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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 9. JAHRGANG Nr. 49 6. DEZEMBER I93 o 0BERSICHTEN. IMMUNIT.~T UND SCHUTZIMPFUNG BEI TUBERKULOSE*. Von Privatdozent Dr. K. LYDTIN. Aus der I. Medizinischen Klinik der Universitiit Mfinchen (Direkt0r: Prof. v. ROMBERG). I. Die Schutzimpfungsfrage bei der Tuberkulose ist auf das engste verknfipft mit der Frage, welche Bedeutung fiberhaupt Immunit~itserscheinungen far den Ablauf der tuberkul6sen Infektion beim einzelnen wie ffir das Tuberkuloseerkrankungs- bild eines Volkes haben. So interessiert ganz besonders in Deutschland diese Frage nicht allein den Immunbiologen und den Epidemiologen, sondern im gleichen Mage den Kliniker. Ist doch die 1Klinik der Tuberkulose seit 2 Jahrzehnten mit dem Immunit~tsproblem iiberlastet. Jede Ver6ffentlichung aus der Klinik der Tuberkulose muB sich bei den heute be- stehenden Anschauungen mit der Immunit~tsfrage in doch offenkundig unfruchtbarer Weise auseinandersetzen. Wir haben gerade in einer Zeit, in der wieder einmal eine Schutz- impfung gegen die Tuberkulose die Welt erregt, also mehr- fach AnlaB, uns fiber die Bedeutung spezifischer Umstim- mungsvorg~nge und damit fiber die Wirkungsm6glichkeit einer Schutzimpfung gegen Tuberkulose kritisch Rechenschaft zu geben. Bei der Er6rterung dieser Frage k6nnen wir uns gar nicht eindringlich genug vor Augen ifihren, dab trotz allem das viM- geschm/ihte Tierexperiment uns die Kenntnisse yon Lebens- vorg~ingen beim tuberkul6s infizierten Organismus vermittelt hat, die sich als Immunitgtserscheinungen auswirken k6nnen. Je umfassender wir den historischen Werdegang unserer Kenntnisse fiber derartige Vorg~nge fiberblicken, um so mehr erkennen wir: das Tierexperiment l~uft ab, es kann nicht falsch oder richtig sein, nur kann es aus den verschiedensten Grfinden falsch gedeutet werden. So ist der scheinbar so ein- fache Grundversuch ROBERT KOCHS, auf den letzten Endes alle unsere Kenntnisse yon Immunit~tserscheinungen bei der Tuberkulose zurfickgehen, lange Jahre nicht best~tigt worden. Koch sah, dab ein tuberkul6ses Meerschweinchen auf die Zweitinfektion anders reagierte als ein gesundes Tier bei der Erstiniektion. W~hrend beim erstinfizierten Tier nach Wo- chen an der Erstinfektionsstelle der sog. Prim~raffekt auitrat, und nach weiteren Wochen die region~re Lymphdrfise er- krankte, kam es beim zweitinfizierten Tier schon nach wenigen Tagen zu einer Herdbildung an der Zweitinfekfionsstelle. Dieser Herd ulcerierte rasch, das Geschwfir reinigte sieh, die region~ire Lymphdrtise erkrankte unter Umst~nden nicht mehr. Die Tiere waren scheinbar fiberempfindlich und gegen Zweitinfektion geschtitzt. Koct~ selbst lieg sich yon diesen Beobachtungen zunlichst einen eigenen Weg leiten. Nicht die bier demonstrierte Infektions- immunit~t interessierte ihn. Ihm sprang in die Augen, dab es anch mit abget6teten Tuberkelbaeillen, mit Bestandteilen des Tuberkel- bacillus, kurz mit dem Tuberkulin gelingt, die erfolgte Umstimmnng zu demonstrieren. Er erhoffte sich yon diesem Tuberkulin in aller- erster Linie ein Heilmittel ffir das dringlichste ~rztliche Problem, itir die Behandlung des Heeres der tuberkuI6s Erkrankten. Von diesen so hoffnungsreich begonnenen Versuchen ist, was Heil- wirkung anlangt, relafiv wenig zuriickgeblieben. An Hand der nun 4 Jahrzehnte andauernden experimentellen und klinischen Er- Iahrungen mit dem Tuberkulin stebt Iest, dab es mit keinem Tuber- kulin gelingt, einen gesunden Organismus vor Krankheit zu schfitzen oder bei Erkrankung schlagartige klinische Heilnngen zu erzielen, * Vortrag gehalten am 21. Januar 193o in der Vereinigungder MiinchenerFachSrzte ftir innere Medizin. wie man sie sonst bei der spezifischen Behandlung von Infektions- krankheiten erwartet oder zu sehen gewohnt ist. Wir wissen nur: das Tuberkulin f~hrt beim infizierten nnd kranken Organismus zur Lokal-, Herd- und Allgemeinreaktion. Xrzflich besonders bedeut- sam ist die Herdreaktion. Sie kann die Neigung eines Prozesses zur Heilung f6rdern, sie kann den ProzeB auch verschlechtern. Aus ~rzt- licher Erfahrung wissen wir, dab wit diese doppelte Wirkungsm6g- lichkei% des Tuberkulins dann beherrschen, wenn gewisse reizbare Formen der Tuberkulose yon dem Tuberkulin flberhaupt verschont werden, wenn bei anderen F~llen das angewandte Tuberkulin sorg- samst dosiert, wenn die Herdreaktion so geringffigig gestaltet wird, dab sie klinisch nieht erfal3bar ist. Jede klinisch erfaBbare Herd- reakfion rflckt bei Lungenherden wenigstens die Gefahr einer Ver- schlechterung in unmittelbare NiChe. Die spezifische Behandlung erfordert also eine sorglichste Auswahl der F~lle, eine vorsiehtigste Dosierung and eine iortlaufende l~berwachung. Die Dinge liegen bei anderen Reizk6rpern nicht anders, nur dab wir im Tuberkulin einen wohl dosierbaren Reizk6rper besifzen, fiber den -- und darauf kommt es letzten Endes ja bei jeder Reizbehandlung an -- eine ausgedehnte Dosierungserfahrung vorlieg~. Das ist das Sichere, was wir yon der praktlsehen Tuberkulinwirkung heute wissen. So gedankenreieh zahlreiche Autoren ihre Tuberkulin- beobaehtungen mit einem Geb~ude yon Hypothesen auch fiberbaut haben m6gen, so resigniert stehen wir heufe den ersten an die Beobachtung yon spezifischen Umstimmungsvorg~ngen bei Tuber- kulose sich anschlieBenden spezifischen Heilversuchen gegenflber. Eine zweite A_ra setzte reichlich IO Jahre nach der Koch- schen Beobachtung ein. Es gelang vor allem ROEMER in ~uBerst exakten Untersuchungen am Meerschweinchen, und unabh~ngig yon ihm HAMBURGER, die scheinbar so wider- spruchsvollen Versuchsergebnisse, die bei Nachprfifung des Kochschen Grundversuches aufgetreten waren, zu kl~ren. Diese Versuche zeigten die Bedeutung der quantitativen Ver- h~ltnisse der Zweitinfektion ffir die verschiedenen beobach- teten Erscheinungen. Wohl trat bei einer bestimmten Zweit- infektionsdosis, so wie Koch es beobachtet hatte, der Prim~ir- affekt schon nach wenigen Tagen gewissermaBen zum zweiten Male auf. Er heilte unter Geschwfirbildung rasch ab, das Tier erschien fiberempfindlich und geschfitzt. W~hlte man eine gr6Bere Infekfionsdosis, traten unter Umst~nden ebenfalls l:lberempfindlichkeitserscheinungen ein, aber die Zweitinfek- tion ging trotzdem, wenn auch verz6gert, an. Bei ganz groBer Zweitinfektionsdosis starb das Tier akut innerhalb weniger Stunden. Man sah abet auch bei geniigend kleiner Zweit- infektionsdosis an der Stelle der Zweitinfektion fiberhaupt keine Erscheinungen. Die Zweifinfekfion ging nicht an, das Tier erschien dann unterempfindlich und geschiitzt. ROEMER gelang es welter, auch beim resistenteren, gr6Beren Tier, beim SchaI, durch eine VorinfektioI1 wenig virulenter Art, die nicht zu fortschreitender Erkrankung ffihrte, das Schaf gegen eine sonst t6dliche Zweitinfektion widerstandsf~ihiger zu machen. Die dutch diese Tierversuche nun anscheinend endgfiltig be- wiesene allgemeine Bedeutung spezifischer Umstimmungs- vorg~nge bei der Tuberkulose, die sich also unter Umst~nden als Immunit~t gegen eine Zweifinfektion auswirken k6nnen, Itihrte unmittelbar zur Obertragung auf die menschliche Tuberkulose. ROEMER kannte aus eigener Anschauung die Art der tuber- kul6sen Erkrankung bei bisher nicht tuberkulosedurchseuch- ten Naturv61kern, die im Falle einer Infektion an schweren generalisierten Tuberkulosen iihnlich denen unserer S~tuglinge erkranken. Er sah demgegenfiber das Vorherrschen der im Vergleich hierzu chronischeren und milderen isolierten Lungen- tuberkulose bei V61kern, bei denen die Tuberkulose schon lange heimisch war. Die Durchseuchung dieser V61ker war damals dutch die Untersuchungen yon ~fi~.GELI und BURK- HARDT anatomisch aufgezeigt,, die nachgewiesen zu hubert glaubten, daB sich bei rund 9o % der in zivilisierten L~ndern Klinische Wochenschrift, 9* Jahrg. 145

