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1 PORTA-STUDIE 14 Edith Gutsche, Peter C. Hägele und Hermann Hafner (Hrsg.) Im Vorfeld wissenschaftlicher Theorien Am Beispiel Albert Einsteins Akademiker-SMD

Im Vorfeld wissenschaftlicher Theorien - smd.org · Inhalt Seite Vorwort 1 HERMANN HAFNER Zur Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivationen für die Wissenschaft. Eine Einführung

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PORTA-STUDIE 14

Edith Gutsche, Peter C. Hägele

und Hermann Hafner (Hrsg.)

Im Vorfeld

wissenschaftlicher

Theorien

Am Beispie l A lbert

E inste ins

Akademiker-SMD

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Herausgeber der Reihe PORTA-STUDIEN:

SMD – Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und Beruf

Unveränderte Ausgabe zum Download unter Creative Commons CC BY-NC-ND 3.0 DE, 2019

3. Auflage 1991 – Nachdruck

© Studentenmission in Deutschland (SMD) 1986.

Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der SMD,

Postfach 20 05 54, 35017 Marburg

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Inhalt

Seite

Vorwort 1

HERMANN HAFNER

Zur Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivationen für die Wissenschaft. Eine Einführung in die Thematik 2

PETER C. HÄGELE / EDITH GUTSCHE

Zur speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins 13

EDITH GUTSCHE

Zur Theorienbildung bei Einstein 41

REINHARD SCHINZER

Über den Beitrag des Glaubens zur Naturwissenschaft. Predigt 65

HERMANN HAFNER

Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung. Einige Gesichtspunkte 69

Literaturhinweise 76

Zu den Autoren:

Edith Gutsche, Dipl.-Phys., ist Studienrätin für Mathematik und Physik in Kassel.

Dr. rer. nat. Peter C. Hägele ist Professor der Physik an der Universität Ulm.

Pfr. Hermann Hafner, Marburg, arbeitet an den Fragen der Beziehung zwischen christlichem Glauben und wissenschaftlichem Denken.

Dr. theol. Reinhard Schinzer ist Gemeindepfarrer in Kassel.

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Vorwort

Die FACHGRUPPE NATURWISSENSCHAFTEN der Akademiker-SMD veranstaltete vom 1.

- 3. März 1985 im Schloß Höhnscheid bei Arolsen eine Tagung unter dem Thema:

Vorwissenschaftliche Motivation der Naturwissenschaftler – Wie fördern, hemmen und verändern Leitlinien oder Paradigmen

die wissenschaftliche Arbeit und ihre Ergebnisse? - Am Beispiel Albert Einsteins -

Die Vorträge dieser Tagung legen wir hier in überarbeiteter Fassung vor.

Die Thematik erwuchs aus dem Nachdenken über erkenntnistheoretische Grundfragen

wissenschaftlichen Arbeitens. Wer sich mit den Grundlagen und Konsequenzen

wissenschaftlichen Denkens auseinandersetzt, wird sich immer wieder zu einer

objektiven erkenntnistheoretischen Rechenschaft über seine Überzeugungen genötigt

sehen; das entspricht dem Anspruch der Wissenschaft, wohlbegründete, d.h. objektiv

gesicherte und nicht von der Subjektivität des menschlichen Gedankenflusses

abhängige Erkenntnis darzubieten. Was aber geschieht hinter dieser Kulisse der

Objektivität? Wissenschaft wird von Menschen gemacht, deren Denken mit den

Strömungen ihrer Zeit und mit persönlichen Erfahrungen und Neigungen verflochten

ist. Woher nehmen die Wissenschaftler die Gedanken, aus denen sie ihre

wissenschaftlichen Theorien formen? Steht die wissenschaftliche Erkenntnis bei allem

Streben nach objektiver Sicherung nicht doch unter der Wirkung vor- und

außerwissenschaftlicher Einflüsse, die zwar durch die Disziplin des wissenschaftlichen

Vorgehens gezügelt werden, aber dennoch uneinholbar steuernde, prägende und

gestaltende Kraft auf das wissenschaftliche Denken ausüben?

Im Einzelnen ergeben sich u. a. folgende Fragen:

- Wie entsteht eigentlich eine wissenschaftliche Theorie?

- Wie sind Entstehungsgeschichte einer Theorie und wissenschaftliche Bemühung

um objektiv gesicherte Erkenntnis einander zugeordnet?

- Was ergibt sich daraus für das Verständnis von Wissenschaft und für die

Beziehungen zwischen Wissenschaft, Glaube und Erfahrungswelt?

Solchen Fragen suchten wir am Beispiel Albert Einsteins nachzugehen. Dabei konnten

wir nur einzelne Aspekte anreißen und erste Schneisen schlagen. Wir legen diese

Materialien in der Hoffnung vor, dass unsere Beobachtungen und Überlegungen

andere zur Mit- und Weiterarbeit anregen und auch darüber hinaus Anstöße zur

Weiterführung eigener Gedanken bieten.

Edith Gutsche, Hermann Hafner

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Hermann Hafner

Zur Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

Eine Einführung in die Thematik

„Vorwissenschaftliche Motivation der Naturwissenschaftler“ haben wir als

Thema auf die Einladung geschrieben. Der Untertitel präzisiert: „Wie fördern,

hemmen und verändern Leitlinien oder Paradigmen die wissenschaftliche

Arbeit und ihre Ergebnisse?“

Es soll also nicht darum gehen, aus welchen emotionalen Gründen

Naturwissenschaftler sich ihrer Wissenschaft zugewendet haben und ob der

eine durch einen eindrucksvollen Lehrer zur Chemie und der andere durch ein

zündendes Sachbuch zur Physik oder zur Astronomie hingezogen wurde.

Vielmehr richtet sich unsere Frage nach der Motivation darauf, ob es

angebbare inhaltliche Gestimmtheiten gibt, die als Vorgaben das Bewusstsein

des Wissenschaftlers formen und ihn bei der Erstellung und Gestaltung seiner

Theorien bewusst oder unbewusst leiten und bestimmen. Es ist also die Frage,

wieweit vorwissenschaftliche Bewusstseinsinhalte bei der Bildung oder

Bewertung wissenschaftlicher Theorien bestimmend mitwirken und so auch

Einfluss auf den Gang der Entwicklung einer Wissenschaft nehmen; und zwar

nicht nur auf das Tempo des Fortschritts („fördern oder hemmen“), sondern

auch auf die Fragerichtung, die Gestalt und vielleicht gar den Inhalt der

wissenschaftlichen Erkenntnis („verändern“).

Wie soll man sich das vorstellen? Schiebt dem nicht die Objektivität

naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Verfahren einen wirksamen Riegel vor,

so dass die wissenschaftlichen Sätze entweder richtig oder falsch sind, aber doch

jedenfalls kein Wachs, das den unkontrollierten Launen vorwissenschaftlicher

Gestaltungskräfte ausgesetzt wäre?!

Beginnen wir unsere Überlegungen bei der geläufigsten Weise, die Grundstruktur

wissenschaftlicher Arbeit und Erkenntnis zu betrachten (das populäre Bild von der

rein empirischen und streng induktiv vorgehenden Wissenschaft übergehe ich hier,

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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weil es offenkundig falsch bzw. mit der Forderung streng rational kontrollierter

Vorgehensweise unverträglich ist): bei der Betrachtungsweise, die der logische

Empirismus ausgearbeitet (jedoch nicht selbst erfunden) hat. Danach enthält die

wissenschaftliche Erkenntnis im Wesentlichen zweierlei Bestandteile: 1) eine Reihe

empirischer Elemente, die Beobachtungsdaten, und 2) eine rationale Verknüpfungs-

struktur, durch die diese Daten systematisch miteinander verknüpft werden. So

betrachtet, scheint in der Wissenschaft zunächst wenig Raum zu sein für substantiell

verändernde Einflüsse von außen. Die rationalen bzw. mathematischen

Verknüpfungsstrukturen müssen ja so gewählt werden, dass aus ihnen die unter den

jeweils gewählten Bedingungen tatsächlich eintretenden Daten eindeutig abgeleitet

werden können. Das mag durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Formeln und

Theorien erreichbar sein – jede Theorie aber, die dieses Postulat wirklich erfüllt, sagt

unter diesem Blickwinkel nichts anderes aus als alle anderen Theorien, die dieses

Postulat ebenfalls erfüllen. Die internen theoretischen Strukturen einer Theorie

sagen nach dieser Betrachtungsweise nichts über die Natur aus, sondern sie stellen

lediglich einen Rechenweg dar, der von einigen vorgegebenen Daten mit einer dem

Bestätigungsgrad der Theorie entsprechenden Sicherheit zur Voraussage einiger zu

erwartender Daten führt. Und insoweit (1) ist eine wissenschaftliche Theorie

objektiv, sicher und frei von allen subjektiven Einflüssen.

Der Naturwissenschaftler aber will mit seinen Theorien in der Regel doch etwas über

die Natur sagen; mit seinen Messgrößen verbindet er normalerweise nicht nur

mathematische Gedanken, die ihm sagen, an welcher Stelle er ihre Werte in welche

Formeln einsetzen darf, und messtechnische Gedanken, die ihm sagen, durch

welche Verfahren er zu den ihr zuzuordnenden Werten kommt, sondern auch z.B.

physikalische Gedanken, die ihm irgendeine, wenn auch noch so abstrakte

Vorstellung vermitteln, worum es sich der Sache nach handelt. Und entsprechend

steht ihm normalerweise die Theorie und ihre mathematische Formel nicht nur für

einen Rechenweg, sondern für einen „Naturzusammenhang“ zwischen den

Messgrößen; denn die funktionalen Abhängigkeiten in der mathematischen Formel

beziehen sich ja auf vorhersagbare und experimentell reproduzierbare, „reale“

Abhängigkeiten einer realen Größe von einer anderen. Insofern verbindet der

Naturwissenschaftler mit seiner Theorie sehr wohl den Gedanken an reale

Naturzusammenhänge und nicht nur den Gedanken an isolierte Daten in einem

nichtssagenden mathematischen Zusammenhang. Am notwendigsten werden

solche Vorstellungen und Gedanken über reale Zusammenhänge gerade da, wo eine

neue Theorie formuliert werden soll – schon allein durch die Frage, welcherlei Daten

und Messgrößen für das betreffende Problem relevant sein könnten. Die

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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Notwendigkeit, mit den mathematischen Formeln Gedanken über die wirklichen

Zusammenhänge zu verknüpfen, betrifft also gerade nicht nur den wissenschaft-

lichen Tross, der zu dumm wäre, sich ohne solche Vorstellungskrücken zu behelfen,

sondern sie betrifft am grundlegendsten die führenden Geister an der Spitze der

Forschung.

Solche Gedanken, die der Naturwissenschaftler „sich dabei macht“, scheinen also

nicht bloß eine private Träumerei zu sein, durch die er sein Vorgehen und seine

Ergebnisse für sich persönlich deutet, sondern sie scheinen auch gute Chancen zu

haben, Einfluss auf die Gestalt und den Inhalt der werdenden Theorien zu nehmen.

So ergeben sich einige Fragen:

- Zunächst die Frage, ob, wie und inwieweit ein solcher Einfluss tatsächlich

nachgewiesen werden kann. Die Frage soll hier offen bleiben.

- Weiter die Frage, ob der Einfluss solcher Vorstellungen nur den mehr oder

weniger zufälligen Entstehungszusammenhang einer Theorie betrifft (wie z.B.

Kekulés Tagtraum zur Strukturformel des Benzols führte) und dann durch die

wissenschaftlichen Begründungsforderungen nachträglich restlos neutralisiert

wird, oder ob dieser Einfluss sachlich konstitutiv für die entstehenden Theorien

ist und somit unüberholbar den Entwicklungsgang einer Wissenschaft

bestimmt. Auch diese Frage soll hier nur mit auf den Weg gegeben, aber nicht

beantwortet werden.

- Schließlich die Frage, die der Sache nach eigentlich die erste ist: Wodurch

werden die grundlegenden Vorstellungen der Naturwissenschaftler von ihrem

Fachgebiet geprägt und bestimmt? Und wodurch die steuernden Vorstellungen

und Gedanken der Erfinder neuer Theorien? Machen sich hier etwa auch

vorwissenschaftliche Prägungen, Inhalte und Ideale bemerkbar? Wenn ja: wie

verhält sich dieser Tatbestand zu der Frage nach der Richtigkeit oder Falschheit

einer von diesen Faktoren in ihrer Entstehung mitbestimmten Theorie? Und

gibt es Kriterien für die Unterscheidung „erlaubter“ und „unerlaubter“

Einflussfaktoren?

Zu fragen wäre hier nach dem Einfluss geistiger Zeitströmungen und seinem

Stellenwert (wie etwa nach der Bedeutung des Neuplatonismus und Pythagoreismus

für die wissenschaftlichen Bemühungen Keplers und von da aus vielleicht für die

Gestaltung der neuzeitlichen Wissenschaft überhaupt; oder die Frage danach, was

dahintersteckt, wenn Kunst, Physik, Philosophie und Theologie in zeitlichem

Zusammenhang zu so hoher Abstraktion gedeihen wie in unserem Jahrhundert –

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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siehe H.-R. Müller-Schwefe: Der Standort der Theologie in unserer Zeit. 1958, S. 30

f.).

Oder es wäre zu fragen, welcherlei Voraussetzungen sich in den jeweils gewählten

Grundbegriffen und in grundlegenden methodologischen Entscheidungen

niederschlagen, z.B. in der Entscheidung, nach „Naturgesetzen“ zu forschen. Welche

Rolle spielen dabei ästhetische oder pragmatische Wünsche oder Vorurteile wie

etwa der Wunsch nach Einfachheit, nach Symmetrie, nach einer Ökonomie des

Denkens?

Oder wieweit spiegeln sich hier weltanschauliche Vorgaben und Vorurteile, etwa der

Glaube an die Einheit der Natur, an ihre Berechenbarkeit und rationale bzw.

mathematische Struktur (z.B. Galilei!), an die Beständigkeit ihrer Gesetze, an das

Funktionieren der Welt ohne göttliche Eingriffe („methodischer Atheismus“)?

Welche Bedeutung haben (für den Christen, aber nicht nur für ihn!) in diesem

Zusammenhang etwa christliche oder biblische Vorgaben? Inwieweit ist es

angemessen, wenn wir die Wissenschaft „unbehelligt von religiösen Vorentschei-

dungen“ ihren Weg gehen lassen – und diesen Weg dann mitgehen? Wodurch

würde sich umgekehrt ein angemessenes Zur-Geltung-Kommen der

Glaubenswahrheit von einer klerikalen Bevormundung der Wissenschaft

unterscheiden?

Einige Beispiele

Mit den bisherigen Ausführungen habe ich versucht, Sie anhand von Fragen ein

wenig in die Grundlagen unserer Thematik einzuführen und einige der wesentlichen

Fragen anzureißen.

Im Folgenden will ich dem Ganzen anhand von einigen Beispielen noch etwas mehr

Anschaulichkeit und Vorstellbarkeit geben und zugleich die Vielfalt der Aspekte

andeuten, die hier ins Spiel kommen.

1. Begonnen sei – unserem „Tagungspatron“ zu Ehren – mit einem Einstein-Zitat:

„Wissenschaft als ein existierender, abgeschlossener (Wissensschatz) ist das

objektivste, unpersönlichste (Ding), das die Menschen kennen; (aber) Wissenschaft

in der Phase des Entstehens, als Ziel, ist genauso subjektiv und psychologisch bedingt

wie alle anderen menschlichen Bestrebungen“ (zit. nach Gerald Holton: Themata.

Zur Ideengeschichte der Physik. Vieweg 1984, S. 1). Wie man sieht, lässt sich Einstein

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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durch die Subjektivität des Prozesses keineswegs daran hindern, an die Objektivität

der Ergebnisse zu glauben; beide Seiten gehören für ihn unmittelbar zusammen.

Doch nun zunächst einmal zurück in die Anfangsphase der neuzeitlichen Natur-

wissenschaft:

2. Galileis Überzeugung, dass das Buch der Natur in mathematischen Lettern

geschrieben sei, habe ich schon gestreift – was hätte Galilei wohl ohne diese

Überzeugung getan? Wäre die neuzeitliche Naturwissenschaft ohne sie zustande

gekommen?

Das Gleiche finden wir noch einmal von einer etwas anderen Seite in dem folgenden

Galilei-Zitat: „Ich kann nicht genug die Geisteshöhe derer bewundern, die sich ihr

(der pythagoräischen Ansicht) angeschlossen und sie für wahr gehalten, die durch

die Lebendigkeit ihres Geistes den eigenen Sinnen Gewalt angetan derart, dass sie,

was die Vernunft gebot, über den offenbarsten gegenteiligen Sinnesschein zu stellen

vermochten [...] Meine Bewunderung findet keine Grenzen, wie bei Aristarch und

Kopernikus die Vernunft in dem Maße die Sinne hat überwinden können, dass ihnen

zum Trotz die Vernunft über ihre Leichtgläubigkeit triumphiert hat“ (Salviati im

„Dialog über die beiden Weltsysteme“; zit. nach Holton a.a.O. S. 20). Was wäre wohl

geworden, wenn Galilei von der empiristischen Grundüberzeugung ausgegangen

wäre, dass der Verstand keinen Inhalt haben könne, der ihm nicht über die Sinne

zugekommen sei („nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu“) [...]? In der

neuzeitlichen Naturwissenschaft haben sich rationalistische und empiristische

Traditionen verbunden; aber in ihrem Werdegang scheinen derlei Grundüberzeu-

gungen je ihren festen und unvertauschbaren Platz zu haben, an dem sie

wesentlichen Einfluss auf den Gang der Entwicklung ausgeübt haben.

3. Wie schon erwähnt, ist aus Keplers Wissenschaft der pythagoreisch bestimmte

Harmoniegedanke als bestimmender Faktor nicht wegzudenken. Aber auch noch

einige andere Momente sind hier von Interesse:

Im Gegensatz zur antik-mittelalterlichen Tradition und auch zu Kopernikus teilte

Kepler nicht mehr die Überzeugung, dass die Himmelskörper ganz anderer Natur

seien als die irdische Welt; darum konnte er nach den physikalischen (!) Kräften und

Gesetzen fragen, die den Gang der Himmelskörper regieren, auch wenn er in dieser

Frage noch keinen Erfolg hatte (vgl. Holton S. 30 - 33).

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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Dabei hat die mechanistische Betrachtungsweise einen massiven theologischen

Hintergrund: „Ich bin viel mit der Erforschung der physikalischen Ursachen

beschäftigt. Mein Ziel hierbei ist es zu zeigen, dass die himmlische Maschine nicht

eine Art göttlichen Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk (wer glaubt, dass

die Uhr beseelt ist, der überträgt die Ehre des Meisters auf das Werk), insofern darin

nahezu alle die mannigfaltigen Bewegungen von einer einzigen ganz einfachen

magnetischen Kraft besorgt werden, wie bei einem Uhrwerk alle die Bewegungen

von dem so einfachen Gewicht. Und zwar zeige ich auch, wie diese physikalische

Vorstellung rechnerisch und geometrisch darzustellen ist“ (Kepler, zit. nach Holton S.

30).

Dass Kepler sich dessen bewusst ist, dass sein Ansatz durch eine aktive

Grundentscheidung bestimmt ist, wird deutlich an einer Formulierung, in der er sein

Verhältnis zur alten Astronomie klarstellt: „Der Unterschied besteht allein darin, dass

Ihr Kreise, ich körperliche Kräfte benütze“ (Brief vom 1. 8. 1607 an D. Fabricius, zit.

nach Holton S. 35).

Holton zeigt (S. 34 - 38), dass für Kepler sowohl der mechanische Funktionszu-

sammenhang wie die mathematische Harmonie regelrecht als Realitätskriterium

wirksam sind und sich in dieser Funktion miteinander verbinden und für einander

eintreten können. Auch in dieser Weise werden also gehegte Grundüberzeugungen

eines Wissenschaftlers wirksam für sein wissenschaftliches Vorgehen.

Im Blick auf unser Weiterfragen nach dem Zusammenhang von Christsein und

wissenschaftlicher Arbeit sei noch ein Punkt anvisiert, den Holton (S. 43) unter der

Überschrift „Keplers zwei Gottheiten“ zugespitzt so formuliert: „Wie uns seine

Arbeiten immer wieder zeigen, ist Keplers Seele auch in dieser Beziehung durch ein

doppeltes Bild geprägt. Denn nächst dem lutherischen Gott, der sich ihm direkt in

den Worten der Bibel offenbart, steht der pythagoreische Gott, verkörpert in der

Unmittelbarkeit der beobachteten Natur und den mathematischen Harmonien des

Sonnensystems, dessen Entwurf Kepler selbst nachgezeichnet hatte – ein Gott ‚den

ich bei der Betrachtung des Weltalls geradezu mit Händen greife‘.“ Hier stellt sich

also die Frage, wie die Grundüberzeugungen, von denen unsere wissenschaftliche

Erkenntnis bestimmt und gesteuert wird, mit den Grundüberzeugungen, die uns

durch die Bibel vermittelt werden, in Widerspruch, in Spannung oder in Einklang

stehen.

4. Nach Descartes liegt den Bewegungen in der Welt das erhaltende Wirken Gottes

zugrunde. Dabei bleibt in allen Veränderungen die Summe der Bewegungsgrößen

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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dieselbe (Erhaltung des Impulses). „Wie Descartes zeigt, entspringt dieses Gesetz aus

der Unveränderlichkeit Gottes, kraft derer sogar Veränderungen so unveränderlich

wie möglich ablaufen müssen“ (Holton S. 20).

5. Am Beginn des Buches III von Newtons „Principia mathematica“ finden sich als

Maßgabe für die Anwendung der zuvor entwickelten mathematischen Methoden

auf die Erkenntnis der Einrichtung des Weltsystems vier Regeln für das

philosophische Vorgehen. In Holtons zusammenfassender Formulierung lauten sie

wie folgt:

„I. Die Natur ist dem Wesen nach einfach; deshalb sollten nicht mehr Ursachen zur

Erklärung der Naturdinge zugelassen werden, als zur Erklärung der

Beobachtungstatsachen notwendig sind. Dies ist die Hypothese oder Regel der

Einfachheit und verae causae.

II. Deshalb muss ähnlichen Folgeerscheinungen, soweit möglich, auch der gleiche

Grund zugeordnet werden. Dies ist das Prinzip der Gleichförmigkeit der Natur.

III. Eigenschaften, die allen Körpern in unserer Umgebung zukommen, müssen

versuchsweise auch allen Körpern im Allgemeinen zugesprochen werden. Dies ist

eine Umformulierung der beiden ersten Hypothesen und wird zur Bildung von

Universalien benötigt.

IV. Wissenschaftliche Annahmen, die sich aus dem Induktionsprozess ergeben,

müssen als wahr oder zumindest annähernd wahr betrachtet werden, bis

Phänomene oder Experimente zeigen, dass Korrekturen notwendig sind oder

Ausnahmen auftreten. Diese Regel besagt, dass durch das Experiment untermauerte

Annahmen nicht durch den bloßen Vorschlag gegenteiliger Hypothesen widerlegt

werden sollten.“ (Holton S. 11 f.).

Diese Regeln stellen also methodologische Entscheidungen über die

Vorgehensweise der Wissenschaft dar. Erkennbar gehen darin an einigen Stellen

vorwissenschaftliche Annahmen über die Wirklichkeit ein und werden so im Prozess

der Theorienbildung mit wirksam; in welcher Weise sie hier wirksam werden und ob

ihre Mitwirkung dann später durch den wissenschaftlichen Prozess neutralisierend

eingeholt werden kann bzw. eingeholt wurde, wäre näher zu untersuchen. Einige

Denkanstöße dazu finden sich in dem, was Holton (S. 13) über Newtons Stellung zu

Hypothesen schreibt, und in seinen Schlussfolgerungen dazu.

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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Auch zu Newton noch ein Schlaglicht, das die Beziehung zwischen Wissenschaft und

christlichem Glauben betrifft: Zu Newtons Aussage, er habe die Ursache der

Gravitation noch nicht enthüllen können, bemerken A. R. Hall und M. Boas Hall: „In

einem Sinn ist dies offensichtlich richtig [...] In einem anderen Sinn ist dies aber

falsch. Newton wusste, dass Gott die Ursache der Gravitation ist, genau wie aller

anderen Naturkräfte [...] Dass diese Feststellung sowohl wahr als auch falsch sein

musste, war Newtons Dilemma: Trotz seiner zuversichtlichen Erwartungen fügten

sich Physik und Metaphysik (oder vielmehr die Theologie) nicht glatt aneinander.

