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Im Zeichen der Yuugh-Katze

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Nr. 495

Im Zeichen der Yuugh-Katze

Unheimliche Vorgänge auf Pthor

von Horst Hoffmann

Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis ist längst aufgehoben. Der Zusammenbruch der dunklen Mächte begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, durch die Schwarze Galaxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis ge­bracht wurde und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten.

Dann löste die große Plejade den Lebensring um Ritiquian auf. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, starben aus.

Doch das Schicksal der dunklen Mächte scheint damit noch nicht endgültig besie­gelt zu sein. Der Dunkle Oheim traf jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ihnen startete.

Die Lage, die gegenwärtig auf Pthor herrscht, ist schwer überschaubar. Eine Reihe von unheimlichen, bedrohlichen Vorgängen hält die Bewohner des Dimensionsfahr­stuhls in Atem und beschwört mannigfaltige Gefahren herauf. Einer dieser Vorgänge steht IM ZEICHEN DER YUUGH-KATZE …

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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide beschäftigt sich mit dem Parraxynt. Sator Synk - Der Orxeyaner hat Ärger mit seinen Dellos. Onte Derg - Ein ehemaliger Pirat. Halyron - Ein Berserker. Leenia - Die ehemalige Körperlose empfängt eine Botschaft.

PROLOG Und nun?

Der Impuls jagte durch den riesigen schwarzen Ring, der den aus Hunderten von Dimensionsfahrstühlen gebildeten Pseudo­planeten umschloß – zwischen beiden eine undurchdringbare schwarze Masse aus ne­gativer Energie.

Der Dunkle Oheim zögerte mit der Ant­wort auf die stumme Frage seines Spröß­lings, den er im Ritiquian-System besiegt und in sich aufgesogen hatte, ohne dabei dessen Persönlichkeit völlig zu zerstören.

Das Ritiquian-System lag wie die gesam­te Schwarze Galaxis weit hinter ihnen – vor ihnen eine andere Sterneninsel, von ihren Bewohnern Milchstraße genannt. Es fiel dem Dunklen Oheim schwer, den Gedanken an Rache beiseite zu schieben, Rache an den Bewohnern jenes Planeten, auf dem die Ent­fremdung Pthors ihren Anfang genommen hatte.

Er hatte seine Neffen und die Herrschaft über die Schwarze Galaxis verloren, doch seine Macht war ungebrochen.

Und nun? Es ist auf Pthor zu einer weiteren Stö­

rung gekommen, erklärte der Oheim. Der schwarze Kern unterliegt nicht mehr meiner Kontrolle. Aus auch mir unbekannten Grün­den lockt er meine Diener zu sich und nimmt sie in sich auf, ohne die dabei frei werden­den Kräfte an mich weiterzuleiten! Zerstöre Pthor!

Zorn durchflutete den schwarzen Ring und brachte den integrierten Sprößling zum Schweigen.

Meine Macht ist größer! schoß es durch den Ring. Was immer zum Leben erwacht

sein mag, ich werde es besiegen! Der Spröß­ling schwieg. Der Dunkle Oheim kannte auch so die Einwände, die er hätte machen können.

Er glaubte nicht an die Möglichkeit, daß es sich bei der Störung um eine zufällige, um einen reinen Unglücksfall handelte.

Er befürchtete vielmehr, daß er durch den Zusammenschluß der Dimensionsfahr­stühle eine unbekannte, uralte Macht ge­weckt hatte, die nun gegen ihn zu arbeiten begann.

Er würde abwarten – und im geeigneten Moment zuschlagen.

Inzwischen jagte er durch die Dimensi­onskorridore seinem nicht mehr fernen Ziel entgegen …

1.

»Sieh mich nicht so an, Arkonide«, sagte Razamon. »Es ist vorüber.«

Atlan nickte schwach und blickte an Raz­amon vorbei über den Rand des Zugors. Donkmoon zog unter ihnen dahin. Überall war Bewegung. Scharen von Wesen mar­schierten in langen Zügen auf Kalmlech zu, und längst waren es nicht mehr nur Terkeen. Humanoide Gestalten sickerten an immer weiteren Verbindungsstellen zwischen Pthor und den angrenzenden Dimensionsfahrstüh­len ein. Ganze Kolonnen wälzten sich über die »Landbrücken«, und noch war kein Ende in Sicht. Im Gegenteil – die unheimliche Völkerwanderung schien erst jetzt richtig einzusetzen. Das Entsetzen, das Atlan befal­len hatte, als er die Tragweite dieser Ent­wicklung begriff, war inzwischen etwas ab­geklungen. Neue Realitäten wurden geschaf­fen und mußten so oder so bewältigt werden. Der Gedanke daran, daß dies, was nun auf

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Pthor geschah, nicht im Sinne des Dunklen Oheims sein konnte, war nur ein schwacher Trost. Pthor stand am Rand einer neuen Ka­tastrophe, die alles Vorangegangene in den Schatten zu stellen drohte.

Und dabei befand sich der ganze Kunst-planet längst auf dem Flug, dessen Ziel At­lan eisige Schauer über den Rücken jagte.

Für ihn bestand kein Zweifel mehr daran, daß der Dunkle Oheim die Milchstraße heimsuchen wollte, um Rache zu nehmen. Atlan durfte nicht daran denken, was aus der Erde werden würde, sollten die Dimensions­fahrstühle und der Oheim im Sonnensystem materialisieren.

Atlan hatte das Gefühl, immer mehr an die Wand gedrängt zu werden. Er hatte nicht nur gegen die Zeit zu kämpfen. Das Parra­xynt, auf dem seine ganzen Hoffnungen ruh­ten, war noch nicht weit genug zusammen­gesetzt, um seine Geheimnisse preiszuge­ben. Valschein war tot. Nach wie vor schien sich das Parraxynt dagegen zu sträuben, vollendet zu werden – ganz abgesehen von den Teilen, die unauffindbar waren und blie­ben. Die Invasion der Diener des Dunklen Oheims stellte den Arkoniden vor schier un­lösbar erscheinende Probleme. Noch ver­hielten die Eindringlinge sich friedlich, so­lange sich ihnen niemand in den Weg zu stellen versuchte. Wie Marionetten mar­schierten sie in den sicheren Tod. Alle kann­ten nur ein Ziel: den Krater und das, was aus dem schwarzen Kern von Pthor geworden war, nachdem Atlan diesem mit dem aus sie­ben Bruchstücken des Parraxynt gebildeten »Schlüssel« zu Leibe gerückt war. Bald würde Pthor hoffnungslos überfüllt sein. All diese Wesen, die über die Verbindungs­brücken kamen, brauchten Wasser und Nah­rung, um nicht schon vor Erreichen des Kra­ters elend zugrunde zu gehen. Alles in Atlan sträubte sich dagegen, sie einfach in den Tod marschieren zu lassen. Doch was konnte er tun, um diese Lawine aufzuhalten? Er hatte Visionen von Geschöpfen, die schon, von noch weiter her kommend, die Nachbarfrag­mente überrannten. Und immer noch fragte

er sich bange, was geschehen würde, nach­dem die letzten Diener des Oheims im Kra­ter verschwunden waren. Würde der un­heimliche Sog anhalten und auch die »unbeteiligten« Pthorer hineinreißen?

Und Razamon … Der Berserker stieß eine Verwünschung

aus, als er wieder Atlans besorgte Blicke auf sich gerichtet sah.

»Es ist vorbei!« sagte er ungehalten. »Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu ma­chen. Ich werde nicht wieder versuchen, die Horden der Nacht zu kommandieren. Mein Zeitklumpen wird mich nachhaltig genug daran erinnern, was ich … an das, was war. Ich mache mir Sorgen um dich, alter Freund. Ich sehe es dir an, daß du dir die Schuld gibst. Du redest dir ein, daß du die Völker­wanderung ausgelöst hast, indem du den Parraxynt-Schlüssel zum schwarzen Kern brachtest. Du versuchst dich damit zu beru­higen, daß dies alles letztlich nur der Frei­heit Pthors dienen mag. Aber das bringst du nicht fertig.«

»Nein«, murmelte Atlan, während er den Zugor höherzog. »Und allmählich beginne ich mich zu fragen, ob die Seele von Pthor wirklich ausschließlich positive Zwecke ver­folgt – oder ob auch sie vielleicht von einer Macht manipuliert wurde, von der wir gar nichts wissen.«

»Setze das Parraxynt zusammen, dann er­fährst du vielleicht endlich die Antwort«, sagte Razamon.

Atlan lachte humorlos. Der Flug zur FE­STUNG wurde zu einem Alptraum. Die Ko­lonnen der Invasoren nahmen kein Ende. Pthorer flohen vor ihnen, aber wo sie sich auch niederließen, sahen sie nach kurzer Zeit weitere Gruppen von Fremden erschei­nen.

»Selbst in den entferntesten Teilen der Planetenschale setzen sie sich in Bewegung, um nach Pthor zu kommen«, knurrte Raza­mon. »Du fliegst nicht zur FESTUNG. Nach Aghmonth?«

Atlan nickte finster. »Du wirst nichts Neues sehen, außer, daß

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sich das Aussehen der Invasoren vielleicht schon geändert hat. Es wird sich noch oft ändern. Es gibt wichtigere Dinge zu tun, so­lange uns noch Zeit bleibt.«

Razamon sprach den wunden Punkt an. Wann würde der Pseudoplanet mit dem Dunklen Oheim die Milchstraße erreichen?

Es wurde Nacht, als der Zugor Aghmonth erreichte. Das trübe Dämmerlicht wich der Dunkelheit. Dort, wo die Wölbmäntel Pthors und des an dessen Ostspitze angrenzenden Dimensionsfahrstuhls sich berührten, schien ein Leuchtfeuer zu brennen. Atlan blickte hinab auf die Stadt der Kelotten und Pfister, auf die Türme und Röhren, die riesigen Tanks und ausgedehnten Anlagen, die sich bis zum Horizont hinzogen. Zwischen ihnen drängten sich die Todgeweihten. Über die schmale Brücke im Nichts schoben sich Massen von Wesen heran wie durch einen Trichter. Atlan konnte jene, die von hinten ungestüm nachdrängten, nur erahnen. Kelot­ten, die sich noch nicht in Sicherheit ge­bracht hatten, wurden einfach niedergewalzt.

Atlan wendete den Zugor und nahm Kurs auf die FESTUNG. Die ungeklärten Fragen türmten sich vor ihm auf, wurden noch be­drückender.

Er gab sich einen Ruck, bis die Zähne aufeinander und beschleunigte den Zugor bis zur Grenze seiner Belastbarkeit.

»Ich werde mich also wieder um das Par­raxynt kümmern«, sagte er nach einer Weile ohne viel Hoffnung. »Und solange es keine Möglichkeit gibt, diesen bedauernswerten Geschöpfen zu helfen, können wir nur ver­suchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten.«

Razamon blickte ihn fragend an. »Wir können sie nicht aufhalten, Raza­

mon, noch nicht. Und solange uns die Hände gebunden sind, müssen wir mit allen Mitteln wenigstens dafür sorgen, daß die Pthorer diesen Aufmarsch überleben. Außerdem brauchen die Fremden Nahrung. Ich will Pthor nicht mit ihren Leichen übersät se­hen.«

»Sie werden so oder so sterben«, sagte der

Berserker finster. »Nicht auf eine Weise, die wir verhindern

können!«

*

In der großen Pyramide angekommen, er­warteten den Arkoniden weitere Hiobsbot­schaften. Inzwischen waren auch im Bereich der ehemaligen Eisküste, im Mündungsge­biet des Flusses Xamyhr und nördlich von Panyxan Verbindungen zu benachbarten Di­mensionsfahrstühlen entstanden, so daß die Fremden nunmehr buchstäblich von allen Seiten her nach Pthor hereindrängten. Ledig­lich aus der Großen Barriere von Oth wan­derten sie noch nicht hervor.

Die Nachrichten bestärkten Atlan nur noch in seinem gefaßten Entschluß. Die Pthorer mußten nun um ihr nacktes Leben kämpfen, wollten sie nicht regelrecht zer­quetscht werden.

Kurz darauf richtete er einen Appell an al­le Bewohner des Dimensionsfahrstuhls, den Fremden nicht nur aus dem Weg zu gehen, sondern ihnen darüberhinaus den geradesten Weg zum Zentrum Pthors zu ebnen. Die Pthorer wurden aufgefordert, alle Hindernis­se für sie aus dem Weg zu räumen, soweit sich dies bewerkstelligen ließ, und ihnen Wasser und einfache Nahrungsmittel zur Verfügung zu stellen. Da Atlan sich nur zu gut ausrechnen konnte, auf wie wenig Ge­genliebe seine Vorschläge bei den Pthorern stoßen würden, erklärte er abschließend, daß unter denen, die sich an der Verzweiflungs­aktion beteiligten, die in der FESTUNG ge­horteten Schätze aufgeteilt werden sollten.

Er hatte keine Verwendung mehr für die Kostbarkeiten, die sowohl die Herren der FESTUNG wie später auch die Odinssöhne als Tribut forderten. In der Hauptsache han­delte es sich dabei um Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände, aber auch Juwelen, Quorks, Pelze und Waffen lagerten in den Schatzkammern der Pyramide. Falls sie dazu bestimmt gewesen waren, in der Schwarzen Galaxis abgeliefert zu werden, so kam es

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nicht mehr dazu. Die Lager waren überfüllt. Es war nur recht und billig, daß die Schätze denen zurückgegeben wurden, denen – oder deren Vorfahren – sie einst genommen wor­den waren.

Atlan war sich bewußt, den Tod der Die­ner des Oheims dadurch zu beschleunigen. Je weniger Hindernisse sie auf ihrem Weg vorfanden, desto schneller gelangten sie zum Krater. Er befand sich in einer Zwickmühle. Was immer er auch tat, ein Ende des Mas­sensterbens lag in weiter Ferne. Er versuch­te, sich mit dem Gedanken zu trösten, daß er das kleinere Übel wählte.

Nichtsdestoweniger duldete die Arbeit am Parraxynt nun keinen Aufschub mehr. Atlan setzte alle Hoffnung darauf, deren er noch fähig war. Razamon sollte die Arbeiten der Pthorer koordinieren, soweit dies eben mög­lich war, während Atlan einen anderen da­mit beauftragte, mit einer Gruppe von Del­los Ordnung in die Schatzkammern der FE­STUNG zu bringen und sich einen Über­blick über die dort gelagerten Kostbarkeiten zu verschaffen. Den brauchte er, wollte er sein den Pthorern gegebenes Versprechen einlösen können.

Dieser andere war kein geringerer als Sa­tor Synk, der ruhelos durch die FESTUNG streifte, seitdem er zur Untätigkeit verurteilt war. Der Arkonide war nicht bereit, Synk einen Zugor zur Verfügung zu stellen, damit er womöglich in seinem Tatendrang draußen noch mehr Verwirrung stiftete. In den La­gerhallen war der Quälgeist noch am besten aufgehoben. Doch erst als Atlan ihm nach­drücklich erklärte, welch wichtige Aufgabe er ihm da zuteilte, fügte Synk sich murrend.

Daß er dabei ein Dutzend Dellos kom­mandieren konnte, versöhnte ihn halbwegs mit seinem Schicksal.

2.

Einige der wenigen Regionen Pthors, die von den jüngsten Ereignissen bis hin zum Aufmarsch der Fremden so gut wie völlig unbehelligt geblieben waren, war das Taam­

berg-Massiv. Mit seinen drei Gipfeln, von denen der mächtigste eine Höhe von 7500 Metern erreichte, und seinen unwegsamen Tälern und Schluchten stellte das legenden­umwitterte Gebirge für die Invasoren ein Hindernis dar, das sie lieber auf weitem Weg umgingen.

Andererseits waren es jedoch gerade diese unzugänglichen Täler, in die sich manche aus ihren Städten und Dörfern vertriebenen Pthorer geflohen hatten – vor allem solche, die Grund hatten, die Begegnung mit ande­ren zu scheuen.

Onte Derg war noch jung an Jahren und hatte doch in seinem Leben bereits mehr an Erfahrungen gesammelt als mancher Alte. Bis vor kurzem gehörte er zu einer Gruppe von Piraten vom Regenfluß. Schon als Kind war er in ihre Hände geraten und hatte ler­nen müssen, sich durchzusetzen. Es gelang ihm, auch wenn es ihm mehr Beulen und Schrammen eingebracht hatte, als ihm lieb sein konnte. Dennoch fühlte er sich als Pirat niemals ganz wohl. Onte Derg war zum Ein­zelgänger geboren, was sich im Lauf der Jahre immer stärker ausprägte.

Die Invasionen durch Scuddamoren, Tru­gen und Ugharten, die Herrschaft der Ma­gier und was Pthor sonst noch heimgesucht hatte, all das hatte die Piraten arg gebeutelt und sie zum Teil umgebracht, zum Teil in alle Winde verstreut. Einige zogen noch als raubende Banden durchs Land, holten sich in der Regel aber blutige Köpfe bei ihren Überfällen. Die Pthorer hatten gelernt, sich zu wehren, wenn auch nicht jeder mit Schwert und Lanze umzugehen wußte. Es gab andere Mittel.

Onte Derg trauerte den alten Zuständen nicht nach. Im Gegenteil konnte er nun, nachdem er vielleicht als einziger den Unter­gang der MAHSDRA überlebt hatte, seine eigenen Wege gehen. Die Katastrophe hatte das Schiff heimgesucht, als es sich südöst­lich der Senke der verlorenen Seelen befand.

Zu Fuß, mit weiter nichts als einem lan­gen Messer bewaffnet, hatte der Pirat sich am Ufer des Flusses durchschlagen müssen.

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Er traf auf Pthorer, die hier eigentlich gar nichts zu suchen haben dürften. Die ganze Welt war in Aufruhr geraten und nichts war mehr so wie früher. Mehr als einmal fand er verlassene Hütten. Andere waren von Leu­ten bewohnt, die er leicht hätte vertreiben können. Doch Onte Derg stand der Sinn nicht nach einem Leben in Beschaulichkeit. Ihn lockte das Abenteuer, das ihm der Taamberg verhieß.

Abenteuer und Reichtum – vor allem letz­teren hoffte er dort zu finden. Oft genug, wenn die Weinschläuche die Runde gemacht hatten, war auf der MAHSDRA die Rede von einem legendären Schatz gewesen, von unermeßlichen Reichtümern, die dort vor vielen Generationen von Piraten vergraben worden waren. Onte Derg hatte dann die Ohren gespitzt und einiges aufgeschnappt, das ihm als Hinweis dienen mochte. Das Taamberg-Massiv war riesig, und es hätte den Jüngling viele Jahre seines Lebens ge­kostet, ohne festen Anhaltspunkt zu suchen. Und Onte Derg zählte nicht gerade zu den geduldigsten.

Die gelegentlichen Zusammenstöße mit Pthorern oder wilden Tieren am Ufer des Regenflusses waren jedoch nichts als harm­lose Häkeleien im Vergleich zu dem, was Derg in den Schluchten des Massivs erwar­tete. Nach der ersten Begegnung mit einer Handvoll Berserkern schwor er sich, daß dies gleichzeitig seine letzte gewesen sein sollte. Zwar hatte er von diesen wilden Ge­sellen gehört, den zerlumpten, fast zu Tieren gewordenen Nachfahren der echten Berser­ker aus der Familie Knyr, und er war nicht unvorbereitet gewesen. Nur dies rettete ihm das Leben, doch zwei volle Tage verbrachte er in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Boden einer schmalen Felsspalte, in die sie ihn ge­stoßen hatten. Als er dann wieder auf den Beinen stehen konnte, von verkrusteten Schrammen übersät, war er doppelt vorsich­tig. Er setzte seinen Weg fort, mußte sich wilder Tiere erwehren, die allem auflauer­ten, das sich bewegte, und kam nur langsam voran. Auch wenn er nicht angegriffen wur­

de, hatte er genug damit zu tun, sich in dem rauhen Gelände zu behaupten.

An den Tag, an dem der Himmel sich ver­änderte und ein schwarzes Etwas sich vor die Sonne und die Sterne schob, als plötzlich wieder nur das trübe Licht des Wölbmantels herrschte, fand Onte Derg eine Höhle hoch im Fels des Goscholth, des kleinsten der drei Gipfel, zu der nur ein unwegsamer, gut übersehbarer Pfad hinaufführte. Dort richte­te der Pirat sich ein, um bei Tag auf Schatz­suche zu gehen. Der Schatz, so hatte es ge­heißen, befand sich irgendwo in den Tälern zwischen dem Goscholth und dem Knyr­schohn.

Nach tagelangem Suchen, Herumirren und Überlebenskampf war Onte Dergs Stim­mung längst nicht mehr so gut wie zu Be­ginn seiner Suche. Von dem erhofftem Schatz war weit und breit nichts zu sehen. Die Anhaltspunkte, die er besaß, erwiesen sich als wertlos. Die Landschaft hatte sich verändert. Insgeheim schalt der Pirat sich schon einen Narren. Irgendwann, wenn er müde und erschöpft von einem seiner Aus­flüge zurückkehrte, würden ihm Berserker in den Rücken fallen und ihn töten.

In dieser finsteren Stimmung befand sich Derg auch nun wieder, als er die Höhle weit oben im Fels sah und sich anschickte, hin­aufzusteigen, um eine weitere Nacht dort zu verbringen, um nichts reicher als um eine weitere Enttäuschung.

Wütend trat er in den hier weichen, moos­bedeckten Boden unter hohen Nadelbäumen und in den Wipfeln wuchernden Schlingge­wächsen, und schrie fast auf vor Schmerz.

Er taumelte auf einem Bein, hielt sich den Fuß, von dem er glaubte, daß alle fünf Ze­hen zerschmettert sein müßten, und fiel der Länge nach hin. Krampfhaft unterdrückte er die Schmerzensschreie, um nicht die Kreatu­ren des Waldes auf sich aufmerksam zu ma­chen. Mit dem Kopf landete er nur wenige Zentimeter neben dem im fahlen Licht grau schimmernden Stein, der nun fast faustgroß aus dem Moos ragte. Unbeherrscht wollte er ihn von sich fortstoßen, doch er ließ sich

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kaum bewegen. Derg richtete sich halb auf – und sah, daß er keinen einfachen Stein vor sich hatte, jedenfalls keinen, wie man sie ge­wöhnlich hier fand.

Onte Dergs Neugier erwachte. Irgend et­was in ihm schlug Alarm. Sein Zorn schwand nur langsam. Doch schon war Derg dabei, den Stein mit beiden Händen aus dem weichen Boden auszugraben. Was er gese­hen hatte, war nur das Ende eines langen harten Etwas, das Dergs Finger jetzt ertaste­ten. Seine Erregung wuchs. Mit Maulwurfs­händen grub er weiter – und legte endlich den »Stein« ganz frei. Er nahm ihn in beide Hände, und was er sah, verschlug ihm den Atem.

»Aber das ist ein … ein Quork!« flüsterte der Pirat. »Ein …«

Er sprach das Wort »Schatz« nicht aus, doch dieser Quork, der größte, der ihm je zu Gesicht gekommen war, mochte gut und gern seine zehn Yassels wert sein. Er allein hätte ihm in Orxeya, der Stadt der Händler, mehr als nur bewundernde Blicke einge­bracht. Die in ihn gearbeiteten Schnitzereien waren von atemberaubender Faszination. Doch Onte Derg dachte nicht daran, sich mit diesem Fund zufriedenzugeben. Ein Rausch erfaßte ihn. Er grub mit den Fingern weiter im Waldboden, besessen von dem Gedan­ken, durch einen unglaublichen Zufall, auf eine Spur gestoßen zu sein, die ihn doch noch zum heißersehnten Schatz führen mochte. Vielleicht lag der Schatz gar hier, genau unter seinen Füßen. Vielleicht …

Seine Finger berührten etwas Hartes. Derg mußte an sich halten, um nicht in Ju­belschreie auszubrechen. Er grub den näch­sten Quork aus, ein nicht viel kleineres Ex­emplar als das erste. Derg vergaß die Welt um sich herum und sah kaum, daß es nun schnell dunkel wurde. Bald sah der Boden so aus, als hätten ein Dutzend Wildschweine sich hier ausgetobt. Einen Quork nach dem anderen förderte der junge Pirat zutage. Es war geradezu unheimlich.

Plötzlich erstarrte er mitten in der Bewe­gung, richtete sich auf und starrte den

Quork, den er gerade zu den anderen werfen wollte, aus großen Augen an.

Er dachte an die Legende. Sollte es jemals einem Pthorer gelingen,

so hieß es darin, alle dreißig Millionen Quorks, die es angeblich auf Pthor gab, in seinen Besitz zu bringen, so würde der Kör­per der Yuugh-Katze wiedererstehen und zum Leben erweckt werden.

Derg konnte sich unter der Yuugh-Katze nichts Rechtes vorstellen. Er hatte die dies­bezüglichen Legenden immer als Aberglau­be abgetan. Einstmals sollte ein solches Tier gelebt haben, dessen Skelett in dreißig Mil­lionen fingergroße Knochen zerfallen war, von denen nur ein winziger Bruchteil gefun­den worden war. Sie, die Quorks, galten auf Pthor als Zahlungsmittel. Reiche Händler, so hieß es, horteten Dutzende dieser durch Schnitzarbeiten verzierten Knochen in ihren Schatzkammern.

