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Unverkäufliche Leseprobe aus: Ina Hartwig Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustim- mung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Unverkäufliche Leseprobe aus:

Ina HartwigWer war Ingeborg Bachmann?Eine Biographie in Bruchstücken

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustim­mung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Inhalt

Krieg am Sterbebett 7Bildermaschine 21Der Mann mit dem Mohn 35Körperwerk der Politik 64Ein Kritiker 101Berlin, Germany 111Orgie und Heilung 140Guter Vater, böser Vater 162Gespräche mit Zeitzeugen 180Epilog 261

Anmerkungen 269Chronik 295Dank 309Bildnachweis 311Namensregister 312

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Körperwerk der Politik

Ingeborg Bachmann hat durch Unterschriften unter ver-schiedene Petitionen, beispielsweise gegen die Wiederbe-waffnung der Bundesrepublik, gegen die Gründung des ZDF als reinem »Adenauer-Sender«, für das Recht auf Ungehorsam im Algerienkrieg, gegen den Terror in Viet-nam oder auch durch Briefe an Freunde und, ganz konkret, durch die Unterstützung Willy Brandts im Wahlkampf von 1965 ein Netz von politischen Bezügen geknüpft, das sie als linke oder zumindest linksliberale Intellektuelle ihrer Zeit ausweist. Und doch ist ihre politische Einstellung, wenn es um das größere Ganze geht, nicht leicht zu bestimmen.

Als Studentin in Wien und in den Jahren danach, als sie hoffte, eine Universitätskarriere machen zu können, war sie politisch nicht festgelegt, ließ Vorsicht walten. Die ideologischen Spannungen unter den Besatzungsmächten der Viersektorenstadt,48 die neue »kalte« Weltordnung, die Angst vor einem neuen, diesmal sowjetischen Totalitaris-mus, die von den amerikanischen Besatzungsbehörden nach Kräften propagandistisch befördert wurde, all das blieb nicht ohne Wirkung auf die politische Befindlich-keit der jungen Generation. Zumal zu bedenken ist, dass Ingeborg Bachmann selbst in Wien für die US-Besatzer jobbte: zunächst als Sekretärin für den amerikanischen

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Nachrichtendienst (AND), von März bis August 1951, und anschließend, bis zu ihrer Kündigung im Juli 1953, als Scriptredakteurin des Senders Rot-Weiß-Rot.

Rot-Weiß-Rot war der Sender der amerikanischen Be-satzer, die entsprechend einer 1950 beschlossenen psycho-logischen Offensive für Deutschland und Österreich einen Programmmix aus politischer Aufklärung und Unterhal-tung verfolgten, gemeint durchaus als Gegengewicht zum Radioprogramm der Sowjets, das über den zur RAVAG (Radio Verkehrs AG) gehörenden Sender Radio Wien ausgestrahlt wurde.49

Ingeborg Bachmanns um viele Jahre älterer Mentor und Liebhaber Hans Weigel, der im Café Raimund junge Schrifsteller um sich versammelte, war ein Remigrant und strenger Antistalinist und als solcher gut vernetzt. Aber nicht er hatte die Arbeit bei Rot-Weiß-Rot an Ingeborg Bachmann vermittelt, sondern Elisabeth »Bobbie« Löcker, die Chefin der »News and Features Section« des AND.50 Anders als Hans Weigel war Elisabeth Löcker kritisch ein-gestellt gegenüber den Befürchtungen der Amerikaner, die suggerierten, der Dritte Weltkrieg stünde unmittelbar be-vor.51 Den Angestellten des Radiosenders Rot-Weiß-Rot wurde offenbar eingeredet, dass sie sich in der sowjetischen Zone der Stadt besser nicht aufhielten; sie wären dort quasi jederzeit in Lebensgefahr. Misstrauisch wurden aber auch die österreichischen Mitarbeiter des Senders beäugt. Es herrschte, wie Joseph McVeigh herausgefunden hat, »ein ständiger Verdacht«. Dies führte 1953 sogar zu Ermitt-lungen gegen angebliche kommunistische Umtriebe im Sender durch den Untersuchungsausschuss des US-Senats

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unter Joseph McCarthy.52 Die »in den USA ausbrechende McCarthy-Hysterie« (Viktor Ergert) war nach Österreich übergeschwappt.

