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2 forschung 3 / 2003 D ie Forschung in Europa braucht neue Impulse. Sie muss weltweit konkurrenzfä- hig sein oder wieder werden. Euro- pa konkurriert mit den führenden Wissenschaftsnationen, den USA und Japan, aber auch mit dem asia- tischen Raum, in dem einzelne be- völkerungsreiche Länder wie China und Indien allein über ein erheb- liches Zukunftspotenzial verfügen. Vor einigen Jahren trat EU-For- schungskommissar Philippe Bus- quin mit dem Konzept des europäi- schen Forschungsraums (ERA) her- vor. Dies war ein ganz entscheiden- der Beitrag zur Klärung der for- schungspolitischen Diskussion in Europa. Er machte deutlich, dass eine Stärkung nach außen den Ver- such voraussetzt, Schwächen, die sich nach innen aus der Vielzahl und Fragmentierung der Staaten und Systeme ergeben, zu über- winden. Der Forschungsraum trans- zendiert gewissermaßen den Stand der politischen Einigung Europas, indem er auf dem Gebiet der For- schung das vorhandene Potenzial nach innen und außen freisetzt und steigert. Ich sehe eine große Herausforde- rung für die Politik wie für die For- schung darin, die Idee des euro- päischen Forschungsraums zu konkretisieren und weiterzuent- wickeln. Die Politik hat mit den Be- schlüssen von Lissabon (2000) und Barcelona (2002) dafür einen ehr- geizigen Rahmen gesteckt. Europa soll bis 2010 die dynamischste Wis- sensgesellschaft der Welt werden und seine Forschungsausgaben auf drei Prozent des Bruttosozialpro- dukts steigern. Für die Forschung kommt es nun darauf an, auf die Verbesserung der Rahmenbedin- gungen mit konkreten Vorschlägen und Initiativen zu reagieren. Eine solche Initiative ist das Pro- gramm der EURYI (European Young Investigator) Awards. Es ist aus den Beratungen der Präsiden- ten und Chefs der nationalen For- schungsorganisationen in Europa (der EUROHORCs, European Union Research Organisations Heads of Research Councils) über die Frage hervorgegangen, wie mit eigenen Mitteln dieser Organisationen zur Verwirklichung der Idee des For- Der Kommentar schungsraums beigetragen werden kann. Etliche Organisationen haben in den letzten Jahren Förderpro- gramme entwickelt, mit denen sie über Stipendien für junge Wissen- schaftler hinaus eine Strategie zur Förderung des hoch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses verfolgen. Es geht darum, möglichst viele junge Wissenschaftler für die Forschung zu gewinnen und ihnen dafür attraktive Bedingungen anzu- bieten. Ein zentraler Gedanke, wie er im Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemein- schaft, aber auch in vergleichbaren Programmen unserer Partnerorga- nisationen, Ausdruck findet, ist die Möglichkeit zum Aufbau einer ei- genständigen Forschergruppe bei Rückkehr von einem erfolgreichen Auslandsaufenthalt. Für die DFG ist die Nachwuchsgruppe zum Kernstück ihres Förderangebots für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden. Die Chance auf frühe Selbstständigkeit in der Forschung, also bereits weni- ge Jahre nach der Promotion, soll die Motivation für eine Laufbahn in der Forschung erhöhen und zu- gleich die Aussichten auf eine er- folgreiche Karriere verbessern. Das Bemühen um die Rückge- winnung junger Wissenschaftler aus dem Ausland macht die heutige Situation sehr deutlich: Der Wettbe- werb um die besten Köpfe wird weltweit und unter scharfen Bedin- gungen geführt. Denn gerade die großen Industrieländer sind oftmals nicht mehr in der Lage, den Bedarf an Wissenschaftlern aus ihrem eige- nen Erziehungs- und Hochschulsys- tem zu rekrutieren. Kaum mehr als die Hälfte der jungen Wissenschaft- ler, die heute in den USA tätig sind, ist dort auch geboren. Bisher haben in Europa, von den Humanressourcen-Programmen der EU abgesehen, die Staaten einzeln den Kampf um die Sicherung ihres Nachwuchses geführt. Mit dem Pro- gramm der EURYI Awards schlie- ßen sich die wichtigsten Förder- organisationen der meisten europä- ischen Länder im Forschungsraum zusammen und treten auf gemein- samer Basis in den weltweiten Wettbewerb ein. Jeder junge Wis-

Impulse für die Forschung in Europa

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Die Forschung in Europabraucht neue Impulse. Siemuss weltweit konkurrenzfä-

hig sein oder wieder werden. Euro-pa konkurriert mit den führendenWissenschaftsnationen, den USAund Japan, aber auch mit dem asia-tischen Raum, in dem einzelne be-völkerungsreiche Länder wie Chinaund Indien allein über ein erheb-liches Zukunftspotenzial verfügen.