Immunität und Schutzimpfung bei Tuberkulose

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 9. J A H R G A N G N r . 49 6. D E Z E M B E R I 9 3 o

0BERSICHTEN. IMMUNIT.~T UND SCHUTZIMPFUNG BEI

TUBERKULOSE*. V o n

P r i v a t d o z e n t D r . K . LYDTIN. Aus der I. Medizinischen Klinik der Universitiit Mfinchen

(Direkt0r: Prof. v. ROMBERG).

I.

Die S c h u t z i m p f u n g s f r a g e bei der Tube rku lose i s t au f das engs te v e r k n f i p f t m i t de r Frage , welche B e d e u t u n g f i b e r h a u p t

�9 I m m u n i t ~ i t s e r s c h e i n u n g e n f a r den A b l a u f de r t u b e r k u l 6 s e n I n f e k t i o n b e i m e inze lnen wie ffir das T u b e r k u l o s e e r k r a n k u n g s - b i ld eines Volkes h a b e n . So in t e re s s i e r t ganz besonders in D e u t s c h l a n d diese F rage n i c h t a l le in den I m m u n b i o l o g e n u n d den Ep idemio logen , s o n d e r n i m gleichen Mage den Kl in iker . I s t doch die 1Klinik der T ube r ku l o s e sei t 2 J a h r z e h n t e n m i t d e m I m m u n i t ~ t s p r o b l e m i iber las te t . J ede Ver6 f f en t l i chung aus de r K l in ik der T u b e r k u l o s e muB sich bei den h e u t e be- s t e h e n d e n A n s c h a u u n g e n m i t de r I m m u n i t ~ t s f r a g e in doch o f f enkund ig u n f r u c h t b a r e r Weise ause inande r se t zen . W i r h a b e n g e r a d e in e iner Zeit , in de r wieder e i n m a l eine Schu tz - i m p f u n g gegen die T ube r ku l o s e die W e l t e r regt , also m e h r - f ach AnlaB, uns f iber die B e d e u t u n g spezi f ischer U m s t i m - m u n g s v o r g ~ n g e u n d d a m i t f iber die W i r k u n g s m 6 g l i c h k e i t e iner S c h u t z i m p f u n g gegen T u b e r k u l o s e k r i t i s ch R e c h e n s c h a f t zu geben.

Bei de r E r 6 r t e r u n g dieser F rage k 6 n n e n wir uns ga r n i c h t e ind r ing l i ch genug vo r A u g e n if ihren, d a b t r o t z a l l em das viM- geschm/ ih t e T i e r e x p e r i m e n t uns die K e n n t n i s s e y o n Lebens - vorg~ingen b e i m t u b e r k u l 6 s in f iz ie r ten O r g a n i s m u s v e r m i t t e l t ha t , die s ich als I m m u n i t g t s e r s c h e i n u n g e n auswi rken k6nnen . Je u m f a s s e n d e r wir den h i s t o r i s chen W e r d e g a n g unse re r K e n n t n i s s e f iber de ra r t ige Vorg~nge f iberbl icken, u m so m e h r e r k e n n e n wir : das T i e r e x p e r i m e n t l~uf t ab, es k a n n n i c h t fa l sch oder r i ch t ig sein, n u r k a n n es aus den v e r s c h i e d e n s t e n Gr f inden fa l sch g e d e u t e t werden. So is t de r s che inba r so ein- fache G r u n d v e r s u c h ROBERT KOCHS, auf den l e t z t en E n d e s alle unse re K e n n t n i s s e y o n I m m u n i t ~ t s e r s c h e i n u n g e n bei de r Tube rku lose zurf ickgehen, l ange J a h r e n i c h t b e s t ~ t i g t worden . K o c h sah, d a b ein t ube r ku l 6 s e s Meer schwe inchen auf die Zwe i t i n f ek t i on a n d e r s reag ie r t e als ein gesundes Tier bei de r E r s t i n i e k t i o n . W ~ h r e n d b e i m e rs t in f i z ie r t en Tier n a c h Wo- chen a n de r E r s t in fek t ionss t e l l e der sog. P r i m ~ r a f f e k t a u i t r a t , u n d n a c h we i t e r en W o c h e n die reg ion~re L y m p h d r f i s e er- k r a n k t e , k a m es b e i m zwei t in f iz ie r ten Tier schon n a c h wenigen T a g e n zu e iner H e r d b i l d u n g a n de r Zwei t infekf ionss te l le . Dieser H e r d u lcer ie r te rasch, das Geschwfir re in ig te sieh, die region~ire L y m p h d r t i s e e r k r a n k t e u n t e r U m s t ~ n d e n n i c h t mehr . Die Tiere w a r e n s c h e i n b a r f ibe rempf ind l i ch u n d gegen Zwe i t i n f ek t i on gescht i tz t .

Koct~ selbst lieg sich yon diesen Beobachtungen zunlichst einen eigenen Weg leiten. Nicht die bier demonstr ierte Infektions- immuni t~t interessierte ihn. I hm sprang in die Augen, dab es anch mit abget6teten Tuberkelbaeillen, mi t Bestandteilen des Tuberkel- bacillus, kurz mit dem Tuberkulin gelingt, die erfolgte Umst immnng zu demonstrieren. Er erhoffte sich yon diesem Tuberkulin in aller- erster Linie ein Heilmittel ffir das dringlichste ~rztliche Problem, itir die Behandlung des Heeres der tuberkuI6s Erkrankten. Von diesen so hoffnungsreich begonnenen Versuchen ist, was Heil- wirkung anlangt , relafiv wenig zuriickgeblieben. An Hand der nun 4 Jahrzehnte andauernden experimentellen und klinischen Er- Iahrungen mi t dem Tuberkulin s tebt Iest, dab es mit keinem Tuber- kulin gelingt, einen gesunden Organismus vor Krankhei t zu schfitzen oder bei Erkrankung schlagartige klinische Heilnngen zu erzielen,

* Vortrag gehalten am 21. Januar 193o in der Vereinigung der Miinchener FachSrzte ftir innere Medizin.

