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Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 25 II Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Be- wertung von Schall II.1 Erzeugung von Schall Für die Erzeugung von Luftschall existieren ebenso wie für die Anregung von Körperschall eine Reihe von unterschiedlichen Mechanismen. Dabei werden unterschiedliche Formen von Energie in mechanische Schwin- gungsenergie umgewandelt, die sich in Luft bzw. Materie ausbreitet. Bei- spiele für eine mechanische Anregung einer Luftschallwelle sind Saitenin- strumente, Schlagzeug und die Knalltüte. Strömungsmechanische Anre- gungen treten dabei bei Blasinstrumenten, Orgelpfeifen, der menschlichen Stimme und dem Autoauspuff auf. Bei der elektromechanischen Anregung im Lautsprecher oder Ultraschall-Wandler wird dagegen elektrische Ener- gie in mechanische Schwingungsenergie umgesetzt. Es gibt aber auch Beispiele von thermisch aktivierter Schwingungsanregung (z. B. Gaspfei- fen), bei denen die Wärmezufuhr in Interaktion mit der Schallwelle tritt und bei richtiger Phasenlage dieser Interaktion zu einer Verstärkung einer pe- riodischen Schwingung führt. Obwohl es so viele unterschiedliche Anregungsformen von Schall gibt, ist die Schallausbreitung in Luft, die durch diese Anregungen hervorgerufen wird, für alle Fälle weitgehend gleich. Eine wichtige Rolle spielt dabei die charakteristische Abmessung der Schallquelle a, die im Verhältnis gesetzt wird zur Wellenlänge λ bzw. Wellenvektor |k| = 2π/λ. Dafür gilt ka << 1: Form der Anregung ist irrelevant (Kugelwelle, Monopolstrahler) ka = 1: Beugungseffekte durch Form der Anregungsfläche ka >> 1: Geometrische Akustik („Schallstrahlen“) Abbildung 2.1: Abstrahlcharakteristik für verschiedene Frequenzen, die durch das Ver- hältnis aus Abmessung der Quelle a und Wellenlänge λ gekennzeichnet sind.

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Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 25

II Erzeugung , Ausbreitung , Messung und Be-wertung von SchallII.1 Erzeugung von Schall

Für die Erzeugung von Luftschall existieren ebenso wie für die Anregungvon Körperschall eine Reihe von unterschiedlichen Mechanismen. Dabeiwerden unterschiedliche Formen von Energie in mechanische Schwin-gungsenergie umgewandelt, die sich in Luft bzw. Materie ausbreitet. Bei-spiele für eine mechanische Anregung einer Luftschallwelle sind Saitenin-strumente, Schlagzeug und die Knalltüte. Strömungsmechanische Anre-gungen treten dabei bei Blasinstrumenten, Orgelpfeifen, der menschlichenStimme und dem Autoauspuff auf. Bei der elektromechanischen Anregungim Lautsprecher oder Ultraschall-Wandler wird dagegen elektrische Ener-gie in mechanische Schwingungsenergie umgesetzt. Es gibt aber auchBeispiele von thermisch aktivierter Schwingungsanregung (z. B. Gaspfei-fen), bei denen die Wärmezufuhr in Interaktion mit der Schallwelle tritt undbei richtiger Phasenlage dieser Interaktion zu einer Verstärkung einer pe-riodischen Schwingung führt.

Obwohl es so viele unterschiedliche Anregungsformen von Schall gibt, istdie Schallausbreitung in Luft, die durch diese Anregungen hervorgerufenwird, für alle Fälle weitgehend gleich. Eine wichtige Rolle spielt dabei diecharakteristische Abmessung der Schallquelle a, die im Verhältnis gesetztwird zur Wellenlänge λ bzw. Wellenvektor |k| = 2π/λ. Dafür gilt

ka << 1: Form der Anregung ist irrelevant (Kugelwelle, Monopolstrahler)ka = 1: Beugungseffekte durch Form der Anregungsflächeka >> 1: Geometrische Akustik („Schallstrahlen“)

Abbildung 2.1: Abstrahlcharakteristik für verschiedene Frequenzen, die durch das Ver-

hältnis aus Abmessung der Quelle a und Wellenlänge λ gekennzeichnet

sind.

26 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Da in dem Frequenzbereich der Hörakustik von ca. 20 Hz bis ca. 20.000Hz für realistische Lautsprecheranordnungen sämtliche dieser drei Fällevorkommen, muß sich für jede Strahleranordnung überlegt werden, ob essich um eine Langwellen-Näherung (k ⋅ a << 1) oder eine Näherung fürsehr kleine Wellenlängen handelt, bei denen die Wellennatur der Akustikin den Hintergrund tritt und eine geometrische Akustik in Kraft tritt, dieeher den Charakter einer Schallteilchen-Beschreibung hat.

II.1.1 Monopolstrahler (Strahler 0.Ordnung)

Die einfachste Approximation für einen Schallstrahler ist das Modell deratmenden Kugel, d. h. eines radialsymmetrischen Kugelstrahlers des Ra-dius r = a, dessen Oberfläche mit der radialen Schnelle va bei einer vorge-gebenen Frequenz ω vibriert:

Abbildung 2.2: Radialsymmetrischer Kugelstrahler ("atmende" Kugel)

Um den Schalldruck auszurechnen, der von diesem Strahler abgestrahltwird, wenden wir die Wellengleichung an:

∆pc

d

dtp= + ⋅1

2

2

2(II.1)

Für den rotationssymmetrischen Fall, für den wir ein Kugelkoordinatensy-stem benutzen, bei dem der Schalldruck nur von dem Radius, nicht abervon den ϕ und ϑ abhängt, hat der Laplace-Operator die Form:

∆ = + ⋅∂∂

∂∂

2

2 r

2

r r(II.2)

Daraus folgt für die Wellengleichung:

∂∂

∂∂

∂∂

2

2 2

2

2

2 10

p

rp

cp

r r t+ ⋅ − ⋅ = (II.3)

Zur Lösung dieser Wellengleichungen führen wir eine Hilfsgröße p r⋅ = Πein, so daß sich die folgende Wellengleichung ergibt:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 27

( ) ( )∂

∂∂∂

2

2 2

2

2

10

Π Π r t

− ⋅ =c

(II.4)

Diese Gleichung hat die gleiche Form wie die eindimensionale Wellenglei-chung für den Schalldruck p. Als allgemeine Lösung ergibt sich daher fürden Schalldruck die folgende Form:

( ) ( )pr

e ei k r t i k r t= ⋅ +

+

− −−

+ +10 0

Π Πω ω

divergierend konvergierend

(II.5)

Die Lösung besteht damit aus einer divergierenden, kugelsymmetrischenSchallwelle, die die eigentliche Lösung der Abstrahlung einer „atmenden“Kugel darstellt und einer konvergierenden Teillösung, die die Abstrahlungvon der Kugeloberfläche nach innen beschreibt. Letztere macht physika-lisch wenig Sinn, so daß wir nur die divergierende Lösung betrachten. ImGegensatz zur eindimensionalen Wellengleichung ist die Lösung für dieSchnelle nicht mehr formal gleich der Lösung für den Schalldruck, so daßwir für die Schnelle in radialer Richtung aus der Gleichung folgende Lö-sung erhalten:

vi

dp

i r

ik

re

cr i reikr i t

Fernfeld Nahfeld

ikr i t+

+ − ++

− += − ⋅ = ⋅ +

⋅ = ⋅ +

⋅1 1 1 12 2ωρ ωρ ρ ωρ

ω ω+

dr

Π Π

(II.6)

Im Gegensatz zum Schalldruck hat die Schnelle hier also zwei Kompo-nenten, von denen die eine mit 1/r abfällt und in Phase mit demSchalldruck ist, so daß diese Lösung das Fernfeld mit einer Wirkleistungbeschreibt, d. h. die auf diese Art und Weise fortschreitende Welle ent-zieht dem Schallsender Energie. Der zweite Bestandteil der Schnelle fälltmit 1/r2 ab, beschreibt also das Nahfeld, das zudem um 90 Grad phasen-verschoben mit dem Schalldruck ist. Dieses Nahfeld wird auch als hydro-dynamische Komponente bezeichnet, weil es sich um eine reine Blindlei-stung handelt, d. h. es wird dem Schallsender keine Energie entzogen,sondern die Energie oszilliert zwischen dem Schallsender und dem um-gebenden Medium hin und her.

Zur näheren Bestimmung, der in den o. a. Lösungen noch offenen GrößeΠ+ müssen wir die Randbedingungen in die Gleichung einsetzen. So giltfür r = a:

28 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

v vca i a

e vi a

ikaea

ika i ta

ika= = ⋅ +

⋅ ⇒ = ⋅

+⋅+

− ++

Π Π1 112

2

ρ ωρωρω (II.7)

Um nun die effektive Abstrahlung des Monopolstrahlers im Fernfeld in Ab-hängigkeit von der vorgegebenen Schnelle va anzugeben, müssen wirzwei Fälle unterscheiden:

1.) ka = 2πa/λ >> 1: Für diese Kurzwellennäherung, für die die geometri-sche Akustik als Näherung zutrifft, werden Wellenausbreitungseffekte,also insbesondere das Nahfeld vernachlässigbar, so daß gilt:

Π+ = ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ρ c a v eaika , p c va a= ⋅ ⋅ρ (II.8)

Das resultierende Feld ähnelt also dem einer ebenen Welle in einerRaumrichtung bzw. der eindimensionalen Lösung der Wellengleichung. Eshandelt sich hier also um die einfachste Lösung, die beispielsweise beieinem Hochtonlautsprecher erst für sehr hohe Frequenzen (entsprechendsehr kleine Wellenlängen) erfüllt wird. Wesentlich häufiger tritt dagegender folgende Fall auf:

2.) ka << 1: Für diese Langwellennäherung spielen Wellenphänome wiez. B. Beugung und die Blindleistung eine wesentlich größere Rolle. AlsLösung ergibt sich aus den o. a. Randbedingungen

Π+ = ⋅ ⋅ ⋅ ⋅i a vaω ρ 2 , p i a va a= ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ω ρ (II.9)

An der Oberfläche der „atmenden Kugel“ sind Druck- und Schallschnelledaher um 90 Grad in der Phase verschoben. Außerhalb der Kugel errech-net sich für das Fernfeld der folgende Schalldruck:

pr

e i a ve

reikr i t

a

ikri t= ⋅ ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅+

− +−1 2

Π ω ωω ρ (II.10)

( )p ri

qe

ra

ikr

= ⋅−ωρ

π4, wobei q a va a= ⋅ ⋅4 2π (II.11)

Die Größe qa beschreibt dabei den Schallfluß der „atmenden“ Kugel, d. h.die über die Kugeloberfläche integrierte Schnelle. Diese Beziehung giltganz allgemein für jeden Strahler, dessen Abmessungen klein gegen die

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 29

Wellenlänge sind, so daß diese Formel noch öfter im folgenden auftretenwird. Die zugehörige Schnelle errechnet sich wieder nach Gleichung (II.6).

Als Spezialfall der oben abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten für den Mono-polstrahler betrachten wir einen Kegelstrahler, d. h. einen Kegel mit denRaumöffnungswinkel Ω, der vor einem Schallsender angeordnet ist. DerSchalldruck des Kegelstrahlers ergibt sich aus Gleichung (II.11) für denallseitig abstrahlenden Punktstrahler, wenn anstelle des Raumwinkels 4π(d. h. der gesamten Kugeloberfläche) der Raumwinkel Ω eingesetzt wird.

