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Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, ist als Brennpunkt des islamischen Extremismus verrufen. Ausländerfeindliche Propaganda fällt hier auf besonders fruchtbaren Boden. Eine profil- Reportage vor den Unterhauswahlen am 7. Mai. IM SCHATTEN DER SADDAM-HUSSEIN-MOSCHEE ETHNISCHE VIELFALT Nur 57 Prozent in Birmingham bezeichnen sich als „Weiße“ AUSLAND

IM SCHATTEN DER SADDAM-HUSSEIN-MOSCHEE...Rashad Ali, Sozialarbeiter „Ich will einfach, dass sich etwas änder“. t Sharon McIntosh, UKIP-Wählerin Von Tessa Szyszkowitz Fotos: Alex

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Page 1: IM SCHATTEN DER SADDAM-HUSSEIN-MOSCHEE...Rashad Ali, Sozialarbeiter „Ich will einfach, dass sich etwas änder“. t Sharon McIntosh, UKIP-Wählerin Von Tessa Szyszkowitz Fotos: Alex

Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, ist als Brennpunkt

des islamischen Extremismus verrufen. Ausländerfeindliche

Propaganda fällt hier auf besonders fruchtbaren Boden. Eine profil-

Reportage vor den Unterhauswahlen am 7. Mai.

IM SCHATTEN DER SADDAM-HUSSEIN-MOSCHEE

ETHNISCHE VIELFALTNur 57 Prozent in

Birmingham bezeichnen sich als „Weiße“

A U S l A n d

Page 2: IM SCHATTEN DER SADDAM-HUSSEIN-MOSCHEE...Rashad Ali, Sozialarbeiter „Ich will einfach, dass sich etwas änder“. t Sharon McIntosh, UKIP-Wählerin Von Tessa Szyszkowitz Fotos: Alex

die Inspektoren waren zur Aufklärung eines ver-meintlichen islamistischen Komplotts in Birming-hamer Erziehungsstätten angerückt. Angeblich hat-ten Islamisten den Plan gefasst, in einigen staatli-chen Schulen die Scharia einzuführen. die Medien bezeichneten den Skandal als „Trojanisches Pferd“, und die Verschwörung stellte sich am Ende als dum-mer Scherz heraus. doch in einigen Schulen wird tatsächlich feuriger Islamismus gepredigt, mussten die Inspektoren feststellen. Administration wie Schulinspektoren sind ratlos, wie sie Jugendliche überhaupt noch erreichen, geschweige denn erzie-hen können. Hoffnung auf höhere Bildung oder ei-nen sinnvollen Job können sich in Alum Rock nicht viele machen.

Islamistische Prediger im Internet tun sich mit Verheißungen leichter. Eltern hätten ja immer Angst, dass ihre Sprösslinge „auf Abwege geraten“, sagt die junge Mutter Aisha. doch heute herrsche zusätzlich die Panik, dass die Kinder den islamistischen Extremisten verfallen und als dschihadisten nach Syrien ziehen könnten: „Wir halten unsere Augen offen. denn was der IS im namen des Islam macht, hat nichts mit unserer Religion zu tun.“

Aisha hat sich dem ultrareligiösen Islam ver-schrieben. Sie trägt einen niqab, einen Gesichts-schleier, der nur ihre Augen freilässt. „Ich habe be-gonnen, mich zu verschleiern, weil ich ein Opfer bringen möchte für ein besseres leben im Paradies“, sagt die junge Frau in perfektem britischen Englisch. Sie zieht es vor, ihren nachnamen nicht zu nennen,

SCHWIERIGES TERRAINSozialdemokrat Richard Burden kämpft in seinem Bezirk gegen die Rechtspopulisten von der UKIP.

TRADITIONELLE FASSADESonia Akhtar und Ibrahim

Mohammed, zwei Muslime aus Indien und Pakistan, heiraten.

