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Igor Morosow - ukrainisch-russischer Bariton mit Italianità Der ukrainisch-russische Bariton Igor Morosow holt in Vergessenheit geratene Trouvaillen ins Scheinwerferlicht der Bühne. So singt Morosow an den 6. Internationalen Lourié- Musiktagen in Basel die Weltpremiere des Liedzyklus "Uzkaya Lyra" des russischen Komponisten Arthur Lourié. Morosow ist auf allen grossen Bühnen der Welt zu Hause, Boris Jelzin verlieh ihm den höchsten Titel für russische Künstler und für Regisseur Woody Allen sang er im Film "Matchpoint" die Titelmelodie. Seit 1991 lebt Igor Morosow in der Schweiz. Von Riccarda Stampa / maiak.info "Den Anfang setzte meine Mutter, als sie mich mit fünf Jahren ins Kino mitnahm zu einem altmodischen Giuseppe Verdi-Opernfilm“, erzählt der Bariton Igor Morosow lachend. Sie wollte auch, dass ihr Junge das Geigenspiel lernt. Doch der Geigenlehrer in der ukrainischen Industriestadt Dnipropetrowsk war schon nach der ersten Stunde überzeugt, dass aus dem Knabe nie ein vernünftiger Geiger werde - dafür aber ein brillanter Sänger. So erhielt Igor Morosow eine solide Gesangsausbildung, seine Konzerte mit Orchester wurden vom Staatsradio übertragen, und schon mit 16 Jahren zog er aus dem südlichen Dnipropetrowsk ins 2000 Kilometer entfernte Moskau. Ein Klimawandel, nicht nur im geografischen Sinne: Morosow kam aus der damals geschlossenen Raketenbauer-Stadt in die relativ offene Hauptstadt - und dort direkt ans Tschaikowski-Konservatorium. Igor Morosow wuchs in einer multi-ethnischen Familie auf, weshalb er bereits früh mit Fragen der Identität und Heimat konfrontiert wurde. Zuhause neckte ihn die Familie wegen seiner Liebe zu Pasta als "Italiener", am Konservatorium in Moskau wurde er wegen seinen wallenden schwarzen Haaren "Franzose" genannt. So nahm der junge Sänger seine zwei Heimatländer Russland und Ukraine als sich gegenseitig bereichernde Kulturen an - und suchte das Italien von Giuseppe Verdi als musikalische Wahlheimat aus. Morosows Karriere beginnt gleich im Mariinski- und im Bolschoi- Theater Während seiner sechsjährigen Ausbildung am Tschaikowski- Konservatorium wurde Morosow von David Gamrekeli ausgebildet und

Igor Morosow - ukrainisch-russischer Bariton mit Italianità

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Der ukrainisch-russische Bariton Igor Morosow holt in Vergessenheit geratene Trouvaillen ins Scheinwerferlicht der Bühne. So singt Morosow an den 6. Internationalen Lourié-Musiktagen in Basel die Weltpremiere des Liedzyklus “Uzkaya Lyra” des russischen Komponisten Arthur Lourié. Morosow ist auf allen grossen Bühnen der Welt zu Hause, Boris Jelzin verlieh ihm den höchsten Titel für russische Künstler und für Regisseur Woody Allen sang er die Titelmelodie von “Match Point”. Seit 1991 lebt Igor Morosow in der Schweiz.HONORARFREIER ABDRUCKDieser Text ist lizenziert unter Creative Commons BY-NC-ND 2.5 Switzerland.Sie dürfen diesen Text mit Nennung des Autors und von maiak.info honorarfrei vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen (aber nicht anderen Medien verkaufen!).Den Originalbeitrag und Fotos finden Sie hier:http://www.maiak.info/igor-morosow-bariton-oper-lourie-schostakowitsch

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Igor Morosow - ukrainisch-russischer Bariton mit Italianità

Der ukrainisch-russische Bariton Igor Morosow holt in Vergessenheit geratene Trouvaillen ins Scheinwerferlicht der Bühne. So singt Morosow an den 6. Internationalen Lourié-Musiktagen in Basel die Weltpremiere des Liedzyklus "Uzkaya Lyra" des russischen Komponisten Arthur Lourié. Morosow ist auf allen grossen Bühnen der Welt zu Hause, Boris Jelzin verlieh ihm den höchsten Titel für russische Künstler und für Regisseur Woody Allen sang er im Film "Matchpoint" die Titelmelodie. Seit 1991 lebt Igor Morosow in der Schweiz.

Von Riccarda Stampa / maiak.info

"Den Anfang setzte meine Mutter, als sie mich mit fünf Jahren ins Kino mitnahm zu einem altmodischen Giuseppe Verdi-Opernfilm“, erzählt der Bariton Igor Morosow lachend. Sie wollte auch, dass ihr Junge das Geigenspiel lernt. Doch der Geigenlehrer in der ukrainischen Industriestadt Dnipropetrowsk war schon nach der ersten Stunde überzeugt, dass aus dem Knabe nie ein vernünftiger Geiger werde - dafür aber ein brillanter Sänger.

So erhielt Igor Morosow eine solide Gesangsausbildung, seine Konzerte mit Orchester wurden vom Staatsradio übertragen, und schon mit 16 Jahren zog er aus dem südlichen Dnipropetrowsk ins 2000 Kilometer entfernte Moskau. Ein Klimawandel, nicht nur im geografischen Sinne: Morosow kam aus der damals geschlossenen Raketenbauer-Stadt in die relativ offene Hauptstadt - und dort direkt ans Tschaikowski-Konservatorium.

