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Ich glaube der Herbst ist die schönste Jahreszeit. Nein? Sie meinen, der Sommer sei es. Wegen der Hitze, Mal- lorca usw. Na gut. Jedem das seine. Ich mag es etwas kühler. Ich liebe es wenn morgens die Nebel aufsteigen, wenn man von Hatzenport nach Münstermaifeld fahren kann, dicht umgeben vom Nebel, der erst ein wenig aufreißt, wenn man auf die Höhe Richtung Metternich kommt. Und in der Senke vor dem kleinen Ort mit den vielen Bauernhö- fen und den wunderbaren Innenhöfen dann wieder Ne- bel. Und ich frage mich, ob es der neue Tag noch zulässt, dass man etwas sehen kann. Ich liebe es wenn ich aus meinem kleinen Büro heraus auf die Weinberge sehen kann und Thomas Ibald mit sei- ner ganzen Familie bestaunen darf, wie er die Trauben erntet. Thomas ist ein toller Weinkenner, ein Heimat- dichter zudem und Winzer aus Leidenschaft. Übrigens arbeiten die Hatzenporter auch ganz eng mit dem Bern- hardshof in Mayen zusammen bei der Bestellung eines Weinberges. Jedenfalls schafft Thomas diesen Weinberg auf dem Hatzenporter Dolling an einem Tag. Es ist ein Samstag und es ist Knochenarbeit. Die Steilhänge ver- langen allen alles ab. Winzer Ibald erntet und ich erkenne, dass er auch den Behälter tragen muss, in den die Traubenleser ihre vollen Eimer kippen. Beschof nennt man in Hatzenport dieses Gerät. Einige Orte weiter, etwa in Lehmen, kann der Name schon ein anderer sein. Den Beschof jedenfalls trägt Win- zer Ibald dann zu dem etwa 30 Meter entfernt stehenden Traktor mit Wagen. Darauf der Riesenbe- hälter, in den dieTrauben kommen. So geht es seit Jahrhunderten, bei den Ibalds, den Gietzens und wie sie auch immer heißen. Gegen Mittag werde ich auf die Winzerfamilie neidisch. Es gibt Mittagessen im Weinberg. Und dazu noch Sonne. Mir läuft eini- ge hundert Meter entfernt das Wasser im Mund zusammen. Was mag es wohl geben? Wenn ich früher bei meinem Schwiegervater mit zur Wein- lese ging, gab es meistens Gulasch. Mit Wirsing und Kartoffeln. Beides habe ich zusammen gematscht. Es war herrlich. So ein Essen kann man nicht bestellen, es ist nicht zu bezahlen, das gibt es nur im Weinberg. Dazu der Duft frisch geernteter Trauben, die Süße, die in der Luft hängt, die klebrigen Hände und wenn es regnet die verdreckten Hosen, weil man im Weinberg ständig ausrutscht und fällt. Aber man fällt schön. Das ist mein Herbst, so wie ich ihn liebe. Mit Regen und danach dem klaren Blick in eine grüne Natur, die sich im- mer mehr einfärbt, die von Tag zu Tag bunter wird. Bis alle Blätter herunterfallen und Platz machen für neue. Im nächsten Jahr. Immer noch Lust auf Sommer? Oder doch auf ewigen Herbst. Foto: Uhrmacher IM SPIEGEL DER WOCHE von Hans-Peter Schössler Lust auf ewigen Herbst

IM SPIEGEL DER WOCHE · 2015. 7. 1. · IM SPIEGEL DER WOCHE von Hans-Peter Schössler Lust auf ewigen Herbst. Created Date: 10/31/2014 11:16:26 AM

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  • Ich glaube der Herbst ist die schönste Jahreszeit. Nein?

    Sie meinen, der Sommer sei es. Wegen derHitze, Mal-

    lorca usw.Na gut. Jedem das seine. Ich mag es etwas

    kühler. Ich

    liebe es wenn morgens die Nebel aufsteigen, wenn man

    von Hatzenport nach Münstermaifeld fahrenkann, dicht

    umgeben vom Nebel, der erst ein wenig aufreißt, wenn

    man auf die Höhe Richtung Metternich kommt. Und in

    der Senke vor dem kleinen Ort mit den vielenBauernhö-

    fen und den wunderbaren Innenhöfen dannwieder Ne-

    bel. Und ich frage mich, ob es der neue Tag noch zulässt,

    dass man etwas sehen kann.

    Ich liebe es wenn ich aus meinem kleinen Büro heraus

    auf die Weinberge sehen kann und Thomas Ibald mit sei-

    ner ganzen Familie bestaunen darf, wie erdie Trauben

    erntet. Thomas ist ein toller Weinkenner, ein Heimat-

    dichter zudem und Winzer aus Leidenschaft. Übrigens

    arbeiten die Hatzenporter auch ganz eng mit dem Bern-

    hardshof in Mayen zusammen bei der Bestellung eines

    Weinberges. Jedenfalls schafft Thomas diesen Weinberg

    auf dem Hatzenporter Dolling an einem Tag. Es ist ein

    Samstag und es ist Knochenarbeit. Die Steilhänge ver-

    langen allen alles ab. Winzer Ibald

    erntet und ich erkenne, dass er

    auch den Behälter tragen muss,

    in den die Traubenleser ihre vollen

    Eimer kippen. Beschof nennt man

    in Hatzenport dieses Gerät. Einige

    Orte weiter, etwa in Lehmen, kann

    der Name schon ein anderer sein.

    Den Beschof jedenfalls trägt Win-

    zer Ibald dann zu dem etwa 30

    Meter entfernt stehenden Traktor

    mit Wagen. Darauf der Riesenbe-

    hälter, in den die Trauben kommen.

    So geht es seit Jahrhunderten, bei

    den Ibalds, den Gietzens und wie

    sie auch immer heißen.Gegen Mittag werde ich auf die

    Winzerfamilie neidisch. Es gibt

    Mittagessen im Weinberg. Und

    dazu noch Sonne. Mir läuft eini-

    ge hundert Meter entfernt das

    Wasser im Mund zusammen.

    Was mag es wohl geben?

    Wenn ich früher bei meinem

    Schwiegervater mit zur Wein-

    lese ging, gab es meistens Gulasch.

    Mit Wirsing und Kartoffeln. Beides habe ichzusammen

    gematscht. Es war herrlich. So ein Essen kann man nicht

    bestellen, es ist nicht zu bezahlen, das gibt es nur im

    Weinberg. Dazu der Duft frisch geernteter Trauben, die

    Süße, die in der Luft hängt, die klebrigen Hände und wenn

    es regnet die verdreckten Hosen, weil man imWeinberg

    ständig ausrutscht und fällt. Aber man fällt schön.

    Das ist mein Herbst, so wie ich ihn liebe. MitRegen und

    danach dem klaren Blick in eine grüne Natur,die sich im-

    mer mehr einfärbt, die von Tag zu Tag bunter wird. Bis

    alle Blätter herunterfallen und Platz machenfür neue. Im

    nächsten Jahr.Immer noch Lust auf Sommer? Oder doch

    auf ewigen

    Herbst. Foto:Uhrmacher

    Samstag und es ist Knochenarbeit. Die Steilhänge ver- Herbst.

    Foto: Uhrmacher

    lese ging, gab es meistens Gulasch.

    Mit Wirsing und Kartoffeln. Beides habe ich zusammen

    Mittagessen im Weinberg. Und

    IM SPIEGEL DER WOCHEvon Hans-Peter SchösslerLust auf ewigen Herbst