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1. Mai 2014 Die Andere Realität 17 Fremde Kulturen 17. Januar 2014, endlich, ich fliege zu den sagenumwobenen Kogi. Drunvalo Melchizedek machte sie mit seinem Bericht über ihre wundersamen telepathischen Fähigkeiten weltberühmt. Ich sah mich bereits mit den Kogi-Priestern ohne Worte kommunizie- ren… Wie immer auf meinen Reisen war ich gut vorbereitet, hatte ei- niges über die Kogi gelesen und natürlich einen Sack an Medika- menten und Mückenschutzmitteln mit. Ich bin immer noch auch Ingenieur, nichts geht über einen guten Plan und ordentliche Vor- bereitung. Neben der Neugierde und Vorfreude ist da aber auch Fortsetzung auf der nächsten Seite Im Herzen der Welt Im Herzen der Welt von Oliver Driver

Im Herzen der Welt - Cafe Kogi · 2014. 12. 22. · Drunvalo Melchizedek machte sie mit seinem Bericht über ihre wundersamen telepathischen Fähigkeiten weltberühmt. Ich sah mich

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1. Mai 2014 Die Andere Realität 17Fremde Kulturen

17. Januar 2014, endlich, ich fliege zu den sagenumwobenen Kogi. Drunvalo Melchizedek machte sie mit seinem Bericht über ihre wundersamen telepathischen Fähigkeiten weltberühmt. Ich sah mich bereits mit den Kogi-Priestern ohne Worte kommunizie-ren…

Wie immer auf meinen Reisen war ich gut vorbereitet, hatte ei-niges über die Kogi gelesen und natürlich einen Sack an Medika-menten und Mückenschutzmitteln mit. Ich bin immer noch auch Ingenieur, nichts geht über einen guten Plan und ordentliche Vor-bereitung. Neben der Neugierde und Vorfreude ist da aber auch

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Im Herzen der WeltIm Herzen der Welt

von Oliver Driver

Im Herzen Im Herzen Im Herzen Im Herzen Im Herzen

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18 Die Andere Realität 1. Mai 2014Fremde Kulturen

eine gehörige Portion Unsicherheit. War es wirklich eine gute Idee, tief in die Sierra Nevada de Santa Mar-ta im nördlichen Kolumbien zu reisen, dorthin, wo sich Drogenhändler, Paramilitärs, FARC und andere Guerillas mit Militär und Polizei seit Jahrzehnten be-kämpfen?

Oder war es ganz im Gegenteil sogar eine Art Vor-sehung für mich, noch einmal hierhin zu reisen? Vor 18 Jahren stand ich bereits als Backpacker mit einem Freund wenige Kilometer vor der Sierra Nevada. Als die Einheimischen uns damals wegen der Entfüh-rungsgefahr massiv davon abrieten, weiter zu reisen, hörten wir auf sie und flogen stattdessen auf eine klei-ne kolumbianische Karibikinsel. Dort nahm mein Le-ben dann erst einmal eine andere Richtung, ich lernte meine erste Frau, eine kolumbianische Tauchlehrerin, kennen. Oft erkennt man viel später erst eine gewisse Linie im eigenen Leben, so, als ob man schon immer ein gewisses Ziel vor sich gehabt hätte. Sollten die Kogi ein Teil meines Lebensplanes sein?

Ein paar Tage später stehe ich nun bestens ausge-rüstet am vereinbarten Treffpunkt. Mein riesiger Rucksack ist voll von nützlichen Dingen, eben alles, was man so in der Wildnis brauchen könnte. Vor-sichtigerweise hatte ich mir vorab einen Esel für das Gepäck reserviert. Die Kogis, die mich in die Berge begleiten sollen, haben nur ihre Mochila, ihre Umhängetasche dabei. Einige tragen nicht einmal Schuhe. Und auch als die Kogi erstmalig für einen Vortrag nach Europa kamen, hatten sie jeder nur zwei der typischen kleinen Umhängetaschen dabei. Das war alles. In einer haben sie ihre rituellen Din-ge wie geröstete Kokablätter, Steine zur Divination, den Poporro und andere rituelle Dinge, in der ande-ren ein paar private Dinge.

