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Schwerpunktherausgeber M.P. Manns, Hannover J.F. Riemann, Ludwigshafen Internist 2007 · 48:1066–1075 DOI 10.1007/s00108-007-1927-5 Online publiziert: 15. August 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 A. Schneider · M. Momma · M. P. Manns Gastroenterologie/Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule, Hannover Indikation zur künstlichen Ernährung Enterale und parenterale Ernährung Schwerpunkt: Ernährungsmedizin Die künstliche Ernährung ist insbe- sondere für mangelernährte Pati- enten ein unverzichtbarer Baustein im Therapiekonzept, der wesentlich zur Wiederherstellung und zur Auf- rechterhaltung von Gesundheit und Lebensqualität dient. Sie wird trotz- dem entweder zu wenig genutzt oder mit einer falschen Indikation initiiert. Die zunehmende Anzahl pflegebe- dürftiger v. a. auch geriatrischer Pati- enten bedeutet für alle klinisch täti- gen Ärzte die Verpflichtung, sich mit der Indikationsstellung zu befassen. Künstliche Ernährung stellt eine medizi- nisch indizierte Maßnahme dar, mit dem therapeutischen Ziel, die Prognose eines Patienten bezüglich seines Krankheitsver- laufes zu verbessern, Komplikationen zu vermeiden und letztendlich die Lebens- zeit durch Stoffwechselkonditionierung und Verbesserung des Ernährungsstatus zu verlängern. Prinzipiell sollte, soweit möglich, einer oralen, natürlichen Kost- form immer der Vorzug gegeben werden, da diese physiologisch ist und für den Pa- tienten Genuss sowie Wohlgefühl bedeu- tet. Erst wenn die diätetischen Möglich- keiten, die häufig nicht ausgeschöpft wer- den, nicht ausreichen, ist die künstliche Ernährung indiziert [7]. Die künstliche Ernährung kann er- gänzend zur oralen Kost als supplemen- tierte Trinknahrung oder ersatzweise als enterale (EE) und parenterale Ernährung (PE) eingesetzt werden, um den Pati- enten ausreichend mit Makro- und Mi- kronährstoffen zu versorgen, wenn dies durch eine normale Ernährung nicht mehr gewährleistet wird. Die EE nutzt die Verdauungsfähigkeit des Darmes, die wenigstens partiell erhalten sein muss. Darüber hinaus sind künstliche Ernäh- rungsformen mit höheren Kosten ver- bunden; für EE betragen sie ca. das 4- Fache und für PE ca. das 10-Fache. Vor- zugsweise werden industriell hergestell- te Nährlösungen mit definierter Zusam- mensetzung eingesetzt. > Die enterale Ernährung sollte, wann immer möglich, bevorzugt werden Künstliche Ernährung stellt in jedem Fall einen Eingriff in die Homöostase und die Integrität des Körpers dar; hierbei ist die EE die physiologischere Form, weniger in- vasiv und mit weniger Nebenwirkungen behaftet. Zweifellos ist die Durchführung der künstlichen Ernährung auch mit einem logistischen Mehraufwand verbunden. Nichtärztliche, geschulte Mitarbeiter, idealerweise als Ernährungsteam organi- siert, können wesentlich zur patientenge- rechten und zeitnahen ernährungsthera- peutischen Versorgung v. a. auch in der ambulanten Versorgung bzw. im Entlas- sungsmanagement beitragen. Die Indikationsstellung zur künstli- chen Ernährung sollte unter Berücksich- tigung medizinisch-wissenschaftlicher und ethischer Entscheidungskriterien ge- stellt werden und in jedem Fall das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung re- spektieren. Eine wesentliche Hilfestellung für die korrekte Indikationsstellung und Durchführung einer künstlichen Ernäh- rung stellen Leitlinien [9, 12] und Emp- fehlungen der Fachgesellschaften [Deut- sche Gesellschaft für Ernährungsmedi- zin (DGEM, http://www.dgem.de), Eu- ropean Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN, http.//www.espen. org)] dar. 10 0 20 30 40 50 Prozent (%) Alle < 30J > 70J Onko. Abb. 1 7 Die deutsche Studie zur Mangeler- nährung im Kranken- haus. Anteil der man- gelernährten Patienten [%] nach Alter und on- kologischer Erkran- kung. (Mod. nach Pir- lich et al. [16]) 1066 |  Der Internist 10 · 2007

Indikation zur künstlichen Ernährung

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Page 1: Indikation zur künstlichen Ernährung

SchwerpunktherausgeberM.P. Manns, HannoverJ.F. Riemann, Ludwigshafen

Internist 2007 · 48:1066–1075DOI 10.1007/s00108-007-1927-5Online publiziert: 15. August 2007© Springer Medizin Verlag 2007

A. Schneider · M. Momma · M. P. MannsGastroenterologie/Hepatologie und Endokrinologie, Medizinische Hochschule, Hannover

Indikation zur künstlichen ErnährungEnterale und parenterale Ernährung

Schwerpunkt: Ernährungsmedizin

Die künstliche Ernährung ist insbe-sondere für mangelernährte Pati-enten ein unverzichtbarer Baustein im Therapiekonzept, der wesentlich zur Wiederherstellung und zur Auf-rechterhaltung von Gesundheit und Lebensqualität dient. Sie wird trotz-dem entweder zu wenig genutzt oder mit einer falschen Indikation initiiert. Die zunehmende Anzahl pflegebe-dürftiger v. a. auch geriatrischer Pati-enten bedeutet für alle klinisch täti-gen Ärzte die Verpflichtung, sich mit der Indikationsstellung zu befassen.

