5
S Dass Eiswolken und Schnee am Boden als chemischer Reaktor das Klima und globale Stoffkreisläufe weitreichend beeinflussen, waren in den 1990er Jahren (Boden- schnee) und 1985 (Eiswolken) sensationelle Überraschungen. 1) Bekanntestes Beispiel dank der Ver- leihung des Nobelpreises 1995 ist der Ozonabbau in den oberen pola- ren Luftschichten, für den neben Sonnenlicht und chlorhaltigen Spurengasen die reaktive Oberflä- che gefrorener Wolkenpartikel er- forderlich ist. Die ursprüngliche Vorstellung ging davon aus, dass die für die Reaktion nötigen Wol- kenpartikel tatsächlich aus gefrore- nem Wasser bestehen. Tatsächlich setzen sich diese jedoch meist aus gefrorenen Salpetersäurehydraten oder aus flüssigen Salpetersäure- Schwefelsäure-Mischungen zusam- men. Im späten Frühjahr schiebt sich die ozonarme Luft über den europäischen Kontinent. Als Folge nimmt dort kurzfristig die UV-Be- lastung zu. Schnee beeinflusst auch die Bil- dung bodennahen Ozons. 2) Boden- nahes Ozon wirkt als starkes Oxi- dationsmittel, beispielsweise von Halogenen oder ungesättigten or- ganischen Verbindungen, und ist so ein wichtiger Treiber der Atmo- sphärenchemie. Während in ver- schmutzter Luft Abgase und deren chemische Reaktionen zu vermehr- tem Ozon führen, fehlen diese in der Antarktis. Eigentlich wollten Wissenschaftler am Südpol – dem entlegensten Ort der Erde und fernab von menschlichen Einflüs- sen – saubere Luft messen, um so die Atmosphärenchemie unter un- gestörten Bedingungen zu verste- hen. Allerdings fanden sie am Süd- pol Ozonbildungsraten in boden- nahen Luftschichten, wie sie sonst nur aus verschmutzen Gebieten be- kannt sind. Ursache dafür sind un- ter anderem Stickoxidemissionen aus lichtbeschienenem Schnee. Ein weiteres Beispiel für die Chemie im Schnee am Boden sind die Emissionen von Halogenver- bindungen über schneebedeckten polaren Gebieten während des Frühlings. 3) Diese Halogene, insbe- sondere Bromverbindungen, rea- gieren mit atmosphärischen Spu- rengasen wie Ozon oder Quecksil- ber. Es resultiert ein weitläufiger und schneller Ozonabbau in bo- dennahen Luftschichten, und Quecksilber lagert sich im Oberflä- chenschnee ab. Das im Schnee an- gereicherte Quecksilber kann durch die Schneeschmelze in die Ozeane und so in die Nahrungsket- te gelangen. Schnee ist also ein wichtiges Transfermedium in glo- balen Stoffkreisläufen. Die grundlegende Atmosphären- chemie der beteiligen Bromverbin- dungen ist seit Jahrzehnten be- kannt. Unklar war lange deren ge- naue Quelle, und verschiedene Kandidaten kamen in Betracht und wurden untersucht: aus den Ozea- nen freigesetzte organische Halo- genverbindungen oder Halogenver- bindungen in Salz- und Eisparti- keln, die Stürme in die Luft gebla- sen hatten. Eine kürzlich veröffent- lichte Feldstudie zeigte dann, dass die chemische Umsetzung des Bro- mids in der Schneedecke eine wich- tige Quelle des reaktiven Broms in der Atmosphäre ist. Bromid ist ein natürlicher Bestandteil des Seesal- zes, das auch in den Schnee in Küs- tennähe eingetragen wird. 4) Die Atmosphäre im Labormaßstab S Zahlreiche Beobachtungen do- kumentieren, wie Schnee die Stoff- kreisläufe und die Atmosphären- chemie annähernd aller atmosphä- Thorsten Bartels-Rausch Etwa die Hälfte der Landfläche in der nördlichen Hemisphäre ist im Winter schneebedeckt. Immer genauer versteht die Atmosphärenforschung die weitreichende Bedeutung der chemischen Prozesse im Schnee. Im Schnee und durch den Schnee BAtmosphärenchemieV Foto: Fabien Darrouzet/imaggeo.egu.eu VV Schnee- und Eisoberflächen verändern die Atmosphärenchemie und die Stoffkreisläufe von atmosphärischen Spurengasen wie Quecksilber, Stickoxiden, Ozon oder Hydroxyl- radikalen. VV Chemische Reaktionen im Schnee sind als Quelle der Spurengasemissionen vor allem in Polargebieten von Bedeutung, da dort andere Quellen von Verunreinigungen fehlen. S QUERGELESEN Nachrichten aus der Chemie| 62 | April 2014 | www.gdch.de/nachrichten 416