Derg ließ den Quork fallen und machte zwei, drei Schritte zurück. Trockene Äste knackten unter seinen Füßen. Derg fuhr her­um und wurde sich erst jetzt der Dunkelheit bewußt. Er sollte jetzt nicht mehr hier drau­ßen sein. Überall konnte der Tod lauern, in vielen verschiedenen Formen.

Doch der Wald blieb ruhig. Irgendwo in der Ferne schrien Raubvögel. Kleine Tiere huschten die Baumstämme empor und ver­schwanden in ihren Höhlen. Leuchtkäfer lie­ßen sich auf den Quorks nieder und verblaß­ten.

Aberglaube! versuchte Derg sich einzure­den. Unfug! Du benimmst dich wie ein altes Weib!

Dennoch zögerte er, seine Schätze an sich zu nehmen und mit ihnen zur Höhle hinauf­zuklettern.

Dreißig Millionen … Der Pirat hatte nicht einmal eine ungefäh­

re Vorstellung von dieser Zahl. Sie war Teil der Legende. Ansonsten sagte sie ihm we­nig. Nur die Robotbürger in Wolterhaven und einige der FESTUNGsbewohner moch­ten mit ihr etwas anfangen können.

»Aber in Orxeya gibt es Quorks, in den

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Schatzkammern der FESTUNG«, hörte der Jüngling sich murmeln. »Unmöglich kann ich derjenige sein, der sie alle zusammen­trägt.«

Und sie bedeuteten Reichtum. An die da­mit verbundene Macht dachte Onte Derg nicht. Er strebte keine Macht an. Er wollte das Abenteuer. Die Suche nach Schätzen war ihm wichtiger als die Schätze selbst. Und zweifellos war er hier auf einen großen Schatz gestoßen. Ob es jener war, von dem die Piraten gesprochen hatten, blieb dahin­gestellt.

Onte Derg gab sich einen Ruck. Er war kein Narr und kein abergläubisches Weib. Wieso ängstigte er sich überhaupt? Er hatte einen Schatz gefunden, nichts weiter. Wenn er an diesen Reichtümern vorüberging, wür­den sich andere sie nehmen. Es war zu ge­fährlich, noch länger an dieser Stelle zu ver­weilen und nach weiteren Quorks zu graben. Das hatte bis zum nächsten Tag Zeit.

Als er den ersten Knochen aufhob, emp­fand er noch eine gewisse Scheu. Dann aber raffte er zusammen, was er gerade tragen konnte, und machte sich eilig an den Auf­stieg.

Es war, als ob an diesem Abend eine un­bekannte Macht ihre schützende Hand über Onte Derg hielt, denn keiner der riesigen Raubvögel stürzte auf ihn herab, kein Stein gab unter seinen Füßen nach und brachte ihn zu Fall, keine Bestie schob sich mit glühen­den Augen aus dem dichten Buschwerk zu beiden Seiten des Pfades und sprang ihn an. Er erreichte die Höhle sicher und breitete die Quorks vor sich aus.

Eine Zeitlang saß er nur schwer atmend vor ihnen. Dann wischte er sich den Schweiß aus der Stirn und fuhr behutsam mit den Fingern über die Knochen. Einige waren weder beschnitzt noch sonstwie bear­beitet, was ihm erst jetzt auffiel. Kein Ptho­rer hatte sie jemals in den Händen gehalten und bearbeitet. Es war gerade so, als hätten sie für undenkliche Zeiten dort im Boden des Waldes darauf gewartet, daß er sie aus­grub.

Die Yuugh-Katze … Als der Pirat diesmal versuchte, sich eine

Kreatur vorzustellen, von der diese und un­zählige weitere Knochen stammten, tat er es ohne Furcht. Er lachte über sich selbst.

Sobald es draußen wieder hell wurde, wollte er erneut hinabsteigen und weitersu­chen.

Onte Derg schlief bald ein, auf einer ein­fachen Matte aus trockenen Gräsern, den Dolch griffbereit neben sich.

Er träumte von Quorks, von so vielen, daß er sie nicht mehr selbst tragen konnte. Und er sah sich auf dem Weg zur FESTUNG, wo er seine Schätze laut lachend den Odinssöh­nen oder jenen, die inzwischen dort das Sa­gen hatten, vor die Füße warf. Doch dann wuchs der Haufen der Quorks langsam zu einem Berg, und dieser Berg verwandelte sich in einen katzenhaften Körper, in dessen Schatten sich hundert Männer verbergen konnten.

Onte Derg wachte nicht schreiend auf. Es war kein Angsttraum – im Gegenteil.

*

Als es hell wurde, war Onte Derg bereits wieder auf dem Weg hinab ins Tal. Nur kurz blieb er stehen und blinzelte, als der Schat­ten eines hoch über den Wipfeln kreisenden Raubvogels über ihn hinwegzog. Der Pirat hatte sich noch immer nicht ganz an die neu­en Lichtverhältnisse gewöhnt. Er hoffte, daß sie sich bald wieder änderten, wie es schon vor nicht allzu langer Zeit geschehen war, und mehr als einmal. Schon viele verschie­dene Himmel hatte Derg gesehen, ohne zu begreifen oder sich auch nur lange zu fra­gen, wie es dazu kam.

Er lebte, hatte Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und mehr als genug zu essen. Was brauchte er mehr?

Der riesige Vogel schien eine andere Beu­te erspäht zu haben und stieß hinter den Bäumen auf etwas herab, das dem Piraten verborgen blieb. Nur kurz dachte er an die legendären weißen Geier, die Stormocks,

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von denen noch etwa dreißig Exemplare hoch in den Bergen hausen sollten. Er hatte noch keinen zu Gesicht bekommen, wohl aber gehört, daß ein solches Tier jenem, der es besitzt, Glück und Reichtum bringen sol­le.

Aberglaube! dachte Derg. Was brauche ich einen Stormock? Ich habe meinen Schatz gefunden.

Natürlich bestand die Möglichkeit, daß die Quorks, die er aus der Erde geholt hatte, bereits den gesamten Schatz darstellten. Vielleicht hatten in der Nacht auch Räuber, die zufällig durchs Tal zogen, die Knochen mitgenommen, die er nicht hatte zur Höhle tragen können. Onte Derg konnte nicht recht daran glauben. Und tatsächlich fand er seine Quorks an Ort und Stelle, so wie er sie zu­rückgelassen hatte.

Derg trug sie in die Höhle, bevor er zu­rückkehrte und weitergrub. Nach kurzer Zeit fand er einen ganzen Haufen der Knochen, nur wenige Handbreit unter der Oberfläche. Es war gerade so, als hätte sie jemand dort in eine kleine Kuhle geworfen und nur dünn mit Boden bedeckt. Diesmal handelte es sich um kleinere Exemplare, etwa so groß wie die, die er früher gesehen hatte. Und sie wie­sen ohne Ausnahme kostbare Verzierungen auf.

Derg setzte sich ins Moos und betrachtete einige der anderen, unverzierten Quorks ge­nauer. Wer sagte ihm eigentlich, daß auch diese Knochen der Yuugh-Katze waren? Konnten sie nicht ebenso von Bären, Wölfen oder anderen Waldbewohnern stammen?

»Es sind Quorks!« sagte Derg zu sich selbst. »Natürlich sind es Quorks. Daß sie über keine Schnitzereien verfügen, wird eben daran liegen, daß sie noch von nieman­dem gefunden wurden, der sie dann bearbei­ten konnte.«

Das hieß allerdings, daß zumindest diese nicht zu einem vergrabenen Schatz gehörten. Woher kamen sie also?

Derg fühlte, wie sich wieder eine merk­würdige Unruhe in ihm breitmachte. Aber wieso saß er hier wie ein Tölpel, wenn sich

unter seinen Füßen ungeheure Reichtümer verbargen, die nur darauf warteten, daß er sie an sich nahm? Er konnte doch noch einen Quork von den Knochen anderer Tiere unterscheiden!

Der Pirat raffte sich auf und grub abwech­selnd mit den Händen und dem Messer. In­nerhalb weniger Minuten hatte er ein weite­res Dutzend kleinerer Quorks zutage geför­dert. Wieder geriet er in einen wahren Rausch und grub weiter, bis er auf Felsge­stein stieß.

Hier fand er nichts mehr. Er stand auf und sah sich den Haufen an, zu dem er seine Funde aufgetürmt hatte. Er erschrak.

So viele Quorks, wie sie nun dort lagen, hatte er gar nicht aus dem Waldboden ge­holt. Und nun sah er sie überall. Sie lagen auf dem Moos wie eben aus dem Boden ge­wachsene Pilze. Derg stockte der Atem. Dann warf er alle Bedenken über Bord und rannte auf die Knochen zu, raffte auf, was er tragen konnte und trug die Quorks zusam­men. Daß sie eben noch nicht zu sehen ge­wesen waren, bereitete ihm nicht viel Kopf­zerbrechen. Er war ein Glückspilz. Das ein­zige, was ihm Sorgen machte, war der Transport seiner Schätze. Er hatte schon jetzt so viele Quorks gesammelt, daß er ein dutzendmal den unbequemen Aufstieg zur Höhle machen mußte, um sie dort zu ver­stecken. Und immer noch sah er weitere im Moos.

»Ein Korb«, murmelte er. »Ich muß mir einen Korb flechten.«

Derg blickte zu den Wipfeln der immer­grünen Baumriesen auf, wo sich die Sch­linggewächse befanden. Er kletterte an ei­nem Stamm so weit in die Höhe, daß er mit dem Messer genügend Lianen abschneiden konnte. Wieder unten angelangt, holte er sich von den Büschen am Hang dünne, bieg­same Zweige. Nach etwa zwei Stunden war sein Werk vollendet. Er lud die Quorks in den Korb, schob seine Arme in die als Hal­teriemen dienenden Lianen und setzte seine Suche fort. Der halb gefüllte Korb auf sei­nem Rücken zog seine Schultern nach hin­

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ten, aber Derg trug seine Last gerne. Einen Quork nach dem anderen sammelte er auf, und bei jedem Bücken sah er neue vor sich. Es war, als hätte jemand eine Spur durch den Wald gelegt, eine Spur aus Hunderten von Quorks.

Immer weiter ging Onte Derg, immer grö­ßer wurde seine Erregung. Mit einer Gier, die ihn hätte erschrecken sollen, raffte er die Knochen auf, bis der Korb schließlich so voll war, daß er sich schweren Herzens auf den Rückweg zur Höhle machen mußte. Erst jetzt sah er, wie weit er sich von der ersten Fundstelle entfernt hatte, und immer noch führte die Spur tiefer in den Wald hinein.

Derg merkte sich die Stelle, an der er die Suche vorläufig abbrechen mußte, kehrte um und gelangte unbehelligt zur Höhle, wo er den Korb leerte und sich dazu zwang, eine kurze Verschnaufpause einzulegen. Der An­blick der angehäuften Reichtümer ließ seine Augen glänzen. Er stellte sich gar nicht die Frage, was ihm die Knochen hier, in dieser Wildnis, überhaupt nützen sollten.

Für Onte Derg war es selbstverständlich, daß er sie alle zur FESTUNG bringen wür­de.

Er fand keine Ruhe. Er mußte wieder ins Tal. Derg nahm den leeren Korb und machte sich an den Abstieg. Als er diesmal den Wald erreichte, erwartete ihn eine böse Überraschung.

Es war der größte Bär, den der Pirat je ge­sehen hatte. Derg warf sich instinktiv hinter einen Felsbrocken und riß das Messer aus dem Gürtel. Der Bär schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Unter anderen Umstän­den hätte Onte Derg einen Umweg gewählt und eilige Flucht dem Kampf auf Leben und Tod vorgezogen. Doch er hatte nur noch Au­gen für den Quork, der halb aus dem Rachen der mächtigen Kreatur herausragte.

Irgend etwas geschah mit dem jungen Pi­raten, etwas, das ihn erschreckte und das er nicht verstand. Er begann am ganzen Körper zu zittern. Schweiß brach ihm aus allen Po­ren. Etwas in ihm verkrampfte sich, und Pa­nik griff nach seinem Verstand.

Er mußte diesen Quork haben! Er mußte sie alle an sich bringen!

Derg stieß einen Schrei aus und stürmte aus der Deckung hervor. Der Bär fuhr her­um, sah seinen Gegner und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Derg war schon heran, das Messer so fest umklammert, daß die Knöchel seiner rechten Faust weiß hervor­traten. Mit Todesverachtung warf er sich nach vorne, holte aus und stieß dem Riesen die Klinge tief zwischen die Rippen.

Im nächsten Augenblick glaubte er, in tausend Stücke gerissen zu werden. Die mächtigen Pranken des Bären legten sich wie Schraubstöcke um seinen Körper und preßten ihm die Luft aus den Lungen. Bunte Sterne tanzten vor Onte Dergs Augen. Ra­sender Schmerz durchfuhr ihn, als die Pran­ken ihm die Haut zerfetzten. Er bekam den stinkenden Atem des Bären in die Nase, blickte einen Moment lang in die kleinen, tückisch funkelnden Augen des Riesen und sah wieder den Quork.

Derg schrie auf, bekam den rechten Arm frei, riß das Messer aus der Wunde, aus der dunkelrotes Blut in den Pelz des Bären sickerte, und stieß wieder zu, diesmal geziel­ter. Die Klinge drang bis ins Herz des Rie­sen vor. Der Griff der Pranken erschlaffte. Derg ließ das Messer in der Brust des Tieres stecken und tauchte unter den Pranken hin­weg. Mit zwei, drei Sprüngen brachte er sich in Sicherheit und beobachtete hinter einem Baumstamm den Todeskampf des Riesen.

Der Bär fiel wie ein Baum. Derg wartete, bis auch seine letzte Bewegung erstarb. Dann erst näherte er sich ihm wieder vor­sichtig, zog das Messer zwischen den Rip­pen hervor und benutzte es, um die Kiefer des toten Bären auseinanderzustemmen, bis er mit der Linken den Quork zwischen den Reißzähnen hervorziehen konnte.

Derg taumelte einige Schritte weiter, lach­te irr und schwang den Quork wie eine Sie­gestrophäe. Dann ließ er sich ins Moos fal­len und atmete schwer. Die von den Pranken in Haut und Fleisch gerissenen Wunden be­gannen zu brennen. Unwillkürlich sah der

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junge Pirat sich nach Pflanzen um, deren Blätter Heilkräfte besaßen. Er hatte gelernt, den Saft aus ihnen herauszupressen und ihn richtig zu benutzen, um Entzündungen zu verhindern.

Natürlich gab es solche Pflanzen hier nicht, doch dafür etwas anderes.

Derg schrak auf und zweifelte an seinem Verstand.

Er befand sich wieder an jener Stelle, an der er die ersten Quorks gefunden und auf­gesammelt hatte. Weit und breit hatte es kei­ne Knochen der Yuugh-Katze mehr gege­ben, als er den Wald verließ.

Nun lagen sie wieder zu Dutzenden um ihn herum. Es war unvorstellbar, daß er sie vorher übersehen hatte.

Und das war nicht alles. Onte Derg schloß die Augen und legte

sich zitternd flach auf den Rücken. Dies mußte ein Traum sein, ein ganz und gar ver­rückter Traum. Was er sah, konnte nicht möglich sein!

Aber die Wunden brannten trotz des küh­lenden Mooses. Onte Derg zwang sich dazu, die Augen zu öffnen und den Kopf zu dre­hen.

Es war kein Traum. Wenige Meter von Derg entfernt schob

sich ein Quork aus dem Waldboden wie ein schnell wachsender Pilz. Aber es war kein Pilz. Es war ein Knochen, der Zentimeter um Zentimeter in die Höhe wuchs und dann umkippte, um wie ein welkes Blatt auf dem Moos liegenzubleiben.

So wie alle anderen Quorks, die der Pirat gefunden und aufgerafft hatte.

Onte Derg sprang auf und rannte schrei­end davon.

3.

»Plunder, nichts als Plunder! Schafft das Zeug weg, dann habt ihr fürs erste genug zu tun!«

Sator Synk trat abfällig gegen ein zusam­mengeschnürtes Bündel von Textilien, die früher einmal kostbar gewesen sein moch­

ten. Jetzt waren sie Fetzen. Kleine Tiere kro­chen daraus hervor, schienen den Orxeyaner überrascht anzublicken und machten sich ungerührt wieder daran, die Stoffe zu ver­zehren.

Angeekelt trat Synk zurück, zog sich einen einigermaßen gut erhaltenen Prunk­stuhl heran und setzte sich. Mit finsterer Miene verfolgte er die Arbeit der Dellos und paßte auf, daß sie nicht auch die Truhen mit Edelsteinen, Quorks und anderen wirklichen Kostbarkeiten aus der Lagerhalle schafften.

Kurz ließ er seinen Blick über die prall gefüllten Wandregale schweifen. Quorks, Geschmeide, Waffen und silberne Pokale la­gen dort kunterbunt durcheinander. Wenn es eines gab, das Synk haßte – außer Robotern, versteht sich –, so war das Unordnung.

Roboter … Seine Guerillas waren schon ein Nagel zu

seinem Sarg gewesen, allen voran Diglfonk. Doch sie hätten sich niemals so dumm ange­stellt wie die Dellos. Synk kam sich vor wie einer, der eine Gruppe Schwachsinniger kommandieren sollte. Das trug nicht gerade dazu bei, seine Verärgerung über Atlan ab­zumildern. Zuerst hatte Atlan ihn gar nicht zur Kenntnis genommen. Und nun tat er ihm dies an!

Aber wozu regte er sich eigentlich noch auf? Wenn man in der FESTUNG der An­sicht war, auf ihn verzichten zu können, dann hatte er hier nicht mehr viel verloren. Sollte Atlan doch sehen, wie er ohne ihn zu­rechtkam. War die Behandlung, die er hier erfuhr, etwa der Dank für alles, was er getan hatte?

»Pah!« rief der Orxeyaner aus. Einer der Dellos drehte sich zu ihm um und starrte ihn aus dummen Augen an.

»Habe ich dich gerufen?« fuhr Synk ihn an. »Macht weiter!«

»Ja, Herr.« Synk zuckte zusammen. »Das heißt nicht ›Ja, Herr‹, sondern

›Verfüge über mich, Herr‹!« hörte er sich brüllen und erschrak gleich darauf vor sich selbst.

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13 Im Zeichen der Yuugh-Katze

War es schon soweit mit ihm, daß er Digl­fonk und dessen Kumpanen nachtrauerte?

Synk seufzte und schloß die Augen. Er sah sich wieder an der Spitze seiner Robot-Guerillas Kämpfe ausfechten, Drachen töten und …

Aber das war vorbei, endgültig. Diglfonk hatte ihm den Rücken gekehrt. Von Anfang an hatte er nur seine Herren in Wolterhaven akzeptiert. Er hatte ihn getäuscht, schmäh­lich seine Gefühle mißbraucht.

Nein, Sator Synk sehnte sich nicht mehr nach Kampf, jedenfalls nicht nach Kämpfen, in denen er sein Leben für andere aufs Spiel setzte, um hinterher einen Fußtritt zu be­kommen. Wenn Pthor noch einmal heil da­vonkam, wollte er nach Orxeya zurückkeh­ren und ein beschauliches neues Leben be­ginnen. Vielleicht würde er ein Gasthaus er­öffnen. Er sah es schon vor sich, groß und imposant, nicht eine heruntergekommene Kneipe wie das »Goldene Yassel«. Über dem großen Eingang hing ein Schild mit der Aufschrift: »Zum verrosteten Roboter«.

Synk schlug so fest mit der Faust auf die Stuhllehne, daß diese krachend nachgab und er, vom eigenen Schwung mitgerissen, seit­wärts zu Boden fiel. Fluchend kam er auf die Beine und versetzte einem Dello, der sich neugierig umgedreht hatte, einen Tritt.

Allmählich leerte sich die Halle etwas. Die Lumpen wurden draußen in große Be­hälter geworfen und abtransportiert. Als das letzte Bündel verschwunden war, befahl Synk die Dellos zu sich.

»Nun beginnt eure eigentliche Arbeit«, verkündete er in Feldherrenpose. »Ihr wer­det die Schätze fein säuberlich sortieren, da­mit wir den nötigen Überblick erhalten.« Er deutete auf bestimmte Stellen des Bodens. »Dorthin kommen die Pokale, dorthin die Juwelen, dorthin die Waffen und dorthin die Quorks. Legt alles vorsichtig auf einen Hau­fen. Wer etwas beschädigt, lernt mich ken­nen. Ist das verstanden worden?«

»Ja, Herr«, kam es aus elf Kehlen. Nur ei­ner der Dellos, jener, der vorhin von Synk belehrt worden war, sagte: »Verfüge über

mich, Herr!« Der Dello bückte sich blitzschnell, als die

Stuhllehne heranflog, so daß sie einen weni­ger aufmerksamen, unschuldigen Spezial­androiden traf. Synk schüttelte stumm den Kopf und stemmte die Fäuste in die Hüften.

»Also worauf wartet ihr? An die Arbeit! Leert zuerst die Truhen aus, dann macht

euch an die Regale!« Die Dellos gehorchten. Zufrieden verfolg­

te der Orxeyaner, wie sie die Kostbarkeiten der FESTUNG vorsichtig sortierten und dort aufhäuften, wo er es ihnen befohlen hatte. Fast vergaß er seinen Grimm. Sie konnten also doch, wenn man ihnen nur zeigte, wer der Herr war.

Eine Viertelstunde lang ging das gut. Synk hatte schon mit dem Gedanken ge­

spielt, die Dellos für kurze Zeit sich selbst zu überlassen und aus seinem Quartier einen der unter dem Bett versteckten Krüge mit Wein zu holen, als die Androiden plötzlich in ihrem Tun innehielten.

»Was ist los?« brüllte Synk. »Wer hat euch gesagt, daß ihr aufhören sollt? Los, geht wieder an …«

Der Dello, vor dem er sich aufgebaut hat­te, schien durch ihn hindurchzublicken. Dann schoß seine Hand vor und gab Synk einen Stoß, der ihn bis an die nächste Wand taumeln ließ. Ein Regal gab nach und entlud Perlenketten und Pokale auf den Orxeyaner. Als Synk sich die Ketten vom Hals gerissen hatte und den Pokal in der Hand hielt, der ihm wie ein Helm auf dem Kopf gesessen hatte, glaubte er, seinen Augen nicht mehr trauen zu dürfen.

Die Dellos schienen allesamt den Ver­stand verloren zu haben. Anstatt weiter eine Truhe nach der anderen durchzugehen, stürzten sie sich plötzlich auf die Regale oder wühlten in den Truhen herum wie Be­sessene. Silberne Becher, Ringe, Ketten und Schwerter flogen in hohem Bogen durch die Halle. Synk suchte hinter den Überresten seines Stuhles Schutz und verfolgte sprach­los das Treiben der Androiden. Eine Helle­barde bohrte sich mit der Spitze nur wenige

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Zentimeter neben seinem rechten Fuß in die Holzklappe über einer tiefer hinab führen­den Treppe. Die Dellos wühlten wie die Maulwürfe und warfen alles achtlos fort. Nur dann, wenn sie einen Quork fanden, hielten sie inne und trugen ihn fast feierlich zu den bereits aufgehäuften verzierten Kno­chen. Innerhalb kurzer Zeit wuchs dieser Haufen zu beachtlicher Größe an.

»Hört auf damit!« schrie Synk. »Schluß jetzt! Ich befehle euch, hört auf!«

Die Dellos reagierten nicht auf ihn. Zorn erfaßte den Orxeyaner und ließ ihn vorüber­gehend die immer noch umherfliegenden Gegenstände vergessen. Er packte die Helle­barde und versetzte einem Androiden mit dem Schaft einen Schlag auf den Hinter­kopf.

Der Dello drehte sich langsam um, riß Synk die Waffe aus der Hand und schleuder­te sie von sich. Dann ließ er den Orxeyaner einfach stehen und suchte weiter nach Quorks.

Wütend trat Synk nach ihm. Der Dello packte ihn und beförderte ihn zum Ausgang der Halle.

Feierlich trugen die Androiden Quorks umher. Die Art und Weise, wie sie das taten, erinnerte Synk fast an eine Zeremonie. All­mählich wurde ihm dieses Treiben unheim­lich.

»Also bitte!« schrie er und wich einem wertvollen Steinkrug aus, der hinter ihm an der Wand in tausend Scherben zerbrach. »Ihr wollt es nicht anders! Ich werde andere Seiten aufziehen!«

Davon, wie er das tun wollte, hatte Synk noch keine rechte Vorstellung, als er sich flugs auf den Weg zu Atlan machte. Es dau­erte eine Weile und kostete eine Menge Fra­gen, bis er ihn endlich gefunden hatte.

Zwei Dellos versperrten ihm den Weg in den Raum, in dem Atlan gerade versuchte, dem Parraxynt weitere Teile hinzuzufügen.

»Laßt mich durch«, knurrte Synk dro­hend.

»Wir haben Befehl, niemanden zum Kö­nig vorzulassen«, erwiderte einer der Andro­

iden monoton. »Nur wenige Personen bilden darin eine Ausnahme.«

Synk kniff die Augen zusammen. Er muß­te sich beherrschen, um ruhig zu bleiben.