Künstliche Ernährung stellt eine medizi-nisch indizierte Maßnahme dar, mit dem therapeutischen Ziel, die Prognose eines Patienten bezüglich seines Krankheitsver-laufes zu verbessern, Komplikationen zu vermeiden und letztendlich die Lebens-zeit durch Stoffwechselkonditionierung und Verbesserung des Ernährungsstatus zu verlängern. Prinzipiell sollte, soweit möglich, einer oralen, natürlichen Kost-form immer der Vorzug gegeben werden, da diese physiologisch ist und für den Pa-tienten Genuss sowie Wohlgefühl bedeu-tet. Erst wenn die diätetischen Möglich-keiten, die häufig nicht ausgeschöpft wer-den, nicht ausreichen, ist die künstliche Ernährung indiziert [7].

Die künstliche Ernährung kann er-gänzend zur oralen Kost als supplemen-tierte Trinknahrung oder ersatzweise als enterale (EE) und parenterale Ernährung (PE) eingesetzt werden, um den Pati-enten ausreichend mit Makro- und Mi-kronährstoffen zu versorgen, wenn dies durch eine normale Ernährung nicht

mehr gewährleistet wird. Die EE nutzt die Verdauungsfähigkeit des Darmes, die wenigstens partiell erhalten sein muss. Darüber hinaus sind künstliche Ernäh-rungsformen mit höheren Kosten ver-bunden; für EE betragen sie ca. das 4-Fache und für PE ca. das 10-Fache. Vor-zugsweise werden industriell hergestell-te Nährlösungen mit definierter Zusam-mensetzung eingesetzt.

> Die enterale Ernährung sollte, wann immer möglich, bevorzugt werden

Künstliche Ernährung stellt in jedem Fall einen Eingriff in die Homöostase und die Integrität des Körpers dar; hierbei ist die EE die physiologischere Form, weniger in-vasiv und mit weniger Nebenwirkungen behaftet.

Zweifellos ist die Durchführung der künstlichen Ernährung auch mit einem logistischen Mehraufwand verbunden.

Nichtärztliche, geschulte Mitarbeiter, idealerweise als Ernährungsteam organi-siert, können wesentlich zur patientenge-rechten und zeitnahen ernährungsthera-peutischen Versorgung v. a. auch in der ambulanten Versorgung bzw. im Entlas-sungsmanagement beitragen.

Die Indikationsstellung zur künstli-chen Ernährung sollte unter Berücksich-tigung medizinisch-wissenschaftlicher und ethischer Entscheidungskriterien ge-stellt werden und in jedem Fall das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung re-spektieren.

Eine wesentliche Hilfestellung für die korrekte Indikationsstellung und Durchführung einer künstlichen Ernäh-rung stellen Leitlinien [9, 12] und Emp-fehlungen der Fachgesellschaften [Deut-sche Gesellschaft für Ernährungsmedi-zin (DGEM, http://www.dgem.de), Eu-ropean Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN, http.//www.espen.org)] dar.

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ent (

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Alle < 30J > 70J Onko.

Abb. 1 7 Die deutsche Studie zur Mangeler-nährung im Kranken-haus. Anteil der man-

gelernährten Patienten [%] nach Alter und on-

kologischer Erkran-kung. (Mod. nach Pir-

lich et al. [16])

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Abb. 2 8 Durchführung der bioelektrischen Impedanzmessung (BIA)

Hinweise für eineMangelernährung ?

Nein

Optimierung der oralen Ernährung

mittels Diätberatung und ggf. Trinknahrung

kritisch oderverschlechtert

orale Ernährung nicht möglich

NeinSondenanlage undenterale Ernährung

ambulante Ernährungstherapie

percutane Sondenanlage

implantierter zentraler Katheter

Screening nach Tagen / Wochen

bestehendes Risiko bzw.Erkrankung

stabil odergebessert

Ernährungszustand

funktionsfähigerGastrointestinaltrakt ?

parenterale Ernährung

keine ausreichendeenterale Ernährung

Ja

Ja

Abb. 3 7 Algorithmus zur Indikationsstellung für die künstliche Ernährung

Erfassung von Mangelernährung und Nährstoffbedarf

Wichtigstes Ziel der künstlichen Ernäh-rung ist, im Idealfall eine Mangelernäh-rung zu verhindern oder, wenn diese be-reits manifest ist, suffizient zu behandeln. Erhebungen haben gezeigt, dass auch in ei-ner hoch entwickelten Industrienation wie Deutschland Mangelernährung ein zu we-nig beachtetes Problem darstellt und von erheblicher klinischer Relevanz ist. Das betrifft ebenso Einrichtungen wie Kran-kenhäuser (ca. 25% der Klinikpatienten), Pflegeeinrichtungen und Altenheime (. Abb. 1). Menschen mit schweren und chronischen Erkrankungen, hierzu gehö-ren v. a. Tumorkranke und allein leben-de alte Menschen, sind besonders betrof-fen [15, 16]. Mangelernährung beeinflusst den Verlauf von Krankheiten und chirur-gische Maßnahmen ungünstig, führt zu deutlich verlängerten Krankenhausliege-zeiten und kann für den Patienten bezüg-lich Heilung sowie Überleben Prognose bestimmend werden.