wie man sie sonst bei der spezifischen Behandlung von Infektions- krankhei ten erwartet oder zu sehen gewohnt ist. Wir wissen nur : das Tuberkulin f~hr t beim infizierten nnd kranken Organismus zur Lokal-, Herd- und Allgemeinreaktion. Xrzflich besonders bedeut- sam ist die Herdreaktion. Sie kann die Neigung eines Prozesses zur Heilung f6rdern, sie kann den ProzeB auch verschlechtern. Aus ~rzt- licher Erfahrung wissen wir, dab wit diese doppelte Wirkungsm6g- lichkei% des Tuberkulins dann beherrschen, wenn gewisse reizbare Formen der Tuberkulose yon dem Tuberkulin f lberhaupt verschont werden, wenn bei anderen F~llen das angewandte Tuberkulin sorg- samst dosiert, wenn die Herdreaktion so geringffigig gestaltet wird, dab sie klinisch nieht erfal3bar ist. Jede klinisch erfaBbare Herd- reakfion rflckt bei Lungenherden wenigstens die Gefahr einer Ver- schlechterung in unmit te lbare NiChe. Die spezifische Behandlung erfordert also eine sorglichste Auswahl der F~lle, eine vorsiehtigste Dosierung and eine iort laufende l~berwachung. Die Dinge liegen bei anderen Reizk6rpern n icht anders, nur dab wir im Tuberkulin einen wohl dosierbaren Reizk6rper besifzen, fiber den -- u n d darauf kommt es letzten Endes ja bei jeder Reizbehandlung an -- eine ausgedehnte Dosierungserfahrung vorlieg~. Das ist das Sichere, was wir yon der praktlsehen Tuberkulinwirkung heute wissen. So gedankenreieh zahlreiche Autoren ihre Tuberkulin- beobaehtungen mit einem Geb~ude yon Hypothesen auch fiberbaut haben m6gen, so resigniert stehen wir heufe den ersten an die Beobachtung yon spezifischen Umstimmungsvorg~ngen bei Tuber- kulose sich anschlieBenden spezifischen Heilversuchen gegenflber.

E ine zwei te A_ra se tz te re ich l ich IO J a h r e n a c h de r Koch- schen B e o b a c h t u n g ein. Es ge lang vo r a l l em ROEMER in ~uBers t e x a k t e n U n t e r s u c h u n g e n a m Meerschweinchen , u n d u n a b h ~ n g i g y o n i h m HAMBURGER, die s c h e i n b a r so wider - sp ruchsvo l l en Versuchsergebnisse , die bei Nachp r f i f ung des K o c h s c h e n G r u n d v e r s u c h e s a u f g e t r e t e n waren , zu kl~ren. Diese Versuche ze ig ten die B e d e u t u n g de r q u a n t i t a t i v e n Ver- h~l tn i sse de r Zwe i t i n fek t ion ffir die v e r s c h i e d e n e n b e o b a c h - t e t e n E r s c h e i n u n g e n . W o h l t r a t bei e iner b e s t i m m t e n Zwei t - in fek t ionsdos is , so wie K o c h es b e o b a c h t e t h a t t e , de r Prim~ir- a f f ek t s chon n a c h wenigen T a g e n gewissermaBen z u m zwei ten Male auf. E r he i l t e u n t e r Geschwf i rb i ldung r a sch ab, das Tier e rsch ien f ibe rempf ind l i ch u n d geschfi tzt . W ~ h l t e m a n eine gr6Bere Infekf ionsdos is , t r a t e n u n t e r U m s t ~ n d e n ebenfa l l s l : l be rempf ind l i chke i t s e r sche inungen ein, abe r die Zwei t in fek- t i on g ing t r o t z d e m , w e n n a u c h verz6ger t , an. Bei ganz groBer Zwei t in fek t ionsdos i s s t a r b das Tier a k u t i n n e r h a l b weniger S t u n d e n . M a n s ah a b e t a u c h bei gen i igend k le iner Zwei t - in fek t ionsdos i s a n der Stelle de r Zwe i t i n f ek t i on f i b e r h a u p t ke ine E r s c h e i n u n g e n . Die Zwei f in fekf ion ging n i c h t an, das Tier e r sch ien d a n n u n t e r e m p f i n d l i c h u n d geschi i tz t . ROEMER ge lang es wel ter , a u c h b e i m res i s t en te ren , gr6Beren Tier, b e i m SchaI, d u r c h eine VorinfektioI1 wenig v i r u l e n t e r Ar t , die n i c h t zu f o r t s c h r e i t e n d e r E r k r a n k u n g ff ihrte, das Schaf gegen eine sons t t6d l iche Zwe i t i n f ek t i on widers tandsf~ihiger zu machen . Die d u t c h diese T i e rve r suche n u n a n s c h e i n e n d endgf i l t ig be- wiesene a l lgemeine B e d e u t u n g spezi f i scher U m s t i m m u n g s - vorg~nge bei de r Tube rku lose , die s ich also u n t e r U m s t ~ n d e n als I m m u n i t ~ t gegen eine Zwei f in fek t ion auswi rken k 6 n n e n , I t ih r te u n m i t t e l b a r zu r O b e r t r a g u n g auf die m e n s c h l i c h e Tuberku lose .

ROEMER k a n n t e aus e igener A n s c h a u u n g die A r t de r t u b e r - ku l6sen E r k r a n k u n g be i b i she r n i c h t t u b e r k u l o s e d u r c h s e u c h - t e n Na tu rv61kern , die im Fal le e iner I n f e k t i o n a n schweren genera l i s i e r t en T u b e r k u l o s e n i ihnl ich d e n e n unse re r S~tuglinge e r k r a n k e n . E r s ah demgegenf ibe r das V o r h e r r s c h e n de r im Vergle ich h ie rzu ch ron i sche ren u n d mi lde ren i so l ier ten L u n g e n - t ube rku lo se bei V61kern, bei d e n e n die Tube rku lo se schon lange he imi sch war . Die D u r c h s e u c h u n g dieser V61ker wa r d a m a l s d u t c h die U n t e r s u c h u n g e n yon ~fi~.GELI u n d BURK- HARDT a n a t o m i s c h aufgezeigt, , die nachgewiesen zu h u b e r t g l aub ten , daB sich bei r u n d 9o % der in z iv i l i s ie r ten L ~ n d e r n

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Vers torbenen als Zeichen einer i ibers tandenen Infekt ion tuber- kulSse Narben nachweisen lassen. Bei dem Ergebnis der exper imente l len Unte r suchungen und dem Geist der Zeit lag es nahe, dab BEI:IRING und ROE~ER die Unterschiede zwischen der Naturv61ker tuberkulose und der z ivihsier ter V61ker dar- auf zurfickftihrten, dab die le tz teren durch das Ubers tehen einer Ers t in fek t ion bis zu e inem gewissen Grade geschfi tzt seien. J a die Schltisse gingen sogar so weir, dab eine Zei t lang die Anschauung ve r t r e t en wurde, dab eine Super infekt ion als Ursache der Tuberkulose der Erwachsenen t iberhaupt n icht in Frage komme, da diese ja durch eine t ibers tandene Kind- hei ts infekt ion geschti tzt seien. In die gleiche Zeit fielen die Beobach tungen yon ROMBERC und HAEDICKE, die im Gegen- satz hierzu in e indeut iger Weise gezeigt ha t ten , yon welch groBer prakt ischer Bedeu tung eine yon auBen he rankommende Super infekt ion ftir die E n t s t e h u n g der Lungentuberkulose des Erwachsenen ist. So rgumte man ein, dab der Schutz der Kindhei ts infekt ion, der erwiesen schien, nur durch eine mas- sige oder geh~ufte, yon aul3en he r ankommende Zweif infekt ion durchbrochen werden k6nne.

In dieses Geb~ude yon dem Bilde einer nat i i r l ichen Schutz- impfung glaubte K. E. RANKE im bewugten Zurtickgreifen auf die Behr ing-Roemersche Lehre mi t seinen kl inischen und ana tomischen Unte r suchungen den SchluBstein gelegt zu haben. E r i ibersah die mannigfachen Fo rmen der tuber- kulSsen E r k r a n k u n g und glaubte endgfil t ig ana tomisch be- wiesen zu haben, dab die isolierte Lungentuberkulose des Erwachsenen auf eine durch eine Ers t in fek t ion erworbene, wenigstens re la t ive I m m u n i t ~ t zurfickzuffihren ist.