Vor einigen Jahren trat EU-For-schungskommissar Philippe Bus-quin mit dem Konzept des europäi-schen Forschungsraums (ERA) her-vor. Dies war ein ganz entscheiden-der Beitrag zur Klärung der for-schungspolitischen Diskussion inEuropa. Er machte deutlich, dasseine Stärkung nach außen den Ver-such voraussetzt, Schwächen, diesich nach innen aus der Vielzahlund Fragmentierung der Staatenund Systeme ergeben, zu über-winden. Der Forschungsraum trans-zendiert gewissermaßen den Stand der politischen Einigung Europas,indem er auf dem Gebiet der For-schung das vorhandene Potenzialnach innen und außen freisetzt undsteigert.

Ich sehe eine große Herausforde-rung für die Politik wie für die For-schung darin, die Idee des euro-päischen Forschungsraums zu konkretisieren und weiterzuent-wickeln. Die Politik hat mit den Be-schlüssen von Lissabon (2000) undBarcelona (2002) dafür einen ehr-geizigen Rahmen gesteckt. Europasoll bis 2010 die dynamischste Wis-sensgesellschaft der Welt werdenund seine Forschungsausgaben aufdrei Prozent des Bruttosozialpro-dukts steigern. Für die Forschungkommt es nun darauf an, auf dieVerbesserung der Rahmenbedin-gungen mit konkreten Vorschlägenund Initiativen zu reagieren.

Eine solche Initiative ist das Pro-gramm der EURYI (EuropeanYoung Investigator) Awards. Es istaus den Beratungen der Präsiden-ten und Chefs der nationalen For-schungsorganisationen in Europa(der EUROHORCs, European UnionResearch Organisations Heads ofResearch Councils) über die Fragehervorgegangen, wie mit eigenenMitteln dieser Organisationen zurVerwirklichung der Idee des For-

Der Kommentar

schungsraums beigetragen werdenkann. Etliche Organisationen habenin den letzten Jahren Förderpro-gramme entwickelt, mit denen sieüber Stipendien für junge Wissen-schaftler hinaus eine Strategie zurFörderung des hoch qualifiziertenwissenschaftlichen Nachwuchsesverfolgen. Es geht darum, möglichstviele junge Wissenschaftler für dieForschung zu gewinnen und ihnendafür attraktive Bedingungen anzu-bieten. Ein zentraler Gedanke, wieer im Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemein-schaft, aber auch in vergleichbarenProgrammen unserer Partnerorga-nisationen, Ausdruck findet, ist dieMöglichkeit zum Aufbau einer ei-genständigen Forschergruppe beiRückkehr von einem erfolgreichenAuslandsaufenthalt. Für die DFG ist die Nachwuchsgruppe zumKernstück ihres Förderangebots für junge Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler geworden. DieChance auf frühe Selbstständigkeitin der Forschung, also bereits weni-ge Jahre nach der Promotion, solldie Motivation für eine Laufbahn in

der Forschung erhöhen und zu-gleich die Aussichten auf eine er-folgreiche Karriere verbessern.

Das Bemühen um die Rückge-winnung junger Wissenschaftleraus dem Ausland macht die heutigeSituation sehr deutlich: Der Wettbe-werb um die besten Köpfe wirdweltweit und unter scharfen Bedin-gungen geführt. Denn gerade diegroßen Industrieländer sind oftmalsnicht mehr in der Lage, den Bedarfan Wissenschaftlern aus ihrem eige-nen Erziehungs- und Hochschulsys-tem zu rekrutieren. Kaum mehr alsdie Hälfte der jungen Wissenschaft-ler, die heute in den USA tätig sind,ist dort auch geboren.

Bisher haben in Europa, von denHumanressourcen-Programmen derEU abgesehen, die Staaten einzelnden Kampf um die Sicherung ihresNachwuchses geführt. Mit dem Pro-gramm der EURYI Awards schlie-ßen sich die wichtigsten Förder-organisationen der meisten europä-ischen Länder im Forschungsraumzusammen und treten auf gemein-samer Basis in den weltweitenWettbewerb ein. Jeder junge Wis-

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senschaftler, der die Bedingungendes Programms erfüllt, kann denAntrag auf einen EURYI Award imForschungsraum stellen – genauergesagt: in einem der vierzehn Län-der, die jeweils durch mindestenseine Organisation an der erstenAusschreibung beteiligt sind.