Mein kolumbianischer Begleiter Mauricio, der Leiter der Casa Indigena in Santa Marta, ist mein Überset-zer, Führer. Er ist langjähriger Freund der Kogi. Ihn hatte ich ganz „zufällig“ mit Máma José Gabriel bei Bekannten von Bekannten in Bonn getroffen. Máma

bzw. Mámu ist die Bezeichnung für die spirituellen Führer, die Priester und Schamanen der Kogi.

Nach Deutschland waren sie gekommen, weil die Kogi ein großes Kaffee-Projekt gestartet haben. Sie waren auf der Suche nach geeigneten Partnern, die gemeinsam mit ihnen den Kaffee vermarkten. Nun trinke ich zwar gerne Kaffee, hatte jedoch bis zu die-sem Tag von Kaffeeanbau oder –verarbeitung keiner-lei Ahnung und Vertrieb war mir immer ein Gräuel gewesen. Und dennoch ging ich nach ihrem Vortrag auf sie zu und bot meine Hilfe an. Der Gedanke, mal wieder was ganz anderes zu beginnen, faszinierte mich.

Ganz so einfach war es dann nicht. Die Kogi haben sehr klare Vorstellungen, wie und mit wem sie dieses Projekt angehen wollen. „Wir suchen Partner, die un-sere spirituelle Botschaft verstehen und vertreten. Un-ser Kaffee ist etwas Besonderes, wir wollen ihn nicht an große Ketten verkaufen. Wir erlauben auch keine Werbung mit unserem Namen, wenn sie nicht mit uns abgestimmt ist. Wenn Du interessiert bist, musst Du zu uns nach Pueblo Viejo kommen. Die Mámus wer-den dann entscheiden, ob Du der Richtige bist!“

Heute, drei Monate später, bin ich zurück aus einer anderen Dimension, die sich unseren üblichen Be-wertungsmaßstäben völlig entzieht. Was für ein Er-lebnis! Dort, in der Sierra Nevada, diesem höchsten Küstengebirge der Erde, wo auf einem Streifen von 50 Kilometer Breite traumhafte karibische Strände und tropisch-feuchter Dschungel auf trockene Wüs-ten, Nebelwald und schneebedeckte Berge treffen, leben die Kogi wie vor Hunderten von Jahren. Doch dies ist nur die oberflächliche Beschreibung. Auch die Kogi haben sich in den letzten 500 Jahren weiter ent-wickelt. Sie haben nur andere Prioritäten gesetzt als wir. Ein wenig ähneln sie den Taoisten, wenn ich sie in eine Schublade stecken wollte.

Das Schicksal hat es so gewollt, dass ausgerechnet in der Woche, die ich dort bin, das große Treffen der Mámus und weltlichen Oberhäupter der Kogi in Pu-eblo Viejo stattfindet. Tagsüber versammeln sich etwa

150 Männer auf dem zentralen heiligen Platz, einer weiträumigen, sattgrünen Wiese. Inmitten der Wiese steht ein großer Baum, der Schatten spendet. Male-risch verteilt liegen einige riesige glatte Felsbrocken auf der Wiese. Dazwischen stehen und sitzen die Kogi und beraten sich, jeden Tag, eine Woche lang. Oft befragen sie Alúna, den Ursprung alles Seins, durch Divination. Dazu benutzen sie eine mit klarem Was-ser gefüllte Kürbisschale, in die sie einen bestimmten Stein legen. Beim Betrachten der Blasen und Bewe-gungen sehen sie die Antwort auf ihre Frage. Jeder Mámu erzählt, was er gesehen hat und im Konsens wird eine Lösung besprochen.