Letzten Endes konnten die Mechanische Naturauffassung und Newtons

Gottesbegriff nicht miteinander versöhnt werden. [...] Vor die Wahl gestellt, wählte

Newton Gott und nicht Leibniz“ (zit. nach Holton S. 14). Holton führt den Gedanken

fort: eine explizite Aufnahme der Hypothese „Gott“ wäre mit den Zielsetzungen von

Newtons Buch unvereinbar gewesen, aber: „Was seine Arbeit für Newton selbst

bedeutend machte, war, dass seine Physik eine von Gott durchwaltete, reale Welt

zum Gegenstand hatte: Gott selbst steht gleichsam als Puppenspieler hinter den

Kulissen und bewegt an unsichtbaren Fäden die Marionetten, die Seine Gedanken in

Seinem großen Sensorium ausführen. Dies aber ist eine Behauptung, die Newton

nicht für Freund und Feind offen und angreifbar darstellen wollte, wenngleich diese

Zurückhaltung eine eigenartige Spannung in seinen Principia und anderen Schriften

erzeugte“ (Holton S. 14).

6. Damit wir nicht ganz in den Bannkreis der Physik eingeschlossen bleiben, soll

zwischendurch einmal ein Beispiel aus einem anderen Bereich folgen. Durch

nachbarschaftliche Beziehungen kamen mir einige Sonderdrucke des Geologen

Reinhold Seemann (1888 - 1975) sowie ein Nachruf über ihn in die Hand. In dem

Nachruf (Jh.Ges.Naturkde.Württ. 131, 1976, S. 203-206) steht gegen Ende über die

Forschungsarbeit Seemanns zur Entstehung des Nördlinger Rieses: „Ausgehend von

der völlig richtigen, freilich damals fast von niemandem sonst gehegten Einsicht, dass

ein vulkanischer Krater solchen Ausmaßes in die Erdgeschichte und geologische

Landschaft Süddeutschlands nicht passe, suchte Seemann das Riesphänomen in

Anknüpfung an einen Gedanken Regelmanns als Folge eines im Allgäuer

Alpenvorsprung wurzelnden tektonischen Druckkeils zu erklären. [...] Dass sich

Seemann der Meteoritentheorie des Rieses nicht mehr anzuschließen vermochte

[...], hing nicht nur mit der Schwierigkeit des Umdenkens im Alter zusammen. Es war

vielmehr in einer persönlich bedingten (z.B. auch in Goethes geologischen Ansichten

ausgeprägten) Neigung begründet, die Natur so weit wie möglich gewaltlos und die

Erdgeschichte eines Gebiets in einem aus sich heraus verstehbaren historischen

Zusammenhang zu erklären, in diesem Falle also im Trümmerchaos nach

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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tektonischer Kausalität und Ordnung zu suchen. Der gemessen an einer vulkanischen

Explosion noch viel unberechenbarere und gewaltsamere Schlag aus dem Kosmos

musste solchem Bestreben völlig unannehmbar erscheinen“ (S. 206). Im Bericht über

einen Vortrag Seemanns zum Thema „Versuch einer vorwiegend tektonischen

Erklärung des Nördlinger Rieses“ von 1937 (Jahreshefte des Vereins für

vaterländische Naturkunde in Württemberg 1937, S. XXXIII - XXXV) finden sich ein

paar Sätze, die das schön illustrieren; die Bezugnahme auf eine Theorie, die das Ries

rein durch eine Explosion hochgespannter Gase erklären will, wird hier wie folgt

fortgeführt: „Diese Erklärung hat, durch neuere Untersuchungen gestützt, dank ihrer

Anpassungsfähigkeit in verschiedentlich abgeänderter Form bis heute die meiste

Anerkennung gefunden. Und in der Tat, bei einer solchen Sprengung, die das Chaos

schafft, gibt es alle Möglichkeiten. Nur eine nicht, die einer gesetzmäßigen Lagerung

und Ausbildung der Trümmermassen. Dem Nachweis, dass diese, allerdings durch

spätere Abtragung und Umlagerung verhüllt, örtlich vorhanden sei, war der erste

Teil des Vortrages gewidmet“ (S. XXXIII).

7. Eine verblüffende Perspektive eröffnet eine Anekdote über Niels Bohr: Bohr habe

kurz nach der Entstehung der Quantenmechanik einem Jugendfreund die

philosophische Bedeutung dieser neuen Theorie erläutert und darauf die Antwort

erhalten: „Ja, Bohr, das ist sicher wahr. Aber du musst doch zugeben, dass du das

alles vor zwanzig Jahren auch schon gesagt hast.“ (C. F. v. Weizsäcker:

Komplementarität und Logik. In: Ders.: Zum Weltbild der Physik, 11. Aufl. 1970, S.

281 - 331, dort S. 291). Die Quantentheorie als wissenschaftliche Frucht einer

Pennäler-Philosophie?

8. Einen wiederum ganz anderen Aspekt berührt Werner Heisenberg in

Beantwortung der Frage, wie Revolutionen in der Wissenschaft überhaupt möglich

seien: „Die richtige Begründung lautet wohl: Weil die in der Wissenschaft Tätigen

einsehen, dass sie mit der neuen Denkstruktur größere Erfolge in ihrer Wissenschaft

erringen können als mit der alten; dass sich das Neue als fruchtbarer erweist. Denn

wer sich einmal für die Wissenschaft entschieden hat, der will vor allem

vorankommen, er will dabei sein, wenn neue Wege erschlossen werden. Es

befriedigt ihn nicht, nur das Alte und oft Gesagte zu wiederholen. Daher wird er sich

für die Fragestellungen interessieren, bei denen sozusagen „etwas zu machen ist“,

bei denen ihm erfolgreiche Tätigkeit in Aussicht steht. In dieser Weise haben sich

Relativitätstheorie und Quantentheorie durchgesetzt. Freilich wird damit ein

pragmatisches Wertkriterium zur letzten Instanz erhoben, und man kann nicht

absolut sicher sein, dass sich dabei immer das Richtige durchsetzt“ (W. Heisenberg:

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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Änderungen der Denkstruktur im Fortschritt der Wissenschaft. In: Ders.: Schritte

über Grenzen. 2. erw. Aufl. 1973, S. 275 - 287, dort S. 284 f.).

Am Ende seines Vortrags „Die Bedeutung des Schönen in der exakten

Naturwissenschaft“ (Schritte über Grenzen S. 288 - 305, dort S. 299 - 305) weist

Heisenberg anhand zweier längerer Zitate von Kepler und von W. Pauli auf den

Anteil hin, den vorrationale Bewusstseinsschichten („archetypische Bilder“) am

Zustandekommen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse haben: erst wo

tatsächliche Strukturen der Wirklichkeit durch das Zusammentreffen mit solchen

inneren Bildern, die ihnen analog sind, unmittelbar erfasst worden sind, sind die

Grundlagen da, auf denen eine rationale Theorie konstruiert werden kann, die die

empirischen Sachverhalte angemessen erfasst.

Nur hinweisen möchte ich auf eine Vorlesung von Heisenberg, in der er „Kritik und

Gegenvorschläge zur Kopenhagener Deutung der Quantentheorie“ bespricht

(Heisenberg: Physik und Philosophie. Ullstein 1959, S. 104 - 119). Hier könnte man

Seite für Seite durchgehen, um sowohl im Blick auf die Gegenvorschläge wie im Blick

auf Heisenberg selbst einer Reihe von Voraussetzungen ansichtig zu werden, die das

jeweilige Vorgehen treiben und steuern.

9. Abschließend mögen einige Schlaglichter auf Albert Einstein uns den Gegenstand

unserer morgigen Arbeit schon einmal ein wenig in den Blick rücken:

In seiner Rede zum 60. Geburtstag Plancks weist Einstein darauf hin, dass die

Exaktheit der Physik erkauft ist durch eine Beschränkung auf die allereinfachsten

Vorgänge unter Ausblendung aller komplexeren, und er stellt die Frage, ob so ein

beschränktes Gebilde den Namen „Weltbild“ verdiene. Seine Antwort: „Ich glaube,

der stolze Name ist wohlverdient, denn die allgemeinen Gesetze, auf die das

Gedankengebäude der theoretischen Physik gegründet ist, erheben den Anspruch,

für jedes Naturgeschehen gültig zu sein. Auf ihnen sollte sich auf dem Wege reiner

gedanklicher Deduktion die Abbildung, d.h. die Theorie eines jeden Naturprozesses

einschließlich der Lebensvorgänge finden lassen, wenn jener Prozess der Deduktion

nicht weit über die Leistungsfähigkeit menschlichen Denkens hinausginge. Der

Verzicht des physikalischen Weltbildes auf Vollständigkeit ist also kein prinzipieller.

Höchste Aufgabe der Physiker ist also das Aufsuchen jener allgemeinsten

elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen

ist. Zu diesen elementaren Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur die auf

Einfühlung in die Erfahrung sich stützende Intuition“ (Einstein: Mein Weltbild.

Ullstein 1983, S. 108 f.). Was hier als „höchste Aufgabe“ angesprochen ist, muss wohl

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Hafner, Bedeutung vorwissenschaftlicher Motivation für die Wissenschaft

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zugleich als Benennung von Einsteins tiefster Motivation zu seiner physikalischen

Arbeit gelesen werden: ein mathematisch deduzierbares Weltbild zu gewinnen.

Dabei ist Einstein fasziniert von dem Tatbestand, dass trotz der angesprochenen

Unmöglichkeit eines logischen Weges von der Erfahrung zu den Gesetzen

erfahrungsgemäß ein eindeutiges Bestimmen der wahren grundlegenden Gesetze

möglich erscheint.

In einem anderen Vortrag geht er auf diese Frage nach der Möglichkeit eines

richtigen und sicheren Weges zu den Grundlagen der Physik noch etwas näher

ein: „Hierauf antworte ich mit aller Zuversicht, dass es den richtigen Weg nach

meiner Meinung gibt und dass wir ihn auch zu finden vermögen. Nach unserer

bisherigen Erfahrung sind wir nämlich zum Vertrauen berechtigt, dass die

Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist. Durch rein

mathematische Konstruktion vermögen wir nach meiner Überzeugung

diejenigen Begriffe und diejenige gesetzliche Verknüpfung zwischen ihnen zu

finden, die den Schlüssel für das Verstehen der Naturerscheinungen liefern [...]

In einem gewissen Sinn halte ich es also für wahr, dass dem reinen Denken das

Erfassen des Wirklichen möglich sei, wie es die Alten geträumt haben“ (ebd. S.

116 f.). Einstein hat also eine Leitidee bei seinem Vorgehen: Mathematische

Einfachheit als Führerin zu den wahren Gesetzen, die sich dann nach ihrer

Auffindung an der Erfahrung bewähren werden.

In einem Vortrag über „Geometrie und Erfahrung“ weist Einstein darauf hin, wie ein

unterschiedliches Verständnis des Zusammenhangs von Geometrie und

Erfahrungswelt einerseits ihm selbst den Zugang zur Relativitätstheorie eröffnet und

andererseits Poincaré gehindert hat, hier Einsteins Konsequenzen zu ziehen (ebd. S.

121 - 123).

Nicht zuletzt wird man sich daran erinnern, wie hartnäckig Einstein sich bemüht hat,

die bloß statistischen Gesetze der Quantentheorie doch noch auf deterministische

Zusammenhänge zurückzuführen – auf der Grundlage einer elementaren

Überzeugung vom Charakter der Welt („der Alte würfelt nicht“).

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13

Peter C. Hägele / Edith Gutsche

Zur speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins

1. Newtonsche Mechanik

2. Elektrodynamik

Informationskasten A: Der Äther

Informationskasten B: Das Experiment von Michelson und Morley und

seine Konsequenzen

3. Einsteins spezielle Relativitätstheorie

3.1 Gleichzeitigkeit

3.2 Lorentz-Transformation

3.3 Lorentzkontraktion

3.4 Zeitdilatation

Zusammenfassung

Informationskasten C: Radioaktiver Zerfall bewegter Pionen - nur eine relativistische Rechnung führt zum Ziel

3.5 Relativistische Masse

3.6 Energie und Masse

4. Kurzer Ausblick auf die allgemeine Relativitätstheorie

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Hägele, Gutsche, Zur speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins

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ZUR SPEZIELLEN RELATIVITÄTSTHEORIE ALBERT EINSTEINs

Das Gebäude der Physik um 1900 ruhte im Wesentlichen auf der altehrwürdigen

Newtonschen Mechanik (Galilei 1632, Newton 1687) und der Elektrodynamik

(Elektrizität, Magnetismus und Optik: Huygens 1675, Bradley 1728, Galvani 1780,

Coulomb 1784/5, Volta 1797, Oersted 1820, Ohm 1789, Ampère 1775, Biot 1774,

Savart 1791, Faraday 1831, Maxwell 1865).

Die beiden Gebiete hängen auf der einen Seite zusammen, besitzen auf der anderen

Seite jedoch unvereinbare Eigenschaften (in Bezug auf die Galilei-Transformation).

Diese Unvereinbarkeit wurde von Einstein durch seine spezielle Relativitätstheorie

überwunden. Die neue Theorie brachte vor allem der Mechanik erhebliche

Veränderungen. Für kleine Geschwindigkeiten stellt die Newtonsche Mechanik

allerdings nach wie vor eine sehr gute Näherung dar.

Abb. 1 Special relativity in

trouble? An advertisement

from New Scientist magazine

27 May 1982.

(Spezielle Relativität in Not?

Eine Anzeige im New Scientist

Magazin 27. Mai 1982)

Im Folgenden soll zunächst das angerissene Problem kurz beschrieben und dann

Einsteins Lösung skizziert werden.

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Hägele, Gutsche, Zur speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins

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1. Newtonsche Mechanik

Die Newtonsche Mechanik basiert auf den folgenden Axiomen:

N I: „Trägheitsgesetz“: F = 0 = const.

(besser: Impuls = m = const.)

Wirken keine äußeren (eingeprägten) Kräfte 1, so bleibt die

Geschwindigkeit eines Körpers konstant (Sonderfall = 0).

N II : „Dynamisches Grundgesetz“:

(besser:

Die Beschleunigung eines Körpers mit der Masse m hängt von der auf

ihn wirkenden Kraft ab.

N III: „actio = reactio“:

(besser: )

Übt ein Körper 1 auf einen Körper 2 die Kraft aus, so übt der Körper

2 auf den Körper 1 eine Kraft vom gleichen Betrag, aber

entgegengesetzter Richtung aus.

Korollar: „Superpositionsprinzip für Kräfte“:

Kräfte addieren sich wie Vektoren.

„Gravitationsgesetz“:

(: Gravitationskonstante,

: Radiusvektor vom Schwerpunkt der

Masse m1 zum Schwerpunkt der Masse

m2)

ist die Kraft, die eine Masse m1 auf eine Masse m2 ausübt.

Aus den Axiomen folgen – in Übereinstimmung mit der Erfahrung – die bekannten

Erhaltungssätze für Impuls, Drehimpuls und Energie. (Heute weiß man, dass diese

Erhaltungssätze bereits aus fundamentalen Symmetrien ableitbar sind: z.B. folgt der

Energieerhaltungssatz aus der Homogenität der Zeit.)

1 Pfeile über Symbolen weisen auf den Vektorcharakter der zugehörigen Größen hin.

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Aus den Axiomen folgt weiter, dass die Gesetze der Mechanik nicht vom absoluten

Ort und von der absoluten Zeit abhängen, sondern nur vom relativen Ort und von

der relativen Zeit. (Es treten nur Differenzen, Differentiale auf.) Dabei bedeutet

absolut – unabhängig von der Wahl eines Bezugssystems

relativ – abhängig von der Wahl eines Bezugssystems.

Nun ist wichtig, dass zwei der genannten Axiome (NI und NII) nicht in jedem

Bezugssystem gelten. Alle Bezugssysteme, in denen das Trägheitsgesetz (NI) gilt,

heißen „Inertialsysteme“. Ein im Fixsternhimmel befestigtes Koordinatensystem ist

ein Inertialsystem, solange man weit genug von großen Massen entfernt ist. Jedes

gegenüber diesem mit konstanter Geschwindigkeit bewegte Bezugssystem ist

ebenfalls ein Inertialsystem. Die Bedeutung dieser Begriffsbildung wird durch den

folgenden grundlegenden Erfahrungssatz der Mechanik deutlich:

Die Grundgesetze der Mechanik sind in allen Inertialsystemen gleich.

(Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik – es wird uneingeschränkt in die

Relativitätstheorie übernommen)

Mit Gesetzen sind die mathematischen Beziehungen zwischen den betrachteten

physikalischen Größen gemeint. Der Wert der Größen kann sich beim Wechsel der

Bezugssysteme ändern, die mathematische Form der Beziehung bleibt jedoch gleich.

Konstanten behalten ihren Wert (Forminvarianz, Kovarianz der Gesetze).2

Zwei Inertialsysteme S und können eine Relativgeschwindigkeit besitzen – diese

kann auch gemessen werden. Aber es ist nicht entscheidbar, ob eines der Systeme,

z.B. S, ruht, während das zweite sich mit der Geschwindigkeit entfernt, oder

umgekehrt sich von S mit - entfernt. Ein absoluter Raum ist so nicht feststellbar,

kein Inertialsystem ist vor dem anderen ausgezeichnet.

Beim Übergang auf ein gegenüber einem Inertialsystem beschleunigtes System

ändern sich jedoch die Gesetze der Mechanik. Beim zweiten Newtonschen Axiom

(NIII müssen dann z.B. noch sogenannte Trägheitskräfte eingeführt werden. Newton

meinte, die Beschleunigung solcher Bezugssysteme erfolge relativ zu einem

„absoluten Raum“.

Aus dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik folgt unter der Annahme, dass

Längen- und Zeitintervalle sowie Massen absolut, also von der Wahl des

2 Die Phänomene können durchaus unterschiedlich sein. Beispiel: Ein Ball wird senkrecht nach oben

geworfen und fällt anschließend senkrecht zurück auf eine Straße, vom vorbeifahrenden Auto aus

wird die Bahn als Parabel beobachtet.

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Bezugssystems unabhängig sind, die Galilei-Transformation (vergl. Abb. 2). Diese

ermöglicht die Umrechnung von Größen beim Wechsel von Inertialsystemen.

Abb. 2

Für den „normalen“ Erfahrungsraum hat sich die Galilei-Transformation der

Mechanik immer wieder glänzend bestätigt und man formulierte:

Die Gesetze der Mechanik sind Galilei-invariant.

Diese spezielle Form des Relativitätsprinzips wurde nicht in die Relativitätstheorie

übernommen. Probleme treten nämlich auf, sobald man es mit großen

Geschwindigkeiten in der Nähe der Lichtgeschwindigkeit zu tun hat. Darüber hinaus

tauchen Probleme bei der Übertragung dieses Prinzips auf die Elektrodynamik auf.

2. Elektrodynamik

Wie in der Newtonschen Mechanik lassen sich die Grundlagen der Elektrodynamik in

einigen wenigen Gleichungen zusammenfassen, den „Maxwellschen Gleichungen“.

Sie lauten für das Vakuum:

Das Koordinatensystem bewege sich mit der konstanten Geschwindigkeit in x-

Richtung gegenüber dem Koordinatensystem S. Die entsprechenden Achsen bleiben

parallel. Dann lautet die Galilei-Transformation:

( )

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Die Maxwellschen Gleichungen stellen ein partielles Differentialgleichungs-

system für zwei charakteristische Feldvektoren des magnetischen und

elektrischen Feldes dar:

: elektrische Feldstärke

: magnetische Induktion (magnetische Kraftflußdichte, besser: magnetische

Feldstärke).

ist die elektrische Stromdichte und die elektrische Ladungsdichte.

Mit Hilfe des Symbols (Nablaoperator) wird im Fall des Kreuzproduktes die

Wirbeldichte des betrachteten Feldes und im Fall des Skalarproduktes (Punkt) die

Quelldichte angegeben. c ist die im Vakuum konstante Lichtgeschwindigkeit, 0 die

elektrische Feldkonstante.

In der Elektrodynamik tauchen zwei für unsere Betrachtungen relevante

Problemgruppen auf. Zum einen sind die im Übrigen experimentell äußerst gut

bestätigten Gleichungen nicht invariant gegenüber Galilei-Transformationen und

zum anderen warf die Größe „Lichtgeschwindigkeit“ um 1900 viele Fragen auf.

Zur Lichtgeschwindigkeit

Um 1900 herrschte die Vorstellung, dass Licht sich im Medium „Äther“ ähnlich wie

Schall im Medium Luft ausbreitet. 1888 gelang Heinrich Hertz der experimentelle

c2 x

„Durchflutungsgesetz“ (Schreibweise Feynman)

x

„Induktionsgesetz“

Lorentzkraft:

(Kraft auf eine Ladung q im elektrischen und magnetischen Feld, : Geschwindigkeit

der Ladung)

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Nachweis elektromagnetischer Wellen. Der Wellencharakter von Licht war damit

gesichert.

Es musste ein Bezugssystem geben, in dem das Lichtmedium, der Äther, ruht. Der

mit diesem Bezugssystem identifizierte absolute Raum sollte experimentell z.B. über

den Dopplereffekt oder Lichtgeschwindigkeits- bzw. Lichtlaufzeitmessungen in

unterschiedlichen Inertialsystemen nachweisbar sein.

Für die Existenz eines Äthers sprachen Beobachtungen an Doppelsternen. Nimmt

man im Gegensatz zur Äthertheorie an, Licht würde analog zu Geschossen mit der

konstanten Vakuumlichtgeschwindigkeit c „abgefeuert“ (Emissionstheorie), so

müsste man für die resultierende Geschwindigkeit den Bewegungszustand der

Lichtquelle berücksichtigen. Bewegt sich diese mit der Geschwindigkeit v vom

Beobachter fort, so müsste er eine Lichtgeschwindigkeit von c - v messen. Bewegt sie

sich mit v auf den Beobachter zu, so sollte er eine Lichtgeschwindigkeit von c + v

ermitteln. Bei Doppelsternen, die nahe beieinander stehen und um ihren

gemeinsamen Schwerpunkt kreisen (vergl. Abb. 3), konnten solche Unterschiede in

der Lichtgeschwindigkeit jedoch nicht nachgewiesen werden. Erwartete

Unregelmäßigkeiten in den scheinbaren Bahnkurven (exzentrische Kreisbahnen)

wurden nie beobachtet. Folglich müsste man von der Richtigkeit der Äthertheorie

ausgehen, wonach die Lichtgeschwindigkeit unabhängig vom Bewegungszustand der

Lichtquelle im Ätherruhsystem konstant ist.

Abb. 3

Aber auch die Äthertheorie führte zu Widersprüchen. Historisch von besonderer

Bedeutung sind die von Michelson und Morley durchgeführten Laufzeitmessungen

von Licht. Sie werden im Informationskasten B ausführlicher beschrieben. Nimmt

man an, dass die Sonne im Äther ruht, so müsste auf der mit v = 30 km/s sich auf

einer Kreisbahn um die Sonne bewegenden Erde ein Ätherwind zu merken sein. In

Richtung von v müsste Licht einen Gegenwind spüren, in der entgegengesetzten

Richtung einen Rückenwind. Dies konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.

Doppelsterne

Deutung im Rahmen der

Emissionstheorie:

Wegen des großen Abstands zur Erde

sollten auch kleine

Sterngeschwindigkeiten v zu großen

Laufzeitunterschieden der Lichtstrahlen

1 und 2 führen.

(Vergl. aber den zugehörigen Text.)

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Nun könnte man annehmen, dass der Äther an der Erdoberfläche mitgeführt wird.