Im Schnee und durch den Schnee

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Page 1: Im Schnee und durch den Schnee

S Dass Eiswolken und Schnee am Boden als chemischer Reaktor das Klima und globale Stoffkreisläufe weitreichend beeinflussen, waren in den 1990er Jahren (Boden-schnee) und 1985 (Eiswolken) sensationelle Überraschungen.1) Bekanntestes Beispiel dank der Ver-leihung des Nobelpreises 1995 ist der Ozonabbau in den oberen pola-ren Luftschichten, für den neben Sonnenlicht und chlorhaltigen Spurengasen die reaktive Oberflä-che gefrorener Wolkenpartikel er-forderlich ist. Die ursprüngliche Vorstellung ging davon aus, dass die für die Reaktion nötigen Wol-kenpartikel tatsächlich aus gefrore-nem Wasser bestehen. Tatsächlich setzen sich diese jedoch meist aus gefrorenen Salpetersäurehydraten oder aus flüssigen Salpetersäure-Schwefelsäure-Mischungen zusam-men. Im späten Frühjahr schiebt sich die ozonarme Luft über den

europäischen Kontinent. Als Folge nimmt dort kurzfristig die UV-Be-lastung zu.

Schnee beeinflusst auch die Bil-dung bodennahen Ozons.2) Boden-nahes Ozon wirkt als starkes Oxi-dationsmittel, beispielsweise von Halogenen oder ungesättigten or-ganischen Verbindungen, und ist so ein wichtiger Treiber der Atmo-sphärenchemie. Während in ver-schmutzter Luft Abgase und deren chemische Reaktionen zu vermehr-tem Ozon führen, fehlen diese in der Antarktis. Eigentlich wollten Wissenschaftler am Südpol – dem entlegensten Ort der Erde und fernab von menschlichen Einflüs-sen – saubere Luft messen, um so die Atmosphärenchemie unter un-gestörten Bedingungen zu verste-hen. Allerdings fanden sie am Süd-pol Ozonbildungsraten in boden-nahen Luftschichten, wie sie sonst nur aus verschmutzen Gebieten be-kannt sind. Ursache dafür sind un-ter anderem Stickoxidemissionen aus lichtbeschienenem Schnee.

Ein weiteres Beispiel für die Chemie im Schnee am Boden sind die Emissionen von Halogenver-bindungen über schneebedeckten polaren Gebieten während des Frühlings.3) Diese Halogene, insbe-sondere Bromverbindungen, rea-gieren mit atmosphärischen Spu-rengasen wie Ozon oder Quecksil-ber. Es resultiert ein weitläufiger

und schneller Ozonabbau in bo-dennahen Luftschichten, und Quecksilber lagert sich im Oberflä-chenschnee ab. Das im Schnee an-gereicherte Quecksilber kann durch die Schneeschmelze in die Ozeane und so in die Nahrungsket-te gelangen. Schnee ist also ein wichtiges Transfermedium in glo-balen Stoffkreisläufen.