»Befindet sich unter diesen Ausnahmen auch ein gewisser Sator Synk?« erkundigte er sich.

»Nein.« Natürlich. Er war ja gerade gut genug,

sich mit einem Dutzend verrückt geworde­ner Androiden herumzuschlagen.

»Aber Razamon hat natürlich Zutritt?« »Ja.« Synk überlegte kurz, ob einer dieser bei­

den Dellos ihn schon einmal gesehen haben mochte. In diesen Tagen erschienen ja fast stündlich neue in der FESTUNG. Synk lä­chelte listig.

»Ich bin Razamon. Laßt mich jetzt durch.«

Einen Augenblick sah es so aus, als berie­ten sich die Dellos allein durch Blicke. Sie wußten nicht, was sie von seiner Eröffnung zu halten hatten, waren sich allerdings of­fensichtlich auch nicht sicher, daß er nicht Razamon war. Synk verlor die Geduld.

»Ich bin Razamon!« brüllte er. »Und ich habe eine wichtige Nachricht für Atlan! Macht Platz, oder ich veranlasse, daß ihr diesem Synk unterstellt werdet, und dann gibt's nichts mehr zu lachen, meine Freun­de!«

Ob diese Drohung wirkte oder die Dellos ihm wirklich Glauben schenkten und ihn als Razamon anerkannten, wußte der Orxeyaner nicht zu sagen, als sie ihm den Weg freiga­ben.

*

Atlan hielt zwei Bruchstücke des Parra­xynts in Händen, die aneinanderpaßten. Dies war das Ergebnis von zwei Stunden Arbeit, und er suchte noch vergeblich nach der Stel­le, an der sich die beiden zusammengehöri­gen Teile in das große, ringförmige Gebilde aus grauem Metall einfügen ließen, das zu gut zwei Dritteln fertig war.

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Er fand sie nicht, soviel er auch herum­probierte. Es war tatsächlich so, als hinderte ihn etwas daran, zu einem Erfolg zu kom­men.

Auch der Umtransport der Bruchstücke in einen anderen Raum der FESTUNG schien daran nichts geändert zu haben. Atlan hatte veranlaßt, daß das Parraxynt nach Val­scheins Tod in diesen anderen Raum ge­schafft wurde, weil er befürchtete, daß am alten Platz noch magische Hinterlassen­schaften wirken konnten, die sich nach dem Tod ihres Erzeugers gegen jeden kehren würden, der dessen Arbeit fortzusetzen ver­suchte.

Ob diese Vorsichtsmaßnahme letztendlich begründet gewesen war oder nicht – Atlan kam nicht weiter. Er wußte, daß die Stücke, die in der FESTUNG zusammengetragen waren, zueinanderpassen mußten. Doch es war, als schöbe sich ein Schleier jedesmal dann vor sein Bewußtsein, wenn er etwas gefunden zu haben glaubte. Ecken schienen aneinanderzupassen, zwei Bruchstücke die gleiche Dicke und Färbung zu haben – jeder Hoffnung folgte die Enttäuschung auf dem Fuß.

Es mußte einfach einen Anfang geben! Vielleicht brauchte Atlan diesen einen Er­folg, um die Lawine ins Rollen zu bringen.

Er fand ihn nicht, und entsprechend war seine Laune, als die Tür aufgestoßen wurde und Sator Synk zwischen den Flügeln er­schien.

Atlan hatte eine Verwünschung auf den Lippen, doch Synk ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Der Orxeyaner kam auf ihn zu und streckte ihm abwehrend die rechte Hand entgegen.

»Sag's nicht, Atlan! Ich weiß, daß du al­lein sein willst. Ich will dich auch nicht lan­ge stören.«

Atlan atmete tief durch und richtete den Blick ergeben gegen die Decke.

»Also, was ist?« fragte er. »Solltest du nicht unten in den Lagerhallen sein und dort für Ordnung sorgen?«

Synk nickte bedeutungsvoll. Seine Augen

verengten sich. »Mit zwölf verrückten Androiden, ja. An­

fangs stellten die Kerle sich auch gar nicht so dumm an. Aber dann …« Synk zuckte die Schultern und murmelte eine Verwün­schung. »Dann ist irgend etwas in sie gefah­ren, und sie warfen nur noch alles durchein­ander. Sie hörten nicht mehr auf mich und hatten nur noch Augen für unsere Quorks. Sie sind wie verrückt nach den Quorks, At­lan. Und was dort unten vorgeht, ist … ist unheimlich.«

Der Arkonide schüttelte verständnislos den Kopf.

»Na und, Sator? Dann sortieren sie eben zuerst die Quorks und später das andere.«

»Atlan, du verstehst mich nicht. Sie zer­trümmern das andere! Du müßtest sie selbst wüten sehen. Fast hätten sie mich umge­bracht!«

Atlan runzelte die Stirn. Synk war be­kannt dafür, gern aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, vor allem, wenn er seinen Weinvorräten zugesprochen hatte. Doch er hatte keine Fahne, und sein Gesicht war weiß.

»Unsere Dellos greifen uns nicht an«, sagte er.

»Atlan, sie tun noch mehr! Sieh sie dir selbst an! Komm mit!«

Der Arkonide betrachtete die beiden Frag­mente in seinen Händen, dann das Parra­xynt. Schließlich seufzte er und nickte.

»Gehen wir«, forderte er den Orxeyaner auf. Synk aber starrte auf das Parraxynt, dann auf seine Hände.

»Augenblick«, sagte er. »Darf ich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er

Atlan die beiden Teile ab und setzte sie an. Sie paßten nahtlos in einen bestimmten Win­kel des großen Ringes.

»Wie hast du das jetzt fertiggebracht?« fragte Atlan fassungslos.

Synk zuckte die Schultern. »In Orxeya haben wir ein Spiel. Wir zer­

schlagen Bierkrüge und setzen sie dann wie­der zusammen. Wer als erster fertig ist, hat gewonnen und darf ein Faß aussau …«

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»Schon gut«, wehrte Atlan ab und öffnete die Tür. Synk folgte ihm hinaus. Einer der beiden Dellos packte ihn am Arm.

»Du bist nicht Razamon«, sagte der Spe­zialandroide.

»Natürlich nicht, du Trottel. Ich bin Sator Synk.« Er sah Atlans fragende Blicke und riß sich los. »Du mußt noch viel lernen, mein Freund«, tröstete er den Dello. »Wie kann man mich mit Razamon verwechseln.«

*

Als sie die Lagerhalle betraten, bot sich ihnen ein Bild des Chaos. Der Boden war mit allen möglichen Gegenständen übersät, die Wandregale waren zur Hälfte abgerissen. Nur um den kleinen Berg von Quorks herum konnte man sich bewegen, ohne Gefahr zu laufen, über Waffen, Geschmeide, Krüge und anderes zu stolpern. Synk bekam große Augen, als er sah, wie viele Quorks die Del­los bereits zusammengetragen hatten. Und immer noch wühlten sie in den Regalen und fanden weitere.

»Was sagst du nun?« fragte er flüsternd. Atlan verzog keine Miene, doch Synk konn­te förmlich spüren, wie es in ihm arbeitete.

»Ich wußte nicht, daß so viele Quorks in der FESTUNG gehortet wurden«, sagte der Arkonide.

»Ich könnte schwören, daß es nicht so viele waren«, knurrte Synk.

Atlan mußte regelrecht waten, bis er den Quork-Berg erreicht hatte und sich einem Dello in den Weg stellen konnte.

»Hört jetzt auf damit!« sagte er scharf. »Ihr hattet klare Befehle. Laßt die Quorks jetzt, wo sie sind! Räumt auf, was ihr ange­richtet habt! Ihr …«

Der Dello schob ihn nicht einfach beisei­te, was Synk mit einem Naserümpfen kom­mentierte, sondern versuchte, an ihm vorbei­zugelangen. Als Atlan ihm wiederum den Weg verstellte, blieb der Androide einfach stehen, den Quork in beiden Händen wie den größten Schatz dieser Welt.

Hinter ihm stellten sich weitere Dellos

auf, ebenfalls mit Quorks in den Händen, bis sie eine Schlange bildeten.

»Da siehst du es«, sagte Synk. »Nicht ein­mal dir gehorchen sie noch! Wir sollten sie ablösen lassen – durch Pthorer.«

Atlan nickte. »Hol dir genug Leute aus der FESTUNG. Ich warte hier.«

Synk ließ sich das nicht zweimal sagen. Als seine Schritte draußen verhallten, trat Atlan den Dellos aus dem Weg und beob­achtete sie, wie sie, einer nach dem anderen, ihre Quorks ablegten und zu den Regalen zurückkehrten. Der anfängliche Zorn über die Zerstörungen wich einem Gefühl der Hilflosigkeit. Wie Synk spürte der Arkoni­de, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Er machte keinen Versuch mehr, die Androiden zur Besinnung zu bringen. Er be­obachtete sie nur – und hatte plötzlich eine Gänsehaut.

Die Dellos stellten sich in einer Reihe auf, nachdem sie die letzten Regale geleert hat­ten. Atlan hielt den Atem an. Doch sie dach­ten gar nicht daran, sich nun um die anderen Wertgegenstände zu kümmern. Eine solche Systematik hätte – bei allem Ungehorsam und aller Sinnlosigkeit der angerichteten Schäden – wenigstens eine teilweise befrie­digende Erklärung ihres Verhaltens gege­ben.

Sie waren nur an den Quorks interessiert, an sonst nichts.

Synk erschien mit fünf Pthorern, bei de­nen es sich ausnahmslos um Orxeyaner han­delte. Grimmig betrachtete er die Dellos. Dann blickte er Atlan fragend an.

»Sie sollen mit dem Aufräumen begin­nen«, sagte der Arkonide mit versteinerter Miene.

Synk gab den Orxeyanern einen entspre­chenden Befehl und schickte die Dellos aus der Halle. Zu seiner eigenen Überraschung gehorchten sie ihm aufs Wort.

Atlan spürte nun noch deutlicher, daß hier etwas vorging oder sich anbahnte, das sich seiner Kontrolle entzog. Doch er hatte keine Zeit, sich länger hier unten aufzuhalten. Das Parraxynt wartete auf ihn.

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»Unterrichte mich sofort, falls wieder so etwas geschieht«, schärfte er Synk ein. »Du weißt, wo ich zu finden bin.«

»Was soll noch passieren?« Synk tat, als sei allein die Erwägung einer solchen Mög­lichkeit eine Beleidigung für ihn und seine neuen Helfer. »Keine Angst, Atlan. Aber sa­ge für alle Fälle den Dellos vor deiner Tür, daß sie in Zukunft auch Sator Synk vorzu­lassen haben.«

Atlan verschwand, ohne zu antworten, doch der Blick, den er Synk noch zuwarf, ließ diesen noch etwas kleiner werden.

»Also, Freunde, an die Arbeit!« rief er den Orxeyanern zu. »Und macht mir keine Schande!«

Die fünf lachten und begannen, die über­all verstreuten Gegenstände vom Boden auf­zulesen und sie systematisch zu ordnen. Synk sah ihnen eine Weile zu. Dann ging er zu den Quorks hinüber und betrachtete den kleinen Berg kopfschüttelnd.

Er konnte sich tatsächlich nicht vorstellen, daß so viele Quorks in dieser Halle gewesen waren. Die Türen der beiden anderen Lager-hallen, davon hatte er sich überzeugt, waren noch verschlossen.

Er nahm einen Quork in die Hand und be­trachtete nachdenklich die feinen Schnitze­reien darauf.

Daß die Orxeyaner ihre Arbeit einstellten, merkte er erst, als einer von ihnen vor ihm stand und ihm den Quork aus der Hand riß, um ihn dann feierlich zu den anderen zu­rückzulegen.

»Bist du noch bei Verstand, Morj?« ent­fuhr es dem Helden von Pthor. Er fuhr her­um und sah, daß die anderen vier die Halle verließen und sich an der verriegelten Tür einer der beiden anderen zu schaffen mach­ten. Als Synk noch erstarrt dastand, riß ihm Morj den Schlüssel dazu vom Gürtel und warf ihn den anderen zu.

»Nein!« kreischte Synk. »Kommt zurück, ich befehle es euch!«

Morj trat an ihm vorbei. Wie ein Schlaf­wandler folgte er den anderen vier, die in diesem Moment die Tür aufrissen. Synk

schrie auf und wollte sich auf sie stürzen. Er stolperte über eine am Boden liegende Rü­stung und schlug der Länge nach hin.

Als er zu sich kam, hörte er das Geschep­per von achtlos fortgeworfenen metallenen Gegenständen. Ein Orxeyaner trat an ihm vorbei, ohne sich im geringsten um ihn zu kümmern. In seiner Hand hielt er einen Quork, den er auf die anderen legte.

Synk zweifelte an seinem Verstand. Er wußte nicht, wie lange er ohne Be­

wußtsein gewesen war. Aber die vor ihm an­gehäuften Quorks hatten sich mindestens verdoppelt!

Es waren jetzt so viele, daß Synk unwill­kürlich an eine Legende erinnert wurde …

4.

Onte Derg hockte zusammengekauert in seiner Höhle und grübelte vor sich hin. Er zitterte nicht mehr. Er wußte, daß er nicht geträumt hatte und suchte nach einer Erklä­rung für Quorks, die sich wie Pilze aus dem Boden schoben.

Er hätte wegrennen können, weit weg, wo er vor dem Spuk sicher war. Es gab genü­gend Verstecke zwischen den Felswänden und im Wald. Aber er konnte es nicht. Ir­gend etwas hielt ihn hier, und er redete sich ein, daß es allein sein klarer Verstand war, der ihn nicht an Spuk glauben ließ.

Es mußte eine vernünftige Erklärung für die vielen Quorks im Wald geben. Und Derg glaubte nun auch zu wissen, welche.

Die Magier. Er hatte nur von anderen Pthorern, denen er nach dem Untergang der MAHSDRA begegnet war, von den Umtrie­ben der Magier gehört, als sie über Pthor herrschten. Selbst war er nicht davon betrof­fen gewesen. Es hieß zwar, daß die Bewoh­ner von Oth sich zurückgezogen hätten, aber wer konnte schon sagen, ob sich nicht der eine oder andere noch hier am Taamberg be­fand.

Nur so konnte es sein. Ein Magier steckte irgendwo in der Nähe und machte sich einen Spaß daran, ihn zu narren. Zweifellos waren

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die Quorks lange Zeit im Wald vergraben gewesen. Jetzt erschien es Derg sogar wie­der wahrscheinlich, daß er den Schatz der al­ten Piraten gefunden hatte. Vermutlich be­fanden sich im Boden noch ganz andere Kostbarkeiten. Aus irgendeinem Grund ließ der unbekannte Magier nur die Quorks aus dem Moos sprießen.

»Vielleicht, weil er das andere vom Schatz für sich haben will«, überlegte der ehemalige Pirat laut. Bei dem Gedanken packte ihn der Zorn. Wenn er den Schatz ge­funden hatte, so gehörte er ihm allein. Was sollte ein Magier damit anfangen wollen?

Derg stand auf, betrachtete die angehäuf­ten Quorks und nickte grimmig.

Bis zum Einsetzen der Dunkelheit hatte er Zeit genug, noch einmal hinabzusteigen und sich umzusehen. Der Korb lag noch da, wo er mit dem Bären gekämpft hatte. Derg zö­gerte kurz, dann hob er ihn auf und nahm ihn mit. Wieder spürte er den Drang, so vie­le Quorks wie möglich zu sammeln. Als er die Stelle erreichte, an der er den Knochen hatte aus dem Boden herauswachsen sehen, lagen fünfzehn, zwanzig Quorks dort. Derg sah sich vorsichtig um. Vielleicht steckte der Magier hinter einem Baum und beobachtete ihn heimlich. Doch nichts geschah. Keine weiteren Quorks wuchsen aus dem Moos hervor. Derg bückte sich und hob die Dalie­genden auf. Dann zog er das Messer und machte sich daran, an verschiedenen Stellen zu graben.

Nach einer halben Stunde hatte er Erfolg. In einem Gebüsch fand er zwar keine aus dem Boden gewachsenen Schwerter, Juwe­len oder Goldschätze, dafür aber mit Mörtel zusammengefügte behauene Steine. Derg konnte den verwitterten Mörtel mit der Mes­serspitze aus den Fugen kratzen. Als er lan­ge genug gegraben hatte, war ihm klar, daß er tatsächlich einen Teil einer uralten, längst verfallenen Mauer freigelegt hatte.

Onte Derg blickte durch die Wipfel zum Wölbmantel auf. Noch war es hell. Er hatte Zeit und setzte sich nachdenklich vor die Steine. Die Beine baumelten locker über den

Rand der kleinen ausgeschachteten Grube. Der junge Pirat sah über die Schulter.

Keine Quorks wuchsen mehr aus dem Moos. Sie lagen da und warteten darauf, daß er sie an sich nahm. Kein Schatten huschte durchs Halbdunkel unter den Wipfeln. Kein Ast knackte, nichts war zu hören außer dem lei­sen Rauschen des Abendwinds in den Bäu­men.

Derg war sich plötzlich nicht mehr so si­cher, daß ihm ein Magier Streiche spielte. Er starrte die Mauersteine eine Zeitlang an, als könnten sie seine Fragen beantworten. Ei­nem Impuls folgend, ließ er sich in die klei­ne Grube gleiten und wühlte mit Händen und Messer weiter im Boden. Und nach we­nigen Minuten hatte er Erfolg.

Onte Derg arbeitete noch schneller, als er sah, was er dort aus dem Boden schälte. Kurz darauf förderte er ein zerbrochenes, kostbar gearbeitetes Schwert und einen sil­bernen Becher zutage. Er wischte den Lehm davon ab und hörte sich lachen.

Solche Becher kannte er gut genug. Er hatte oft selbst aus ihnen getrunken. Als er das Gefäß mit seinem Ärmel blankwischte, fand er das Zeichen der Piraten vom Regen­fluß in das Silber geritzt.

Derg stieg aus der Grube und setzte sich auf die Steine.

Nun konnte es keinen Zweifel mehr ge­ben. Er hatte tatsächlich den sagenhaften Schatz der alten Piraten gefunden – zumin­dest einen Teil davon. Die Mauer deutete darauf hin, daß vor langer Zeit hier ein Schlupfwinkel errichtet worden war, viel­leicht eine kleine Festung der Piraten. Wahr­scheinlich waren dann irgendwann die Ber­serker, die keine Fremden am Taamberg duldeten, über sie hergefallen und hatten sie dem Boden gleich gemacht. Onte Derg wür­de es nie erfahren, aber es war ihm ziemlich gleichgültig, was wirklich geschehen war. Eine Siedlung in diesem Tal – das erklärte, daß er die Quorks überall fand, weit über den Boden verstreut.

Die alten Piraten mußten um die Gefähr­lichkeit der Berserker gewußt und ihre

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Reichtümer an vielen verschiedenen Stellen vergraben haben.

Onte Derg lachte wieder und wog die zer­brochene Klinge in seiner Hand. Eine Stim­mung hatte ihn erfaßt, die ihn alle Vorsicht vergessen ließ. Er hatte den Schatz gefun­den! Alles, was er sich über einen Magier zusammengereimt hatte, war barer Unsinn. Vieles geschah in diesen Tagen, für das er keine Erklärung fand. Wenn die Quorks vor seinen Füßen aus dem Boden wuchsen, konnte es ihm doch nur recht sein. So er­sparten sie ihm viel Mühe und Zeit.

Zeit … Onte Derg stand auf, holte seinen Korb

und sammelte alle Quorks ein, die er noch finden konnte. Wieder wurde der Korb fast voll. Der junge Pthorer machte sich auf den Weg zur Höhle, ohne sich noch einmal um­zublicken. Zuerst mußte er alle Quorks zu­sammentragen und zur FESTUNG bringen. Dann konnte er zurückkommen und sich um die Juwelen, Ringe, Ketten und alles andere kümmern, was noch auf ihn warten mochte.

Die Nacht brach herein. Derg hockte auf seinem Lager und betrachtete fast ehrfürch­tig die aufgehäuften Knochen. Nicht einmal stellte er sich die Frage, warum er sie ausge­rechnet zur FESTUNG bringen mußte, statt mit ihnen nach Orxeya zu ziehen. Es war et­was Selbstverständliches für ihn. Es mußte sein. Er wollte es ja.

Aber dazu mußte er einen weiten und be­schwerlichen Weg zurücklegen. Einige ge­fährliche Kletterpartien lagen vor ihm, die er selbst ohne Last nur mit Mühe bewältigen konnte.

Derg begann damit, die unbearbeiteten Knochen auszusortieren. Sie konnten keinen großen Wert besitzen, vielleicht überhaupt keinen. Wenn er sie zurückließ, hatte er leichter zu tragen.

Er schlief darüber ein, und wieder hatte er den gleichen Traum wie in der Nacht vorher. Er stand vor der FESTUNG, neben einem in den Himmel wachsenden Berg von Quorks, der sich in den Körper einer riesigen Katze verwandelte.

Am anderen Morgen nahm er den Korb und machte sich erneut an den Abstieg. Er erwartete, wieder einen mit Quorks übersä­ten Waldboden vorzufinden.

Er sah keinen einzigen mehr. Erst nach­dem er den Wald stundenlang durchstreift hatte, wurde ihm klar, daß der Vorrat an Quorks endgültig erschöpft war. Alle, die hier vergraben gewesen waren, lagen nun in seiner Höhle.

Derg war eher erleichtert als enttäuscht. Die Quorks in der Höhle waren ohnehin schon fast mehr, als er tragen konnte. Wenn er nun noch die Unbeschnitzten zurückließ, brauchte er mit den anderen den Weg zur FESTUNG nur einmal zu machen.

Eine seltsame Hochstimmung erfaßte ihn auf dem Weg den Abhang hinauf. Wieder war es ihm, als brauchte er nichts und nie­manden zu fürchten. Selbst die Fleischwun­den in seinem Rücken hatten sich nicht ent­zündet.

Derg riß sich zusammen. Er war dabei, leichtsinnig zu werden, und er hatte viele Männer sterben gesehen, die ihre Vorsicht vergessen hatten. Er blieb wachsam, bis er sicher in der Höhle war.

Derg lud die Quorks in den Korb, doch dieser faßte nicht einmal zwei Drittel von ih­nen.

Der junge Pirat murmelte eine Verwün­schung und schüttelte den Kopf. Er konnte beim besten Willen nicht noch einen Korb flechten und tragen. Was blieb ihm also an­deres übrig, als den Rest hierzulassen?

Aber er mußte dafür Sorge tragen, daß kein zufällig hier Vorbeiziehender sie ent­deckte und an sich nahm. Onte Derg ging zum Ende der Höhle und trug einen Stein­haufen ab, hinter dem sich eine Felsspalte befand, die er vorsorglich getarnt hatte, um später eventuell seine Schätze darin zu ver­stecken.

Dann bückte er sich über die noch am Bo­den liegenden Quorks, bei denen es sich in der Mehrzahl um unbeschnitzte Exemplare handelte, und schickte sich an, sie in die Spalte zu werfen.

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Er konnte es nicht. Seine Hände begannen heftig zu zittern,

und unerträgliche Schmerzen im Kopf lie­ßen ihn gellend aufschreien. Derg ließ die Quorks fallen und krümmte sich. Er bekam kaum Luft, seine Kehle schien sich zuzuzie­hen. Derg hustete und kroch auf allen vieren von der Spalte fort.

Es dauerte Minuten, bis die Schmerzen nachließen und er wieder normal atmen konnte. Seine Hände zitterten immer noch leicht.

»Es sind … Knochen«, flüsterte er. »Nur Knochen. Sie können keine Macht über mich haben!«

Er machte einen zweiten Versuch, raffte weitere Quorks auf und versuchte, sie in den Spalt zu werfen.

Seine Finger schienen an ihnen zu kleben. Er konnte die Hände nicht öffnen. Der Schmerz war wieder in ihm und zwang ihn in die Knie. Schwer atmend und am ganzen Körper zitternd, legte Derg die Quorks zu den anderen im Korb.

Sofort ging es ihm besser. Doch jetzt wußte der Pirat, daß er tatsächlich nicht einen einzigen Quork hier zurücklassen konnte. Was immer hinter den aus dem Bo­den wachsenden Quorks steckte und ihn dar­an hinderte, einen Teil von ihnen hier zu verstecken, es war stärker als er. Deutlicher denn je spürte er, daß er in etwas hineingera­ten war, das ihn nicht mehr losließ. Er brauchte gar nicht erst zu versuchen, der Höhle einfach den Rücken zu kehren und sich tiefer in die Wälder und Schluchten zu schlagen – er würde keine zehn Schritte weit kommen.

Er mußte die Quorks zur FESTUNG brin­gen – alle.

Dergs heißblütiges Temperament, sein unbedingter Wille zur Freiheit wurde für einen Moment stärker als diese bittere Er­kenntnis. Er sprang auf und rannte aus der Höhle. Als er die Hälfte des Weges hinab ins Tal hinter sich gebracht hatte, glaubte er schon, sich etwas Falsches eingeredet zu ha­ben. Dann versagten ihm die Beine den

Dienst. Er stürzte und schlug mit dem Hin­terkopf gegen einen Stein.