„Die verschiedenen

Kulturen leben nicht

miteinander, sondern

nebeneinander.“Rashad Ali,

Sozialarbeiter

„Ich will einfach, dass sich etwas ändert.“Sharon McIntosh,UKIP-Wählerin

Von Tessa Szyszkowitz Fotos: Alex Schlacher

ie Saddam-Hussein-Moschee ist am donnerstag vor-vergangener Woche ein Ort großer Freude. Sonia Akhtar und Ibrahim Mohammed geben einander das Ja-Wort, ihre Großfamilien sind vollzählig zur Hochzeit erschienen. die Beziehung der zwei ist kei-ne Selbstverständlichkeit; sie sind zwar beide Mus-lime, doch der Bräutigam ist indischer, die Braut pa-kistanischer Abstammung. „Mischehen sind hier bei uns ganz normal“, strahlt Anwar Sheikh, der Mana-ger der Moschee. die Brautleute sind 24 Jahre alt, Sunniten und besitzen die britische Staatsbürger-schaft.

die Saddam-Hussein-Moschee, die nach dem Sturz des irakischen diktators zwar offiziell umbe-nannt wurde, in der Gemeinde aber immer den na-men ihres ursprünglichen Sponsors beibehalten hat, steht in Aston, einem Stadtteil von Birmingham. As-ton ist bekannt für seinen Fußball-Club Aston Vil-la und für seine hohe Kriminalitätsrate.

Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritan-niens, hat in den vergangenen Jahren eine massive Veränderung seiner Bevölkerung erlebt. 2001 be-zeichneten sich noch 70 Prozent der Einheimischen als „Weiße“, 2010 waren es nur noch 57 Prozent. 2020 werden sie zwar noch die größte Bevölkerungsgrup-pe, aber nicht mehr die absolute Mehrheit in Bir-mingham stellen. Bei den Unterhauswahlen am 7. Mai sind die Fragen der Einwanderung und der In-tegration heftig umstritten. Birmingham ist eine der ethnisch vielfältigsten Städte und steht deshalb im Fokus des Wahlkampfs.

nicht alle Bewohner der Stadt nehmen davon notiz. Ibrahim wird nach der Zeremonie von allen Tanten und Kusinen fest umarmt. „Ich habe offizi-ell bei Sonias Eltern um ihre Hand angehalten“, grinst der Gatte. der junge Mann arbeitet als Wäch-ter bei einem Sicherheitsunternehmen. Sonia hält ihren blauen Brautschleier fest, der ihr ständig vom Kopf zu rutschen droht. Sie ist Kopftücher nicht ge-wohnt. Als Rezeptionistin in einem Hotel denkt sie nicht im Traum daran, sich zu verschleiern. die tra-ditionellen asiatischen Hochzeitsgewänder sind für Ibrahim und Sonia Verkleidungen und eher eine Art kultureller Hintergrund für ihr modernes leben in Birmingham.

Mekka ist ihnen fern. „Unsere Hochzeitsreise geht nach Mexiko“, sagt Ibrahim. dann ziehen sich alle Hochzeitsgäste am Eingang der Moschee ihre Schu-he wieder an und gehen feiern.

Sharon McIntosh sitzt derweil im „Wetherspoon“, einem Pub im Birminghamer Bezirk northfield, vor ihrem Bier, das in der nachmittagssonne glänzt wie flüssiges Gold. Sharon McIntosh kommt gern hier-her, denn das „Wetherspoon“ wird fast ausschließ-lich von Weißen frequentiert.

Sharon lebt seit über 20 Jahren in der Region. die pummelige Frau mit blonder Stoppelfrisur trägt ein

kleines Kreuz um den Hals. Sie arbeitet als IT-Ex-pertin in einem Kinder-Hospiz, derzeit ist sie im Krankenstand. „Stressbedingt“, sagt die 47-Jährige und nimmt wieder einen Schluck Bier. Für wen sie am 7. Mai bei den britischen Parlamentswahlen stimmen wird? „Für UKIP“, die United Kingdom In-dependence Party, eine xenophobe Anti-EU- und Anti-Immigranten-Partei. Warum? In Birmingham gebe es zu viele Fremde, sagt Sharon. „nigel Farage ist der Beste von allen“, fällt ihr Trinkpartner John lee ins Wort. der UKIP-Boss sei „der neue Winston Churchill“. Sharon ergänzt: „Ich will einfach, dass sich etwas ändert.“

Birmingham ist die zweitgrößte Stadt Großbri-tanniens. Eine Million „Brummies“, wie die Bewoh-ner genannt werden, leben hier. Ein knappes drit-tel der Einwohner sind Asiaten, ein Zehntel Afrika-ner in erster oder zweiter Generation. nur mehr die Hälfte bezeichnet sich als Christen. 20 Prozent der Birminghamer geben an, keiner Religion anzuge-hören, und etwa 25 Prozent sind Muslime.