Die grundlegende Atmosphären-chemie der beteiligen Bromverbin-dungen ist seit Jahrzehnten be-kannt. Unklar war lange deren ge-naue Quelle, und verschiedene Kandidaten kamen in Betracht und wurden untersucht: aus den Ozea-nen freigesetzte organische Halo-genverbindungen oder Halogenver-bindungen in Salz- und Eisparti-keln, die Stürme in die Luft gebla-sen hatten. Eine kürzlich veröffent-lichte Feldstudie zeigte dann, dass die chemische Umsetzung des Bro-mids in der Schneedecke eine wich-tige Quelle des reaktiven Broms in der Atmosphäre ist. Bromid ist ein natürlicher Bestandteil des Seesal-zes, das auch in den Schnee in Küs-tennähe eingetragen wird.4)

Die Atmosphäre im Labormaßstab

S Zahlreiche Beobachtungen do-kumentieren, wie Schnee die Stoff-kreisläufe und die Atmosphären-chemie annähernd aller atmosphä-

Thorsten Bartels-Rausch

Etwa die Hälfte der Landfläche in der nördlichen Hemisphäre ist im Winter schneebedeckt. Immer genauer

versteht die Atmosphärenforschung die weitreichende Bedeutung der chemischen Prozesse im Schnee.

Im Schnee und durch den Schnee

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VV Schnee- und Eisoberflächen verändern die

Atmosphärenchemie und die Stoffkreisläufe

von atmosphärischen Spurengasen wie

Quecksilber, Stickoxiden, Ozon oder Hydroxyl -

radikalen.

VV Chemische Reaktionen im Schnee sind als

Quelle der Spurengasemissionen vor allem

in Polargebieten von Bedeutung, da dort

andere Quellen von Verunreinigungen fehlen.

S QUERGELESEN

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rischen Spurengase beeinflusst. Dazu zählen Quecksilber, Stickoxi-de, Ozon und Hydroxylradikale so-wie organische leichtflüchtige Ver-bindungen, langlebige organische Verbindungen und Wasserstoffper-oxid.3,5–8) Messungen und Satelli-tenbeobachtungen belegen die glo-balen Folgen. Was zu einem besse-ren Verständnis der Beobachtun-gen in vielen Fällen noch fehlt, ist die Kenntnis der zugrundeliegen-den Mechanismen und wie diese am besten beschrieben werden sollten.8) Dies wäre essenziell, um diese wichtigen Prozesse in globa-len Klima-, Atmosphärenchemie- und Stoffkreislaufmodellen abzu-bilden. Ein besseres Verständnis der Chemie im Schnee würde eventuell auch ermöglichen, aus den im Gletschereis gemessenen Konzentrationen der Verunreini-gungen auf deren Umweltkonzen-tration in längst vergangenen Epo-chen zu schließen, so wie dies er-folgreich für weniger reaktive Spe-zies und Chemikalien möglich ist.9)

Laborstudien mit vereinfachten und gut kontrollierbaren experi-mentellen Bedingungen sind ideal, um wichtige Grundmechanismen zu identifizieren und zu beschrei-ben. Die Rolle der Laborforschung beschränkt sich dabei keineswegs nur darauf, im Feld erkannte Pro-zesse detailliert zu klären und für Modelle zu beschreiben; oft geben Resultate aus dem Labor auch wichtige Impulse für die Feldfor-schung. So wurde die gemeinsame Bedeutung von Stickoxiden und leichtflüchtigen organischen Ver-bindungen für die Ozonproduktion in der Atmosphäre im Labor ent-deckt.10)

Zentral ist es, die im Labor ver-wendeten Modellsysteme weiterzu-entwickeln und die Bedingungen in der Umwelt immer besser nach-zubilden. Derzeit liefern die Resul-tate der Laborexperimente zur Chemie im Schnee noch kein ein-heitliches Bild. Direkte Schlüsse auf Mechanismen und Prozesse im Feld bleiben so schwierig.8)

Austauschprozesse von Spurengasen

S Verteilungsgleichgewichte von atmosphärischen Spurengasen zwi-schen Luft und Eisoberflächen wer-den schon seit Jahrzehnten im La-bor untersucht. Diese Austausch-prozesse spielen eine wichtige Rol-

Abb. 1. Schneeprobe vom Fluela-Pass unter dem Polarisationsmikroskop . Gezeigt sind

fundamentale Prozesse des Stofftransports durch porösen Schnee.

. (Fabienne Riche, Martin Schneebeli, SLF Davos)

le im Transport von Spurengasen aus dem Schnee in die Atmosphäre und umgekehrt. Neben den Halo-genen und Stickoxiden werden auch leichtflüchtige organische Verbindungen untersucht, da diese die Oxidationskapazität der Luft beeinflussen. Die Quelle dieser or-ganischen Verbindungen sind pho-

417Atmosphärenchemie BMagazinV

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tolytische Prozesse im arktischen Schnee oder biologische Prozesse im unter dem Schnee liegenden Erdreich sowie der Eintrag aus ver-unreinigter Luft.