( )p ri

qe

ra

ikr

Kegel = ⋅ ⋅−ωρ

Ω(II.12)

Umgekehrt erscheint diese Beziehung plausibler, denn wenn in Gleichung(II.12) der Winkel Ω durch 4π ersetzt wird, ergibt sich die Abstrahlung desPunktstrahlers als Spezialfall für einen maximalen Raumöffnungswinkel Ω.Als Verhältnisse der Schalldrücke, die bei gleichem ursprünglichenSchallfluß qa einmal für einen Kugelstrahler und zum anderen für einenKegelstrahler resultieren, ergibt sich:

pKegel

Kugelp= 4π

Ω(II.13)

Das Verhältnis der abgestrahlten Schalleistung errechnet sich damit zu:

Leistung

Leistung

Intensität

Intensität

Fläche

FlächeKegel

Kugel

Kegel

Kugel

Kegel

Kugel

= ⋅ =

⋅ =4

4

42ππ

πΩ

ΩΩ

(II.14)

Bei vorgegebener Schnelle (bzw. vorgegebenen ursprünglichen Schallflußqa) wird durch den Kegeltrichter eine um den Faktor 4π/Ω größere Lei-stung abgegeben als durch die kugelförmige Abstrahlung. Dies liegt dar-an, daß durch den vorgeschalteten Trichter eine bessere Anpassung derQuelle an das umgebende Medium möglich ist, d. h. weniger Blindleistungund dafür mehr Wirkleistung wird von demselben Schallsender abge-strahlt. Dieses Prinzip wird bei der „Flüstertüte“ benutzt, bei der ein Trich-ter vor der Schallquelle eine bessere Schallabstrahlung bewirkt.

2.1.2 Dipolstrahler (Strahler 1.Ordnung)

Nachdem der akustische Monopolstrahler die einfachste Form der Schall-abstrahlung darstellt, ist die nächsteinfachste Form der Schallausbreitung

30 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

der akustische Dipolstrahler (Strahler 1. Ordnung), der als eine Anordnungvon zwei entgegengesetzt gleichen Monopolstrahlern entlang einer vor-gegebenen Achse (der z-Achse) aufgefaßt werden kann:

q q q1 2= − = (II.15)

Dabei soll jeweils nur die radiale Komponente des Schallflusses betrachtetwerden, so daß nur der Betrag q1 bzw. q2 hier von Interesse ist. DieSchnelle errechnet sich nach dem Gesetz:

vi

grad p e v er= − ⋅ ⋅ + ⋅1ωρ ϑ ϑ= v r

(II.16)

Wobei es eine radial gerichtete Schnelle und eine in Richtung des Eleva-tionswinkels ϑ gerichtete Schnelle-Komponente gibt. An einem vorgege-benen Ort mit dem Abstand r1 zur Schallquelle q1 und r2 zur Schallquelle q2

errechnet sich dann der Schalldurck zu (vgl. II.11):

pi

qe

rq

er

ikr ikr

= +

− −ωρπ4 1

12

2

1 2

(II.17)

Für das Dipolfeld wird nun der Grenzübergang gemacht, so daß der Ab-stand der beiden Dipole 2h → 0 geht, während das Dipolmoment2⋅ ⋅ =h q M konstant bleiben soll. Dieser Grenzübergang kann auch als

Differentiation des gesamten Feldes nach der z-Richtung aufgefaßt wer-den, wie die folgenden Überlegungen zeigen:

pi

Mh

e

r

e

r

e

r

ikr ikr

ikr

= ⋅ ⋅ −

=

− −

ωρπ

∂∂

4

1

2

1 2

1 2

lim

z

2h 0

(II.18)

Für eine Variation entlang der z-Achse gilt dann die folgende Verbindungzur Variation entlang des Radius:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 31

dzdr

pi

Me

r

iM

rikr

e

ikr

Fernfeld

ikr

= ⇒ = − ⋅ ⋅ ⋅

= ⋅ ⋅ ⋅ +

coscos

cos

ϑωρπ

ϑ ∂∂

ωρπ

ϑ

4

412

r

Nahfeld

(II.19)

Ähnlich wie beim Monopolstrahler tritt also auch hier wieder eine Nahfeld-und eine Fernfeldkomponente auf, die jeweils um 90 Grad phasenver-schoben ist. Im Gegensatz zum Monopolstrahler tritt dieses Nah- bzw.Fernfeld schon beim Schalldruck und nicht erst bei der Schallschnelle auf.Die Richtcharakteristik des Dipolstrahlers weist die Form einer räumlichrotierenden Acht auf, für die gilt:

( )( )

p r

p r

,

,cos

ϑ ϑ0

= (II.20)

Abbildung 2.3: Richtcharakteristik des Dipolstrahlers

Als Schnelle in die radiale Richtung errechnet sich die Größe vr zu:

vi

pr

Mr

ikr

kr

e

v r r

rikr

r r

= − ⋅ = − ⋅ ⋅ − − +

= ⋅ =

−14

2 2

0 0

3 2

2

ωρ∂∂ π

ϑ

ϑ

cos

( , ) cos ( , )Schnelle einer mit v oszilli erenden Kugel

(II.21)

32 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Abbildung 2.4: Längs der z-Achse oszillierende Kugel

Das Feld des Dipolstrahlers kann sich demnach vorgestellt werden, alsdas Feld von einer um den Nullpunkt in z-Richtung oszillierenden Kugel.

Für Kugeln mit kleinem Radius a << λ, k⋅a << 1 (Langwellennäherung) gilt:

( )v aM

aur a,0

2 3= ≡

π(II.22)

oder

M a u V V ua Körper

a

Medium

a

a= = +

⋅2 3

4

3

2

33 3

π

π π

(II.23)

ua bezeichnet dabei die Schnelle in z-Richtung an der Oberfläche der Ku-gel und M das Dipolmoment, so daß das Dipolmoment aufgefaßt werdenkann als Produkt aus der „effektiv“ mitschwingenden Masse, die sich ausdem Volumen der Kugel und dem Volumen des im Nahfeldbereich mit-schwingenden Mediums, und der Schnelle ua berechnet. Im Fernfeld desakustischen Dipols entsteht dann folgender Schalldruck in der Langwel-lennäherung:

( )p

ia u

ik

re

c kau

a

rea

ikra

ikr1

32

42

2= − ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ = − ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅− −ωρ

ππ ϑ ρ ϑcos cos (II.24)

Falls dieselbe Dipolquelle in eine Schallwand mit einer unendlichen Aus-dehnung eingebaut wird (d. h. für den Fall des Lautsprechers), so daß derakustische Kurzschluß zwischen Vorder- und Rückwand des Lautspre-chers durch den Einbau in eine unendlich ausgedehnte Schallwand auf-gehoben wird, so wirkt sie auf die Halbräume zu beiden Seiten als Mono-polstrahler mit jeweils dem halben Fluß einer „atmenden“ Vollkugel:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 33

q a ua a= ⋅π 2 . (II.25)

Dabei beschreibt der Ausdruck πa2 die Fläche (Kreisfläche in z-Richtung)auf der die Schnelle ua anliegt.

Im Fernfeld wird dann der folgende Schalldruck erzeugt:

pi

qe

ri c ka

uar

ea

ikr

aikr

0 2 2= ⋅ ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ ⋅

−−ωρ

πρ

(II.26)

p

pika1

0

= ⋅ cos ~ϑ ω (II.27)

Für den Fall des Lautsprechers bewirkt also der akustische Kurzschlußeine schlechtere Schallabstrahlung als beim Einbau desselben Lautspre-chers in eine Schallwand. Dieser Unterschied des Schalldrucks im Fern-feld wird allerdings mit zunehmender Frequenz (kleinerer Wellenlänge)kleiner, da die Schallausbreitung sich immer mehr der geometrischenAkustik nähert, für die der akustische Kurzschluß nicht zu berücksichtigenist. Demnach wirkt ein akustischer Kurzschluß wie ein Hochpaßfilter beider Schallabstrahlung.

II.1.3 Punktstrahler-Synthese

Die nächste Näherung an eine beliebige Verteilung von Schallquellen imRaum ist nach dem Monopol- und Dipolstrahler die Punktstrahler-Synthese, bei der sich eine schallabstrahlende Fläche bzw. ein schallab-strahlendes Volumen zusammengesetzt gedacht wird aus einer Reihe vonPunktstrahlern. Dieses Vorgehen ist äquivalent zu dem HuygensschenPrinzip in der Wellenoptik, so daß ähnliche Gesetzmäßigkeiten wie in derkohärenten Optik zu erwarten sind. Weiterhin ist diese Punktstrahlersyn-these besonders in dem Wellenlängen-Bereich anzuwenden, in dem dieAbmessungen der Schallquellen-Anordnung ungefähr dieselbe Größen-ordnung wie die Schallwellenlänge hat, dabei kann bei größeren Wellen-längen die gesamte Schallquellenanordnung als Monopol- oder Dipol-strahler angenähert werden kann, während bei kleineren Wellenlängendie geometrische Akustik anzuwenden ist. Wir betrachten also eine belie-bige Strahleranordnung in einem Halbraum, wobei der Ort ri des Strahlersi die folgenden Koordinaten aufweist:

34 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

( )ri = x yS Si i, ,0

Abbildung 2.5: Aus mehreren Teilflächen Si mit unterschiedlichen Schnellen vi zusam-

mengesetzter Schallstrahler

Der Schalldruck im Fernfeld kann also aus den jeweiligen Beiträgen dereinzelnen Strahler zusammengesetzt werden:

( )p ri

v Se

r ri i

ik r r

i

i

= ⋅ ⋅−

− −

∑ωρπ2

(II.28)

Hierbei wurde zugrundegelegt, daß die Strahler jeweils nur in einen Halb-raum strahlen, so daß der Faktor 2π (anstelle von 4π beim Monopolstrah-ler) eingesetzt wurde. Wenn wir eine kontinuierliche Flächenbelegung mitdifferentiellen Sendern vdS im Grenzfall annehmen, geht die obige Sum-me über in ein Flächenintegral, das bereits von Lord Rayleigh angegebenwurde:

( ) ( )p vi

v x ye

RdSS S

ikR

S

= ⋅−

∫ωρπ2

, mit ( ) ( )( )R x x y y zS S= − + − +2 2 21

2 (II.29)

In diesem Integral dürfen wir Näherungen für den Fall anwenden, daß wiruns im Fernfeld befinden und der Abstand r sehr viel größer ist als dieKoordinaten der Schallquellen, also R x yS S>> , :

( )

R R x y

Rx

Rx

yR

y Rx

Rx

yR

y

xS yS

xS yS S SS

SS x y

S

S S S S

= + ⋅ + ⋅

= + ⋅ − − ⋅ = − ⋅ − ⋅

= =

= = = =0

0 0

00 0

00 0

12

2

∂∂

∂∂

R x

R y

(II.30)

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 35

Diese Näherung für R ist insbesondere für den Phasenfaktor e-ikR anzu-wenden, da kleine Änderungen von R aufgrund der Periodizität diesesFaktors eine große Änderung des Integranden (z. B. Änderung des Vor-zeichens) bewirken. Das R im Nenner des Integranden kann dagegeneinfach durch R0 approximiert werden, weil dort kleine Änderungen von Reinen nur vernachlässigbaren Einfluß haben. Aufgrund dieser Überlegun-gen resultiert die sogenannte Fraunhofer-Näherung des Beugungs-Integrals:

( ) ( )( )

p vi e

Rv x y e dx dy

ikR

S S

ikx

Rx

y

Ry

S S

y

S S

S

= ⋅ ⋅ ⋅− ⋅ + ⋅

∫ωρπ2

00 0

0

,

,2-dimensionale Fourier-Transformation von v xS

(II.31)

Das hier auftretende Integral stellt nichts anderes als die zweidimensio-nale Fouriertransformation der Strahlungssender-Verteilung v(xs,ys) dar.Ebenso wie sich das Beugungsbild in der kohärenten Optik aus der Fou-riertransformierten des beugenden Objekts berechnet, berechnet sich alsodas Fernfeld einer beliebigen zwei-dimensionalen Strahlerverteilung ausder Fouriertransformation der Anordnung dieser Strahler

( ) ( )v x y k kS S S x y, ,↔ ⋅ ⋅Γ ν ν , (II.32)

mit νx, νy: „Raumfrequenzen“ = Winkeln

xR

yR0 0

,

Die hier in Anologie zur Fourier-Beziehung zwischen dem Zeitbereich unddem Frequenzbereich als „Raumfrequenzen“ auftretenen Variablen νx,νy

können dabei als Auslenkungswinkel von der akustischen (bzw.„optischen“) Achse x/R0, y/R0 aufgefaßt werden. Je kleiner also das beu-gende Objekt bzw. die Schallsenderanordnung, desto größer sind dieBeugungseffekte und bei desto größeren Ablenkungswinkeln (Raumfre-quenzen) treten noch Anteile des Beugungsbildes auf. Diese Beziehungzwischen beugendem Objekt und Beugungbild wird in Analogie zur Fou-rier-Optik als Fourier-Akustik bezeichnet. Sie erlaubt es, mit den bereitssehr gut entwickelten Methoden der (kohärenten) Fourier-Optik die Phä-nomene bei der Schallausbreitung gut und relativ einfach mathematischhandhabbar zu beschreiben.