die Bevölkerungsumwälzung hat auch die Spei-sekarten in der englischen Stadt sehr viel interes-santer gemacht: Zu Fish & Chips haben sich Kebab und Curry gesellt. doch das Aufeinandertreffen ver-schiedener Kulturen führt auch zu starken Span-nungen zwischen ethnischen und religiösen Grup-pen. „Wir sollten aufhören, von einer multikultu-rellen Gesellschaft in Birmingham zu sprechen“, fordert Rashad Ali. Er war einst radikaler Islamist, heute jedoch setzt er sich als Sozialarbeiter gegen Extremismus ein. Jahrelang arbeitete Ali als lehrer, ehe er frustriert das Handtuch warf. „die verschie-denen Kulturen leben nicht miteinander, sondern nebeneinander. die Behörden sind komplett über-fordert.“

Funktioniert die Integration nicht, eskalieren die Probleme. Etwa 500 Kämpfer für die Terror-Miliz des „Islamischen Staates“ sind von Birmingham aus in den „heiligen“ Krieg in den nahen Osten gezo-gen; rund 2000 Personen waren es aus ganz Groß-britannien. Vergangenen dienstag verhaftete die Po-lizei wieder einen 21-jährigen Möchtegern-Mud-schaheddin, Waheed Ahmed, am Flughafen von Birmingham. Sein Vater ist labour-Stadtrat in Roch- dale.

„Heutzutage ist es doppelt schwer, ein Kind als Muslim zu erziehen“, sagt die 34-jährige Hausfrau Aisha. Ihre zwei kleinen Töchter schlecken Eis. der Eissalon liegt an der Hauptstraße von Alum Rock, einem ehemals irischen Stadtteil, in dem heute vor-nehmlich Einwanderer aus Pakistan und Somalia wohnen. das Kleidergeschäft an der Ecke heißt

„Good Hijab“ und führt Schleier aller Art.Ein paar Straßen weiter ist die Parkview Academy,

der das Schulinspektorat Ofsted vorigen Herbst ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte: „die Admi-nistration tut nicht genug, um das Bewusstsein der Schüler gegenüber den Risiken des Extremismus zu stärken.“

A U S l A n d

84 profil 17 • 20. April 2015 85 20. April 2015 • profil 17

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und möchte auch nicht fotografiert wer-den. Ob sie immer verschleiert herum-geht? „na ja, als wir letzten Sommer Ur-laub am Strand gemacht haben, da habe ich den Gesichtsschleier abgenommen.“ Sie kichert unter dem schwarzen Stoff:

„Ich will ja schließlich braun werden!“ das Image der Stadt hat ziemlich gelit-

ten, manchmal zu Unrecht. Birmingham sei eine „total muslimische Stadt, in die nicht-Muslime sich nicht hineintrauen“, behauptete vergangenen Herbst Steve Emerson, ein zum Alarmismus neigender Islam-Experte im US-Fernsehsender Fox news. Ein Sperrgebiet für Ungläubige? der britische Premier david Cameron be-zeichnete Emerson zwar postwendend als

„Idioten“, und der Buchautor musste sich zerknirscht für seine abstruse Behauptung entschul-digen. Zumindest als schlechter Witz ist Emersons Sager der Stadt aber erhalten geblieben.

„Als ob wir hier nicht schon genug Probleme hät-ten“, meint Richard Burdon und läutet an der nächs-ten Tür. der Sozialdemokrat auf Wahlkampftour ist seit zwei Jahrzehnten Abgeordneter für northfield im britischen Parlament in Westminster. In seinem

Informationskrieg Ostnicht nur Russland schränkt die Presse- und Meinungsfreiheit ein – auch die Ukraine. doch die europäischen Verbündeten interessiert das nicht.

GUTE FREUNDEEU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko

Für viele Manager britischer Unternehmen erscheinen

die Wahlen zum Unterhaus am 7. Mai wie eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Bleiben die Konservativen an der Macht, muss Premier david Cameron sein Versprechen er-füllen, bis zum Jahr 2017 ein Referendum über die EU-Mit-gliedschaft des Vereinigten Kö-nigreichs abzuhalten. Gewinnt labour, gibt es keine Abstim-mung über die EU-Mitglied-schaft, aber dafür könnten hö-here Unternehmenssteuern die Folge sein.