Diese Vorste l lungen yon der Bedeu tung spezifisch er- worbener Immuni t~ t se r sche inungen beherrschen noch bis heute das medizinische Denken. Sie sind die Voraussetzungen, un ter denen man sich bemfiht , eine yon der N a t u r vorge- machte Schutz impfung so nachzumachen , dab die Verlust- konten der bei dieser v i ru len ten Durchseuchung zwangsl~iufig Wegs te rbenden ve rmieden werden. Es wird darauf zurtick- zukommen sein, dab diese Auffassung einer kr i t i schea Be- t r ach tung heute n icht mehr s tandNil t .

Auf alle FMle ha t t e diese Auffassung die ersten prakt i schen Schutz impfungsversuche unmi t t e lba r im Gefolge. Ausgehend yon der Erfahrung, dab humane Tuberkelbaci l len in der Regel be im Rinde keine t6dl iche E r k r a n k u n g hervorrufen, ver- suchten fast gleichzeit ig BEHRING m i t seinem Bovovaccin , K o c h und seine Schtiler mi t dem T a u r u m a n Rinder zu immu- nisieren. Diese zuni~chst gl~nzend gelungenen Schutz imp- fungsversuche sind noch heute Tes tversuche yon ganz be- sonderer Bedentung. Durch in t raven6se Vorbehandlung m i t humanen Tuberkelbaci l len wurden Rinder gegen nachfolgende schwerste Labora to r iumsinfek t ionen geschfitzt, w~hrend die Kont ro l len innerhalb weniger Wochen an schwersten Miliar- tuberkulosen starben. T r o t z d e m h a t diese Schutz impfung gegenfiber der natf ir l ichen Infekt ion mi t einzelnen wenigen Tuberkelbaci l len un te r den Verh~iltnissen des gew6hnlichen Lebens versagt . Der Schutz versag te einmal, weil er zeit l ich begrenzt war, die Schutzwirkung lieB offenbar nach e inem Jahre nach. Der Schutz h a t aber offenbar auch deshalb ver- sagt, well un te r gew6hnlichen Verh~iltnissen die Tiere n ich t gehegt und gepflegt in den Sta l lungen eines Labora to r iums stehen, sondern weil sie zu Arbei ts leis tungen, zur Milchwirt- schaft ausgenutz t werden. Unspezif ische Fak to ren haben also, wie B. LANGE mi t R e c h t be ton t hat , die spezifische Resis tenz- erh6hung illusorisch gemacht . Man kann sich gar n icht genug vor Augen hal ten, was es bedeutet , dab die im Labora to r iums- v~ersuch als enorm bewiesene Wirkung der Schutz impfung unter den Verh~ltnissen der nat t i r l ichen Ansteckung, bei nat t i r l icher H a l t u n g der Tiere und un te r dem Einflusse der Zeit sich nnmerkba r verlor. Keines der zahlreichen im Laufe der folgenden Jahrzehn te propagier ten Verfahren ha t im Tier- versuch die Wi rkung gezeigt, die yon KOCH und BEHRING erziel t wurde. A u f sie soll im einzelnen n ich t e ingegangen werden.

Fiir die bier beabsichtigte grunds~itzliche ErSrterung der Frage ist yon einer gewissen 13edeutung, dab heute auch die auf ROBErt KOCH zurackgehenden Versuche, mit abget6teten 13acillen zu

schatzen, abersehbar sind. Wenn man im Tierversuch die Zweit- infektion so gestaltet, dab keine Injektionskrankheit sondern eine Infektionskrankheit entsteht, l~Bt sich sehr wohl zeigen, dab auch die Vorbehandlung mit abget6teten 13acillen zu einer gewissen Resistenzerh6hung fahrt. In genfigend groBer 2denge injizierte abgetStete Tuberkelbacillen rufen einen lokalen AbsceB hervor, machen eine Tuberkulinempfindlichkeit, wie dies BESSAU framer behauptet hat. So vorbehandelte Meerschweinchen zeigen einen gewissen Schutz, der sich darin ~ul3ert, dab die Krankheitserschei- nungen verz6gert auftreten und die Krankheit etwas langsamer verlguft.

I I .

E in ganz besonderes Interesse f inder heute das Verfahren CAL•ETTE S, wohl weil es im Tierversuch einen immunisa to r i - schen Ef fek t e rkennen l~iBt und well die Ar t der Vaccine nach Meinung CALMETTES die Anwendung am Menschen zul~Bt, was ja bei dem im Tierversuch so wirkungsvol len Verfahren yon KOCH und BEHRING nicht in Frage kam. CALMETTE ging bei seinen auf mehrere Jahrzehn te zur t ickgehenden I m m u n i - s ierungsversuchen yon der Vorste l lung aus, dab es darauf an- komme, lebende aber n ich t k rankmachende Tuberkelbaci l len in dem zu scht i tzenden Organismus zur Aufnahme kommen zu lassen. Es ist nun CALMETTE zusammen mi t GU~RIN ge- lungen, durch ein besonderes Verfahren einen bov inen S t a m m so abzuschw~ichen, dab er auf Grund ihrer zahlre ichen Ver- suche ihnen mi t gu ten Grfinden unsch~dlich fa r den Menschen erscheinen konnte .

Selbst in relativ groBer Dosis parenteral verabreicht macht der Bacillus Calmettes und Gn6rins (BCG) beim Meerschweinchen, dem tuberkuloseempfindlichsten Tier, keine fortschreitende Erkrankung. Es entstehen bei subcutaner Einverleibnng lokale Abscesse, die regionAre Lymphdrt~se schwillt etwas an, bei intraven6ser Ein- verleibung entstehen miliare Lungenherde. Abet schlieBlich heilen alle diese Herde echten tuberkul6sen Gewebes framer wieder aus, wie dies in Tausenden von Tierversuchen yon zahlreichen Nach- prafern CALMETTES best~tigt wurde. Auf die Frage, ob der Stamm unter UmstAnden seine Virulenz wiedergewinnen kann und in welchem Mage praktisch mit dieser M6glichkeit gerechnet werden mug, soil in diesem Zusammenhange nicht eingegangen werden. Zu den 13eobachtungen der wenigen Autoren, die nach Verabreichung der Vaccine fortschreitende Tuberkulose bei Meerschweinchen beobachteten, und zu den eigenartigen 13efunden PETROFFS, dem es gelang, in einem besonderen Kulturverfahren virulente und aviru- iente Tuberkelbacillen aus der Vaccine herauszuztichten, ist in der letzten Zeit yon fachkundiger bakteriologischer Seite wiederholt Stellung genommen worden (]3. LANGE 1, KIRCI~NER2).

Wenn heute wohl die allgemeine Anschauung dahingeht, dab praktisch mit einer Virulenzsteigerung kaum zu rechnen ist, so sind doch die widersprechenden Beobachtungen einer Kl~rung dringend bedflrftig.

Nachdem mit diesem Stature wenig aberzeugende Schutz- versuche an Meerschweinchen und wenig glticMiche an Kaninchen vorlagen, wurde, besonders gesttitzt auf Rinderversuche, in denen es gelang, einen ~hnlichen Schutz zu demonstrieren wie bei den Verfah- ren KOCHs und 13EttRINGS, und auf auffallend giinstige Affen- versuche, die Anwendung far den menschliehen S~ugling empfohlen. 13el der 13bertragung auf den Menschen lieB sich CALMETTE nicht allein yon dem leiten, was er im Tierversuch beobachtet hatte. WAhrend bei der ganz aberwiegenden Mehrzahl wenigstens der glacklichen Tierversuche die Vaccine parenteral einverleibt war, wurde far den Menschen empfohlen, dieVaccine zu verffittern. Mai3- gebend war hierbei far CALMETTE die wohl nicht endgtiltig erwiesene Annahme, dab der Darm des Neugeborenen far die 13aeillen ganz besonders leicht durchl~ssig sei. AuBerdem hoffte er -- in der heute wohl nur noch yon einzelnen Autoren geteilten Annahme, dab die natiirliche Erstinfektion in der Regel durch den Darm zustande komme -- den natarlichen Infektionsweg damit nachzuahmen.