Als Beispiel betrachten wir die Konstruktion einer Lautsprecherzeile, d. h.einer vertikalen Anordnung von Lautsprechern, die eine vorgegebeneSchnelle v0 jeweils erzeugen. Der Schalldruck, der im Abstand r0 bei ei-nem Winkel von ϕ und einer Elevation ϑ auftritt, nimmt dann, aufgrund der

36 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

an den rechteckförmigen (spaltförmigen) Brandungen der Lautsprecher inOrdnung auftretenden Beugungseffekte, folgende Werte an

( ) ( )

( )

P Ri

B H ve

R

P R

kH

kH

kB

kB

ikR

0 00

0

2

0 0 2

2

2

2

0

, , , ,

, ,sin sin

sin

sin sin

sin

ϑ ϕ ωρπ

ω ϑ ϕ

ϑ

ϑ

ϕ

ϕ

= ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅

= ⋅⋅

⋅⋅

Γ

(II.33)

In horizontaler Richtung tritt also eine Beugung an einem relativ schma-len Objekt mit einer breiten Richtwirkung auf, während in vertikaler Rich-tung die größere Abmessung der Lautsprecherbox zu einer geringerenBeugung und damit zu einer stärkeren Richtwirkung führt, so daß wenigerEnergie von der Lautsprecherzeile auf den Fußboden und an die Deckedes Raumes gestrahlt wird.

Abbildung 2.6: Abstrahlcharakteristik einer Lautsprecherzeile in der Horizontal- und Ver-

tikalrichtung

II.2 Ausbreitung von Schall

Nachdem wir zunächst die verschiedenen Erzeugungsformen von Schallbehandelt haben, soll im folgenden die Ausbreitung von Schall behandeltwerden. Dabei ist zwischen einer Ausbreitung des Schalls in vorgegebe-nen Strukturen (geführte Schallwellen, z. B. im Rohr oder in einem Schall-trichter) und der freien Ausbreitung vom Schall im unbegrenzten Mediumzu unterscheiden.

II.2.1 Geführte Schallwellen

II.2.1 a) Kundt’sches Rohr

Der Prototyp der Wellenausbreitung in einem Schallwellenleiter (in diesemFall: Rohr) stellt das Kundt’sche Rohr da, mit dem sich beispielsweise in

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 37

der technischen Akustik die Eigenschaften von akustischen Absorberma-terialien ausmessen lassen. Dabei wird vor der einen Seite einer Röhreein Schallsender (Lautsprecher) mit einer vorgegebenen Schnelle v0 an-gebracht und in dem gegenüberliegenden Ende (x = l) ein Absorber.

Abbildung 2.7: Geführte Schallausbreitung im Kundt'schen Rohr

Um die Gleichung für die Wellenausbreitung in dem Rohr abzuleiten,greifen wir wiederum auf die Euler-Gleichung (Gleichgewicht der Kräfte),die Kontinuitäts-Gleichung und die Kompressibilitätsbeziehung zurück, diewir bereits in Kapitel I.3 kennengelernt haben.

− = ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅dpdx

vi vρ ∂

∂ω ρ

t(II.34)

− =⋅

⋅ = ⋅⋅

⋅dvdx c

ic

p1

2 2ρ∂∂

ωρ

p t

(II.35)

⇒ = −

⋅ = − ⋅d p

dx cp k p

2

2

22ω

Eindimensionale Wellengleichung

(II.36)

Hierbei wurde bereits vorausgesetzt, daß es sich bei dem Schalldruck umeine periodisch mit der Zeit ändernde Größe mit der Kreisfrequenz ω han-delt. Als Lösungsansatz für die eindimensionale Wellengleichung kommenzwei entgegenlaufende Wellen in Frage, wobei die allgemeine Lösungeine Linearkombination dieser beiden Teillösungen darstellt:

p x p e p eikx ikx( ) ~ ~= ⋅ + ⋅+−

−+ (II.37)

Aufgrund der Tatsache, daß bei x = l Absorbtion stattfindet, wird dieAmplitude der rücklaufenden Welle ~p− vom Betrag her kleiner sein als dieAmplitude der hinlaufenden Welle ~p+ .

38 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Als (komplexen) Reflexionsfaktor r definieren wir nun das Verhältnis ausreflektierter Schallwelle und einschallender Schallwelle, also:

rp e

p er e

ikl

ikli= ⋅

⋅= ⋅−

+−

−~

~γ γ, mit : Phasensprung am Absorber (II.38)

Es ergibt sich damit eine Druckverteilung im Rohr wie folgt:

( ) ( )( )( )p x p e r eikx i k l x= ⋅ + ⋅+− − −~ 1 2γ (II.39)

Abbildung 2.8: Druckverteilung im stehenden Wellenfeld

Es bildet sich also ein stehendes Wellenfeld aus, das maximale Druck-

werte mit den Werten p

prmax

~+

= +1 und minimale Druckwerte mit den Wer-

ten p

prmin

~+

= −1 aufweist. Das Verhältnis aus minimalem und maximalem

Schalldruck wird damit als Stehwellenverhältnis bezeichnet und berech-net sich zu:

p

p

r

rmin

max

= −+

1

1 ⇒ r

p

pp

p

=−

+

1

1

min

max

min

max

(II.40)

Damit kann der Betrag des Reflexionsfaktors aus dem Verhältnis zwi-schen maximalem und minimalem Schalldruck gemessen werden. DasBetragsquadrat des Reflexionsfaktors, der sogenannte Reflexionsgrad r2

beschreibt dann das Verhältnis aus reflektierter zu einfallender Intensität,während der Absorptionsgrad α = −1 2r gerade den Teil der Schallinten-sität beschreibt, der vom Absorber im Kundt’schen Rohr absorbiert wird.Neben dem Betrag des Reflexionsfaktors läßt sich auch die Phase des

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 39

Reflexionsfaktors aus der Bedingung messen, so daß die Minima in demo. a. Stehwellenfeld sich für die Bedingung ergeben, daß

( ) ( )γ π− ⋅ − = − + ⋅2 2 1k l x n (II.41)

Das erste Minimum liegt demnach bei

∆x = ⋅ +

λ γπ4

1 (II.42)

Eine vollständige Bestimmung des (komplexen) Reflexionsfaktors mit demKundt’schen Rohr erfordert daher die Bestimmung des Verhältnisses ausminimalem und maximalem Schalldruck im Rohr sowie eine Bestimmungder Minima-Verschiebung, die durch den jeweiligen Reflektor hervorgeru-fen wird.

Das Kundt’sche Rohr kann ebenfalls als Prototyp eines akustischen Re-sonators (Helmholz-Resonator) aufgefaßt werden. Um die Abhängigkeitder Resonanz im Rohr vom Absorbtionsgrad bzw. vom Reflexionsfaktor rund von der Frequenz ω auszurechnen, betrachten wir die Schnelle imRohr:

( ) ( )( )( )v xi

dpdx c

p e r eikx i k l x= − ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ − ⋅+− − −1 1

1 2

ωρ ργ~ (II.43)

Für den Rohranfang (d. h. x = 0) ergibt sich damit:

( )( )vp

cr ei kl

021=

⋅⋅ − ⋅+ −

ργ (II.44)

Die Amplitude der in +x-Richtung laufenden Welle errechnet sich dann zu:

( )pv c

r ei kl+ −= ⋅ ⋅− ⋅

021

ργ maximal für γ π− = − ⋅2 2kl n

Gleichphasigkeit zwischen Laut-sprecher (x=0) und 1 x reflek-

tierter und rücklauf ender Welle

(II.45)

Diese Größe wird maximal, wenn die einmal bei x = l mit dem Reflexions-faktor r reflektierte Welle beim Wiedereintreffen bei x = 0 dieselbe Pha-

40 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

senlage aufweist wie die vom Lautsprecher gerade abgestrahlte Welle.Für diesen Fall tritt die Bedingung auf:

ω γ πmax = ⋅ +

cl

n2

(II.46)

Um nun die Abhängigkeit der Resonanz von kleinen Frequenzänderungenzu untersuchen, führen wir kleine Frequenzänderungen ∆ω ein mit

2 22

klc

ll

c= ⋅ + ⋅ω ωmax ∆ (II.47)

⇒ pv c

r e

i l

c

i nl

c

+− + ⋅

= ⋅ ⋅

− ⋅

− ⋅

0

22

1

1 2

ρπ ∆ω

∆ω~

! "# $#

(II.48)

( )

p

pr

r irl

ci

rr

lc

ilr c

+

+

= −

− + ⋅ ⋅=

+−

⋅⋅

≈+

−⋅max

%

1

12

1

11

21

12

1∆ω

∆ω∆ω

= Zeit, in der derSchall durch Re-flexion auf 1/e ab-geschwaecht wird

& '( )(

(II.49)

Der Vorfaktor von ∆ω in (II.49) ist als charakteristische Zeitkonstante desRohres (Abfall der Schallenergie auf 1/e des ursprünglichen Werts) zuinterpretieren, da mit dieser Gleichung die Frequenzabhängigkeit einesResonators üblicherweise beschrieben wird. Der errechnete Wert2l(1-r)-1c-1 ist plausibel, weil sich diese Zeit aus dem Weg errechnet, dendie Schallwellen in dieser Zeit zurücklegt haben, geteilt durch die Schall-ausbreitungsgeschwindigkeit c. Dieser Quotient aus Weg/c entspricht ge-rade 2l/ln(r), wobei ln(r) approximiert werden kann durch -(1 - r).

II.2.1 b) Veränderlicher Querschnitt des Rohres

Wir betrachten nun den Fall einer Querschnittsänderung des Rohres voneinem Querschnitt S1 auf einem Querschnitt S2 am Ort x = 0. Der sich in x-Richtung ausbreitende Schall wird an diesem Übergang zum Teil reflek-tiert und zum Teil weitergeleitet. Um die dabei auftretenden Reflexionenausrechnen zu können, gehen wir zunächst davon aus, daß dieSchalldrücke beim Punkt x = 0 gleich sind, d. h. p1 = p2. Im Gegensatz zuden Schalldrücken addieren sich die Schallschnellen nicht als skalare

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 41

Größe, sondern als vektorielle Größe. Beim Übergang werden jedochnicht die Schallschnellen vektoriell addiert, sondern die Schallflüsseq1 = S1 ⋅ v1 und der Schallfluß q2 = S2 ⋅ v2, deren Summe gerade gleich 0sein muß. Diese Gleichheit des einlaufenden und auslaufenden Schall-flusses folgt aus der Kontinuitätsgleichung

( )div vc

p (Kontρ ∂∂

⋅ = − ⋅12 t

inuitaetsgleichung II) (II.50)

Wenn man diese Gleichung in Integralschreibweise auf ein dosenförmigesGebiet bei x = 0 anwendet (der Deckel der Dose sei bei x ≤ 0 und der„Boden“ der Dose bei x > 0), so folgt:

ρ ∂∂

⋅ = − ∫∫∫∫∫ vdSc

pdV12 t

(II.51)

Unter der Annahme, daß die Schnellen v1 bzw. v2 über den gesamtenQuerschnitt konstant sind, folgt aus (II.51) für eine gegen 0 gehende Dik-ke der Dose:

( )ρ ∂∂

⋅ ⋅ − ⋅ = → →∫∫∫S v S v pdV1 1 2 2 0 t

für V 0, (II.52)

Da wir nun gesehen haben, daß die Schallflüsse eine wesentliche Rollefür die Berechnung der Reflexion an der Rohr-Verengung spielen, könnenwir die einlaufende Welle auch durch ihre Flußamplitude q1