Am Beginn dieser Studien stand das Ziel, die Entstehung des Ozon-lochs zu erforschen. Die experi-mentellen Aufbauten im Labor wurden optimiert, um Eiskristalle in Wolken abzubilden – sowohl bei der Temperatur als auch bei der Be-schaffenheit der Eisproben. Mittler-weile sind die Verteilungsgleichge-wichte zwischen Eis und Luft für eine Reihe von Substanzen bei niedrigen, umweltrelevanten Kon-zentrationen und Temperaturen

zwischen 250 und 190 K unter-sucht.11) Für die Mehrheit der un-tersuchten Substanzen lässt sich die Verteilung als reversible Oberflä-chenadsorption beschreiben. Die Menge der adsorbierten Spurengase steigt mit der Gasphasenkonzentra-tion und mit fallender Temperatur. Erst bei sehr hohen Gasphasenkon-zentrationen – irrelevant für die Umweltforschung – nähert sich die Adsorption der Sättigung. Folglich dient meist das aus der Katalysefor-schung bekannte Langmuir-Ad-sorptionsmodell zur Beschreibung.

Ob die so gewonnenen thermo-dynamischen Größen und Gleich-gewichtskonstanten auch die Ver-teilung in Schnee beschreiben, der oft wärmer ist, ist offen.8) Auch ist vor allem älterer Schnee kompakt, die einzelnen Schneekristalle be-rühren sich. Untersuchungen von Eisbohrkernen zeigen, dass sich an diesen Berührungsflächen – auch Korngrenzen genannt – mitunter Verunreinigungen sammeln. Noch ist unklar, ob Spurengase an diesen Korngrenzen besser adsorbieren oder entlang dieser ins Innere des Schneekristalls diffundieren.

Die meisten Untersuchungen verwenden mikrometerdicke Eisfil-me. Die Zahl ihrer Korngrenzen ist unbekannt, und somit ist fraglich, ob sie die Verhältnisse im Schnee ausreichend widerspiegeln. In ei-ner kürzlich erschienen Studie lös-ten wir dieses Problem in Zusam-menarbeit mit Kollegen in Da-vos.12) Der Ansatz der Studien be-stand darin, den Transport der Spu-

rengase durch natürlichen und künstlichen Schnee zu beobachten. Der künstliche Schnee enthielt et-wa siebenmal mehr Korngrenzen als natürlicher, zeigte aber ähnliche Transporteigenschaften für die leichtflüchtigen organischen Ver-bindungen Aceton und Methanol. Demnach beeinflussen Korngren-zen den Transport dieser Chemika-lien auf Zeitskalen wie in der Natur und mit umweltrelevanten Tempe-raturen und Konzentrationen nicht. Stattdessen dominieren Ad-sorptionsprozesse an der Oberflä-che die Verteilung.

Photoreaktionen im Schnee

S Chemische Reaktionen im Schnee sind als Quelle der Spuren-gasemissionen vor allem in Polar-gebieten von Bedeutung, da dort Abgase und andere Quellen von Verunreinigungen fehlen. Das Erd-reich beispielsweise ist wegen der Dicke der darüber liegenden Eis- und Schneedecke als Quelle ver-nachlässigbar. So werden für die zentralen Spurengase der Atmo-sphärenchemie – Halogenverbin-dungen, Stickoxide und Quecksil-ber – lichtgetriebene Reaktionen im Schnee als Quelle untersucht.2) Dass diese photolytischen Reaktio-nen dort besonders effizient laufen und somit im Fokus der Forschung stehen, hat mehrere Gründe. Die hohe Reflexion des Lichts an den Schneekristallen verstärkt die Strahlung im porösen Oberflächen-schnee. So wird die generell schwä-

no OC BPh BPh/Br− BPh/Cl− BPh/sea BPh/air

0

10

20

30

40

50

60

70

Hg(

0)(3

0 m

in) /

Hg(

II)(0

min

) [%

]

Abb. 3. Modellsubstanzen für gefrorene Lösungen aus organischen Bodenbestandteilen (Benzophenon, BPh) und divalentem Quecksilber sind photochemisch

aktiver (erkennbar an der Bildung von Hg0) als gefrorene Lösungen, die nur HgII enthalten (no OC). Zusätzliche anorganische Schneeverunreinigungen

(Bromid Br–, Chlorid Cl–; Seesalz, sea) oder Sauerstoff in der Gasphase (air) beeinflussen die Reaktionsrate im Eis stark.