Wenn wir heute die zahlreichen fiber das Verfahren vor- l iegenden Tierversuche tibersehen, so kann es gar ke inem Zweifel unterl iegen, dab im T ie rexper imen t eine Schutz- wi rkung nachweisbar ist. Die einen Autoren haben mehr, die anderen weniger gesehen. Die einen haben an Meer- schweinchen, die anderen an Kaninchen oder an Rindern oder an Al len exper iment ie r t , und tiber die D e u t u n g dieser Tier- versuche geht heute der St re i t der Meinungen. Es ist gar kein Zweifel daran, dab die Verh~iltnisse beim Meerschwein- chen anders liegen als beim Menschen. Aber Rinder - oder Affenversuche k6nnen ebensowenig ohne weiteres auf den Menschen f ibertragen werden. Die einfache f3ber t ragnng des

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im Tierexperiment Beobachteten auf den Menschen wird im- mer zu Fehlschlfissen ftihren. Nur dann werden wir aus dem Tierexperiment etwas lernen, wenn wir bet der Tuberkulose an verschieden resistenten Rassen experimentieren, vor allem aber dann, wenn wir uns nicht aui die Beobachtung des im- munisatorischen Enderfolges beschr~inken, sondern wenn wir die verschiedenen Bedingungen studieren, unter denen ein Schutz fiberhaupt oder ein gr6Berer oder ein kleinerer Schutz zustande kommt. Wenn ich hierfiber unter besonderer Be- rficksichtigung meiner gemeinsamen Untersuchungen mit B. LANGE 3, bet denen wir yon vorneherein auf diese Bedin- gungen geachtet haben, zusammenfasse, so ergibt sich:

Ni t erstaunlicher 1Regelm~iBigkeit wird beim Meerschwein- chen, dem tuberkuloseempfiinglichsten Tier, bei geeigneter Versuchsanordnung eine Schutzwirkung erzielt Niemals aber ist dieser Schutz ein v511iger. Immer nur wird eine VerzSge- rung der Zweifinfektion erreicht, und die im Gefolge der Zweit- infektion auftretende Erkrankung verl~uft chronischer. Die quanti tat ive Beschr~nkung des erzielbaren Schutzes wird bereits dadurch demonstrierbar, dab der Schutz deutlicher ist gegeniiber einer Infektion mit einzelnen Bacillen eines m~iBig virulenten Stammes, als gegenfiber einer Infektion mit ein- zelnen Bacillen eines rol l virulenten Stammes.

Mit absoluter Regelm~iBigkeit l~iBt sich aber auch ferner zeigen, dab der Schutz nicht davon abh~ingt, dab einzelne lebende Bacillen im Organismus vorhanden sind, wie CAL- METTE meint. Der Schutz geht parallel dem Grade der Ein- wirkung der Vorbehandlung. Er ist abh~ngig yon der Art der Einverleibung und Dosierung der Vaccine. ]3ei parente- taler Vorbehandlung kommt es zu deutlicher, wenn auch schliel31ich ausheilender Herdbildung (Abscesse), und ent- sprechend der dadurch dokumenfierten starken Einwirkung ist der Schutz in Abh~ingigkeit yon der Dosierung mehr oder minder groB. Bet peroraler Einvefleibung kommt es selbst beim vielfachen, der yon CALMETTE angegebenen Dosis auch beim jungen Tier zu keiner sicher nachweisbaren Herdbildung, und dementsprechend ist yon ether fiberzeugenden Schutz- wirkung auch bet mildester Nachinfektion nichts nachweisbar.

Ganz besonders schwierig liegen die Verh~iltnisse beim Kaninchen. Es ist ein Ifir Tierversuche wenig beliebtes Tier, da es iniolge seiner individuell verschiedenen Resistenz selten reine Versuchsreihe.n ergibt. Infiziert man eine Reihe yon t(aninchen mit ether mittelstarken Infektion, so stirbt ein Teil der Tiere an Tuberkulose, ein Teil bleibt v611ig gesund. Hier k6nnte die Schutzimpfung doch offenbar zeigen, was sie leistet. Bet einigermaBen nachhaltiger Wirksamkeit mtiBten doch die vorbehandelten Tiere mindestens so gut abschneiden, wie die besten 14ontrollen. Davon war abet in den Versuchen yon B. LANGE und K. LYDTIN keine Rede. Auch mit groBen Dosen parenteral vorbehandelte Kaninehen starben an 3/iiliar- tuberkulosen, w~ihremd ein Tell der gleich infizierten I(ontrol- len v611ig gesund blieb. Ein gewisser Schutz war vielleicht Hut bet den intraven6s vorbehandelten Kaninchen erkennbar. Aber yon diesen so vorbehandelten Kaninchen war die H~ilfte der Tiere im Anschlul3 an die Vorbehandlung an Pasteurella- and Pneumokokkeninfektionen vor dem Prfifungsversuche weggestorben. Entweder hat also die eingreifende Vorbehand- lung die allgemein widerstandslosen Tiere ausgemerzt und in den Versuch kam nu t eine Auslese; oder man muB sagen, nu t die Vorbehandlung hat einen gewissen Schutz hinterlassen, die eine solche Einwirkung bedeutete, dab ein Teil der Tiere an den mittelbaren Folgen dieser Vorbehandlung gestorben ist. Ich erinnere an die Pasteurellaerkrankungen, die PETTE im AnschluB an die Variolavaccination bet Kaninchen auf- treten sah.

Auch bet groBen Versuchstieren liegen die VerhMtnisse im Prinzip gleich. Die einen Untersucher haben bet Rinderver- suchen einen guten, die anderen einen geringeren Schutz ge- sehen. Es scheint mir eine Verkennung der Tatsachen, wenn man dann dariiber streitet, wer glfickhcher und wer weniger glficklieh experimentiert hat. Auch bier n~mlich l~il3t sich zeigen, dab der Schutz nicht davon abh~ingt, ob einige Bacillen zur Aufnahme in die eine oder die andere Lymphdrfise ge- langen, sondern in welcher Zahl sie dorthin kommen und

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welche Wirkung sie auI den Gesamtk6rper ausfiben. Ob diese Wirkung geniigt, l~iBt sich ftir jeden, der ~irztlich zu sehen ge- wohnt ist, an der im Anschlug an die Impfung auftretenden Allgemein- oder Lokalreaktion ablesen. Schlagartig scheinen mir die yon B. LANGE gemeinsam mit K. LYDTIN und WETH- MAta 1 mitgeteilten Rinderversuche die $eite der Frage zu beleuchten.

Im gleichen Schutzversuch wurden nach ROBERT I~OCtI mit humanen Bacillen intraven6s vorbehandelte, nach CAL- METTE intraven6s, subcutan und peroral vorbehandelte Rinder geprfift. Die nach KOCH vorbehandelten Rinder ha• im AnschluB an die Vorbehandlung fiber einige Wochen hinweg hohes Fieber, sie nahmen beangstigend an Gewicht ab, die Einwirkung der Vorbehandhng machte die Tiere sehwer krank, und dementsprechend zeigten sie bet der Prfifung den besten Schutz. Die nach CALMETTE intraven6s vorbehandel- ten Rinder bat ten im AnschluB an die Vorbehandlung mehr- fache kurz dauernde steile Fieberschfibe, sie nahmen an Gewicht nur m~tBig zu, sie machten einen kranken Eindruck und zeigten einen guten, wenn auch nicht so regelm~Bigen Schutz, wie die mit humanen Bacillen vorbehandelten Tiere. Die subcutan vorbehandelten Tiere bekamen yon der Vor- behandlung lokale Abscesse mit etwas subfebriler Temperatur, der Schutz war bei entsprechend starker Infektion schon etwas nnsicherer. Die peroral vorbehandelten Tiere zeigten fiber- haupt keine allgemeine oder lokale 1Reaktion und dementspre- chend war ein Sehutz trotz der grol3en Ffitterungsdosen ~aicht erkennbar.