Diese Hypothese lässt sich durch die beobachtete Aberration des Sternlichts

(erstmals durch Bradley, 1727) widerlegen. Trägt man die beobachtete Position

eines Fixsterns – zur Vereinfachung soll er als fest über dem Zenit stehend

angenommen werden – über ein ganzes Jahr hin in ein Koordinatensystem ein, so

erhält man eine Kreisbahn. Dies lässt sich wie folgt verstehen: Ein senkrecht über der

Erdoberfläche stehender Stern kann mit einem Fernrohr nur dann beobachtet

werden, wenn dieses um einen Winkel aus der Senkrechten in Richtung der

Erdgeschwindigkeit (Umlaufgeschwindigkeit der Erde um die Sonne: v = 3 104 m/s

– die aus der Rotation der Erde um die eigene Achse resultierende Geschwindigkeit

an der Erdoberfläche von maximal 465 m/s kann dagegen vernachlässigt werden –)

geschwenkt wird. Während ein Lichtstrahl das Fernrohr durchläuft, bewegt sich

dieses mit der Erde weiter (vergl. Abb. 4). Würde der Äther in Bezug auf die

Erdoberfläche ruhen, wäre ein Neigen des Fernrohrs nicht notwendig.

Abb. 4

Die aufgeführten Beispiele zeigen, welche Schwierigkeiten beim Verständnis der

Lichtausbreitung auftraten, solange man an der Äthertheorie bzw. der klassischen

Mechanik festhielt.

Die Abbildung 5 gibt einen schematischen Überblick über das Problem und zeigt die

Lösungsalternativen. Ausgangspunkt ist die Unsymmetrie (im Sinne Einsteins) von

Aberration von Sternenlicht

Der Stern steht im Zenit. Ohne Erdbewegung

müsste das Fernrohr direkt auf die wahre

Position des Sterns gerichtet sein.

Durch die Erdbewegung (v 0) legt das

Fernrohr in der Zeit t, die das Licht zum

Durchlaufen des Fernrohrs braucht, die

Strecke v t zurück. Soll ein zur Zeit t = 0 in

das Fernrohr eintretender Lichtstrahl bis

zum Auge gelangen, so darf das untere Ende

des Fernrohrs zu diesem Zeitpunkt noch

nicht unterhalb des Zenits stehen, sondern

muss noch v t vom Auftreffpunkt des

Lichts entfernt sein. Das Fernrohr muss also

um den Winkel = 20,5 Bogensekunden

geneigt sein und beschreibt so im Laufe

eines Jahres einen Kegel mit dem

Öffnungswinkel 2 (tan = v/c = 10-4).

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klassischer Mechanik und Elektrodynamik hinsichtlich ihres Transformationsver-

haltens (Galilei-Transformation gilt bzw. gilt nicht).

PROBLEM: MAXWELL-GLEICHUNGEN NICHT GALILEI-INVARIANT. Situation im letzten Jahrhundert:

Galilei-invariant klassisches Relativitätsprinzip

klass. Mechanik

Elektrodynamik

gilt

gilt nicht

gilt

?

Beide Gebiete hängen aber zusammen: „Elektrodynamik bewegter Körper“. Alternativen:

Bereich klass. Rel.prinzip G-Transfo. Gesetze Konsequenzen

(1) klass. Mech.

Elektrodyn.

gilt

gilt nicht

gilt

gilt

gelten

gelten

ausgezeichnetes Inertialsystem nachweisen!

Äthertheorien

(2) klass. Mech.

Elektrodyn.

gilt

gilt

gilt

gilt

gelten

gelten nicht streng

Galilei-invariante Gesetze suchen!

Emissionstheorie

(3) klass. Mech.

Elektrodyn.

gilt

gilt

gilt nicht

gilt nicht

gelten nicht streng

gelten

Lorentz-invariante Gesetze suchen!

legt andere

Transformation fest: Lorentz-Transformation

spezielle Rel.theorie

Systematik zusammengestellt nach R. Resnick: Einführung in die spezielle Relativitätstheorie. Klett Studienbücher, Stuttgart 1976.

Abb. 5 Lösungsalternativen zur „Unsymmetrie“ (Einstein) von klassischer Mechanik und

Elektrodynamik.

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3. Einsteins spezielle Relativitätstheorie

Einstein hält in seinem neuen Ansatz zur Lösung des oben beschriebenen Problems ;

am Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik fest und fordert zusätzlich die

Konstanz der Lichtgeschwindigkeit:

Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie

1. Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum

ist für alle Beobachter eine absolute Konstante.).

2. Unabhängigkeit der Gesetze von der Wahl des Inertialsystems.

Abb. 6

weiter auf S. 29

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INFORMATIONSKASTEN A

Der Äther

Maxwellsches Äthermodell (Philos. Mag. 21, 281(1891))

Das Maxwellsche Äthermodell ist charakteristisch für die mechanischen Theorien des Äthers, die im 19. Jh. vorherrschten. Maxwell stellte sich ein Magnetfeld als Menge von „Molekularwirbeln vor, die um die Feldlinien rotieren. Ihre Rotationsgeschwindigkeit ist dabei der Feldstärke proportional. Die „Kugellager“ zwischen den Wirbeln sollen aus Ladungsteilchen bestehen. Rotieren benachbarte Molekularwirbel verschieden schnell, so kommt es zur Verschiebung der Ladungsteilchen. Dieses Modell des Elektromagnetismus lag der Herleitung der Maxwellschen Gleichungen zugrunde. Die Aufstellung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein im Jahre 1905 setzte derartigen mechanischen Erklärungsversuchen für elektromagnetische Erscheinungen ein Ende.

Quelle: R. U. Sexl, H. K. Urbantke: Relativität, Gruppen, Teilchen. Springer, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1976

Bei elastischen Wellen, die sich in einem Medium ausbreiten, lassen sich die Ausbreitungsgeschwindigkeiten nach den folgenden Formeln berechnen:

G: Schubmodul

: Massendichte

K: Kompressionsmodul

Lichtwellen sind transversal. Der Äther müsste demnach ein Festkörper sein, denn

nur Festkörper besitzen ein nicht verschwindendes Schubmodul (G 0). In einem Festkörper sollten aber auch longitudinale Wellen angeregt werden können. Es wurden jedoch nie freie longitudinale elektromagnetische Wellen gefunden. Eine endliche Lichtgeschwindigkeit folgt aus den oben angegebenen Formeln nur für eine

nicht verschwindende Massendichte ( 0). Der Äther muss jedoch masselos sein, da keine Gravitationswirkungen auf die Planeten und Monde bekannt sind.

Alle Äthermodelle mit solch widersprüchlichen Eigenschaften blieben unbefriedigend.

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INFORMATIONSKASTEN B

Das Experiment von Michelson und Morley und seine Konsequenzen

Interferometer von Michelson und Morley (1887)

Abb. B 1 Das Interferometer war auf einer massiven Steinplatte aufgebaut und diese auf Quecksilber gelagert. Die Apparatur ließ sich vorsichtig um einen Mittelstift drehen.

Das Michelson-Morley-Experiment

Das von der Lichtquelle L ausgehende Licht wird an der halbdurchlässigen,

planparallelen Platte P in zwei Strahlen 1 und 2 aufgeteilt (vergl. Abb. B 1:

Lichtstrahl 1; Lichtstrahl 2). Während Strahl 1 an der Oberfläche

reflektiert wird, durchdringt Strahl 2 die Platte. Die Strahlen werden an den

Spiegel S1 bzw. S2 reflektiert und treffen sich schließlich im Fernrohr F. Platte P‘

gewährleistet, dass der Lichtweg von Lichtstrahl 1 im durchsichtigen Medium

genau so lang ist wie von Lichtstrahl 2. Die ganze Apparatur bewegt sich mit der

Erde (Translationsgeschwindigkeit

, c: Lichtgeschwindigkeit) nach rechts.

Da die Spiegel nicht genau senkrecht zueinander angeordnet sind, werden im

Fernrohr Interferenzstreifen beobachtet. („Streifen gleicher Dicke eines Keils“).

Durch einen experimentellen „Trick“ – die Lichtstrahlen durchlaufen mit Hilfe

zusätzlicher Spiegel mehrfach die Strecke l1 bzw. l2 – lassen sich die

Interferometerarme quasi verlängern. Michelson und Morley erreichten so eine

optische Weglänge von 11 m als effektiven Abstand von P und S1 bzw. S2.

Beschreibung im Rahmen der Äthervorstellung:

Die Strahlen 1 und 2 sollten trotz gleicher Länge der beiden Interferometerarme

Abb. B 2 Lichtstrahl 1 bewegt sich zwischen P und S1 mit der resultierenden Geschwindigkeit - .

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eine Laufzeitdifferenz t = t2 – t1 aufweisen. Die Apparatur bewegt sich gegen den

Äther. Es müsste deshalb überall ein Ätherwind in Richtung von - zu spüren sein.

Lichtstrahl 2 kann sich auf dem Weg von P nach S2 nur mit der Geschwindigkeit c -

v ausbreiten, auf dem Rückweg müsste er infolge des „Rückenwindes“ die

Geschwindigkeit c + v besitzen. Er braucht also für den Weg von P zu S2 und

zurück die Zeit

. (1)

Lichtstrahl 1 verläuft senkrecht zum Ätherwind. Er kann nur am

gegenüberliegenden Spiegel S1 ankommen, wenn er wie eine Fähre, die einen

stark strömenden Fluss quert, ein wenig in den Wind dreht (vergl. Abb. B 2). Seine

Geschwindigkeit in Richtung von l1 beträgt dann .

Strahl 1 benötigt für den Weg von P zu S1 und zurück die Zeit

. (2)

Die Strahlen 1 und 2 haben also eine Laufzeitdifferenz von

. (3)

Da die beiden Interferometerarme bei Michelson und Morley gleich lang sind (l1 =

l2 =: 1) und

ist

(

und

), kann man in guter Näherung

schreiben

. (4)

Dieser Laufzeitdifferenz entspricht eine optische Weglängendifferenz von

. (5)

Gegenüber einer im Äther ruhenden Anordnung müsste das Interferenzstreifen-

system im Fernrohr F um

Streifenabstände nach rechts verschoben sein. ist

die Wellenlänge des benutzten Lichts.

Wird die gesamte Apparatur um eine senkrecht zur l1,l2-Ebene stehende Achse

um 90° geschwenkt, erhält man die Laufzeiten t1 und t2 der wie vorher

nummerierten Strahlen durch Vertauschen der Indizes in den Formeln 1 und 2.

Die Laufzeitdifferenz beträgt jetzt

, (6)

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was einer optischen Weglängendifferenz von

entspricht. (7)

Nach dem Schwenken der Apparatur müsste das Interferenzstreifensystem

gegenüber einer im Äther ruhenden Anordnung um

Streifenabstände nach

links verschoben sein. Insgesamt muss also beim Schwenken der Apparatur auf der relativ zum Äther bewegten Erde eine Verschiebung um

(8)

Streifen erfolgen.

Mit l = 11 m,

und = 5,5 10-7 m ist eine Verschiebung um 0,4

Streifenbreite zu erwarten. 1/100 einer Streifenbreite wäre mit Hilfe der Apparatur noch erkennbar gewesen. Es wurde jedoch keine Verschiebung beobachtet.

Der negative Ausgang dieses Experiments bedeutet eine klare Absage an die Ätherhypothese und/oder einschneidende Änderungen in der Galilei-Transformation. Das Experiment wurde deshalb mehrfach wiederholt (vergl. Abb. B 3) und führte auch bei wesentlich gesteigerter Präzision immer zum selben Ergebnis.

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Deutungsversuche zum Michelson - Morley-Experiment

Im Rahmen der Äthertheorien:

I. Der Äther wird von der Erde mitgeführt

a) Zur Zeit des Experiments wird der Äther zufällig mit der Erdgeschwindigkeit v total mitgeführt. Dann bewegt sich das Licht relativ zur Erdoberfläche zufällig mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c.

Widerlegung: Eine Wiederholung der Messung nach 6 Monaten ergibt keine Änderung.

b) Der Äther wird auf der Erdoberfläche total mitgeführt (Michelson, Stokes 1845).

Widerlegung: 1. Aus der beobachteten Aberration des Fixsternlichtes (Bradley 1728) folgt ein bezüglich der Fixsterne ruhender Äther und zwar auch auf der Erdoberfläche (vergl. S. 20).

2. In fließendem Wasser hängt die Lichtgeschwindigkeit cv von der Geschwindigkeit v des Wassers ab. Dies kann experimentell bestätigt und auch aus einer Theorie abgeleitet werden, die einen bezüglich der Erde ruhenden Äther voraussetzt. Im bewegten Wasser wird der Äther also partiell und nicht total mitgeführt. (Formel für cv:

, wobei n der Brechungsindex von

Wasser ist.)

c) Der Äther wird partiell von der Erde mitgeführt. In größeren Höhen müsste es dann einen stärkeren Ätherwind geben als auf der Erdoberfläche.

Widerlegung: Messungen in verschiedenen Höhen ergaben keine Veränderungen.

II. Kontraktionshypothese (Fitzgerald 1892, Lorentz)

Die Interferometerarme verkürzen sich in Bewegungsrichtung in Abhängigkeit

von der Erdgeschwindigkeit v um

.

Widerlegung: Bei verschiedenen langen Interferometerarmen sollte eine

Verschiebung der Interferenzstreifen N in Abhängigkeit von

einer Veränderung der Relativgeschwindigkeit (v v‘) von Apparatur und Äther zu beobachten sein. Das von Kennedy

und Thorndike 1932 durchgeführte Experiment ergab N = 0!

Aus Gleichung (3) von S. 25 folgt für

und

(

und sind die Längen der ruhenden

Interferometerarme) näherungsweise eine Laufzeitdifferenz

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von

bzw.

.

Daraus folgt eine Verschiebung der Interferenzstreifen von

.

s und s‘ sind die optischen Weglängendifferenzen, die zu

den Laufzeitdifferenzen t und t‘ gehören.

Im Rahmen der Emissionstheorien:

Die Lichtgeschwindigkeit c ist bezüglich der Quelle konstant (Ritz 1908).

Widerlegung: 1. Michelson-Morley-Experiment mit außerirdischen Lichtquellen.

Sterne (R. Tomaschek) oder die Sonne (D. C, Miller) führen relativ zu einem irdischen Interferometer komplizierte Bewegungen aus (Überlagerung von Kreis- und Translationsbewegungen). Das von diesen Himmelskörpern ausgesandte Licht müsste in einem Michelson-Morley-Interferometer zu unterschiedlichen Interferenzstreifen je nach momentaner Relativgeschwindigkeit führen. Eine Verschiebung der Interferenzstreifen wurde jedoch nicht beobachtet.

2. Beobachtung von Doppelsternen (vergl. S. 19).

3. 0-mesonen wurden im CERN (Alväger 1964) auf eine Geschwindigkeit von 0,99975 c beschleunigt. Die von diesen Quellen ausgesandten Lichtquanten hatten eine Geschwindigkeit, die höchstens um 0,013 % von der Lichtgeschwindigkeit abweicht.

4. Unter bestimmten Bedingungen treten beim Beschuss von Elektronen mit Positronen zwei Lichtquanten auf, die unter

180° abgestrahlt werden (-Quanten, Vernichtungsstrahlung). Bei Positronen mit einer Energie von 600 keV (v = 0,89 c) hat das Schwerpunktsystem die Geschwindigkeit v = 0,6 c. Klassisch müssten die Quanten also die Geschwindigkeiten 1,6 c und 0,4 c besitzen (großer Effekt!). Mit direkten Laufzeitmessungen wird aber auch hier für beide Quanten c ± 10 % gemessen (Sadeh 1963).

Zusammenfassung: Das Michelson-Morley-Experiment kann zwar alleine für sich durch Zusatzannahmen „erklärt“ werden, zusammen mit anderen experimentellen Befunden ist es aber weder im Rahmen der Äthertheorie noch im Rahmen von Emissionstheorien deutbar (Alternativen 1 und 2 von Abb. 5, vergl. auch Abb. 6). Erst Einstein brachte (mit Alternative 3 von Abb. 5) mit seiner speziellen Relativitätstheorie die gesuchte Lösung.

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Der Ätherbegriff entfällt. Prinzip 2 auf Prinzip 1 angewandt bedeutet, dass die

Lichtgeschwindigkeit im Vakuum in allen Inertialsystemen gleich groß ist. Sie ist

sowohl von der Geschwindigkeit des Beobachters als auch derjenigen der Lichtquelle

unabhängig.

Die beiden Prinzipien haben einschneidende Folgen für das Gebäude der

Newtonschen Mechanik. Die Übereinstimmung von Experiment und neuer Theorie

konnte jedoch im Laufe der Zeit auf vielfältige Weise bestätigt werden. Abbildung 6

gibt einen Überblick. Eine Synopse alternativer Theorien gibt Abbildung 7.

Abb. 7

Im Folgenden sollen einige wichtige Folgerungen aus den beiden genannten

Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie kurz dargestellt werden.3 Sie betreffen

vor allem Größen aus der Newtonschen Mechanik. Die zur Elektrodynamik

gehörenden Maxwellschen Gleichungen sind invariant gegenüber den aus den

Prinzipen der speziellen Relativitätstheorie folgenden Lorentztransformationen.

3 Die Beschäftigung mit der Relativitätstheorie braucht eine Eingewöhnungszeit, da man sich vielfach

nicht mehr auf das Raum-Zeit-“Gefühl“ stützen kann. Die folgenden Ausführungen können nur einen

ersten Einblick in die Ergebnisse der Theorie geben. Für eine weitere Beschäftigung wird auf die

vielen guten Darstellungen (mit unterschiedlichem mathematischem Niveau) verwiesen (z.B. Nelcher,

Resnik und Born; vergl. die Literaturhinweise auf S. 77).

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Hägele, Gutsche, Zur speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins

30

3.1 Gleichzeitigkeit

Einstein erkannte erstmalig, dass der Begriff „Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse“

einer Definition bedarf. Da die Lichtgeschwindigkeit im (Vakuum) unabhängig vom

Bewegungszustand des Beobachters und der Lichtquelle immer den gleichen Wert

hat, kommt er zu folgender Definition:

Zwei räumlich voneinander entfernte Ereignisse sind gleichzeitig, wenn von ihnen

ausgehende Lichtblitze sich in der Mitte der Verbindungsstrecke treffen.

So lassen sich (im Prinzip) Uhren synchronisieren. Zwei Ereignisse, die in einem

Inertialsystem S gleichzeitig sind, erscheinen dann jedoch in einem relativ zu S mit

der Geschwindigkeit v bewegten System nicht mehr gleichzeitig. Absolute

Zeitmessungen sind deshalb nicht möglich. Auch die Zeit ist eine vom gewählten

Inertialsystem abhängige Größe. Dies lässt sich am folgenden Beispiel verdeutlichen.

In zwei relativ zueinander bewegten Inertialsystemen S und sind jeweils

Meterstäbe und synchronisierte Uhren vorhanden. An den Stellen A und B bzw.

und werden Lichtblitze ausgesandt (vergl. Abb. 8 I). Wir nehmen an, der

Beobachter im System S befinde sich im Punkt 0, der Mitte der Strecke AB, und der

Beobachter im System im Punkt , der Mitte der Strecke (vergl. Abb. 8 I). Die

Signale gelten für den Beobachter in 0 genau dann als gleichzeitig ausgesandt, wenn

sie zur gleichen Zeit in 0 registriert werden, für den Beobachte in genau dann,

wenn sie in gleichzeitig registriert werden. Diese Definition der Gleichzeitigkeit ist

unabhängig vom Bewegungszustand des betrachtet Inertialsystems, denn die

Vakuum-Lichtgeschwindigkeit ist in allen Inertialsystemen gleich groß.

Wir nehmen nun z.B. an, dass die Wellenfronten in 0 zum gleichen Zeitpunkt

eintreffen (vergl. Abb. 8 III). Dann wären die Ereignisse in A und B (Abb. 8 I) für den in

0 befindlichen Beobachter gleichzeitig. Dieser Beobachter im System S kann über die

Vorgänge im System folgende Überlegungen anstellen: Wäre die Ausbreitungs-

geschwindigkeit von Licht unendlich groß, so käme der Beobachter in ebenfalls zu

dem Ergebnis, dass die Ereignisse gleichzeitig sind. Da jedoch eine gewisse Zeit

vergeht, bis die Signale bei den Beobachtern eintreffen, hat sich das System in der

Zwischenzeit z.B. nach rechts bewegt. Die von ausgegangene Wellenfront erreicht

den Beobachter in (Abb. 8 II) eher als die von ausgegangene. Da dieser

Beobachter sich in der Mitte der Strecke befindet und die Vakuum-

Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem konstant ist, muss er definitionsgemäß

schließen, dass das Ereignis in früher als das in stattgefunden hat.

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bewegt sich relativ

zu S mit der

Geschwindigkeit v

nach rechts.

I. Eine Lichtwelle

verlässt A, und eine

zweite B, .

II. Die von B, ausgehende Wellenfront

erreicht .

III. Beide Wellenfronten treffen 0. Ein Beobachter in

0 folgert daraus, dass die Lichtblitze in A und B gleichzeitig ausgelöst wurden, denn 0 ist die Mitte der Verbindungsstrecke AB.

IV. Die von A, ausgehende Wellenfront erreicht . Für einen Beobachter in ist also der Lichtblitz

in früher

ausgelöst worden als der in . Da sich die Wellenfronten der beiden Lichtblitze nicht in der Mitte

der Verbindungsstrecke treffen, sind die Blitze nicht gleichzeitig ausgelöst worden.

Abb. 8 Relativierung der Gleichzeitigkeit

Zwei Ereignisse, die bezüglich eines Inertialsystems gleichzeitig sind, brauchen dies

nicht auch bezüglich eines anderen sein. Zeitmessungen sind nur relativ zu einem

Bezugssystem möglich, es gibt keine absolute Zeit. Kein Inertialsystem ist vor dem

anderen ausgezeichnet. Diese letzte Aussage lässt sich an dem gerade skizzierten

Beispiel verdeutlichen. Man kann das System als ruhend auffassen, dann bewegt

sich S mit der Geschwindigkeit v nach links. Sind die Signale für den Beobachter in

gleichzeitig, so scheint dem Beobachter in 0 das Signal in A früher zu sein als das in B.

Eine genauere Untersuchung zeigt, dass bei kausal verknüpften Ereignissen die

zeitliche Reihenfolge unabhängig vom Bezugssystem, also absolut ist.

3.2 Lorentz-Transformation

Die beiden Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie erfordern ein Abändern der

Galilei-Transformation. Letztere sollte jedoch im Grenzfall kleiner Relativgeschwin-

digkeiten v noch richtig sein. Da die Zeit ebenfalls vom gewählten Inertialsystem

abhängt, muss auch für sie eine nicht triviale Transformationsgleichung aufgestellt

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werden. Das System bewege sich mit der Geschwindigkeit v gegenüber dem

System S in x-Richtung.

Statt und (Galilei-Transformation) (1)

muss gelten und , wobei x = ct und . (2)

Für k = 1 und folgt aus (2) die Galilei-Transformation (1).

Aus den Gleichungen (2) lässt sich der Faktor k bestimmen.

(strebt für kleine v gegen 1!), und für die Beziehung

(strebt für kleine v gegen t!) ableiten.

Die so genannte Lorentz-Transformation lautet: (3)

Aus den angegebenen Gleichungen für die Lorentz-Transformation folgen wichtige

im Vergleich zur Newtonschen Mechanik neue Ergebnisse für Zeit- und

Längenmessungen. Die Ergebnisse solcher Messungen hängen jetzt von der

Relativbewegung zwischen betrachtetem Körper und Beobachter ab.

3.3 Lorentzkontraktion

Ein Beobachter misst die Länge eines Körpers. Er erhält die größte Länge, wenn der

Körper relativ zu ihm in Ruhe ist. Die gemessene Länge wird um so kleiner, je

schneller sich der Körper in Messrichtung relativ zum Beobachter bewegt. Sie

verkürzt sich auf das

- fache.

Senkrecht zur Bewegungsrichtung bleibt die Länge konstant.

und

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Dies lässt sich wie folgt herleiten. Das System bewegt sich relativ zum System S mit

der Geschwindigkeit v. Die Endpunkte eines mit mitbewegten Maßstabs liegen bei

und , seine Länge beträgt in diesem System also . Aus den im

System S zur gleichen Zeit t (= t1 = t2) gemessenen Endpunkten x1 und x2 ergibt sich

im S-System die Länge . Zwischen den beiden Längen und

besteht die Beziehung

(Lorentzkontraktion).

Sie lässt sich aus den Formeln

,

und t = t1 = t2 herleiten.