Nach den Abendessen folgt täglich die Fortsetzung des Treffens im nu-hué, dem Weltenhaus, bis in den frühen Morgen. Dort sitze ich im Dunkeln mit 150 In-dianern, die sich auf vier kleine Feuer verteilen. Die vier Feuer stehen für die vier Himmelsrichtungen, für vier Gottheiten, für männlich und weiblich und vieles mehr. Die Atmosphäre ist magisch, die Schat-ten tanzen an der Wand. Einmal ist es fast dunkel, dann flackert wieder eines der Feuer auf. Ich fühle mich um einige Tausend Jahre zurück versetzt, als unsere Vorfahren noch in Höhlen lebten und nach der Jagd um das Feuer saßen und Geschichten erzählten. Die Worte verstehe ich nicht, doch aus ihnen spricht viel Weisheit und Kraft. Während ein Kogi zu einem wichtigen Thema spricht, lauschen die anderen dis-zipliniert seinen Worten. Irgendwann antwortet ein anderer, bis jeder, der etwas zu sagen hat, gesprochen hat. Zum Abschluss fasst einer der Alten das Gespräch zusammen. Fortwährend machen sie dabei Gebrauch von ihrem Poporro.

Der Poporro ist ein kleiner, ausgehöhlter Kürbis mit langem Hals, der mit aus bestimmten Muscheln ge-branntem Kalk gefüllt ist. Durch einen Stab holt der Kogi den Kalk aus dem Poporro heraus und nimmt ihn in den Mund. Der Kalk reagiert mit den im Mund befindlichen gerösteten Kokablättern und manchmal einer klebrigen Substanz aus Tabak. Die Wirkung ist aufputschend, die Kogi haben eine enorme Ausdauer und benötigen extrem wenig Schlaf. Der Poporro hat viele Bedeutungen auf mehreren Ebenen. So steht der

Kürbis für das Weibliche, der Stab für das Männliche. Der Kalk ist männlich, die Kokablätter wiederum weiblich.

Immer wieder reiben sie während des Treffens die gelb gefärbte Spucke dann am Kürbishals ab, bis sich über Tage und Monate dort eine harte gelbe Calcit-schicht bildet. In der Vorstellung der Kogi ist diese Schicht die Materialisation der während des medita-tiven Kauens der Kokablätter gedachten Gedanken. Manche Kogi kauen ein halbes Pfund Blätter täglich – und spucken unter extremen Geräuschen die aus-gekauten Reste auf den Boden. Das ist für mich, da in den heiligen Stätten keine Schuhe erlaubt sind, gewöhnungsbedürftig, denn bald ist keine Stelle des Bodens mehr trocken. Andere Länder, andere Sitten, da muss ich durch.

Diese kleinen Indianer sind die gewissenhaften Hü-ter einer Tradition, Philosophie und Art des Denkens, das in nahezu allen anderen Gegenden der Erde ziem-lich gründlich durch die Ausbreitung unserer eige-nen, westlichen Kultur ausgerottet wurde. Begünstigt durch die politische Situation in Kolumbien, wodurch kaum jemand es bis vor wenigen Jahren wagte, die Sierra zu bereisen, gelang es ihnen zwischen Drogen, Terror und Militär, ihren Lebensraum zu erhalten.

Sie selbst bezeichnen sich als die Älteren Brüder. Ich – genauso wie Sie, lieber Leser – bin einer der Kleinen Brüder, die vor langer Zeit das Land der Kogi über das große Wasser verlassen haben. Als die Kleinen Brüder in Gestalt der Spanier zurückkamen, brachten sie den Tod durch Gewalt, durch ihren Atem und ihre Körper. Durch unsichtbare Krankheitserre-ger und Infektionen starben neun von zehn Urein-wohnern. Selbst diejenigen mit guten Absichten und hehren Zielen waren – wenn auch ungewollt – Über-bringer der Zerstörung.

Je mehr ich mit Ihnen sprach und ihre Art des Den-kens verstand, desto mehr wurde ich aber auch selbst zum Teil des Problems. Auch wir sind heute noch Trä-

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ger von Infektionen. Aber mehr als das sind wir auch Träger unserer Kultur, unserer Art zu Denken, unserer Art, die Welt zu verstehen. Mit jedem Kontakt, mit jedem Gespräch und mit jeder Begegnung verändern wir das Bewusstsein anderer Menschen, wie gut auch immer die dahinter stehende Absicht ist. In der Re-gel lehren wir mehr als dass wir lernen. Und genau deswegen wollen die Kogi keinen Besuch und keine Touristen. Jede Handlung, jeder Satz von mir wur-de zu einer Intervention in ihr Leben, ob ich wollte oder nicht. Zeigte ich ihnen Fotos meiner Familie und meines Zuhauses, so wurde dieser zwischenmensch-liche Kontakt zum Samen von kaum kontrollierbaren Entwicklungen.