Die so auffallend gfinstigen Affenversuche konnten yon den deutsehen Nachprfifern nicht best~tigt werden. Es liegt in der Richtung der vorangehenden Ausffihrungen, wenn KIRCH- NER bet subcutan vorbehandelten Affen solange eine Krank- heitsverz6gerung sah, wie die lokale Abscel3bildung an der Vorbehandlungsstelle vorhanden war.

Ganz allgemein zeigen die herausgegriifenen Beobach- tungen :

I. Die Kultur CALM~TTE vermag eine Umst immung des K6rpers auzul6sen, die sich als Resistenzerh6hung im Sinne einer relativen spezifischen Immuni t~ t auswirken kann. In nennenswerter Weise gelingt dies aber nur, wenn die Vaccine in genfigend groBer Dosis nnd nur, wenn sie parenteral eillver- leibt wird, so dab es zu einer so kr~tftigen Einwirkung aui den Organismus kommt, dab diese an ether Allgemeinreaktion oder Herdbildung erkennbar ist. Dies wird im Tierversuch auch bet gallZ jungen Tieren selbst bet Verffitterung vim gr613erer Dosen, als sie CALMETTE ~iir den S~tugling empfohlen hat, nicht erreicht. Is t wohl die l~bertragung der Ergebnisse yon Tierversuchen auf den Menschen recht schwierig, so 1XBt sich aus den vorgetragenen allgemeinen Wirkungsbedingungen und den spezielIen negativen Erfahrungen mit der Ffitterungs- methode entnehmen, dab eine Wirkung der yon CALMt~TTE ffir den Menschen empfohlenen Vorbehandlung durch den Tierversuch einstweilen nicht nahegelegt wird.

2. In zweiter Linie ergibt der ~berblick, dab selbst bet parenteraler Einverleibung die Kul tur CALMETTE nicht den Grad yon Schutzwirkung erreicht, der bet dem Verfahren yon Koch und BEHRING im Rinderversuch auftrat, die trotz ihrer im Tierversuch gr6Beren Schutzwirkung in der Praxis bereits versagt haben.

3. Ffir die Beurteilung der praktischen Answirkungsm6g- lichkeit der beim empfindlichen Meerschweinchen (bet geeig- neter Versuchstechnik) regelm~iBig erzwingbaren, wenn auch nie absoluten Schutzwirkung, sind die Versuche an individuell verschieden resistenten- Kaninchen yon Bedeutung. Hier geht die Schutzwirkung innerhalb der individuell verschiedenen Resistenz der Tiere unter. Im Schutzversuch, der einen Teil der Kontrollen gesund l~iBt, erkranken trotz parenteraler Imptung vorbehandelte Tiere an t6dlicher Tuberkulose.

Diese aus der Ffille der Erscheinungen herausgegriffenen Beobachtungen muten zun~ichst etwas widerspruchsvoll an. Gerade sie abet sind, wenn w i t sic kritiseh im t~ahmen der gesamten Immunitdts]rage bei der Tuberkulose betrachten, durch- aus verst(~ndiich und vor allem geeignet, die Problematik des

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SchutzimpfungsverJahrens nae[~ Calmette, ~a einer Schutz- impfung gegen Tuberkulose i~berhaupt uns vor Augen zu /i~hren.

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III .

Gehen wit davon aus, dal3 wir ill ihrer Wirksamkeit all- gemein anerkannte Schutzimpfungen nur bei solchen Krank- heiten kenllen, bei denen das 13berwindell der Krankheit einen nachhaltigen Schutz gegen eine Zweiterkrankung hinterl~Bt, so ist bei der Tuberkulose davon yon vorneherein nichts er- kennbar. Erst aus dem Tierexperiment und aus der Epidemio- logie haben BEI~I~INa und ROI~ER, arts der Anatomie und der Klinik K. E. RANI~ auf das Wirken immunisatorischer Kr~fte geschlossen. Die eillgangs geschilderte Anschauung der ge- nannten Autoren, die auch heute noch yon weitesten Kreisen geteilt wird, hMt einer Kritik aber keineswegs stand. Allein scholl die Annahme, dab die Menschheit aus verschieden tuberkuloseresistenten Illdividuen zusammengesetzt ist -- eine Annahme, die nicht bewiesen zu werden braucht, -- gentigt zusammen mit dem verschiedenen Durchseuchungsmodus~ um den Unterschied zwischen der Tuberkulose der Naturv61ker und der zivilisierter VSlker zu erkl~ren : Tr i t t bei Naturv61kern eine Infektionsm6glichkeit in gr6Berem Umfange ein, dann sterbell seuchellartig die Widerstandslosen im Anschlul3 all die Erstiniektion in Form yon prim~ren und sekund~ren Tuber- kulosen weg. Nach einiger Zeit folgen dann Erkrankungen und Todesf~lle an isolierter Lungentuberkulose, also an terti~reii Erkrankungsformen nach. Die gleiche Durch- seuchllng, die bei Naturv61kern schlagartig unter Umst~nden einsetzt, beginnt bei uns in der Irtihesten Kindheit. Die wider- standslosen Indiv{duen sterben schon frtih, meist im Kindes- alter, entsprechend der frtihen Infektionsgelegenheit, an mehr oder minder generalisierten Tuberkuloseiormen. Die Wider- standsf~higell iiberstehen die Erstinfektion, sie erkranken erst sparer, wenn llnter irgendwelehen llnspezifischen Einfliissen, die R~NI~E Zwischenfaktoren gellannt hat, die Widerstands- kraft sictl ~ndert oder weitere vor allem geh~uite Illfektionen einen Organismus treffen, dessen Widerstandskraft durch solche Zwischenfaktoren gerade herabgesetzt ist. Selbst wenn wir als bewiesen annehmen, dab nur der Organismus an einer isolierten Organtuberkulose erkrankt, der durch eine fiber- standene Erstinfektion umgest immt ist, so mfissen wir uns darfiber Mar sein, dab die letzte Ursache dieser isolierten Organtuberkutose doch die yon vornherein erh6hte Re- sistenz ist, die es dem Organismus erm6glichte, die Erstiniek- tion zu fiberstehen und dadurch sich so umzustimmen. Der alte verkalkte Prim~traffekt ist demnach doch nicht die Ursache, solldern h6chstens das Zeichen einer erh6hten Resistenz. Er ist, wie wir doch allt~glich erfahren, keine Gew~hr ftir d i e Zukunft, sondern nut ein Zeichen daffir, dab der Organismus zur Zeit der Erstinfektion fiber eine gewisse Resistenz verftigte, die aber im Lanfe des Lebens unter Mien m6glichen unspezifischen Faktoren sich ~tndern kaiin. Der einzelne gewinnt also letzten Endes dutch die 13berwindung der Erstinfektion nicht mehr als er besessen hat. Wohl aber verliert eine geschlossene Bev61kerungsgruppe bei einer Durchseuchung die Widerstandslosen dadurch, dab sie in mehr oder minder unmittelbarem Anschlug an die Erst- infektion wegsterben und dab diese bei entsprechend frfiher Durchseuchllllg yon der Fortpflanzung ausgeschlossen wer- den. Nicht eine akfive Schutzimpfung der Natur liegt also den verschiedenen Durchseuchungsbildern zugrunde. Sie kommen zustande au~ dem Boden einer rein passiven Auslese, mit deren praktiseher Auswirkung wir uns ill Zukniift mehr zu beschMtigen haben werden Ms bisher.