Abb. 2. Beobachtete Bildungsrate von HONO in Abhängigkeit von

der Konzentration an organischen Bodenbestandteilen (Humin-

säure). Die Reaktionsrate steigt linear mit der Konzentration an

organischem Absorber (blaue Kreise).14)

(Rotes Dreieck: Rate an reinen Huminsäurefilmen;

grünes Viereck: Rate an reinen Huminsäureaerosolen.)

Huminsäure

in M

olek

ülen

418 BMagazinV Atmosphärenchemie

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chere Sonneneinstrahlung wegen des flachen Sonnenstands in hohen Breiten zumindest teilweise kom-pensiert. Zudem werden die für chemische Reaktionen besonders wichtigen UV-Strahlen in Zeiten mit ausgedehntem Ozonloch weni-ger stark gefiltert und treffen ver-mehrt die Erde. Letztlich sorgen auch die langen polaren Tage – im Sommer 24 Stunden – dafür, dass ständig photochemische Prozesse ablaufen.

Nitrat ist eine weit verbreitete Verunreinigung im Schnee. Bereits sehr frühe Studien zeigten, dass dessen Photolyse im Schnee gasför-mige Stickoxide erzeugt. Dies deu-ten auch Experimente an, denen zufolge die Temperatur- und Wel-lenlängenabhängigkeit derjenigen der Nitratphotolyse in Wasser äh-nelt. Dort wurden zwei Reaktions-pfade identifiziert:

NO3– + hv → NO2 + O–

NO3– + hv → NO2– + O(3P)Die Ausbeute dieser beiden Pfade ist gering, nur etwa ein Prozent der absorbierten Photonen führt zu Produkten, wobei Pfad 1 mit NO2 als Produkt deutlich überwiegt. Das Nitrit kann nun entweder zu NO photolysieren oder nach einer Pro-tonierung als HONO in die Luft entweichen. Die genaue Entstehung des HONO, das nach Photolyse in der Gasphase ebenfalls Hydroxid -radikale bildet, ist derzeit unklar.

Die Photolyse des Nitrats allein scheint die gemessenen Konzentra-tionen nicht zu erklären.

Ein möglicher Reaktionsweg ist die photolytische Reduktion von NO2 durch organische Lichtabsor-ber.13) Diese Reaktion ist aus Ober-flächengewässern bekannt. Sie funktioniert auch effizient an der Oberfläche von organischen Fein-staubpartikeln mit Sonnenlicht im sichtbaren Bereich. Doch die Reak-tion läuft auch bei tiefen Tempera-turen ab, selbst wenn die Reakti-onspartner in die Schneekristalle eingebunden sind.14,15)

Im Zentrum steht dabei die Fra-ge, ob sich die Reaktionspartner auch im Eis effizient treffen kön-nen. Abbildung 2 zeigt die Bil-dungsrate von HONO in Abhängig-keit von der Konzentration an or-ganischen Bodenbestandteilen, die omnipräsente Absorber sind. Die Reaktionsrate steigt linear mit der Konzentration an organischem Ab-sorber (blaue Kreise), und die Ex-trapolation zu höheren Konzentra-tionen stimmt gut mit früheren Re-sultaten an rein organischen Fil-men und Feinstaubpartikeln über-ein. Im intermediären Konzentrati-onsbereich ist die Reaktivität nied-riger (blaue Punkte). Dies könnte daran liegen, dass sich während des Gefrierens der wässrigen Lösun-gen der organischen Absorber Ag-glomerate bildeten, die dann weni-