Die Kogi sind ungemein stark, deswegen habe ich große Hoffnung für sie. Sie denken in Ebenen kultu-reller Verschmutzung. Je weiter sie in der Sierra hi-nabsteigen, je näher sie an unsere Zivilisation heran kommen, desto größer ist die Verschmutzung, die sie antreffen. Große Bereiche in den Höhen der Sierra Nevada wurden von ihnen selbst für Kogi gesperrt, weil diese Kogi durch den Kontakt zu anderen Kul-turen bereits zu infiziert sind. Folgerichtig durfte ich nur in das erste Drittel ihres Gebietes reisen.

Sie erzählten mir von der Schöpfung, wie die Große Mutter eine Webspindel in das Gebirge der Sierra Ne-vada, Nordkolumbien, stieß, und so die Welt erschuf. Alles Leben auf der Erde ging von der Sierra Nevada aus. Noch heute sehen sich die Kogi als Hüter der Erde. Die Aufgabe der Mámus, der Priester, Weisen und Schamanen, ist es, für Yulúka, für das Gleich-gewicht auf allen geistigen und materiellen Ebenen zu sorgen. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, muss ihre Kultur überleben. Nur dann können sie die Erde retten. Ihre Botschaft und Bitte, die ich weiter-geben soll, ist:

„Wir sind da, um dieses Gebirge zu beschützen, denn so beschützen wir die Erde und die Welt. Alle Gebir-ge liegen im Sterben, denn der Kleine Bruder zerstört sie, indem er Kohle und Öl daraus hervorholt und die

Erde überwärmt. Wir sind dafür nicht verantwortlich, aber wir leiden darunter. Wir sind die Großen Brüder, es liegt in unserer Verantwortung, über die Erde und die Welt zu wachen. Wir müssen das Gleichgewicht bewahren, und wir führen dafür die ganze spirituelle und geistige Arbeit aus. Wir sind traurig, zu sehen, dass nicht alle Menschengruppen das tun, was sie tun sollten, um die Erde zu achten. Wir brauchen den Kleinen Bruder, damit er uns hilft. Ihr müsst die Erde und die Welt verstehen lernen. Der Kleine Bruder muss uns helfen, unsere Erde wieder zurückzuerhal-ten. Helft uns, das Herz der Welt zu schützen!“

Die Kogi wollen in Ruhe gelassen werden. Sie wollen so weiterleben, wie sie es seit Jahrhunderten tun. Die Kogi wollen ansonsten keine Hilfe, keine Decken, kein Essen, keine Beratung, keine Schulen. Sie möch-ten einfach nur leben – auf ihrem angestammten Land mit ihren Jahrtausende alten heiligen Stätten.

Der Regisseur Alan Ereira drehte 1990 einen Film über die Kogi, bei dessen Gestaltung die Kogi kur-zerhand intuitiv die Führung übernahmen. Er han-delt von der Botschaft der Kogi an uns, in der sie an uns appellieren, verantwortungsvoll mit Mutter Erde umzugehen. Der Film endet mit einer Szene1, in der die Kogi hinter ihm das Tor einer Brücke schlossen: „Und jetzt wollen wir Dich nie wieder sehen!“ Sie wissen sehr gut, dass diese Abgrenzung die einzige Möglichkeit ist, zu überleben.