Zentrales Kriterium für Mangelernäh-rung ist der unbeabsichtigte Gewichts-verlust von über 10% in den vergangenen 6 Monaten bzw. 5% in 3 Monaten.

Dies reflektiert den anhaltenden Abbau von Körpersubstanz, die prognostisch wichtige, krankheitsassoziierte Katabolie. Zwei weitere Subgruppen werden unter-schieden: der Eiweißmangel (definiert als Verringerung des Körpereiweißbestands) und der spezifische Nährstoffmangel. Be-sonders bei schweren Erkrankungen über-schneiden bzw. finden sich alle Mangelzu-stände [18].

Ernährungsstatus

Die Erhebung des Ernährungsstatus un-ter Berücksichtigung der krankheitsspe-zifischen Probleme eines Patienten stellt die Basis für die korrekte Indikations-stellung zur künstlichen Ernährung dar. Hierdurch werden Risikofaktoren un-ter Berücksichtigung von Symptomen, die auf die Krankheitsaktivität hinwei-sen, erfasst und eine drohende oder ma-nifeste Mangelernährung dokumentiert. Auf spezifische Mangelzustände, die z. B. Vitamine, Mineralstoffe oder Spurenele-mente betreffen, können charakteristische Symptome Hinweise geben. Bei begrün-detem Verdacht können spezielle Labor-analysen zur Verifizierung der Defizite herangezogen werden.

Die für die Praxis tauglichen Metho-den zur Erfassung des Ernährungszu-stands sind in der . Tab. 1 zusammen-gefasst.

Für die Erfassung von unzureichender Nahrungsaufnahme kann die Anferti-gung eines Ernährungstagebuchs über 7 Tage nach fachgerechter Instruktion aufschlussreich sein und als Grundlage für die diätetische und ernährungsmedi-zinische Intervention herangezogen wer-den. Dessen Wert ist aber sehr von der Mitarbeit des Patienten bzw. des Proto-kollierenden abhängig.

> Als Screeningmethode und zur Risikoeinschätzung haben sich Ernährungsscores bewährt

Als Screeningmethode und zur Risiko-einschätzung haben sich Ernährungss-cores bewährt. Hierdurch soll die Fehler-quote der Einzelparameter durch die Ge-samteinschätzung minimiert werden. Va-lidiert ist der einfach zu erhebende Sub-jective Global Assessment (SGA; [15]), der ausschließlich auf der Anamnese bezüg-lich des Gewichtes und der Nahrungszu-fuhr, gastrointestinaler Symptome und der körperlichen Untersuchung beruht.

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Schwerpunkt: Ernährungsmedizin

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Von der europäischen Gesellschaft für Ernährungsmedizin werden der Nutriti-onal Risk Score (NRS) für stationäre Kli-nikpatienten, für geriatrische Patienten das Mini Nutritional Assessment (MNA) und für ambulante Patienten das Malnut-rition Universal Screening Tool (MUST) empfohlen [18].

Bedarfsberechnung

Vor Beginn jeder künstlichen Ernäh-rung ist die Berechnung des Energiebe-darfs notwendig [20]. Dies erfolgt im All-gemeinen durch Berechnung des Ruhe-energiebedarfs nach Harris und Bene-dict [[3]; „resting energy expenditure“ (REE): REE-Männer=66,5+13,8×Gewicht [kg]+5,0×Länge [cm]–6,8×Alter [Jah-

re], REE-Frauen=655+9,6×Gewicht [kg]+1,8×Länge [cm]–4,7×Alter [Jahre], Genauigkeit von ±20%], der mit einem in-dividuell festgelegten Faktor je nach Ak-tivität oder krankheitsbedingten Metabo-lismus multipliziert wird. Genauer ist die Messung des Ruheenergieverbrauches durch die indirekte Kalorimetrie. Die notwendige apparative Ausstattung be-grenzt jedoch den Einsatzbereich in der klinischen Praxis. Grobe Richtwerte für den Ruheenergieumsatz sind:F  bis 20–30 Jahre: 25 kcal/kgKG/Tag,F  bis 30–70 Jahre: 22,5 kcal/kgKG/Tag

undF  ≥70 Jahre: 20 kcal/kgKG/Tag).

Vor Beginn jeder künstlichen Ernäh-rung ist die Berechnung des Energie-bedarfs notwendig

Zusammenfassung · Abstract

Internist 2007 · 48:1066–1075DOI 10.1007/s00108-007-1927-5© Springer Medizin Verlag 2007

A. Schneider · M. Momma · M. P. Manns

Indikation zur künstlichen Ernährung. Enterale und parenterale Ernährung

ZusammenfassungKünstliche Ernährung ist bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme und drohender oder manifester Mangelernährung indiziert. Sie kann die Prognose bezüglich des Krank-heitsverlaufes und der Lebensqualität verbes-sern sowie zur Lebensverlängerung beitra-gen. Die Indikation zur Ernährungstherapie sollte sich an den Leitlinien für die enterale/parenterale Ernährung orientieren, aber auch die individuelle Lebenssituation des Pati-enten berücksichtigen und seine Willensäu-ßerung respektieren. Voraussetzungen sind eine sorgfältige Erhebung des Ernährungs-status und die Festlegung des Ernährungs-konzeptes, adaptiert an die krankheitsspezi-fischen Veränderungen der Verdauungsleis-tung und des Stoffwechsels. Die enterale Er-nährung sollte immer, wenn möglich als sup-plementierende Trinknahrung, gegenüber ei-ner parenteralen Ernährung bevorzugt wer-den.