+ charakterisie-ren, so daß für die einfallende Welle gilt:

p ec

Sq eikx ikx

11

1+ − + −⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ρ

(II.53)

Für die reflektierte Welle nehmen wir an, daß der Schalldruck p1

- sich ausdem Reflexionsfaktor r und dem Schalldruck der einlaufenden Welle be-rechnet zu:

p r p1 1− += ⋅

p ec

Sq eikx ikx

11

1− −⋅ = − ⋅ ⋅ ⋅ρ

(II.54)

42 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Die transmittierte Welle hat dann die Form

p ec

Sq eikx ikx

22

2+ − + −⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ρ

(II.55)

Aus den beiden o. a. Randbedingungen (Gleichheit der Flüsse und derSchalldrücke) folgt dann:

( )q qS

cp p

S

cp

p p p p

1 21

1 12

2

1 2 1 1 2

=⋅

− =⋅

= + =

+ − +

+ − +

:

:

p

ρ ρ (II.56)

⇒ p p

p p

r

r

S

S

S S

S S1 1

1 1

2

1

1 2

1 2

1

1

+ −

+ −

−+

= −+

= = −+

, mit r (II.57)

Als Absorptionsgrad wird nun der relative Anteil der einfallenden Energiebezeichnet, die nicht reflektiert wird und somit (durch die Weiterleitung derSchallwelle) absorbiert wird. Da diese Energie eine quadratische Größeist, errechnet sich der Absorptionsgrad α zu:

( )α = − = ⋅ ⋅

+1

42 1 2

1 2

2rS S

S S(II.58)

Abbildung 2.9: Absorptionsgrad α an einer Grenze zwischen den Flächen S1 und S2

Dabei ist Schallabsorbtion maximal, wenn keine Änderung in der Quer-schnittsfläche auftritt (ideale Weiterleitung des Schalls), wobei der Ab-sorptionsgrad bei relativ kleinen Veränderungen des Verhältnisses S2/S1

nur relativ langsam abnimmt. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist eineÄnderung des Rohrquerschnitts (z. B. in Klima- oder Lüftungsanlagen) einrelativ untaugliches Mittel, um die Schallausbreitung in Rohren zu verhin-

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 43

dern. Selbst bei extremen Querschnittsänderungen ist die durchgelasseneSchallenergie noch relativ hoch, so daß z. B. ein relativ kleiner Türspaltschon fast den gesamten Schall von der einen Seite der Tür auf die ande-re Seite der Tür passieren läßt.

II.2.1 c) Kontinuierliche Querschnittsänderung

Abbildung 2.10: Schallausbreitung in einem differentiellen Rohrstück mit ortsabhängigem

Querschnitt

Wir betrachten nun den Fall, daß sich der Rohrquerschnitt als Funktionendes Ortes verändert, wobei die Funktion S(x) zugrundegelegt wird. Um aufdie entsprechende Form der Eulerschen Gleichung zu gelangen, werdenzunächst alle auf das Volumenelement einwirkende Kräfte aufaddiert:

( ) ( ) ( )p S p dp S dS p dp dS⋅ − + ⋅ + + + ⋅εDruck d. Mantelfläche* +, , -. .

(II.59)

Die Kraft auf das Volumenelement in x-Richtung berechnet sich also zu:

/

ρ ⋅ ⋅ ⋅S dxdvdt

MasseBeschleunigung

0 12 32(II.60)

⇒ − ⋅ = ⋅ ⋅Sdp

dxS

dv

dtρ (II.61)

Die Kontinuitätsgleichung, die für die Herleitung der passenden Wel-lengleichung notwendig ist, berechnet sich in diesem Fall zu:

44 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

( )( )( )ρ ρ⋅ ⋅ − + + = −v S S dS v dvd

dtSdx (II.62)

( )

ρ ⋅ ⋅ +

⋅ =

= − ⋅vdS

dx

dv

dxS

d v S

dx

dq

dx

S

c

dp

dt

,

mit q=v S : Schall fluß

4 56 6 76 6

2(II.63)

Aus der räumlichen Ableitung von Gleichung (II.61) bzw. der zeitlichenAbleitung von Gleichung (II.63) ergibt sich dann:

( )ddx

IIdpdx

Sd pdx

dSdx

dvdt

Sd vdxdt

. :612

2

2

-dSdx

⋅ − = ⋅ ⋅ + ⋅ ⋅ρ ρ (II.64)

ddt

IIdSdx

Sd vdxdt

pdt

( . ):632

2

dvdt

= -Sc

d2

2

ρ ρ⋅ ⋅ + ⋅ ⋅ ⋅ (II.65)

Insgesamt ergibt sich dann:

Sd p

dx

dS

dx

dp

dx

S

c

d p

dt⋅ + ⋅ − ⋅ =

2

2 2

2

2 0 (II.66)

Dieses ist die sogenannte Trichtergleichung (auch als Webster'scheHorngleichung bekannt), die die Wellenausbreitung in einem sich alsFunktion von x veränderlichem Hohlleiter beschreibt. Für den Fall eines

konstanten Querschnitts dSdx

=

0 geht diese Trichtergleichung in die

Wellengleichung (2.35) für das Rohr über. Es muß jedoch festgehaltenwerden, daß diese Gleichung für den Schalldruck p eine andere Form hat,als eine vergleichbare Gleichung für die Schallschnelle v. Im Gegensatzzur eindimensionalen Wellengleichung ergeben sich damit unterschiedli-che Lösungen für den Schalldruck p und die Schnelle v als Funktion desOrtes.

II.2.1 d) Exponentialtrichter

Als Spezialfall einer kontinuierlichen Querschnittsänderung betrachten wirden Exponentialtrichter, für den der Durchmesser und die Fläche expo-nentiell mit der Ortskoordinate x ansteigt:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 45

Abbildung 2.11: Wellenausbreitung in Exponentialtrichter

Die exponentielle Querschnittsänderung bedeutet, daß die differentiellerelative Querschnittsänderung

dS

dxg S= ⋅ ⋅2 (II.67)

längs des Trichters konstant ist.

⇒ d p

dxg

dp

dx c

d p

dt

2

2 2

2

22

10+ ⋅ ⋅ − ⋅ = (II.68)

Mit dem Ansatz p p e ei t x= ⋅ ⋅0ω γ , d. h. eines sinusförmigen zeitlichen

Schalldruckverlaufs, dessen Amplitude vom Ort abhängig ist, ergibt sichfür γ und ω die folgende „charakteristische Gleichung“ zweiten Grades:

− + ⋅ ⋅ + =γ γ ω22

22 0gc

(II.69)

mit den beiden Lösungen:

γ ω

ω

1 22

02

02 2

/ ,

,

= − ± −

= − ± − =

g g k für g

g i k gc

> k =c

für g< k

0

0

(II.70)

Für den 1. Fall (ω ω≤ = ⋅g g c , wobei ωg die Grenzfrequenz bezeichnet) ist

keine Ausbreitung als fortschreitende Welle möglich, es tritt eine soge-

46 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

nannte Blindd ämpfung auf und das Schallfeld fällt exponentiell zu ~ e x− γ

ab.

Im zweiten Fall (ω ω> g ) ist dagegen eine Schallabstrahlung möglich, so

daß sich die Gesamlösung als Linear-Kombination von beiden Teillösun-gen ergibt:

( )p p e p e eg i k g

k

xg i k g x i t

o

= ⋅ + ⋅

⋅+

− − −

− + − ⋅8 8

2 2

02 29 :; <=

> ?@ @ A@ @Am Ende ist die reflektierteWelle vernachlaessigbar,da die Reflexion gering ist.

ω (II.71)

Der zweite Term beschreibt dabei die in negative x-Richtung laufende, amEnde des Trichters reflektierte Schallwelle. Wenn wir davon ausgehen,daß die Reflexion an der Trichteröffnung vernächlässigbar ist, können wirdiesen zweiten Term vernächlässigen.

Als Phasengeschwindigkeit ergibt sich für die Schallausbreitung der Welleoberhalb der Grenzfrequenz des Exponentialtrichters:

( )ck k g

cfp

g

= =−

=

ω ω

ωω

ω0

2 2 2

1

~ (II.72)

und als Gruppengeschwindigkeit der Wert:

cd

dkd

cg

d

cg

ccg

g= =

=⋅ −

= ⋅ −

ω

ω

ω

ω

ωωω

12

21

2

22

2

22

2

2

/(II.73)

Sowohl die Phasen- als auch die Gruppengeschwindigkeit hängen damitvon der jeweiligen Kreisfrequenz ω ab. Dieses bezeichnet man als Dis-persion . Für Frequenzen dicht oberhalb der Grenzfrequenz geht die Pha-sengeschwindigkeit gegen unendlich (Übergang in die Blinddämpfung),während die Gruppengeschwindigkeit gegen 0 geht und das Produkt ausPhasen- und Gruppengeschwindigkeit konstant ist. Die Dispersion führtdamit zu einer unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit von ver-

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 47

schiedenen Wellenlängen im Exponentialtrichter und kann beispielsweisezur Pulskompression verwendet werden: Wenn ein akustisches Signal amEingang des Exponentialtrichters sich über einen bestimmten Zeitbereicherstreckt, so kann bei geeigneter Form dieses Eingangssignals die Dis-persion dazu führen, daß am Ausgang des Exponentialtrichters das Zeit-signal auf einen wesentlich kürzeren Bereich konzentriert ist, so daß aku-stische Stoßwellen auftreten.

Um nun errechnen zu können, welche Schalleistung von einem Exponen-tialtrichter bei welcher Frequenz abgestrahlt werden kann, betrachten wirzunächst die Schnelle als Funktion des Ortes:

( )v xi

dp

dx

g i k g

ip+

++= − ⋅ =

+ −⋅1 0

2 2

ωρ ωρ(II.74)

Als Wellenwiderstand, (d. h. als Verhältnis aus Schalldruck und Schall-schnelle) für jeden Ort x im Exponentialtrichter ergibt sich zusammen mit(II.71) damit:

Zp

v

i

g ic

g

= =

+ −

+

+

ωρ

ω 2

22

(II.75)

Es ergibt sich also der komplexe, vom Ort x unabhängige Wellenwider-stand zu:

Z c

i

c i

g g

g g= ⋅ ⋅

− + −

= ⋅ ⋅ −

+

ρωω

ωω

ρωω

ωω

1

1

12

2

(II.76)

Während der Imaginärteil des Strahlungswiderstands den Blindanteil um-gibt, (d. h. den Teil, bei dem Schalldruck und -schnelle nicht in Phase sindund zu keinem Energietransport führen) wird durch den Realteil des

Strahlungswiderstands Re Z = ⋅ ⋅ −

ρ

ωω

c g12

bei vorgegebener Schnel-

le Bv+ die abgestrahlte Leistung bestimmt:

48 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

P S p v S v Z+ + + += ⋅ ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅1

2

1

22Re

CRe* (II.77)

Der Verlauf des Realteils von Z weist einen steilen Anstieg oberhalb derGrenzfrequenz ωg auf, so daß mit dem Exponentialhorn der Wirkungsgradvon Lautsprechern vergrößert werden kann: Während bei der Schallab-strahlung von einem Lautsprecher ohne Horn in einer unendlich ausge-dehnten Schallwand in der Langwellennäherung ein beträchtlicher Teil derAnregungs-Energie in Blindleistung umgesetzt wird, führt die Verwendungeines Exponentialhorns zu einer besseren „Anpassung“ der Lautsprecher-Bewegung an die umgebende Luftmasse, so daß nur noch ein kleinererProzentsatz in Windenergie umgesetzt wird. Zum Vergleich ist in untenstehender Abbildung der Wellenwiderstand eines Kegeltrichters einge-zeichnet, der sich berechnet zu:

Z

c i x

=

⋅+

11 1

ρ ωρ

(II.78)

( )( )

Re Z ck a

k ax a= = ⋅ ⋅

+ρ 0

2

0

21

(II.79)

Abbildung 2.12: Wirkwiderstand (Strahlungsleistung) von Exponential- und Kegeltrichtern

Der Kegeltrichter führt demnach bei hohen Frequenzen ebenfalls zu einervollständigen Abstrahlung des Schalls in der Wirk-Komponente, es wirddafür aber keine Grenzfrequenz angenommen, unterhalb derer keineAusbreitung ist. Allerdings ist die Abstrahlung des Kegeltrichters bei nied-rigen Frequenzen sehr gering bzw. mit starken Blindleistungs-Verlustenverbunden.