Wie sieht das Programm, dasMitte September 2003 (Bewer-bungsfrist: 15. Dezember 2003) erst-mals ausgeschrieben wird, im De-tail aus? Nach einer Vorbereitung,die sich über etwa ein Jahr erstreck-te, unterzeichneten die Verantwort-lichen von 18 Organisationen aus 14Ländern im Mai 2003 ein Memoran-dum of Understanding. In diesemverpflichteten sie sich, für eine ersteAusschreibung des Programms je-weils 5,2 Millionen Euro (Anteil derDFG: 1,3 Millionen Euro) für dieDauer von fünf Jahren bereitzustel-len. Es handelt sich also um einengemeinsamen Fonds, bei dem esden Beteiligten allein um das Quali-tätskriterium geht und sie auf jedeArt von „juste retour“, also eine ge-rechte Verteilung nach einzelnenLändern, verzichten.

Ein EURYI Award besteht aus der Verbindung von Stipendiumund Projektförderung, entspre-chend dem Modell der Nachwuchs-gruppe im Emmy Noether-Pro-gramm. Die Förderung umfasst alsodie Bezahlung der Leiterstelleselbst und eine Ausstattung mitzwei bis drei Projektstellen auf Dok-toranden- beziehungsweise Post-doktorandenniveau sowie Sach-und Reisemitteln. Das schlägt beiallen beteiligten Ländern mit150 000 bis 250 000 Euro, im Durch-schnitt etwa 200 000 Euro zu Buche.Bei dem jährlichen Betrag von 5,2 Millionen Euro ist also von etwa25 Bewilligungen in der erstenRunde auszugehen. Bewerber müs-sen einen herausragenden wissen-schaftlichen Werdegang nachwei-sen. Sie sollen das Potenzial erken-nen lassen, auf ihrem Gebiet inter-national eine führende Rolle spielenzu können. Eine Altersgrenze gibtes nicht. Stattdessen wird wegendes unterschiedlichen Promotions-alters in den verschiedenen Län-dern eine Forschungserfahrung alsPostdoc von wenigstens zwei und

bis zu zehn Jahren verlangt. Beson-dere Bedeutung kommt darüberhinaus einer qualifizierten Einla-dung, verbunden mit der Zusage desjeweiligen Instituts zu, die Nach-wuchsgruppe für einen Zeitraumvon fünf Jahren aufzunehmen.EURYI Awards können in allen Fächern, also auch den Geisteswis-senschaften, vergeben werden.

Bei der Begutachtung und in der Endauswahl arbeiten dieTeilnehmerorganisationen in

einem zweistufigen Verfahren mitder European Science Foundation(ESF) in Straßburg zusammen: DieOrganisation des Ziellandes ist je-weils nach ihrem eigenen Verfah-ren für die Begutachtung der erstenStufe zuständig und verantwortlich.Jeder Teilnehmerorganisation stehtentsprechend ihres finanziellenEinsatzes eine bestimmte Zahl vonVorschlägen für die zweite, ge-meinsame Runde zu. Aus den 134möglichen Vorschlägen sollen ineinem Panel-Verfahren und mitHilfe von Interviews, zumindest beiden bestplazierten Kandidaten, diebis zu 25 Gewinner ausgewähltwerden. Angesichts der sorgfälti-gen Zeitplanung besteht die Erwar-tung, dass mit einem solchen Er-gebnis Mitte des Jahres 2004 dasVerfahren der ersten Ausschrei-bung erfolgreich abgeschlossen ist.Dann werden im Herbst kommen-den Jahres die ersten EURYI-Nach-wuchsgruppen an den Start gehen.Für die Förderung von akademi-schem Nachwuchs und Exzellenz inEuropa, für gemeinsames Handelnim Europäischen Forschungsraumwird dies ein Meilenstein sein.

Bei den EURYI Awards wird esnicht bleiben. Derzeit ist auch dieGründung eines European ResearchCouncil im Gespräch. Diese Organi-sation will nicht nur Personen för-dern, sondern auch Forschungspro-jekte aus der Grundlagenforschung,um so die bisherigen Förderaktivitä-ten der EU zu ergänzen.

Prof. Dr. Ernst-Ludwig WinnackerPräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Impulse fürdie Forschungin EuropaAuf dem Weg zur dynamischsten Wissensgesellschaftder Welt – Der Wettbewerb um die besten Köpfenimmt an Schärfe zu

Prof. Dr.

Ernst-Ludwig Winnacker