Zwanzig Jahre später kontaktierten die Kogi Alan Ereira erneut, weil sie erkannten, dass ihre Botschaft nicht erhört worden war. Sie beschlossen, dass sie den Kontakt zu den Kleinen Brüdern wieder aufnehmen müssen, weil sie es alleine nicht schaffen. Sie drehten einen zweiten Film2. Ein paar ihrer spirituellen Ober-häupter reisen heute zu EU-Behörden, Kongressen und spirituellen Treffen. Diese Aktivitäten finanzieren sie durch den Anbau und Verkauf von Kaffee durch die Gemeinschaft der Kogi. Nur deswegen hatte ich die Chance, sie in ihrem Land zu treffen. Eine Kette von Zufällen führte dazu, dass sie mich einluden. Sie waren nach Deutschland geflogen, um hier Unterstüt-zer zu finden.

Als ich ihnen Unterstützung bei der Vermarktung des Kaffees anbot, sagten sie: „Schön und gut, aber Du musst erst zu uns kommen und sehen, wie wir leben. Du musst verstehen lernen. Und dann werden die Mámus entscheiden, ob Du der Richtige bist. Wir su-chen jemanden, der spirituell ist, der uns versteht.“ Ich hatte Zeit, ich hatte Lust, ein wenig Angst, und drei Monate später wanderte ich schließlich mit einer gewissen Prüfungsangst zwölf Stunden in die Berge zu ihnen.

Die Kogi sind keine herzlichen Gastgeber, sie küm-mern sich nicht um mich. Ich bekomme einen Schlaf-platz im Lagerhaus zugewiesen, kein Licht, keine To-ilette, kein fließendes Wasser. Drei Tage braucht der Mensch, um sich wieder an die Wildnis anzupassen, auch ich, danach habe ich mich an vieles gewöhnt. Es widerstrebt mir ein wenig, äußerliche Beobach-tungen zu beschreiben, weil sie wenig über die Kogi aussagen, umso mehr jedoch über mich. So war das Essen langweilig und wenig lecker. Gegessen werden Kochbananen, die ein wenig wie Kartoffeln schme-cken, Yucca, ebenfalls der Kartoffel ähnlich, Bohnen und Reis. Hin und wieder gibt es ein Ei, selten kommt Fleisch auf den Tisch. Fisch ist heiß begehrt, egal ob aus mitgebrachten Sardinendosen oder getrocknet – vielleicht ein Überbleibsel aus der Zeit, als das Gebiet der Kogi bis ans Meer reichte. Gewürzt wird wenig und wer dieses Essen über eine Woche drei Mal täglich vorgesetzt bekommt, freut sich über jede Banane oder Orange. Gut geschmeckt haben die Sup-pen, die sehr stark an deutsche Eintöpfe, verfeinert mit fremden Gewürzen wie Koriander oder Zitronel-la erinnerten. Getrunken wurde Wasser, häufig auch Kamillentee oder sehr süßer, sehr starker Kaffee. Die Kogi lieben übrigens Limonade, wenn sie sie ge-schenkt bekommen.

Sie schickten mich jeden Tag auf eine andere Wan-derung durch ihr Land, ein Land, das geradezu pa-radiesisch erscheint. Bergauf und bergab zu laufen bedeutet für sie, das Leben zu erlaufen, es wie einen Stoff nach und nach zu weben. Der Webstuhl ist eine zentrale Metapher im Leben der Kogi, er ist für sie ein Symbol der Welt.

Einige Male werde ich zu Mámus geschickt, die we-nig sprechen und mich anschauen. Ich bekomme ein Bändchen mit einer kleinen Steinperle um das Hand-gelenk gebunden, was einerseits Schutz bietet und an-dererseits eine Art Genehmigung ist, mich im Gebiet der Kogi zu bewegen. Máma Jacinto behandelt mich dann auch gleich auf Bitte von Mauricio wegen mei-ner nervenden Bandscheibenprobleme. Die habe ich seit zwölf Jahren, mal waren sie fast verschwunden, doch im letzten Jahr hatten sie stark zugenommen. Dazu fragt er mich zunächst nach möglichen Ur-sachen aus. Seit wann hast Du die Schmerzen, was meinst Du warum? Ich erwähne meine Scheidung, damit scheint er zufrieden.