Die Beziehung folgt direkt aus der Lorentz-Transformation. (3)

3.4 Zeitdilatation

Eine relativ zu einem Beobachter ruhende Uhr läuft schneller als eine relativ zu ihm

bewegte.

Bleibt also von zwei synchronisierten Uhren eine beim Beobachter, während sich die

andere mit der Geschwindigkeit v bewegt, so ist die auf der bewegten Uhr jeweils

abgelesene Zeitspanne kleiner als die auf der ruhenden. Die bewegte Uhr geht

langsamer, und zwar um das

- fache.

Die auf der ruhenden Uhr gemessene Zeitspanne t = t2 - t1 ist mit der auf der

bewegten Uhr vom ruhenden Beobachter abgelesenen Zeitspanne

durch

(Zeidilatation) verknüpft.

Sie folgt aus den Gleichungen für die Lorentz-Transformation (3) unter der

Voraussetzung, dass die Uhr im bewegten -System sich an einem festen Ort

befindet. Im ruhenden S-System werden zwei synchronisierte Uhren an

unterschiedlichen Orten benötigt. Uhr 1 befindet sich zur Zeit t1 am Ort der -Uhr

und Uhr 2 zur Zeit t2 am Ort der -Uhr. Dann gilt

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34

und

.

Zusammenfassung

Die Zeitspanne d, die von einer am beobachteten Körper befestigten Uhr

gemessen wird, heißt Eigenzeit. Ein Beobachter, der sich relativ zum Ort einer

Folge von Ereignissen bewegt, misst die Zeitintervalle dt zwischen den Ereignissen

länger als ein relativ zu den Ereignissen ruhender Beobachter. Bei der Messung

der Zeitintervalle dt wird die Zeit jeweils am Ort des Ereignisses gestoppt. Der

bewegte Beobachter muss also im Besitz einer mitgeführten Uhrenkette sein. Es

gilt:

.

Ein System, in dem der beobachtete Körper ruht, heißt Ruhsystem. In diesem

System hat der Körper eine Ruhlänge. Bewegt sich der Körper relativ zum

Beobachter, so erscheint er in der Bewegungsrichtung verkürzt, senkrecht zur

Bewegungsrichtung bleibt die Länge unverändert.

Zwei an einem Ort synchronisierte Uhren werden an verschiedene Orte gebracht.

Sie bewegen sich gemeinsam relativ zum Beobachter. Für diesen scheinen die

Uhren nicht nur langsamer als seine eigene zu gehen, sondern auch je nach dem

Ort der beobachteten Uhr eine unterschiedliche Phasenkonstante zu besitzen,

d.h. die beiden bewegten Uhren laufen nicht mehr synchron. Gleichzeitigkeit im

ruhenden System bedeutet nicht Gleichzeitigkeit im bewegten.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt im ruhenden System hat

einen

bestimmten Wert. Je nach dem Ort im bewegten System ergibt sich

entsprechend der Formel eine unterschiedliche Zeit t. Je größer der Wert von

ist, um so kleiner muss sein, damit der Ausdruck

seinen Wert behält.

Die Größen Eigenzeit und Ruhlänge stellen in der speziellen Relativitätstheorie

Invarianten dar. Sie charakterisieren einen Körper. Beispiele sind die Zerfallszeit

eines radioaktiven Teilchens und die Länge eines Stabes jeweils im Ruhsystem.

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35

Anstelle der alten absoluten Größen x und t tritt die Invariante

(dreidimensional: ) auf. Sie ist

das Quadrat des „Raum-Zeit-Abstands“ zweier Ereignisse. Er ist absolut, während

der rein räumliche oder zeitliche Abstand relativ ist. Raum und Zeit sind zur

Raum-Zeit („Welt“) vereinigt. Die spezielle Relativitätstheorie vereinigt noch

andere Größen, z.B. Energie-Impuls, Frequenz-Wellenzahl und elektrisches Feld-

magnetisches Feld.

Zur Verdeutlichung von Längenkontraktion und Zeitdilatation gibt der

Informationskasten C ein Beispiel.

3.5 Relativistische Masse

Auch die Masse ist infolge der beiden Prinzipien der speziellen Relativitätstheorie

keine systemunabhängige Konstante mehr. Die Masse ist im Ruhsystem am

kleinsten und vergrößert sich mit wachsender Relativgeschwindigkeit v zum

Beobachter um den Faktor

.

Abb. 9 Im System S misst man die Geschwindigkeit u (Massenpunkt, der parallel zur y-Achse auf die Wand zufliegt). Im bewegten

System (bewegt sich mit der Geschwindigkeit v relativ zum System S) misst man dagegen die kleinere Geschwindigkeit .

Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden (vergl. Abb. 9). Ein Massenpunkt m fliegt

mit einer relativ zu c kleinen Geschwindigkeit u senkrecht auf eine Wand zu und

bleibt darin hängen (unelastischer Stoß). Er überträgt dabei den Impuls p = mu auf

die Wand. Das zur Beschreibung benutzte Inertialsystem S liegt so, dass u parallel zur

y-Achse ist, d.h.

gilt. Nun soll dieser Vorgang von einem gegenüber S mit der

Geschwindigkeit v in x-Richtung bewegten System aus beschrieben werden. Ein

Streckenabschnitt y erscheint in genau so groß . Die für diesen

Streckenabschnitt benötigte Zeit ist jedoch im -System größer:

. Im

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bewegten -System misst man deshalb die Geschwindigkeit

.

Der übertragene Impuls sollte demnach kleiner sein als der im ruhenden S-

System gemessene. Das wäre eine Verletzung des Impulserhaltungssatzes.

lässt sich nur erreichen, wenn für die Masse im bewegten System der Ausdruck

benutzt wird.

Es ist üblich, die Masse eines Körpers im Ruhsystem als Ruhmasse m0 zu bezeichnen.

Dann ist die relativistische Masse m in einem mit der Geschwindigkeit v bewegten

Inertialsystem durch

(relativistische Masse) gegeben4. Die Formel wurde durch

zahlreiche Experimente bestätigt.5

3.6 Energie und Masse

So wie der Impulserhaltungssatz sollte auch der Energieerhaltungssatz Gültigkeit

behalten. Für die Gesamtenergie E errechnete Einstein die Formel E = m c2. Eine

Energieänderung E hat demnach eine Massenänderung

zur Folge und

umgekehrt. Es besteht eine Äquivalenz zwischen Masse und Energie, wobei mit m

die relativistische Masse gemeint ist.

Die Formel E = m c2 kann wie folgt plausibel gemacht werden.6 Die kinetische Energie

eines Teilchens sollte für relativ zu c kleine Geschwindigkeiten v durch die Formel

aus der klassischen Mechanik gegeben sein. Für die relativistische

Masse kann man bei kleinen Geschwindigkeiten näherungsweise schreiben

, also

, woraus

4 Eine allgemeine Herleitung, die die relativistische Gleichung für die Addition von Geschwindigkeiten

benutzt, kommt zum gleichen Ergebnis. Vergl. z.B. R. Resnick: Einführung in die spezielle

Relativitätstheorie. Klett Studienbücher, Stuttgart 1976, S. 108 ff. 5 Z.B. Bestimmen der spezifischen Elektronenladung

; in Abhängigkeit von

durch Ablenken von

bewegten Elektronen im elektrischen Feld eines Plattenkondensators. 6 Vergl. zur exakten Herleitung z.B. Resnick S. 115 ff (a.a.O.).

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folgt.

Die letzte Gleichung kann so interpretiert werden, dass mc2 die Gesamtenergie und

m0c2 die Ruhenergie des bewegten Teilchens ist, seine innere Energie. Sie gilt auch

für große Geschwindigkeiten, nur ist dann die kinetische Energie durch die

relativistische Formel

gegeben. Diese strebt für kleine v

gegen den klassischen Ausdruck für die kinetische Energie.

Eine der vielen experimentell belegten Konsequenzen der Einsteinschen Formel ist

der sogenannte Massendefekt. Die Masse zweier weit entfernter Nukleonen

(Kernbausteine wie Protonen oder Neutronen) ist größer als die zweier gebundener.

Die zum Massendefekt m0 gehörende Energie m0c2 wird zum größten Teil mit

Hilfe von Lichtquanten (ohne Ruhmasse!) abgestrahlt. Die zur Ruhmasse eines

Elektron-Positron-Paares gehörende Energie kann sogar vollständig in

Photonenenergie verwandelt werden. Es gibt also für die Ruhenergie keinen

Erhaltungssatz, die relativistische Masse und entsprechend die Energie bleiben

jedoch erhalten.

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INFORMATIONSKASTEN C

Radioaktiver Zerfall bewegter Pionen –

nur eine relativistische Rechnung führt zum Ziel

Radioaktive Pionen – positiv oder negativ geladene Elementarteilchen, die in

Beschleunigern durch Beschießen von geeigneten Targets mit beschleunigten

Protonen erzeugt werden – haben in ihrem Ruhsystem eine Halbwertzeit von

1,77 10-8 s. In dieser Zeit ist die Anfangsintensität der Pionen auf die Hälfte

abgesunken. Bei Pionen, die das Target mit einer Geschwindigkeit von 0,99 c

verlassen, wurde 37 m hinter dem Target ein Absinken der Intensität auf die

Hälfte beobachtet.

In der klassischen Physik sind diese Ergebnisse widersprüchlich. Nach

deren Gesetzen müsste die Intensität des Pionenstrahls schon nach 5,3 m

auf die Hälfte abgesunken sein, denn aus den angegebenen Werten

errechnet man

.

In der speziellen Relativitätstheorie gibt es zwei Möglichkeiten, das

experimentelle Ergebnis theoretisch zu bestätigen.

I. Rechnung im Laborsystem

Ein Beobachter im Labor misst die Zeit

während im relativ

zu ihm mit den Pionen mitbewegten System die Zeit vergeht (Zeitdilatation). Man berechnet

.

In dieser Zeit legen die Pionen den Weg

d = v t = 2,97 108

1,255 10-7s = 37,3 m zurück.

II. Rechnung im Ruhsystem der Pionen

Vom Ruhsystem der Pionen aus erscheint die Laborstrecke von 37,3 m verkürzt (Längenkontraktion):

.

Bis diese Strecke sich an den Pionen vorbeibewegt hat, vergeht die Zeit

.

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Abb. 10

Unsere wissenschaftlichen Koryphäen beim Studium eines Einstein-Problems.

Angeblich Lieblings-Karikatur von Einstein: Sie stammt von dem Niederländer Wim van

Wieringer und erschien 1950 in der Zeitung „De Groene Amsterdamer“ mit der

angegebenen Unterschrift.

4. Kurzer Ausblick auf die allgemeine Relativitätstheorie (ART)

Die spezielle Relativitätstheorie (SRT) hat sich in einem sehr großen

Erfahrungsbereich hervorragend bewährt. Dennoch erkannte bereits Einstein ihre

Grenzen:

- Beschränkung auf Inertialsysteme

- Beschränkung auf Galilei-Koordinaten (keine krummlinigen Koordinaten)

- Nichterfassen der Gravitation

Durch das Aufstellen der ART7 konnte sich Einstein (1916) von diesen

Einschränkungen lösen. Das allgemeine Relativitätsprinzip fordert die prinzipielle

Gleichwertigkeit aller Bezugssysteme (z.B. auch beschleunigter) für die Formulierung

von physikalischen Gesetzen:

7 Vergl. z.B. H. Melcher: Relativitätstheorie in elementarer Darstellung, Dt. Verlag der Wiss., Berlin Ost

1974 oder E. Schmutzer: Relativitätstheorie aktuell, Verlag Harry Deutsch, Thun und Frankfurt (Main)

1981.

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„Die Grundgesetze der Physik besitzen für zwei in beliebigem Bewegungszustand

befindliche Beobachter bei Benutzung beliebiger, kontinuierlich auseinander

hervorgehender Koordinatensysteme dieselbe Form“ (Formulierung nach

Schmutzer).

Für die Einbeziehung der Gravitation war die experimentell sehr gut bestätigte

Gleichheit von träger und schwerer Masse entscheidend: Einstein verdeutlicht

in seinem Fahrstuhlexperiment die (lokale) Äquivalenz von Gravitations- und

Beschleunigungsfeld. (In einem geschlossenen Kasten im Weltraum ist

prinzipiell nicht unterscheidbar, ob ein Gravitationsfeld („nach unten“) oder

ein Beschleunigungsfeld („nach oben“) wirkt.) Die ART verknüpft Raum-Zeit

und Materie auf neue Weise, indem die Masseverteilung die Geometrie des

Raumes bestimmt. Der Raum ist nicht mehr einfach „Behälter“ der Dinge.

Gravitationsfelder werden aus der Krümmung des Raumes erklärt. Die ART

führt zu einem Verständnis des Newtonschen Gravitationsgesetzes und sagt

zugleich kleine Abweichungen von der klassischen Theorie voraus (Lichtablen-

kung an der Sonne, Periheldrehung des Merkur, Gravitationsrotverschiebung,

Laufzeitmessung von Radar-Echos (Shapiro), Uhren im Gravitationsfeld

(Nafele-Keating) u.a.). Obwohl der Bestätigungsgrad der ART noch nicht so

groß ist wie der der SRT, sprechen bisher alle Experimente quantitativ für ihre

Gültigkeit. Die ART ist nicht zuletzt auch quantitativ Grundlage der modernen

Kosmologie.

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Edith Gutsche

Zur Theorienbildung bei Albert Einstein 1. Fragen, die zur speziellen Relativitätstheorie führten

1.1 Eine störende Asymmetrie und ein überflüssiger Begriff

1.2 Zur Quantenhypothese

1.3 Stolpersteine in der Physiklandschaft um 1900

1.4 Zu Einsteins Denkweise

1.5 Auf der Suche nach einer neuen Physik

1.6 Aufstellen der speziellen Relativitätstheorie

1.7 Das Machsche Prinzip

2. Zur Entstehung einer Prinzipientheorie

2.1 Einsteins Modell einer Prinzipientheorie

2.2 Zwei Teilaufgaben für den Theoretiker

2.3 Das Verhältnis von Ratio und Erfahrung in einer Theorie

2.4 Zwei Kriterien für die Güte einer physikalischen Theorie

2.5 Ausbau oder Neubau einer Theorie

2.6 Vorurteile hemmen oder fördern die Theorienbildung

Um wesentliche Momente, die bei der Entstehung einer neuen

wissenschaftlichen Theorie eine Rolle spielen können, zu entdecken, wollen

wir versuchen, Einstein bei seiner Suche nach einem neuen Verständnis von

Raum und Zeit ein wenig „auf die Finger zu sehen“.

Im ersten Teil dieses Referates soll das physikalische Umfeld um 1900 aus der

Sicht Einsteins erhellt werden. Dort gab es eine ganze Reihe von Stolpersteinen

für die zeitgenössischen Theoretiker, einige davon scheinen jedoch Einstein

stärker beschäftigt zu haben als die übrigen Physiker. Einstein besaß den Mut,

statt einer theoretischen Flickschusterei, bei der durch Ad-hoc-Hypothesen die

Theorie den experimentellen Ergebnissen angepasst werden soll, einen

Neubau zu wagen. Er musste sich für einen von zwei scheinbar möglichen

Wegen, den induktiven oder deduktiven entscheiden, d.h. für das Aufstellen

einer konstruktiven oder einer Prinzipientheorie. Einstein wählte den Weg

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Gutsche, Zur Theorienbildung bei Albert Einsteins

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einer Prinzipientheorie und wurde nicht müde, immer wieder diesen Weg als

den für eine übergreifende Theorie einzig möglichen zu verteidigen.

Im zweiten Teil dieses Referats soll ausgehend von einem Modell der Entstehung

und des Aufbaus einer Prinzipientheorie die Bedeutung von außer- und

vorwissenschaftlichen Vorstellungen (thematisch geformten Vorurteilen) am Beispiel

Einsteins aufgezeigt werden.

1. Fragen, die zur speziellen Relativitätstheorie führten

1.1 Eine störende Asymmetrie und ein überflüssiger Begriff

Einsteins Denken war stark von gewissen Grundvorstellungen geprägt. Sie bilden

quasi ein Raster zur Beurteilung physikalischer Erklärungsmodelle. Zwei Beispiele

sollen das verdeutlichen. Die zugehörigen Grundvorstellungen (thematisch geformte

Vorurteile) sind mit den Schlagworten Symmetrie und Denkökonomie verbunden.

Ein Beispiel zum Thema Symmetrie:

Einstein schreibt im Alter von 67 Jahren in seiner Autobiographie:1 „Der

faszinierendste Gegenstand zur Zeit meines Studiums war die Maxwellsche

Theorie“ (Autob. S. 12). Gerade sie wurde jedoch in den von Einstein

besuchten Vorlesungen an der ETH Zürich ausgelassen. Diese Lücke füllte

Einstein selber durch die Lektüre einiger Werke von Kirchhoff, Helmholtz und

Hertz sowie Föppls „Einführung in die Maxwellsche Elektrizitätslehre“ aus dem

Jahr 1894 aus.2 Föppl hatte sich bemüht, möglichst allgemeinverständlich

gerade für Studenten mit wenig Vorkenntnissen zu schreiben, ohne dabei auf

wissenschaftliche Strenge zu verzichten. Darüber hinaus macht er an

unterschiedlichen Stellen auf offene Fragen aufmerksam, so auch auf ein

physikalisches Problem bei Induktionsexperimenten. Es bezieht sich auf die

gleichen experimentellen Situationen, mit denen Einstein seine erste Arbeit

zur Relativitätstheorie beginnt.3 In der Maxwellschen Theorie benötigte man

zwei verschiedene Gleichungen, um die induzierte Spannung in einem Leiter zu

berechnen, die eine für den Fall, dass der Leiter relativ zu einem ruhenden

1 Albert Einstein: Autobiographisches in Paul Arthur Schilpp (Hrsg.): Albert Einstein als Philosoph und

Naturforscher. Vieweg, Braunschweig 1979. Im weiteren Text zitiert mit Autob.

2 Gerald Holton: Themata. Zur Ideengeschichte der Physik. Vieweg, Braunschweig 1984 in der Reihe

Facetten der Physik. Im weiteren Text zitiert mit Holton. Hier: Holton S. 71.

3 Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. Annalen der Physik 17, 891 (1905).

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Magnetfeld bewegt wird, die andere für den Fall, dass der Leiter ruht, während

der Feldmagnet bewegt wird.

Föppl schreibt: „Wenn wir im Folgenden von den Sätzen der Kinematik über die

Relativbewegung Gebrauch machen wollen, müssen wir bei dieser Sachlage mit

Vorsicht verfahren. Wir dürfen es nicht a priori als feststehend ansehen, dass es z.B.

gleichgültig ist, ob ein Magnet sich in der Nähe eines ruhenden elektrischen

Stromkreises oder ob dieser sich bewegt, während der Magnet ruht, falls nur in

beiden Fällen die Relativbewegung die gleiche ist“ (Holton S. 73 f).

Nach Einstein sollte es allerdings allein auf die Relativbewegung ankommen. Seine

Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ beginnt mit dem Satz: „Dass die

Elektrodynamik Maxwells – wie dieselbe gegenwärtig aufgefasst zu werden pflegt –

in ihrer Anwendung auf bewegte Körper zu Asymmetrien führt, welche den

Phänomenen nicht anzuhaften scheinen, ist bekannt“ (Holton S. 117).

Hier wird ein wichtiger Ansatz Einsteins deutlich. Ihn stören Asymmetrien in der

vorliegenden Naturbeschreibung, „welche den Phänomenen nicht anzuhaften

scheinen.“ Etwa 1919 formuliert er: „Der Gedanke, dass es sich hier um zwei

wesensverschiedene Fälle handele, war mir aber unerträglich.“4

Ein Beispiel zum Thema Denkökonomie:

Zentrale Begriffe der Maxwellschen Theorie sind das elektrische und magnetische

Feld. Es gibt wellenförmig sich ausbreitende und statische Felder. In jedem Fall üben

die Felder auf elektrische Ladungen bzw. magnetische Pole an deren Ort elektrische

bzw. magnetische Kräfte aus („Nahwirkung von Kräften“). Dieser Feldbegriff ließ sich

später auch auf Gravitationswirkungen übertragen. In der Newtonschen Physik

dagegen konnte das Phänomen der Massenanziehung nur über den Begriff

„Fernwirkung von Kräften“ beschrieben werden. Man meinte in der Elektrodynamik

allerdings, noch einen Träger für die Felder zu brauchen, den „Äther“. Dieser sollte

den gesamten Raum erfüllen, die materiellen Teilchen schwimmen dann gleichsam

in ihm herum. Diese Forderung nach einem Äther war notwendig, da es „den

Physikern des 19. Jahrhunderts völlig absurd erschienen wäre, dem Raum selbst

physikalische Funktionen bzw. Zustände zuzuschreiben!“ (Weltb. S. 142)5. So wie der

4 A. Einstein: „Grundlegende Ideen und Methoden der Relativitätstheorie, in ihrer Entwicklung

dargestellt“, erstmals zitiert von Holton (S. 92) aus einem unveröffentlichten Manuskript aus dem

Einstein-Archiv des Princeton Institute of Advanced Study.

5 A. Einstein: Mein Weltbild. Ullstein Buch Nr. 65, Berlin 1957. Im weiteren Text zitiert mit Weltb.

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Schall die Luft als Träger braucht, benötigen elektrische, magnetische und

Gravitationsfelder den Äther.

Probleme bereiteten die vermuteten mechanischen Eigenschaften des Äthers. Wird

z.B. der Äther im Innern von bewegter Materie mit dieser ganz oder teilweise

mitgeführt? Fizeau (1851) und – mit größerer Genauigkeit – Hoek (1868) konnten in

ihren Versuchen eine partielle Mitführung nachweisen. Die Experimente von

Michelson und Morley (1887) brachten jedoch einen Widerspruch zur scheinbar

durch die Versuche von Fizeau und Hoek bestätigten Form der Äthertheorie. Im

Vakuum sollte es entsprechend dieser Theorie keine Mitführung geben, auf der

Erdoberfläche müsste also ein Ätherwind zu spüren sein. Dieser konnte in den

Versuchen von Michelson und Morley nicht nachgewiesen werden.6

Obwohl Einstein dieses entscheidende Experiment von Michelson und Morley wohl

nicht kannte (Holton S. 78), verzichtet er in seiner ersten Relativitätsarbeit 1905 auf

den Ätherbegriff.7 Es muss ihm auch ohne Kenntnis dieses Experiments klar gewesen

sein, dass „Felder physikalische Zustände des Raumes“ (Weltb. S. 143) sind.

Sein Interesse an tatsächlich durchgeführten Experimenten war im Übrigen gering.

Ihn fesselten mehr grundlegende physikalische Probleme und Gedanken-

experimente. So konnte ihn ein unmittelbar auf seine Relativitätsarbeit von 1905

folgender, in den Annalen der Physik 1906 veröffentlichter Bericht8 des berühmten

Göttinger Experimentalphysikers Kaufmann nicht beirren. Darin wurden

Messergebnisse bekanntgegeben, die Einsteins Theorie zu widerlegen schienen und

die Äthertheorie untermauerten. Erst zehn Jahre später stellte sich heraus, dass

Kaufmanns Apparatur fehlerhaft war – im benutzten Vakuumsystem befand sich ein

Leck. Einstein war von seinem Entwurf so überzeugt, dass er seine Publikationen

fortsetzte, „als ob nichts geschehen wäre“ (Holton S. 122).

6 Die Versuche von Fizeau und Hoek prüfen die Theorie nur bis zur Größenordnung v/c, während die

Experimente von Michelson und Morley auch Terme der Größenordnung (v/c)2 überprüfen. (c:

Vakuumlichtgeschwindigkeit, v z.B. bei Michelson und Morley: Geschwindigkeit der Erde relativ zum

Fixsternhimmel).

7 Einstein schreibt (1905): „Die Einführung eines „Lichtäthers“ wird sich insofern als überflüssig

erweisen, als nach der zu entwickelten Auffassung weder ein mit besonderen Eigenschaften

ausgestatteter „absoluter Raum“ eingeführt, noch einem Punkt des leeren Raumes, in welchem

elektromagnetische Prozesse stattfinden, ein Geschwindigkeitsvektor zugeordnet wird.“ (a.a.O.)