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 49

II.2.2 Freie Schallausbreitung / Geometrische Akustik

Nachdem wir in den vorherigen Abschnitten die Schallausbreitung in be-grenzten Strukturen (Rohre, Trichter) betrachtet haben, soll im folgendendie Schallausbreitung im Freien, bzw. in einem unendlich ausgedehntenMedium betrachtet werden. Für niedrige Frequenzen (große Wellenlän-gen) spielen Beugungseffekte eine große Rolle, die bereits bei der Schall-abstrahlung beschrieben wurden. Für sehr hohe Frequenzen (kleine Wel-lenlänge) sind die Beugungseffekte allerdings sehr gering, so daß inAnalogie zur geometrischen Optik von der geometrischen Akustik gespro-chen werden kann. So kann beispielsweise die Schallausbreitung hintereiner Öffnung näherungsweise als Schallstrahl aufgefaßt werden, wenndie Abmessung a dieser Öffnung sehr viel größer ist als die Wellenlängeλ:

Abbildung 2.13: Schallstrahl bei der geometrischen Akustik

Ebenso wie in der kohärenten Optik würde sich bei größeren Wellenlän-gen (bzw. kleineren Abmessungen der Öffnung) keine gradlinige Aus-breitung, sondern eine Ausbreitung gemäß einer Kugelwelle mit Interfe-renzfiguren ergeben. Für diesen Grenzfall der geometrischen Akustikkönnen wir auch das Brechungsgesetz herleiten:

Wenn der akustische Strahl vom Medium 1 mit der Ausbreitungsge-schwindigkeit c1 unter dem Winkel ϑ1 auf eine Grenzfläche zu dem Medi-um 2 (Ausbreitungsgeschwindigkeit c2 ) auftritt, kann der Austrittswinkelaus folgender Gleichung errechnet werden:

c

c1

2

1

2

= sin

sin

ϑϑ

(II.80)

50 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Abbildung 2.14: Brechung von Schallstrahlern

Dieses Berechnungsgesetz kann zum einen aus dem Fermatschen Prin-zip abgeleitet werden (die Laufzeit vom Punkt S im Medium 1 zum PunktE im Medium 2 soll minimiert werden, dies kann durch Variation an denWinkeln ϑ1 und ϑ2 geschehen). Andererseits folgt das Brechungsgesetzaus der Kontinuität der Spurwellenlänge, d. h. der Projektion der(geradlinigen) Wellenausbreitung im Medium 1 auf die Grenzfläche, beider die Spurwellenlänge

λ λϑS = 1

1sin(II.81)

resultiert. Dieselbe Spurwellenlänge muß bei der Projektion der Welle imMedium 2 auftreten, so daß gilt:

λ λϑS = 2

2sin(II.82)

⇒ sin

sin

ϑϑ

λλ

1

2

1

2

1

2

= = c

c(II.83)

In der Praxis (z. B. in der Schallausbreitung in der Erdatmosphäre) trittdagegen oft keine diskontinuierliche, sondern eine kontinuierliche Ände-rung der Ausbreitungsgeschwindigkeit c auf, so daß eine krummlinigeSchallausbreitung resultiert. Beispielsweise folgt für folgende einfacheAnnahme über die Ausbreitungsgeschwindigkeit:

( ) ( )( )c z c z z= − −0 01 ζ (II.84)

(Z: Höhe über Erdboden, c0: Ausbreitungsgeschwindigkeit am Erdboden,ζ: Konstante)

Die folgende Annahme für den Brechungswinkel:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 51

( )sinϑ ζ= = − −c

cz z

001 (II.85)

( )sin ~ϑ ϑ ϑε

11

2

2

− ⋅

°dz

dx wegen sin = cos 90 -

<<1D EF GF

(II.86)

⇒ ( )dz

dxz z= ⋅ ⋅ −2 0ζ (II.87)

⇒ ( )z z x x− = −0 0

2

(II.88)

Als resultierenden „Strahl“ des Schalls vom Ausgangspunkt S folgt eineParabel mit dem Krümmungsradius 1/ζ. Für einen Teil der Schallstrahlenführt diese krummlinige Ausbreitung zu einer Reflexion am Erdboden,während ein anderer Teil gar nicht erst den Erdboden erreicht und in dieAtmosphäre nach oben abgestrahlt wird. Auf diese Art und Weise entstehteine akustisch tote Zone, d. h. ein Bereich in einem gewissen Abstanddes Sendepunktes S, der von keinem der möglichen Schallausbreitungs-wege erreicht wird.

Abbildung 2.15: Schallausbreitung in der Atmosphäre mit linear mit der Höhe z abneh-

mender Schallgeschwindigkeit

Ein andere Anwendung der geometrischen Akustik ist die Spiegelung vonSchallstrahlen, für die das Spiegelungsgesetz Einfallswin-kel = Ausfallswinkel gilt. Dieses folgt ebenfalls aus der Kontinuität derSpur. Für den Empfangspunkt E hat der gespiegelte Schallstrahl diescheinbare Herkunft von der „Spiegelschallquelle“ S’, die sich jenseits derspiegelnden Oberfläche befindet. Mit dieser in der Raumakustik näher zubehandelnden Spiegelquellenmethode kann beispielsweise die Echo-dichte von Raumimpulsantworten berechnet werden.

52 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Abbildung 2.16: Schallspiegelung und Spiegelschallquelle S'

Eine andere praktische Anwendung der Spiegelung von Schallstrahlenfindet sich bei gekrümmten Oberflächen, die zur Bündelung oder Zer-streuung von Schallstrahlen eingesetzt werden können. Die allgemeineGleichung für eine Ellipse, die beispielsweise einen akustischen Hohlspie-gel beschreibt, lautet:

1 1 2

s e r+ = (II.89)

sr>2

elliptischer Fall (II.90)

(für s = r = e fallen S und E zusammen)

sr=2

:parabolischer Fall (II.91)

(Scheinwerfer)

sr<2

:hyperbolischer Fall (II.92)

(Ausgangspunkt ist Spiegelschallquelle)

Der elliptische Fall ist für „Flüstergalerien“ von Interesse, weil sämtlichevon einem Sendeort S ausgehenden Schallstrahlen auf den EmpfängerortE konzentriert werden. Der parabolische Fall ist dagegen für Konzertmu-scheln von Bedeutung, bei denen die von den Musikinstrumenten nachhinten abgestrahlte Schallenergie möglichst nicht verloren gehen soll,sondern auf das vor der Konzertmuschel sich befindliche Publikum um-gelenkt werden sollen. Beim Übergang zum hyperbolischen Fall kann dieRichtwirkung dieser Konzertmuschel noch weiter aufgefächert werden.

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 53

Abbildung 2.17: Schallspiegelung in einer elliptischen Begrenzung (Flüstergalerie)

II.3 Druck-, Schnelle- und Intensitätsmessung

Im folgenden soll behandelt werden, wie die akustischen „Basisgrößen“Druck und Schnelle meßtechnisch erfaßt werden können und wie darausabgeleitete Größen (z. B. die Intensität) ermittelt werden können. DerSchalldruck p stellt eine skalare Größe dar, die im Fall des Luftschalls miteinem Mikrophon ermittelt wird. Für andere Medien (z. B. Wasser) gibt esHydrophone und für Festkörper Körperschallaufnehmer, die im folgendennicht gesondert behandelt werden sollen. Die prinzipiellen Elemente einesMikrophons sind eine schwingungsfähig (elastisch) aufgehängte Mem-bran, über deren Fläche S der Schalldruck aufintegriert wird, so daß ins-gesamt eine Kraft F entsteht. Mit dieser Kraft wird ein mechano-elektrischer Wandler betätigt (z. B. eine in einem Magnetfeld aufgehängteSpule oder ein Piezo-Kristall oder ein geladener Kondensator).

Abbildung 2.18: Ersatzschaltbild eines Mikrophons

Unter der Annahme, daß die Membran-Masse m die Steifigkeit der Auf-hängung s und eine Reibungskomponente η·s/ω auftritt, können wir alsBewegungsgleichung der Mikrophon-Membran aufstellen:

( )F m xs

x s x m x s x i= ⋅ + ⋅ ⋅ + ⋅ = − ⋅ ⋅ + ⋅ ⋅ +H H Hη

ωω η0

2 1 (II.93)

Für den Ansatz einer periodischen Auslenkung (x = x0 ⋅ eiωt ) folgt dann:

54 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

( )x

F

s s

mi=

−= +

1

12

02

2

ωω

ω η, mit 0 (II.94)

Die Auslenkung der Mikrophon-Membran ist damit proportional zumSchalldruck p solange für ω << Mikrophon-Resonanzfrequenz ω0. Für diepraktische Schallmessung bedeutet dies, daß jedes Mikrophon nur unter-halb seiner charakteristischen Grenzfrequenz betrieben werden sollte. Fürden Fall des (Elektret-) Kondensatormikrophons ist die Ausgangsspan-nung Ua proportional zur Auslenkung x und damit proportional zumSchalldruck p. Das Kondensator-Mikrophon stellt damit einen Druckemp-fänger mit einem relativ konstanten, über einen weiten Frequenzbereichhin glatten Frequenzgang dar, der in der Meßtechnik besonders beliebtist. Im Gegensatz dazu ist beim dynamischen Mikrophon die Ausgangs-spannung gegeben durch den Abfall des in der Tauchspule durch die Be-wegung induzierten Stromes IA am Innenwiderstand RI IA, so daß gilt:

Dynamisches Mikrophon:

U R I x

xA A= ⋅

⋅~

I

~

Schnelle

ω(II.95)

Beim dynamischen Mikrophon ist die Ausgangsspannung daher nicht di-rekt dem Schalldruck, sondern der (zeitlichen) Ableitung des Schalldrucksproportional, so daß es sich um einen Druckempfänger mit einem einge-bauten Hochpaßfilter handelt (d. h. niedrige Frequenzen werden im Mi-krophon-Signal stark abgeschwächt).

Während der Schalldruck sich als skalare Größe relativ einfach und (beientsprechender Richtcharakteristik des Mikrophons bzw. in niedrigen Fre-quenzen) unabhängig von der Ausrichtung des Mikrophons bestimmenläßt, ist die Schnelle eine vektorielle Größe, von der in der akustischenMeßtechnik jeweils nur eine Komponente, d. h. die Projektion derSchnelle auf eine vorgegebene Raumrichtung ausgemessen werdenkann. Dabei macht man sich den Zusammenhang zwischen Schalldruckund Schallschnelle zu nutzen:

Iv grad p= − ⋅ρ (II.96a)

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 55

Wenn man nun zwei Mikrophone (Druckempfänger) in einem Abstand dentlang einer vorgegebenen x-Achse anordnet, kann man die Schnelle inx-Richtung approximieren durch

( ) ( ) ( )( )v t

p t p t dt

dx

t

≈ − ⋅−

∫ ρ 1 2

0

' ' '(II.96b)

Abbildung 2.19: Prinzipieller Aufbau einer Schallschnelle bzw. Intensitätsmeßsonde

Die Schnelle in x-Richtung wird daher durch numerische Integration überdie Zeit ermittelt und die Richtung der Schnelle kann durch Ausrichtungder x-Achse der Schnelle-Sonde abgetastet werden.