SchlüsselwörterKünstliche Ernährung · Enterale/parenterale Ernährung · Mangelernährung

Indication for artificial nutrition. Enteral and parenteral nutrition

AbstractInadequate oral food intake and impending or manifest malnutrition are an indication for artificial nutrition. Regarding the course of the disease and quality of life this can im-prove the prognosis and also prolong the life span. The indication for nutritional thera-py should be based on the guidelines for en-teral/parenteral nutrition, however, the indivi-dual life situation of the patient should al-so be considered and the patient’s volition should be respected. Prerequisites for any nu-tritional concept are careful evaluation of the nutritional status and specification of the nu-tritional concept adapted to any disease-spe-cific changes in digestive capacity and me-tabolism. Enteral nutrition, if possible as vo-litional nutritional support, should be pre-ferred to parenteral nutrition.

KeywordsArtificial nutrition · Enteral/parenteral nutriti-on · Malnutrition

Tab. 1  Parameter zur Erfassung eine Mangelernährung

Gewichtsverlust 10% in 6 Monaten5% in 3 Monaten

Body-Mass-IndexFormel: Gewicht [kg]/Größe [m]2

Untergewicht <18,5Bei geriatrischen Patienten <20

SerumalbuminKorrelation mit dem Verlust der Körperzellmasse und der Krankheitsaktivität

Kleiner 35 g/l

Kreatinin-Größen-IndexBerechnung (bezogen auf 24-h-Urin):(gemessenes Kreatinin/ideales Kreatinin)×100

80% moderater Muskelmassenverlust

Zugrunde liegende Kreatininkoeffizienten (23 mg/kg idea-les KG für Männer, 17 mg/kg ideales KG für Frauen)

60% schwerer Muskelmassenverlust

Bioelektrische Impedanz Analyse (BIA; . Abb. 2)Im Wechselstromfeld verhalten sich die Zellmebranen wie „Kondensatoren“ und durch die Analyse der Phase bzw. des Widerstands (Impedanz) lassen sich Körperkomparti-mente errechnen

Phasenwinkel α <5°Zellanteil <50%ECM/BCM >1

Die oben genannten Parameter sind durch krankheitsspezifische Veränderungen wie Ödeme, Leber- und Nie-reninsuffizienz erheblich beeinflusst und damit kritisch zu beurteilen.BCM „body cell mass”, ECM „extra cellular mass”.

Tab. 2  Krankheitsadaptierte Ernährung

Erkrankung Ernährungsmedizinische Maß-nahme

Ziel

Respiratorische Insuffizienz Hoher Fettanteil Weniger CO2-Produktion

Hepatische Enzephalo-pathie

Verzweigtkettige Aminosäuren Modulation des Aminosäuren-profils

Niereninsuffizienz Essentielle AminosäurenKaliumarmVolumenreduziert

Geringere StickstoffzufuhrAnpassung an die Ausscheidung

Diabetes mellitus Einfach ungesättigte FettsäurenFruktose – enteral(Xylita – parenteral)

Insulinunabhängige Energie-zufuhr

Kritisch Kranke Frühzeitige enterale Ernährung Mukosaernährung zum Erhalt der mukosalen Barriere

a Bei kontroverser Datenlage keine generelle Empfehlung.

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Die Nährstoffrelation kann nach den krankheitsspezifischen Stoffwechselbe-dürfnissen variiert werden (. Tab. 2). Der Bedarf an Mikronährstoffen wie Vit-aminen, Elektrolyte und Spurenelemente sollte in die Überlegungen zur Indikati-onsstellung miteinbezogen werden, da häufig die mangelnde Resorptionsfähig-keit für bestimmte Nährstoffkomponen-ten die Umsetzung des Ernährungskon-zeptes bestimmen (. Tab. 3). Das kann die Invasivität der künstlichen Ernährung auf ein Mindestmaß beschränken, indem beispielsweise nur ein Vitamin parenteral substituiert werden muss, während die künstliche Ernährung ein enterales Kon-zept verfolgt.

Festlegung der ernährungs-medizinischen Maßnahmen

Enterale oder parenterale Ernährung

Die DGEM gibt als allgemeine Richtlinie für die Indikationsstellung vor:

F  ausreichende orale Nahrungszufuhr voraussichtlich für länger als >7 Tage nicht gewährleistet und

F  Erhalt oder Verbesserung des Ernäh-rungszustands.

Danach wird der Zufuhrweg festgelegt, der sich nach dem Krankheitsbild rich-tet und Funktionseinschränkungen be-züglich Verdauung, Resorption und Me-tabolismus Rechnung trägt (. Abb. 3). Demgegenüber müssen Kontraindikati-onen abgewogen werden. Die EE ist we-niger komplikationsträchtig, einfacher in der Durchführung als eine PE (z. B. Ka-thetersepsis, Thrombose) und in der The-rapieüberwachung weniger aufwendig, da es seltener zu metabolischen Entglei-sungen kommt. Es besteht Konsens, dass möglichst früh (innerhalb von 24 h) nach einem Trauma oder einer Operation die EE mit dem Ziel, einen trophischen Effekt auf die Darmmukosa auszuüben und ei-ner Zottenatrophie mit Störung der mu-kosalen Barrierefunktion vorzubeugen, begonnen werden sollte.

