in Freiburg.8 Einschließlich alkoholfreies Bier und Malztrunk. – Nur alkoholhaltige Bier-

getränke: 111,8l/Kopf.

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gien im Mehrwegbereich favorisieren kleinere Gebinde wie11er und 6er Kästen, was ebenso spürbare Impulse ge-bracht hat.

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hatder Ausrichter, die Federation Internationale de Football As-sociation (FIFA) einen Rahmenvertrag mit Anheuser-Busch9

(USA) und seiner weltweit meistverkauften Biermarke: »Bud-weiser« (gilt als die wertvollste Biermarke der Welt mit9,85 Mrd. €, in deutlichem Abstand folgt an zweiter Stelle»Heineken«10 mit 1,96 Mrd. €) geschlossen. Die direktenMarketingmöglichkeiten für deutsches Bier sind dadurch beidiesem TOP-Event im eigenen Land streng limitiert. Aller-dings wollen die deutschen Brauer vor und außerhalb derStadien alle Möglichkeiten ausschöpfen, diese Gelegenheitund große Chance bestmöglich zu nutzen, in der ganzenWelt und insbesondere bei den ausländischen BesuchernBegeisterung für die Vielfalt und den Geschmacksreichtumder deutschen Biere zu wecken und als einprägsame Wer-bebotschaft zu vermitteln.

Literatur

Balz, M. (2004), »Brauereigewerbe – 2003 trotz Supersommer ein Jahr mitRückgang des Bierabsatzes«, ifo Schnelldienst 57(7), 44–48.Barth, J. & Sohn (2005), Der Barth Bericht Hopfen 2004/2005, Nürnberg.

9 Betreibt in der Hallertau – dem größten zusammenhängenden Hopfen-anbaugebiet der Welt – eine Hopfenplantage und ist Mitglied im Hopfen-pflanzverband Hallertau e.V. Die Ursprünge von Anheuser Busch gehenauf zwei Bayerische Auswanderer und ihre Gründung »Bavarian Brewe-ry« zurück.

10 Die Marke, die international am stärksten verbreitet ist, da sie in über170 Ländern vertrieben wird.

im Internet: http://www.ifo.de

ifo Institut für Wirtschaftsforschung