Schwärze breitete sich um ihn aus.

*

Als Onte Derg zu sich kam, fand er sich unter den Wipfeln der Baumriesen wieder. Er wußte weder, wie er hierhergekommen war, noch, wessen Hände den Beutel ge­flochten hatten, der vor ihm lag.

Aber er hatte sein Messer in der Hand, und der Saft abgeschnittener Zweige klebte noch daran.

Er war Gefangener einer Macht oder von Vorgängen, die er nicht begreifen konnte. Aber nun wußte er endgültig, daß er erst dann wieder frei sein würde, wenn er die Quorks bei der FESTUNG abgeliefert hatte.

Mutlos nahm er den Beutel und machte sich an den Aufstieg. In der Höhle füllte er den Beutel mit den restlichen Quorks, und diesmal war es so, als würden seine Hände nicht von ihm selbst gelenkt.

Als kein einziger Quork mehr auf dem Boden lag, hing der Pirat sich fluchend den Korb über die Schultern und packte den Beutel. Mit finsterer Miene machte er sich auf den weiten, gefährlichen Weg.

Er mußte über den Goscholth, über Fels-leisten klettern, die einem Mann schon ohne zusätzlichen Ballast zum Verhängnis werden konnten, über Geröllhalden und durch tiefe Schluchten, bis er freies Gelände erreichte. Derg bezweifelte, daß die Quorks ihm einen Umweg »gestatten« würden. Er legte es nicht auf eine weitere Demonstration ihrer unheimlichen Macht an. Er wollte zur FE­STUNG, so schnell wie möglich, um frei zu sein.

Derg brachte das Tal hinter sich und sah Felswände in den Himmel ragen, die ihn schier verzweifeln ließen.

Sie mit dem schweren Korb auf dem Rücken zu erklimmen, war glatter Selbst­mord. Daß er diesen Weg zum Teil kannte, war nicht gerade dazu angetan, ihn seine Si­tuation in einem besseren Licht sehen zu las­

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sen. Seine Suche, bevor er die Höhle fand, hat­

te ihn ein Stück den Goscholth hinaufge­führt. Mit Beulen, Schrammen und Verstau­chungen war er von dort zurückgekehrt.

Denn dort oben, irgendwo in den Schluchten und Kesseln versteckt, lebten die Berserker, deren Bekanntschaft er gemacht hatte. Wenn der Berg ihn nicht umbrachte, so würden sie es tun.

Oder die Quorks. Onte Derg biß die Zähne aufeinander und

marschierte einen Steilhang hinauf.

5.

Der Anblick, der sich Leenia vom Zugor aus bot, war nicht mehr neu. Dennoch ließ er sie jedesmal erschauern, wenn sie über den Rand der Flugschale in die Tiefe blickte.

Die Kolonnen der Invasoren waren nicht mehr zu überblicken. Sie wälzten sich vom Horizont her landeinwärts. Die Wesen, die zu Tausenden von Aghmonth kamen, ver­einten sich etwa fünfzig Kilometer westlich der FESTUNG mit jenen, die inzwischen über die neue »Landbrücke« bei der Mün­dung des Xamyhr kamen. Auch bei ihnen handelte es sich um Geschöpfe, die in ihren Bewegungen an Technos erinnerten. Auch sie waren humanoid, auch sie Diener des Dunklen Oheims, die auf ihren Dimensions­fahrstühlen bis vor kurzem die gleiche Funk­tion erfüllt hatten wie die Technos auf Pthor.

Von Aghmonth kamen keine weiteren Dreiäugigen mehr. Die Terkeen hatten Kalmlech inzwischen erreicht. Ihnen folgten andere Wesen, von immer weiter entfernten Dimensionsfahrstühlen.

Leenia zwang sich dazu, geradeaus zu blicken. Sie stand aufrecht hinter der Steuer­säule des Zugors, eines der wenigen, über die die FESTUNG noch verfügte. Offiziell befand sich die verstoßene Körperlose auf einem Inspektionsflug.

Ihr wahres Ziel lag ein Stück östlich des Taamberg-Massivs.

Leenia beschleunigte den Zugor. Keines

der unter ihr dahinziehenden Wesen blickte zu ihr auf, als sie über die gewaltige Kolon­ne hinwegflog und den Zugor nach Norden steuerte. Leenia hatte Zweifel daran, daß sie überhaupt wußten, was sie taten.

Es gab nichts, das ihnen ihr furchtbares Schicksal ersparen konnte – nicht, solange Atlan keinen Erfolg beim Zusammensetzen des Parraxynts hatte. Und auch die damit verbundene Hoffnung war nur vage. Leenia hatte für einen Augenblick nur den Wunsch, den Zugor zu landen, so viele der Unglückli­chen wie möglich hineinzuverfrachten und zurück dorthin zu bringen, von wo sie ka­men.

Es war sinnlos. Leenia preßte die Lippen aufeinander.

Das Land zog unter ihr vorbei. Sie überflog einige pthorische Siedlungen und sah, daß deren Bewohner offenbar bereit waren, At­lans Appellen zu folgen. Große Tonnen mit Wasser waren bereitgestellt. Daneben lagen Nahrungsmittel für die Scharen, die dieses Dorf bald erreichen würden. Von Pthorern war nichts mehr zu sehen.

Die Kolonnen verschwanden in der Ferne, als Leenia mitten in hohem Gras eine Hütte sah, über deren spitz zulaufendem Dach sich die Kronen einiger Bäume schlossen. Sie wurde unsicher. Sie wußte nicht, was sie dort unten erwartete. Möglicherweise han­delte es sich um eine Falle. Aber wer sollte ein Interesse daran haben, ihr zu schaden?

Leenia landete das Fahrzeug hinter den Bäumen und stieg aus.

Ein alter Mann erwartete sie vor dem tür­losen Eingang der Hütte. Leenia schritt gera­dewegs auf ihn zu und blieb erst knapp vor ihm stehen. In den kleinen Augen des von Falten zerfurchten Gesichts lag ein warmer Schimmer. Die weißen Haare des Alten reichten ihm bis weit über die Schultern.

»Ich wußte, daß du kommen würdest, Leenia«, sagte der Greis.

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann hast du mich … gerufen?« Der Alte lächelte und nahm ihre Hand,

um sie in die Hütte zu führen. Erst jetzt sah

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die ehemalige Körperlose, daß er blind war. »Gerufen … ja, wenn du es so nennen

möchtest. Ich versuchte, dich auf geistigem Wege zu erreichen. Nein, stelle jetzt keine Fragen. Ich bin Sadak, den man den Seher nannte, bevor sie mich …« Er winkte ab und forderte Leenia durch eine Geste auf, sich zu setzen. Leenia blickte sich nur kurz in der Hütte um. Auf dem Boden standen brennen­de Kerzen, obwohl es Tag war. In Kisten und Körben befanden sich seltsame Wurzeln und Kräuter, die einen starken Geruch ver­breiteten.

»Ich werde also nicht fragen, wie du es fertigbrachtest, mich hierherzulocken«, sag­te sie. »Irgendwie wußte ich, wohin ich zu fliegen hatte – und daß ich kommen mußte. Warum, Sadak?«

Der Alte wartete eine Weile, bevor er ant­wortete. Fast erschien es Leenia, als unterzö­ge er sie in diesen Augenblicken einer Art Prüfung. Dann sagte er:

»Du lebtest nicht immer in dieser Ge­stalt.«

»Du weißt auch das?« entfuhr es Leenia. »Ich weiß vieles, das anderen verborgen

bleibt. Leider kostete mich dieses Wissen um viele Dinge mein Augenlicht. Die Her­ren der FESTUNG sahen es nicht gerne, wenn andere ihre Geheimnisse kannten.« Trauer schwang in diesen Worten mit.

»Ich verstehe«, flüsterte Leenia. »Es … tut mir leid für dich.«

»Dir braucht nichts leid zu tun, meine Tochter. Du bist hier, nur das ist jetzt wich­tig. Es ist einige Tage her, daß ich die An­wesenheit von dir verwandten Wesenheiten wahrnahm. Als ich diese Wahrnehmung hat­te, verblaßten ihre Ausstrahlungen auch schon wieder. So mußte ich zwei Tage war­ten, bis sie wieder erschienen.«

Die Eröffnung traf Leenia wie ein Schlag. Aus weit aufgerissenen Augen und unfähig, auch nur ein Wort zu sagen, starrte sie den Blinden an.

»Diesmal konnte ich sie sehen«, fuhr Sa­dak fort. »Sie erschienen am gleichen Ort, und sie waren auf der Suche nach etwas.

Gleichzeitig hatten sie große Angst. Sie suchten dich, Leenia.«

»Aber das ist …!« Sie sprang auf und be­gann, unruhig in der Hütte auf und ab zu ge­hen. Ihr Herz schlug schnell. Ihre Hände zit­terten leicht. »Hör zu, alter Mann. Ich weiß nicht, wessen du fähig bist. Aber wenn du sagst, daß Wesen auf Pthor erschienen, die mit mir … verwandt seien, dann mußt du dich einfach irren!«

»Wesen ohne Körper«, murmelte der Se­her.

»Es ist unmöglich! Ich hätte sie ebenfalls wahrnehmen müssen! Sie haben mich ver­stoßen! Ich existiere für sie überhaupt nicht mehr! Außerdem dürften sie sich gar nicht hierherwagen, in die direkte Nähe des Dunklen Oheims!«

»Ich sagte dir doch, sie hatten unbe­schreibliche Angst«, antwortete Sadak. »Dennoch erschienen sie, um eine Botschaft zu überbringen.« Der Alte zog sie zu sich herab. »Du mußt mir vertrauen, Leenia. Sie werden noch einmal erscheinen, ein einziges Mal noch. Wenn die Nähe des Dunklen Oheims ihnen so gefährlich ist, wie du sagst, dann muß das, was sie dir zu verkünden ha­ben, sehr wichtig sein.«

»Ich kann es nicht glauben«, flüsterte Leenia.

»Und doch ist es so. Du weißt, wo sie auf dich warten werden?«

Leenia nickte. »Ich glaube schon.« »Dann verliere keine Zeit. Mach dich auf

den Weg, Leenia.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Selbst wenn du die Wahrheit sagst, Se­

her – warum hast du mich gerufen? Du weißt nichts von den Zusammenhängen!«

Ein mildes Lächeln erschien auf Sadaks Gesicht.

»Allerdings nicht, Leenia. Doch ich nahm die Ausstrahlungen dieser Wesenheiten auf und sah dein Bild vor mir. Ich spürte ihr Verlangen, dich zu finden und dir etwas mit­zuteilen. Und ich spürte, daß es sich bei die­sen Wesenheiten um positives Leben han­delt. Ich weiß mehr über die Pthor drohende

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Gefahr, als du glauben magst, meine Toch­ter. Alles Positive muß uns willkommen sein. Deshalb rief ich dich.«

Leenia nickte zögernd. »Geh jetzt. Das einzige, um das ich dich

bitte, ist, daß du zu niemandem von unserer Begegnung sprichst. Nur wenige wissen, daß ich lebe, und dabei soll es bleiben.«

»Die Herren der FESTUNG sind tot, Sa­dak. Es gibt niemanden mehr, den du fürch­ten müßtest.« Plötzlich kam ihr ein Gedan­ke. »Wenn du Dinge sehen kannst, die ande­ren verborgen sind, so kannst du vielleicht auch sagen, was mit Pthor geschehen wird. Vielleicht weißt du, wie das Parraxynt …«

»Ich muß dich enttäuschen«, wehrte der Seher ab. »Auch meine Fähigkeiten sind be­grenzt. Wenn ich dir und deinen Freunden helfen könnte, und damit allen Pthorern, so würde ich es tun. Geh jetzt, bevor du zu spät zum Treffpunkt kommst.«

Innerlich aufgewühlt, verließ die ehemali­ge Körperlose die Hütte. Vor dem Eingang blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu Sadak um, der mit gekreuzten Beinen auf einer einfachen Matte saß.

»Ich danke dir, Seher«, sagte sie. Sadak nickte nur. Leenia hatte es plötzlich sehr eilig, zum

Zugor zu kommen. Wie in Trance bediente sie die Kontrollen des Fahrzeugs und brach­te es in die Höhe, um Kurs auf den Blutd­schungel zu nehmen.

War es möglich? War es überhaupt denk­bar, daß die Körperlosen ihre ablehnende Haltung ihr gegenüber aufgegeben hatten? Vielleicht sah der Alte Gespenster. Aber er hatte sie auf ihr unerklärliche Weise zu sich gerufen, und er wußte mehr, als ein Unge­weihter wissen konnte.

Leenias Herz schlug immer noch heftig und trieb ihr hämmernd das Blut in die Schläfen. Sie wußte, daß es unter den Kör­perlosen einige gab, die sich auf ihre Seite gestellt hatten, sich aber dem Beschluß der Mehrheit fügen mußten, sie für alle Zeiten zu verstoßen. Galt ihr Erscheinen dann gar nicht ihr, sondern etwas anderem? War ihre

Nachricht für Atlan bestimmt? Wehmut erfaßte Leenia. Es hatte Stunden

gegeben, in denen sie sich danach sehnte, wenigstens für kurze Zeit noch einmal die Höheren Welten betreten zu dürfen, Teil dieses phantastischen Ganzen zu sein, eines von unbeschreiblichen Wundern und Leben in seiner reinsten Form erfüllten Kosmos. In diesen Stunden war sie nahe daran gewesen, den Kontakt mit den Körperlosen zu suchen und ihre Entscheidung für das Leben als Körperliche zu bereuen.

Aber sie war ja nicht einmal mehr dazu in der Lage, die Anwesenheit ihrer ehemaligen Artverwandten wahrzunehmen! So weit schon hatte sie sich von ihnen entfernt!

Heftig schüttelte sie den Kopf. Der Fahrt­wind ließ ihr langes, kupferfarbenes Haar wild flattern. Nein, sie war nicht einmal eine von ihnen gewesen. Sie hätte nie eine wirkli­che Zukunft in den Höheren Welten gehabt.

Leenia verdrängte die quälenden Erinne­rungen und Gedanken. Der Zugor jagte mit Höchstgeschwindigkeit über das Land am Ufer des Regenflusses. Einmal sah sie Ko­lonnen von Invasoren, die von der ehemali­gen Eisküste kamen und das gleiche Ziel hatten wie alle anderen.

Endlich sah sie die Wälder zwischen der Senke der verlorenen Seelen und dem Blutd­schungel vor sich. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand sie den einzigen Ort auf Pthor, an dem die Körperlosen erschienen sein konnten.

Sie landete den Zugor in einer Schlucht und ging zu Fuß weiter, bis sie vor der Höh­le stand, in der sie so lange im Dämmer­schlaf gelegen hatte, bevor der Ruf der Hö­heren Welten an sie erging.

Jetzt kam sie sich klein und gering vor. Die Höhle war verlassen. Sie fand keinen Anzug, der ihr ihre verlorengegangenen Kräfte zurückgeben konnte. In einem Anflug von Trotz wandte sie sich um und setzte sich auf einen Felsen. Sie wartete.

Deutlicher denn je spürte sie hier, daß sie nichts mehr mit den Höheren Welten ver­band. Sie war eine Körperliche geworden –

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eine Pthorerin. Was wollten die Körperlosen von ihr? Leenia wußte nur eines. Selbst falls sie ihr

anböten, mit ihnen zurückzukehren, würde sie ablehnen. Die Wehmut war längst einem unterschwelligen Zorn gewichen. Atlan und einige zu allem entschlossene Pthorer und andere Verbündete hatten ihr Leben gewagt, um die Schwarze Galaxis von der Herrschaft des Dunklen Oheims zu befreien. Dafür drohte ihnen jetzt ein grausameres Schick­sal, als sie es jemals hätten erahnen können. Aber die Sterne der Schwarzen Galaxis wa­ren nicht mehr dunkel. Die Aura des Bösen war verschwunden, und den Körperlosen stand der Weg zurück in dieses Universum frei. Dies war von Anfang an ihr Ziel, ihr Sehnen gewesen.

Warum hatten sie nicht mehr eingegrif­fen? Warum hatten sie die im Stich gelassen, die für sie gekämpft hatten?

»Darauf werdet ihr mir eine Antwort zu geben haben«, sagte Leenia finster.

Sie wartete.

6.

Er mußte über den Kamm! Er mußte! Onte Derg war völlig erschöpft auf einer

Felsleiste zusammengesunken, die breit ge­nug für ihn und seine Quorks waren. Was er am Leib trug, war schweißverklebt. An Hän­den und Beinen hatte er blutige Schrammen.

Eine Viertelstunde nur – und schon ka­men die Schmerzen zurück. So war es jedes-mal, wenn er zauderte, Umwege zu machen versuchte oder einfach die Last auf seinem Rücken nicht mehr tragen konnte. Die Quorks trieben ihn an, unbarmherzig und grausam.

Der ehemalige Flußpirat schulterte den Korb und ergriff mit der linken Hand den schweren Beutel. Mit verzerrtem Gesicht blickte er in die Höhe. Er wollte nicht über den Gipfel selbst. Dort oben lag Schnee. Mit dem Gewicht auf seinem Rücken würde er im Eis keinen Halt finden. So blieb ihm der Kamm zur Rechten des Gipfels.

Derg atmete tief durch und blickte ein letztes Mal in die Tiefe. Inzwischen mochte er zwei-, dreihundert Meter an Höhe gewon­nen haben. Wie er das geschafft hatte, blieb ihm ein Rätsel, aber es gab ihm wenigstens ein bißchen Hoffnung für den weiteren Weg – wenn da nicht die Berserker wären.

Derg hielt Augen und Ohren offen, als er in einen Kamin stieg. Der Korb behinderte ihn. Er mußte ihn an einer vorsorglich mit­genommenen langen Liane nachziehen und dabei höllisch aufpassen, daß kein Quork verlorenging.

Immer höher gelangte er. Jeden Felsvor­sprung nutzte er, um den Korb nachzuziehen und zu Atem zu kommen. Er ließ den Kamin hinter sich und kletterte an einer schroffen Wand hoch. Bald waren seine Finger taub von ununterbrochenen Tasten nach noch so kleinen Vorsprüngen. Moos, das auf Kanten wuchs, gab unter seinen Stiefeln nach und riß polternd Steine mit sich in den Abgrund.

Derg blieb wie eine Klette an der Steil­wand kleben. Das mußten die Berserker ge­hört haben, irgendwo in ihren Höhlen. Die Stelle, an der es zum Kampf gekommen war, lag weit hinter ihm. Vielleicht hatte er tatsächlich Glück, und es hatte sich nur um eine Handvoll umherstreifender Mitglieder einer Familie gehandelt, die zufällig hier vorbeikamen. Vielleicht beschützten ihn die Quorks tatsächlich.

Onte Derg tat gut daran, sich nicht darauf zu verlassen.

Dunkle Augen verfolgten ihn, als er wei­terkletterte, sich Zentimeter um Zentimeter in die Höhe schiebend, kurz Atem holend, dann wieder alle Muskeln seines geschunde­nen Körpers anspannend. Schwere Äxte hin­gen in den Gürteln der Berserker.

»Das ist der, den wir in die Spalte war­fen«, knurrte einer von ihnen. »Er lebt.«

Der Anführer, ein finsterer Geselle na­mens Halyron, nickte grinsend. Mehrere Zähne fehlten in seinem Gebiß. Dafür hatte er um so mehr Narben im Gesicht. Die schmutzigen langen schwarzen Haare hin­gen ihm zerzaust über die Augen und die

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Schultern. »Was hat er in seinem Korb, Halyron?

Und in dem Beutel?« Der Anführer grunzte. »Weiß ich nicht, aber seht euch an, wie

vorsichtig er mit ihnen umgeht. Es war viel­leicht gut, daß wir ihn nicht umbrachten.«

»Du meinst … Schätze?« »Was auch immer!« Halyrons Gesicht

wurde zur Grimasse. »Wir holen es uns, so­bald er oben und es dunkel ist.«

*

Als der Wölbmantel allmählich verblaßte und nur wie von Ferne spärliches Licht auf den Berg fiel, hatte Onte Derg noch nicht einmal eine Unterkunft für die Nacht gefun­den. Er fragte sich sogar, ob ihm die Quorks ein Nachtlager erlauben würden.

Aber im Dunkeln weiterzuklettern, war der sichere Tod.

Derg schätzte, daß er noch zwei, drei Stunden bis zum Kamm brauchte. Er hatte eine weitere Felsleiste erreicht, zog den Korb an der Liane hoch und arbeitete sich vorsichtig in die Richtung vor, in der die Leiste sich allmählich verbreiterte. Dann stand er auf einer Plattform, die mehrere Meter aus der Wand ins Nichts hinausragte. Derg beugte sich vorsichtig über ihren Rand und sah einen klaffenden Abgrund unter sich. Irgendwo rauschte ein Wildbach. Bäu­me oder Überhänge, die ihm Schutz vor Greifvögeln bieten konnten, gab es hier nicht.

Der junge Pthorer schob den Korb zur Wand und setzte sich neben ihn, den Beutel mit Quorks fest in beiden Händen. Er spürte seine Glieder kaum noch. Es war bitterkalt, und ein leichter Wind ließ ihn frösteln.

Onte Derg lauschte in sich hinein. Wann erfolgte der nächste Angriff der Quorks? Er blieb sitzen, und nichts geschah. Weder wur­de er von rasendem Schmerz erfaßt, noch machten sich seine Beine und Arme selb­ständig.

Konnte es denn sein, fragte er sich, daß

diese Knochen wußten, daß ein Weiterklet­tern bei Nacht absolut unmöglich war? Konnten leblose Gegenstände Angst davor haben, mit ihm in die Tiefe gerissen zu wer­den?

Derg erschauerte. Ihm wurde noch kälter, doch diese Kälte kam von innen heraus.

»Können sie … denken?« flüsterte er. Seine eigenen Worte waren die einzigen Laute weit und breit.

»Geschieht das, was mit mir passiert, jetzt überall auf Pthor?«

Oft hatte er sich diese Frage in den letzten Stunden gestellt. Waren gleichzeitig mit ihm auch Orxeyaner, Dalazaaren, Aghmonther und alle anderen Pthorer, die Quorks besa­ßen, zur FESTUNG unterwegs, um ihre Schätze dort abzuliefern?

Würde dann ein Ruck durch die Welt ge­hen, und die legendäre Yuugh-Katze leibhaf­tig wiederauferstehen – ein Monstrum, wie Pthor noch keines gesehen hatte?

»Nein!« schrie Derg, von Grauen geschüt­telt. »Das ist Aberglaube! Das ist …!«

Er sprang auf, machte drei Schritte bis zum Rand des Vorsprungs und schleuderte den Beutel mit den Quorks von sich. Er sah ihm nach, wie er in der Schwärze des Ab­grunds verschwand – und glaubte, jedes Glied müsse ihm einzeln ausgerissen wer­den.

Schreiend warf der ehemalige Flußpirat sich herum, gegen die Felswand, und sank wimmernd und zuckend in sich zusammen. In seinem Kopf wüteten Feuer. Seine Kehle zog sich zu. Er bekam keine Luft mehr und riß den Mund in höchster Todesangst weit auf. Daß er auf allen vieren bis zum Ab­grund gekrochen war, merkte er erst, als er mit den Armen schon im Nichts ruderte.

Der Schmerz ließ augenblicklich nach. Das Feuer in seinem Kopf erlosch. Onte Derg schob sich zitternd zurück auf die Plattform, bis er die Wand wieder hinter sich spürte. In hilfloser Wut trommelte er mit den Fäusten auf den Fels. Alles drehte sich um ihn. Er erbrach sich, und als hätte er damit den Dämon ausgespien, der von seinem

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Geist Besitz ergriffen hatte, kam er allmäh­lich zur Ruhe.

Schwer atmend ließ er sich neben den Korb fallen und betrachtete die Quorks haß­erfüllt.

Sie hätten ihn in den Tod getrieben, ihn über den Rand der Plattform stürzen lassen, dem Beutel nach, nur um jeden einzelnen Quork wieder aufzusammeln. Aber dabei wäre er unten zerschmettert worden. Das wußten sie, und nur darum lebte er noch.

Onte Derg redete sich das immer fester ein. Er rutschte ein Stück vom Korb weg, als ob sich giftige Schlangen darin befänden.

Aber er hatte einen Sieg errungen! Er hat­te, wenn auch ohne eigentlich die Absicht gehabt zu haben, wenigstens den Beutel ver­loren. Nun würde es sich leichter klettern lassen. Den Gedanken, den Korb ebenfalls in den Abgrund zu stoßen, schob er schnell wieder beiseite. Er lebte nur noch, weil er ihn zur FESTUNG bringen sollte, weil ein zerschmetterter Körper den Quorks nichts mehr nützte.

Onte Derg ahnte, daß es einen anderen Grund gab, als er das Schlagen mächtiger Schwingen über sich hörte und dann den schwarzen Schatten sah, der sich aus der Dunkelheit des Himmels schälte und auf ihn herabsenkte.

*

Sofort waren alle Quorks und alle Schreckensvisionen vergessen. Derg schrie, sprang auf, riß das Messer aus dem Gürtel und drückte sich mit dem Rücken fest gegen die Wand, um sein Leben so teuer wie mög­lich zu verkaufen.