Krankheit ist für die Kogi eine Bestrafung durch die Geisterwelt. Ich habe also Yulúka, das Gleichgewicht zwischen den Kräften, den sichtbaren wie unsicht-baren, gestört. Den Herren der Krankheit müssen entsprechend Opfergaben, meist aus Perlensteinchen, dargebracht werden. So soll das gestörte Gleich-gewicht der Kräfte wieder hergestellt werden. Weil Krankheiten externe Ursachen haben, ist der Ge-brauch von medikamentösen Heilmitteln in den Au-gen der Kogi unnütz; die Kogi verwenden nur selten Heilpflanzen.

In meiner Sitzung betet Máma Jacinto und spricht mit den Spirits, macht kreisende Bewegungen mit den Händen, die an eine energetische Chakrenreinigung erinnern. Sorgfältig wählt er zwei Steine aus seinem Beutel, die ich im Uhrzeigersinn um den Kopf führen soll. Zum Abschluss soll ich mich noch einmal um mich selbst drehen. Bemerkenswert ist, dass er dies ohne großes Aufheben macht, er erzählt nebenher mit seinem Begleiter und macht seine Späße. Nun, heute ist der Rücken definitiv besser.

Als mich die Redaktion nach besonderen magischen, mysteriösen oder unerklärlichen Phänomenen bei den Kogi fragte, kam ich ins Grübeln. Alles war magisch, berührend und in unseren „aufgeklärten“ Augen un-erklärlich. Wenn ein Kogi davon erzählt, wie sie in

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Harmonie mit der Natur leben, so ist dies magisch. Dies aber auf eine ganz andere Art und Weise, als wir es uns – und ich ebenfalls - heimlich wünschen. Mei-ne Erfahrung mit Schamanen aus verschiedenen Län-dern wurde hier wieder bestätigt. Diese Schamanen sind sehr normale Menschen, die eher unspektakulär arbeiten. Wenn ich mich einmal sehr weit aus dem Fenster lehne, würde ich behaupten, dass ein Groß-teil von all den magischen Begebenheiten, von denen man in Büchern liest, frei erfunden sind – oder eben auf der Einnahme einer bewusstseinserweiternden Droge beruhen. Ein anderer Schamane hatte mir al-lerdings einmal gesagt, dass jeder nur das erlebe, was er überleben könne…

Die Kogi wollen, dass ich ein Gefühl für ihre Welt und ihr Leben bekomme, damit ich ihre Botschaft verstehe und später weitergeben kann. Vieles habe ich verstanden, einiges konnte ich aus den Büchern des Anthropologen Reichel-Dolmatoff erlesen, vieles werde ich erst bei meinen nächsten Besuchen erken-nen.

Auf drei verschiedenen Treffen trage ich mit Unter-stützung durch Mauricio den Mámus meine Ideen vor, wie ich mir eine Zusammenarbeit vorstelle. Mauricio baut die Geschichte mehr und mehr aus, wenn ich ihn über mich sprechen höre, muss ich ein ganz toller Kerl sein. Die Mámus sitzen dabei immer wieder an den idyllischsten Plätzen, auf großen Felsen, auf Bergpla-teaus, unter Bäumen. Es ist offensichtlich, dass man hier bessere Entscheidungen treffen kann als an flug-zeugträgergroßen Besprechungstischen in unseren Unternehmen. Sie meditieren über die Fragestellung, sie tauschen sich aus. Ich habe das Gefühl, sie schau-en in mich hinein. Meine Worte sind unwichtig, sie durchschauen mich. Ich habe einerseits geradezu Prü-fungsstress, andererseits versuche ich einfach nur ich selbst zu sein. Was soll ich mich hier verstellen? Die Kogi haben sehr präzise Vorstellungen davon, was sie wollen und lassen mich das wissen.

Wir beschließen, die Organisation kalashe zu grün-den (kalashe bedeutet in der Sprache der Kogi „Va-ter/Ahne des Waldes“). Sie wird die Interessen der Kogi bei uns vertreten und die Botschaft der Kogi auch im deutschsprachigen Raum verbreiten. Der Kaffee ist ein Symbol für die Zusammenarbeit der äl-teren Brüder mit uns, er soll ein Bindeglied zwischen den Völkern werden. Er steht für Gemeinschaft und Balance, er erinnert uns daran, dass wir alle für das Gleichgewicht der Erde verantwortlich sind, ein Kaf-

fee, der verbindet. Er ist zudem untrennbar mit der spirituellen Botschaft der Kogi verbunden.