lange galt ein „Brexit“, also ein Austritt Großbritanniens aus der EU, als unrealistisches Szenario. der londoner Think-tank Open Europe sieht die Wahrscheinlichkeit dafür der-zeit bei 17 Prozent. das Centre

for Economic Performance (CEP) an der renommierten london School of Economics hat vor einem Monat eine neue Studie mit dem von der Punk-band The Clash entlehnten Songtitel „Should we stay or should we go?“ vorgelegt. In der optimistischen Variante sinkt das britische BIP nach ei-nem EU-Austritt um 1,1 Pro-zent. Im pessimistischen Szena-rio erfolgt ein Rückgang um 3,1 Prozent, was einen jährlichen Verlust von 80 Milliarden Euro ausmacht. die negativen Effek-te könnten sich durch niedrige-re Produktivitätsraten und ge-ringere ausländische Investitio-nen leicht verdoppeln, warnt die Studie.

derzeit geht die Hälfte aller britischen Exporte in die EU. Bei einem Austritt müsste lon-

don erst mühsam neue Han- delsabkommen mit den alten EU-Partnern vereinbaren. denn anders als in norwegen oder in der Schweiz gäbe es kein Auf-fangnetz wie den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder bilaterale Verträge.

Aus diesem Grund rechnen Ökonomen schon bei einem Wahlsieg der Tories mit einem Rückgang bei ausländischen Investitionen. denn für Indust-riebetriebe auf den Inseln wä-ren Exporte in die EU nach dem Wegfall der Vorteile des Binnenmarktes durch Zölle, Quoten und Ursprungsnach-weis jedenfalls erschwert.

Viele Finanzunternehmen könnten aus der londoner City abwandern. denn Experten se-hen neue Abkommen mit der EU in diesem Sektor am

schwersten und langwierigsten zu erreichen. Zudem hätten Briten für längere Zeit keinen Zutritt mehr zum EU-Arbeits-markt.

die Vorteile eines EU-Aus-tritts erscheinen, verglichen da-mit, weit geringer: die Beitrags-zahlungen an die gemeinsame EU-Kasse würden wegfallen. die britische Regierung könnte in allen Bereichen, auch beim Zugang auf den Arbeitsmarkt, wieder eigene Regelungen ein-führen. dafür wären alle inter-nationalen Handelsabkommen der EU für Großbritannien auf einen Schlag ungültig. Britische Unternehmen müssten sich auf einen härteren Wettbewerb mit Konkurrenten aus China, Indi-en oder nord- und Südamerika einstellen.

otmar lahodynsky

Keine Spur von „splendid isolation“Ein Austritt aus der EU würde vor allem für die britische Wirtschaft viele nachteile bringen.

Wahlkreis leben Tausende ehemalige Ar-beiter der Autofabrik MG Rover, die einst Minis und Range Rovers produzierte, ehe sie vor zehn Jahren zusperrte. der Kandi-dat hat keine Zeit zu verlieren. In seinem blitzblauen Sportcabriolet fährt er durch die Straßen und wirbt um Stimmen.

„Mein Mann ist voriges Jahr an Krebs ge-storben“, sagt eine ehemalige labour-Un-terstützerin zu ihm, die Tür in der Hand:

„Ich hab genug von euch, ich wähle diesmal UKIP.“ Burdon gibt ihr einen Flyer und geht zum nächsten Haus. „Seit die Autos nicht mehr produziert werden, müssen sich die Menschen neu orientieren“, seufzt Burden.

Sein Sitz wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an UKIP fallen. dank des bri-tischen Mehrheitswahlsystems haben die kleinen Parteien kaum Chancen. doch die Kandidatin der Tory-Partei ist Burden auf den Fersen. Immerhin hat die konserva-tive Regierung es geschafft, die Ökonomie anzukurbeln. In den Umfragen liegen la-bour und Tories Kopf an Kopf.

Seit der Mini nicht mehr vom lauf-band rollt, kommen kaum gute nachrich-ten aus der Stadt. 16 Prozent der Brum-mies sind arbeitslos; ein drittel gilt als fettleibig. Aus Birmingham stammt auch die Fernsehserie „Benefit Street“, die im Winter 2014 von dem Privatsender Chan-nel 4 ausgestrahlt wurde. darin wurden die echten Bewohner der James-Turner-Street, einer der ärmsten Gegenden von Birmingham, porträtiert. Sie alle sind ar-beitslos, leben von staatlichen Zuschüs-sen, den „Benefits“. die Serie war ein gro-ßer Publikumserfolg. Hauptdarstellerin White dee alias deirdre Kelly wurde ein Talkshow-Star. labour hätte sie fast als Kandidatin gewonnen.