Igor Morosow wuchs in einer multi-ethnischen Familie auf, weshalb er bereits früh mit Fragen der Identität und Heimat konfrontiert wurde. Zuhause neckte ihn die Familie wegen seiner Liebe zu Pasta als "Italiener", am Konservatorium in Moskau wurde er wegen seinen wallenden schwarzen Haaren "Franzose" genannt. So nahm der junge Sänger seine zwei Heimatländer Russland und Ukraine als sich gegenseitig bereichernde Kulturen an - und suchte das Italien von Giuseppe Verdi als musikalische Wahlheimat aus.

Morosows Karriere beginnt gleich im Mariinski- und im Bolschoi-Theater

Während seiner sechsjährigen Ausbildung am Tschaikowski-Konservatorium wurde Morosow von David Gamrekeli ausgebildet und war der einzige Schüler von Mark Reizen. Mit diesen Lehrern war es selbstverständlich, dass Igor Morosow sofort als Erster Bariton vom St. Petersburger Mariinski-Theater verpflichtet wurde und zwei Jahre später vom Moskauer Bolschoi-Theater ein langjähriges Engagement erhielt.

Dort konnte alle grossen Partien des italienischen und russischen Fachs in der Premierenbesetzung singen, vom Hauptdarsteller in "Eugen Onegin" über den Lionel in Tschaikowskis "Jungfrau von Orléans" bis zum Figaro in Rossinis "Barbier von Sevilla" und dem Germont in Verdis "La Traviata".

Es gibt viele Geschichten von Künstlern während des Sowjetregimes, die wohl oder übel an Parteitagen auftraten, um eine Ausreiseerlaubnis für den Westen zu ergattern. Doch an Parteiversammlungen zu singen, lag Igor Morosow nicht. Glücklich, dass das beste Haus der Sowjetunion ihm alle grossen Rollen gab, verzichtete der Bariton auf Auslandsengagements. Dies erlaubte ihm zwar keine internationale Karriere in jungen Jahren, aber eine breite Entwicklung durch alle Bariton-Rollen.

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"Eigentlich durfte man als Künstler in der Sowjetunion viel tun und sagen, aber Grenzüberschreitungen konnten schlimme Folgen haben", erzählt der Opernsänger aus der Distanz von zwei Jahrzehnten. Zum Beispiel für den Streicher, der den Sicherheitsleuten am Theatereingang im Scherz erklärte, in seinem Geigenkasten sei eine Bombe. "Der Mann", so betont Igor Morosow mit tiefer Stimme, “wurde nie mehr gesehen.“

Gefeierter Volkskünstler in Russland

Seit seinem Debut als "Eugen Onegin" an der Wiener Staatsoper 1990 ist Morosow ständiger Gast an den grössten Opernhäusern, von der Mailänder Scala über die Deutsche Oper in Berlin und die Salzburger Festspiele bis zur Houston Grand Opera und dem Boston Festival.

Das internationale Publikum klatschte Standing Ovations - und das offizielle Russland zollte Igor Morosow Respekt: Der erste Präsident Russlands, Boris Jelzin, verlieh ihm 1991 mit dem "Narodni Artist Rossii" den höchsten Titel für russische Künstler.

1991 wurde Igor Morosow von Regisseur August Everding nach Zürich geholt, um einen kurzen Probeersatz zu singen. Als der erste Sänger absagte, ging die Hauptrolle an Igor Morosow - und das Herz der damaligen Dolmetscherin ebenfalls. Ein gemeinsames Fondue-Essen brachte den Bariton und die Dolmetscherin zusammen, Igor Morosow zog bald darauf nach Zürich, wo er bis heute als freischaffender Künstler lebt.

Morosow übernahm neben den klassischen Rollen in den Opern von Verdi, Puccini und Bellini auch Rollen in Uraufführungen und Werken von Dmitrij Schostakowitsch. So sang er die Uraufführung von Klaus Hubers Oper "Schwarzerde" in Basel, die Hauptrolle des Kowaljow in Schostakowitschs "Die Nase" in Basel und Schostakowitschs 13. Symphonie "Babi Jar" mit Jiri Kout in St. Gallen.

In Basel singt Igor Morosow den "Uzkaya Lyra" von Arthur Lourié

Neben den italienischen Opern-Standards und Schostakowitschs Werken holt Igor Morosow in Vergessenheit geratene Trouvaillen ins Scheinwerferlicht der Bühne. So singt Morosow an den 6. Internationale Lourié-Musiktagen in Basel die Weltpremiere des Liedzyklus „Uzkaya Lyra“ des russischen Komponisten Arthur Lourié (1892-1966).

Morosow liebt diesen Komponisten, der das silberne und goldene Zeitalter ineinander verschmelzen lässt: "Der Anspruch von Melodie und zugleich gefühlten Worten ist aber schwierig zu singen, sehr schwierig", betont Igor Morosow. Für die Zuhörer ist dieses Wagnis - das Starsänger-Qualitäten erfordert, um den Anweisungen der Partitur Folge leisten zu können - ein einmaliges Ereignis im doppelten Sinne des Wortes.

HONORARFREIER ABDRUCK

Dieser Text ist lizenziert unter Creative Commons BY-NC-ND 2.5 Switzerland.

Sie dürfen diesen Text mit Nennung des Autors und von maiak.info honorarfrei vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen (aber nicht anderen Medien verkaufen!).

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