Ein Teil der Erlöse wird dafür verwendet, die heiligen Stätten der Kogi zurückzukaufen. Ohne diese heili-gen Stätten können die Mámus ihre spirituelle Arbeit nicht vollziehen, was in ihren Augen das Überleben der gesamten Kultur gefährdet. Nur wenn die Mámus das komplexe Weltbild der Kogi weiterhin mit Leben füllen können, haben sie die Möglichkeit, ihr Volk auf die heutigen Herausforderungen vorzubereiten, insbesondere aber zu beschützen. Für sie ist es eine Gratwanderung, die Abgrenzung zu den Kleineren Brüdern gerade durch den Kontakt zu ihnen zu er-möglichen.

Jedes Paket der gerösteten Bohnen erinnert daran, dass es da 1600 Familien in der Sierra gibt, die sich um die Erde sorgen. Sie kümmern sich um Kaffee-bäume, die mitten im Wald zwischen Avocado-, Pa-paya- und Mangobäumen, zwischen Bananenstauden und allen anderen dort üblichen Pflanzen wachsen. Im Gegensatz zu den Sträuchern, die wir in der Wer-bung für Filterkaffee sehen, ist Kaffee eigentlich ein Baum, der einige Meter hoch wächst. Gerade die al-ten Bäume sind für die Kogi enorm wichtig. Sie sind die Ahnen aller jüngeren Kaffeepflanzen, sie sind Schutzherren, ihnen gilt besonderer Respekt. Ihnen bringt man Opfer dar.

Da, wo wir die Natur zu beherrschen versuchen, ma-chen die Kogis sie umgänglich. Sie dringen in den Rhythmus der Natur ein und spielen mit den Wech-selwirkungen. So gelingt es ihnen, die Pflanzen vor Schädlingen zu schützen. Dies gelingt ihnen mit Handlungsweisen, die sehr genaue Kenntnisse zuta-ge bringen, was das Zusammenspiel der Phänomene anbelangt. Ihre Kenntnisse beruhen auf der Beobach-tung astronomischer Konstellationen, Mondphasen, Regen, Windrichtungen, Temperaturwechsel und ei-ner Anzahl anderer Phänomene. Für sie ist die Natur nicht etwas an sich Schönes, etwas an sich Harmo-nisches, sondern es handelt sich um eine Welt der Prüfungen, in welcher der Mensch lernen muss, sich zwischen Tag und Nacht, zwischen links und rechts, zwischen dem »Guten« und dem »Schlechten« hin-durchzubewegen.

Eine meiner Wanderungen führte mich tiefer und höher in die Sierra Nevada, ab etwa 1000 Meter bis 1700 Meter über dem Meeresspiegel wächst der Kaffee an steilen Hängen, die zur Erntezeit durch den Regen zu schlüpfrigen Lehmrutschen werden. Kaffeeanbau hat wenig mit den idyllischen Bildern

in der Werbung zu tun, es handelt sich um richtige Knochenarbeit. Jede einzelne Bohne wird von Hand gepflückt und später noch zweimal von Hand sor-tiert. Die Ernte muss über weite Strecken getragen werden, bis die Säcke auf Eseln weiter transportiert werden können. Von der Pflanze bis zum Sammel-punkt, wo die Kooperative die Kaffeebohnen mit Transportern abholen kann, sind es bis zu zwölf Stunden Fußmarsch.

Wo überall in der Welt der Kaffee auf gut pflückbare Höhe gestutzt wird, wachsen in der Sierra Nevada die Kaffeebäume so, wie die Natur es zulässt. Es wer-den keine Pestizide oder Dünger eingesetzt, die Kogis vertrauen der Kraft der Natur. So ist die Ausbeute pro Hektar natürlich deutlich geringer als üblich, auch wird nur einmal im Jahr geerntet, wo sonst zwei Ern-ten üblich sind, letztendlich gewährleistet dies aber gerade die Balance in der Natur und führt so zu einem hochwertigen Produkt.