Für ihren Geschmack wurden die Be-wohner der Benefit-Street allerdings zu oft als Sozialschmarotzer beschimpft. White dee verbarrikadiert sich inzwischen zu Hause. nur die neuzugänge in den Sozial-wohnungen sitzen in der Frühlingssonne auf der Straße und geben bereitwillig Aus-kunft. „Ich bin vor zwei Monaten aus Ru-mänien gekommen“, erzählt Maria Florin didio. die 42-jährige Mutter zweier Kinder hat ihren Mann in der nähe von Bukarest zurückgelassen, um in Großbritannien ge-gen Mindestlohn Kartoffeln anzupflanzen. der von UKIP erwartete Massenansturm der Billigarbeiter aus Rumänien und Bul-garien ist bisher jedoch ausgeblieben. Vie-le planen wie Maria: „In zwei Monaten fahre ich wieder nach Hause.“

Manche bleiben dann doch.� n

DIE „STRASSE DER ZUSCHÜSSE“Die Rumänin Maria Didio (sitzend) arbeitet als Kartoffelpflanzerin in England.

Von Simone Brunner

Zensur, Repression, Angriff auf Grundrechte: allesamt Attribute, die in der Ukraine-Krise überwie-

gend der russischen Politik zugerech-net werden. Aber auch das pro-europä-ische Parlament in Kiew hat in den ver-gangenen Monaten einige umstrittene Gesetze verabschiedet, die grundlegen-de demokratische Rechte einschränken

– etwa das Verbot der Kommunisten und die Ernennung westukrainischer Partisanen zu nationalhelden.

Vonseiten der EU, die die Ukraine massiv unterstützt, gab es daraufhin keine Protestnoten. Auch auf pro-fil-Anfrage äußert sich das Büro von Federica Mogherini, der Hohen Vertre-terin der EU für Außen- und Sicher-heitspolitik, vorsichtig: Ob das Gesetz

– insbesondere zum Kommunismus-verbot – im Einklang mit der Mei-nungsfreiheit stehe, werde derzeit ge-prüft, so ein Sprecher. „Grundsätzlich muss jede Art eines derartigen Verbo-tes in einer demokratischen Gesell-schaft einer dringenden gesellschaft-lichen notwendigkeit entsprechen und in Verhältnis zu den legitimen Zielen stehen“, heißt es in einem schriftlichen Statement für profil. Was das genau heißen soll, blieb auch auf nachfrage offen.

die OSZE jedenfalls protestiert in-zwischen gegen manche ukrainische Maßnahmen; so etwa gehe Kiew „zu exzessiv“ gegen russische Journalisten vor, kritisierte die OSZE-Medienbeauf-tragte dunja Mijatović Ende Februar. Für Kiew ist die Sache indes klar: Seit Ausbruch der Ukraine-Krise haben russische Medien eine beispiellose Kampagne gegen die neue ukrainische Regierung gestartet. die eingeschränk-te Pressefreiheit ist für Kiew daher vor allem eines: notwehr gegen die russi-sche Propaganda.

doch legitimiert dies die Ukraine, eine ähnliche Politik zu betreiben? profil hat sich die fragwürdigsten Be-schlüsse angesehen.

Sie sind Helden das Gesetz über „das ehrenvolle Andenken an die Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine im 20. Jahr-hundert“ soll nach Un-terschrift des Präsiden-ten Petro Poroschenko in Kraft treten.Mit dem Gesetz werden nationalisten der ukrainischen Historie – wie etwa die „Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA) – posthum zu nationalhelden erklärt. das Problem: diese westukrai-nischen Milizen machten in ihrem Par-tisanenkampf gegen Sowjets und Po-len im Zweiten Weltkrieg auch mit der Wehrmacht gemeinsame Sache. Ent-sprechend geteilt ist seither das Geden-ken an sie: Während sie in der West- und Zentralukraine als Helden gelten, schimpft man sie im Osten und Süden als nazi-Kollaborateure. Mit dem Ge-setz werden nun jedoch „alle öffentli-chen Aussagen, die eine respektlose Haltung“ gegenüber diesen Kämpfern ausdrücken, unter Strafe gestellt.

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86 profil 17 • 20. April 2015 87 20. April 2015 • profil 17

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