Dabei bezweifelte er, daß er gegen dieses Tier den Hauch einer Chance hatte. Obwohl er ein solches nie zuvor gesehen hatte, wuß­te er sofort, daß er einen der legendären wei­ßen Geier vor sich hatte, einen der wenigen noch lebenden Stormocks.

Abwehrend streckte Derg die linke Hand von sich, während er in der Rechten das Messer stoßbereit hielt. Der Geier hatte eine

Flügelspannweite von mindestens vier Me­ter. Noch einmal schlugen die mächtigen Schwingen. Die großen Krallen waren weit vorgestreckt, und in ihnen hing …

Derg ließ das Messer sinken und rutschte zu Boden. Der Tod durch den Schnabel oder die Krallen des Geiers mochte eine Erlösung gegenüber dem sein, was Derg beherrschte – und den Stormock!

Vor dem Piraten kam der Stormock herab, faltete die Flügel und gab den Beutel mit den Quorks frei. Mit dem gekrümmten großen Schnabel schob er ihn Derg vor die Füße.

»Es ist … nicht wahr!« flüsterte der Pirat. »Ich … ich träume das nur!« Er trat nach dem Stormock. »Geh weg! Flieg dahin zu­rück, wo du die verfluchten Knochen gefun­den hast! Und nimm sie mit!«

Der weiße Geier blieb vor ihm hocken, fast zwei Meter groß, und beobachtete ihn aus kleinen Augen. Derg lachte irr. »Du willst mir helfen, ja?« Er sprang auf und schob ihm den Korb vor die Füße. »Hier, du kannst ihn doch tragen! Nimm ihn und brin­ge ihn zur FESTUNG! Und den Beutel! Nimm alles!«

Die Augen des Geiers schienen ihn zu be­mitleiden. Derg taumelte zurück und erkann­te, was für ein Narr er war. Die Quorks brachten ihn um den Verstand. Bevor er mit ihnen die FESTUNG erreichte, war er ein stammelnder Idiot, ein ausgebranntes Wrack von einem Pthorer!

Plötzlich gab der Stormock Töne von sich, die ihm das Blut in den Adern gefrie­ren ließen. Hier, in dieser luftigen Höhe, standen sie sich gegenüber, und Derg hatte das bestimmte Gefühl, der Geier wollte ihm etwas sagen. Es hieß ja, daß die Stormocks ungewöhnlich kluge Tiere seien – aber sie konnten nicht sprechen!

Noch einmal hörte Onte Derg die Laute, und das Gefühl, daß der Vogel ihm etwas mitteilen wollte, wurde noch stärker. Mehr noch: Derg war plötzlich überzeugt davon, daß er ihn warnen wollte.

Er verlor den Verstand! Er verlor jeden

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Bezug zur Wirklichkeit! Derg riß das Mes­ser in die Höhe und machte Anstalten, es dem Geier in die Brust zu stoßen, aber ir­gend etwas lähmte seinen Arm. Er sah, wie das Tier die mächtigen Flügel ausbreitete, sie schwang und sich schwer in die Lüfte er­hob.

Warnen! Wovor sollte er ihn warnen wol­len? Vor den Quorks? Das war ganz und gar unnötig.

Dann aber begriff der ehemalige Flußpi­rat.

Es hieß auch, daß dort, wo immer Stor­mocks auftauchten, die Berserker nicht weit waren.

Dem Wahnsinn nahe schulterte Onte Derg den Korb und ergriff den Beutel. Er spürte das Gewicht der Quorks fast nicht mehr, als er in der Dunkelheit den selbstmörderischen Aufstieg fortsetzte. Bei jedem leisesten Ge­räusch hielt er inne und lauschte mit klop­fendem Herzen. Eine Angst, wie er sie noch nie gekannt hatte, ergriff von ihm Besitz. Sie waren hinter ihm her, die Berserker, die Gei­er, die … Quorks!

Der Wahnsinn griff mit eisigen Klauen nach seinem Verstand. Derg zuckte vor sei­nem eigenen, schwachen Schatten zurück. Nur weiter! Nicht rasten, nicht schlafen! Mit dem Schlaf würde der Traum wiederkom­men, und er wollte ihn nicht mehr träumen. Er würde nicht mehr daraus erwachen und für alle Zeiten in diesem Traum gefangen sein, nicht lebend und nicht tot. Die Yuugh-Katze …!

Dergs Finger rutschten an einem Vor­sprung in der fast völlig glatten Steilwand ab. Er verlor den Halt und bekam im letzten Augenblick eine aus den Felsen ragende Wurzel zu fassen. Über sich sah er einen Überhang, auf dem ein vereinzelter Baum wachsen mochte, dessen Same sich hierher verirrt hatte. Aber die Schatten, die sich dort oben nun bewegten, waren keine Bäume.

Eine Schlinge fiel auf Onte Derg herab und zog sich fest um seinen Hals. Eine zwei­te legte sich um den linken Arm mit dem Beutel.

Derg bekam keine Luft mehr. Es wurde ihm schwarz vor Augen. Das letzte, das er hörte, war das grausame Lachen, das er nur zu gut kannte.

7.

Die große Lagerhalle war restlos ausge­räumt worden – bis auf die Quorks.

Hunderte, Tausende von ihnen türmten sich in ihrer Mitte. Synk stand vor dem Berg aus bearbeiteten Knochen, die Hände in die Hüften gestemmt, und nickte grimmig. Zum Ausgang blickend, schüttelte er eine Faust.

»Ihr habt es so gewollt!« rief er, obwohl niemand ihn mehr hörte. Er hatte die Or­xeyaner fortgeschickt, nachdem er ihnen ge­statten mußte, auch die dritte und letzte Hal­le aufzuschließen und die dort gehorteten Quorks hierherzubringen. Durch diesen ge­schickten Schachzug waren nun alle in der FESTUNG vorhandenen Quorks an einem Ort versammelt – so glaubte er.

Synk hatte schließlich einen Boten zu At­lan geschickt, der ihm mitteilen sollte, daß er, Sator Synk aus Orxeya, die Situation im Griff hatte. Atlan solle sich nicht beunruhi­gen und weiter am Parraxynt basteln.

Die Bestätigung dafür, daß auch die Del­los wieder normal geworden waren, nach­dem nun alle Quorks auf einem Haufen la­gen, glaubte der wilde, kleine Mann aus der Händlerstadt zu erhalten, als er eine Gruppe Spezialandroiden, die weiter oben in der FE­STUNG mit Aufräumarbeiten beschäftigt waren, zwangsrekrutierte und in den Lager-hallen Ordnung schaffen ließ. Sie gehorch­ten ihm aufs Wort, was ihn zum Teil für die erlittenen Erniedrigungen entschädigte.

Doch eben nur zum Teil. »Ihr habt es so gewollt!« knurrte Synk

wieder. »Ihr hättet wissen sollen, daß man einen Sator Synk nicht ungestraft herausfor­dert!«

Wer ihn herausgefordert hatte, das wußte er selbst nicht so genau. Die Dellos, die ver­räterischen Orxeyaner oder etwa gar die Quorks?

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28 Horst Hoffmann

So abwegig erschien ihm der Gedanke nicht mehr, daß die Quorks selbst etwas mit dem Betragen seiner beiden Trupps zu tun haben könnten, auch wenn er nach wie vor im dunkeln tappte. Synk spürte, daß etwas mit ihnen nicht stimmte. Und er konnte sich des bedrückenden Gefühls nicht erwehren, daß die unerklärlichen Ereignisse mit dem Aufhäufen der Quorks noch nicht zu Ende waren.

Sollte Atlan sich ums Parraxynt küm­mern. Er, Sator Synk, blieb hier unten. Er würde sich auf die Lauer legen, falls nötig die ganze Nacht. In diesem Teil der FE­STUNG war es ruhig geworden. Wenn auch Tag und Nacht während der Wirren der letz­ten Zeit einiges von ihrer eigentlichen Be­deutung verloren hatten, so richteten sich die meisten Pthorer doch noch nach dem ange­stammten Lebensrhythmus. Es wurde im­merhin noch dunkel und hell.

Während sich also die meisten augen­blicklichen Bewohner der FESTUNG schla­fen legten, baute sich Synk aus einigen zer­brochenen breiten Regalen ein Versteck in einer Ecke der Halle, hinter dem er sicher war vor den Blicken eventueller Eindringlin­ge. Sie würden glauben, dort hätten die Del­los ein paar Bretter einfach in eine Ecke ge­schafft und später vergessen, sie wegzuräu­men.

Synk wartete – auf wen, das wußte er noch nicht. In der FESTUNG mußte es sich inzwischen herumgesprochen haben, daß Atlan die Türen der Schatzkammern hatte öffnen lassen. Einige Pthorer mochten der Versuchung, etwas von den Reichtümern zu stehlen, nicht widerstehen können. Wie auch immer – irgend etwas mußte geschehen. Synk hatte einen untrüglichen Riecher für solche Dinge entwickelt.

Noch mußte er warten. Er hockte hinter den Brettern und starrte

die Quorks an. Nur die draußen im Gang brennenden Lichter erhellten die Halle et­was.

Als sich auch nach einer Stunde noch nichts tat, begann der Orxeyaner schon, an

seinem Gefühl zu zweifeln. Er streckte sich in seinem Versteck lang aus – was ihm bei seiner Körpergröße von etwa anderthalb Metern nicht schwerfiel – und legte den Kopf auf ein Kantholz. Um nicht einzu­schlafen, versuchte er sich die Langeweile mit Gedanken an die Zukunft zu vertreiben. Er kraulte sich selbst den Bart und sah wie­der sein Gasthaus vor sich …

Er stand als Wirt hinter dem Tresen. An den langen Tischen saßen alle seine Freunde und Verwandten und tranken, sangen und rauften. Zur Eröffnung hatte er sie alle ein­geladen. Das Bier strömte nur so. Natürlich hatte er es mit Wasser verdünnt, um nicht schon am ersten Tag pleite zu machen. Im­merhin hatte er sich dazu durchgerungen, zur Eröffnung des »Schrottreifen Roboters« Freibier für alle zu spendieren.

Es war schon ein berauschendes Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Natürlich hatten sich seine Abenteuer gelohnt. Alle Orxeya­ner, selbst seine früheren Intimfeinde, be­handelten ihn als Respektsperson, brachen in Hochrufe auf ihn aus und sprachen von sei­nen großen Taten.

Synk seufzte. Was er sich da ausmalte, war ja schön und

gut. Aber was tat ein Mann ohne Weib? Na­türlich, in Orxeya gab es mehr als genug Witwen, junge Frauen und Mädchen, die sich glücklich schätzen würden, würde er ei­ner von ihnen das Jawort geben. Aber sie waren nicht das, was Synk sich vorstellte – am allerwenigsten Gandel Gars, die jede Mitkonkurrentin im wahrsten Sinn des Wor­tes aus dem Rennen schlagen würde.

Synk sah sich wieder hinter dem Tresen, und an seiner Seite stand ein junges Voll­weib mit kupferfarbenem, langen Haar und einer makellosen Figur. Sie lächelte ihn an und schenkte ihm verheißungsvolle Blicke aus ihren violetten Augen.

»Leenia …«, flüsterte Synk. »Und viel­leicht kann ich Diglfonk von seinem Herrn Soltzamen loseisen und als Kellner …«

Er biß sich fast auf die Zunge. Hatte er den Verstand verloren? Machten die Quorks

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jetzt auch ihn schon verrückt? Synk hockte sich wieder hin, um die

Phantasien zu verscheuchen. Noch war nichts zu sehen und zu hören.

Er mußte eine weitere volle Stunde war­ten, bis er die Schritte vernahm. Irgendwer kam die Treppen zum Korridor herunter, an den die Lagerhallen anschlossen.

Synk duckte sich tief hinter die Bretter. Nur seine kleinen Augen und sein rostroter Haarschopf waren noch zu sehen.

Die Schritte wurden lauter, obwohl der Unbekannte allem Anschein nach versuchte, alle verräterischen Geräusche zu vermeiden.

Synk hielt den Atem an, als die Gestalt sich dunkel vor das aus dem Gang einfallen­de Licht schob. Sie zögerte einen Augen­blick. Dann ging sie geradewegs auf die Quorks zu.

*

Synk hatte es gewußt. Die Türen der bei­den anderen Hallen, in denen nun die Waf­fen, Juwelen und alle anderen Wertgegen­stände außer den Quorks lagen, standen ebenfalls halb offen – eine Einladung für je­den Dieb. Aber der Unbekannte dachte nicht daran, sich etwas davon zu nehmen. Er kam zu den Quorks.

Synk tastete vorsichtig nach der Waggu an seinem Gürtel. Nur im äußersten Notfall wollte er von der Lähmwaffe Gebrauch ma­chen. Er mußte wissen, was der Dieb tat – und was dann mit ihm geschah. Denn daß etwas mit ihm geschehen würde, daran hatte der Orxeyaner nicht den geringsten Zweifel – nach dem, was heute schon geschehen war.

Der Pthorer sah sich um. Kurz ruhten sei­ne Blicke auf Synks Holzverschlag. Dann zog er einen Stoffbeutel aus einer Tasche und füllte ihn bis zum Platzen mit Quorks.

Na warte! dachte Synk. Nimm sie nur mit, Freundchen! Irgend jemand wird sie dir schnell wieder abnehmen und hierher zu­rückbringen!

Vorerst jedoch sah es nicht danach aus.

Der Pthorer verstaute den Beutel unter sei­nem halb offenem Obergewand, raffte noch ein paar Quorks an sich und rannte aus der Halle.

Angesichts solcher Dreistigkeit mußte Synk seine ganze Beherrschung aufbringen, um nicht aufzuschreien und dem Dieb hin­terherzustürmen. Er stieg aus der Deckung und schlich ihm nach.

Auf dem Korridor angekommen, sah der Orxeyaner gerade noch die Hacken des Un­bekannten am oberen Ende der Treppe, wo sich ein weiterer Gang anschloß, der lang war und ohne Türen. Bis zur nächsten Trep­pe war es weit. Synk konnte es sich also lei­sten, auf leisen Sohlen die Verfolgung fort­zusetzen.

Am oberen Treppenende angelangt, sah er dann tatsächlich die Gestalt über den Korri­dor laufen. Spätestens jetzt wurde es auch für ihn Zeit, zu rennen.

Doch plötzlich blieb der Fremde stehen, als hätte ihn der Blitz getroffen.

Synk drückte sich gegen eine Wand und wartete ab. Der Dieb hatte die nächste Trep­pe fast erreicht. Sicher kamen ein paar Del­los die Stufen herab, so daß er nicht weiter­lief.

Doch niemand zeigte sich. Synk war wei­terhin allein mit dem Fremden, der sich jetzt langsam umdrehte und wie in Trance den Weg zurückging, den er gekommen war. Synk erschrak. Er bewegte sich jetzt genau­so wie die Dellos und Orxeyaner, die die Quorks zusammengetragen hatten.

Synk blieb an die Wand gedrückt stehen. Der Pthorer ging an ihm vorbei, ohne ihn überhaupt zu bemerken. Der Blick seiner gläsern wirkenden Augen war starr in unbe­kannte Fernen gerichtet. Wie von unsichtba­ren Fäden gezogen, bog der Mann – wie Synk jetzt sah, ein Dalazaare aus dem Blutd­schungel – um die Ecke, hinter der der Trep­penschacht lag, und stieg wieder zu den La­gerhallen hinab.

Synk schlich ihm nach, bis er vor den auf­gehäuften Quorks stand. Fassungslos sah er, wie der Dieb die geraubten Schätze dorthin

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zurücklegte, von wo er sie genommen hatte. Und das war nicht alles!

Aus einer Tasche zog er zwei Quorks, die ebenfalls auf den Haufen wanderten. Synk wußte aber genau, daß er diese beiden nicht geraubt hatte. Irgend etwas brachte ihn also dazu, sein Eigentum hier unten abzuliefern.

Synk war sprachlos und so verblüfft, daß er nicht sah, wie der Blick des Diebes sich klärte. Bevor er ihn halten konnte, rannte der Übeltäter aus der Halle und die Treppe hin­auf.

»Warte!« brüllte Synk. »Komm zurück! Ich habe mit dir zu reden!«

Der Dalazaare dachte nicht daran, auf ihn zu hören. Fluchend setzte Synk ihm nach, über Treppen und durch Korridore, Schächte und Räume, bis er plötzlich im Freien stand. Das Gelände vor der FESTUNG war er­leuchtet. Dennoch war nichts mehr von dem Jäger aus dem Blutdschungel zu sehen, der mit seinen langen Beinen Synk natürlich im Laufen überlegen sein mußte.

Was hatte ein Dalazaare eigentlich in der FESTUNG zu suchen? Synk stampfte vor Wut und Enttäuschung ein paarmal mit dem Fuß auf den Boden. Atlan ließ aber auch al­les mögliche Gesindel hier herumlaufen!

»Hörst du mich?« Synk bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Ich weiß, daß du dich hier irgendwo versteckst! Aber ich will dich doch nur etwas fragen! Du hast etwas verloren, das dir gehört!«

Mehrere Händlerwagen standen vor der großen Pyramide. Ihre Besitzer schliefen entweder bei ihnen oder in der FESTUNG, in den ihnen zugewiesenen Quartieren.

Synk kniff die Augen zusammen. Täusch­te er sich, oder bewegte sich bei einem der Wagen etwas?

Er täuschte sich nicht. Der Dalazaare kam hinter dem Wagen zum Vorschein, in beiden Händen jeweils einen prall gefüllten Beutel. Als er mit entrücktem Blick an Synk vorbei­schritt, hatte der Orxeyaner keinen Zweifel mehr daran, was er da in die FESTUNG trug. Bevor er ihm nachschlich, sah er gera­de noch, wie einige Händler bei ihren Wa­

gen erwachten, aber keine Anstalten mach­ten, dem Dieb zu folgen.

Wieder ging es die Treppen hinunter, und je näher Synk und der Dalazaare den Lager-hallen kamen, desto öfter begegneten ihnen Dellos und Pthorer, die ihnen entgegenka­men und sich umblickten, als wüßten sie nicht, was sie überhaupt um diese Zeit hier zu suchen hatten.

Synk kam ein Verdacht, der sich bestätig­te, als er die Halle mit den Quorks erreichte.

Drei Pthorer zogen gerade Quorks aus ih­ren Taschen und legten sie auf den Haufen. Der Dalazaare leerte die beiden Beutel und wollte sich erneut davonmachen, vermutlich um weiterzustehlen. Synk hielt ihn am Arm fest und stellte sich vor ihn.

Er mußte den Kopf weit in den Nacken le­gen, um dem Dunkelhäutigen in die Augen blicken zu können.

»So, mein Freund! Und nun wirst du mir sagen, warum du das tust! Wer hat dir ge­sagt, daß du Quorks stehlen sollst, um sie dann hierherzubringen? Warum bist du mit denen, die du hier gestohlen hast, zurückge­kehrt?«

»Quorks …«, murmelte der Dalazaare ge­dehnt. »Ich muß … Quorks …«

Synk schnitt eine Grimasse. »Was mußt du mit den Quorks? Sie fres­

sen? Jetzt will ich eine klare Antwort und nicht …!«

Der Dalazaare stieß ihn fort und verließ die Halle. Synk war außer sich, er zog die Waggu und lähmte ihn.

Er gestikulierte mit der Waffe, als die an­deren Pthorer an ihm vorbeitreten wollten.

»Hiergeblieben! Wer befahl euch, eure Quorks hierherzubringen?«

Sie reagierten überhaupt nicht auf ihn. Und nun kamen die Händler die Treppe her­ab, die Synk durch sein Geschrei vor der FESTUNG geweckt hatte. Sie brachten noch mehr Quorks!

Synk paralysierte sie alle. Dann schob er die schwere Eisentür zu und legte von innen einen Riegel vor, den er gerade noch heben konnte.

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Er atmete heftig und warf sich mit dem Rücken gegen die Tür. Die Halle war zu. Keiner kam mehr herein, keiner heraus, be­vor Synk nicht den Riegel wieder entfernte. Sobald die Pthorer die Lähmung überwun­den hatten, mußten sie ihm antworten.

Synk schluckte, als er begriff, daß auch er eingesperrt war. Von draußen waren Schritte zu hören. Immer mehr Pthorer kamen, um ihre Quorks abzuliefern. Bald würden sie sich auf dem Korridor gegenseitig auf die Füße treten.

Sator Synk fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wohl in seiner Haut. Eingesperrt mit ein paar Gelähmten und den Quorks – das war alles andere als nach seinem Ge­schmack.

Hätte er wenigstens Atlan rechtzeitig be­nachrichtigt, wie dieser es ihm befohlen hat­te. Nun saß er hier und hatte, wie es schien, viel Zeit zum Nachdenken, bis jemand auf den Gedanken kam, hier unten nach dem Rechten zu sehen.

Jemand, der noch nicht den Verstand ver­loren hatte …

Synk hatte plötzlich den Wunsch, auf Quorksuche zu gehen. Nur mit Mühe dräng­te er ihn zurück. Aber jetzt glaubte er die Antwort auf seine bohrenden Fragen zu ken­nen.

Er spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Und als er diesmal an die Legende dachte, tat er sie nicht mehr so einfach als Aberglau­be ab.

Von draußen kratzte jemand an der Tür. Es hörte sich an wie das Kratzen einer riesi­gen Pfote …

*

Während der Held von Orxeya versuchte, die Schreckensbilder zu verscheuchen, die ihn plötzlich heimsuchten, war jener, auf dem nun seine Hoffnungen auf eine baldige Befreiung ruhten, der Verzweiflung nahe.

Atlan betrachtete das dreißig mal dreißig Zentimeter große Stück, das er soeben ins Parraxynt eingesetzt hatte, als könnte er im­

mer noch nicht fassen, daß es paßte. Es war das erste Fragment, das er seit dem Besuch in den Lagerhallen hatte unterbringen kön­nen. Dutzende lagen noch auf dem Boden und schienen sich nach wie vor dagegen zu wehren, eingesetzt zu werden. Deutlicher denn je hatte der Arkonide das Gefühl, daß das Parraxynt selbst sich dagegen sträubte, zusammengesetzt zu werden. Drei Teile – das war nichts gegen die Bruchstücke, die noch vor seinen Füßen lagen.

Auch konnte er aus den Linien des bereits fertigen Teiles nichts herauslesen, das einen Sinn ergab.

Atlan trat aus dem metallenen Ring und setzte sich. Auf dem Stuhl neben ihm lag das Goldene Vlies. Nur kurz blickte der Ar­konide es an, streckte die Hand nach dem Anzug aus – dann schüttelte er den Kopf.

Valschein, der Bildermagier, war im Gol­denen Vlies gestorben, nachdem es ihm die Kraft gegeben hatte, das Parraxynt zu etwa zwei Dritteln zusammenzufügen. Wie und warum Valschein starb, konnte letztlich nur vermutet werden, obwohl alle Eingeweihten von einem Erschöpfungstod sprachen. Auch für Atlan war dies die einleuchtendste Erklä­rung. Und doch …

Seit Valscheins Tod hatte der Arkonide das Gefühl, dem Goldenen Vlies nicht mehr unbedingt trauen zu dürfen. Er wußte, daß es unlogisch war, das Vlies mit Valscheins Tod in einen anderen Zusammenhang als den zu bringen, daß es ihm die Möglichkeit dazu gab, die Barriere zu durchbrechen, die auch ihn am Auffinden der zueinander passenden Parraxynt-Teile hinderte. Dabei hatte er sich total verausgabt.

Atlan ertappte sich dennoch wieder bei dem Gedanken, daß das Parraxynt auf eine unerklärliche Art und Weise Einfluß auf den Anzug der Vernichtung genommen haben könnte – um jenen umzubringen, der ihm seine Geheimnisse zu entreißen versuchte?

»Das ist Unsinn«, murmelte er. Es gab nur eine Möglichkeit, die Wahr­

heit herauszufinden – und Pthor, die anderen Dimensionsfahrstühle und die Erde zu ret­

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ten. Die Versuchung war groß. Atlan brauchte

nur die Hand auszustrecken, aufzustehen und sich den Anzug überzustreifen, wie er es schon getan hatte.

Wieder starrte er das unfertige Parraxynt an. Es mußte vollendet werden. Welche Hil­fe die vom Dunklen Oheim Bedrohten da­durch erfahren sollten und in welchem Um­fang, das konnte noch niemand sagen. Aber es war eine Hoffnung.

Sollte es dem Dunklen Oheim gelingen, mit den vereinten Dimensionsfahrstühlen in die Milchstraße und zum Sonnensystem zu gelangen, so würde die Menschheit unvorbe­reitet sein. War es da nicht gerechtfertigt, ein Risiko einzugehen? Nicht nur Men­schenleben standen auf dem Spiel. Es ging um alle galaktischen Rassen.

Atlan stand auf und nahm das Goldene Vlies in die Hände.

Als er noch zögerte, hörte er Stimmen auf dem Gang. Kurz darauf wurde die Tür auf­gestoßen. Razamon betrat den Raum. Ein Schatten huschte über sein ohnehin finsteres Gesicht, als er Atlan mit dem Anzug sah.