S Schnee und das Klimasystem der Erde

Eine weiße Schneedecke gehört für

uns zum Winter, und deren weit

gehendes Ausbleiben, wie im Win-

ter 2013/14, wird schnell mit der

globalen Klimaerwärmung ver-

knüpft. Tatsächlich bietet die lang-

fristige Beobachtung des Schnee-

reichtums einen recht zuverlässi-

gen Indikator für den Klimawan-

del. Zudem ist die Schneedecke ein

signifikanter Treiber im globalen

Strahlungshaushalt und damit für

das Klimasystem. Frischer Schnee

und Eiswolken reflektieren das ein-

fallende Sonnenlicht besonders ef-

fizient und reduzieren so den wär-

menden Einfluss. Meereis und

Schnee isolieren außerdem die da-

runter liegenden Ozeane oder Bo-

denschichten thermisch. Poröser

Schnee kann etwa Bodenschichten

vor kalter Luft abschirmen und so

verhindern, das biologisch aktive

Schichten gefrieren. Bei bereits kal-

ten Böden verhindert Schnee ein

schnelles Tauen durch Strahlung

und warme Luftschichten. Wie der

Schnee wirkt, hängt somit von

dem Zeitpunkt, der Dicke und der

Dauer der Schneebedeckung ab.

419Atmosphärenchemie BMagazinV

Nachrichten aus der Chemie| 62 | April 2014 | www.gdch.de/nachrichten

Page 5: Im Schnee und durch den Schnee

ger effizient mit dem NO2 in der Gasphase reagieren. Diese Ergeb-nisse verdeutlichen, wie wichtig es ist, nicht nur die genaue Zusam-mensetzung des Schnees zu ken-nen, sondern auch die Art, wie dieser die Verunreinigungen spei-chert.8,16)

Die genaue Zusammensetzung des Schnees variiert stark und ist eine komplexe Funktion der Schneeentstehung, der Zusammen-setzung der Wolke und der umge-benden Luftmassen während des Schneefalls. Veränderungen nach der Deposition am Boden spielen ebenfalls eine Rolle. Am Beispiel des Quecksilbers untersuchten wir kürzlich, wie die Zusammenset-zung des Schnees die Reaktivität beeinflusst.17) Elementares Queck-silber ist leicht flüchtig und verteilt sich global über die Atmosphäre. Durch photolytische Reaktionen mit Halogenen, wie etwa die vom Schnee freigesetzten, kann das ele-mentare Quecksilber in der Luft chemisch oxidiert werden. Dieses oxidierte Quecksilber ist weniger flüchtig und gelangt daher in den Schnee. Dort würde es sich über den Winter ansammeln, wenn es chemisch inert wäre. Quecksilber-salze werden jedoch photolytisch wieder zu flüchtigem elementaren Quecksilber reduziert.18) Dieser Anteil des Quecksilbers gelangt vor der Schneeschmelze im Frühling vom Schnee wieder an die Atmo-sphäre und wird somit weder in das aquatische Ökosystem eingetragen, noch gelangt er unmittelbar in die Nahrungskette.

Die Studie zeigte zweierlei:17) Gefrorene Lösungen von Modell-substanzen für organische Boden-bestandteile und divalentes Queck-silber sind photochemisch aktiver als gefrorene Lösungen, die nur Quecksilber enthielten (Abbildung 3, S. 418). Aus der Feinstaub- und Aerosolforschung sowie der Ge-wässerforschung ist bekannt, dass diese organischen Bodenbestand-teile als Photosensibilisatoren wir-ken; eine ähnliche Steigerung der Photoreaktivität findet auch in ge-frorenen Proben statt. Zudem

hemmt die Anwesenheit von Chlo-rid, typisch für Schnee in Küsten-nähe, die Photochemie des Queck-silbers. Dies könnte erklären, wa-rum Feldstudien höhere Quecksil-berkonzentrationen im Schnee ent-lang der Küste finden als abseits der Küste.

Ausblick

S Die Erforschung des Schnees als Teil des Ökosystems der Erde ist ein relativ junger Zweig der Atmo-sphärenforschung. Die Herausfor-derungen sind dabei um einiges größer als noch zu Beginn der At-mosphärenforschung, als sich die Wissenschaft auf Prozesse in der Gasphase fokussierte. Die hetero-genen Reaktionen im Schnee sind komplexer, da verschiedene Pha-sen und Stoffe involviert sind.