Nur in seltenen Fällen wird eine en-terale Nahrungszufuhr gar nicht möglich sein, sodass sich damit die Indikation zur PE stellt. Beispiele können hierfür gravie-rende Passagestörungen durch Paralyse oder Obstruktion im Darmbereich sein (Ileus, Peritonitis, Peritonealkarzinose, schweres Malassimilationssyndrom, gas-trointestinale Blutungen). Oft wird die PE als ergänzende Maßnahme bei nichtaus-reichender EE eingesetzt.

Für eine künstliche Ernährung zu Hau-se (. Abb. 4) muss schon bei der Indika-tionsstellung bedacht werden, dass Patient bzw. Betreuer im Umgang mit dem ent-sprechenden Zugangssystem und der Ap-plikation der Ernährung geschult werden müssen.

Enterale ZugangswegeBei Passagestörungen und Aspirationsge-fahr wird die EE über eine Ernährungs-sonde notwendig. Als temporärer Zu-gangsweg sind nasogastrale oder nasoje-junale Sonden geeignet; dies betrifft vor-wiegend Patienten mit akuten Erkran-kungen und kritisch Kranke. Für die ab-sehbar langfristige EE (länger als einen Monat und zur Heimernährung) werden Enterostomiesonden vorzugsweise endo-skopisch angelegt als:F  perkutane endoskopische Gastrosto-

mie (PEG), auch in Kombination mit jejunaler Dünndarmsonde möglich als Jet-PEG und

F  perkutane endoskopische Jejunosto-mie (PEJ).

Chirurgisch, auch laparoskopisch kann meist während einer ohnehin notwen-digen Operation (z. B. Magenhochzug) ei-ne Feinnadelkatheterjejunostomie (FKJ) angelegt werden.

Die Indikation für den geeigneten Zu-gangsweg muss für jeden Patienten indi-viduell geplant werden.So kann eine PEG prinzipiell indiziert, aufgrund einer nichtüberwindbaren Öso-phagusstenose jedoch nicht durchführbar sein, sodass alternative Zugangswege mit dem erfahrenen Endoskopiker oder Chir-urgen evaluiert werden müssen.

Parenterale ZugangswegeNur sehr kurzfristig in Akutsituati-onen ist eine Nährstoffzufuhr über pe-

Tab. 3  Kritische Mikronährstoffe

Erkrankung Mehrbedarf bzw. Mangel

Trauma Vitamin C, Vitamin E, Zink

Sepsis Selen, Vitamin C, (Vitamin E)

Verbrennung Vitamin C, Zink, Kupfer, Selen

Terminale Niereninsuffizienz Wasserlösliche Vitamine

Wernicke-Enzephalopathie Thiamin (Vitamin B1)

Cholestase Fettlösliche Vitamine

Fortgeschrittene Leberzirrhose Zink

Alkoholkrankheit Ubiquitärer Mikronährstoffmangel

Tab. 4  Nichtverordnungsfähige Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung

Krankheitsadaptierte Spezialprodukte für die IndikationenChronische Herz-Kreislauf- oder AteminsuffizienzDekubitusprophylaxe oder -behandlungDiabetes mellitusGeriatrieUnterstützung des ImmunsystemsTumorpatienten

Produkte aufgrund ihrer ZusammensetzungElementardiäten und Sondennahrung, angereichert mit Mineralstoffen, Spurenelementen oder Vitaminen über die gesetzlichen Anforderungen hinausHypokalorische Lösungen (<1 kcal/ml)Sonstige Hydrolysatnahrungen (ausgenommen hochhydrolisiert zum Einsatz bei Kuhmilcheiweiß-allergie) und Semielementarnahrungen

Produkte, die mit Mehrkosten verbunden sind durchSpezielle Anreicherung mit BallaststoffenSpezielle Anreicherung mit mittelkettigen Triglyzeriden (ausgenommen dokumentierte Fettver-wertungsstörung)

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Schwerpunkt: Ernährungsmedizin

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riphere Venen in Form von hypoosmo-laren Lösungen, einschließlich Lipidlö-sungen, indiziert. Diese Ernährungskon-zepte sind meist hypokalorisch und pri-mär für die Flüssigkeitssubstitution ge-eignet. Für die totale PE >7–10 Tage ist ein zentralvenöser Zugang unentbehr-lich, der vorzugsweise als Mehrlumenka-theter in die V. jugularis oder V. subcla-via realisiert wird. Für die dauerhafte PE >3 Wochen und Heim-PE bietet sich ein permanentes, chirurgisch implan-tiertes Kathetersystem an (Portsystem oder als subkutan getunnelter Broviac®- und Hickmann-®/Groshong®-Katheter; [20]). Wegen der deutlich höheren In-fektionsgefahr muss auf strenge Einhal-tung der hygienischen Regeln geachtet werden, dann weisen diese Kathetersys-teme eine sehr gute Langzeitverwendbar-keit und Patientenakzeptanz auf. Es kön-nen im Verlauf einer unter Umständen langjährigen PE Zugangsprobleme z. B. durch Gefäßthrombosen auftreten, die eine Katheterneuimplantation erheblich erschweren können. Dies sollte immer wieder Anlass sein, die Möglichkeiten zur EE neu zu evaluieren.