8 Walter Kaufmann: über die Konstitution des Elektrons. Annalen der Physik 19, 487-553, 1906.

Vorbericht zum gleichen Thema im Sitzungsbericht der 4. preuß. Akademie d. Wiss. 45, S. 949 - 956,

1905. Vergl. Holton S. 122 f.

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Gutsche, Zur Theorienbildung bei Albert Einsteins

45

Offenbar waren ihm die Widersprüche im Bild der klassischen Physik – sie werden in

den beiden folgenden Kapiteln beschrieben – viel zu fundamental, als dass ihn der

Ausgang eines Experiments die neu gewonnene Erkenntnis über Raum und Zeit, die

einen viel befriedigenderen Erklärungshorizont für die Physik lieferte, in Frage stellen

ließ.

Während H. A. Lorentz die Äthertheorie durch Ad-hoc-Annahmen wie die Lorentz-

Kontraktion den experimentellen Ergebnissen anzupassen versuchte9, folgert

Einstein, dass der Äther keine vom Raum unterscheidbaren Eigenschaften hat und

daher ein überflüssiger Begriff ist. Entsprechend der Forderung nach größtmöglicher

Einfachheit einer Theorie musste der Ätherbegriff entfallen. Hierin ist der Einfluss

Ernst Machs (vergl. Kapitel 1.7) zu spüren.

1.2 Zur Quantenhypothese

Nach der Vorarbeit von Boltzmann gelang es Max Planck im Jahr 1900, eine Formel

für die spektrale Strahlungsdichte eines „schwarzen Körpers“ (Energie pro Zeit-,

Flächen- und Frequenzeinheit, die in einen Kegel vom Öffnungswinkel 1 ausgestrahlt

wird) aus dem reichlich vorliegenden experimentellen Datenmaterial abzuleiten. Aus

dieser Formel ließ sich mit Hilfe der Maxwellschen Theorie die mittlere Energie eines

quasi-monochromatischen Oszillators berechnen, die dieser dem Strahlungsfeld

entnehmen oder an es abgeben kann.

Für hohe Temperaturen folgte „derselbe Ausdruck, den die kinetische Gastheorie für

die mittlere Energie eines in einer Dimension elastisch schwingungsfähigen

Massenpunktes liefert“ (Autob. S. 15). Für tiefe Temperaturen ergab sich jedoch

keine Übereinstimmung. Da die Strahlungsformel empirisch belegt war, gab es für

Einstein nur zwei Konsequenzen: „Die mittlere kinetische Energie des Oszillators wird

entweder durch die Gastheorie falsch geliefert, was eine Widerlegung der Mechanik

bedeuten würde; oder die mittlere Energie des Oszillators ergibt sich unrichtig aus

der Maxwellschen Theorie, was eine Widerlegung der letzteren bedeuten würde“

(Autob. S. 16). Bei der Herleitung der Planckschen Strahlungsformel müssen

Energieportionen hf (h: Plancksches Wirkungsquantum, f: Frequenz) verwendet

werden, womit unterstellt wird, dass die Oszillatoren nur ganze Energieportionen

9 H. A. Lorentz: Elektromagnetic Phenomena in a System Moving with Any Velocity Less than that of

Light. Proceedings of the Academy of Sciences of Amsterdam 6, 1904. Diese Arbeit zeigt starke

Überschneidungen mit Einsteins Relativitätsartikel, war Einstein jedoch vor der Veröffentlichung des

eigenen Artikels nicht bekannt. (Holton S. 111).

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(Quanten) absorbieren und emittieren können. Diese Annahme stellt einen

Widerspruch zur klassischen Mechanik dar. (Sie ermöglichte Einstein jedoch 190510

eine Deutung des Fotoeffekts, wofür ihm am 11. Dezember 1922 der Nobelpreis

verliehen wurde.) Kurz nach dem Erscheinen von Plancks grundlegender Arbeit war

Einstein schon klar, „dass weder die Mechanik noch die Elektrodynamik (außer in

Grenzfällen) exakte Gültigkeit beanspruchen können“ (Autob. S. 19).

Ein Verständnis des aufgerissenen Problems wurde insbesondere durch Bohr in der

Quantenmechanik möglich. Für Einstein bildeten die durch Plancks Arbeiten

aufgerissenen Fragen zusammen mit weiteren offenen Fragen den Motor, der ihn

trieb, nach einem tieferen Verständnis der Mechanik und Thermodynamik zu

suchen. „Es war, wie wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden

wäre, ohne dass sich irgendwo fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen

können“ (Autob. S. 17).

1.3 Stolpersteine in der Physiklandschaft um 1900

Es gab neben den genannten noch eine Reihe weiterer Widersprüche bzw.

„Ungereimtheiten“ in der Physik, wie Einstein sie vorfand. In Autobiographisches

nennt er u.a. folgende Punkte:

In der Newtonschen Mechanik verhilft das Bewegungsgesetz (Kraft =

Masse Beschleunigung, falls die Masse konstant ist) erst zu

physikalischen Aussagen, wie dem Weg-Zeit-Gesetz, wenn das jeweils

zuständige Kraftgesetz (z.B. bei einer geeigneten Feder das lineare

Kraftgesetz , wobei die Kraft, D die Federhärte und die

Ausdehnung bezeichnen) bekannt ist. Es lässt sich nicht aus der Theorie

ableiten, muss also anderweitig (experimentell) gefunden werden. Dies

empfand Einstein als „Willkür“ (Autob. S. 11).

Im ladungs- bzw. materiefreien Raum kann jedoch ein allgemeines Gesetz

angegeben werden, aus dem das jeweils zugehörige Kraftgesetz folgt: Bei der

Gravitationskraft oder auch elektrischen Kraft lässt sich eine skalare

Potentialfunktion finden, deren Gradient die Kraft ergibt und für die im

materiefreien Raum das Gesetz = 0 (Laplacesche Differentialgleichung) gilt.

Rückblickend schreibt Einstein dazu in Autobiographisches S. 11: „Es wäre also

10 A. Einstein: Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen

Gesichtspunkt. Annalen der Physik 17, 132, 1905. Abgedruckt in D. Ter Haar (Hrsg.): Quantentheorie,

Einführung und Originaltexte. Berlin 1969.

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naheliegend gewesen, dies als ein Anzeichen dafür zu betrachten, dass man

diese Funktion als durch ein Raumgesetz bestimmte anzusehen hätte, wodurch

die Willkür in der Wahl des Kraftgesetzes beseitigt worden wäre.“ Auch hat der

Begriff Fernkraft in solch einer Theorie keinen Platz mehr. Die auftretenden

Kräfte sind Feldkräfte.

In Theorien auftretende Unsymmetrien haben Einstein immer gestört. Dies wird

an zwei Beispielen deutlich.

Im Newtonschen Bewegungsgesetz tritt die träge Masse auf, in den

zugehörigen Kraftgesetzen dagegen nicht bis auf eine Ausnahme, das

Gravitationsgesetz. Das war für Einstein Ausdruck einer „inneren Unsymmetrie“

der Newtonschen Theorie (Autob. S. 12).

Die Maxwellsche Theorie unterscheidet – wie in Kapitel 1.1 schon ausgeführt –

bei der elektromagnetischen Induktion die beiden Fälle, Bewegung eines

elektrischen Leiters relativ zu einem Magnetfeld und Bewegung eines

Magneten relativ zu einem elektrischen Leiter. Diese Asymmetrie störte

Einstein, da ihr die Erfahrung nicht zu entsprechen scheint.

Weiter konnte sich Einstein nicht mit dem Dualismus je zweier nebeneinander

verwendeter elementarer Begriffe, wie der „materielle Punkt im Newtonschen

Sinne und das Feld als Kontinuum“ oder die „kinetische Energie“ und die

„Feldenergie“ – zwei jeweils prinzipiell verschiedene Dinge – abfinden. Er gibt zu

bedenken, dass auch beispielsweise das Magnetfeld einer bewegten

elektrischen Ladung Trägheit repräsentiert. „Warum also nicht die ganze

Trägheit?“ fragt er. Dann gibt es nur noch Feldenergie und ein Teilchen ist dann

ein „Gebiet besonders großer Dichte der Feldenergie“ (Autob. S. 14).

Die Elektrizitätslehre wurde von den meisten Physikern als Teil der Mechanik

angesehen. Die elektrischen Kräfte erforderten die Einführung sogenannter

„elektrischer Massen“ (mit elektrischer Ladung behaftete Massen11), die im

Gegensatz zu schweren Massen bei der Gravitation polare Wechselwirkungen

aufeinander ausüben. Dies ließ sich nicht aus der Newtonschen Mechanik

ableiten, es stellt vielmehr etwas Neues dar.

Bemerkenswert ist für Einstein der Umstand, dass die Physiker halb unbemerkt

sich daran gewöhnt hatten, mit elektromagnetischen Feldern „als selbständigen

11 Der damals übliche und von Einstein in Autob. S. 9 benutzte Begriff spiegelt wohl den Versuch der

zeitgenössischen Physiker wieder, die Elektrodynamik auf die Mechanik zurückzuführen.

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Wesenheiten zu operieren“ (Autob. S. 10) und damit die Newtonsche Mechanik

als Basis der Physik praktisch schon verlassen hatten.

1.4 Zu Einsteins Denkweise

Auffällig bei Einstein ist einerseits sein Beharren auf gewissen Sichtweisen der Physik,

so seine Vorliebe für das Kontinuum, das Feld, für Symmetrien und Einfachheit und

auf der anderen Seite seine Fähigkeit, Neues zu denken, so die Einführung eines

neuen Zeit- und Raumbegriffs und als Folgerung aus dem Planckschen

Strahlungsgesetz diskrete Energiequanten für das Licht.

Einsteins Denken war in starkem Maß visuell geprägt. Erst spät lernt er als Kind

sprechen. Seine Schwester Maja schreibt im Jahr 1924 (Holton S. 96): „In der

Kindheit verlief seine allgemeine Entwicklung sehr langsam und das Sprechen fiel

ihm so schwer, dass seine Umgebung fürchtete, er würde es nie erlernen.“ Auch das

Erlernen einer Fremdsprache machte dem Schüler Einstein große Mühe. So steht

Sprache bei Einstein in der Regel erst am Ende eines Denkprozesses, wenn dieser

mitgeteilt werden soll.

Das Denken selber ist ein Spiel mit Bildern. Einstein sagt über sich:12 „Die Worte oder

die Sprache, wie sie geschrieben oder gesprochen wird, scheinen keine Rolle in

meinen Denkmechanismen zu spielen. Die psychischen Größen, die mir als Elemente

des Denkens zu dienen scheinen, sind bestimmte Zeichen oder mehr oder weniger

klare Bilder, die „willentlich“ reproduziert und kombiniert werden können [...] Vom

psychologischen Gesichtspunkt scheint dieses kombinatorische Spiel das wesentliche

Element produktiven Denkens – bevor es überhaupt irgendeine Verbindung mit

logischen Konstruktionen in Worten oder anderen Zeichen gibt, die anderen

mitgeteilt werden können. Die oben erwähnten Elemente sind, in meinem Fall, von

visueller und einige von taktiler Art.13 Konventionelle Worte und andere Zeichen

müssen erst in einem zweiten Stadium mühsam gesucht werden, wenn das Spiel der

Assoziationen hinreichend etabliert ist und willentlich reproduziert werden kann.“

12 J Hadamard: The Psychology of Invention in the Mathematical Field, (Princeton 1945), S. 142 f., zitiert

in Holton (a.a.O.) S. 97.

13 Holton (a.a.O. S. 105,14) merkt dazu an: „Einstein hätte hier auch „audiovisuell“ schreiben können.

Siehe seine Bemerkungen zu R. S. Shankland (American Journal of Physiks 31, 50 1963): „Wenn ich

lese, so höre ich die Worte. Schreiben fällt mir schwer und ich kommuniziere auf diese Art sehr

schlecht.“

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Einstein erinnert sich an zwei Schlüsselerlebnisse, die schon früh wichtige Bilder

quasi in sein Denken eingepflanzt haben. Als erstes schildert er (Autob. S. 3) das

Staunen über eine Kompassnadel, die sein Vater ihm mit vier oder fünf Jahren

zeigte: „Dass diese Nadel in so bestimmter Weise sich benahm, passte so gar nicht in

die Art des Geschehens hinein, die in der unbewussten Begriffswelt Platz finden

konnte (an „Berührung“ geknüpftes Wirken). Ich erinnere mich noch jetzt – oder

glaube mich zu erinnern –, dass dies Erlebnis tiefen und bleibenden Eindruck auf

mich gemacht hat. Da musste etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war.“

Ein zweites Schlüsselerlebnis hat der zwölfjährige Einstein beim Lesen eines kleinen

Buchs über Euklidische Geometrie der Ebene. Die Klarheit und Sicherheit, mit der

geometrische Aussagen bewiesen werden können – Aussagen, die für den jungen

Einstein zugleich Eigenschaften von sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen

beschrieben –, machten auf ihn einen „unbeschreiblichen Eindruck“ (Autob. S. 3).

Rückblickend schreibt Einstein dazu: „Wenn es so scheint, dass man durch bloßes

Denken sichere Erkenntnis über Erfahrungsgegenstände erlangen könne, so beruhte

dies „Wunder“ auf einem Irrtum. Aber es ist für den, der es zum ersten Mal erlebt,

wunderbar genug, dass der Mensch überhaupt imstande ist, einen solchen Grad von

Sicherheit und Reinheit im bloßen Denken zu erlangen, wie es uns die Griechen

erstmalig in der Geometrie gezeigt haben“ (Autob. S. 4).

Eine wichtige Rolle spielen in Einsteins Theorie jeweils Gedankenexperimente. Auch

der Weg zu neuen Theorien führt in entscheidendem Maß bei ihm über

Gedankenexperimente. So beschäftigte ihn seit seinem 17. Lebensjahr ein

Gedankenexperiment zur Natur des Lichts. Es wird in Kapitel 1.6 beschrieben.

Gerade dieses Experiment liefert Einstein einen entscheidenden Anstoß zum Finden

der speziellen Relativitätstheorie.

1.5 Auf der Suche nach einer neuen Physik

Alle Versuche, die Mechanik aufgrund der inzwischen bekannten neuen Tatsachen

weiterzuentwickeln, scheiterten. Ansätze zu einem Ausbau der Mechanik gab es

durchaus, insbesondere bei Georg Fitzgerald (Trinity College, Dublin), Hendrik

Antoon Lorentz (Leiden) und Henri Poincaré (französischer Mathematiker).

Fitzgerald stellte die These auf, alle in Bewegung befindlichen Objekte verkürzen sich

in ihrer Bewegungsrichtung. Ein Zollstock beispielsweise wird um so kürzer, je

schneller er sich bewegt. Lorentz versuchte die geforderte Verkürzung als direktes

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Ergebnis elektromagnetischer Kräfte zu erklären.14 Die Zunahme der trägen Masse

mit der Geschwindigkeit, sowie die oberste Grenze möglicher Geschwindigkeiten,

mit der Massen bewegt werden können, nämlich die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit

c, waren ebenfalls bekannt. Selbst eine veränderliche sogenannte „lokale

Zeitkoordinate“ wurde schon von Lorentz 1895 eingeführt. Man fasste sie jedoch als

unphysikalische, rein mathematische Koordinate auf. Poincaré (1900) und Hasenöhrl

(1904) trafen für die elektromagnetische Strahlung auf eine Äquivalenz von Masse

und Energie.15

Poincaré formuliert 1904 (auf einem Kongress der Künste und Wissenschaften in St.

Louis): „Vielleicht sollten wir eine ganz neue Mechanik konstruieren, von der wir nur

einen flüchtigen Blick erhaschen können und wo, wenn die träge Masse mit der

Geschwindigkeit zunimmt, die Lichtgeschwindigkeit die oberste Grenze darstellen

wird.“ Die neuen Vorstellungen sollten jedoch in die bestehenden Grundbegriffe

eingefügt werden: „Und bis jetzt beweist noch nichts, dass diese Grundbegriffe nicht

siegreich und intakt aus dem Kampf hervorgehen werden.“16

Die neue Mechanik sollte also aus der alten unter Berücksichtigung aller bekannten

neuen Tatsachen konstruiert werden. Dazu Einstein (Autob. S. 19 f.): „Nach und nach

verzweifelte ich an der Möglichkeit, die wahren Gesetze durch auf bekannte

Tatsachen sich stützende konstruktive Bemühungen herauszufinden. Je länger und

verzweifelter ich mich bemühte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass nur

die Auffindung eines allgemeinen formalen Prinzips uns zu gesicherten Ergebnissen

führen könnte.“

1.6 Aufstellen der speziellen Relativitätstheorie

Das zunächst zu lösende und wohl schwerste Problem bestand für Einstein im

Auffinden eines geeigneten Prinzips: „Wie aber ein solches allgemeines Prinzip

finden? Ein solches Prinzip ergab sich nach zehn Jahren Nachdenkens aus einem

Paradoxon, auf das ich schon mit 16 Jahren gestoßen bin: Wenn ich einem

14 Seine Erklärung: Bewegen sich elektrisch geladene Teilchen durch den Äther, so bewirken die dabei

erzeugten elektromagnetischen Kräfte eine Störung des vorher vorhandenen Gleichgewichts. Eine

neue Zuordnung der Partikelchen wird nötig, der Körper verformt sich. (Ronald W. Clark: Albert

Einstein, Leben und Werk, Bechtle Verlag, Esslingen, 1974, S. 62.)

15 Poincare fand für den Zusammenhang zwischen Energiestromdichte (Pointing-Vektor) und

Impulsdichte des elektrischen Feldes die Beziehung . Sie kann in die Gleichung E = mc2

umgerechnet werden.

16 https://en.wikisource.org/wiki/The_Principles_of_Mathematical_Physics, abgerufen am 13. 3. 2018.

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Lichtstrahl nacheile mit der Geschwindigkeit c (Lichtgeschwindigkeit im Vakuum), so

sollte ich einen Lichtstrahl als ruhendes, räumlich oszillatorisches,

elektromagnetisches Feld wahrnehmen. So etwas scheint es aber nicht zu geben,

weder aufgrund der Erfahrung noch gemäß den Maxwellschen Gleichungen.17

Intuitiv klar erschien es mir von vornherein, dass von einem solchen Beobachter aus

beurteilt alles sich nach denselben Gesetzen abspielen müsse wie für einen relativ

zur Erde ruhenden Beobachter. Denn wie sollte der erste Beobachter wissen, bzw.

konstatieren können, dass er sich im Zustand rascher gleichförmiger Bewegung

befindet?“ (Autob. S. 20) Es bedurfte „nur“ noch der Einsicht, dass auch die Zeit eine

relative Größe ist, dass also beim Übergang vom ruhenden Koordinatensystem zu

einem gegenüber diesem mit konstanter Geschwindigkeit bewegten auch die Zeit

transformiert werden muss, nicht nur jede Ortskoordinate.

Einstein stellt die beiden Prinzipien auf:

1. Konstanz der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit

2. Unabhängigkeit (Kovarianz, Forminvarianz) der Gesetze von der Wahl des

Inertialsystems (spezielles Relativitätsprinzip)

In der klassischen Physik waren diese beiden Prinzipien nicht miteinander vereinbar,

da man beim Wechsel von Inertialsystemen zur Umrechnung der Größen die Galilei-

Transformation benutzte. Die Vereinbarkeit kann aber erreicht werden, wenn für die

Umrechnung von Koordinaten und Zeiten die „Lorentz-Transformation“ zugrunde

gelegt wird. Insbesondere gilt dann Prinzip 2 auch für die Vakuum-

Lichtgeschwindigkeit, d.h. Konstanz der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit unabhängig

vom gewählten Koordinatensystem.

Aus den beiden Prinzipien folgen zum einen im Ansatz schon bekannte

Eigenschaften, so die Erkenntnis, dass die Maxwellschen Gleichungen eine

17 Dies macht Einsteins hohe Wertschätzung der Maxwellschen Gleichungen deutlich: „Die spezielle

Relativitätstheorie verdankt ihre Entstehung den Maxwellschen Gleichungen des

elektromagnetischen Feldes“ (Autob. S. 23) und das obwohl die Maxwellschen Gleichungen den

energetischen Eigenschaften der Strahlung nicht gerecht werden (Quantenerscheinungen). Einstein

zur Thermodynamik: „Es ist die einzige physikalische Theorie allgemeinen Inhalts, von der ich

überzeugt bin, dass sie im Rahmen der Anwendbarkeit ihrer Grundbegriffe niemals umgestoßen

werden wird“ (Autob. S. 12). In der Tat besitzen die Maxwellschen Gleichungen eine höhere

theoretische Entwicklungsstufe als die Newtonschen, denn sie sind forminvariant gegenüber der

Lorentz-Transformation, während dies für die Newtonschen Gleichungen nur im Grenzfall sehr

kleiner Geschwindigkeiten verglichen mit der Lichtgeschwindigkeit gilt.

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kovariante Form besitzen18, die Lorentzkontraktion von Strecken und die

Abhängigkeit der Impulsmasse von ihrer Geschwindigkeit. Aber es folgen auch so

neue Einsichten wie die Zeitdilatation und die global geltende Äquivalenz von Masse

und Energie. Dies macht neben der Brisanz der neuen Erkenntnisse – alle konnten im

Laufe der Zeit eindeutig experimentell bestätigt werden – die Stärken einer auf

Prinzipien beruhenden Theorie aus: Recht unerwartete Folgerungen sowie eine

klare, knappe Darstellung der Zusammenhänge wird möglich. Darin unterscheidet

sich Einsteins Arbeit von 1905 deutlich von den übrigen und dies zeigt auch seine

eigenständige Denkarbeit.

1.7 Das Machsche Prinzip

Großen Einfluss auf den Studenten Einstein hatte Ernst Mach, insbesondere durch

seine historisch-kritische Darstellung der Mechanik. Er forderte, bei der Darstellung

wissenschaftlicher Sachverhalte alle „metaphysischen“ Elemente zu vermeiden –

modern ausgedrückt, nur von „prinzipiell beobachtbaren“ Größen auszugehen.

Folgerichtig kritisierte Mach die von Newton eingeführten Begriffe des absoluten

Raums und der absoluten Zeit, denen, wie Newton sagt, „ohne Beziehung auf einen

äußeren Gegenstand“ physikalische Bedeutung zukommt.

Mach hat die Hypothese eingeführt – sie wurde später von Einstein „Machsches

Prinzip“ genannt –, dass es „in Wahrheit“ eben nicht Newtons absoluter Raum,

sondern die im Raum eingestreuten „fernen Massen“ seien, welche beispielsweise

die Ebene des Foucaultschen Pendels festzuhalten suchen und den Ursprung der

Trägheitskräfte bilden.19

Mach war der Überzeugung, dass es jeweils einen direkten Weg von den

Erfahrungen zu den Begriffen und Grundgesetzen der Physik gibt. Gute Theorien

geben ökonomisch geordnete Erfahrung wieder und sollten den begrifflich

18 Dies wurde von Lorentz 1895 durch eine modifizierte Galilei-Transformation theoretisch begründet.

Unter dieser Transformation haben die Maxwellschen Gleichungen bis zur ersten Ordnung von

nach

der Transformation die gleich Form wie vorher. (Vergl. Arthur I. Killer: Zur Geschichte der speziellen

Relativitätstheorie in P. C. Aichelburg und R. U. Sexl (Hrsg.): Albert Einstein. Sein Einfluss auf Physik,

Philosophie und Politik. Vieweg, Braunschweig 1979, S. 93.)

19 Helmut Hönl: Albert Einstein und Ernst Mach. Das Machsche Prinzip und die Krise des logischen

Positivismus. Phys. Blätter, 11, 1979, S. 488. Für Newton war der Begriff „absoluter Raum“

notwendig, da gegen ihn die Beschleunigungen zu messen waren. Das Machsche Prinzip lässt sich nur

aufrechterhalten für ein endliches Weltall. Aus der allgemeinen Relativitätstheorie folgen jedoch zwei

Möglichkeiten, Endlichkeit und Unendlichkeit. Dann könnte dem Machschen Prinzip eine regulative

Funktion zukommen, die das endliche Weltall als wahrscheinlicher dem unendlichen vorzieht.