Als ich ihnen von der Aktion „Plant for the Planet“, 2007 vom damals neunjährigen Felix Finkbeiner ge-gründet, erzählte und vorschlug, dort mitzumachen, fanden Sie diese Idee eher abwegig. Wie sollten Menschen besser wissen als die Natur, was an wel-chen Platz gehört? Wenn wir, wie sie es im Ausland gesehen hatten, Bäume gleicher Art zu Hunderten in Reih und Glied pflanzen, so ist das in den Au-gen der Kogi tote Natur. Dort verirrt sich kaum ein Schmetterling, kaum ein Vogel hin. Sie sagen, dass wir solch eine Fläche einfach in Ruhe lassen sollen, dann würde die Natur das schon auf bestmögliche Art und Weise regeln. Der Mensch muss nicht in al-les eingreifen.

Bin ich jetzt ihr Freund? Ich glaube nicht. Ich bin im-mer noch ein Kleiner Bruder, der vielleicht einmal erwachsen wird. Es besteht Hoffnung, denn sie haben entdeckt, dass da Kleine Brüder existieren, die sich ebenfalls um die Erde sorgen. Niemand gibt mir zum Abschied die Hand. Später erfahre ich, dass dies ja nicht nötig sei, da ich wieder kommen würde. Beim Schreiben dieser Zeilen spüre ich tief in mir bereits, dass sie Recht haben. Ich werde wieder in die Sierra wandern, ich will mehr sehen, die Gletscherseen be-suchen und bei den Mámus lernen.

Übrigens, hatte mich bei Drunvalos Bericht bereits skeptisch gemacht, dass er die Kogi an den Amazo-nas verlegt hatte und zudem schrieb, dass sie keine Sprache haben sollen. Die Kogi sind intuitive Men-schen, sie sind mehr eins mit dem Ursprung als wir, doch sie kommunizieren nicht telepathisch, wie man

sich dies in der Esoterikwelt so vorstellt. Sie sprachen mit mir und was sie so wichtig für die Erde macht, ist ihre Botschaft und keine parawissenschaftlichen Kunststücke.

Manchem Leser wird es nun wie mir vor einigen Jah-ren gehen, er wird denken: „Toll, da will ich einmal hin!“ Doch die Kogi wollen kein lebendes Museum sein, sie wollen keinen Tourismus. Aber: Sie sind kei-ne aussterbende Kultur. Völker wie die Kogi zeigen uns, dass es auch andere Wege zu denken und zu le-ben gibt. Und dies ist ein Schatz. All die verschie-denen Kulturen auf der Welt sind ein Schatz. Sie sind ein Schatz, den es zu bewahren gilt. Diese Schätze wollen nicht gehoben werden, denn dies bedeutet ihr Ende.

Aber sie wollen, dass wir sie anhören. Die Kogi wol-len, dass wir ihre Nachricht hören. Sie wollen, dass wir ihre Sorgen teilen. Und das wollen sie nicht im eigenen Interesse, sondern für uns, damit wir unsere Erde im eigenen Interesse retten. Denn sonst werden die Kogi in der Sierra Nevada wieder mit Hilfe der Großen Mutter beginnen, eine neue Erde zu erschaf-fen. Das ist ihre Aufgabe.

Das ProjektWer die Kogi bei der Rettung ihrer Kultur unterstüt-zen will, findet auf www.kalashe.com die Möglich-keit, mit uns Kontakt aufzunehmen, Ideen zu teilen, zu spenden – und natürlich den Kaffee zu erwerben. Über Oliver Driver wird dieser Kaffee ab Ende 2014 zu beziehen sein.

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Oliver Driver ist Bauingenieur, Organisationsentwickler, Coach und Autor. Er beschäftigt sich mit Tiefenökologie, Pro-zessen für nachhaltigen Wandel, indigenem Wissen, Schamanismus und nun auch Kaffee. www.oliver-driver.de