Ethische und rechtliche Aspekte

Prinzipiell ist die Verordnung einer künst-lichen Ernährung ärztliche Aufgabe. Be-stimmte Aufgaben zur Ernährungsdurch-führung, Erhebung des Ernährungsstatus

und Dokumentation dürfen aber an aus-gebildete, nichtärztliche Mitarbeiter wie Pflegekräfe, Diätassistenten/innen, Arzt-helfer/innen, Ökotrophologen delegiert werden. Der verantwortliche Arzt soll-te sich aber vorher von der Sach-/Fach-kenntnis des entsprechenden Mitarbei-ters überzeugen.

Wie für jede medizinische Maßnah-me besteht Aufklärungspflicht sowohl für die ernährungsmedizinische Maßnah-me als auch für die technischen Verfah-ren zur Realisierung der künstlichen Er-nährung. Das Aufklärungsgespräch soll-te dokumentiert werden und sowohl die Indikation und die Komplikationsmög-lichkeiten, aber auch die Risiken bei ei-ner Unterlassung darlegen. Eine realis-tische Zielsetzung orientiert sich an der Gesamtsituation des Patienten. Sie kann sich für einen Patienten mit einer unheil-baren Tumorkrankheit auf eine Verbesse-rung der Lebensqualität beschränken, oh-ne die Prognose günstig zu beeinflussen. Auf Wunsch können Angehörige und Be-treuer in die Aufklärung einbezogen wer-den. Entscheidend ist aber allein der Wil-le des Patienten für oder gegen eine künst-liche Ernährung und damit für den Arzt bindend. Im Falle des nichteinwilligungs-fähigen Patienten muss das Einverständ-nis vom Vorsorgebevollmächtigten oder gesetzlichen Betreuer eingeholt werden. Besteht eine Patientenverfügung, die be-züglich einer künstlichen Ernährung Aus-

sagen trifft, ist diese als der mutmaßliche Wille des Patienten zu respektieren. In unklaren Fällen, wenn beispielsweise die Meinung eines Betreuers dem ärztlichen Therapievorschlag widerspricht, sollte eine juristische Entscheidung eingeholt oder um Hilfe eines Ethikkomitees gebe-ten werden.

> Entscheidend ist allein der Wille des Patienten für oder gegen eine künstliche Ernährung

Das Finalstadium einer Erkrankung, z. B. ein unheilbares Tumorleiden oder die schwere Demenz, ist häufig durch ein verringertes Hunger- und Durstgefühl ge-kennzeichnet. Hier ist die künstliche Er-nährung nicht mehr indiziert und sollte nicht zur Belastung des Patienten führen sowie das Sterben erschweren [9, 12].

Verordnung künstlicher Ernährung

Nachdem die Neufassung der Arzneimit-tel-Richtlinie 2005 in Kraft getreten ist, in der auch die Verordnung von Trink- und Sondennahrung geregelt wird, waren viele Ärzte verunsichert. Enterale und paren-terale Ernährung sind nach leitlinienge-treuer Indikationsstellung weiterhin ver-ordnungsfähig. Das betrifft auch notwen-dige Hilfsmittel wie z. B. Pumpen und Ver-bandsmittel. Die Verordnung muss natür-lich medizinisch begründet sein, die Dia-gnose einer Mangel- oder Fehlernährung sollte deshalb gut dokumentiert werden. Hierzu sind standardisierte Dokumenta-tionsbögen sehr hilfreich. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) muss so-wohl Standard- als auch Spezialprodukte für die EE und die PE bezahlen. Hier-von sind Ausnahmen benannt (. Tab. 4; Richtlinien über Verordnung von Arznei-mitteln in der vertragsärztlichen Versor-gung: http://www.bmgs.bund.de).

Krankheitsspezifische Indikationsstellung

Voraussetzung für alle Krankheitsbilder ist:

Die orale Nährstoffzufuhr ist unter Ausnutzung aller diätetischen, medika-mentösen, pflegerischen, physiothera-peutischen (z. B. Schlucktraining) oder

11. Monitoring der Untersuchungsbefunde, Ernährungsstatus

12. Kontrolle und ggf. Anpassung der Ernährungstherapie

1. Erfassung von Erkrankung und Ernährungsstatus

2. Indikation für enterale oder parenterale Errnährung zu Hause

3. Bedarfsberechnung an Nährstoffen, Wasser und Elektrolyten

4. Implantation eines permanenten Zugangs (z.B. PEG, Portsystem ect.)

5. Ernährungsrezeptur an die Apotheke des Patienten:

PE: Verordnung von „All-In-One-Beutel“ oder individuelle Rezeptur

EN: Rezeptur der Nährlösung mit Kostaufbauplan

6. Attest an den Kostenträger (keine Bewilligungspflicht)

(Zuzahlungspflicht und Gebühren beachten)

7. Information des Hausarztes, ggf. Pflegeeinrichtung

8. Organisation des Home-Care-Service

Beschafftung der Erstausstattung (z.B. Pumpensystem) nach Verordnung

Rezeptierung von Hilfsmittel and Verbandsmaterial

9. Falls benötigt: Verordnung eines Pflegedienstes z. B. für Versorgung des Ernährungsstomas

10. Schulung des Patienten oder Betreuers in der Klinik und zu Hause nach Pflegestandards

Abb. 4 8 Checkliste (1.–12.) für die Organisationsschritte der ambulanten Ernährung von der Klinik bis zur hausärztlichen Praxis. EE enterale Ernährung, PE parenterale Ernährung

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Schwerpunkt: Ernährungsmedizin

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auch zahnärztlichen Maßnahmen nicht ausreichend. Primär sollte Trinknah-rung, wenn nicht ausreichend, die Son-denernährung gegenüber der PE bevor-zugt werden.