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einfachsten Ausdruck von Tatsachen bilden. Dass es solch einen direkten Weg von

den Erfahrungen zur Theorie gibt, hat Einstein später entschieden bestritten. Er führt

als Gegenbeispiel die Newtonsche Mechanik und die allgemeine Relativitätstheorie

an, die beide „mit der Erfahrung weitgehend übereinstimmen“, obwohl sie

„wesentlich verschiedene Grundlagen“ besitzen. Dies ist auch ein Hinweis auf den

vorläufigen Charakter jeder Theorie.

KONSTRUKTIVE THEORIEN UND PRINZIPIENTHEORIEN

(EINE ERKLÄRUNG NACH A. EINSTEIN)

Konstruktive Theorien (Synthetische Methode, induktive Methode)

(Weltb. S. 127 f.)

Aus einem relativ einfachen zugrunde gelegten Mechanismus wird ein Bild der

komplexeren Erscheinungen konstruiert.

Beispiel: Kinetische Gastheorie

Aus der Hypothese der Molekularbewegung wird ein Bild für die mechanischen, thermischen

und Diffusionsvorgänge konstruiert.

Hypothetische Konstruktionselemente – durch experimentelle Tatsachen untermauert –

ermöglichen also über erlaubte Verknüpfungsschritte, die logisch und experimentell

abgesichert sind, die Konstruktion einer Theorie.

Prinziptheorie (Analytische Methode, deduktive Methode)

(Weltb. S. 128)

Ausgangspunkt und Basis einer Prinziptheorie bilden empirisch gefundene,

allgemeine Eigenschaften der Naturvorgänge, Prinzipien, aus denen dann

mathematisch formulierte Kriterien folgen, denen die einzelnen Vorgänge

bzw. deren theoretische Bilder zu genügen haben.

Beispiel: Thermodynamik

Aus dem Prinzip (allgemeines Erfahrungsresultat), dass ein Perpetuum mobile unmöglich sei,

werden auf analytischem Weg Gesetze ermittelt, denen die einzelnen Vorgänge genügen

müssen.

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2. Zur Entstehung einer Prinzipientheorie

2.1 Einsteins Modell einer Prinzipientheorie

Aufgabe der Wissenschaft ist es, „die chaotische Vielfalt unserer Sinneserfahrungen

in ein logisch einheitliches Gedankensystem einzubauen“ (Einstein, zit. von G.

Holton20). „In diesem System müssen einzelne Erfahrungen mit der theoretischen

Struktur so in Beziehung gesetzt werden, dass das Ergebnis eindeutig und

überzeugend ist.“ (Einstein, Theorienb. S. 115)

Wie gelangt man aber von den unmittelbaren Sinneserfahrungen zu solch einem

theoretischen System? Dazu Einstein in einem Brief vom 7. Mai 1952 an seinen

Freund Solovine (vergl. Abb. 1): „1. Die E (Erlebnisse) sind uns gegeben. 2. A sind die

Axiome, aus denen wir Folgerungen ziehen. Psychologisch beruhen die A auf E. Es

gibt aber keinen logischen Weg von den E zu A, sondern nur einen intuitiven

(psychologischen) Zusammenhang, der immer nur „auf Widerruf“ ist.“ Statt eines

Weges von den Erfahrungen E zu den Axiomen A gibt es nur einen Sprung. Dies wird

in Einsteins Zeichnung (Abb. 1) durch einen Bogen dargestellt, der zwar bei den

Axiomen A endet, aber parallel zur die Erlebnisse E symbolisierenden Geraden

beginnt.

Ist das Aufstellen eines Axiomensystems gelungen, so folgen die Einzelaussagen S

(gefolgerte Sätze) durch reine Deduktion: „3. Aus A werden auf logischem Wege

Einzel-Aussagen S abgeleitet, welche Ableitungen den Anspruch auf Richtigkeit

erheben können.“ (Abb. 1) Diese Aussagen müssen an den Erlebnissen überprüft

werden: „4. Die S werden mit den E in Beziehung gebracht (Prüfung an der

Erfahrung). Diese Prozedur gehört genau betrachtet ebenfalls der extralogischen

(intuitiven) Sphäre an, weil die Beziehung der in den S auftretenden Begriffe zu den

Erlebnissen E nicht logischer Natur sind. Diese Beziehung der S zu den E ist aber

(pragmatisch) viel weniger unsicher als die Beziehung der A zu den E. (Beispiel der

Begriff Hund und die entsprechenden Erlebnisse). Wäre solches Entsprechen nicht

mit großer Sicherheit erzielbar, (obwohl nicht logisch fassbar), so würde die logische

Maschinerie für das „Begreifen der Wirklichkeit“ völlig wertlos (Beispiel Theologie). –

Die Grundessenz ist der ewig problematische Zusammenhang alles Gedanklichen mit

dem Erlebbaren (Sinnes-Erlebnisse).“ (Abb. 1)

20 Gerhard Holton: Einsteins Methoden zur Theorienbildung. In P. C. Aichelburg und R. U. Sexl (Hrsg.):

Albert Einstein. Sein Einfluss auf Physik, Philosophie und Politik. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1979, S. 115. Im Folgenden zit. mit Theorienb.

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Solovine, ein guter Freund Einsteins, soll einen Artikel von Einstein ins Französische übersetzen. Er hat dabei Verständnisschwierigkeiten und schreibt am 25. April 1952 an Einstein. In diesem Brief bittet er, „einen Absatz genau zu erklären, der nicht ganz klar ist. Du schreibst: Die Rechtfertigung (Wahrheitsgehalt) des Systems beruht auf dem Beweis der Nützlichkeit der resultierenden Theoreme auf der Grundlage der Sinneserfahrung, wobei die Beziehung der letzteren zu den ersteren nur intuitiv verstanden werden kann [...].“*)

Antwort von Einstein am 7. Mai 1952:

„Lieber Solo! In Ihrem Brief geben Sie mir‘s für zwei Sünden auf den Popo. [...] Mit der erkenntnistheoretischen Sache haben Sie mich gründlich missverstanden. Wahrscheinlich habe ich mich schlecht ausgedrückt [...].

Ich sehe die Sache schematisch so

1. Die E (Erlebnisse) sind uns gegeben.

2. A sind die Axiome, aus denen wir Folgerungen ziehen. Psychologisch beruhen die A auf E. Es gibt aber keinen logischen Weg von den E zu A, sondern nur einen intuitiven (psychologischen) Zusammenhang, der immer „auf Widerruf ist“.

3. Aus A werden auf logischem Wege Einzel-Aussagen S abgeleitet, welche Ableitungen den Anspruch auf Richtigkeit erheben können.

4. Die S werden mit den E in Beziehung gebracht (Prüfung an der Erfahrung). Diese Prozedur gehört genau betrachtet ebenfalls der extralogischen (intuitiven) Sphäre an, weil die Beziehung der in den S auftretenden Begriffe zu den Erlebnissen E nicht logischer Natur sind. Diese Beziehung der S zu den E ist aber (pragmatisch) viel weniger unsicher als die Beziehung der A zu den E. (Beispiel der Begriff Hund und die entsprechenden Erlebnisse). Wäre solches Entsprechen nicht mit großer Sicherheit erzielbar, (obwohl nicht logisch fassbar), so würde die logische Maschinerie für das „Begreifen der Wirklichkeit“ völlig wertlos (Beispiel Theologie). – Die Grundessenz ist der ewig problematische Zusammenhang alles Gedanklichen mit dem Erlebbaren (Sinnes-Erlebnisse).“

* Zit. nach G. Holton: Einsteins Methoden zur Theorienbildung in: P. C. Aichelburg und R. U. Sexl (Hrsg.): Albert Einstein. Sein Einfluss auf Physik, Philosophie und Politik, Vieweg Braunschweig

1979, S. 112 ff. Abb. 1

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2.2 Zwei Teilaufgaben für den Theoretiker

Die Aufgabe des Theoretikers besteht demnach aus zwei Teilen:

I. Die Axiome (Prinzipien) aufspüren und

II. aus diesen Axiomen (Prinzipien) ableitbare Folgerungen entwickeln.

1. Teilaufgabe:

Die Methode zur Bewältigung der ersten Aufgabe kann nicht erlernt werden. Der

Forscher muss der Natur die allgemeinen Prinzipien „gleichsam ablauschen, indem

er an größeren Komplexen von Erfahrungstatsachen gewisse allgemeine Züge

erschaut, die sich scharf formulieren lassen.“ (Weltb. S. 111) „Zu diesen elementaren

Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur die auf Einfühlung in die Erfahrung

sich stützende Intuition.“ (Weltb. S. 109) Einsteins Auffassung steht hier im krassen

Widerspruch zu Ernst Mach, der überzeugt war, dass ein direkter Weg von den

Erfahrungen zu den Grundbegriffen und Grundgesetzen der Physik führt, der durch

logische Analyse des Beobachteten, durch Induktion, gefunden werden kann.

Auch Newton war der Meinung, er benutze nur die Erscheinungen zum Aufstellen

seiner Mechanik: „Hypoteses non fingo. (Hypothesen erfinde ich nicht) Alles

nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese, und

Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder

diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik

aufgenommen werden.“21

Newtons Begriffe des „absoluten Raums“ und der „Fernkräfte“ entsprechen jedoch

keiner Erfahrung. Newton selber muss darüber Unbehagen gespürt haben, der

Erfolg seiner Theorie hat ihn und die Physiker des 18. und 19. Jahrhunderts

vermutlich daran gehindert, den „fiktiven Charakter der Grundlagen seines Systems

zu erkennen.“ (Weltb. S. 116)

Für Einstein wird der fiktive Charakter der Grundlagen einer Theorie insbesondere

daran deutlich, dass mit der speziellen Relativitätstheorie und der Newtonschen

Mechanik „zwei wesentlich verschiedene Grundlagen aufgezeigt werden können,

die mit der Erfahrung weitgehend übereinstimmen.22 Es wird dadurch jedenfalls

bewiesen, dass jeder Versuch einer Ableitung der Grundbegriffe und Grundgesetze

21 Philosophia naturalis principia mathematica 1686 übersetzt in: E. Hunger: Die naturwissenschaftliche

Erkenntnis I, Studienausgabe. Vieweg Braunschweig 1966, S. 19. 22

Die spezielle Relativitätstheorie bietet jedoch ein Fundament, das „dem einschlägigen Kreis von Erfahrungstatsachen sogar in befriedigenderer und vollkommenerer Weise gerecht werden konnte, als es mit Newtons Fundament möglich war.“ (Weltb. S. 116)

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der Mechanik aus elementaren Erfahrungen zum Scheitern verurteilt ist.“ (Weltb. S.

116)

Wenn die Axiome einer Theorie im logischen Sinne „freie Erfindungen des

menschlichen Geistes“ (Weltb. S. 115) sind, können dann die so entwickelten

Theorien in irgend einer Weise eine Sicherheit der Erkenntnis bieten und müsste es

nicht eine Vielzahl konkurrierender Theorien geben? Hierzu verweist Einstein auf die

herausragende Bedeutung der Mathematik. Die Axiome der Mathematik – darüber

besteht Übereinstimmung – sind „freie Schöpfungen des menschlichen Geistes“

(Weltb. S. 120). Die Gegenstände der Mathematik werden erst implizit durch die

Axiome definiert. Die Verbindung zur Naturwissenschaft besteht in dem „Vertrauen

[...], dass die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist“.23

(Weltb. S. 116) Dies wird gestützt durch die Erfahrung, dass „von allen denkbaren

Konstruktionen eine einzige sich jeweils als unbedingt überlegen über alle anderen

erwies. Dadurch bestimmt die Welt der Wahrnehmungen das theoretische System

praktisch eindeutig.“ (Weltb. S. 109)

Der schöpferische Akt beim Aufstellen der Prinzipien einer naturwissenschaftlichen

Theorie besteht aus zwei Teilen, dem Finden eines geeigneten Begriffssystems und

dem Formulieren eines Axiomensystems, das die Beziehungen zwischen den

„primären Begriffen“ (Theorienb. S. 118) aussagt.

2. Teilaufgabe:

Die vom Theoretiker zu leistende zweite Aufgabe nach dem Aufspüren der

Prinzipien, das Entwickeln der aus den Prinzipien fließenden Folgerungen, ist im

Gegensatz zum Auffinden der Prinzipien erlernbar. Es ist dazu meist großer Fleiß und

ein hinreichender Verstand erforderlich, da „große und schwierige Denkarbeit“

(Weltb. S. 144) geleistet werden muss.

Die so gewonnenen Folgerungen (Sätze) liefern oft „ungeahnte Zusammenhänge

[...], welche über das Tatsachengebiet, an dem die Prinzipe gewonnen sind, weit

hinausreichen.“ (Weltb. S. 111) So führen die beiden Prinzipien der speziellen

23 Einstein in Weltb. S. 117: „In einem gewissen Sinne halte ich es also für wahr, dass dem reinen

Denken das Erfassen des Wirklichen möglich sei, wie es die Alten geträumt haben.“ Leibniz: „[...] dass, wie auch Gott die Welt geschaffen hätte, sie immer regelmäßig gewesen wäre und

eine bestimmte Ordnung gehabt hätte. Faktisch hat Gott diejenige gewählt, die am vollkommensten ist, d.h. diejenige, die gleichzeitig die größte Einfachheit in den Voraussetzungen und den größten Reichtum in den Erscheinungen aufweist [...].“ Metaphysische Abhandlungen (1686) zitiert in E. Hunger: Die naturwissenschaftliche Erkenntnis I, Studienausgabe, Vieweg Braunschweig 1966, S. 83.

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Relativitätstheorie (vergl. 1.6) u.a. zur Erkenntnis der Zeitdilatation und der

Äquivalenz von Masse und Energie.

Die aus den Prinzipien gefolgerten Sätze müssen eindeutig mit den Erfahrungen in

Beziehung gebracht werden können. Dies verdeutlichen die Pfeile von den S zur

Geraden E in Einsteins Zeichnung (Abb. 1). Zwischen dem Ableiten der Sätze und

deren experimenteller Bestätigung kann manchmal sehr viel Zeit vergehen (vergl.

dazu Kap. 2.5). Erst durch die Forderung nach einer eindeutigen Zuordnung der

Begriffe sowie ihrer Verknüpfungen zu den Erfahrungen gewinnt eine Theorie an

naturwissenschaftlicher Aussagekraft. Dazu Einstein (1916): „Begriffe haben nach

dem gesagten nur Sinn, sofern die Dinge aufgezeigt werden können, auf die sie sich

beziehen, sowie die Gesichtspunkte, gemäß welchen sie diesen Dingen zugeordnet

sind.“ (Theorienb. S. 120) Die Zuordnung von Begriffen und Erfahrungen ist nach

Einstein (Abb. 1) jedoch weniger problematisch als die Beziehung der Prinzipien zu

den Erlebnissen. Er zeigt dies am Beispiel des Begriffs Hund. Schon kleine Kinder

vermögen eine sichere Zuordnung dieses Begriffs zu konkreten Erfahrungen zu

leisten.

2.3 Das Verhältnis von Ratio und Erfahrung in einer Theorie

Das Verhältnis von Ratio und Erfahrung in einer physikalischen Theorie verdeutlicht

noch einmal das folgende Zitat von Einstein: „Die Ratio gibt den Aufbau des Systems;

die Erfahrungsinhalte und ihre gegenseitigen Beziehungen sollen durch die

Folgesätze der Theorie ihre Darstellung finden. In der Möglichkeit einer solchen

Darstellung allein liegt der Wert und die Berechtigung des ganzen Systems und im

Besonderen auch der ihm zugrunde liegenden Begriffe und Grundgesetze. Im

Übrigen sind diese freie Erfindungen des menschlichen Geistes, die sich weder durch

die Natur des menschlichen Geistes noch sonst in irgendeiner Weise a priori

rechtfertigen lassen.“ (Weltb. S. 115)

2.4 Zwei Kriterien für die Güte einer physikalischen Theorie

In Autobiographisches nennt Einstein zwei Kriterien, nach denen physikalische

Theorien beurteilt werden können, es ist dies zum einen die „äußere Bewährung“

und zum anderen die „innere Vollkommenheit“.

Der erste dieser Gesichtspunkte hat es „mit der Bewährung der theoretischen

Grundlagen an einem vorliegenden Erfahrungsmaterial zu tun“: „Die Theorie darf

Erfahrungstatsachen nicht widersprechen.“ (Autob. S. 8) Wichtiger noch, als

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Übereinstimmung von Beobachtungen mit der Theorie in möglichst vielen

unterschiedlich konzipierten Experimenten zu erreichen, sind wiederholte und

beharrliche Versuche, die Theorie zu widerlegen. Die Feuerprobe einer Theorie wird

erst durch Falsifizierungsversuche bestanden. So hat Einstein immer wieder neue,

raffinierte Gedankenexperimente zur Widerlegung der von ihm ungeliebten

Quantentheorie präsentiert.

Zum zweiten Kriterium, der inneren Vollkommenheit einer Theorie formuliert

Einstein: „Der zweite Gesichtspunkt hat nichts zu schaffen mit der Beziehung zu dem

Beobachtungsmaterial, sondern mit den Prämissen der Theorie selbst, mit dem, was

man kurz aber undeutlich als „Natürlichkeit“ oder „logische Einfachheit“ der

Prämissen (der Grundbegriffe und zugrunde gelegten Beziehungen zwischen diesen)

bezeichnen kann. Dieser Gesichtspunkt, dessen exakte Formulierung auf große

Schwierigkeiten stößt, hat von jeher bei der Wahl und Wertung der Theorien eine

wichtige Rolle gespielt. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Art Abzählung der

logisch unabhängigen Prämissen (wenn eine solche überhaupt eindeutig möglich

wäre), sondern um eine Art gegenseitiger Abwägung inkommensurabler Qualitäten.

Ferner ist von Theorien mit gleich „einfacher“ Grundlage diejenige als die überlegene

zu betrachten, welche die an sich möglichen Qualitäten von Systemen am stärksten

einschränkt (d.h. die bestimmtesten Aussagen enthält).“ (Autob. S. 8)

So unscharf auch nach Einsteins Meinung die Erklärung des Begriffs der inneren

Vollkommenheit ist, in der Praxis besteht „zwischen den „Auguren“ meist

Übereinstimmung [...] bezüglich der Beurteilung.“ (Autob. S. 9) Es ist mehr ein

„Wunderglaube“ (Theorienb. S. 127) denn eine beweisbare Annahme, dass jeweils

die aussagekräftigsten Theorien zugleich größtmögliche Einfachheit besitzen. Die

Entwicklung der Wissenschaft hat jedoch diese Annahme, so Einstein, „in

erstaunlichem Maße bestätigt.“ (Theorienb. S. 127)

2.5 Ausbau oder Neubau einer Theorie

In der Regel wird versucht, eine bestehende physikalische Theorie an neue

experimentelle Befunde dadurch anzupassen, dass man sie ausbaut, erweitert, ohne

das Bestehende zu verändern. Dies ist meist eine legitime und erfolgreiche Methode

(„normale“ Phase einer Theorie). Es kann jedoch vorkommen, dass ein solcher

Ausbau nicht mehr zum gewünschten Erfolg führt. Dies zu erkennen bedarf eines

Gespürs, einer „guten Nase“. Dann hilft nur eine tiefgreifende Änderung der

gesamten Theorie, ein Neubau („revolutionäre“ Phase).

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Die Lorentzsche Elektronentheorie entging eine Weile lang nur dadurch einer

Falsifikation, dass zusätzliche Annahmen eingeführt wurden (z.B. die

Längenkontraktion24). Erst die spezielle Relativitätstheorie gab einen befriedigenden

Erklärungsrahmen. Große Theorien gelingen kaum im ersten Durchgang. Sie

erfordern eine Reihe von Anpassungsversuchen. In „Mein Weltbild“ (S. 134) schildert

Einstein ein von 1905 bis 1912 dauerndes Ringen, das schließlich in die Aufstellung

der Prinzipien der allgemeinen Relativitätstheorie einmündete. Befriedigend gelöst

werden konnte das Problem der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller

Koordinatensysteme (es sollte keine Rolle spielen, ob sie sich relativ zueinander mit

einer konstanten Geschwindigkeit oder beliebigen Beschleunigung bewegen) in

Bezug auf das Gravitationsgesetz erst durch den Neubau einer Theorie, bekanntlich

der allgemeinen Relativitätstheorie.

Der Preis für die dabei gewonnene Einfachheit und Vollkommenheit ist jedoch, dass

„die Ausgangshypothesen [...] immer abstrakter, erlebnisferner werden“ und „der

gedankliche Weg von den Axiomen zu den Erlebnisinhalten bzw. zu den prüfbaren

Konsequenzen ein immer längerer, subtilerer“ (Weltb. S. 144) wird. Erst 1919 wurde

zum ersten Mal eine aus der 191525 formulierten allgemeinen Relativitätstheorie

folgende Konsequenz mit Erfolg nachgeprüft (Lichtablenkung im Gravitationsfeld der

Sonne, nachgewiesen während einer totalen Sonnenfinsternis). Es dauerte noch

einmal 60 Jahre bis eine auch quantitativ befriedigende Bestätigung 1975 von

Fomalund und Sramek über ein Radiointerferometer gewonnen wurde.26

Die allgemeine Relativitätstheorie ist auf breiter Basis Einsteins Leistung und es bleibt

fraglich, ob sie ohne Einstein bis heute gefunden worden wäre. Einstein verweist

gerade für diese Theorie in Autobiographisches (S. 33) auf die erkenntnistheore-

tische Bedeutung des zugrunde liegenden Prinzips: „Noch etwas anderes habe ich

24 Erst 1923 wurde durch ein Experiment von Kennedy und Thorndike (Michelson-Experiment mit

unterschiedlich langen Interferenzarmen) gezeigt, dass die alte Theorie auch durch Lorentz‘ Zusatzannahme der Lorentzkontraktion nicht zu retten war. (Es hätte in diesem Experiment zu einer Verschiebung der Interferenzstreifen durch die sich ändernde Geschwindigkeit des Labors gegenüber dem Fixsternhimmel kommen müssen. Trotz ausreichend langer Beobachtungszeit und Messgenauigkeit konnte jedoch keine Verschiebung beobachtet werden.)

25 Am 28. November teilte Einstein erstmalig die (bis auf das kosmologische Glied) richtige Formel der

allgemeinen Relativitätstheorie in einem Brief an Sommerfeld mit. 26

Das benutzte Radiointerferometer ermöglichte mit einer Basislänge von 35 km sehr genaue Winkelmessungen. Es wurde die Änderung der gegenseitigen Lage dreier auf einer Gerade liegenden Radioquellen beobachtet, wenn eine davon ihre Wellen nahe am Sonnenrand entlang sendet und

danach verdeckt wird. Statt der erwarteten Ablenkung von 1,75“ wurde eine von 1,761“ 0,016“ gemessen, mit 0,6 % Abweichung eine sehr gute Bestätigung des theoretischen Wertes. (Bergmann/ Schaefer: Lehrbuch der Experimentalphysik, Bd. III Optik, 7. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin, New York 1978, S. 966 und E. 8. Fomalund, R. A. Sramek: Phys. Rev. Lett. 36, 1475 (1976).)

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aus der Gravitationstheorie gelernt: Eine noch so umfangreiche Sammlung

empirischer Fakten kann nicht zur Aufstellung so verwickelter Gleichungen führen.

Eine Theorie kann an der Erfahrung geprüft werden, aber es gibt keinen Weg von

der Erfahrung zur Aufstellung einer Theorie. Gleichungen von solcher Kompliziertheit

wie die Gleichungen des Gravitationsfeldes können nur dadurch gefunden werden,

dass eine logisch einfache mathematische Bedingung gefunden wird, welche die

Gleichungen nahezu oder vollständig determiniert. Hat man aber jene hinreichend

starken formalen Bedingungen, so braucht man nur wenig Tatsachenwissen für die

Aufstellung der Theorie: bei den Gravitationsgleichungen ist es die

Vierdimensionalität und der symmetrische Tensor als Ausdruck für die

Raumstrukturen, welche zusammen mit der Invarianz bezüglich der kontinuierlichen

Transformationsgruppe die Gleichungen praktisch vollkommen determinieren.“

Genau genommen gibt es noch unendlich viele mögliche Feldgleichungen, die den

angegebenen Bedingungen genügen. Einsteins Gleichungen sind jedoch die

einfachsten aller möglichen und dadurch ausgezeichnet.