Sekundenlang sahen die beiden Wegge­fährten sich schweigend in die Augen, bis der Atlanter mit dem Daumen über seine Schulter deutete.

»Ich mußte die beiden Dellos etwas un­sanft davon überzeugen, daß ich Razamon bin«, sagte er. »Und vorhin begegnete ich zwei anderen, die mich fast umgerannt hät­ten, wenn ich nicht rechtzeitig zur Seite ge­sprungen wäre. Sie hatten Quorks in den Händen und sahen aus wie Schlafwandler. Ich habe das Gefühl, hier ist keiner mehr normal.«

Atlan vergaß für einen Augenblick das Goldene Vlies.

»Quorks, sagst du?« fragte er tonlos. »Bist du ihnen gefolgt?«

»Sollte ich?« Razamon versuchte, in At­lans Miene zu lesen.

»Es gab einigen Ärger mit den Dellos, die die Lagerhallen mit den gehorteten Schätzen aufräumen sollten.« Knapp berichtete der

Arkonide über die Vorfälle, soweit sie ihm bekannt waren. »Synk holte sich eine Hand­voll Orxeyaner, um die Arbeit fortzusetzen und den angerichteten Schaden festzustel­len.«

»Synk!« Razamon seufzte. »Und du hast seitdem nichts mehr von ihm gehört?«

Atlan zuckte die Schultern. »Ich nehme an, er und seine Kumpane sind unten fertig, und er widmet sich in seinem Quartier den Weinvorräten. Er schickte mir einen Boten mit der Nachricht, daß unten alles in Ord­nung sei.«

»Er ist nicht in seinem Quartier. Ich such­te ihn, um ihn zu fragen, weshalb ein paar sture Dellos mir nachschleichen und mich schon dreimal gefragt haben, ob ich nun Razamon sei oder Sator Synk. Ich sagte doch, hier ist keiner mehr normal.«

Atlan lächelte schwach. Dann wurde er schlagartig wieder ernst.

»Synk wird sich schon melden, falls er wieder Schwierigkeiten bekommen sollte.« Er winkte ab, obwohl er sich in diesem Punkt seiner Sache nicht sehr sicher war. »Ich komme nicht weiter, Razamon.«

Der Pthorer betrachtete das Parraxynt und die am Boden liegenden Bruchstücke, dann das Goldene Vlies.

»Und darum willst du dein Leben jetzt aufs Spiel setzen«, stellte er fest.

»Es gibt nur diesen Weg.« »Du mußt wissen, was du tust, Atlan.

Aber die Warnung war deutlich genug. Falls Valschein an Erschöpfung starb, ignorierte er die Warnsignale seines Körpers. Oder er war nicht mehr in der Lage, sie zu bemer­ken.«

»Und das gleiche könnte mir passieren«, murmelte Atlan.

Razamon nickte. »Ich kenne dich lange und gut genug. Du

wirst dich nicht umstimmen lassen. Aber ich werde hier sein und dich beobachten. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr für dich schreite ich ein.«

Atlan lachte humorlos. »Wie, Razamon? Willst du mich lähmen, während ich das

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Vlies trage?« »Ich werde nicht zulassen, daß du Val­

scheins Schicksal teilst«, knurrte der Ptho­rer. Atlan legte ihm dankbar lächelnd eine Hand auf die Schulter.

»Es wird nicht nötig sein, Freund.« Razamon gab keine Antwort, doch seine

Blicke sprachen Bände. Atlan nickte ihm noch einmal zu, atmete tief ein und stieg in den Anzug.

Es hatte etwas Endgültiges. Leben oder Tod, Sieg oder Niederlage, Hoffnung oder Untergang – die kommenden Stunden wür­den darüber entscheiden.

*

Es schien, als hätte das Parraxynt sich von einem Augenblick zum anderen verändert.

Atlan nahm dies zunächst nur flüchtig wahr. Zu sehr war er damit beschäftigt, in sich hineinzulauschen, auf Alarmzeichen, auf irgend etwas, das mit ihm geschah.

Er fühlte sich lediglich frischer, ausge­ruht. Und es war, als hätte man einem ex­trem Kurzsichtigen die passende Brille auf­gesetzt. Das Parraxynt stand so da, wie er es gesehen hatte, bevor er den Anzug der Ver­nichtung anlegte. Doch nun, als er darauf zutrat, war er von jener Zuversicht erfüllt, die er lange schon verloren hatte.

»Nichts, Razamon«, sagte er abwesend zum Pthorer, der jede seiner Bewegungen aus zusammengekniffenen Augen verfolgte. Razamon schwieg. Atlan trat in den Metall-kreis und hob wahllos eines der Bruchstücke zu seinen Füßen auf.

Er sah, wo er es einzufügen hatte. Atlan unterdrückte die in ihm aufsteigen­

de Hochstimmung. Sie konnte der Beginn des befürchteten Kontrollverlusts sein. Nüchtern und vorsichtig suchte der Arkoni­de nach weiteren passenden Teilen.

Er fand sie, wenn sie ihm auch nicht gera­de zuflogen. Oft mußte er Fragmente wieder zurücklegen, von denen er glaubte, sie anset­zen zu können. Doch immer häufiger hatte er Erfolg.

Wieder hielt er inne und ging in sich. Razamon beobachtete ihn mit steinerner Miene. Atlan spürte lediglich eine wachsen­de Erregung. Doch das war kein Wunder. Was ganz und gar aussichtslos erschienen war, wurde nun machbar.

Langsam und bedächtig, nicht mehr ziel­los wie vorher, begann Atlan, das Parraxynt Stück für Stück zusammenzusetzen. Im glei­chen Maß, wie der metallene Kreis weiter Form annahm, schwand sein Mißtrauen dem Goldenen Vlies gegenüber.

8.

Onte Derg betastete den strangulierten Hals. Die Schmerzen waren das erste, das er wahrnahm, als er aus der Bewußtlosigkeit erwachte. Der linke Arm war schwer wie Blei. Das Seil hatte Haut und Fleisch aufge­rissen.

Wo war er? Ein Tritt von hinten in den Rücken brach­

te ihm die Erinnerung auf einen Schlag zu­rück. Derg fuhr herum und schrie auf.

Eine finstere Gestalt beugte sich über ihn. Derg kannte dieses Gesicht. Er hatte es gese­hen, bevor er in die Felsspalte gestoßen wur­de, und es hatte genauso hämisch gegrinst wie jetzt.

»Es wurde Zeit, daß du aufwachst, Klei­ner!« grunzte der Berserker. Derg hörte an­dere lachen.

Er sah sie, Schatten vor der Felswand. Zwischen ihnen stand der Korb, auf dem der Beutel lag.

»Oh nein!« entfuhr es dem jungen Pira­ten. »Hättet ihr mich umgebracht!«

Das Lachen des Berserkers, der diese Gruppe anführte, erstarb. Klobige Hände er­griffen Dergs Schultern.

»Sterben lassen, wie? Das möchtest du? Wo du reich bist?«

»Reich …« Dergs Augen weiteten sich. Sein Blick richtete sich in die Ferne. Ja, er war reich, unermeßlich reich in jeder Stadt von Pthor. Aber hier …

Plötzlich begriff er. Die Berserker mußten

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ihn schon lange beobachtet haben und ihm gefolgt sein. Als er stürzte, warfen sie von dort, wo sie ihm hatten auflauern wollen, ih­re Schlingen nach ihm. Sie mußten ja glau­ben, daß er im Korb und im Beutel kostbare Schätze transportierte. Warum sonst sollte ein Mann, der noch einigermaßen bei Ver­stand war, diese furchtbaren Strapazen auf sich nehmen und dutzendfach sein Leben riskieren?

Sie hatten nur Quorks gefunden, für sie wirklich nur wertlose Knochen, denn sie verließen ihre Verstecke im Taamberg-Mas­siv nie und trieben keinen Handel. Mit den Quorks war aber auch er für sie wertlos ge­worden. Ein Tritt genügte, um ihn in den Abgrund zu stoßen.

Alles in Derg verkrampfte sich. Er wollte nicht sterben! Der Schock klärte seinen Ver­stand und bannte die Wahnbilder. Eben noch hatte er den Tod herbeigesehnt. Doch nun schrie alles in ihm nach Leben, nun, da seine letzte Stunde geschlagen haben mußte. Er war kräftig genug, um es mit jedem eben­bürtigen Gegner aufzunehmen. Aber gegen diese Übermacht konnte er nichts ausrichten.

»Hunderte von wertlosen Quorks!« brüllte Halyron ihn an und schüttelte ihn grob. »Du kamst dir schlau vor, wolltest sie nach drau­ßen bringen, zu den Städten!«

»Ich … kann sie dort gegen andere Reich­tümer eintauschen!« hörte Onte Derg sich schreien, als er verzweifelt versuchte, sich aus dem eisernen Griff des hünenhaften Ber­serkers zu befreien. »Ich kann Waffen kau­fen, Perlen, – alles, was ihr wollt! Und dann komme ich zurück und …«

Er verstummte, als er sich dessen bewußt wurde, was er da vorschlug. War es schon so weit mit ihm, daß er wie ein altes Weib um sein Leben betteln mußte?

»Und du teilst mit uns!« höhnte Halyron und drehte sich zahnlos grinsend zu seinen Männern um. Maßloser Zorn stieg in Derg auf, als er sich verspottet sah. Mit einem wilden Aufschrei stieß er Halyrons Hände von sich, kam in die Höhe und machte einen Satz zur Felswand. Zu seiner Überraschung

fand er sein Messer im Gürtel. Gleich darauf blitzte es in einer Hand. Vielleicht hatten die Berserker es ihm absichtlich gelassen, um einen Kampf ganz nach ihrem Geschmack geliefert zu bekommen.

Sie sollten ihn haben. Bis zum letzten Tropfen Blut!

»Oho!« grunzte Halyron. Die anderen Berserker lösten sich von der Wand und ka­men langsam näher, die Äxte in den Hän­den. Geduckt wie Raubkatzen kreisten sie ihr Opfer ein. »Du winselst also nicht mehr. Auch gut. Besser sogar. Den Sturz in die Spalte hast du also überlebt. Bist zäh, mein Bürschchen. Wir wollen sehen, ob du auch diesen Sturz verdaust!«

Im Näherkommen deutete der Berserker auf den Rand der Plattform, unter dem der zwei-, dreihundert Meter tiefe Abgrund gähnte.

Später wußte Onte Derg nicht zu sagen, was ihn in diesem Augenblick, als die finste­ren Gestalten nach ihm griffen, dazu brach­te, zu schreien:

»Wartet! Bleibt stehen, oder ein paar von euch gehen mit mir in den Tod, das schwöre ich euch! Wir können unsere Kräfte auf eine andere Art messen!«

Halyron schnitt eine Grimasse, machte den anderen aber ein Zeichen. Sie blieben, wo sie waren. Derg stand federnd auf den Zehenspitzen, das Messer stoßbereit in der Hand. Jeder Muskel seines schmerzenden Körpers war angespannt.

»Du winselst schon wieder, Bürschchen.« »Warte es ab! Ich kämpfe gegen jeden

von euch, der es schafft, diesen Korb da und den Beutel von der Plattform zu stoßen!«

Halyron wechselte verständnislose Blicke mit seinen Männern.

»Was soll das? Versprichst du dir noch ein paar Atemzüge, eine lächerliche Frist? Du bist dir nicht über deine Lage im klaren, Kerl! Wann und wie hier gekämpft wird, das bestimmen wir!« Er winkte die anderen her­an. »Los jetzt! Macht kurzen Prozeß mit die­sem Feigling!«

»Feiglinge seid ihr!« schrie Derg. Mit den

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Zehen ertastete er den Boden hinter sich. Er hatte nicht viel Spielraum. »Warum sonst hättet ihr Angst vor ein paar … vor Kno­chen!«

»Wer hat Angst vor Knochen?« brüllte Halyron. Er lachte dröhnend, sich seiner Überlegenheit vollkommen gewiß. »Haltet ihn fest!« wies er seine Männer an. »Er soll sehen, wie groß Halyrons Furcht ist!«

Wieder lachte er schallend. Sein stinken­der Atem schlug Derg ins Gesicht. Als die Berserker nach ihm greifen wollten, fuhr seine Hand blitzschnell vor und ritzte einem von ihnen leicht die Kehle.

»Laßt ihn!« knurrte Halyron. »Bevor er stirbt, soll er sehen, was aus seinem Schatz wird.«

Er griff nach dem geflochtenen Korb, hob ihn hoch und trat mit ihm an den Rand des Abgrunds.

Die Berserker drehten sich halb zu ihrem Anführer um. Leicht hätte Derg einen oder zwei von ihnen durch einen blitzschnellen Angriff jetzt ins Jenseits befördern können. Er tat es nicht. Er wollte sehen, ob Halyron das gelang, was ihm verwehrt war. Derg nutzte die geteilte Aufmerksamkeit der rau­hen Gesellen lediglich dazu, ein Stück vom Abgrund fortzukommen und sich so einen sichereren Stand zu verschaffen. Er schätzte seine Chancen längst nicht mehr so gering ein wie eben noch. Und sollte Halyron ihn von seiner Last befreien, um so besser für ihn.

Der Anführer der Taambergbewohner hob den Korb über seinen Kopf, holte aus und …

»Was ist?« rief Derg. »Worauf wartest du noch?«

Halyron ächzte, preßte die Kiefer aufein­ander und spannte die Muskeln so an, daß der junge Pirat fast glaubte, sie müßten ihm aus der Haut platzen.

Mit einem Wutschrei ließ Halyron den Korb fallen, wobei er einen Teil der Quorks ausschüttete. Doch kein einziger glitt über den Rand der Plattform. Die Berserker beka­men große Augen, als sie zusahen, wie ihr Anführer die Knochen aufsammelte und

wieder in den Korb legte. Halyron deutete auf einen von ihnen.

»Patkol, komm her! Wirf du das Zeug hinunter!«

Derg triumphierte innerlich, als er sah, wie Halyron sich etwas zu schnell zurück­zog und die Quorks dem Gerufenen über­ließ. Dennoch blieb er wachsam.

Auch der zweite Berserker versuchte sich erfolglos an den Quorks.

»Was ist los, Patkol? Wirf sie fort!« bellte Halyron.

»Ich … kann es nicht!« schrie der Berser­ker. »Meine Arme …«

»Du kannst sie nicht bewegen?« Patkol setzte den Korb ab. Halyron wink­

te den nächsten Mann heran. Das Ergebnis blieb das gleiche. Onte Derg triumphierte, obgleich er noch

wenig Grund dazu hatte. Im Gegenteil muß­te er befürchten, daß die Berserker ihren Zorn nun doppelt an ihm auslassen würden. Außerdem spürte er wieder, wie sich die Angst in sein Herz schlich. Aber er fand plötzlich eine neue Erklärung dafür, daß of­fensichtlich niemand die Quorks beseitigen konnte. Er sprach aus, was er dachte, als Ha­lyron sich finster und drohend vor ihm auf­baute – gerade weit genug weg von ihm, um nicht in Reichweite des tödlichen Messers zu sein.

»Was hast du mit den Knochen ge­macht?« wollte der Berserker wissen. »Sie sind verhext!«

»Nicht verhext. Für andere als euch sind sie ein Vermögen. Wahrscheinlich liegt ein magischer Bann auf ihnen, der sie gegen Räuber sichert.«

Daran mochte tatsächlich etwas Wahres sein, sagte er sich. Seine Wahnvorstellungen von einer Wiedergeburt der Yuugh-Katze waren zweifellos auf seine überreizten Ner­ven zurückzuführen. Er glaubte schon an die Legende. Aber erklärte ein magischer Bann auch, daß die Quorks aus dem Boden wuch­sen? Sollte er das nicht gerade verhindern? Und der Zwang, sie zur FESTUNG zu brin­gen?

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Dann gehörten sie einst den Herren der FESTUNG! dachte der junge Pirat. Er nick­te. Das mußte die Erklärung sein. Die ehe­maligen Herrscher hatten sie hier vergraben lassen, zusammen mit den anderen Kostbar­keiten, und diesen Schatz durch Magier ver­siegeln lassen. Wer immer ihn fand, wurde dazu gezwungen, ihn zur FESTUNG zu­rückzubringen.

Derg lachte laut über seine eigene Dumm­heit. Wie hatte er sich von einem Aberglau­ben in die Knie zwingen lassen können!

Halyron grunzte wütend. Derg wurde schlagartig ernst und streckte dem Berserker das Messer entgegen. Dann glaubte er nicht richtig zu hören, als Halyron knurrte:

»Wir haben dir nichts versprochen, Kerl. Aber du kannst gehen.«

Der junge Pirat starrte ihn fassungslos an. »Gehen? Du meinst … ihr laßt mich lau­

fen? Einfach so?« »Nicht einfach so. Wir werden mitkom­

men. Vielleicht führst du uns an. Dann wer­den wir es merken und dich töten. Der Weg über den Berg ist noch lang.«

»Kehrt um!« wehrte Onte Derg ab. »Ich habe genug mit den Quorks zu tun. Mit euch im Rücken würde ich …«

»Du mußt sie zur FESTUNG bringen«, schnitt Halyron ihm das Wort ab. »Wir kom­men mit. Wir helfen.«

Derg zuckte kaum merklich zusammen. Er hatte kein Wort darüber verloren, daß

sein Ziel die FESTUNG war! »Geh!« befahl Halyron. »Wir zeigen dir

den Weg.« Onte Derg löste sich von der Wand und

ging vorsichtig, keinen der Berserker aus den Augen lassend, auf den Korb zu. Haly­ron beobachtete ihn aus schwarzen, kalten Augen. Als der Pirat sich an ihm vorbei­schieben mußte, griff er blitzschnell nach dem Messer und riß es ihm aus der Hand. Im nächsten Augenblick saß es an Dergs Kehle.

Derg blickte in Halyrons grinsendes Ge­sicht und wartete auf den tödlichen Stoß.

Doch dieser blieb aus. Halyron knurrte und gab ihm die Klinge zurück.

»Damit wir uns richtig verstehen«, sagte er, »jetzt nimm den Beutel. Den Korb tragen wir.«

Das einzige, das Onte Derg begriff, war, daß die Berserker nun ebenso unter dem ge­heimnisvollen Bann standen wir er selbst.

Wortlos bückte er sich, steckte das Mes­ser in den Gürtel und nahm den Beutel. Zwei Berserker trugen den Korb. Halyron winkte und machte sich an den Aufstieg.

Derg fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Doch er spürte eine gewisse Er­leichterung, als er dem Berserker folgte.

Solange sie unter dem magischen Bann standen, war er wohl sicher vor ihnen. Aber wenn er erlosch …?

*

Als sie den Kamm erreichten, war es Tag. Halyron und seine Männer kannten diesen

Berg tatsächlich so gut, als hätten sie ihn schon ein dutzendmal bestiegen. Halyron führte die Gruppe Wege hinauf, die Derg niemals allein gefunden hätte. Dennoch schwand seine Hoffnung, nun das Schlimm­ste hinter sich gebracht zu haben, als er die tiefen, zerfurchten Schluchten und steilen Abhänge sah, die er noch zu überwinden hatte, ehe er auf ebenes Gelände kam. Das ungewisse Licht ließ ihn nicht viel von dem Land jenseits des Gebirges erkennen, aber einmal glaubte er, in der Ferne eine lange Kolonne von Wesen zu sehen, die sich nach Südwesten wälzte.

Ziehende Nebelschwaden, sagte er sich. Er spürte ein Ziehen in seinem Hinter­

kopf. Onte Derg kannte dieses Gefühl. Selt­samerweise hatten die Quorks ihn während der Dunkelheit in Ruhe gelassen. Jetzt drängten sie ihn wieder zum Weitergehen.

Die Berserker mußten das gleiche fühlen. Es war ein schweigsamer Aufstieg gewesen. Halyron hatte kein Wort mehr geredet. Derg hatte das untrügliche Gefühl, daß auch sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlten – aber wie er nichts gegen den Zwang unternehmen konnten.

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»Weiter«, murmelte er. Ein schmaler Pfad führte vom Kamm herab auf ein Felsplateau, hinter dem die Schluchten begannen. Zur Linken ragte der Gipfel des Goscholth auf, der zu jeder Jahreszeit unter Schnee und Eis lag. Doch auch hier wehte ein eisiger Wind.

Schweigend marschierten die Männer weiter, bis sie das Plateau überquert hatten. Ringsherum gab es nur Schluchten. Derg legte den Beutel ab und schüttelte den Kopf. Wie sollte es nun weitergehen?

Am Rand des Plateaus standen einige dür­re Nadelbäume. Derg versuchte, ihre Höhe abzuschätzen. Halyron hatte den gleichen Gedanken wie er.

»Wir holen uns einen von ihnen«, sagte der Berserker. »Dieser dort müßte lang ge­nug sein, um als Brücke zu dienen.«

Derg erschauerte, als er einen Blick in die Tiefe warf.

Als er sich wieder den Berserkern zu­wandte, sah er, daß zwei von ihnen ver­schwunden waren. Es gab einige Höhlen, in denen sich zwanzig Männer verstecken konnten. Aber die Quorks würden sie zu­rückholen. Was versprachen sie sich?

Halyron schien das Verschwinden seiner Männer nicht zu bekümmern. Er zog die Axt aus seinem breiten Gürtel, der schmutzige, verlauste Felle zusammenhielt, und ging zu den Bäumen hinüber. Derg folgte ihm, sich immer wieder umblickend. Insgeheim war­tete er auf das Ziehen im Hinterkopf. Doch diesmal blieb es aus.

Halyron fällte den höchsten der Bäume. Derg mußte beiseite springen, als der Stamm sich ächzend zur Seite neigte und auf den Fels krachte. Während die Berserker den dickeren Ästen mit ihren Äxten zu Leibe rückten, schnitt der junge Pirat die dünneren mit dem Messer ab.

Auf Halyrons Zeichen hin packten sie alle gemeinsam zu und schleiften den Stamm bis zum Abgrund.

Es war von vorneherein sinnlos gewesen. Als der Stamm zur Hälfte über der Schlucht lag, riß ihn sein Gewicht in die Tiefe.

Onte Derg fluchte.

Plötzlich sah er in der Wand auf der ande­ren Seite der Schlucht einen scharfen Vor­sprung, der spitz nach oben zeigte.

»Eure Seile«, sagte er zu Halyron. »Sind sie lang genug, um die Felsnadel dort damit zu erreichen?«

Der Berserker schüttelte den Kopf. »Nicht lang genug.«

»Aber wenn ihr sie aneinanderknotet?« »Vielleicht.« Halyron gab seinen Männern ein Zeichen.

Sie streiften die quer über ihren Oberkörpern hängenden, zusammengerollten Seile ab und begannen damit, die Enden zusammenzu­knoten, während Halyron in seines wieder eine Schlinge machte.

Doch auch so blieb das andere Ende der Schlucht unerreichbar. Meter vor der gegen­überliegenden Wand endete der Flug der Schlinge. Der Anführer der Berserker mach­te noch einige erfolglose Versuche, wobei er sich so nahe an den Abgrund wagte, daß Derg der Atem stockte. Dann schmetterte er das Seil wütend zu Boden.

»Wir schaffen es nicht! Wir müssen hin­abklettern und durch die Schlucht gehen!«

Derg brauchte ihm nicht zu sagen, daß sie sich ebensogut gleich in die Tiefe stürzen konnten.

»Die beiden anderen«, fiel ihm ein. »Die beiden, die verschwunden sind! Auch sie ha­ben Seile!«

Halyron starrte ihn an, nickte schließlich grimmig und rief nach den Berserkern.

Deutlicher als bisher wurde Onte Derg klar, daß er und die Taambergbewohner auf­einander angewiesen waren, sollten sie ihr Ziel erreichen. Wenn es erforderlich war, ordnete er sich Halyron widerspruchslos un­ter – und umgekehrt.

Erst nach einer Viertelstunde erschienen die beiden Verlorengeglaubten. Derg stieß einen Schrei aus, als er sie aus einer der Höhlen kommen sah.

Sie trugen schwer an einem Fell, das wie ein Beutel oben von einem Riemen zusam­mengehalten wurde. Es war noch blutig. Schrammen und zerfetzte Haut gaben dem

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Piraten eine Ahnung von dem Tier, das sie getötet hatten, um etwas zu bekommen, in dem sie ihre Beute tragen konnten.

Schon bevor sie das Fell ablegten und den Riemen lösten, wußte der junge Pirat, was sie darin transportierten.

Vor ihm lagen weitere beschnitzte Kno­chen, mindestens hundert Quorks.

»Wo habt ihr sie gefunden?« fragte Derg tonlos. »Und wie?«

»Sie lagen einfach da«, sagte einer der Berserker. »In der Höhle, auf dem Boden.«

»Sonst nichts? Keine anderen Schätze?« Beide Berserker schüttelten den Kopf. Halyron streckte ihnen fordernd die Hand

entgegen. »Eure Seile!« Sie reichten sie ihm. Kurz darauf schwang

Halyron die Schlinge des nunmehr gut fünf­zig Meter langen Seiles. Beim dritten Ver­such legte sie sich um die Felsnadel.