Inmitten dieser ideologisch aufgeheizten Atmosphäre müssen wir uns Frl. Dr. Ingeborg Bachmann vorstellen, ehrgeizig, skeptisch, geschickt, im Umgang mit dem Me-dium Radio erstaunlich professionell. Als Scriptgirl redi-gierte sie Manuskripte, schrieb eigene Texte, unter ande-rem ihr erstes Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen, das im Februar 1952 ausgestrahlt wurde. Und: Sie gehörte zum Autorenteam einer humoristischen Radioseifenoper über eine durchschnittliche Wiener Bürgerfamilie namens Flo-riani.53 Die bei den Wiener Radiohörern auch wegen der exzellenten Sprecher äußerst beliebte Serie lief acht Jahre lang, von 1952 bis 1960, zunächst alle vierzehn Tage, dann wöchentlich, unter der Regie von Walter Davy.54 Neben Bachmann gehörten zum Autorenteam zwei Männer, die ebenfalls noch keine dreißig Jahre alt waren, Jörg Mauthe und Peter Weiser. Als Die Radiofamilie 2011 in Buchform im Suhrkamp Verlag erschien, konnte man nur staunen: Das sollte Ingeborg Bachmann geschrieben haben?

Man entdeckte ein unbeschwertes Radiotalent und eine volkstümliche Entertainerin, die mit leichter Hand die netten Florianis durch ihre kleinen und großen Alltags-abenteuer domptiert. Zwischen Winter 1951/52 und Som-mer 1953 verfasste Bachmann verblüffend handfeste Texte für die ungeheuer clever konzipierte Serie, die den Geset-zen des Genres folgend auf Wiederholung und Wiederer-kennbarkeit setzte. Es scheint ihr sichtlich Spaß gemacht zu haben, die Storys um den liebenswürdig korrekten

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Oberlandesgerichtsrat Hans Floriani auszuhecken; seine scharfsinnige, für ihr Hausfrauendasein viel zu intelligente und folglich unterforderte Frau Vilma; die beiden Kinder Wolferl und Helli, deren Zank dem Wiener Schmäh die schönste Reverenz erweist; den Halbbruder des braven Hans, Guido, einen charmanten Aufschneider mit hell-braunem Fleck auf der Weste; und schließlich Liesl, Gui-dos naiv-ländliche, doch tapfer sich behauptende Ehefrau. Diese wird von ihrem Gatten, der nämlich einen Habsbur-gerfimmel pflegt, »Sissy« genannt. Was insofern ziemlich komisch ist, als diese bäuerliche Frau einen Hühnerhof be-treibt, und dort, bei den »Hendln«, schlägt auch ihr Herz. Selbstironie gibt es seitens der Scriptwriterin Bachmann gratis dazu: Ein Federvieh namens »Ingeborg« lässt sich mit dem Eierlegen Zeit, und als es endlich so weit ist, ruft die Hühnerfarmerin in die Runde: »Stellts euch vor, die Ingeborg hat wirklich ein Ei gelegt.«

Trotz des Auftrags, einer Demokratisierung der öster-reichischen Nachkriegsgesellschaft auf die Sprünge zu hel-fen, die Hörer mit aktuellen Themen zu konfrontieren – was auch geschieht, von der Koedukation über abstrakte Malerei bis zu den Displaced Persons – , vermeidet das Au-torenteam der Radiofamilie allzu rigorose Positionen. Ver-söhnlich soll es zugehen, amüsant, aber mit Tiefgang. Über Onkel Guido, der als einziges Familienmitglied schwach unter den Nazis wurde, ein »Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist«, pflegt seine Schwägerin Vilma ent-schuldigend zu sagen, »die Guidos kommen in den besten Familien vor«. Das ist die Leitlinie, man will niemanden mit Schuldgefühlen belasten.