Es liegt in der gleichen Richtung, welln in Verkennung der Rankeschen Stadienlehre in der Klinik der Tuberkulose die Be- deutung der spezifischen Umstimmung (Allergie) iibersch~tzt wird, die angeblich die verschiedellen Krankheitsbilder gestalten oder den Krankheitsablauf steuern sollen. DaB durch eine tuberkulSse Infektion die Reaktionsf~higkeit des K6rpers sich ~ndert, unter- liegt sicher keinem Zweifel. Das zeigt ja schon die Tuberkulin- reaktion. Die spezifische Allergie schafft abet nicht die verschiede- nell Krallkheitsbilder, sollderll sie entstehell auf dem Boden der illdividuell verschiedenell Allergisierungsf~higkeit; man kann dies

sicher auch viel einfacher ausdrflcken. Ich bin an anderer Stelle aus- fflhrlich darauf eingegangen, dab die einzelnen Formen der Stadien- lehre RANI~Es lediglich die Summe der bei der individuelI versehiede- hen (and zeitlich sich i~ndernden) Empfindlichkeit m6glichen Re- aktionsformen auf den tuberkulSsen Infekt darstellen. [Zur Stadien- lehre I~ANKES, Z. Tbk. 5I (1928).]

Es ist f~r die Beurteilung dieser Dinge nicht gleichgiiltig, dab trotz Tausenden yon Tierversuchen t~ber Immunit~t es bisher noch niemandem gelungen ist, als Zeichen einer relativen Immunit~t bei Zweitinfektion eine isolierte Lungentuberkulose zu erzielen. Im Gegenteil haben B. LA~G~ 5 und ich bei trachealer Zweitinfektion relativ immunisierter 2r wohl ein Ausbleiben yon Lungenherden gesehen; regelm~Big erkrankten abet im Gegensatz zur Auffassung RAI~I~ES die Hilusdrflsen. Auf der anderen Seite aber kennen wir im Tierexperiment die isolierte Lungentuberkulose als Zeichen einer primer erh6hten Widerstandskraft: Bei gerade treffender St~rke der Infektion erkranken yon einer Reihe yon Kanin- chen die widerstandslosen an generalisierten Tuberkulosen. Die widerstandsf~higeren kommen nach lgngerer Zeit an isolierten Lungenerkrankungen nach, und die ganz widerstandsf~higen bleiben v611ig gesund. Wie beim Menschen elltstehen also auch hier diese Tuberkuloseformen auf dem Boden einer yon vornherein vor aller Infektion vorhandenen, verschiedenen individuellen Resistenz.

Wie aber hat man zu einer entgegengesetzten Anschauung kommen k6nnen? Nan sah Immunit~tserscheillungen im Tierversuch, man sah, dab das fortschreitend erkrankte Tier gegell Zweitiiifektion geschtitzt ist, und man nahm trotz der gegenteiligen Versuche yon Kl~AVS nnd VOLCK an, dab dann die abheilende Infektion erst recht schtitzen mfisse. SELTER hat vor kurzem noch ~hnliche Gedanken zum Ansdruck ge- bracht. Bei entsprechender Versuchstechnik l~gt sich aber genau das Gegenteil zeigen. In ad hoc angestellten Yersuchen an Meerschweinchen haben B. LARGE und ich beobachten k6nnen, dab bei verschiedenst gew~hlterAbstufung des Grades der Erstinfektion der Schntz parallel geht dem Grade der Pathogenit~tt der Erstinfektion: je schwerer krank das Tier ist, um so besser ist sein Schutz gegen eine yon augen heran- kommende Zweitinfektion. In dem MaBe, in dem die Erst- infektion abheilt, h6rt der Schutz auf.

Es l~flt sich also der yon Roemer sehon ausgebaute Koehsehe Grundversuch zwanglos dahin erg~nzen: Eine tuberkul6se I~- ]elction 16st in dem in]izierten Organismus Umstimmungsvor- g~nge aus, die sich als Immunit~t auswirl~en kSnnen. Ob und in welchem Grade sie sich als Schutz auswirlcen, hgngt einmal, wie Roemer gezeigt hat, yon den quantitatlven Verhi~ltnissen der Zweitin]elction ab; er h~ngt aber auch in einer pralctisch viel maflgebticheren Weise yon dem Grade der Einwirlcung der Erst- in]ektion ab.

Es ist nun ffir jeden, der ~rztlich zll denken gewShnt ist, selbstverst~ndlich, dab der Grad der Einwirkung, den eine Infektion ~fir einen Organismus bedeutet, nicht allein yon der Virulenz und Dosis der Infektion bestimmt wird, sondern auch durch die Empf~nglichkeit des infizierten Organismus. Betrachten wir die Dinge so, verstehen wir den scheinbaren Widerspruch gut, dab gerade beim empf~ngliehsten Tier am leichtesten und am regelm~Bigsten Immunit~tserscheinungell zu erzielen sind. Selbst eine so milde Infektion, wie sie die Impfung nach CALMETT~ darstellt, bedentet ftir das tuber- kuloseempfindliche Meerschweinchen noch eine merkliche Einwirkllng und ffihrt zur regelm~Bigen Resisteiizerh6hung. Wir kennell abet auch dell Enderfolg dieser Immunisierungs- I~higkeit. Diese wohl regelm~13ige ResistenzerhShullg macht den Verlaul der Zweitinfektion etwas chronischer, sie hindert abet hie ihren t6dlichen Verlauf. Selbst bei noch viruleiiterer Erstinfektion, als sie die Impfung nach CAI~METTE darstellt, erreicht die Umstimmung keinen immllnisatorischen End- erfolg. Gallz allgemein liegen beim Meerschweinchen, dem Prototyp des tuberkul6s empfindlichen Organismus, die Ver- hMtnisse so: Entweder schreitet die Erstinfektion fort, dann ist das Tier gegen Zweitinfektion geschfitzt und stirbt all seiner Erstillfektion; oder die Erstinfektion bleibt stecken, dalln geht, wenn auch verz6gert, die Zweitinfektion all, llnd das Tier stirbt an ihr. Nicht also die so deutlich demonstrierbare spezifische Umstimmung best immt das Schicksal des emp- f~nglichen Tieres, sondern seine hohe Empf/~ngliehkeit. Wir

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haben keinen Grund anzunehmen, dab die Verh~ltnisse beim widerstandslosen Menschen anders liegen Ms beim NIeer- schweinchen, wie dies FRIED~ICH YON MOLLER einmal aus- gedrfickt hat. Es bedar~ auch keiner Ausffihrung, wie bet der vorgetragenen Auffassung die Verh~ltnisse bei dem wider- standsf~higen Organismus liegen, ffir den das l)berstehen selbst der virulenten Infektion unter Umst~nden so gut wie keine Einwirkung bedeutet, die e r j a ohne alle subjektive Erscheinungen und ohne wesentliche Reaktion fiberwindet. Bet dieser Auifassung verstehen wir auch gut, dab gerade der Stamm CALMETTE beim Meerschweinchen bei geeigneter Ver- suchstechnik einen regelm~gigen, aber den t6dlichen Verlauf nicht hintanhaltenden Schutz hervorruft. Wir verstehen abet auch den scheinbaren Widerspruch, dab bei der widerstands- fXhigeren lRasse, die aus individuell verschieden resistenten Individuen zusammengesetzt ist, z .B . beim Kaninchen, ein immunisatorischer Enderfolg nicht nachweisbar ist. ~ a g auch auf das empf~nglichere der Kaninchen die Vaccinierung mehr einwirken als auf die widerstandsf~higeren Tiere der Reihe, die ausgel6ste Resistenzerh6hung reicht nicht hin, um dieses hochempf~ngliche Tier zu schtitzen. Wir sehen (genau so wie beim 2vleerschweinchen) keinen Enderfolg.