Gastroenterologie

Typische Indikationen für eine künstliche Ernährung sind:F  akute Pankreatitis,F  chronisch entzündliche Darmerkran-

kungen undF  Kurzdarmsyndrom.

Für die akute schwere Pankreatitis galt lange Zeit als Dogma, nur PE zu er-lauben. Mehrere Studien [5, 13] haben jedoch gezeigt, dass eine EE, bevor-zugt über eine Dünndarmsonde, sicher durchgeführt werden kann und sich för-derlich für den Erhalt der mukosalen Barriere mit Hinblick auf das Infekti-onsrisiko auswirkt.

Bei chronisch-entzündlichen Darm-erkrankungen mit Unter- bzw. Mange-lernährung ist die künstliche Ernährung, auch unter Berücksichtigung von Sup-plementen zum Ausgleich spezifischer Nährstoffmängel, indiziert. Die wesent-lichen Studien beziehen sich allerdings auf den Morbus Crohn [2, 21]. Die künst-liche Ernährung, wann immer möglich als EE, ist bei Nichtdurchführbarkeit ei-ner Kortikoidsteroidtherapie oder zusätz-lich bei entzündlichen Stenosen zur The-rapie des akuten Schubs eines Morbus Crohn zu empfehlen. Bei der Colitis ulce-rosa ist hingegen kein Einfluss der künst-lichen Ernährung auf die Krankheitsakti-vität nachgewiesen.

Die künstliche Ernährung ist häufig für Kurzdarmpatienten lebenserhaltend und beeinflusst Morbidität sowie Letalität mit ihren möglichen Komplikationen we-sentlich. Die Ernährung sollte phasenge-recht adaptiert werden. Die PE sichert den Nährstoffbedarf, während in der Adapta-tionsphase eine Sondenernährung, die nicht bedarfsdeckend sein kann, die Hy-pertrophie und Zellhyperplasie der Villi unterstützt. Bei nichtausreichender Nähr-stoffabsorptionskapazität kann auch eine Heim-PE z. B. in Kombination mit einer EE und/oder oralen Ernährung notwen-dig sein [4, 7].

Onkologie

Indikationen für die künstliche Ernäh-rung sind vorwiegend:F  Passagestörungen durch Tumoren des

oberen Gastrointestinaltrakts,F  Malabsorption, Fisteln,F  Tumorkachexie undF  Magen-Darm-Funktionsstörungen

durch tumorspezifische Therapie.

Tumorerkrankungen führen über in-flammatorische, zytokininduzierte Re-aktionen zu spezifischen metabolischen Veränderungen mit Entwicklung von Kachexie. Durch eine künstliche Ernäh-rung kann der Ernährungszustand stabi-lisiert und verbessert werden [14]. In ei-ner aktuellen Studie konnte gezeigt wer-den, dass eine frühzeitige, zusätzliche PE die Lebensqualität und das Überleben verbessert [19]. Die Erhöhung der tumor-spezifischen Therapieeffektivität und die Reduktion von Nebenwirkungen werden durch die Ernährungstherapie wesentlich unterstützt bzw. erst ermöglicht und kön-nen damit indirekt zur Verbesserung der Prognose beitragen [1].

E Ist zu erwarten, dass für länger als 14 Tage die normale Nahrungszufuhr bei weniger als 60–80% des errechneten Bedarfes liegt, sollte eine künstliche Ernährung eingeleitet werden.

Bei schon manifester Mangelernährung be-steht Interventionsbedarf, wenn eine Nah-rungsaufnahme unter 500 kcal für mehr als 5 Tage zu erwarten ist. Als validierte Indi-kation für die perioperative Phase (5–7 Ta-ge präoperativ begonnen) großer abdomi-nalchirurgischer Eingriffe gilt die Immu-nonutrition (3-mal 250 ml einer immun-modulierenden Trinknahrung; [12]).

Hepatologie

Indikationen können sich ergeben durch:F  Mangelernährung bei chronischer Le-

berinsuffizienz,F  schwere Entgiftungsstörung der Le-

ber,F  Leberzirrhose, alkoholische Steatohe-

patitis und Nahrungskarenz >12h so-wie

F  frühpostoperativ bei Leberzirrho-se und nach Lebertransplantation [9, 12].

Da Leberfunktion und Überleben erheb-lich vom Ernährungsstatus abhängen, kann durch die Ernährungstherapie ei-ne deutliche Verbesserung erzielt wer-den. Der hohe Energie- (35–40 kcal/kg-KG/Tag) und Eiweißbedarf (1,2–1,5 g/kg-KG/Tag; [6, 10]) sollten beachtet werden. Bei enzephalopathiebedingter Eiweißin-toleranz kann eine Nährlösung mit ver-zweigtkettigen Aminosäuren zur Bedarfs-deckung indiziert sein.