Für die Praxis ist als wesentlich wichtigere Meßgröße die Schallintensität I

( ) ( )I p t v t= ⋅ (II.97)

von großer Bedeutung, bei der es sich um eine vektorielle Größe handelt,die der Schalleistungsflußdichte entspricht. Die Schalleistung, die durcheine vorgegebene Fläche S geht, ist nämlich gegeben durch

( ) ( )P IdS p t v t SSS

= = ⋅∫∫ d (II.98)

Dieser Ausdruck ist analog zu der Leistung im Wechselstromkreis, diebekanntlich durch das gemittelte Produkt aus Wechselspannung undWechselstrom auftritt. Da sowohl Spannung als auch Strom eine komple-xe Größe sind, muß genauso wie hier im Fall des Schalldrucks und derSchallschnelle die jeweilige Phasenlage beachtet werden. Wir nehmenalso an, daß wir sowohl für den Schalldruck als auch die Schallschnelleeine Amplitude p0 bzw. v0 und eine Phase ϕ und ψ haben:

56 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

( ) ( )

p t p e e

t v e e

oi i t

oi i t

= ⋅ ⋅

= ⋅ ⋅

Re

Re

ϕ ω

ψ ω

,

v(II.99)

Die Intensität ergibt sich dann als Produkt aus diesen beiden Größen imzeitlichen Mittelwert zu:

( ) ( ) ( )I v p e e e e v poi i t i i t= ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ = ⋅ ⋅ ⋅ −0 0 0

12

Re Re cosϕ ω ψ ω ϕ ψ (II.100)

Diese Intensität hängt neben den Amplituden von Schallschnelle und -druck nur von der Phasendifferenz ϕ - ψ ab, wobei eine formal ähnlicheBeziehung wie bei der Phasendifferenz zwischen Spannung und Strom imWechselstromkreis auftritt. Eine maximale Intensität und damit eine be-sonders hohe Schallenergieabstrahlung wird erreicht, wenn Schalldruck pund Schallschnelle v zeitlich in Phase sind. Dies entspricht der Abstrah-lung einer Wirkleistung. Wenn p und v dagegen 90 Grad zeitlich phasen-verschoben sind, tritt nur eine Blindleistung auf, d. h. es wird keine Ener-gie nach außen transportiert und im Schallfeld wird die Energie lokal hinund her gepumpt.

In der Praxis kann nun die Intensität mit einem Mikrophonpaar aufge-nommen werden, dessen Anordnung wir schon oben bei der Schnelle-Bestimmung kennengelernt haben. Als numerisches Integral wird aus denbeiden Schallsignalen p1(t) und p2(t) folgender Ausdruck gebildet:

( ) ( )[ ] ( ) ( )[ ]Id T

p t p t p px

tT

=⋅ ⋅

⋅ ⋅ + ⋅ − ⋅∫∫12

11 2 1 2

00ρτ τ τ d dt (II.101)

Das erste Integral approximiert dabei den mittleren Schalldruck p(t) unddas zweite Integral approximiert die Schnelle vx(t). Das Ausmessen derSchallintensität besitzt nun einen großen Vorteil, wenn zugleich die Inten-sität über einen geschlossenen Integrationsweg (z. B. die Umrandung ei-ner Maschine) ausgeführt werden kann. Durch vektorielle Addition derentlang dieses Integrationsweges aufgenommenen Intensitäts-Vektorenwird erreicht, daß von außen einfallende Störschallquellen herausgerech-net werden, da sich ihre Intensitäts-Komponenten in dem Integral geradewegheben. Nur die von der eingeschlossenen Schallquelle ausgestrahlteSchalleistung bleibt bei der vektoriellen Addition über diesen Integrations-weg erhalten. Auf diese Weise ist es möglich, verschiedene Schallquellenvoneinander getrennt auszumessen, ohne diese von ihrem Standort ent-fernen zu müssen.

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 57

II.4 Schallpegel, Schalldosis, Lautheit und Lästigkeit

II.4.1 Schallpegel

Bei der Hörakustik ergibt sich zwischen dem niedrigsten auftretendenSchalldruck (der Ruhehörschwelle) und dem praktisch höchstenSchalldruck (d. h. der Schmerzschwelle) beim Menschen ein sehr großerBereich. Bei 1 kHz beträgt z. B.

Ruhehörschwelle: p052 10= ⋅ − N / m2

Schmerzschwelle: pmax ≈ 20 N / m2

Bei der Umsetzung dieser Schalldrücke in Sinneseindrücke (also bei derWahrnehmung von Lautstärke) gilt zudem das Weber-Fechnersche Ge-setz:

∆ ∆Wahrnehmung =

I

II= const für alle. (II.102)

Dieses Gesetz besagt, daß die kleinste wahrnehmbare Änderung bei ei-ner Reizgröße gerade proportional zur Reizgröße selbst ist. Durch Aufin-tegrieren dieser Bedingung folgt, daß die Lautstärkenwahrnehmung pro-portional zum Logarithmus der Schallintensität (bzw. des Logarithmus desSchallpegels) ist:

Wahrnehmung ~ log I (II.103)

Aus diesen beiden Gründen bietet es sich an, als praktikable Einheit desSchalldrucks (bzw. der Schallintensität) nicht den Druck direkt, sondernden Logarithmus des Schalldrucks zu verwenden. Bei dieser logarithmi-schen Skala hat man allerdings noch einen Skalierungsfaktor frei, denman gerade so wählen kann, daß eine Einheit auf dieser logarithmischenSkala gerade ungefähr der kleinsten wahrnehmbaren Schallpegelände-rung entspricht. Diese Forderung führt zur dB-Skala, für die gilt:

Schalldruckpegel: Lp

pref

= ⋅20 10log : p Bezugsschalldruckref (II.104)

Die ursprünglich zu Ehren von Alexander Graham Bell benannte Pegel-Einheit Bel ist gerade eine um den Faktor 10 gröbere Skala, die eine Fein-

58 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Unterteilung in zehntel notwendig macht, so daß diese Pegelskala als De-zibel bezeichnet wird.

Für quadratische Größen (z. B. die Schallintensität I = p⋅v, oder dieSchalleistung P) wird anstelle des Faktors 20 der Faktor 10 verwendet:

LI

I ref

= ⋅10 10log (II.105)

Durch diese Definition ist gewährleistet, daß eine Pegeländerung in dBdavon unabhängig ist, ob gerade ein Verhältnis von Schalldrücken(lineare Größe) oder ein Verhältnis von quadratischen Größen (z. B.Schallintensität) gebildet wird. Weiterhin ist festzuhalten, daß die dB-Skalaimmer einen Bezugswert braucht und damit als relative Skala anzusehenist. Die folgenden Werte von Pegeländerungen sind für die Praxis dabeivon besonderer Bedeutung:

1 dB kleinster hörbarer Pegelunterschied

3 dB Verdoppelung der Leistung ( )log ,10 2 0 3≈

6 dB Verdoppelung der Amplitude,Vervierfachung der Leistung

10 dB Verdoppelung der subjektiven Lautstärke,zehnfache Leistung

20 dB zehnfache Amplitude,100-fache Leistung

Je nach Wahl des Referenz-Schalldrucks wird der jeweilige Schallpegel-wert unterschiedlich bezeichnet. Wenn wir genau wie oben wieder denPegel definieren als:

Lp

pref

= ⋅20 log (II.106)

gibt es die folgende Festlegung:

dB SPL (Sound Pressure Level):

Dieser Pegelwert bezieht sich auf die absolute Ruhehörschwelle bei 1kHz, für die gilt:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 59

p pN

mbarref = = ⋅ = ⋅− −

05

242 10 2 10 µ (II.107)

Diese Definition kann für beliebige Schalle von beliebiger Bandbreite an-gewandt werden. Der angenommene Referenzschalldruck pref muß dabeinicht genau der individuellen Ruhehörschwelle entprechen. Beispielswei-se weicht die genormte (über ein großes Versuchspersonenkollektiv ge-messene) Ruhehörschwelle etwas von diesen Wert bei 1kHz ab.

dB HL (Hearing Level):

Damit wird der auf die genormte Ruhehörschwelle von Normalhörendenbezogene Schalldruckpegel bezeichnet, also:

pref = Ruhehörschwelle bei der jeweiligen Frequenz (Normwert) (II.108)

Diese Pegeldefinition ist nur sinnvoll anzuwenden für Schmalband-Schalle, da die Ruhehörschwelle stark frequenzabhängig ist.

dB SL (Sensation Level):

Bei dieser auf die ind ividuelle Ruhehörschwelle bezogenen Pegeldefini-tion gilt:

pref = Individuelle Ruhehörschwelle bei der jeweiligen Frequenz (II.109)

Bei Normalhörenden ist diese Definition weitgehend mit der Definition dBHL identisch. Abweichungen ergeben sich jedoch bei angehobener Ruhe-hörschwelle (z. B. Schwerhörigen) aber auch bei sehr kurzen Signalen,bei denen die Ruhehörschwelle erst bei höheren Schalldruckpegeln er-reicht wird, als bei längeren bzw. stationären Signalen. Diese Pegeldefini-tion ist ebenfalls nur sinnvoll anzuwenden bei Schmalbandschallen.

dB A (mit Filter „A“ bewertet):

Bei dieser Pegeldefinition wird die Ruhehörschwelle bzw. die Lautheits-empfindung bei niedrigen Lautstärken insofern berücksichtigt, als sehrniedrige und sehr hohe Frequenzen weniger gewichtet werden als diemittleren Frequenzen. Dazu wird das Eingangssignal zunächst mit demFilter „A“ gefiltert, der die Höhen- und Tiefenabsenkung bei niedrigen Pe-geln simuliert. Das Ausgangssignal wird dann in dB SPL gemessen.

60 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Abbildung 2.20: Verschiedene Referenzpegel und Pegeldefinitionen

dB Pe (Peak Equivalent):

Diese Definition wird bei sehr kurzen Reizen verwendet. Dazu ist der Ma-ximal-Pegel angegeben, der bei einer Hintereinanderkettung der auszu-messenden kurzen akustischen Stimuli auftreten würde. Dieser Pegel ent-spricht im wesentlichen dem Spitzenpegel des kurzzeitigen Signals

dB eq oder Leq:

Dieser als äquivalenter Dauerschallpegel bezeichnete Meßwert wird fürzeitlich fluktuierende Schalle verwendet. Dabei wird die Gesamt-Schallenergie über einen Bezugszeitraum T gemittelt. Der zu diesem Mit-telwert zugehörige Pegel wird dann als Leq bezeichnet also :

Leq ( )= ⋅

∫101

102

02

0

log /T

p t p dtT

(II.110)

Die Bezugszeit T ist dabei von der jeweiligen Anwendung abhängig.

Um den verschiedenen möglichen zeitlichen Verläufen von akustischenSignalen Rechnung zu tragen, kann der Schallpegel entweder über einenlangen Zeitraum gemittelt werden (dabei fallen etwaige Schwankungendes Kurzzeit-Pegels unter den Tisch und fließen in den Mittelwert ein)oder ganz kurze Mittelungskonstanten, bei denen auch kurzfristige Pegel-Fluktuationen aufgelöst werden. Für Schallpegelmeßgeräte werden daherverschiedene Mittelungszeitkonstanten benötigt, deren Größe wie folgtfestgelegt wird:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 61

I (Impuls): Anstieg 35 ms, Abfall 1500 ms

F (Fast): beide je 125 ms

S (Slow): beide je 1000 s

Für die Messung von Sprache wird zumeist die Einstellung Impuls oderFast benutzt, um den Spitzenwert des Sprachpegels ermitteln zu können.Dann wird ein mittlerer Spitzenpegel errechnet. Die Gesamt-Aussteuerungdes Sprachsignals sollte einige dB oberhalb dieses mittleren Spitzenpe-gels liegen, um Übersteuerungs-Artefakte zu vermeiden.

II.4.2 Schallwirkung und Schalldosis

Neben den erwünschten Wirkungen von Schall (z. B. für die zwischen-menschliche, akustische Kommunikation) gibt es unerwünchte Schallwir-kungen, die insbesondere dann auftreten, wenn Menschen nicht freiwillig,sondern unfreiwillig einer Schalleinwirkung ausgesetzt sind. Die dabeiauftretenden negativen Wirkungen können grob nach dem Pegelbereichklassifiziert werden, in dem sie auftreten. Bei dieser Aufteilung (s. Abbil-dung) wird der äquivalente Dauerschallpegel Leq mit A-Bewertung einge-setzt. Dieser Pegel entspricht zwar nicht exakt der wahrgenommenenLautstärke (s. u.) und außerdem wird bei der Schallbewertung nicht be-rücksichtigt, welchen Bedeutungsgehalt das jeweilige Schallsignal besitzt,trotzdem können diese Werte als Orientierung dienen.