»Du zuerst!« befahl Halyron dem Piraten. Derg atmete tief durch. Der Berserker hat­

te das andere Ende des Seiles um einen mächtigen Stein gebunden, wenige Meter vor dem Abgrund. Derg zog prüfend daran, bevor er seinen Beutel aufnahm und ihn sich am Gürtel befestigte.

Er vertraute sich dem Seil an. Er hatte keine Wahl.

9.

Leenia verbrachte die Nacht in der Höhle wie Tausende von Nächten zuvor. Doch sie schlief nicht. Als es draußen hell wurde, setzte sie sich wieder vor den Eingang.

Längst hatte sie an den Worten des Sehers zu zweifeln begonnen. Zwar glaubte sie nach wie vor, daß er ihr über das Erscheinen der Körperlosen die Wahrheit gesagt hatte. Doch in einem Punkt mußte er sich geirrt haben.

Sie würden nicht noch einmal versuchen, in der unmittelbaren Nähe des Dunklen Oheims zu materialisieren.

Sie hatte Hunger und Durst. Auch dies machte ihr deutlich, daß sie nichts mehr mit

der Körperlosen gemein hatte, die einmal in der Höhle auf den Ruf wartete. Im Zugor be­fanden sich Wasser und Nahrungsmittel. Die Versuchung, hinab zu klettern, war groß. Und dennoch …

Wenigstens einige Stunden wollte sie noch warten. Sollte Sadak doch recht behal­ten, und die Körperlosen würden hier er­scheinen, ohne sie zu finden, würde sie sich ewig Vorwürfe machen.

Aber was wollten sie wirklich hier? Diese Frage hatte sie die ganze Nacht

über beschäftigt. Sollten sie am Ende doch noch begriffen haben, daß sie in der Schuld einiger Sterblicher standen, um diesen Sterb­lichen nun, im Augenblick höchster Gefahr …?

Leenia schüttelte traurig den Kopf. Selbst falls sie sich besonnen hätten – was sollten sie tun? Die Nähe des Dunklen Oheims, die ihn umgebende negative Ausstrahlung war absolut tödlich für sie. Sie konnten nichts gegen ihn unternehmen. Sie hatten es noch nie gekonnt.

Oder wußten sie, wie der nicht abreißende Strom der Selbstmörder aufzuhalten war?

Leenia gab sich irrealen Hoffnungen hin. Dieses Wissen verstärkte ihren Unmut nur noch. Sicher vermißte man sie in der FE­STUNG. Der Zugor wurde gebraucht. Und auch für sie gab es anderswo genug zu tun.

Noch drei Stunden! dachte Leenia. Sie brauchte nicht so lange zu warten.

Plötzlich spürte sie, wie sich etwas vor ihr aufbaute. Es war, als ob elektrischer Strom durch ihren Körper geleitet würde. Leenia sprang auf und wich bis zum Höhleneingang zurück.

Vor ihr begann die Luft zu flimmern. Gleißende Helligkeit stach ihr in die Augen. Sie kniff sie zusammen. Als sie wieder klar sehen konnte, schwebte eine energetische Sphäre vor der Höhle, etwa kugelförmig mit einem Durchmesser von gut zwei Metern. Die Konturen waren nicht klar zu erkennen. Mitten in dieser blauweiß strahlenden Sphä­re glaubte Leenia verschwommene Gestalten zu sehen.

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Leenia hatte Mühe, beherrscht zu bleiben und die Erinnerungen zurückzudrängen, die sich an die Oberfläche ihres Bewußtseins schieben wollten. Gefühle erfaßten sie, die sie längst überwunden zu haben glaubte. Sie blieb stehen, wo sie war, und als sie die laut­losen Stimmen in ihrem Kopf vernahm, war sie völlig ruhig.

Du bist gekommen, empfing sie. Es war deine letzte Chance.

»Meine Chance?« fragte sie sarkastisch, während sie zu ergründen versuchte, ob sie die Wesenheiten kannte, die zu ihr sprachen. »Ihr seid nicht hier, um mir Vergebung an­zubieten.«

Nein, Leenia, obwohl viele von uns einse­hen, daß wir selbst die Verantwortung für dein Scheitern tragen – nicht du. Unser Auf­enthalt hier ist begrenzt. Darum stelle keine Fragen mehr. Nimm nur die Botschaft auf, die wir dir im Auftrag der Gemeinschaft übermitteln, und leite sie an jene weiter, in deren Händen das Schicksal dieser und an­derer Welten liegt.

»Darum mußte ich zu euch kommen?« fragte sie trotzig. »Ebensogut hättet ihr in der FESTUNG erscheinen können. Ich bin nicht mehr und nicht weniger als Atlan und die anderen! Ihr hättet ihnen die Botschaft direkt bringen können!«

Sie erschrak vor sich selbst. War sie so wenig von sich und ihrer neuen Existenz überzeugt, daß sie ihnen klarmachen mußte, daß sie lebte? Daß sie nicht länger ein Ge­schöpf der Körperlosen war, nur zu einem einzigen Zweck geschaffen?

»Es tut mir leid«, flüsterte sie und schlug die Augen nieder.

Sie sah die Sphäre durch die geschlosse­nen Lider.

Wir verstehen dich, empfing sie. Viel­leicht. Aber nun öffne dich, Leenia. Unsere Zeit läuft ab.

Zeit! Der Begriff klang bitter für Wesen, die es gewohnt waren, Jahrtausende wie Stunden zu zählen.

Leenia nickte und öffnete ihren Geist. Sie glitt hinein in eine Welt ohne Ende, in

einen Kosmos, der grenzenlos war. Für Au­genblicke ließen die Körperlosen sie noch einmal die Wunder erleben, die sie aufgege­ben hatte. Und sie spürte ihr Mitgefühl und eine gewisse Bewunderung für sie, die den Mut gehabt hatte, alle Brücken hinter sich abzubrechen – um einer ungewissen Zukunft willen.

Dann vernahm sie die Botschaft. Leenia stand noch mit geschlossenen Au­

gen an den Fels des Höhleneingangs ge­lehnt, als die Sphäre sich in einer grellen Leuchterscheinung auflöste.

Sie war wieder allein. Wie eine Schlafwandlerin ging Leenia

den Pfad zum Zugor hinab. Was sie erfahren hatte, schlug sie ganz in seinen Bann, ob­wohl sie zweifelte.

Sie hatte der Gemeinschaft also unrecht getan. Die Körperlosen wollten nicht taten­los zusehen, wie Pthor unterging oder noch einmal vom Dunklen Oheim dazu benutzt würde, blühende Welten zu zerstören und ganze Zivilisationen in die Sklaverei zu pressen.

Genau genommen, war dies der ganze In­halt der Botschaft gewesen. Und obwohl et­was von der Zuversicht der Körperlosen auf sie übergestrahlt war, konnte Leenia nicht daran glauben, daß sie etwas gegen die fin­stere Macht des Dunklen Oheims sollten ausrichten können.

Pthor sollte vorbereitet sein, in der Stunde der Entscheidung – aber worauf?

Das Erscheinen der Körperlosen war eher dazu angetan, die Verwirrung noch zu ver­größern als Hoffnung zu geben.

Leenia hatte die schlimme Befürchtung, daß sich jene, denen sie ihre Existenz ver­dankte, überschätzten.

Leenia kletterte in den Zugor und startete die Flugschale. Als sie die Maschine auf Kurs gebracht hatte, stand sie immer noch wie träumend vor der Steuersäule.

Was war in den Höheren Welten gesche­hen, seitdem sie den Kontakt verloren hatte? Warum hatten die Körperlosen sie nur das sehen lassen, was sie kannte?

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Einmal dachte Leenia daran, daß die in der Lebensblase gespeicherten Energien in die Höheren Welten übergeflossen sein konnten, nachdem der Ring um den Planeten Ritiquian sich aufgelöst hatte. Sie verwarf den Gedanken. Das energetische Niveau der Lebensblase konnte nicht dem der Höheren Welten entsprechen. Atlan hatte ihr von Yeers und Olken berichtet, den beiden Kör­perlosen, die in ihr gefangen gewesen wa­ren. Sie hätten eine Möglichkeit gefunden, eine Verbindung zu ihrem Kontinuum zu schaffen, falls dies machbar gewesen wäre.

Resigniert zuckte sie die Schultern. Sie würde Atlan die kurze Botschaft überbrin­gen. Das war alles, was sie nun tun konnte.

Ein Blick zum Wölbmantel hinauf führte ihr die grausame Realität wieder eindring­lich genug vor Augen. Unter ihr wälzten sich wieder Tausende von Wesen in Rich­tung Kalmlech, zum alles verschlingenden Krater.

Panik stieg in ihr auf, als sie sich ein­dringlich vor Augen führte, daß Pthor und die anderen Dimensionsfahrstühle vom Dunklen Oheim umschlossen waren – und der schwarzen Masse, die vormals die dunklen Kerne der finsteren Sonnen gebildet hatte.

Der Oheim hatte auch nach dem Tod der Neffen nichts von seiner eigentlichen Macht verloren! Er war heute um ein Vielfaches stärker als damals, als er sich diese Galaxis Untertan machte!

Leenia schüttelte sich und ballte die Hän­de zu Fäusten. Der Schmerz, als sich ihre Fingernägel ins Fleisch bohrten, brachte sie zur Besinnung.

Sie steuerte den Zugor mit Höchstge­schwindigkeit zur FESTUNG, landete das Fahrzeug und überließ es einer Gruppe von Dellos, die den Auftrag hatten, Inspektions­flüge zu unternehmen. Dann machte sie sich sofort auf den Weg zu Atlan.

Die beiden Spezialandroiden vor dem Raum, in dem nun das Parraxynt unterge­bracht war, wichen schnell vor ihr zur Seite. Sie fragten nicht wie sonst nach ihrem Na­

men, und sie hatte das Gefühl, daß sie scheu in die andere Richtung blickten, nur um kei­ne Fragen beantworten zu müssen.

Leenia zuckte die Schultern. Es gab Wichtigeres als sich seltsam aufführende Dellos.

Leenia stieß die Tür auf und sah Atlan im Goldenen Vlies. Sie konnte ihr Erschrecken vor Razamon kaum verbergen. Der Pthorer stand mit ausdrucksloser Miene vor dem an einer Stelle noch weit offenen Ring von et­wa zwei Meter Durchmesser, in dessen Mit­telpunkt Atlan ein Bruchstück nach dem an­deren vom Boden aufhob.

Nur kurz blickte der Arkonide sie an und nickte ihr abwesend lächelnd zu, um dann sofort mit seiner Arbeit fortzufahren. Fas­sungslos sah die ehemalige Körperlose, wie seine Hände ein regelrechtes Eigenleben zu entwickeln begannen. Nach einigen erfolg­losen Versuchen konnte Atlan eine weitere Lücke im Parraxynt schließen.

Razamon winkte Leenia zu sich herüber und nahm ihren Arm.

»Störe ihn jetzt besser nicht«, flüsterte er. »Aber …« Sie schüttelte verständnislos

den Kopf. »Aber ihr wußtet doch, wie ge­fährlich der Anzug werden konnte!«

Razamon biß die Zähne zusammen und warf Atlan einen undefinierbaren Blick zu.

»Er weiß es«, sagte er. »Aber nichts und niemand hätte ihn davon abhalten können, ihn dennoch anzulegen. Bisher deutet nichts darauf hin, daß er die Kontrolle über sich verliert.«

Leenia sah Atlan in seinem unnatürlich wirkenden Arbeitseifer, und blickte den Ber­serker skeptisch an. Es war offensichtlich, daß Razamon nicht weiter über dieses The­ma sprechen wollte.

»Ich habe eine Botschaft für ihn«, erklärte Leenia.

»Jetzt nicht«, wehrte Razamon ab. »Kannst du es mir nicht sagen?«

»Natürlich.« Sie mußte ein ungutes Ge­fühl mit Gewalt unterdrücken. »Razamon, wir bekamen Besuch. Dort, wo ich im Tief­schlaf lag, erschienen einige Körperlose in

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einer Sphäre, die sie offensichtlich für kurze Zeit vor der Aura des Dunklen Oheims und der schwarzen Masse zwischen ihm und den Wölbmänteln schützte.«

Razamon runzelte die Stirn. »Offensichtlich? Du weißt es nicht ge­

nau?« »Ich weiß noch weniger über sie, als ich

bisher glaubte. Aber darum geht es nicht. Sie kamen, um euch eine Botschaft zu über­bringen. Viel kann ich nicht damit anfangen. Sie sagten nicht, was sie beabsichtigten. Aber ich spürte ganz deutlich, daß sie sich für unser Dilemma mitverantwortlich füh­len. Wir kämpften letztlich ja auch für sie. Sie sehen ein, daß sie uns zu Dank ver­pflichtet sind, weil der Dunkle Oheim die Schwarze Galaxis verlassen hat und ihnen so, nachdem die dunklen Kerne der Sonnen nicht mehr als solche existieren, das Mate­rialisieren im Bereich der Schwarzen Gala­xis wieder möglich geworden ist. Das ist fast schon alles, Razamon. Wir sollen wissen, daß sie uns nicht vergessen haben und im entscheidenden Augenblick …« Sie zögerte, zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was sie tun werden und können, aber wir sollen auf irgend etwas vorbereitet sein.«

»Im entscheidenden Augenblick?« Raza­mon blickte sie ernst an. »Was wissen sie über die Zukunft?«

Wieder zuckte sie die Schultern. Fast wirkte sie hilflos.

»Ich weiß es nicht. Und sollten sie mehr wissen als wir, so teilten sie es mir nicht mit. Wir sollen vorbereitet sein. Das war alles. Vielleicht hätten sie mir mehr sagen können, wenn sie die Zeit dazu gehabt hätten.«

Razamon nickte finster. »Ich werde es Atlan sagen, sobald er wie­

der ansprechbar ist.« Leenias Unbehagen wuchs, als sie den

Arkoniden eine Weile beobachtete. Wollte Razamon nicht sehen, daß er schon jetzt un­ter dem Bann des Goldenen Vlieses stand?

»Solange ich auf ihn aufpassen muß, kann ich mich nicht um die Pthorer kümmern,

Leenia«, sagte der Berserker. »Übernimm du das für mich. Bei Aghmonth gab es Schwierigkeiten. Jene, die nun über die Brücke kommen, sind ausgehungert und to­tal erschöpft. Trotzdem treibt es sie unbarm­herzig vorwärts. Es müssen weitere Wasser­vorräte und Nahrungsmittel hingeschafft werden. Unter den Fremden, die noch eini­germaßen bei Kräften sind, brachen Kämpfe um das wenige aus, das die Pthorer in aller Eile zusammentragen konnten.«

Leenia nickte. Noch einmal blickte sie zu Atlan hinüber, der gerade ein weiteres Parra­xynt-Stück in den Ring einfügen konnte. Sie wandte sich zum Gehen und blieb kurz vor der Tür noch einmal stehen.

Razamon sah sie fragend an. Sie zog etwas aus einer Tasche. »Ein Quork«, murmelte sie. »Ich habe

keine Ahnung, woher ich ihn habe.« Sie erschrak, als sie Razamons veränder­

ten Gesichtsausdruck bemerkte. »Was ist? Stimmt etwas nicht?«

»Allerdings nicht. In der FESTUNG lau­fen Dellos und Pthorer mit Quorks herum, die sie werweißwo gefunden haben. Unser Freund Synk sollte in den Schatzkammern für Ordnung sorgen, aber seine Dellos war­fen alles durcheinander und hatten nur Au­gen für die Quorks. Synk sollte sich längst wieder gemeldet haben. Am besten gehst du zuerst zu den Lagerhallen hinunter und siehst dort nach dem Rechten. Da kannst du auch gleich den Quork abliefern.«

»Ich weiß wirklich nicht, wie er in meine Tasche kam«, murmelte sie. Razamon nickte nur.

»Sieh dich vor«, warnte er sie. »Die Del­los, denen ich begegnete, bewegten sich wie in Trance. Irgend etwas geschieht, und es hat mit den Quorks zu tun.«

»Was, Razamon?« fragte Leenia. »Wenn ich das wüßte! Vielleicht findest

du's heraus. Verdammt, als ob wir nicht schon genug Probleme hätten!«

Leenia machte sich auf den Weg. Schon bald darauf traf sie auf Pthorer, die Quorks vor sich her trugen. Sie bemerkte den eigen­

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tümlichen Schimmer in ihren blicklosen Au­gen im gleichen Moment, in dem sie spürte, wie etwas von ihr Besitz zu ergreifen ver­suchte.

Sie reagierte instinktiv und legte ihren Quork in die Hände eines Orxeyaners. So­fort schwand der Druck in ihrem Kopf.

Verwirrt folgte sie den Pthorern, bis sie die Treppe erreichte, die hinab zu den La­gerhallen führte.

Für einen Augenblick glaubte sie, träu­men zu müssen.

Es mochten an die hundert Pthorer und Dellos sein, die sich auf den Stufen dräng­ten. Und alle hatten sie Quorks in den Hän­den. Einige Händler trugen sogar prall ge­füllte Beutel.

10.

Onte Derg hing in schwindelerregender Höhe über dem Abgrund, das Seil mit klam­men Händen umfaßt und beide Beine dar­über geschlungen. Nur langsam kam er vor­wärts. Er sah die Berserker auf dem Plateau stehen und ihn beobachten. Derg biß die Zähne aufeinander. Der eisige Wind zerrte an ihm und ließ das Seil schaukeln. Er brachte vorsichtig eine Hand vor die andere und zog die Beine nach. Das Seil wollte kein Ende nehmen. Nur unmerklich kam er dem anderen Ende der Schlucht näher.

Aber irgend etwas gab ihm die Kraft, sich festzuhalten. Derg hatte keinen Zweifel dar­an, was dies war. Er riskierte es, das Seil mit einer Hand loszulassen, um den Halt des Beutels an seinem Gürtel zu überprüfen. Sollte er ihn verlieren …

Er verzichtete darauf, sich den Sturz in die Schlucht auszumalen. Mit zusammenge­preßten Zähnen arbeitete er sich weiter. Die Minuten zogen sich endlos in die Länge. Ei­nige Male glaubte er, überhaupt nicht von der Stelle zu kommen.

Die Berserker versuchten, ihn durch Zuru­fe aufzumuntern.

Endlich berührte er mit dem Hinterkopf den Fels der Steilwand. Seine Beine lösten

sich vom Seil und fanden Halt. Kurz darauf kletterte er über den Rand des Felsens und stand neben der Nadel, um die die Schlinge gelegt war.

Er atmete einige Male tief durch, bevor er den Berserkern zurief:

»Der nächste bringt den Korb mit, die an­deren dann das Fell!«

Halyron hatte den Korb bereits mit Rie­men am Seil befestigt. So konnte er ihn vor sich herschieben, als er sich auf den Weg machte.

Erst als auch der letzte der Gruppe neben Onte Derg stand, atmete der junge Pirat auf, ohne sich zu große Illusionen über den wei­teren Weg zu machen, der noch vor ihnen lag.

Halyron holte das Seil ein und reichte es einem seiner Männer, die es entknoteten und die einzelnen Teile an ihre Besitzer weiter­gaben. Dann nahmen sie ihre Quorks auf und machten sich an den Weitermarsch.

Weitere Schluchten teilten das Gebirge. Die meisten konnten relativ leicht umgangen werden. Über andere spannten sich verwit­terte Hängebrücken. Im großen und ganzen aber kamen Onte Derg und die Berserker ei­ne Weile lang gut voran.

Und überall fanden sie Quorks, in Höhlen, kleineren Spalten und unter spärlich wach­sendem Gebüsch. Sie sammelten sie schwei­gend und sahen sich bald wieder vor die Si­tuation gestellt, nicht alle Knochen allein und ohne weitere Körbe oder Felle tragen zu können.

Derg fiel auf, daß die Berserker zuneh­mend unruhiger wurden.

In einem windgeschützten Felskessel leg­ten sie ihre Lasten ab und machten Rast. Ih­re Füße trugen sie kaum noch. Derg wußte, daß sie sich höchstenfalls eine Viertelstunde lang ausruhen konnten, bevor die Quorks sie zum Weitergehen zwangen.

»Es muß einen Weg geben, die Quorks loszuwerden«, knurrte Halyron. »Wenigstens einen Teil.«

»Es gibt keinen«, entgegnete Derg. »Du hast es erlebt.«

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»Vielleicht haben wir's nur falsch ange­fangen.« Der Anführer der Berserker blieb stur. Doch hinter der zur Schau getragenen grimmigen Entschlossenheit verbarg sich nackte Angst vor etwas, das diese rauhen, unkomplizierten Gesellen nicht verstanden. Ihre Freiheit ging ihnen über alles, und nun hatten sie nicht einmal mehr die Freiheit, einfach umzukehren oder sich ihrer Last zu entledigen.

»Vergiß es, Halyron«, sagte Derg. »Wir könnten uns anbinden und die

Quorks in eine Schlucht stoßen.« Halyron deutete auf eine Reihe von Bäumen, die dicht an einem Abhang am anderen Ende des Kessels standen. »Auch wenn wir zu ra­sen beginnen, können wir den Quorks nicht in die Tiefe folgen. Wir werden vielleicht die Hölle erleben, aber irgendwann muß der Bann gebrochen sein.«

Derg stand auf, ging um die Quorks her­um und trat in plötzlichem Zorn gegen den Korb.

»Du könntest dich nicht einmal an den Baum fesseln!« rief er. »Sie kennen unsere Gedanken und werden schon im voraus wis­sen, was wir tun wollen!«

»Du bist verrückt!« bellte Halyron. »Die Angst hat schon deinen Verstand zerfressen! Wie sollen Knochen unsere Gedanken ken­nen können? Ich werde dir zeigen, daß du verrückt bist!«

Der Anführer der Berserker stand eben­falls auf, nahm sein Seil von der Schulter und ging auf einen der Bäume zu.

»Bring den Korb her!« Derg zuckte die Schultern und kam der

Aufforderung nach. Er stellte die Quorks vor Halyrons Füßen ab, knapp einen Meter vor dem Abgrund.

Halyron warf das Seil um den Stamm und fing das Ende mit der anderen Hand auf.

Aber er konnte es nicht vor seiner Brust verknoten. Er starrte seine Hände an, die ihm nicht mehr gehorchten.

»Bist du jetzt überzeugt?« Der Berserker fluchte und trat nach dem

Korb. Sein Fuß schien gegen eine unsichtba­

re Wand zu prallen. Halyron wurde vom ei­genen Schwung nach vorne gerissen. Im letzten Moment packte Derg seinen Arm und rettete ihn vor dem Sturz in die Tiefe.

»Wir müssen weiter«, sagte er und er­kannte an der Grimasse, die Halyron schnitt, daß der Drang auch wieder in ihm war.

Schweigend trugen die Berserker und der Pirat die Quorks weiter. Jene, die im Korb und dem Fell keinen Platz mehr fanden, steckten sie sich unter die Kleidung oder tru­gen sie in den Händen.

Sie marschierten eine Weile am Rand der Schlucht entlang, bis diese sich so weit ver­engte, daß sie sie überspringen konnten.

Sie sahen weitere Quorks am Boden. »Nein!« schrie Halyron. »Ich hebe keinen

mehr auf!« Er sah, daß einer seiner Männer sich

bückte, war mit einem Satz bei ihm und riß ihn zurück.

»Das gilt für euch alle! Wir lassen sie lie­gen!«

»Das würde ich an eurer Stelle nicht tun«, sagte jemand.

*

Onte Derg fuhr herum und sah eines der merkwürdigsten Wesen hinter einem Stein hervortreten, das er je erblickt hatte.

Der Fremde war kaum einen Meter groß, humpelte auf zwei verschieden langen Bei­nen und umschlang mit Armen, die so lang waren wie er selbst, einen bis oben hin mit Quorks gefüllten Korb. Ein zweiter, noch leer, hing auf seinem Rücken.

Von seinem Gesicht war vor lauter zu kleinen Zöpfen geflochtenen weißen Haa­ren, die bis auf die Brust reichten, kaum et­was zu erkennen. Nur eine riesige Nase teil­te die Zöpfe, so daß gerade noch die beiden kleinen Äuglein zu sehen waren, aus denen der Fremde die Berserker und Derg vor­wurfsvoll anblickte. Dabei hatte der junge Pirat den Eindruck, daß er sie nur schwach wahrnahm. Sein ganzes Interesse galt den am Boden liegenden Quorks. Gekleidet war

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er in einen viel zu langen Mantel, der über ein halbes Dutzend weit ausgebeulter Ta­schen verfügte.

»Ich würde es an eurer Stelle nicht tun«, sagte er wieder. »Ihr müßt sie schon mitneh­men.« Dabei lachte er meckernd. Er schien nicht die geringste Angst vor den Herren des Taambergs zu haben.

Auch als Halyron sich ihm drohend entge­genstellte, lachte er nur.

»Du wirst keinen einzigen aufheben«, grunzte der Berserker. »Überhaupt, was hast du hier zu suchen?«

»Quorks«, versetzte der Zwerg. Halyron fluchte und riß ihm den Korb aus

den Armen. Derg wartete auf die Schmerzen, das Zie­

hen im Hinterkopf. Zu seiner Überraschung blieben sie aus.

Der Zwerg ging um Halyron herum und ignorierte auch die Axt, die der Berserker aus seinem Gürtel zog. Derg erschrak, als er die Absicht des Taambergbewohners er­kannte, und warf sich ihm in den Arm.