Ein künftiger Schwerpunkte könnte die Untersuchung der Ver-teilungsgleichgewichte während der dynamischen Alterung des Bo-denschnees sein. Die Bedeutung dieser strukturellen Umwandlung ist in der Lawinenforschung bes-tens bekannt und geht einher mit großen Umlagerungen von Eismas-se im Schnee. Ob diese Wasser-dampfflüsse dazu führen, dass Spu-rengasse in wachsenden Schnee-kristallen begraben werden, ist der-zeit nicht klar.

Weiter wären mehr Untersu-chungen auf längeren Zeitskalen wünschenswert. Vor allem die langsame Diffusion entlang von Korngrenzen könnte zu einer zu-sätzlichen Aufnahme von Spuren-gasen zu der reinen Oberflächenad-sorption führen. Doch ob Korn-grenzen eine langanhaltende Auf-nahme der Umweltstoffe erklären können, ist noch wenig erforscht.

Neben diesen Prozessstudien ist auch ein molekulares Verständnis der Schnee-Eis-Spurengas-Wechsel-wirkung wichtig. Erste spektrosko-pische Untersuchungen an Synchro-tronanlagen gab es bereits. Mit die-sen lassen sich Wasserstoffbrücken-bindungen der adsorbierten Mole-küle mit dem Eis und der obersten Eisschicht beobachten. Solche Stu-

dien sind auch außerhalb der Um-weltwissenschaften von Bedeutung, etwa in der Astrophysik oder in den Materialwissenschaften.19)

Literatur und Anmerkungen

1) F. Domine, P. B. Shepson, Science 2002,

297, 1506–1510.

2) A. M. Grannas et al., Atmos. Chem. Phys.

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3) J. P. D. Abbatt et al., Atmos. Chem. Phys.

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4) K. A. Pratt, Nat. Geosci. 2013, 6,

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5) V. F. McNeill et al., Atmos. Chem. Phys.

2012, 12, 9653–9678.

6) R. Sander, J. Bottenheim, Earth Syst. Sci.

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7) A. M. Grannas et al., Atmos. Chem. Phys.

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8) T. Bartels-Rausch et al., Atmos. Chem.

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9) A. Eichler et al., Environ. Sci. Technol.

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10) J. P. D. Abbatt et al., Atmos. Environ.

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11) J. N. Crowley et al., Atmos. Chem. Phys.

2010, 10, 9059–9223.

12) T. Bartels-Rausch et al., Atmos. Chem.

Phys. 2013, 13, 6727–6739.

13) K. Stemmler et al., Nature 2006, 440,

195–198.

14) T. Bartels-Rausch, Atmos. Environ. 2010,

44, 5443–5450.

15) V. F. McNeill et al., Atmos. Chem. Phys.

2012, 12, 9653–9678.

16) F. Domine et al., J. Phys. Chem. A 2013,

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17) T. Bartels-Rausch et al., Chemosphere

2011, 82, 199–203.

18) J. D. Lalonde, A. J. Poulain, M. Amyot,

Environ. Sci. Technol. 2002, 36, 174–178.

19) T. Bartels-Rausch et al., Rev. Mod. Phys.

2012, 84, 885–944.

Der Autor dankt dem Schweizerischen

Nationalfonds für die großzügige und

langjährige Unterstützung.

Thorsten Bartels-Rausch,

Jahrgang 1974, studierte

Chemie in Würzburg, Trond-

heim und an der ETH Zürich.

Er promovierte im Jahr 2003

mit einer am Paul-Scherrer-

Institut (PSI) durchgeführten Arbeit an der Uni-

versität Bern. Nach einem Postdoc aufenthalt an

der Universität Toronto kehrte er 2006 als Wis-

senschaftler zurück ans PSI. Sein Forschungsin-

teresse liegt in der Untersuchung der Wechsel-

wirkung und der Chemie von Verunreinigungen

im Schnee und Eis in Laborexperimenten. Dabei

interessieren sowohl die molekularen Grundla-

gen wie auch die Weiterentwicklung der Labor-

experimente, um die Bedingungen in der Um-

welt noch besser nachzubilden.

[email protected]

420 BMagazinV Atmosphärenchemie

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