Auch nach Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie bleiben bis heute eine

ganze Reihe offener Fragen zurück.27 Dazu C. F. von Weizsäcker28: „Philosophisch

aber muss man bedenken, dass der Physik seither nicht einmal eine deutliche

Formulierung dafür gelungen ist, was der Kern der Frage ist, die hier unbeantwortet

auf uns wartet. Uns fehlt hier – wie einst vor der speziellen Relativitätstheorie – nicht

die Antwort sondern die Einfachheit der Fragestellung.“

2.6 Vorurteile hemmen oder fördern die Theorienbildung

Wenn es wahr ist, dass die Basis einer neuen Theorie – die Axiome, die Prinzipien –

nur über ein intuitives Erfassen der inneren Zusammenhänge gewonnen werden

kann, dann ist die Entstehung einer Theorie eng verbunden mit der Biographie des

Forschers und mit der Geistesgeschichte des ihn umgebenden Kulturkreises. Dies

macht Einstein an Machs und Ostwalds Schwierigkeiten deutlich, die Realität von

Atomen anzuerkennen: „Die Abneigung dieser Forscher gegen die Atomtheorie ist

ohne Zweifel auf ihre positivistische Einstellung zurückzuführen. Es ist dies ein

interessantes Beispiel dafür, dass selbst Forscher von kühnem Geist und feinem

Instinkt durch philosophische Vorurteile für die Interpretation von Tatsachen

27 C. F. von Weizsäcker: Einsteins Bedeutung in Physik, Philosophie und Politik in P. C. Aichelburg und R.

U. Sexl (Hrsg.): Albert Einstein. Sein Einfluss auf Physik, Philosophie und Politik. Vieweg Braunschweig 1979, S. 169 f.

28 a.a.0. S. 170.

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gehemmt werden können. Das Vorurteil – welches seither keineswegs ausgestorben

ist – liegt in dem Glauben, dass die Tatsachen allein ohne freie begriffliche

Konstruktion wissenschaftliche Erkenntnis liefern könnten und sollten.“ (Autob. S.

18)

Ist es Einstein nicht selber ähnlich ergangen mit seiner grundsätzlichen Skepsis

gegenüber der Quantentheorie? Die Quantentheorie arbeitet mit Funktionen, die

nicht mehr ein direktes Abbild der Wirklichkeit sind, sondern die es nur gestatten,

Wahrscheinlichkeiten dafür zu bestimmen, „atomistische Gebilde [...] im Fall einer

Messung an einem gewissen Ort bzw. in einem gewissen Bewegungszustand

vorzufinden.“ (Weltb. S. 118) Dazu Einstein: „Ich kann nicht umhin, zu bekennen,

dass ich dieser Interpretation nur eine vorübergehende Bedeutung beimesse. Ich

glaube noch an die Möglichkeit eines Modells der Wirklichkeit, d.h. einer Theorie, die

die Dinge selbst und nicht nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens darstellt.“

(Weltb. S. 118)

Zur angesprochenen Kontroverse zwischen der Bohrschen Schule und Einstein meint

C. F. von Weizsäcker: „Ich vermute, dass diese Fragen philosophisch erst voll geklärt

werden können durch die Analyse des wesentlich zeitlichen Charakters aller

Erkenntnis. Einsteins Realitätsbegriff orientiert sich am Phänomen der Faktizität, d.h.

der Vergangenheit, der Wahrscheinlichkeitsbegriff der Quantentheorie aber am

Phänomen der Möglichkeit, d.h. der Zukunft.“ (Weizsäcker a.a.O. S. 173)

Abb. 2

Je nach der Zeit und dem geistigen Umfeld, in dem ein Forscher lebt, hat er ein

anderes Filter von Vorurteilen, von Themata, das mögliche Ansätze zu einer neuen

Theorie durchlaufen müssen. Themata sind grundsätzliche Annahmen, Begriffe,

methodische Urteile und Entscheidungen, die selbst nicht aus objektiv

beobachtbaren Tatbeständen oder logisch mathematischen oder anderen

Überlegungen ableitbar sind. (Holton S. 19) Aus der Vielzahl möglicher Sprünge von

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den Erlebnissen E zum gesuchten Axiomensystem A (vergl. Abb. 2) werden durch

diese Vorurteile, d.h. die thematischen Voraussetzungen, denen die Axiome

genügen müssen, die meisten herausgefiltert. In der Praxis bleibt zum Schluss nur

eine Möglichkeit übrig.

Einsteins Themata waren u.a. (vergl. Holton S. 136):

1. Bevorzugung von formalen Strukturen (Mathematik!) gegenüber

mechanischen Modellen.

2. Einheit (oder Vereinheitlichung) und kosmische Reichweite (gleiche

Anwendbarkeit aller Gesetze in der gesamten Mannigfaltigkeit der

Sinneserfahrungen).

3. Sparsamkeit in der Wahl der logisch von einander unabhängigen

Basiselemente: „Vornehmstes Ziel aller Theorie ist es, jene irreduziblen

Grundelemente so einfach und so wenig zahlreich als möglich zu machen, ohne

auf die zutreffende Darstellung irgendwelcher Erfahrungsinhalte verzichten zu

müssen.“ (Weltb. S. 115)

4. Einfachheit: „Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir nämlich zum

Vertrauen berechtigt, dass die Natur die Realisierung des mathematisch

denkbar Einfachsten ist.“ (Weltb. S. 116 f.)

5. Symmetrie (vergl. 1.1 und 1.3).

6. Kausalität: strenge (nicht statistische) Kausalität in der Natur. „Der Wunder

größtes ist, dass es keine Wunder gibt.“29 An Max Born: „In unserer

wissenschaftlichen Erwartung haben wir uns zu Antipoden entwickelt. Du

glaubst an den würfelnden Gott und ich an die volle Gesetzmäßigkeit in einer

Welt von etwas objektiv Seiendem, das ich auf wild spekulative Weise zu

erhaschen suche.“30

7. Vollständigkeit: „Höchste Aufgabe der Physiker ist also das Aufsuchen jener

allgemeinsten elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das

Weltbild zu gewinnen ist.“ (Weltb. S. 109)

29 Albert Einstein zitiert in Peter G. Bergmann: Die Entwicklung der Relativitätstheorie in P. C.

Aichelburg und R. U. Sexl (Hrsg.): Albert Einstein. Sein Einfluss auf Physik, Philosophie und Politik. Vieweg Braunschweig 1979, S. 17.

30 Albert Einstein zitiert in Glaube und Naturwissenschaft, Quellenstücke. 2. Aufl. Vandenhoeck

Ruprecht Göttingen 1962, S. 70.

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8. Das Kontinuum als Fundamentalkonzept, d.h. es galt., die atomistische

Diskretheit aus einer Feldtheorie abzuleiten: „Der schwierigste Punkt für eine

derartige Feldtheorie liegt einstweilen in dem Begreifen der atomistischen

Struktur der Materie und der Energie.“ (Weltb. S. 118 – vergl. 1.3)

9. Konstanz und Unveränderlichkeit.

Zur Bedeutung thematisch geformter Vorurteile noch ein Zitat von Einstein: „Schon

ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung lehrt, dass die großen Fortschritte

wissenschaftlicher Erkenntnis nur zum kleinen Teil auf diese (induktive) Weise

entstanden sind. Wenn nämlich der Forscher ohne irgendwelche vorgefasste

Meinung an die Dinge heranginge, wie sollte er aus der ungeheuren Fülle

kompliziertester Erfahrung überhaupt Tatsachen herausgreifen können, die einfach

genug sind, um gesetzmäßige Zusammenhänge offenbar werden zu lassen?“ (Holton

S. 149)

Im Vorangehenden ist auf den fördernden Einfluss einzelner Themata bei der

Entwicklung der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie hingewiesen worden.

Es wurden auch Einsteins Probleme mit dem statistischen Charakter der

Quantentheorie angesprochen. Sie basieren u.a. auf den durch die Themata

„Vollständigkeit der Beschreibung“ und „kausaler Determinismus“ umrissenen

Forderungen an eine Theorie. Wenn auch feststeht, dass Einstein am weiteren

Ausbau der Quantentheorie nur noch durch seine Kritik beteiligt war, so kann bis

heute kein endgültiges Urteil darüber abgegeben werden, ob die beiden genannten

Themata unter die Rubrik „hemmen“ eingeordnet werden müssen. Dirac vermutet

im Jahr 1979:31 „Es kann gut sein, dass die neue Quantenmechanik einen

Determinismus im Einsteinschen Sinne aufweisen wird.“

31 P. A. M. Dirac: Unification: Aims and Principles, Ansprache am 21. März 1979 beim Jerusalem Einstein

Centennial Symposium. Zitiert in Holton S. 130.

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Reinhard Schinzer Predigt

Über den Beitrag des Glaubens zur

Naturwissenschaft

Liebe Schwestern und Brüder!

Was trägt der Glaube zur Naturwissenschaft bei? Ist es nicht das griechische Denken,

dem wir die Wissenschaft verdanken? Hat sich der Glaube nicht immer wieder als

Hemmschuh erwiesen? Der Fall Galilei erweckt diesen Eindruck, denn Galilei wurde

von kirchlichen Behörden zum Widerruf gezwungen. Andererseits sind es in Galileis

Schriften immer die Aristoteliker, die sich als seine Gegner erweisen und mit

lächerlicher Sturheit sich allen neuen Einsichten widersetzen. Sie überzieht er mit

beißendem Spott, und so werden es wohl auch ihre Kreise gewesen sein, von denen

die Verurteilung Galileis betrieben wurde. Wenn man die Dinge so betrachtet, dann

ist es nicht so sehr die christliche Theologie und der Glaube selbst, sondern vielmehr

seine unglückliche Festlegung auf aristotelische Lehren, die den Papst hinderte, der

Wissenschaft positiv weiterzuhelfen. Geht man in frühere Zeiten, vor allem das späte

Mittelalter, so ist zu erkennen, dass der christliche Glaube erheblichen Einfluss auf

die Entstehung der Naturwissenschaften genommen hat, und zwar aus sehr

zentralen Glaubensinhalten heraus. Nach griechischem Denken ist ja nur das

Allgemeine, das Unveränderliche und Ewige erkennbar. Das Einzelding in seiner

Einmaligkeit ist zufällig und daher der Erkenntnis entzogen. So konnte sich dieses

Denken nicht eigentlich der Welt und ihren einzelnen Dingen zuwenden, sondern

blieb immer bei Ideen, bei Genera und Species stehen, die als allgemeine erkennbar

sein sollten, während die konkreten Einzelwesen verschlossen blieben.

Es war erst im Rahmen der christlichen Theologie möglich, diese Ausblendung des

Einzeldinges zu überwinden. Und zwar gelang es in dem Werk des Duns Scotus (gest.

1308), diesen Schritt auf das Einzelne hin zu tun. Eberhard Wölfel hat das sehr schön

beschrieben (Seinsstruktur und Trinitätsproblem, Münster 1965, S. 68): Es sei im

Christentum, "wo das Individuum der Anonymität des ‚Werdeseins‘ entrissen und in

seinem ewigen Wert wahrhaft begründet wurde: Im Weltbild des biblischen

Glaubens, wo Gott zu jedem Einzelnen spricht: ‚Ich habe dich bei deinem Namen

gerufen, du bist mein‘. Jedes Wort dieses Satzes meint Anruf, Vereinzelung,

Individuation [...] Hier mehr als anderswo verspürt man einen lauteren

Zusammenhang von Metaphysik und christlichem Glauben: Erstere schuldet dem

Letzteren nicht nur die Entdeckung einer neuen, fundamentsetzenden Stufe des

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Schinzer, Über den Beitrag des Glaubens zur Naturwissenschaft

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Seins, welche das antike Denken nicht in die Klarheit des Bewusstseins heben

konnte, sondern auch das rechte Verständnis für die eigentliche Würde und den

Anspruch individuellen Seins."

Heinz Heimsoeth hat diese Entdeckung des Individuums im spätmittelalterlichen

Denken ebenfalls und breiter verfolgt (Die sechs großen Themen der

abendländischen Metaphysik und der Ausgang des Mittelalters, Darmstadt 1981, S.

181 - 187). Nach Duns kommt es bald zu der Erkenntnis: "Die Natur bringt überhaupt

nur Individuen hervor; die Einzeldinge sind allein die wahren Sachen" (ebd. S. 183).

Dadurch wendet sich der Blick nun erstmals auf die natürlichen Gegebenheiten und

ihre Zusammenhänge.

Aber diese Entdeckung des Einzelnen, des individuellen Seins und damit der

Wirklichkeit, ist eigentlich erst der Anfang einer Bewegung auf die Wirklichkeit zu.

Ein zweiter Schritt besteht darin, dass unter den verschiedenen Wesen der Welt nun

gerade auch die kleinen und kleinsten Beachtung finden. Bis hin zur

Physikotheologie1) der Aufklärung wendet sich die christliche Theologie den

kleinsten Geschöpfen zu und spricht gerade ihnen eine Gottebenbildlichkeit zu. Die

griechischen Denker arbeiteten hier mit dem Begriff des Zufälligen, in den man alle

die kleinen Belanglosigkeiten hineinnahm, die so oft unsere großartigen Theorien

durchkreuzen. Seit aber Jesus seine Jünger als "die Kleinen und Geringsten" (Mt

18,10) bezeichnet hat, kommt gerade dem Geringfügigen und den kleinen

Abweichungen eine große Bedeutung zu. Neuzeitliche Wissenschaft entsteht erst,

wenn wir in dieser Weise dem Kleinen genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie

den großen Zusammenhängen.

Übrigens hat Umberto Eco seinen Erfolgsroman „Der Name der Rose“ in die Zeit der

Franziskaner verlegt, weil erst diese "eine gute Beobachtungsgabe und einen

ausgeprägten Sinn für die Interpretation von Indizien besaßen." Denn "erst zwischen

Bacon und Ockham wurden die Zeichen als Mittel zur Erkenntnis der Individuen

benutzt" (Nachschrift zum „Namen der Rose“, 4. Aufl. 1984, S. 34). Es könnte also

kein Zufall sein, dass Duns und Ockham, die Entdecker des Einzelnen, Franziskaner

waren. Diese verstanden sich selbst als die Kleinen, die Armen und Geringen. Sie

entdeckten das Geringe und Kleine nicht in einer abstrakten Theorie, sondern indem

sie sich selbst als die Kleinen und Geringen verstanden. So entdeckten sie an sich

selbst, dass es Gott in seiner Schöpfung nicht um das Allgemeine, sondern um die

1 Die Physikotheologen im 18. Jahrhundert wollten Gott z.B. aus der Schönheit der Mücken und

anderer kleiner Dinge beweisen, deren Vollkommenheit trotz ihrer Kleinheit so sehr ins Auge sticht.

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Schinzer, Über den Beitrag des Glaubens zur Naturwissenschaft

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kleinen Einzeldinge ging, ja dass er gerade die kleinen Dinge besonders liebt. All‘ das,

was der griechischen Denkweise als zu gering erschien, zu unscheinbar und von der

Materie getrübt, steht unter Gottes besonderer Liebe und Fürsorge. Deswegen ist es

wert, auch vom Menschen bedacht und betrachtet zu werden.

Es ist nicht der Sinn einer Predigt, die Folgen dieses Umdenkens, dieser Bekehrung zu

den kleinen Dingen im Einzelnen zu verfolgen. Es genügt zu zeigen, dass hier die

Botschaft Jesu von Gottes Liebe zu den Kleinen, Unscheinbaren und Vergessenen

auch für die Einstellung zur Natur grundlegende Konsequenzen gehabt hat. Wandte

man sich nun von den spekulativen allgemeinen Wesenheiten ab und zu den

wirklichen Dingen, versuchte man nicht mehr, scheinbar Nebensächliches einfach als

Störung aufgrund materieller Verunreinigung wegzuerklären, sondern nahm es

ernst, so musste daraus ein neuer Umgang mit der Natur entstehen.

Dass dies der Fall war, zeigt ein Wort, das erst im Spätmittelalter aufkam:

Kontingenz. Das Kontingente ist das Nicht-notwendige, das Zufällige. Die Griechen

hatten überall nach dem Notwendigen, dem Gesetzmäßigen gesucht und dieses in

den Ideen bzw. den Substanzen gefunden, den ewigen, unveränderlichen Formen.

Nun erkannten die christlichen Theologen, dass Gott alles geschaffen hatte und dass

also alle Dinge „kontingent“, nicht notwendig sind. Wie aber kann man das

Kontingente erkennen? Wenn man auf den logischen Begriff der Notwendigkeit

verzichten muss, dann kann man nur noch empirisch, durch Beobachtung der Dinge,

wie sie wirklich sind, ihr Verhalten feststellen. Dieser Gedankengang, ebenfalls

begründet in der christlichen Schöpfungslehre, löste also die notwendigen Begriffe

auf, mit denen die Griechen operiert hatten, und lenkte die Blicke auf die wirklichen

Vorgänge. Das stimmte gut mit der Entdeckung des Individuums zusammen, so dass

beide Glaubensregeln sich ergänzen und stützen konnten. Die Erkenntnis vermag

nun nicht mehr aus vernünftigen Begriffen notwendige Aussagen hervorzuzaubern,

sondern muss sich der Wirklichkeit stellen.

Im Neuen Testament gibt es auch das Wort, dass Gott "was nicht ist, erwählt hat,

damit er das, was ist, zunichte mache" (1. Kor 1,28). Vor ihm sind alle Geschöpfe

nicht nur kontingent, sondern ein Nichts, wie Meister Eckhart sagt. So wurde es

denkbar, dass es die Wissenschaft gar nicht mit Seiendem (und das waren die

Substanzen!), sondern mit Nichtseiendem zu tun habe. Hugolin von Orvieto (gest.

1373) zieht in seinem Physikkommentar ernstlich die Konsequenz, die Physik habe es

nicht mit Gegenständen, sondern mit den zwischen ihnen waltenden Ordnungen

und Beziehungen zu tun. Das Objekt der Wissenschaft ist einerseits ein „Nichts“ und

doch wirklich als eine feststehende Beziehung zwischen den Dingen. So lernt es die

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Schinzer, Über den Beitrag des Glaubens zur Naturwissenschaft

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Wissenschaft vom Glauben, dass man nicht mehr nach den Substanzen und ihren

Eigenschaften fragt, sondern nach ewigen Gesetzen, die keine dingliche Realität

mehr haben und nur noch sozusagen als „Gedanken Gottes“ anzusehen sind.

Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um z.B. die Bewegung zu erfassen. Der

Weg bis zur Entdeckung der Fallgesetze und anderer Bewegungsgesetze ist

abenteuerlich und von zahlreichen Forschern in all‘ seinen Stufen untersucht

worden. An ihm lässt sich besonders gut verfolgen, wie mühsam es war, sich von

den Vorurteilen der Griechen zu lösen und unvoreingenommen zu beschreiben, was

Bewegung ist. Das konnte aber erst geschehen, als man gelernt hatte, den einzelnen

sich bewegenden Gegenstand wirklich zu beobachten, dabei auch kleinste

Beobachtungen nicht einfach zu vernachlässigen, und vor allem, eine Wirklichkeit zu

erfassen, die nicht mehr ein Ding, sondern ein Nichts war.

Alle diese Voraussetzungen aber entspringen dem christlichen Glauben. Er hat uns

gelehrt, die Einzeldinge als Geschöpfe Gottes und damit als die einzigen Realitäten

anzuerkennen. Er hat uns gelehrt, auf das Kleine, Unbedeutende und Unscheinbare

zu achten und gerade darin Gottes Güte zu erkennen. Und er hat uns geholfen, nicht

mehr nach ewigen Realitäten zu fragen, sondern nach dem „Nichts“, das als Gottes

Gesetz die Dinge zusammenhält. So steht am Anfang der Wissenschaft in ihrer

neuzeitlichen Form, was Paulus in die Worte gefasst hat:

"Das Törichte in der Welt hat Gott auserwählt,

damit er die Weisen zuschanden mache

und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt,

damit er das Starke zuschanden mache.

Und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt,

das, was nicht ist,

damit er das, was ist, zunichte mache,

dass sich vor Gott kein Fleisch rühme" (1. Kor 1,27-29).

Amen.

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Hermann Hafner

Christ sein im Gang der

Wissenschaftsentwicklung

Einige Gesichtspunkte

1. Zunächst ein Hinweis auf ein Buch:

Richard Schaeffler: Glaubensreflexion und Wissenschaftslehre. Thesen zur Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte der Theologie. (Quaestiones disputatae 82). Herder, Freiburg 1980.

Schaeffler geht die Hauptepochen der Theologiegeschichte durch und

untersucht, wie die Theologie jeweils auf die wissenschaftlichen und

wissenschaftstheoretischen Herausforderungen der betreffenden Zeit

reagiert hat und wie sie im Gesamtfeld der Wissenschaften jeweils

wirksam wurde. Jedes Kapitel wird dabei in einer längeren These

zusammen gefasst. Schaeffler zeigt, wie die Theologie stets einen kritisch

weiterführenden und vorantreibenden Beitrag zum

Wissenschaftsverständnis der jeweiligen Zeit einzubringen hatte und –

mehr oder weniger – auch tatsächlich einbrachte. Hier die sachlich

zusammenfassende letzte These des Buches (S. 195): "Die Theologie

bewährt sich als Wissenschaft nicht dadurch, dass sie sich an das

Wissenschaftsideal der jeweiligen Epoche anpasst, sondern dadurch, dass

sie fähig ist, wissenschaftskritisch und zugleich wissenschaftsgeschichtlich

vorantreibend auf das jeweils gültige Wissenschaftsverständnis

einzuwirken. Die Wissenschaftstheorie der Theologie verfehlt daher ihre

Aufgabe, wenn sie sich darauf beschränkt, die Fragestellungen und

Methoden der theologischen Disziplinen am jeweils vorfindlichen,

außerhalb der Theologie entwickelten Wissenschaftsideal zu orientieren

und nachzuweisen, dass auch die Theologie das leisten kann, was diese

Ideale von einer „Wissenschaft“ verlangen. Wissenschaftstheorie der

Theologie hat zugleich und vor allem die Aufgabe, aus einer Reflexion auf

die spezifische Aufgabe und die besondere Geschichte der Theologie die

Gründe dafür freizulegen, dass die Theologie einen aktiven und

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

70

vorantreibenden Beitrag zur Diskussion um die regulative Idee von

Wissenschaft leisten kann."

Worin sachlich dieser Beitrag bestand und besteht, das kann Schaeffler

zusammenfassend so formulieren: "Dabei war es jedesmal der Gesichtspunkt

der Personalität und Freiheit, welcher der Theologie diese wissenschafts-

kritischen und zugleich wissenschaftsgeschichtlich vorantreibenden

Impulse vermittelt hat" (S. 194).

Was Schaeffler hier im Blick auf die Aufgabe der Theologie im

Gesamtzusammenhang der Wissenschaften schreibt, ist ja im Grunde nur

ein spezieller Fall der Aufgabe der Christenheit im Bereich der

Wissenschaften und sollte sich daher – mutatis mutandis – auch auf die Frage

übertragen und zuspitzen lassen, was ein Naturwissenschaftler als Christ in

seine Wissenschaft einzubringen hat. Und auch der angesprochene inhaltliche

Punkt wird sich sicherlich dabei immer wiederfinden: dass auch exakt-

naturwissenschaftliche Erkenntnis gerade in ihrer Objektivität und

objektivierenden Intention niemals dem Zusammenhang der persönlichen

Entscheidung und Verantwortung dessen entnommen ist, der sie erarbeitet und

der sie verstehend und deutend in sich aufnimmt.

2. Ich möchte auf eine Ambivalenz hinweisen, die das gesamte Weltverhältnis des

Menschen durchzieht und damit auch für unsere Frage von Bedeutung ist: der

Mensch existiert auf Wirklichkeit hin; er ist auf sie angewiesen und öffnet sich

ihr – er ist von ihr bedroht und versucht sich vor ihr zu sichern, indem er sie

bannt und dingfest, also beherrschbar macht. Diese Ambivalenz ist im Bereich

der Religion ebenso wirksam wie im Bereich der Lebenspraxis und der

alltäglichen Wirklichkeitsbegegnung. Alle Erkenntnis steht unter dieser

Ambivalenz: sie kann Öffnung zur Wirklichkeit hin sein oder als Gehäuse dienen,

in dem man sich vor den Undurchschaubarkeiten der Wirklichkeit in Sicherheit

bringt (u.a. in der Form, dass man sich zum vermeintlichen unumschränkten

Beherrscher der Wirklichkeit aufwirft).