Der Fremde hob einen der Quorks nach dem anderen auf. Zwei Berserker machten ebenfalls wieder Anstalten, sich nach ihnen zu bücken.

Halyron starrte Derg haßerfüllt an und versuchte, den Arm mit der Axt freizube­kommen. Mit einer Kraft, die den Piraten selbst überraschte, hielt er ihn fest umklam­mert, so fest, daß Halyron schließlich auf­gab.

»Ich hätte dich sofort töten sollen!« knurr­te der Berserker. »Und ich werde es tun, so­bald wir … frei sind! Dich und den Zwerg!«

»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun«, sagte der Gnom, ohne aufzublicken.

Halyron schrie so laut, daß Derg glaubte, seine Trommelfelle müßten ihm platzen. Er stieß den Berserker von sich und sah, wie der Zwerg grinsend aufschaute.

Etwas an ihm erinnerte ihn an einen … Magier?

Derg hatte keine rechte Vorstellung von den Bewohnern der Großen Barriere von Oth. Was er über sie gehört hatte, ließ ihn

allerdings glauben, daß es sich bei ihnen um ziemlich seltsame Geschöpfe handelte.

Ohne Halyron weiter zu beachten, trat er auf das Wesen zu. Freiheraus fragte er:

»Bist du ein Magier?« Kurz dachte er an seinen ursprünglichen

Verdacht, ein Magier könnte hinter dem Auftauchen der Quorks stecken, um ihn zu narren. Sollte er damit doch recht gehabt ha­ben?

»Ein Magier?« Der Zwerg kicherte. »Habt ihr denn nicht gehört, was inzwischen ge­schehen ist? Aber wenn ihr's genau wissen wollt: nein, ich bin keiner von ihnen. Ich le­be schon so lange in den Schluchten und Tä­lern des Taambergs, daß ich mich nicht erin­nern kann, wann und wie ich hierherkam. Und die dummen Berserker haben mich kein einzigesmal erwischt!«

»Warte, du …!« brüllte Halyron. Die Hand mit der Axt war wieder in der Luft. Im letzten Augenblick, bevor er den Zwerg er­schlagen konnte, stellte Derg ihm ein Bein. Halyron schlug schwer hin und verlor die Waffe aus der Hand. Blitzschnell griff Derg danach und riß sie fort, bevor der Berserker wieder danach greifen konnte.

Die anderen Taambergbewohner schoben sich drohend heran, doch ihre Bewegungen waren unsicher.

»Jetzt hörst du mir zu, Halyron!« schrie Derg. »Auch wenn der Bursche kein Magier ist, hat er mich auf eine Idee gebracht! Wenn wirklich ein magischer Bann auf den Quorks liegt, so können wir nicht gegen ihn ankämpfen! Vielleicht aber können wir ihn brechen!«

Halyron starrte ihn aus großen Augen an wie ein seltenes Tier.

»So!« brüllte er, außer sich vor Zorn. »Und wie stellst du dir das vor?«

»Eine Beschwörung. Wir müssen es mit einer Beschwörung versuchen.«

Der Zwerg drehte sich zu ihm um und grinste.

»Das würde ich an eurer Stelle gar nicht erst versuchen.«

Derg winkte ungehalten ab. Noch immer

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45 Im Zeichen der Yuugh-Katze

»meldeten« die Quorks sich nicht. »Beschwörungen«, murmelte Halyron, als

er aufstand. Zweifelnd musterte er Derg. »Dann verstehst du etwas davon? Wir Ber­serker kennen natürlich auch bestimmte Be­schwörungsformen, aber …«

»Das meine ich nicht. Als ich noch mit den anderen Piraten den Regenfluß befuhr, nahmen wir einmal einen Mann gefangen, der von sich behauptete, ein aus Oth versto­ßener Magier zu sein. Er mußte uns einige überlieferte Gesänge und Formeln beibrin­gen. Er konnte tatsächlich den Wind günstig beeinflussen und zeigte uns gewisse magi­sche Werkzeuge, die überall in der Natur zu finden sind – auch hier.« Derg zuckte die Schultern. »Wir fanden heraus, daß er ein Schwindler war, der nie zu den Magiern von Oth gehörte. Das kostete ihn seinen Kopf. Aber auch wenn er log, so vermochte er dies und das zu erreichen, das nur durch eine ge­wisse Magie möglich war.«

»Ja, und?« fragte Halyron. »Du glaubst, du weißt genug, um eine Beschwörung ver­suchen zu können?«

»Versuchen, ja. Was haben wir zu verlie­ren? Aber wir müssen den richtigen Ort da­für finden. Hier ist es sinnlos.«

»Warum?« wollte der Berserker wissen. »Unter anderem, weil wir noch nichts ha­

ben, das wir dazu brauchten. Magische Stei­ne zum Beispiel.«

Was er sagte, schien den Zwerg über alle Maßen zu belustigen. Der Gnom vergaß so­gar für einige Augenblicke die Quorks und hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Du glaubst nicht, daß wir es können?« fuhr Halyron ihn an.

»An eurer Stelle würde ich …« »An deiner Stelle würde ich aufpassen,

was ich sage!« schrie der Berserker. »Oder ich schneide dir die Zunge heraus!«

»Das kannst du tun, wenn ich's dir auch nicht raten würde«, versetzte der Zwerg un­gerührt. »Aber vorerst braucht ihr mich noch, um euch zu helfen, die Quorks zur FE­STUNG zu tragen.«

»Ja, aber dann erschlage ich dich!«

Er streckte die Hand fordernd nach der Axt aus. Derg versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Dann reichte er sie ihm schwei­gend.

Er spürte das Ziehen im Hinterkopf, dann die Schmerzen …

»Weiter!« sagte er. »Ich sage euch, wenn wir die richtige Stelle gefunden haben, um die Beschwörung zu versuchen.«

Aber er dachte: Haben die Quorks meine Absicht nicht längst durchschaut? Wird die Magie, die sie schützt, mein Vorhaben nicht schon von vorneherein vereiteln?

Er biß die Zähne zusammen und hob den nächsten Quork auf. Es kam auf den Ver­such an.

Halyron hielt sich etwas abseits. Hin und wieder fing Derg haßerfüllte Blicke des Ber­serkers auf. Die anderen Taambergbewohner hingegen schienen mit ihren Gedanken nicht in dieser Welt zu sein.

War es Zufall, daß der Zwerg plötzlich an Dergs Seite ging? Der junge Pirat hatte das Gefühl, von diesem unheimlichen Fremden beobachtet zu werden.

»Du bist also auch unterwegs zur FE­STUNG?« fragte er überflüssigerweise. Das Schweigen der anderen zerrte an seinen Ner­ven.

»Ich würde mir an deiner Stelle keine Ge­danken über mich machen«, sagte der Gnom. »Lieber darüber, wie wir beide den Berserkern entkommen, nachdem wir unser Ziel erreicht haben.«

»Wir haben es noch nicht erreicht«, knurrte Derg. »Bis dahin kann noch vieles geschehen.«

»Da hast du recht«, pflichtete ihm der Zwerg bei. »Ich heiße übrigens Mal – und du?«

»Mal? Ein merkwürdiger Name.« Der Gnom kicherte, blieb stehen und öff­

nete den Mantel ein Stück über der Brust, so daß der junge Pirat seine Haut sehen konnte.

»Findest du ihn immer noch merkwür­dig?« fragte er.

11.

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46 Horst Hoffmann

Es fiel Leenia nicht leicht, sich ihren Weg die Treppe hinab zu bahnen. Die Pthorer und Dellos reagierten nicht auf sie. Mit glänzen­den Augen standen sie da und verteidigten jeden Fußbreit, den sie den Lagerhallen nä­hergekommen waren. Leenia mußte sich zwischen ihnen hindurchdrängen und auf­passen, daß sie nicht über fremde Füße stol­perte. Sie war schweißgebadet, als sie das Ende der Stufen endlich erreicht hatte.

Hier bot sich ihr ein noch erschreckende­res Bild. Der Gang war vollgepfropft mit Wartenden. Einige, die schon vor Stunden hier erschienen sein mochten, lagen vor den großen, schweren Türen der Lagerhalle, in der sich die Quorks befinden mußten. Denn die beiden anderen Hallen wurden von ihnen nicht belagert.

Leenia arbeitete sich bis zu den Liegen­den vor und stieg über sie, bis sie die Tür berühren konnte.

Ein Pthorer hob den Kopf und sagte, ohne sie anzusehen:

»Es hat keinen Zweck. Wir müssen alle warten. Er hat sie von innen verriegelt.«

»Wer ist ›Er‹?« fragte die ehemalige Kör­perlose. Doch der Pthorer war schon wieder in seinen Dämmerzustand versunken.

Er brauchte ihr nicht zu antworten. Leenia seufzte und schlug mit der Faust gegen das Metall.

»Sator, hörst du mich? Ich bin's, Leenia!« Eine Weile war nichts zu hören, dann

Schritte, die sich der Tür von der anderen Seite her näherten, und schließlich zaghaft Synks Stimme:

»Leenia?« »Ja, Sator. Mach auf!« Wieder dauerte es eine Zeitlang, bis der

Orxeyaner antwortete. »Das werde ich nicht tun, Leenia. Bist du

… hast du Quorks?« »Natürlich nicht!« Sie erschrak. Wenn

dieser unerklärliche Zwang, von überallher Quorks zu beschaffen und hier abzuliefern, jeden befiel, der sich in diesem Teil der FE­STUNG bewegte, warum dann nicht auch sie? Natürlich hatte sie gespürt, wie etwas

sie dazu zwingen wollte, »ihren« Quork in die Halle zu bringen, doch dieser Drang war erloschen, als sie ihn aus der Hand gab. Aber wie weit reichte der Einfluß wirklich, wenn auch schon die Händler ihre Wagen vor der FESTUNG verließen? Und konnte sie die Pthorer um sie herum davon befreien, wenn sie ihnen ihre Quorks abnahm?

Wieso war Synk nicht betroffen? Oder war er es?

»Ich habe keine Quorks, Sator, und ich bin Herrin meiner Sinne, falls du das meinst. Wie steht's mit dir?«

Synks Lachen klang hohl. »Ich bin in Ordnung. Aber ich werde

nicht öffnen, damit die Verrückten über mich herfallen. Ich habe genug damit zu tun, die zu lähmen, die mit mir in der Halle sind. Und … ich muß gegen den Einfluß ankämp­fen. Geh zu Atlan und sage ihm, daß …«

»Ich komme von ihm, Sator!« »Und er ist normal?« Leenia spürte Zorn in sich aufkeimen. Sie

verlor die Geduld. »Sator, entweder öffnest du jetzt, oder ich

zerstrahle die Tür!« »Das würdest du nicht tun!« schrie der

Orxeyaner entsetzt. »Dann öffne!« »Leenia!« Synks Stimme klang weiner­

lich. »Begreifst du nicht, was dann gesche­hen wird? Die Legende! Wenn alle Quorks hier zusammengetragen werden, wird der Körper der Yuugh-Katze aus ihnen wieder­erstehen!«

»Sator, es gibt 30 Millionen Quorks!« »Das weiß ich, aber wir werden sie bald

alle hier haben, weil …« »Sator Synk!« rief Leenia. »Ich zähle jetzt

bis drei. Wenn du dann nicht den Riegel ent­fernt hast, zerstrahle ich die Tür. Eins!«

»Leenia, du machst einen Fehler! Du weißt nicht, was ich weiß!«

»Zwei!« »Leenia, höre mich an! Die Quorks sind

…« »Drei! Geh weg von der Tür, Sator!« Leenia hörte nicht auf das Gejammer des

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Orxeyaners. Sie stieg wieder über die Kör­per der Liegenden, bis sie etwa drei Meter Raum zwischen sich und die Tür gebracht hatte.

Sie stand ganz still, die Augen geschlos­sen. In ihr begannen sich Energien aufzu­bauen, das letzte, das noch an ihre Herkunft erinnerte.

Als sie die Augen wieder aufschlug, brannte violettes Feuer in ihren weiten Pu­pillen. Im nächsten Moment verschossen sie grelle Strahlbahnen, die sich schnell ins Ei­sen der Tür fraßen. Die Pthorer und Dellos wichen entsetzt zur Seite, bis sie den Riegel fallen hörten.

Leenias Augen erloschen. Als hätte sie ei­ne Lawine ausgelöst, wurde sie von der Menge mitgerissen, die nun unaufhaltsam in die Lagerhalle drängte, deren Tür andere schon aufgestoßen hatten.

Leenia stockte der Atem, als sie den Quork-Berg sah.

Sator Synk hockte zitternd im hintersten Winkel der Halle und sah mit wild klopfen­dem Herzen zu, wie die Pthorer die Tür ein­drückten und in den Raum stürzten. Es wa­ren Hunderte, und jeder brachte Quorks mit!

Synk sah Leenias Haar kupferrot zwi­schen den vielen Leibern schimmern und versuchte, sie durch Winken und Schreien auf sich aufmerksam zu machen. Sie sah ihn, doch bevor sie sich aus dem Knäuel der Pthorer herausarbeiten konnte, vergingen Minuten.

Heftig atmend ließ sie sich neben Synk zu Boden sinken. Als sie merkte, wie es um den Orxeyaner bestellt war, legte sie ihm in­stinktiv einen Arm um die Schulter und zog ihn an sich.

»Du hast einen furchtbaren Fehler ge­macht, Leenia«, flüsterte Synk. »Du glaubst, daß ich phantasiere, aber die Quorks leben. Sie kommen sogar aus den Wänden. Die Yuugh-Katze! Es ist doch kein Aberglaube. Es wird geschehen, und …«

»Hör auf damit!« sagte sie etwas zu hef­tig, während sie fasziniert und bestürzt zu­gleich verfolgte, wie einer der Pthorer nach

dem anderen seine Schätze auf den Berg legte. Ein Teil der Quorks mochte ihnen selbst gehören, aber die meisten mußten sie gestohlen haben.

Wo? Ihre Hand fuhr über Synks Stirn. Leenia

erschrak. Es mußte viel schlimmer um den Orxeyaner stehen, als sie bisher angenom­men hatte. So wie jetzt hatte sie ihn noch nie gesehen. Die Haare klebten in seinem schweißnassen Gesicht. Seine Zähne schlu­gen aufeinander, und nun schloß er die Au­gen, um nicht mehr sehen zu müssen, was geschah. Zweifellos hatte er Fieber.

Was hatte er erlebt – was gesehen, als er allein mit ein paar Gelähmten und den Quorks in der Halle war? Plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, daß er nur phanta­sierte.

Quorks, die aus den Wänden herauskom­men …

Sie mußte sich zur Geduld zwingen, um abzuwarten, bis alle Pthorer und Dellos ihre Quorks abgeliefert hatten und die Halle ver­ließen. Vereinzelt kamen weitere, die dem unheimlichen Zwang folgen mußten. Aber das Schlimmste schien für den Moment überstanden.

Leenia half Synk auf die Beine. Noch im­mer den Arm um ihn gelegt, näherte sie sich mit ihm den Quorks. Der Haufen reichte nun schon fast bis zur Decke. Leenia spürte wie­der, wie etwas sie in seinen Bann zu schla­gen versuchte. Sie brachte es nur mit Mühe fertig, es abzuwehren.

»Also, Sator«, sagte sie. »Was weißt du? Was ist mit den Quorks, die aus den Wän­den wachsen sollen?«

Synk beobachtete ängstlich einen Dello, der einen gefüllten Beutel auf den Berg warf und dadurch einen Quork-Rutsch verursach­te. Erst als sie für einen Augenblick allein waren, sagte er zu Leenia:

»Ich habe nicht phantasiert. Komm, ich zeig's dir.«

Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu einer Stelle der dem Eingang gegenüber­liegenden Wand. Dicht über dem Boden hat­

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48 Horst Hoffmann

te er Bretter und Teile von zerbrochenen Stützbalken aufgetürmt. Synk vergewisserte sich noch einmal, daß sie allein waren. Dann erst entfernte er das Holz.

Leenia starrte auf eine ein Meter mal zwanzig Zentimeter große Öffnung in der Wand. Am Boden darunter lagen Steine und Mörtel – und fünf Quorks.

»Du hast das getan«, sagte sie leise zu Synk. »Du hast die Wand aufgebrochen. Warum? Woher wußtest du, daß gerade hier …?«

»Leenia, du willst nicht begreifen! Ich ha­be nichts getan! Ich hörte und sah, wie plötzlich die Wand aufbrach. Als ich näher heranging, sah ich auch schon, wie sich die Quorks aus der Mauer herausschoben! Ir­gend jemand muß sie eingemauert haben, als diese Hallen entstanden – oder später!«

Etwas an Synks Blick sagte Leenia, daß er bei klarem Verstand war. Nein, der Orxeya­ner phantasierte sich nichts zusammen. Es war so, wie er sagte.

Aber dann … »Verstehst du endlich?« fragte Synk.

»Meinetwegen gibt es 30 Millionen Quorks. Meinetwegen sind unzählige davon verlo­rengegangen und liegen irgendwo tief unter der Erde. Bisher hielten wir es für absolut unmöglich, daß jemand sie alle zusammen­tragen könnte. Aber wenn sie es selbst be­sorgen, Leenia? Wenn sie selbst dafür sor­gen, daß sie an einem Ort vereinigt werden – was dann?«

Leenia hockte sich vor den Schutt und hob vorsichtig die Quorks auf. Sofort spürte sie wieder, wie etwas sich in ihr Bewußtsein drängen wollte. Schnell warf sie die Quorks auf den Haufen.

»Leenia, was geschieht hier?« fragte Synk flüsternd.

Sie blickte ihm in die Augen und wußte, daß sie ihm nicht viel zu sagen hatte. Furcht schloß sich um ihr Herz. Erschreckende Vi­sionen plagten sie für Sekunden.

Sie riß sich zusammen. Ihr schönes Ge­sicht verhärtete sich.

»Bisher wissen wir nur, was im Bereich

der FESTUNG geschieht, Sator«, flüsterte sie, als die nächsten Pthorer ihre Quorks brachten.

»Aber Pthor ist groß. Wir sehen bestimmt nur Gespenster.«

Synk schwieg. Er brauchte auch gar nichts zu sagen, denn er sah die Zweifel in Leenias Blicken, die scheu den Quork-Berg streiften.

»Außerdem«, fügte sie hinzu, »siehst du an uns beiden, daß nicht alle dem fremden Einfluß unterliegen müssen. Wahrscheinlich liegt es daran, daß du und ich die Gefahr kennen, und sei es auch nur eine Gefahr, die wir uns einbilden. Deshalb sind wir ziemlich immun. Das gleiche mag für Atlan, Raza­mon und die anderen Gefährten gelten.«

»Bist du da so sicher?« fragte Synk zwei­felnd. Wieder musterte sie ihn, und er tat ihr leid. Synk, der Mann, der es mit Tod und Teufel aufnahm, der noch nie einer Rauferei aus dem Weg gegangen war, hatte Angst vor dem, das er nicht begriff. In diesen Augen­blicken war er nur ein Häufchen Elend. Sie zog unwillkürlich seinen bärtigen Kopf an ihre Brust, und Synk gab einen tiefen Seuf­zer von sich.

Vermutlich wäre er liebend gern in dieser Position geblieben und hätte am Busen der Frau, der seine stille Liebe galt, auch die Quorks vergessen.

Es sollte ihm nicht vergönnt sein. Leenia mußte Razamon von den Vorgängen in die­sem Teil der FESTUNG unterrichten. Schon wollte sie Synk sanft von sich schieben, als sie drei Dalazaaren die Halle betreten sah.

Die großen dunklen Jäger aus dem Blutd­schungel brachen vor dem Quork-Berg völ­lig erschöpft zusammen. Ihre spärliche Be­kleidung war total verschmutzt, Arme und Beine mit Wunden übersät. Die unheimliche Kraft, die sie bis hierher getrieben hatte, war erloschen, nachdem sie ihr Ziel endlich er­reicht hatten.

Sie trugen zwei Körbe, die randvoll mit Quorks waren.

»Nicht nur in der FESTUNG …«, flüster­te Synk. »Da siehst du es, Leenia. Es ge­

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schieht überall auf Pthor …«

*

Als Leenia und Synk den Raum mit dem Parraxynt erreichten, waren die beiden Del­los verschwunden. Leenia brauchte nicht zu raten, wohin sie gegangen waren.

Sie stieß die Flügeltür auf. Synk folgte ihr nur zögernd. Zu seiner Angst kam nun das schlechte Gewissen. Atlan hatte ihm doch befohlen, ihn sofort zu benachrichtigen, so­bald sich wieder etwas Unvorhergesehenes ereignete.

Ein Blick auf den Arkoniden aber zeigte ihm, daß er vorläufig mit keinem Strafge­richt zu rechnen hatte.

Razamon winkte den Ankömmlingen hef­tig zu, sich zu ihm zu gesellen. Leenia war nicht fähig, den Blick von Atlan zu wenden.

Er bemerkte ihr Erscheinen überhaupt nicht mehr. Wie in tiefer Trance tappte er zwischen den Bruchstücken des Parraxynts umher, das sich inzwischen um ein weiteres Stück geschlossen hatte. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Atlan sich nun völlig im Bann des Goldenen Vlieses befand – wie vor ihm Valschein.

»Warum hast du es nicht verhindert?« fragte Leenia Razamon.

»Ich versuchte es«, flüsterte der Berser­ker. »Verdammt, ich habe es versucht, aber es ist unmöglich! Soll ich riskieren, daß er stirbt, wenn ich ihm das Vlies herunterrei­ße?«

»Was dir nicht gelingen würde«, sagte Leenia. Schnell berichtete sie ihm, was un­ten bei den Lagerhallen geschah – und wahr­scheinlich überall auf Pthor.

Kein Muskel zuckte im Gesicht des Ber­serkers. Razamon stand da wie aus Stein ge­meißelt, während Atlan ein weiteres Bruch­stück des Parraxynts in den großen Ring ein­fügte.

»Kann das, was die Pthorer dazu zwingt, die Quorks hierherzuschaffen, mit dem Par­raxynt zusammenhängen?« fragte Leenia leise.

Razamon schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ausschließen können

wir es kaum.« Sein Kopf fuhr in die Höhe. »Nehmt alle Zugors, die wir noch haben, und versucht, euch draußen einen Überblick zu verschaffen. Ich erwarte euch hier zu­rück.«

»Falls wir noch genug normale Pthorer finden, die einen Zugor fliegen können«, sagte Leenia finster. »Razamon, was können wir für Atlan tun?«

»Nichts«, sagte der Berserker tonlos. »Er wird nicht im Goldenen Vlies sterben wie Valschein. Die Frage ist: Was schafft er?«

Leenia erschauerte, als Atlan das nächste Bruchstück einfügte.

*

Bevor Leenia sich zu den Zugors begab und sich eine Mannschaft zusammensuchte, betrat sie einen Kontrollraum, um sich dort über die Lage bei den »Landbrücken« zu in­formieren.

Die Wesen, die nun von Aghmonth ka­men, waren wieder von anderer Art als jene, die den Terkeen gefolgt waren. Ähnlich sah es bei den anderen Berührungspunkten Pthors mit den benachbarten Dimensions­fahrstühlen aus.

An einigen Stellen wurde um die bereitge­stellten Wasser- und Nahrungsmittelvorräte erbarmungslos gekämpft. Daß das, was die Diener des Dunklen Oheims zum Krater und in den Tod trieb, für kurze Zeit den elemen­taren Bedürfnissen der Unglücklichen unter­lag, konnte für die ehemalige Körperlose kein Trost sein.

Nichts hielt die Todgeweihten auf. Nichts konnte das andauernde Massensterben ver­hindern. Angesichts der schrecklichen Bil­der und dem furchtbaren Gefühl der eigenen Hilflosigkeit war Leenia für Augenblicke nahe daran, zu resignieren.

Etwas Unbekanntes führte die Diener des Oheims in den Tod. Etwas Unbekanntes zwang die Pthorer, alle auffindbaren Quorks zur FESTUNG zu bringen. Leenia war da­

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von überzeugt, daß selbst die geizigsten Händler aus Orxeya sich auf dem Weg hier­her befanden.

Und der ganze Pseudoplanet aus vielen hundert Dimensionsfahrstühlen, umschlos­sen vom Dunklen Oheim und der schwarzen Masse aus negativer Energie, näherte sich immer weiter seinem Ziel, unaufhaltsam.

»Der ›Verrostete Roboter‹…«, hörte sie Synk murmeln.

Sie blickte ihn fragend an, mit den Gedan­ken draußen in den Weiten von Pthor.

Synk winkte traurig ab.

»Es war ein Traum, Leenia. Ein schöner Traum, aber eben nur ein Wunsch. Er wird sich nie erfüllen.«

Sie wußte nicht, wovon er sprach, noch viel weniger, daß auch ihr eine Rolle in die­sem Traum zugedacht gewesen war. Sie stellte keine Fragen und nickte dem Orxeya­ner nur zu, daß er ihr folgen sollte. Die Zu­kunft erschien ihr dunkel, schwarz wie die Masse, die den Kunstplaneten umgab.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 496 von König von Atlantis mit:

Die Stunde des Magiers von Horst Hoffmann