Abbildung 2.21: Pegelbereiche, für die unterschiedliche schallwirkungen beim Menschen

auftreten

Im Bereich oberhalb von 35 dB(A) kommt es zu Schlafbeeinträchtigungen,d. h. die Erholungsphasen im Schlaf werden gestört und die diesen Lär-meinfluß unterliegenden Personen fühlen sich morgens nicht erholt. AlsRichtwert sollte daher der Schallpegel in Schlaf- und Ruheräumen35 dB(A) nicht überschreiten. Oberhalb von etwa 40 dB(A) wird das Ru-hebedürfnis während der Erholungsphasen (auch im Wachzustand) be-einträchtigt, so daß Störungen bei der Erholung auftreten können. EinSchallpegel von größer etwa 45 dB(A) führt zum Aufwachen und Schall-

62 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

pegel von mehr als 55 dB(A) führen zu physiologisch meßbaren unddurch psychologische Tests erfaßbaren Streß-Reaktionen (z. B. Anstiegdes Blutdrucks, Veränderung des Hautleitwertes durch Schweißabsonde-rung, Veränderung des Fingerpulses). Falls der Lärmpegel noch weiteransteigt, treten neben diesen reversiblen Störungen auch schädigendeSchallwirkungen im Sinne einer Lärmschwerhörigkeit auf. Obwohl dieEmpfindlichkeit gegenüber Dauerlärm sehr stark von Person zu Personschwankt, wird als Grenzwert für die beruflich bedingte Lärmexposition einWert von 85 dB(A) festgesetzt. Oberhalb dieses Grenzwertes dürfen be-ruflich lärmexponierte Personen (z. B. Diskjockeys) nicht ohne persönli-chen Gehörschutz arbeiten. Für sich freiwillig dem Lärm aussetzendePersonen, bei denen von einer längeren Rekreationsphase des Gehörsausgegangen werden kann, gibt es keine derartigen Grenzwerte (d. h. dieDiskobesucher auf der Tanzfläche sind nicht durch gesetzliche Regelun-gen vor zu lauten Schallpegeln geschützt).

Eine Lärmexposition bei einem entsprechend hohen Pegel führt im gün-stigsten Fall zu keiner oder zu einer zeitlich wieder zurückgehendenSchwellenverschiebung (Temporary Threshold Shift , TTS). Dabei wirddavon ausgegangen, daß sich die im Gehör geschädigten Mechanismenwieder rekreieren können. Ist das Lärmereignis von zu großer Intensität(z. B. Knalltrauma) oder reichen die Erholungsphasen zwischen aufeinan-derfolgenden Lärmexpositionen nicht aus, so entwickelt sich eine perma-nente Schwellenabwanderung (Permanent Threshold Shift, PTS). DieseLärmschwerhörigkeit macht sich anfangs im Audiogramm besonders imBereich um etwa 4 kHz durch eine Schwellenabwanderung (c5-Senke)bemerkbar, die sich bei Fortschreiten der Exposition bzw. des Krankheits-prozesses zu höheren und tieferen Frequenzen ausbreitet und typischer-weise zu einer Hochtonschwerhörigkeit mit reiner Innenohrkomponenteentwickelt. Leider gibt es derzeit keine kausalen Behandlungsmöglichkei-ten, um eine Lärmschwerhörigkeit zu beheben. Es stehen lediglich Reha-bilitationsmaßnahmen zur Verfügung, mit denen versucht wird, das Hör-vermögen von Lärm-Schwerhörenden möglichst gut an das Hörvermögenvon Normalhörenden wieder anzugleichen (Hörgeräte). Da nach wie vor invielen Lärmbetrieben die Lärmschutz-Vorschriften nicht ausreichend be-achtet werden bzw. von den Mitarbeitern zugunsten besserer Kommuni-kation umgangen werden, ist die Lärmschwerhörigkeit nach wie vor einehäufige Berufskrankheit und die am häufigsten zu Entschädigungsrenteführende Berufskrankheit. Die Disposition (Veranlagung zur Entwicklungeiner Lärmschwerhörigkeit) bei Lärmeinwirkung ist sehr stark unterschied-lich. Beispielsweise gibt es „Glas“-Ohren, die schon bei geringen Ge-samtlärm-Dosen „zerbrechen“ und auf der anderen Seite „Stahl“-Ohren,die wesentlich höhere Schalldosen vertragen können, ohne eine signifi-kante Änderung im Hörvermögen aufzuweisen. Aufgrund dieser sehr star-

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 63

ken individuellen Unterschiede und der Schwierigkeit eine Gesamt-Dosisfür den einwirkenden Schall exakt zu ermitteln (es gibt noch kein der ra-dioaktiven Strahlenexposition äquivalentes „Dosimeter“ für Schall) ist esauch sehr schwierig, eine Dosis-Wirkungsbeziehung für die Schwerhörig-keit exakt anzugeben.

Die derzeitig verfügbaren Daten über die Entwicklung von Hörverlust inAbhängigkeit von der Schalldosis sind in der ISO-1999 enthalten, derenprinzipielle Angaben im folgenden abgebildet sind:

Abbildung 2.22: Entwicklung von Hörverlust in Abhängigkeit von der Schalldosis gemäß

ISO-1999

Aufgetragen ist für unterschiedliche mittlere A-bewertete Schalldruckpegelder Prozentsatz an Personen, die bei einer bestimmten Expositionsdauermit diesem Schallpegel eine signifikante Schwerhörigkeit entwickeln. Die-ser Prozentsatz steigt naturgemäß mit zunehmendem Schalldruckpegelund besitzt eine untere Grenze von etwa 85 dB(A), die sich kaum vomaltersabhängigen Hörverlust unterscheidet. Auch aus diesem Grund er-scheint die Einführung des Grenzwertes 85 dB(A) für beruflich schallex-ponierte Personen sinnvoll.

II.4.3 Lautheit und Lästigkeit

Bereits oben wurde das Problem angesprochen, daß der A-bewerteteäquivalente Dauerschallpegel Leq nicht für sämtliche möglichen Schalle einMaß für von normalhörenden Versuchspersonen tatsächlich wahrgenom-mene Lautstärke darstellt. Er stellt zwar eine brauchbare Näherung dar,die insbesondere auf dem Weber-Fechnerschem Gesetz und einer Fre-quenz-Gewichtung für kleine Eingangspegel (A-Bewertung) beruht, führtaber zu signifikanten Abweichungen bei großen Pegeln, bei zeitlichschwankenden Signalen und kann den wahrnehmbaren Lautstärkenun-

64 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

terschied zwischen breitbandigen und schmalbandigen Signalen mit dem-selben Pegel nicht richtig wiedergeben. Eine genauere Beschreibung desvom Menschen empfundenen Schalleindrucks bei einem vorgegebenenakustischen Signal liefert die Lautheit, die in der psychophysikalischenLiteratur eingehend untersucht wurde. Für die Lautheit sind die folgendenFaktoren des akustischen Signals von Bedeutung:

a) Intensitätsabhängigkeit

Gemäß den Experimenten des Psychophysikers Stevens ist die wahrge-nommene Lautheit proportional zur Schallintensität hoch einem Expo-nenten p, der den Wert von ungefähr 0,3 annimmt, also:

Lautheit [Zahlenangaben] ∼ Intensität p, p ≈ 0.3 (II.111)(Stevens’sches Potenzgesetz)

Dieses Potentzgesetz gilt in ähnlicher Form auch für eine Reihe andererModalitäten, z. B. die Helligkeitsempfindung in Abhängigkeit von derLichtintensität, die Schmerzempfindung bei mechanischen Reizen usw. ,wobei für jede Sinnes-Modalität eine eigene, charakteristische Potenz pauftritt. Gemessen wird wahrgenommene Lautheit mit einer freien (oderrelativen) Größenschätzung, bei der die Versuchsperson für jeden vorge-gebenen Testschall die empfundene Lautheit mit einer Zahl aus einembeliebigen Bereich kennzeichnen muß. Abwandlungen von dieser Metho-de sind die eingeschränkte Größenschätzung, bei der der Zahlenbereichvorgegeben wird, oder die Größenschätzung mit Anker-Schall, bei der einfester Referenzschall (z. B. ein 1-kHz-Ton bei 40 dB) mit einer festen Ein-heit (z. B. dem Wert 1) als Referenz vorgegeben wird. Diese Verfahrenführen ebenso wie ein Herstellungsverfahren, bei dem die Versuchsper-son beispielsweise die doppelte oder die Hälfte der Lautheit eines vorge-gebenen Tones einregeln muß, alle in ähnlicher Weise zu dem o. a. Po-tenzgesetz. Aus diesem Grunde hat das Steven’sche Potenzgesetz für diePsychophysik eine sehr hohe Bedeutung erlangt. Für den Fall der akusti-schen Wahrnehmung wird die Lautheit, die ein 1-kHz-Dauerton bei einemSchalldruckpegel von 40 dB SPL erzeugt, mit der Lautheit von 1 sone be-zeichnet. Eine Verdoppelung der Lautheit wird durch eine Anhebung desPegels um etwa 10 dB erreicht, so daß ein 50 dB-Ton bei 1 kHz etwa dieLautheit von 2 sone aufweist. Die Einführung der sone-Skale und die in-ternationale Normierung der Lautheit für stationäre Schalle geht wesent-lich auf die Arbeiten von Stevens und Zwicker zurück. Der Zusammen-hang zwischen Lautheit (in sone) und Schalldruckpegel (in dB SPL) ist füreinen 1-kHz-Ton schematisch in der folgenden Abbildung dargestellt.

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 65

Abbildung 2.23: Lautheit eines 1kHz-Tones in Abhängigkeit vom Schalldruckpegel

Obwohl das Konzept der Lautheit inzwischen weite Verbreitung gefundenhat und es auch kommerziell erhältliche Lautheits-Meßgeräte ergibt, sollauch die Kritik an dem Konzept der Lautheit nicht verschwiegen werden:

So wird bezweifelt, daß naive Versuchspersonen einer Reihe von Stimu-luswerten die empfundene Lautheit auf einer Zahlenskala so zuordnenkönnen, daß die Verhältnisse zwischen den angegebenen Zahlen auchtatsächlich dem wahrgenommenen Lautheitsverhältnissen entsprechen.Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß es sich eher um eineRang-Skale (Ordinal-Skala) und weniger um eine Verhältnisskala(Rational-Skala) handelt. Außerdem neigen Versuchspersonen bei derAngabe von großen Zahlen zu einem „Logarithmic Response Bias“, d. h.bei sehr großen Zahlen wird nur noch die Anzahl der Nullen als wichtigerachtet und nicht mehr der absolute Unterschied zwischen den Zahlen(beispielsweise ist anschaulich der Abstand zwischen „9“ und „10“ größerals der Unterschied zwischen „10.000“ und 10.001“). Wenn die Anzahl dermöglichen Antwortalternativen für die Versuchspersonen (Antwortkatego-rien) auf eine überschaubare Anzahl beschränkt bleibt, tritt der Logarith-mic Response Bias nicht auf. Dies ist z. B. bei der Kategorial-Beurteilungs-Methode nach Heller der Fall, bei der fünf Antwortkategorienzur Verfügung stehen oder bei der in Oldenburg angewandten 11-stufigenKategorial-Beurteilung. Für eine derartige Beurteilungstechnik tritt nichtdas Steven’sche Potenzgesetz, sondern vielmehr das Weber-Fechner’sche Gesetz auf, d. h. die von der Versuchsperson angegebeneLautheit (in Kategorien) ist proportional zum Logarithmus der Intensität(und nicht zu der Intensität mit einer Potenz kleiner als 1).