Kardiologie, Pneumologie und Nephrologie

Aufgrund mangelnder Studiengrundlage kann für die kardiale Kachexie und Nie-reninsuffizienz festgestellt werden, dass sie keine Kontraindikation für die künstliche Ernährung darstellt. Obwohl die Kache-xie bei Patienten mit chronischer respira-torischer Insuffizienz mit einer deutlich schlechteren Prognose einhergeht, wird aufgrund fehlender Studien (lediglich ba-sierend auf Expertenmeinung) die Indika-tion zur künstlichen Ernährung, vorzugs-weise enteral, empfohlen. Für die akute und chronische Niereninsuffizienz, v. a. auch mit gastrointestinalen Komplikati-onen, wird ebenfalls nach Konsens eine künstliche Ernährung empfohlen, wenn eine Mangelernährung droht oder einge-treten ist. Für die akuten Krankheitsbilder der Intensivmedizin wird auf den Beitrag „Die Ernährung des kritisch Kranken auf der Intensivstation“ in diesem Themen-heft verwiesen.

Neurologie und Geriatrie

Gerade Patienten mit gerontopsychia-trischen Krankheitsbildern sind von Man-gelernährung bedroht durch:F  neurologische Schluckstörungen so-

wieF  demenz- und depressionsbedingte

unzureichende Nahrungsaufnahme.

Sie stellen deshalb das größte Patienten-kollektiv für die künstliche Ernährung dar. Bei unzureichender Nahrungsauf-nahme kann die künstliche Ernährung die

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Schwerpunkt: Ernährungsmedizin

Page 10: Indikation zur künstlichen Ernährung

Nährstoffzufuhr sicherstellen und den Er-nährungszustand erhalten sowie verbes-sern. Aber schon bei den therapeutischen Zielparametern Erhaltung der Aktivität/Funktionalität und Rehabilitationsfähig-keit, Reduktion von Morbidität und Mor-talität und dem häufig schwer zu beurtei-lenden Parameter Lebensqualität, ist die Studienlage unzureichend und zeigt auch widersprüchliche Ergebnisse [11]. Als gut belegt kann die orale Supplementation angesehen werden, die zur Verbesserung des Ernährungsstatus bei drohender oder manifester Mangelernährung indiziert ist. Durch sie können postoperative Kompli-kationen, Verkürzung von Krankenhaus-verweildauer und Verminderung der In-fektionsrate bei internistischen Patienten erreicht werden [12, 17]. Bei längerfristi-gen Schluckstörungen ist auch die Ernäh-rung über eine PEG indiziert und dann ei-ner nasoenteralen Sonde vorzuziehen. Da die Regenerationsfähigkeit der oft mul-timorbiden geriatrischen Patienten ein-geschränkt und ein Verlust der Zellmas-se kaum wieder auszugleichen ist, ist eine frühzeitige Indikationsstellung zur Ernä-hungstherapie besonders wichtig.

> Bei geriatrischen Patienten ist eine frühzeitige Indikationsstellung zur Ernähungstherapie besonders wichtig

Bei Patienten mit fortgeschrittener De-menz muss die Indikationsstellung indi-viduell unter sorgfältiger Beachtung der Lebensumstände gegenüber möglichen Schädigungen durch die künstliche Er-nährung abgewogen werden [17]. Dogma-tische Regeln und stereotype Vorgehens-weisen sind nicht hilfreich. Die künstli-che Ernährung gehört zur Fürsorge, darf aber nicht zu ihrer einzigen Ausdrucks-form werden.

Fazit für die Praxis

Bei nichtausreichender oraler Nah-rungszufuhr mit drohender oder mani-fester Mangelernährung ist die künstli-che Ernährung sowohl im Klinikbereich als auch zu Hause indiziert. Dies setzt ei-ne sorgfältige Erfassung des Krankheits- und Ernährungsstatus voraus. Diäte-

tische und pflegerische Maßnahmen zur Verbesserung der Nahrungszufuhr soll-ten ausgeschöpft sein. Die Indikations-stellung sowie Planung des Ernährungs-konzeptes orientieren sich an den krank-heitsspezifischen Veränderungen und am Willen des Patienten. Die EE sollte so-weit möglich der PE ggf. auch in Kom-bination vorgezogen werden. Enterale und parenterale Ernährung können bei korrekter Indikation Krankheitsprogno-se und Lebensqualität des Patienten ver-bessern.

KorrespondenzadresseDr. A. Schneider

Gastroenterologie/Hepatolo-gie und Endokrinologie, Medizi-nische HochschuleCarl-Neuberg-Str. 1, 30625 [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Au-tor weist auf die Verbindung mit folgenden Firmen hin: Alle 3 Autoren sind auf Honorarbasis als Refe-renten für pharmazeutische Unternehmen tätig gewe-sen, die Produkte zur oralen oder zur enteralen Ernäh-rung herstellen. Im Folgenden sind dieses: Fresenius-Kabi GmbH, B.Braun Melsungen AG. Darüber hinaus bestehen oder bestanden Forschungskooperationen im Sinne von projektgebundenen Mitteln mit den Un-ternehmen FreseniusKabi GmbH, Pfrimmer Nutricia, B.Braun Melsungen AG und TravaCare GmbH. Keiner der Autoren hat einen Konsulentenvertrag oder per-sönlich finanzielle Interessenkonflikte im Sinne von Ak-tien oder anderen Gewinnbeteiligungen der oben ge-nannten Unternehmen. Die Präsentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der Inhalte pro-duktneutral.

Literatur

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Weiterführende Internetadressen

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F  http://www.criticalcarenutrition.com: Critical Care Nutrition

F  http://www.bmgs.bund.de: Bundesmi-nisterium für Gesundheit und Soziale Sicherung

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