Die Verbarrikadierung des Menschen bedarf immer wieder der kritischen

Aufsprengung. Insbesondere die biblische Geschichte ist voll von Beispielen, wie

Menschen sich vor ihrer wahren Situation vor Gott verschließen und wie Gott

mit seinen Gerichten und mit seinem Wort gegen solche Verschlossenheit

anrennt, sie Lügen straft und aufsprengt.

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

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3. Auch die neuzeitliche Wissenschaft hat teil an dieser Ambivalenz. In ihr kann

sich aufgeschlossene Weltbetrachtung vollziehen und sie wird als sicherndes

Gehäuse gegen die Undurchschaubarkeit Gottes und der Welt benutzt. Mehr

noch: sie ist ambivalent im Blick auf dieses Sicherungsstreben des Menschen; sie

dient als sicherndes Gehäuse, in dem der Mensch sich abschirmt, als

Weltanschauung – aber sie hat auch die kritische Kraft, solche Gehäuse und

Weltanschauungen anzugreifen und aufzusprengen. Sie hat teil an der

sichernden wie an der kritischen Struktur – und diese doppelte Teilhabe ist so

sehr eins, dass sogar noch die Kritik selbst zum sichernden Bollwerk werden

kann! All dies ist im Auge zu behalten.

4. Im Blick auf die angerissenen Zusammenhänge lassen sich – ohne Anspruch auf

Vollständigkeit! – drei Momente aussprechen, die für die Aufgabe des Christen

im Bereich der Wissenschaft wesentlich sind:

- Zum Leben im Geist, durch das der Christ bestimmt ist, gehört die Demut vor Gott (Micha 6,8). Daran ist festzuhalten gegen das selbstherrliche Autonomiebewusstsein des wissenschaftlichen Denkens der Neuzeit. Die Demut vor Gott will unmittelbar im Raum der Wissenschaft ebenso bewährt werden wie anderswo. Unter solchem Vorzeichen wird man die methodische Autonomie der Wissenschaft in ihrem wahren Sinnzusammenhang annehmen können (also darauf verzichten, unqualifiziert von außen fremde Maßstäbe geltend zu machen), zugleich aber auch ihre Grenzen realistisch sehen lernen und ihren Verfälschungen widerstehen.

- Dass wir vor Gott aus dem Empfangen leben, gilt auch für unser wissenschaftliches Tun. Auch wissenschaftliche Erkenntnis ist so nichts Erzwingbares, sondern etwas Empfangenes. Das Festhalten an dieser Einsicht trägt auch noch den Umgang mit den Bestandteilen wissenschaftlicher Erkenntnis, die operationalisierbar und somit tatsächlich erzwingbar sind, und verwandelt ihn.

- Aus diesen Wurzeln steht der Christ, der im Bereich der Wissenschaft tätig ist, durch sein Sein, durch sein Handeln und durch sein Wort als Zeuge Gottes gegen die Abschließung der Wissenschaft in eine geschlossene „wissenschaftliche Weltanschauung“; er hält an seinem Teil Wissenschaft offen – nicht durch Geltendmachung fremder dogmatischer Setzungen, sondern dadurch, dass er die Wissenschaft bei ihrer eigensten Wahrheit festhält, bei ihrer Erkenntnisaufgabe und bei der Einsicht in ihre wahren Grundlagen und Möglichkeiten.

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

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5. Dies alles sind primär Fragen der „Einstellung“, Fragen, die sich darauf beziehen,

wer und was ich als Mensch und auch als Wissenschaftler in meiner

Wissenschaft bin – lauter Dinge, die sich zunächst vielleicht gar nicht auf die

Theorien und den Gang der Wissenschaft auswirken, sondern „nur“ damit zu

tun haben, wie ich mit Wissenschaft umgehe und wie ich Wissenschaft auf mich

nehme.

6. Das entspricht jenem anderen Sachverhalt, dass die Bezugnahme auf Gott und

sein Handeln niemals so in eine wissenschaftliche Weltbetrachtung einging,

dass damit ein Faktor an bestimmten Stellen des innerweltlichen

Zusammenhanges benannt sein sollte. Dies ist nicht erst eine Folge des

„methodischen Atheismus“ der neuzeitlichen Wissenschaft, sondern war stets

grundsätzlich so und liegt gewissermaßen an der grundlegenden Intention

wissenschaftlichen Denkens: gesetzmäßige Zusammenhänge innerweltlicher

Sachverhalte zu erfassen. Wo Gott ins wissenschaftliche Spiel gebracht wird,

geschieht dies immer nur entweder in der Vermittlung durch irgendwelche

Mittelbegriffe (wie z.B. in Descartes Begründung der Unveränderlichkeit der

Summe der Bewegungsgrößen durch die Unveränderlichkeit Gottes: Gottes

Eigenschaft charakterisiert sein Wirken in der Welt und muss sich insofern in

den Merkmalen des Weltgeschehens spiegeln; es geht also nicht unmittelbar

Gott oder sein Handeln in die Wissenschaft ein, sondern nur seine Eigenschaft

der Unveränderlichkeit) oder als letzte fundierende Ursache der Welt in ihrem

Gesamtzusammenhang – und beides ist letztlich das gleiche: beidemal geht es

um die letzte Fundierung des vorgefundenen Weltzusammenhanges in seinem

So-Sein. Wo im wissenschaftlichen (!) Zusammenhang von einem speziellen

Handeln Gottes gesprochen wird (wie etwa bei Galilei und bei Newton in der

Frage, wie die Planeten auf ihre Bahnen kamen), da ist dies im Grunde der

Ausdruck für eine Lücke im wissenschaftlichen Zusammenhang und dafür, dass

man keine wissenschaftliche, d.h. gesetzmäßige Erklärung für den Vorgang

kennt (wo das wissenschaftliche Denken als die letztlich entscheidende Instanz

gilt, entwickelt sich hieraus dann die Problematik Gottes als eines Lückenbüßers,

der zunehmend in Wohnungs- und Existenznot gerät).

7. Wir können also nicht davon ausgehen, dass es religiöse oder glaubensmäßige

Direktiven für die Gestaltung wissenschaftlicher Theorien gäbe, die man

unmittelbar ins Spiel bringen und wie ein Rezept anwenden könnte. Welcher

Einfluss auf den Gang der Wissenschaft von einem auf Gott ausgerichteten

Wissenschaftler ausgeht, wird man insofern niemals vorhersagen oder auch nur

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

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der Richtung der Theorienentwicklung nach vorher abstecken können, sondern

das wird sich stets erst herausstellen müssen.

8. An unserer Betrachtung Einsteins konnte uns deutlich werden, dass persönliche

Motivationen und Leitvorstellungen nicht dadurch für den Gang der

Wissenschaft fruchtbar und maßgebend werden, dass man sie von außen als

Anspruch an die Wissenschaft geltend macht, sondern nur dadurch, dass man

sie ganz in die Erforschung der Sache investiert, sie daran ausprobiert und aufs

Spiel setzt; und zwar in solidem Anschluss an die gegebenen gegenwärtigen

Problemstellungen einer Wissenschaft.

Man vergleiche W. Heisenberg zur Struktur wissenschaftlicher Revolutionen:

Am Anfang steht "immer ein sehr spezielles, eng umgrenztes Problem, das im

traditionellen Rahmen keine Lösung finden kann. Die Revolution wird

herbeigeführt durch Forscher, die dieses spezielle Problem wirklich zu lösen

versuchen, die aber sonst in der bisherigen Wissenschaft so wenig wie möglich

ändern wollen. Gerade der Wunsch, so wenig wie möglich zu ändern, macht

deutlich, dass es sich bei dem Neuen um einen Sachzwang handelt; dass die

Änderung in der Denkstruktur von den Phänomenen, von der Natur selbst

erzwungen wird, nicht von irgendwelchen menschlichen Autoritäten"

(Änderungen der Denkstruktur im Fortschritt der Wissenschaft. In: Schritte über

Grenzen. 2. erw. Aufl. 1973, S. 275-287, dort S. 285).

9. Dementsprechend ist der in der Wissenschaft tätige Christ also zur intensiven

Anknüpfung an den gegebenen Stand der Wissenschaft berufen – es sei denn,

er würde speziell zum Propheten berufen, der von außen das Gericht über die

Unternehmungen dieser Wissenschaft anzusagen und zur Umkehr und

grundsätzlichen Abkehr von ihren Wegen aufzurufen hätte.

Dass sich mit solcher intensiven Anknüpfung auch die Freiheit zu

unkonventionellen Denkansätzen sinnvoll verbinden kann, haben wir ebenfalls

an Einstein gesehen – aber solche Freiheit ist im Raum der Wissenschaft

normalerweise nur auf der Grundlage solcher Anknüpfung sinnvoll.

10.In summa: Christen können ein Segen im Gang der Wissenschaft nur sein durch

ihr Gebet, ihren Glauben, die Verwurzelung ihres Lebens in Christus und

dadurch, dass sie sich von da her ganz in den forschenden Dienst an der

Wahrheit im Zusammenhang der Wissenschaft hineingeben.

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

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11.Zum letzteren gehört gleichermaßen, dass sie einerseits die zu bearbeitenden

Spezialfragen immer wieder im Gesamtzusammenhang erkannter Wahrheit

und im Gesamtzusammenhang des Lebens zu sehen versuchen, wie dass sie

andererseits jeder Versuchung zur Ideologisierung dieses Gesamtzusammen-

hanges wachsam widerstehen.

12.Es dürfte deutlich sein, dass die so beschriebene Aufgabenstellung in ihrer

Struktur nicht nur für christliche Einsteins zugeschnitten ist, sondern eine

gemeinschaftliche Aufgabe für alle Christen im Umgang mit Wissenschaft ist,

eine Aufgabe, die im Prinzip gleichermaßen wie den Spitzenforscher auch den

letzten christlichen Dorfschullehrer und den Familienvater angeht, der mit den

Hausaufgaben seiner Kinder zu tun hat. Jeder ist an seinem Teil unmittelbar

daran beteiligt gemäß seinen spezifischen Gaben, seiner Aufgabe und dem Maß

seiner Kompetenz und seines Durchblicks. Und jeder bedarf der Handreichung

durch die anderen Glieder der Gemeinde, die ebenfalls in dieser gemeinsamen

Aufgabe stehen.

13.Abschließend eine Klarstellung: Es mag zunächst so scheinen, als führte das

Gesagte sanft und sicher von der Frage weg, ob und inwieweit die

vorwissenschaftlichen Überzeugungen des Christen Momente enthielten, die

inhaltlich für den Gang der Theorienentwicklung einer Wissenschaft wirksam

werden könnten und sollten; als reduziere sich nun doch alles auf die Frage, mit

welcher „Einstellung“ der Christ sich in den Gang einer Wissenschaft

hineinstellt, zu deren Inhalten und Ausgestaltungen von seinem Glauben her

nichts weiter zu sagen wäre. Ein solcher Schein trügt jedoch; wer so verstanden

hat, hätte missverstanden. Was ich mit den obigen Gesichtspunkten

beschrieben oder angedeutet habe, sind Ausgangspunkte und erste Schritte

eines Weges, der, wenn wir ihn unter die Füße nehmen, allererst dahin führen

kann, dass wir konkreter Punkte ansichtig werden, an denen es etwas vom

christlichen Glauben her in den Gang der Wissenschaft einzubringen gilt. Ich

habe also versucht zu zeigen, von welcher Seite her die Frage nach der Relevanz

vorwissenschaftlicher Motivationen und Überzeugungen für den rechten Gang

der Wissenschaft von Christen – Schritt um Schritt! – anzugehen ist. Wie der

zweite Schritt auszusehen hat, wird sich zeigen, wenn der erste getan ist.

Auch hier geht es nach den Gesetzen des Gottesreichs: "Womit soll ich das

Reich Gottes vergleichen? Es ist wie der Sauerteig, den eine Frau unter einen

großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war" (Luk. 13, 20f.

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Hafner, Christ sein im Gang der Wissenschaftsentwicklung

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Einheitsübersetzung). Das Druntermischen machts, nicht eine ausgeklügelte

Umwandlungstechnik!

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76

Literaturhinweise

Vorbemerkung: Die nachfolgende Zusammenstellung enthält nicht alle in den

Beiträgen dieses Heftes zitierten Titel und stellt auch sonst keinen Anspruch auf

Vollständigkeit; sie beschränkt sich darauf, einige wichtige Titel zu unterschiedlichen

Aspekten der Thematik zu nennen und so Anregungen und Anhaltspunkte zum

weiteren Studium zu geben. Angegeben sind jeweils – soweit vorhanden – neue

Auflagen (Stand: 2018).

1. Allgemeine Literatur zur Fragestellung:

HANS BLUMENBERG: Die kopernikanische Wende. Suhrkamp, Frankfurt/M.

1965. (edition suhrkamp 138).

HANS BLUMENBERG: Die Legitimität der Neuzeit. Suhrkamp, Frankfurt/M.

1966. – erneuerte Auflage 1988.

HANS BLUMENBERG: Die Genesis der kopernikanischen Welt. 3 Bände.

Suhrkamp, Frankfurt/M. 1981 (stw 352).

HANS BLUMENBERG: Die Lesbarkeit der Welt. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1986.

GERNOT BÖHME/WOLFGANG van den DAELE/WOLFGANG KROHN:

Experimentelle Philosophie. Ursprünge autonomer

Wissenschaftsentwicklung. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1977 (stw 205).

FRANZ BORKENAU: Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild.

Studien zur Geschichte der Philosophie der Manufakturperiode. Paris

1934. Unv.ND Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971.

WILLIAM BROAD/NICHOLAS WADE: Betrug und Täuschung in der

Wissenschaft. Birkhäuser Verlag, Basel/Boston/Stuttgart 1984.

GÜNTER DUX: Strukturwandel der Legitimation. Alber, Freiburg/München

1976.

GÜNTER DUX: Die Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen im Wandel der

Geschichte. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1990 (stw 370).

KLAUS FISCHER: Rationale Heuristik. Die Funktion der Kritik im "Context of

Discovery". In: Z. f. allg. Wissenschaftstheorie 14, 1983, H. 2, S. 234-272.

STEPHEN JAY GOULD: Der falsch vermessene Mensch. Irrwege der

Bestimmung von Intelligenz. Birkhäuser Verlag, Basel/Boston/Stuttgart

1988.

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Literaturhinweise

77

MICHAEL HEIDELBERGER: Wandlungstypen in den Baconischen

Wissenschaften im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts. In:

Philosophia naturalis 20, 1983. H. 1, S. 112-126.

MICHAEL HEIDELBERGER/SIGRUN THIESSEN: Natur und Erfahrung. Von der

mittelalterlichen zur neuzeitlichen Naturwissenschaft. Deutsches

Museum/Rowohlt, Reinbek 1990 (rororo Sachbuch 7705).

GERALD HOLTON: Thematic Origins of Scientific Thought. Kepler to Einstein.

Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 1973.

GERALD HOLTON: The Scientific Imagination. Case Studies, Cambridge 1979.

GERALD HOLTON: Thematische Analyse der Wissenschaft. Die Physik Einsteins

und seiner Zeit. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1981. (stw 293) (eine neu

bearbeitete Auswahl aus den beiden vorigen Titeln).

GERALD HOLTON: Themata. Zur Ideengeschichte der Physik. Vieweg,

Braunschweig/Wiesbaden 1984.

JÜRGEN HÜBNER: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und

Naturwissenschaft. Mohr, Tübingen 1975 (Beiträge zur Historischen

Theologie 50).

KURT HÜBNER: Kritik der wissenschaftlichen Vernunft. Alber,

Freiburg/München 2002.

ALEXANDRE KOYRÉ: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum.

(1957). Suhrkamp, Frankfurt/M. 1980 (stw 320).

THOMAS S. KUHN: Die kopernikanische Revolution. (1957). Vieweg,

Braunschweig/Wiesbaden 1981.

THOMAS S. KUHN: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. (1962).

Suhrkamp, Frankfurt/M. 1996.

IMRE LAKATOS/ALAN MUSGRAVE (Hg.): Kritik und Erkenntnisfortschritt.

(1970). Vieweg, Braunschweig 1974.

WOLF LEPENIES: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller

Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19.

Jahrhunderts. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1978 (stw 227).

SERGE MOSCOVICI: Versuch über die menschliche Geschichte der Natur.

Suhrkamp, Frankfurt/M. 1990.

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Literaturhinweise

78

HORST-EBERHARD RICHTER: Der Gotteskomplex. Die Geburt und die Krise des

Glaubens an die Allmacht des Menschen. Psychosozial-Verlag, Gießen

2012.

HEINRICH ROMBACH: Substanz, System, Struktur. Die Hauptepochen der

europäischen Geistesgeschichte Verlag Karl Alber 2010.

WERNER SCHNITKER: Wissenschaft und Lebensgefühl. Grundlagen der

klassischen Elektrodynamik und der Leben-Jesu-Forschung in ihrer

Entwicklung. (Arbeiten der Melanchthon-Akademie Köln, Bd. 4). Weiden

1968.

HUGO STAUDINGER/WOLFGANG BEHLER: Chance und Risiko der Gegenwart.

Eine kritische Analyse der wissenschaftlich-technischen Welt. Schöningh,

Paderborn 1976.

THOMAS F. TORRANCE: Das Verhältnis zwischen christlichem Glauben und

moderner Naturwissenschaft. Die geistesgeschichtliche Bedeutung von

James Clerk Maxwell. Sonderbeilage zum ibw-Journal zu Heft 2/1982

(Deutsches Institut für Bildung und Wissen, Busdorfwall 16, 33098

Paderborn).

STEPHEN TOULMIN: Kritik der kollektiven Vernunft. (1972). Suhrkamp,

Frankfurt/M. 1983 (stw 437).

STEPHEN TOULMIN: Voraussicht und Verstehen. Ein Versuch über die Ziele der

Wissenschaft. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1981 (stw 358).

FRIEDRICH WAGNER: Die Wissenschaft und die gefährdete Welt. Eine Wissen-

schaftssoziologie der Atomphysik. C. H. Beck, München 1964, 2. Aufl.

1969.

FRIEDRICH WAGNER: Weg und Abweg der Naturwissenschaft. Denk- und

Strukturformen, Fortschrittsglaube und Wissenschaftsreligion. C. H. Beck,

München 1970. (Beck“sche Schwarze Reihe 67). (enthält die ersten 4

Kapitel des vorigen Titels in z.T. gekürzter Fassung)

2. Über Einstein:

PETER C. AICHELBURG/ROMAN SEXL (Hg.): Albert Einstein. Sein Einfluss auf

Physik, Philosophie und Politik. Vieweg, Braunschweig 1979.

Darin u. a.:

Holton: Einsteins Methoden zur Theorienbildung.

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Literaturhinweise

79

C. F. v. Weizsäcker: Einsteins Bedeutung in Physik, Philosophie und

Politik.

B. Kanitscheider: Einsteins Behandlung theoretischer Größen.

KLAUS FISCHER: (s. oben Abschnitt I) S. 252 ff.

PHILIPP FRANK: Einstein – Sein Leben und seine Zeit. (1949). Vieweg,

Braunschweig 1979.

PETER C. HÄGELE: Leitideen steuern wissenschaftliche Erkenntnisse. Einsteins

Überzeugungen als Triebfeder und Begrenzung seiner Theoriebildung. In

Breuninger, R. (Hrsg.): Bausteine zur Philosophie, Heft 27. Interdisziplinäre

Schriftenreihe Humboldt-Studienzentrum für Philosophie und

Geisteswissenschaften, Universität Ulm 2011.

HELMUT HÖNL: Albert Einstein und Ernst Mach. In: Phys. Blätter 35, 1979, H.

11, S. 485 – 494.

FRIEDRICH HUND: Geschichte der physikalischen Begriffe. Teil 2. B. I.,

Mannheim/Wien/Zürich, 2. A. 1978, S. 62 – 88.

PETER JANICH: Die erkenntnistheoretischen Quellen Einsteins. In: Lecture

Notes in Physics, Bd. 100: Einstein Symposion Berlin.

Berlin/Heidelberg/New York 1979, S. 412 – 427.

HORST MELCHER: Albert Einstein wider Vorurteile und Denkgewohnheiten.

Vieweg Braunschweig 1979 (Lizenz Akademie-Verlag Berlin-Ost). (enthält

viele Zitate Einsteins zu erkenntnistheoretischen Fragen).

PAUL ARTHUR SCHILPP (Hg.): Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher.

(1955). Vieweg, Braunschweig 1979.

Darin u. a :

A. Einstein: Autobiographisches.

N. Bohr: Diskussion mit Einstein über erkenntnistheoretische

Probleme in der Atomphysik.

Margenau: Einsteins Auffassung von der Wirklichkeit.

K. Gödel: Eine Bemerkung über die Beziehungen zwischen der Relativitätstheorie und der idealistischen Philosophie.

PAUL ARTHUR SCHILPP (Hg.): Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher.

– Eine Auswahl: Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1983. (Facetten der

Physik, Bd. 8). VI, 249 S. (die genannten Beiträge sind von der Weglassung

nicht betroffen).

NIKLAS STILLER: Albert Einstein. Dressel, Hamburg 1988. (Reihe: Menschen)

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Literaturhinweise

80

JOHANNES WICKERT: Albert Einstein. (Rowohlt Monographie) 2005.

3. Von Einstein:

Autobiographisches. In: P. A. Schilpp (Hg.) – siehe oben Abschnitt II.

Mein Weltbild. (Herausgegeben von Carl Seelig) Ullstein, Frankfurt/M. 2005

(Aufsätze).

Aus meinen späten Jahren. Melzer Verlag, Neu Isenburg 2005 (Aufsätze).

Grundzüge der Relativitätstheorie. (1922/1956). Vieweg,

Braunschweig/Wiesbaden, 5. A. 1969 und spätere Nachdrucke). (Wiss.

Taschenbücher 58). Über die spezielle und die allgemeine

Relativitätstheorie. (1917/1954/1956 Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden,

21. A. 1969 (und spätere Nachdrucke, z.B. Springer 2002).

Albert Einstein/Leopold Infeld: Die Evolution der Physik. Zsolnay,

Wien/Hamburg 1950, Neudruck Anaconda, Köln 2014 (früher auch als rde

12 bei Rowohlt).

Hinweis:

Die Universitätsbibliothek der Universität Ulm führte 1985 eine

Buchausstellung „Albert Einstein zum 30. Todestag“ durch und stellte eine

Literaturliste mit 73 Titeln von und über Einstein vor.

4. Einführung in die Relativitätstheorie:

MAX BORN: Die Relativitätstheorie Einsteins. (Herausgegeben von Jürgen

Ehlers, Markus Pössel) Springer, Berlin/Göttingen/ Heidelberg 2003.

ALBERT EINSTEIN: Über die Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie.

Springer, Berlin/Göttingen/ Heidelberg, 2012 (24. Aufl.).

G. FALK/W. RUPPEL: Mechanik, Relativität, Gravitation. Springer, Berlin/

Göttingen/Heidelberg 1983.

JÜRGEN FREUND: Spezielle Relativitätstheorie für Studienanfänger. Zürich: vdf

Hochschulverlag AG an der ETH Zürich 2007.

C. KACSER: Einführung in die spezielle Relativitätstheorie. Berliner Union,

Stuttgart 1970.

CH. KITTEL/W.D. KNIGHT/M. A. RUDERMANN: Mechanics (Berkeley Physics

Course, Vol. 1). McGraw-Hill, N.Y. Deutsche Übersetzung: W. D. Knight/M.

A. Rudermann: Mechanik. Vieweg, Braunschweig/ Wiesbaden 2001.

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Literaturhinweise

81

HORST MELCHER: Relativitätstheorie in elementarer Darstellung, mit Aufgaben

und Lösungen. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1974.

ROBERT RESNICK: Einführung in die spezielle Relativitätstheorie. Klett-

Studienbücher, Stuttgart 1996.

ERNST SCHMUTZER: Relativitätstheorie – aktuell. Ein Beitrag zur Einheit der

Physik. Springer, Berlin/ Göttingen/Heidelberg 1996.

ROMAN SEXL: Relativitätstheorie in der Kollegstufe. Ein Kursvorschlag.

Beiträge zum Math.-Nat. Unterricht, Heft 26, Vieweg, Braunschweig 1973.