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Wenn Ingeborg Bachmann auch nur elf Folgen der Ra-diofamilie allein und vier weitere in Zusammenarbeit jeweils mit Mauthe oder Weiser geschrieben hat und im Übrigen der Redaktion des Öfteren fernblieb, wie Peter Weiser ge-genüber Adolf Opel andeutete,55 so wird hier doch eine bemerkenswerte Seite ihrer Persönlichkeit kenntlich: ihre Bodenständigkeit einschließlich einer gewissen Biegsam-keit. An Paul Celan schrieb Bachmann in einem Brief vom 10. November 1951: »Du weißt ja schon, dass ich eine Stelle im Sender Rot-Weiß-Rot habe als ›Script Writer Editor‹; ich sitze in einem Zimmer mit zwei anderen Männern und zwei Sekretärinnen; mit diesen beiden Männern bearbeite ich Theaterstücke für das Radio, daneben habe ich ab und zu selbst einmal ein eigenes Hörspiel zu schreiben, die wö-chentliche Filmkritik zu verfassen, unzählige, fast durch-wegs schlechte Manuskripte zu lesen und zu begutach-ten. Was ich zustandebringe ist nicht immer schlecht, für Österreich ist es sogar ziemlich gewagt, was wir unseren Hörern vorsetzen, von Eliot bis Anouilh, aber wir haben merkwürdigerweise sogar Erfolg damit.«56

Dass sie an der Serie über die Florianis mitschrieb, die am 2. Februar 1952 erstmals ausgestrahlt werden sollte, ver-schwieg sie Celan wohlweislich, und nicht nur ihm. (Er wäre mit Sicherheit entsetzt gewesen.) Da ihre Mitarbeit an der Radiofamilie bis vor wenigen Jahren noch mehr oder weniger unbekannt war, muss man davon ausgehen, dass sie möglichst wenig darüber geredet hat. Gut möglich, dass sie fürchtete, der Ruf, nebenbei locker als Unterhaltungsstra-tegin in amerikanischen Diensten zu wirken, hätte ihrem Aufstieg als ernsthafte Lyrikerin schaden können. Ob aus

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bewusstem Kalkül oder unbewusster Intuition: Sie achtete darauf, ihr Talent für versöhnlerische Seifenopern nicht an die große Glocke zu hängen. Aber ganz luftdicht konnte sie dieses Kapitel wohl doch nicht verschließen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie ihrer strategi-schen Karriereplanung, dass Hans Werner Richter ausge-rechnet bei einem Besuch im Sender Rot-Weiß-Rot ihre Gedichte entdeckt haben will, mit dem folgenreichen und der literarischen Gemeinde bekannten Ergebnis, dass er sie gleich zur nächsten Tagung der Gruppe 47 einlud. Die Anekdote, von Richter in seinen Erinnerungen genüsslich ausgemalt, ist längst zur Legende geworden: »Am nächsten Tag traf ich Ingeborg Bachmann im Sender Rot-Weiß-Rot. Sie hatte mir ihre unveröffentlichten Gedichte auf einen sonst ganz leeren Schreibtisch gelegt und mich über eine halbe Stunde warten lassen, so dass mir gar nichts An-

Abb. 8 In der Redaktion des Senders Rot-Weiß-Rot

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deres übrig geblieben war, als diese Gedichte zu lesen. Sie klapperte inzwischen in einem Zimmer nebenan auf einer Schreibmaschine, und als sie wieder hereinkam, fragte ich sie, wer denn diese Gedichte geschrieben habe, und sie ant-wortete errötend: ›Ich‹.«57

Im Mai 1952 fährt sie mit Richters Einladung in der Ta-sche das erste Mal zu einer Tagung der Gruppe 47, nach Niendorf an die Ostsee, und wird sich in diese von Deut-schen dominierte, vom Chef als links proklamierte Grup-penkonstellation für ein Jahrzehnt bestens einleben. In einem Brief an Fritz J. Raddatz vom 3. August 1966 spricht Hans Werner Richter rückblickend vom »Corpsgeist auch unter linken Literaten« als Gegengift zum »Corpsgeist der Rechten«: »Du darfst nicht vergessen, dass ich auch im dritten Reiche einem jungen Kreis von Marxisten an-gehörte, der sich zwölf Jahre lang fast ausschließlich mit den Ursachen der Niederlage von 1933 beschäftigte. Meine Überlegung war, auf keinen Fall dürfen die Fehler wie-derholt werden. Das war die eigentliche Ursache für die Entstehung der Gruppe 47. Deshalb versuchte ich eine Art Corpsgeist auch unter den linken Literaten zu züchten.«58 Für Bachmann hat sich seit dem Auftritt bei der Gruppe 47 auf dem politischen Feld ein Schauplatzwechsel vollzogen, eine Ausweitung ihrer Wirkungszone von Österreich nach Deutschland.

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