66 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

b) spektrale Abhängigkeit der Lautheit

Für reine Töne können die Kurven gleicher Pegellautstärke (Isophonen)ermittelt werden, die für jede Frequenz den Tonpegel angeben, der zudemselben Lautstärkeeindruck führt, wie ein 1-kHz-Ton bei dem jeweilsvorgegebenen Pegel. Für sehr kleine Referenz-Pegel nähert sich dieseKurve gleicher Pegellautstärke stark der Ruhehörschwelle an (z. B. die10-Phon-Isophone, s. u.). Bei hohen Pegeln ist der Verlauf der Isophonedagegen relativ flach.

Abbildung 2.24: Kurven gleicher Pegellautstärke (Isophone), d.h. Kombination von Pegeln

und Frequenzen, für die ein Sinuston als gleich laut empfunden wird wie

ein 1kHz-Ton bei dem entsprechendem Schalldruckpegel.

Wenn man anstelle von Sinus-Tönen dagegen breitbandigere Schalleverwendet, können die Isophonen nicht mehr exakt angewandt werden.Stattdessen geht man davon aus, daß im Gehör eine Aufspaltung in Fre-quenzgruppen stattfindet, deren Breite bei Frequenzen unterhalb von 500Hz etwa 100 Hz beträgt und oberhalb von 500 Hz etwa 1/5 der Mittenfre-quenz. Die Energie innerhalb jeder Frequenzgruppe wird aufaddiert undführt zur „spezifischen Lautheit“, d. h. zur Lautheit in dieser Frequenz-gruppe. Der Gesamtlautheitseindruck wird nun durch Summation über diespezifischen Lautheiten in den einzelnen Frequenzgruppen ausgeführt.Eine wesentliche Begründung für diese Modellvorstellung liefert die soge-nannte Lautheitssummation, d. h. der Anstieg der Lautheit bei Verteilungder gleichen Schallenergie in immer breitere Frequenzbereiche:

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 67

Abbildung 2.25: Lautheitssummation: Im linken Teilbild ist schemetisch die spektrale Ver-

breiterung des Stimulus bei gleichbleibender Leistung dargestellt. Das

rechte Teilbild gibt den Pegel eines als gleich laut eingestuften Referenz-

stimulus an als Funktion der Bandbreite ∆f des Teststimulus dessen Lei-

stung konstant gehalten wird.

Wenn die Gesamt-Leistung eines Rauschsignals konstant ist, aber dieBandbreit ∆f zunimmt, nimmt der Lautstärkeneindruck zu. Wenn man einSchmalbandgeräusch und ein Breitbandgeräusch auf denselben Lautheit-seindruck bringen möchte, wird ein Pegelunterschied bis zu 10 dB benö-tigt, d. h. ein breitbandiges Geräusch wird als etwa doppelt so laut wie einschmalbandiges Geräusch mit demselben Pegel wahrgenommen. DieBandbreite, ab der dieser Lautheitsanstieg zu beobachten ist, wird als dieFrequenzgrupp enbreite für Lautheit bezeichnet. Eine Erklärung für die-sen Effekt folgt aus dem o. a. Frequenzgruppen-Konzept, da die Gesamt-Lautheit größer ist, wenn erst die Energie in den verschiedenen Fre-quenzgruppen komprimiert wird (Lautheitsbildung durch Logarithmierungoder Potenzierung mit einem Exponenten kleiner 1) und dann summmiertwird.Sie steht im Gegensatz zu der schmalbandigen Anregung, wo erstsämtliche Intensität in einem Frequenzband aufaddiert wird und dann dieGesamt-Intensität komprimiert wird (d.h. logarithmiert bzw. mit einem Ex-ponenten kleiner 1 potenziert wird).

Bei der Berechnung der spezifischen Lautheit muß allerdings berücksich-tigt werden, daß eine schmalbandige Anregung bei einer Frequenz auchAuswirkungen auf niedrige und höhere Frequenzen hat: Diese„Verschmierung“ der spektralen Energie, die im Gehör stattfindet, kannman durch Maskierungsexperimente ausmessen, bei denen ein schmal-bandiger Test-Stimulus in Gegenwart eines anderen, ebenfalls schmal-bandigen Maskierers detektiert (d. h. herausgehört) werden soll. Bei sy-stematischer Veränderung der Testton-Frequenz läßt sich ein Maskie-rungsmuster erhalten, das relativ steile Flanken zu niedrigen Frequenzenhin und relativ flache Flanken zu hohen Frequenzen hin aufweist. HoheTöne werden von tieferen Tönen also stärker verdeckt (maskiert) als um-gekehrt. Dies ist zum Beispiel der Grund dafür, daß in einem gemischten

68 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Chor relativ wenige Männerstimmen gleich gut hörbar sind wie die zah-lenmäßig überlegenden Frauenstimmen bei hohen Frequenzen. Aufgrunddieser Eigenschaften des Gehörs geht man bei der rechnerischen Ermitt-lung der Lautheit bei einem vorgegebenen Schall von einem„Erregungspegelmuster“ aus, d. h. man ermittelt in jeder Frequenzgruppe,ob die Maskierungsflanken von benachbarten Frequenzgruppen größersind als die in dieser Frequenzgruppe vorliegende Schallenergie undnimmt das jeweilige Maximum als den Beitrag an, den die betrachteteFrequenzgruppe zum Gesamt-Lautheitseindruck beiträgt. Dieses Vorge-hen hat den Vorteil, daß Schallkomponenten, die maskiert sind (d. h.durch die Anwesenheit anderer Schallkomponenten nicht gehört werdenkönnen) auch nicht zum Lautheitseindruck beitragen.

Abbildung 2.26: Erregungsmuster eines schmallbandigen Maskierers, d.h. über der Fre-

quenz(gruppe) aufgretragene Pegel eines Sinustones, der bei Anwesen-

heit des Maskierers soeben nicht mehr wahrgenommen wird.

c) Zeitabhängigkeit

Um die Zeitabhängigkeit der Lautheit zu erfassen, muß zum einen dieZeitabhängigkeit der Maskierung berücksichtigt werden: Im Zeitbereichvor Anschalten eines Schalls tritt eine Maskierungswirkung(„Vorverdeckung“) auf, die etwa einen Zeitbereich von maximal 10 msüberdeckt. Nach Abschalten des Maskierers tritt analog dazu eine„Nachverdeckung“ auf, d. h. kurz nach dem Ende des Maskierers ange-botene Schalle müssen in ihrem Pegel stark erhöht werden, um hörbar zusein. Die Nachverdeckung überstreicht einen Zeitbereich von etwa200 ms. Sie baut sich langsam auf, d. h. bei sehr kurzen Maskierern fälltdie Nachverdeckung viel schneller ab als bei längeren Maskieren. Außer-dem ist der Abfall der Nachverdeckung bei Maskierern mit hoher Intensitätwesentlich schneller als bei Maskierern mit niedriger Intensität. Wird einTestschall gleichzeitig mit dem Maskierer angeboten, so tritt das Phäno-men der „Simultanverdeckung auf“. Aus den Phänomenen Vorverdek-kung, Simultanverdeckung und Nachverdeckung kann auf die zeitlicheVerschmierung der Schall-Wahrnehmung geschlossen werden, die für dieModellierung der Lautheitswahrnehmung von Bedeutung ist.

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 69

Abbildung 2.27: Zeitliches Maskierungsmuster für drei Maskierer mit: Linkes Teilbild: je-

weils unterschiedlicher Dauer. Rechtes Teilbild: zeitliche Integration des

Testschalls (aufgetragen ist der Schwellenpegel eines Testschalls bei

Vorliegen eines Maskierers als Funktion seiner Dauer).

Eine weiterer zeitlicher Aspekt der Lautheitswahrnehmung kann aus derTest-Ton-Integration geschlossen werden, d. h. den für die Detektion ei-nes Testschalls notwendigen Pegels in Abhängigkeit von der Dauer desTestschalls. Für sehr kurze Test-Schall-Dauern (kleiner als 200 ms) ist derfür eine Detektion des Testschalls (im Beisein eines stationären Maskie-rers) notwendige Pegel sehr hoch. Er nimmt mit Zunahme der Testton-Dauer mit etwa 3 dB pro Verdopplung der Test-Schalldauer ab, so daßdieser Vorgang in erster Näherung durch eine Energie-Integration übereine Dauer von 200 ms beschrieben werden kann.

Während die bisher betrachteten Faktoren die zeitliche Verschmierungund Integration von Energie im Ohr beschrieben haben, die für die Zeitab-hängigkeit der Lautheit von Bedeutung ist, soll im folgenden betrachtetwerden, wie die Gesamt-Lautheit eines im Zeitverlauf stark schwankendenSchalls ermittelt werden muß. Dies ist für die Praxis sehr wichtig, weil diewenigsten Lärmquellen stationär sind und viele Geräusche (z. B. Vorbei-fahrgeräusch von Autos an einer belebten Straße) durch Fluktuationenbeschrieben werden. Dabei hat sich gezeigt, daß nicht etwa ein Mittelwertoder ein Medianwert des Lautheits-Verlaufs über der Zeit die Gesamt-Lautheitswahrnehmung am besten repräsentiert, sondern die sogenanntePerzentil-Lautheit.

70 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall

Abbildung 2.28: Berechnung der 5%-Perzentillautheit Ns als der Wert, der in 5% der Zeit

überschritten wird.

So bezeichnet die 5 %-Lautheit N5 denjenigen Lautheitswert, der nur in 5% der Zeit überschritten wird. Damit werden den Lautheitsspitzen beson-dere Bedeutung zugemessen, da dies am ehesten mit dem Gesamt-Lautheitsurteil von Versuchspersonen bei fluktuierenden Schallen korre-liert. Es ist aber festzuhalten, daß dieses Konzept einer Perzentil-Lautheitstark von dem Konzept des äquivalenten Dauerschallpegels Leq abweicht.Während der Leq die Intensität zeitlich mittelt, mittelt die Perzentil-Lautheitdie Lautheit und nimmt auch nicht den Mittel- oder Medianwert, sonderneinen Wert, der sich eher an den auftretenden Intensitätsspitzen orientiert.Dieses Verfahren liefert bei den praktisch wichtigen zeitlich fluktuierendenGeräuschen daher höhere Wert als der Leq und würde daher einen höhe-ren Lärmschutz der betroffenen Personen erfordern. Da es sich mehr andem tatsächlich von Versuchspersonen empfundenen Lautheitseindruckorientiert als der (primär physikalisch definierte) Leq, ist die Einführung vongehöradäquaten Lautheitsmessverfahren und eine Ablösung der bisheri-gen Lärmmeßvorschriften zu fordern.

Die hier beschriebenen Einflußfaktoren für die Bildung der Lautheit sind indem von Zwicker entwickelten Lautheitsmodell enthalten, das die vomMenschen empfundene Lautheit für jeden beliebigen Schall vorhersagt.Dieses Lautheits-Vorhersage-Verfahren ist (zumindestens für stationäreSchalle) inzwischen genormt und soweit etabliert, das es in verschiedenenMeßgeräten bereits implementiert wurde und in der Praxis eingesetztwerden kann.

Die Lautheit korreliert zwar mit der Lästigkeit von Schallen, kann abernicht Effekte vorhersagen, die einen Klang als besonders „unangenehm“erscheinen lassen. Die Unangenehmheit eines Schalls ist zwar auchdurch den Kontext bestimmt (d. h. durch die individuelle Bedeutung, dieder Schall für jede Person aufweist) dennoch gibt es einige Ansätze,„kontextfreie“ oder „unbeeinflußte“ Lästigkeitsvorhersagen von Schallendurchzuführen. Von Zwicker wurde beispielsweise ein Verfahren zur

Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall 71

„unbiased annoyance“ (UBA) vorgeschlagen, das als Einheit die„Annoyance Unit“ (AU) aufweist. Dieses Verfahren bewertet neben derLautheit auch einige Klangparameter (z. B. die Rauhigkeit und die Schärfedes Klangs). Dabei handelt es sich um ein theoretisch interessantes Kon-zept, das aber noch nicht hinreichend validiert ist und von der Seite derSchallwirkungsforschung einer starken Kritik ausgesetzt ist.

72 Erzeugung, Ausbreitung, Messung und Bewertung von Schall