Denken wir diese Beobachtung von Versuchen, die jeder- zeit reproduzierbar sind, zu Ende, so heiBt dies: Durch spezi- fische Infektion und eine die Infektion nachahmende spezifische Vorbehandlung lassen sich Umstimmungsvorg~nge im infi- zierten Organismus ausl6sen, die sich als Immunit~t gegen eine Zweitinfektion auswirken kSnnen. Genau wie der Verlauf der Infektion ist aber auch die letzte AuswirkungsmSglichkeit dieser spezifischen Umst immung durch die individuell ver- schiedene Tuberkuloseempf~nglichkeit -- oder Widerstands- f~higkeit -- bestimmt. Der widerstandslose Organismus kann nur fiber den Weg der Krankheit gegen den t6dlichen Verlauf einer virulenten Zweitinfektion geschfitzt werden. Der wider- standsf~hige Organismus wird nicht durch das ~)berstehen selbst der virulenten Erstinfektion s tumm gefeit, sondern er ist yon vornherein geschiitzt, bis unter irgendwelchen unspezifischen Faktoren die Widerstandskraft sich ~ndert. N ich t / a l so die beobachtbaren Umstimmungsvorg/~nge beherrschen das Schicksal des infizierten Organismus, sondern die ganz all-

gemein konstitutionell bedingte und zeitlichen Schwankungen unterliegende Umstimmungs -Immunisierungsf/ihigkeit.

Diese aus dem Tierexperiment ohne weiteres ablesbaren Be- obachtungen stehen so gut in Einklang mit der Epidemiologie und mit der alltd~glichen drztlichen Er/ahrung, daft wit uns nicht scheuen di~r]en, die Folgerung daraus zu ziehen. Die scheint mir zu sein, daft wit neben kritischster Pri~/ung des speziellen VerJahrens nach Calmette es wagen, uns ernstha/t mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es denn iiberhaupt bei einer Kranlcheit wie bei der Tuberkulose eine SchutzimpJung geben kann, die gleichzeitig unschdidlich und doch wirlcsam ist.

Dem sch6pferischen Optimismus, der uns so viele Schutz- impfungsverfahren gegen Tuberkulose gebracht hat, verdan- ken wir auch das Verfahren CALMETTES. Er hat uns aber immer auch die anf~nglichen Erfolgsstatistiken gebracht, die einer ernsthaften Krit ik nie standhielten. Befangen in diesem Optimismus hat auch CALM~TTE in den bis heute bet der praktischen Durchffihrung seines Verfahrens erhaltenen Zahlen eine Erfolgsstatistik gesehen. Mit guten Grfinden ist ver- schiedentlich yon fachkundiger Seite bet Anerkennung aller Schwierigkeiten ether derartigen Statistik nachdrfieklich da- gegen eingewendet worden, dab die Deutung, die CALMETTE seinen Zahlen gab, unzul~ssig ist, dab aus seinen Zahlen ein Immunisierungserfolg nicht herausgelesen werden kann. ( R o s E N F E L D , GREENWOOD, GOTZI?;L, B . LANGE, G. W O L F , FREUDENBERG u. a.) Der vorgetragene kritische Pessimismus braucht unser Handeln nicht zu l~hmen. Er wird uns aber vor nicht berechtigten Versprechungen schfitzen. Er wird uns vor allem -- und darauf kommt es bet der Behandlung jedes Schutzimpfungsverfahrens heute ganz besonders an -- den klaren Blick sichern, auch ffir die Beurteilung etwaiger tats~chlicher Er~olge, wenn solche -- meines Erachtens ent- gegen aller Theorie und unter unbegrfindeten Voraussetzungen -- doch erreicht werden sollten.

Einstweilen ist weder dutch die spezielle noch die allgemeineEr- /ahrung elne W irlcsamtceit der Calmette-Schutzimp Jung nahegelegt.

L i t e r a t u r : 1 Dtsch. reed. Wschr. I93o, Nr 22 -- Erg. ges. Tbk.forschg I (193@. -- 2 Kiln. Wschr. 193o, Nr 28. -- 2 Z. Tbk. 5 o, 45 (1928) -- Z. Hyg. lO8, 8o8 (1928). -- a Z. Hyg. 1Io, 2o9 (1929). --

Z. Hyg. IlO, 2o9 (I929).

ORIGINALIEN. HORMONALE SCHWANGERSCHAFTSREAKTION

AUS DEM HARN BEI MENSCH UND TIER*. Gleichzeitig ein Beitrag zur Chemie des weiblichen Sexual-

hormons (Folliculin). Y o n

Prof. Dr. BERNHARD ZO~'DEK. Aus der geburtshilflich-gynfikologischen Abteilung des St~idtischen K-ankenhauses

Berlin-Spandau (Prof. B. ZONDEK).

Die hormonale Schwangerschaftsreaktion aus dem Harn basiert auf dem yon uns (ZoNDEK und ASCHHEIM) gefundenen Testobjekt zum Nachweis der Hypophysenvorderlappenhor- mone. Hi t Hilfe dieses Testobjektes wurde der Harn yon Mensch und Tier in der Gravidit~t untersucht, wobei sich zeigLe, dab die Vorderlappenhormone nut im Harn der Frau und des A]]enweibchens, nicht aber bet anderen S~ugetieren (Nagetiere, Elefant, IZuh, Schwein) ausgeschieden werden. Da die M6glichkeit bestand, dab die Vorderlappenhormone im Harn tr~chtiger Tiere nicht in so starker Konzentration er- scheinen, um bet direkter Harninjektion -- im ganzen werden nur 21/2ccm Urin injiziert -- sich nachweisen zu lassen, stellte ich mit der Alkoholf~llungsmethode (s. unten) HVH- F~llungen aus dem Harn trAchtiger Kfihe dar (Dtsch. med. Wschr. I930, Nr 8). So konnte der H a m auf das Zehnfache konzentriert werden und der. infantilen Maus das Hormon nicht aus 21/2, sondern aus 25 ccm E a r n eingespritzt werden. Die Versuche verliefen vSllig negativ, d. h. es gelang nicht,

* Die Untersuchungen wurden mit Unterstiitzung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft ausgefiihr t.

im Urin tr~chtiger Ktihe Hypophysenvorderlappenhormone auch bet Iofacher Harnkonzentrat ion nachzuweisen.

Die Tatsache, dab man die Schwangerschaftsreaktion, die sich auf den Nachweis der Hypophysenvorderlappen- hormone im Harn grfindet, nut beim Menschen und Alien ausffihren kann, ffihrten ASCHHEIM und mich zu der Vermutung, dab die besonderen hormonalen Verh~ltnisse bet den Primaten auI die besondere Art der Placentation (h~mochorial) zuriickzuffihren set. Diese Annahme erweist sich jetzt als nicht richtig, nachdem es mir -- ich will das Ergebnis gleich vorwegnehmen -- gelungen ist auch bei der tr~ehtigen Stute eine starke Hormonvermehrung (H VII) nachzu- weisen. Das Pferd hat keine h~mochoriale Placenta, son- dern eine Haftplacerita, ebenso wie die Kuh und das Schwein. Bet diesen Tieren t r i t t abet in der Schwangerschaft die hormonale ~berprodukt ion nicht ein. Warum unter den bisher untersuchten Tieren gerade beim Affen und beim Pferd, nicht abet bet der Kuh, dem Schwein, dem Elefanten sowie bet Nagetieren die Uberproduktion an Hypophysen- vorderlappenhormonen auftritt , l~Bt sich schwer erkl~ren. Wit mfissen diese Tatsache zur Kenntnis nehmen. Sie zeigt uns, dab man gar nicht vorsichtig genug sein kann in der Verallgemeinerung biologischer Befunde. Es war so verlockend, die besonderen hormonalen Verh~ltnisse bet den Primaten auf die besondere Placentation zuriickzuftihren, die Versuche am Pferd werfen abet das Geb~ude urn.

Zu den Untersuchungen am Pferd haben reich meine Studien des letzten Jahres fiber das Follikelreifungshormon